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Die Krone der Schöpfung: Ein satirischer Rundgang durchs Leben und durch unsere Welt
Die Krone der Schöpfung: Ein satirischer Rundgang durchs Leben und durch unsere Welt
Die Krone der Schöpfung: Ein satirischer Rundgang durchs Leben und durch unsere Welt
eBook228 Seiten2 Stunden

Die Krone der Schöpfung: Ein satirischer Rundgang durchs Leben und durch unsere Welt

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Über dieses E-Book

Autorin Margit Stein, im Hauptberuf Pädagogikprofessorin an der Universität Vechta, ergründet in ihrem neuen Buch die Absurditäten unseres Alltags: Eltern gehen juristisch gegen ihre Kinder vor, wenn sich die in sie gemachte Investition nicht durch entsprechende Leistungen in der Schule amortisiert. Auch bei kleineren Delikten, etwa wenn die Kleinen nicht ins Bett gehen möchten, werden schnell die Jurisprudenz und die Polizei auf den Plan gerufen. Ein Vater verklagt seine Dreijährige erfolgreich auf Schadensersatz. Sie hatte nach zwanzig Uhr, als er noch Angebote für Kunden schreiben wollte, die Nachtruhe verweigert und somit nicht unerheblich zur Insolvenz seines Unternehmens beigetragen. Die Kleine kontert, indem sie ihren Vater wegen Hausfriedensbruchs verklagt, weil er ohne ihre Erlaubnis ihr Kinderzimmer betrat, um zu prüfen, ob sie im Bett lag und schlief. Schwarze Pädagogik war gestern. Heute gibt es Anwälte.

Ein erhellender und schwarzhumoriger Rundgang durch unsere Gegenwart, der durch Kohle- und Bleistiftzeichnungen der Autorin abgerundet wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberHirnkost
Erscheinungsdatum25. Okt. 2021
ISBN9783948675448
Die Krone der Schöpfung: Ein satirischer Rundgang durchs Leben und durch unsere Welt

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    Buchvorschau

    Die Krone der Schöpfung - Margit Stein

    Die Wasserspitzmaus mit der Giftdrüse oder: Eine Flugratten-Liebesgeschichte

    Ich sitze im Sechserabteil eines Zuges und fahre seit Stunden durch die gleichförmige niederdeutsche Landschaft, die am Abteilfenster vorbeizieht. Ab und an fliegt am ansonsten wolkenlos blauen Himmel eine etwas außergewöhnlich geformte Wolke vorbei, die mich ein wenig aus der Lethargie reißt. Ich bedauere, mein Buch zu Hause auf dem Küchentisch liegen gelassen zu haben. Beiläufig blicke ich zu den anderen Fahrgästen.

