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In Evaristos Apotheke: Der Bankier als Anarchist (1935)
In Evaristos Apotheke: Der Bankier als Anarchist (1935)
In Evaristos Apotheke: Der Bankier als Anarchist (1935)
eBook173 Seiten2 Stunden

In Evaristos Apotheke: Der Bankier als Anarchist (1935)

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Über dieses E-Book

Fernando Pessoa erschuf eine Handvoll Heteronyme und diese eine in sich kohärente wie kontroverse Utopie. Pessoa hinterließ auch orthonyme Prosa, Texte die seinen Namen tragen, die aber nicht weniger Scharade sind als das Gros seiner unauslesbaren Texte.

Zur kontroversen Utopie zählen vor allem seine politischen und esoterischen Texte. Wie tief verwoben sie dennoch sind, wie sehr für Pessoas Figuren gilt: "Wir sind Geschichten, die Erzählungen produzieren", das zeigen die orthonymen Erzählungen In Evaristos Apotheke und Der Bankier und Anarchist aus Pessoas letztem Lebensjahr 1935, in denen der Autor die Extreme Tagespolitik und Religion zusammenhält.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. März 2022
ISBN9783966750547
In Evaristos Apotheke: Der Bankier als Anarchist (1935)

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    Buchvorschau

    In Evaristos Apotheke - Fernando Pessoa

    Inhalt

    Cover

    In Evaristos Apotheke

    O Banqueiro Anarquista (1935)

    Der Bankier und Anarchist (1935)

    The Anarchist Banker (Fragment)

    Nachwort

    Impressum

    In Evaristos Apotheke

    Ein gewöhnlicher Sonntagnachmittag begann. Am Morgen dieses Tages war die militärische Bewegung des 18. April gescheitert. Allem Anschein nach war die Ordnung wiederhergestellt. In den Gesichtern der Menschen lagen Verärgerung und Unbehagen. In den Zeitungen von morgen würde man von der »Freude in den Gesichtern« schreiben; was in einem Land möglich ist, in dem so wenige Menschen lesen können.

    In Evaristos Apotheke, die unvermindert geöffnet hatte, trafen die Stammkunden ein. Die Gespräche überschlugen sich in lautem Durcheinander. Mendes’ schneidende Stimme, einem demokratischen Republikaner, schallte jauchzend hervor. In diesem Moment erschienen in der Tür die zwei, die noch gefehlt hatten. Die Runde begrüßte sie allgemein.

    José Gomes, der unter Gomes Pipa bekannt war, trat gemächlichen Schrittes in die Apotheke. Von den zwei Gründen für seinen Spitznamen, war ersterer unübersehbar: der imposante Bauch seiner stattlichen Korpulenz. Der andere verbarg sich, für jeden, der es genau wissen will, in seinen Worten, die er beim Eintreten an Justino, den Sattler, hinter sich richtete. Gomes putzte sich den Mund ab.

    »Ich habe schon besser getrunken …«

    »Ja, aber schlecht ist das Zeug nicht …«

    »Nein, schlecht, schlecht nicht … Der Typ gegenüber – schade, dass er zu ist – soll ja einen Weißwein haben …! Na, ist alles wieder ruhig?«

    »Alles«, sagte Mendes.

    »Und, Mendes, da sind Sie glücklich über die Wiederherstellung der Ordnung, was?«

    »Natürlich …«

    »Und mit dem Verhalten der treuen Truppen – ich meine, treu der Sache gegenüber, auf die sie eingeschworen waren? …«

    »Der Sache, auf die sie eingeschworen waren? Auf die Regierung, der sie sich verpflichteten, treu gegenüber zu sein. Auf die Regierung, die Ordnung, die Institutionen! Sie haben sich korrekt verhalten. Aber sie haben nichts anderes getan, als ihre Pflicht.«

    »Da bin ich beruhigt, Sr. Mendes«, sagte Gomes und setzte sich, nach dem Tabakbeutel greifend, auf eine Bank nieder, »und erleichtert, als Freund der Ordnung zu sehen, wie hoch Sie Treueschwur und militärische Pflicht schätzten.«

