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Todesfall und Topfenstrudel: Ein Mord zu viel in Murnau. Alpenkrimi
Todesfall und Topfenstrudel: Ein Mord zu viel in Murnau. Alpenkrimi
Todesfall und Topfenstrudel: Ein Mord zu viel in Murnau. Alpenkrimi
eBook244 Seiten3 Stunden

Todesfall und Topfenstrudel: Ein Mord zu viel in Murnau. Alpenkrimi

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Über dieses E-Book

Als Mia Häfner ihren Freund tot im Bett findet, ist sie sich sicher: Das war kein Selbstmord — auch wenn Kriminalhauptkommissar Hasselberg, der nur noch seine heimliche Affäre im Kopf hat, ihr gebetsmühlenartig das Gegenteil einreden will. Denn es tauchen immer mehr Leichen auf — für Mia also höchste Zeit, die Ermittlungen selbst in die Hand zu nehmen.
Was sie jedoch nicht weiß: Jemand hat schon längst ein Auge auf sie geworfen, um den heimtückischen Plan zu vollenden, in dessen Fokus sie mehr steht, als sie ahnt.

SpracheDeutsch
HerausgeberLatos Verlag
Erscheinungsdatum26. Mai 2019
ISBN9783964150615
Todesfall und Topfenstrudel: Ein Mord zu viel in Murnau. Alpenkrimi

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    Buchvorschau

    Todesfall und Topfenstrudel - Kate Delore

    Begriffserklärung / kleines Bayerisch-Lexikon

    aufbrezeln : aufhübschen, aufdonnern

    Auf der Brennsuppn dahergschwumma: beschränkter Mensch, der keine Ahnung hat

    aus’gschamt: unverschämt

    Ausschmieren: übers Ohr hauen, hereinlegen

    Aff : dummer, alberner Kerl / eitler Mensch

    Ach ge! : echt? Wirklich? / Ach komm schon

    Bazi : Schlingel

    Bagasch : Gesindel

    bisserl, a : bisschen

    Bixlmadam : Frau mit wenig Geld, die sich aber auftakelt und vornehm gibt

    Bulldog : Traktor

    Bussi : Kuss

    Bläder : blöder Mensch

    Brotzeit : Imbiss, Mahlzeit

    dappig : dümmlich / benommen, betäubt

    Depp : Idiot, Dummkopf

    deppert : bekloppt, dämlich, hirnlos, dumm

    Dog : Tag

    Dorftrottel : Idiot, Trottel

    Dreckhammel : derber, unverschämter, versauter Mensch

    Drecksau : gemeiner, unverschämter Mensch/Schmutzfink

    Dreckhund : gemeiner, rücksichtsloser Mensch

    Falscher Fuchzger : Betrüger, unaufrichtiger Mensch

    fei : übrigens, wirklich, wohl, doch

    Fotzn : Ohrfeige

    flacken : herumliegen, faulenzen

    Flitscherl : leichtlebige junge Frau, Flittchen

    freili : freilich, natürlich

    Gaudi : Spaß, Vergnügen

    Geldiger, a : reicher, vermögender Mensch

    Ge? / Gell? : Nicht wahr? Oder?

    Gescheiter, a : Vernünftiger, Kluger

    Goaßlschnalzer : Männer, die mit einer Geißel / Peitsche knallen, bayerische Tradition

    Gspickter, a : reicher, wohlhabender Mensch

    Gspinnerter, a : Verrückter

    Gspusi : Geliebte, (intime) Freundin, Liebhaber

    grantig : schlecht gelaunt, mürrisch, gereizt

    grausen : ekeln, sich grauen

    greislich : hässlich, abscheulich

    Gwasch : Flüssiges zum Trinken, das nicht schmeckt

    Gscheithaferl, das : Besserwisser

    Gschleckter, a : herausgeputzter, schleimiger Kerl

    Gschieß : unnötige Aufregung, Wirbel

    Ha? : Wie bitte? Nicht wahr?