    Vier weitere Plätze des Abteils sind belegt. Links von mir gleich neben der Abteiltür hat schon am Abfahrtsbahnhof ein Herr in den Fünfzigern mit Wanderstöcken Platz genommen. Das karierte Hemd, die windabweisende Jacke und die Funktionshose unterstreichen seine sportlichen Ambitionen. Er isst belegte Brote, schneidet sich einen Apfel auf und trinkt heißen Tee aus einer Kanne, die außen an seinem großen Rucksack angebracht ist. Schräg gegenüber sitzt aufrecht in seinem Sessel ein junger Mann von etwa dreißig Jahren, der dynamisch und mit stakkatohaften Bewegungen auf seinem Tablet tippt und eine riesige schwarze Kunststoffbrille sowie dazu passende monströse Kopfhörer trägt. Dazu wippt er im Takt der Musik mit dem Kopf. Direkt mir gegenüber sitzt ein etwa vierzigjähriger Mann mit einer dunklen wilden Lockenpracht und zwei schweren Fahrradschlössern, die über ihm auf der Gepäckablage liegen. Er blättert in einem Werbekatalog, in welchem Rennräder zu Sonderkonditionen angepriesen werden. Ich hoffe inbrünstig, dass der Zug nicht einen ungeplanten ruckartigen Nothalt einlegen muss und mich die fallenden Schlösser erschlagen. Schräg mir am Fenster gegenüber liest eine Dame in einem schweren Kunstkatalog, den sie auf ihren übereinandergeschlagenen Beinen liegen hat. Gleichwohl sie nicht als attraktiv bezeichnet werden kann, ist sie sorgfältig im Stil der dreißiger Jahre frisiert, geschminkt und gekleidet und macht dadurch einen aparten Eindruck. Sie trägt ein knielanges gehäkeltes Kleid aus weißem, dickem Baumwollgarn und einen dazu passenden Hut auf ihrem dunklen Pagenkopf, dazu feuerroten Nagellack und Lippenstift. Die Augen sind dramatisch mit schwarzem Kajal ummalt. Trotz oder wegen der Enge und Intimität des Abteils richtet niemand das Wort an den anderen. Die Reisenden sehen bemüht aneinander vorbei, blicken auf ihre Magazine, Kataloge und Tablets oder einfach auf ihre Hände. Der schwarzhaarige Mann, der mir gegenübersitzt, scheint konzentriert zum gefühlt zehnten Mal die Instruktionen für den Brandfall zu lesen, die über der Tür angebracht sind. Ich selbst kann die Warnungen vor einem Missbrauch der Notbremse schon auswendig, inklusive der Übersetzungen »Misuse will be punished« und »Tout abus sera puni«. Die Gleichförmigkeit immer neuer Dörfer, Weiler und kleiner Schonungen, die vorüberziehen, ermüden mich. Die weichen, blauen Polster der Sitze tun ihr Übriges, um mich in einen hypnotischen Dämmerhalbschlaf zu versetzen, in welchem das Rattern der Räder auf den Gleisen, das Rauschen des Fahrtwindes vor dem Fenster und das leise Umblättern der Seiten des Kunstkatalogs der Dame am Fenster zu einer sonoren Hintergrundkulisse für meine Träume werden. Ich wache, ich dämmere, ich döse, bis ich schließlich in einen unruhigen und leichten Schlaf sinke …

    Ich erwache an der nächsten Station, weil mich etwas Weiches am nackten rechten Unterarm streift, der auf der Armstütze aufliegt. Anscheinend war jemand zugestiegen, hatte rechts neben mir Platz genommen und mich mit seinem Schal oder Ärmel berührt. Ich schlage kurz meine Augen auf und sehe, dass alle Fahrgäste wie gebannt auf den Sitz neben mir starren. Ihre Gesichter changieren von verwundert bis entsetzt. Mir wird bewusst, dass keiner ein Geräusch von sich gibt und jedes Kauen, Tippen und Blättern verstummt ist. Wie bei Dornröschen scheinen alle mitten in ihren Bewegungen eingefroren zu sein und sich auf einen hundertjährigen Schlaf vorzubereiten, der sie mitten aus dem Leben gerissen hat.

    Ich wende den Kopf und erblicke eine kleine, graubraune Taube mit schmutzigem und zerrupftem Federkleid, welche sich auf dem freien Platz niedergelassen hat. Den kleinen Tornister, den sie gerade noch am linken Bein getragen hat, schnallt sie vorsichtig mit einer ihrer rechten Krallen und unter Zuhilfenahme der Flügel ab und legt ihn auf die Ablage am Fenster. Ich widerstehe der Versuchung, ihr anzubieten, den Tornister in die Gepäckablage zu legen, da ich nicht wüsste, in welcher Sprache ich sie anreden sollte: Englisch, Deutsch, Rätoromanisch? Ob Tauben überhaupt gut hören? Ob ich mich mit Zeichen verständigen sollte? Ich sehe, dass ihr am linken Flügel Federn fehlen und sie eine blutige offene Stelle aufweist, an der sie sich wiederholt kratzt. Ihr linker Fuß ist etwas verkrüppelt und die Zehenglieder scheinen nicht richtig beweglich. Die Stelle, wo sie den Tornister getragen hat, schuppt. Aufgrund des Tornisters gehe ich davon aus, dass es sich um eine Brieftaube handelt. Sie lehnt sich gemütlich zurück und blickt uns schließlich einen nach dem anderen aus klugen Äuglein an und fragt in klarem Deutsch, ob einer wisse, ob der Zug in Rotenburg hielte und ob ein Anschlusszug nach Beelze gegeben wäre. Wir sind verdutzt. Keines von uns menschlichen Wesen ist in der Lage, auch nur einen Ton herauszubringen, nicht einmal ein heiseres Krächzen. Schließlich gelingt mir unter Aufbringung meines ganzen Willens zumindest ein leichtes Nicken. Sie erkennt, dass wir Schwierigkeiten haben, mit der Situation umzugehen und ihr gegenüber die passenden Worte zu finden, so dass sie sich mit unendlicher Geduld und interkulturellem Einfühlungsvermögen, das man beim homo sapiens häufig vergeblich sucht, daran macht, uns ihre Geschichte zu erzählen – übrigens in druckreifem Deutsch. Eine Geschichte, die als Confessio beginnt und sich zum J’accuse steigert.