    »Ich sehe keinen Grund zu übermäßiger Freude! Wie man keinen Zweifel daran haben kann, dass sie recht daran taten, ihre militärische, sogar staatsbürgerliche Pflicht zu erfüllen, so ist nichts Wundersames daran, es gut zu finden, dass sie sie erfüllten …«

    »Sie haben ja recht«, pflichtete Gomes Pipa bei. »Aber nicht allein deshalb freue ich mich, dass Sie den Militärs wie der Achtung des Schwurs und der militärischen Pflichterfüllung Beifall klatschen. Als Monarchist freue ich mich vor allem über die Verurteilung der Revolution und der Revolutionäre des 5. Oktober, die Sie damit zum Ausdruck brachten.«

    »Wie bitte? Was? Die vom 5. Oktober?«

    Gomes drehte langsam seine billige Zigarette.

    »Genau, die vom 5. Oktober. Die Soldaten und Seeleute, die am 5. Oktober revoltierten, haben wie diese geschworen, die Ordnung aufrecht zu erhalten und die Institutionen zu verteidigen, die damals noch monarchistisch waren. Und wie diese gut daran taten, sich an ihren Schwur und ihre militärische Pflicht gebunden zu fühlen, taten jene schlecht daran, diese zu missachten. Diese Ihre Ansicht freut mich. Ich schätze sie wegen ihrer Unparteilichkeit, so sehr sie auch aus dem Munde eines Republikaners kommt.«

    »Verzeihung … Ganz und gar nicht … Der 5. Oktober ist anders gelagert …«

    »Anders, inwiefern anders?« Gomes unterbrach unaufgeregt das Anzünden seiner Zigarette.

    »Am 5. Oktober war die Revolution Resultat eines nationalen Impulses, sie entsprach sozusagen einem imperativen Mandat der ganzen Nation, oder wenigstens ihrer überwältigenden Mehrheit. Derartig groß, dass die Bewegung trotz scheinbar ungenügender Kräfte mit Leichtigkeit siegte …«

    »Mein Guter, mit scheinbar ungenügenden Kräften gewonnen zu haben ist kein Argument. In einem Land, das sich, wie damals, in keiner brillanten Lage hinsichtlich Disziplin und Ordnung befindet, und mit einer schwachen Regierung obendrein, wird jede revolutionäre Bewegung, sobald ein bescheidener Aufstand in Gang kommt, mit Leichtigkeit siegen, und zwar wegen des Abscheus, Landsleute niederschlagen zu müssen und der mangelnden Abgestumpftheit, die man haben müsste, um diese Abscheu zu überwinden. Also lassen wir das mit dem einfachen Sieg beiseite … Oder beabsichtigen Sie, sich mit der Leichtigkeit dieses Siegs auf das einzige Argument zu stützen, das für den nationalen Charakter des 5. Oktober spricht? Wenn es allein auf Leichtigkeit hinausliefe, würde die ›Bewegung das Espadas‹, mit der Pimenta de Castro an die Macht kam, das Rennen um den größeren nationalen Charakter machen.«

    »Die ›Bewegung das Espadas‹ war eine ausschließlich militärische Bewegung und hat alle überrascht …«

    »Genau, was ich sage … Das Überraschungsmoment genügt, und man siegt über seine Gegner ohne sonderliche Vorbereitung. Der Sieg bewies nur, dass die anderen nicht vorbereitet waren …«

    »Warten Sie: so einfach ist das nicht … Die ›Bewegung das Espadas‹ – ich wiederhole mich – war ausschließlich militärisch; beim 5. Oktober waren unzählige Zivilisten beteiligt …«