    Hanswurst : Narr / dummer Mensch

    Haum : Mütze

    Habedere : Habe die Ehre, bayerische Grußformel

    Haring : sehr dünner, schlaksiger Mensch

    hell auf der Plattn : gewieft, aufgeweckt

    Himbeerdoni : Depp vom Dienst

    Hirndappiger : beschränkter, verrückter Mensch

    Hirsch : Narr, Tölpel

    Hund / Hundling : Spitzbub / gewitzter, gewiefter Kerl

    Hundskrippe : gerissener, bösartiger Mensch

    Huat : Hut

    Jessas : verwunderter Ausruf, Unmut

    Kasperltheater : albernes Verhalten, alberner Vorgang

    kraxeln : klettern

    Krautstampfer : dicke, unförmige Beine

    Krampf : Unsinn, Blödsinn

    Kreuz, das : schwere Bürde, Leid

    Kruzifünferl : verärgerter Ausruf, Unmut

    Lackl : ungehobelter Kerl

    Lump : betrügerischer, charakterloser Mensch

    Madl / Mädl : Mädchen

    Matz : durchtriebene weibliche Person, Luder

    mei o mei : entsetzter, erstaunter Ausruf

    mei : Macht doch nichts, kann es nicht ändern, auch Freude, Lob

    mistig : miserabel, verflucht

    Mistgurgel : bissige, zänkische Frau

    Minga : München

    Mistvieh : bösartige Frau

    narrisch : verrückt, unvernünftig, geisteskrank, zornig

    Oide : Alte

    pack ma’s : auf geht’s, los geht’s

    Pfiat di : bayerische Grußformel, Pass auf dich auf, auf Wiedersehen

    Presssack : Presswurst, dicker Mensch

    pressieren : eilig, dringend, sich beeilen

    Ranzen : dicker Bauch

    Räuscherl : Schwips, kleiner Rausch

    Rindvieh : begriffsstutziger Mensch

    Rössel : Pferd

    Ruß : Bier-Misch-Variante aus Weißbier und Zitronenlimonade

    sauber : Anerkennung, Erstaunen / gutaussehende Person (=saubere Frau), auch Ausdruck für Verärgerung, Enttäuschung

    Sauhund : gerissener, durchtriebener Kerl

    sakra : Schimpfwort, verwunderter/verärgerter Ausruf

    sappralot / sappradi : harmloser verärgerter / empörter Ausruf

    Sakrisch : sehr, gewaltig

    Semmel : Brötchen

    Standlbude : Marktbude

    Schlawiner : schlauer, gerissener Mensch

    Schleich dich! : Verschwinde! Schau, dass du weiterkommst!

    Schmarrn : Unsinn, Schwachsinn, leeres Gerede

    schnaxeln : Geschlechtsverkehr praktizieren

    schee : schön

    scho : schon

    Vergelt’s Gott : Dankesformel

    verlaust : verkommen, ungepflegt

    verreckt : abscheulich / anspruchsvoll / listig, clever

    verschandeln : verunstalten

    Wastl : Kurzform von Sebastian

    Wampe : dicker Bauch

    Weibsbild : Frau

    Wenn der Hund ned gschissn häd : Redewendung, „Müßig im Nachhinein darüber nachzudenken, was man alles hätte besser machen können"

    wuid : wild

    Zwetschge : Pflaume

    Zugroaste : Zugereister, Preuße, nicht einheimisch

    Zwiderwurzn : schlecht gelaunter Mensch, unausstehlich

    Prolog

    Murnau-Süd, 2. November

    »Heute ist ein geiler Tag zum Sterben!«, hallte die Stimme des Mannes über den Platz des Hotels, vor dem sich immer mehr Passanten versammelten und angstvoll zu dem Todeswilligen auf dem Fensterbrett hinaufsahen.

    Breitbeinig und nur in Hemd und Boxershorts bekleidet stand er auf dem Fenstersims im 4. Stock.

    »Ihr glaubt alle, ihr wüsstet Bescheid, ihr mit euren erbärmlichen kleinen Leben«, schrie er.

    »Ich habe die Eintrittskarte in das Paradies.« Er tippte sich stolz an seine Brusttasche, dann hob er sein Glas, als wolle er der Menge zuprosten. Dabei schwankte er so bedrohlich, dass ihn viele im Geiste längst fallen sahen und erschrocken aufschrien. Er reagierte darauf spöttisch mit leicht tänzelnden Bewegungen und dem Schwenken seines Drinks in der rechten Hand.