    Er sei einstmals ein stolzer, wunderschöner Täuberich gewesen, auch wenn von der einstigen Herrlichkeit und Pracht nach all den Jahren der Arbeit und Mühsal als Brieftaube kaum mehr etwas geblieben sei. Eines Tages sei er von einem Wesen der Gattung Mensch, unter allen Tieren übrigens das brutalste und als einziges zu sinnloser Gewalt befähigt, in die Sklaverei verschleppt worden. Man habe ihn eingeschlossen, und Sonntag für Sonntag sei er auf Ausstellungen gebracht worden und habe dort Preise über Preise eingeheimst und seinem Besitzer viel Ehre und auch viel Geld eingebracht. Sein kleiner Schnabel zittert. Auf einer dieser Ausstellungen habe er seine Liebste, die Brieftaube Bernadette kennengelernt. Seine Äuglein leuchten:

    »Unsere Herzen schlugen im gleichen Takt und unsere Flügel im selben Rhythmus. Ihr macht euch keine Vorstellung, wie glücklich ich war, als mein Besitzer Bernadette erwarb, als er sah, wie sehr wir uns liebten.«

    Für einen kurzen Moment der Seligkeit hätte er gedacht, sein Besitzer habe aus Gefühl und Verantwortung heraus oder zumindest aus Dankbarkeit für die vielen Preise so gehandelt.

    »Nein«, sagt die kleine Taube jedoch schließlich bitter und schüttelt vehement ihren Kopf, »ohne einen von Ihnen persönlich angreifen zu wollen, aber da kennen sie die primitiven Menschen schlecht. Er hat ganz einfach gesehen, wie man diese Liebe vermarkten kann.«

    Selbst aus dieser großen und einzigartigen Liebe wurde Geld gemacht, und seitdem werde er von seinem menschlichen Besitzer gezwungen, viele Kilometer zu fliegen, wollte er seine Partnerin wiedersehen. Diese würde im heimischen Taubenschlag in Geiselhaft bis zu seiner Rückkehr festgehalten, wie einstmals die schönen Burgfräulein im Turm, um zu verhindern, dass sie ihm entgegenflöge. Sie hätten eine Familie gegründet. Die gemeinsamen Kinder seien jedoch alle von seinem Besitzer an einen anderen Brieftaubenzüchter verkauft und versandt worden. Er wolle jedoch nicht klagen, anderen Tauben würde es noch schlechter ergehen; sie würden, wenn sie als Brieftaube ausgedient hätten, als Taubenbrüstchen im Speckmantel an Bohnengemüse und Kartoffelschnee auf dem Sonntagstisch landen oder im noch schlimmeren Fall als Suppeneinlage enden. Allein aufgrund all dessen, was wir hier heute zu hören bekämen, verstünden wir sicher, dass er keine Scheu hege, als Brieftaube zu schummeln und Teile der Strecke per Zug zurückzulegen, um mehr Zeit für seine Partnerin im Taubenschlag zu haben.

    »Ich kenne alle Fahrpläne Niedersachsens und Sachsen-Anhalts auswendig!«, schließt er seine Erzählung, und das erste Mal sehe ich die Taube trotz ihres Schmerzes lächeln, während sich ihre Brust stolz hebt.