    »Das bestätigt, dass Zivilisten an der Konspiration beteiligt waren, und wenn sie schon beteiligt waren, dann ist es nur natürlich, dass sie an der Revolution teilnahmen. Was alle anderen betrifft, warum sollten sie ihr nicht, sobald sie bewaffnet waren, beigetreten sein? … Ich will damit nicht verneinen, dass die republikanische Seite 1910 nicht ausreichend Anhänger besessen hätte, um Zivilisten massenhaft für die Revolution zu mobilisieren … Was ich jedoch ablehne, ist, wie Sie Ihre Rechtfertigung des Verrats und der Heimtücke der Soldaten und Seeleute begründen (ganz zu schweigen von den Zivilisten), die der Revolution vom 5. Oktober beitraten. Sie sagen, dass dieser Verrat sich rechtfertigt, da es sich beim 5. Oktober um eine nationale Bewegung gehandelt habe, eine Art zwingendes Mandat der Nation. Und dennoch haben Sie mir kein einziges Argument genannt, das die nationale Weite dieser Bewegung beweisen würde, kein Argument, wonach sich diese Bewegung von jeder anderen Bewegung unterscheiden würde, an der Militärs beteiligt sind, die ihre Pflicht und ihren Schwur vergessen haben, und Zivilisten, die eingeweiht waren oder bewaffnet wurden, um sich einzureihen. Allein die Andeutung, die Bewegung habe wenige Kräfte besessen – weshalb Sie behaupten, überrascht zu sein, dass sie siegte, aber das habe ich Ihnen ja schon erklärt – die Tatsache allein, ich wiederhole mich, hervorzuheben, dass es sich um eine Bewegung mit wenigen Leuten handelte, ist mit Sicherheit nicht die beste Art und Weise, zu belegen, dass ein imperatives Mandat der Nation hinter ihr stand, oder eine nationale Bestrebung, die es umzusetzen galt.«

    »Sr. Gomes, da habe ich mich vielleicht falsch ausgedrückt … Die Atmosphäre, die ganze Stimmung der Bewegung beweisen nur zu gut ihren nationalen Charakter …«

    »Mein lieber Mendes, so kommen wir nicht weiter … Stützen Sie das, was sie über die Atmosphäre und die Stimmung sagen, auf etwas Konkreteres. Sie müssen schon deutliche und unumstößliche Belege vorlegen, warum es sich um eine nationale Bewegung gehandelt haben soll oder nicht. Diese ›Atmosphäre‹ oder diese ›Stimmung‹ muss sich in etwas Konkretem niederschlagen, in etwas Greifbarem … Oder beziehen Sie sich beispielsweise darauf, dass die Bewegung, wie es den Anschein machte, mit einer gewissen Sympathie aufgenommen wurde?«

    »Ja, zum Beispiel … Und das beweist nichts anderes, als …«

    »Beweist, dass ein jeder eine fürchterliche Angst vor der Revolution der Republikaner hatte. Schon aufgrund der fehlenden revolutionären Praxis. War eine Revolution erst einmal losgetreten, um eine vorhandene Welt umzustürzen, würde sie die nächste auch umstürzen … Im Vergleich mit dem, was einem die Bilder an Schrecklichem vor Augen führten, was eine Revolution bedeuten kann, war die vom 5. Oktober, die noch sanft und sauber verlief, eine Erleichterung, so, wie die Wirklichkeit, so schlimm sie auch ist, immer eine Erleichterung ist, wenn die Vorstellungskraft zuvor eine viel schlimmere Wirklichkeit erzeugte. Diese ureigene Erfahrung der Erleichterung muss bei vielen Menschen eine vorsichtige Zurückhaltung verursacht haben … Aber diese Beobachtungen, mein lieber Mendes, sind Phänomene, die auf die Revolution folgen, sie sind die anschließende ›Stimmung‹ und nicht die vorausgehende … Irrtum vorbehalten, aber das Mandat geht dem Prozess voraus … Eine anschließende Stimmung ist keine vorausgehende … Deshalb bleibe ich dabei, dass Sie kein akzeptables Argument gefunden haben, welches mich dazu brächte, den 5. Oktober als eine nationale Bewegung zu betrachten …«

    »Das ist schwer zu erklären, in der Tat, aber …«

    »Schauen wir mal, ob es Ihnen mit meiner Hilfe gelingt, Ihre Logik zu entwirren … Nehmen wir einen konkreten Fall, der sich als brauchbar erweisen könnte, die Revolution vom 5. Oktober als national zu bezeichnen … Dieser Fall betrifft die Existenz und die Dauer der Republik …«