    »Ihr bleibt alle hier auf dieser beschissenen Welt! Ich wurde auserwählt, ihr Loser!«

    Überschwänglich hob er sein Glas gen Himmel. »Ich kann fliegen. Ciao und pfiat di, du schäbige alte Welt.«

    Dabei leerte er das Glas in nur einem Zug. Es musste überaus hochprozentigen Alkohol enthalten haben, denn kurz darauf begann der Mann heftig zu schwanken, seine Bewegungen wurden unkontrolliert und letztlich schien er das Bewusstsein zu verlieren. Sein Körper sackte nach vorne und unter dem lauten Aufschrei der Zuschauermenge stürzte er vier Stockwerke in die Tiefe, bis er mit einem entsetzlichen Geräusch auf dem Betonboden aufkam, genau in dem Moment, als die ersten Einsatzfahrzeuge die Hotelauffahrt erreichten.

    Die umstehenden Passanten wichen mit entsetzten Schreien zurück, dann verteilten sie sich aufgeregt durcheinanderredend, um den leblos am Boden Liegenden, neben dessen regungslosen und seltsam verdrehten Körper sich rasch eine tiefrote Blutlache ausbildete.

    »Achtung! Bitte räumen Sie den Platz«, dröhnte ein Polizist mit einem großen Lautsprecher. Der Bereich leerte sich rasch, da obendrein die Windstärke zunahm. Die längst völlig kahlen Laubbäume schaukelten bedrohlich, als würden sie gleich umstürzen und die Zuschauer unter sich begraben. Ein für diese Jahreszeit nicht typisches Unwetter braute sich am Abendhimmel zusammen.

    Die Polizei transportierte die Leiche zügig ab, bevor das sich ankündigende Gewitter den Toten womöglich äußerlich ramponieren und alle Spuren verwischen würde. Schlagartig setzte ein heftiger Graupelschauer ein und schlug die letzten, hartnäckigen Zuschauer in die Flucht.

    Als eines der seltenen winterlichen Gewitter in der Geschichte Murnaus kurze Zeit später überstanden war, herrschte am nächsten Morgen strahlender Sonnenschein bei deutlich kühlen Temperaturen, fast so, als hätte es den seltsamen Vorfall am Vortag nie gegeben. Das Wetter schert sich nicht um die Menschen, nicht die Lebenden, nicht die Toten.

    Ein aus der Nacht zuvor übriggebliebener Nachtschwärmer setzte sich torkelnd auf eine Parkbank. Er beugte sich wippend hin und her.

    »Nanu? Was bist du denn?«, lallte er vor sich her und zog unterhalb neben der Parkbank liegend eine dem Wind und Wetter standgehaltene schwarze Karte hervor. Er betrachtete ihren eigenartigen metallenen Glanz und ihre Gravierung mit wachsender Faszination.

    »Du wirst mich reich machen, Baby! Aber zuerst erfüllst du einen anderen Zweck.«

    Der deutlich angetrunkene Partygänger zog einen kleinen Plastikbeutel aus seiner Jacke hervor, die mit pulverförmigen weißlichen Kristallen gefüllt war. Er streute reichlich davon auf seinen linken Handrücken, den er flach ausgestreckt vor sein Gesicht hielt. Mit der rechten Hand benutzte er die Karte und schob sich das gefährliche Pulver in eine waagerechte Linie zurecht.

    »Ich ziehe mir jetzt eine Line und dann ist alles fein«,

    dichtete er genüsslich, während er ein dünnes Papierröllchen ansetzte und nur Minuten später ein neuer, tödlicher Rausch einsetzte.

    Es sollte das letzte und intensivste Delirium seines Lebens werden.

    1. Kapitel: Finstere Erinnerungen

    9. November

    Ich rieb meine feucht-nassen Hände an der zerrissenen Jeans entlang. Meine Nervosität versuchte ich, so gut es mir gelingen konnte, zu unterdrücken. Nur mein trockener Mund ließ erahnen, wie es um mein Inneres bestellt war. Ich trank einen Schluck Wasser aus meinem bereitgestellten Glas.