    Ob sich Tauben deshalb so gerne an Bahnhöfen aufhalten? Ob es sich hierbei durchwegs um Brieftauben im Wettbewerb handelte? Oder um Tauben, die in Fernbeziehungen leben und in der freien Zeit zu ihren Liebsten reisen? Ob es auch Tauben gab, die einfach einmal das Fernweh nach Vechta, Verona oder gar Valparaíso packte? Ob sich Venedig deshalb so stark zu einem Anziehungspunkt für Tauben entwickelt hatte, weil es zugtechnisch gut angebunden war? Konnte ich nach der heutigen Erfahrung behaupten, dass Tauben Zugvögel im wahrsten Sinne des Wortes seien, ohne dass Ornithologen meinen Tod fordern würden?

    Ich werde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als die Taube weiterspricht:

    »Ich weiß, was Sie nun von mir moralisch-sittlich halten werden, da ich Ihnen von diesem Betrug am Deutschen Verband der Taubenzüchter erzählte … Ich weiß, dass Sie sich fragen werden, warum ich durch mein Tun auch noch einem solch skrupellosen und inhumanen – oder sollte ich sagen: unanimalischen – Besitzer Preisgelder in die Hände spiele. Aber es geht nicht nur um mich, sondern auch um Bernadette.«

    Sie schüttelt bedauernd und mit einem schmerzlichen Ausdruck in ihrem kleinen Gesicht den Kopf.

    »Und wenn du türmst und dich mit einer anderen Taube irgendwo auf dem Marktplatz zusammentust? Es gibt doch genug …«, schlägt der Mann mir gegenüber vor, der als Erster die Sprache wiedergefunden zu haben scheint.

    Vielleicht war er deshalb am schnellsten, weil er den Mund mit den großen leuchtend weißen Zähnen schon die ganze Zeit offen stehen gehabt hatte. Er streicht sich die dunklen Haare aus der Stirn – den Katalog mit den Rennrädern hat er auf seine Knie sinken lassen. Instinktiv schäme ich mich für ihn und die Gattung Mensch …

    Die Taube seufzt schwer.

    »Das kann ich nicht, so bin ich nicht. So etwas machen nur die Menschen, dass sie Frau und Kinder im Stich lassen und den Weg des geringsten Widerstands gehen. Ich kann meine Bernadette nicht allein zurücklassen. Sie ist anders als alle anderen Tauben auf der Welt, und allein schon am Schlag ihrer Flügel beim Landeanflug kann ich sie unter Tausenden von Tauben erkennen. Ich liebe sie und sie mich. Wir Tauben leben in Monogamie. – Sie werden vielleicht nicht wissen, was das ist?!«, setzt die kleine Taube nach, als sie in unsere verdutzten und sprachlosen Gesichter blickt, auch wenn sich unsere Verwunderung – bis vielleicht auf den Rennradliebhaber – weniger aus dem Umstande speist, dass sie mit ihrer Partnerin monogam lebt.

    »Doch: Monogamie!«, ruft der Mann mit dem Rennradkatalog. »Das habe ich früher immer mit meiner Freundin gespielt.«

    Keiner der Mitreisenden regt sich oder verzieht die Miene. Soll doch jeder mit seiner Freundin tun und lassen, was ihn nach seiner Fasson selig macht.

    »Oma hat teilweise auch mitgemacht.«

    Hier zeigt sich bei den anderen Reisenden teilweise ein erstes Stirnrunzeln.

    »Oma war immer als Erste bankrott und hat dann nur noch Kaffee für uns gekocht, aber Silvi war auf Zack. Ich war nicht so richtig gut, aber ich hatte immer alle vier Bahnhöfe!«

    Er strahlt von einem Ohr zum anderen und schnauft tief und befriedigt durch.

    »Was Sie spielten, war Monopoly«, sagt die kleine Taube ruhig und sachlich. »Monogamie ist die ausschließliche, lebenslange Beziehung eines Paares zueinander. Monogamie ist das Gegenteil von Polygamie.«

    Der Mann, der allmählich auch an dem süffisanten Grinsen der Kunstfreundin neben ihm merkt, dass er sich womöglich blamiert hat, versucht zu retten, was zu retten ist – vergeblich:

    »M o n ogamie,P o l ygamie, Mono-poly … sage ich doch, dass es da eine Verbindung gibt!«

    Ich bin gespannt, ob die kleine graue Taube ihm die Gemeinsamkeiten etymologisch erklären würde. Auf seine Zwischenbemerkung geht sie jedoch gar nicht mehr ein, denn sie hat den Faden bereits wieder aufgenommen, den sie sich nicht vorschnell durch ein niedriger stehendes Wesen wie den homo sapiens durchtrennen lässt.