    »Genau, darum geht es.«

    »Mitnichten, Mendes, mitnichten … Die Republik hatte ihre Zeit, ja; aber sie überdauerte auf irreguläre Weise und wurde aus verschiedenen Gründen kontinuierlich unterbrochen, mal von den Monarchisten, mal von anderen, und wurde in einer Art permanenter Schock-, Verteidigungsstarre und Verwirrung gehalten. Und so, wie diese ›verschiedenen Gründe‹ keine gewöhnlichen Straßenunruhen waren, sondern in gewisser Weise siegreiche Revolutionen, denen sich ganze Regionen des Landes anschlossen (wie zum Beispiel im Norden die Monarchistische Restauration) und große Kräfte des Heeres, dazu zahlreiche Zivilisten, gibt es, wie es den Anschein macht, Stimmung und Atmosphäre auf beiden Seiten. Was uns keinesfalls berechtigt zu behaupten, der 5. Oktober habe mehr ›nationalen Charakter‹ besessen als jedwede andere Revolution oder Revolte. Eine nationale Bedeutung wäre unbestritten, wenn das ganze Land, nachdem die Republik ausgerufen worden war, in den Frieden zurückgefunden hätte, ohne weitere Agitationen oder Revolutionen, vielleicht hier und da noch kleine Episoden und untypische Aufstände … Aber ich stelle fest, wir sind von unserer Frage abgekommen … Auch wenn man den 5. Oktober als eine ›nationale‹ Bewegung bezeichnen wollte, würde das immer noch nicht die Frage der Untreue und der Rechtlosigkeit der Militärs und der Seeleute rechtfertigen, die ihn in Gang setzten … Dies war glaube ich, der Punkt, den wir diskutierten.«

    »Verzeihung, eine Sache haben Sie …«

    »Welche?«

    »Die Treue zum Eid ist wirklich eine Sache von höchstem Gewicht. Aber es gibt Fälle, da ist sie nicht das Allerhöchste. Die Interessen des Vaterlands, die über allem stehen, rechtfertigen notfalls den Vorrang vor allen Eiden und das Abwägen des Treueeids!«

    »Ah, ja … Dann ist es wahr: Sie waren ein Germanophiler?«

    »Ich?! … Ein Germanophiler?! … Wie kommen Sie darauf? …«

    »Weil dies die Worte waren, derer sich von Bethmann Hollweg in seiner berühmten Erklärung bediente, in welcher er Verträge als ›Fetzen Papier‹ bezeichnete. Die höheren Interessen Deutschlands, seines Vaterlands, standen über der Vertragstreue, will heißen, über der getroffenen Einigung beziehungsweise des Schwurs, irgendeines Schriftstücks mit einem Vertrag zum Inhalt …«

    »Ja, mag sein … Dennoch, ein Vertrag ist etwas anderes …«

    »Er ist bloß ein Kompromiss, ein Schwur, den man niederschrieb. Wollen Sie etwa die Theorie stützen, der zufolge es legitim sei, Schulden zu leugnen, weil sie mit keinem Dokument zu belegen sind? … Zu guter Letzt würde das unser Problem nicht voranbringen. Ihr Argument kann dennoch germanisch und gültig zugleich sein: Deutschland ist es trotz des Krieges nicht untersagt, recht zu haben … Schauen wir uns das Argument an … Wenn es legitim ist, den Eid zu brechen, und es die Pflicht ist, zugunsten und in Verteidigung der höheren Interessen des Vaterlands zu handeln – und unter höheren Interessen des Vaterlandes verstehen Sie ohne jeden Zweifel, was die Revolutionäre für die höheren Interessen des Vaterlands hielten –, warum sollte den aktuellen Umstürzlern wie allen anderen, die sich während der Republik an einem Umsturz beteiligt haben, nicht recht und billig sein, dasselbe Argument vorzubringen? Was Sie an dieser Bewegung

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