    Gerade noch rechtzeitig sehe ich zwischen meinen trüben Gedanken, dass auf dem Bahnhof, in welchen wir nun einfahren, das Schild Rotenburg auftaucht. Ich mache unseren tierischen Begleiter darauf aufmerksam, und er steigt im letzten Moment hektisch aus, gebückt, den kleinen Tornister auf dem Rücken, und springt auf den Bahnsteig – den verletzten Fuß hinter sich herziehend und sich nach dem Anschlusszug umsehend. Die Taube winkt uns mit dem nicht verletzten Flügel vom Bahnsteig aus zu. Als sie ausgestiegen ist, schnaubt der Hipster mit dem Tablet, der bisher nichts sagte, auch wenn er vorsorglich die Kopfhörer abgenommen hat, verächtlich durch die Nase und schickt ihr ein despektierliches »Flugratte« mit auf die Reise. Ich schäme mich für meinen menschlichen Reisegefährten ob dieser arroganten und selbstgefälligen Äußerung.

    Als ich ihn bitte, das Wort Flugratte nicht zu nutzen, fordert er uns auf, einer kleinen Geschichte zuzuhören, die seinen Groll auf Tiere zumindest teilweise erklären helfe. Er habe wegen eines Tieres seine vielversprechende Journalistenkarriere aufgeben müssen und in diesem Moment erkannt, dass Tiere uns in vielerlei Hinsicht intellektuell überlegen seien und unseren Ruin bedeuten könnten:

    »Die Evolution schreitet bei Tieren schneller voran, als uns lieb ist. Sie überholen uns … auch von rechts«, kreischt er.

    Insbesondere habe er eine Intimfeindschaft mit Ratten, so dass die Beschimpfung Flugratte für die Taube nur konsequent sei. Gerade als er als junger Journalist für ein populäres Historienmagazin seinen ersten seitenfüllenden Beitrag über die Rolle der Frau in der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung geschrieben hatte, hätte eine Ratte eine vernichtende Kritik verfasst, die in der Redaktion sehr ernst genommen worden sei und in welcher sie ihm vorwarf, erstens wichtige Quellen bedeutender Autorinnen Südostasiens zu diesem Thema nicht berücksichtigt zu haben, und ihm zweitens in einer lückenlosen Beweisführung »chauvinistischen Sexismus und ethnozentristischen Rassismus gepaart mit einem rückwärtsgewandten Relativismus« vorwarf.

    »Dass mich gerade eine Ratte düpieren und meine hoffnungsvolle berufliche Karriere jäh an ein vorläufiges Ende bringen sollte, hätte ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht gedacht!«, ruft er theatralisch und mit einem schmerzlichen Ausdruck, der sein ansonsten noch glattes jungenhaftes Gesicht alt und verknittert aussehen lässt.

    Ich weiß sofort, was der Mann meint, da ich ebenfalls die Bekanntschaft mit intellektuellen Vierbeinern im Berufskontext geschlossen hatte, und ließ die anderen Reisenden an meinem Erfahrungsschatz teilhaben. Ein Mitarbeiter hatte sich zwei Pudel zugelegt und sprach stets davon, dass diese Tiere ihm in seinem Beruf unerlässliche Sparringpartner seien. Ursprünglich war ich davon ausgegangen, dass die Hunde lediglich als Personal Trainer fungierten, um ihn bei langen Spaziergängen fit zu halten, aber ich sollte mich täuschen. Ich dachte mir auch noch nichts dabei, als er die beiden mit auf eine Konferenz nahm und mich fragte, ob ich mir mit der Hundedame ein Doppelzimmer teilen wolle. Ich sagte zu und sah mich im Geiste schon morgens gemütlich im Zimmer sitzen, während der Hund mir Zeitung und Pantoffel bringen würde. Doch weit gefehlt … Es begann morgens mit stundenlangem Einschließen des

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