    Dann legte ich leise los: »Es war der 20. Oktober, kurz vor dreizehn Uhr, eben ein normaler Wochentag. Ich hatte nur vor, ihn rasch in meiner Mittagspause zu begrüßen und ihm ein langes Bussi aufzudrücken …«

    Kurz sah ich nach oben in das helle Weiß der Decke, bis meinen Augen schummrig wurde, und sprach dann stockend weiter.

    »Ich ging an meinem großen Holzschrank im Flur vorbei, jener Bereich, der für Til verboten war, wo mein teures Brautkleid sicher vor ihm verstaut war. Und dann sah ich ihn. Er lag klaglos da, friedlich auf unserem weißen Mahagoni-Himmelbett. Seine Hände lagen erschlafft und symmetrisch an seinem Körper und sein Gesicht schaute direkt nach oben, auf die schnörkelige Deckenverzierung, wobei seine Augen geschlossen waren. So, als würde er die hereinbrechende Oktobersonne genießen und nur ein kurzes, erholsames Nickerchen in seiner Mittagspause machen. Er trug wie so oft einen dunklen Anzug und ein graues Hemd. Seine schwarzen Lackschuhe standen kreuz und quer im Wohnungsflur, so wie er das immer tat, wenn er mal kurz in seiner Mittagspause heimkam.«

    Meine Stimme versagte mir den Dienst und stumm betrachtete ich meine Hände, an denen am Ringfinger bis zum jetzigen Zeitpunkt mein Verlobungsring funkelte. Ich dachte daran, wie Tilman ihn mir das erste Mal über den Finger streifte und hatte das Gefühl, der Schmerz würde mich überwältigen.

    »Erst wollte ich ihn nicht wecken und schlich mich wieder aus der Tür. Nach fünf Minuten warf ich doch nochmals einen prüfenden Blick über die Schwelle. Auf den zweiten Eindruck sah er gar nicht schläfrig aus, sondern irgendwie erstarrt.

    ›Til, schläfst du?‹, fragte ich ihn vorsichtig. Keine Antwort, nur unsere schwere braune Standuhr im Wohnzimmer schlug mit tiefen Tönen die volle Stunde. Das schien ihn nicht aus dem Schlaf zu reißen, denn er machte keinen Mucks.

    ›Til? Du kommst zu spät zur Arbeit.‹ Immer wieder rief ich nach ihm, aber er antwortete mir nicht.

    Nach ein paar Minuten ging ich zu ihm und schüttelte ihn, so heftig ich konnte, doch er rührte sich nicht. Til wollte nicht aufhören, mir Angst einzujagen. Dann nahm ich kurzerhand seinen langen gräulichen Rückenkratzer, der neben unserem Bett in einer Kommode verstaut war und kitzelte ihn an seiner empfindlichsten Stelle, den Füßen. Spätestens da würde er lachend aufspringen und wäre wieder quicklebendig. Er blieb regungslos, sogar nach sekundenlangem Dauerkitzeln. Irgendwann checkte ich es. Die Erkenntnis sickerte wie Gift in mein Bewusstsein, ein lähmendes, tödliches Gift. Es war so schrecklich, ich konnte es nicht glauben. Minuten vergingen, bis ich in der Lage war, die Polizei zu verständigen. Nachlängerem Warten nahm ich mein Handy in die Hand und rief die eins eins null an. ›Kommen Sie schnell, mein Freund wurde umgebracht!‹, schrie ich verzweifelt.«

    Bei der Erinnerung schnürte sich mir die Kehle zu und ich spürte, wie mir heiße Tränen über das Gesicht liefen.

    »Umgebracht? Frau Häfner? Soweit ich es aus dem Zeitungsbericht entnehmen konnte, gab es bei Herrn von Birstendorff keinerlei Anzeichen auf einen Tötungsdelikt oder Fremdeinwirkung …«

    Die Frau mir gegenüber musterte mich mit der ihrer Profession eigenen Mischung aus Verständnis und Mahnung.

    »Ich weiß, ich weiß«, sagte ich und winkte rasch ab. Ich wusste ja selbst nicht, woher das Wissen, dass Tilman ermordet worden war, damals gekommen war, doch es handelte sich um eine tiefe Gewissheit, von der ich trotz aller gegenteiligen Beweise nicht abrücken wollte.

    »Das war mein erster Impuls. Ich hätte doch nie damit gerechnet, dass Til nicht mehr leben will. Niemals.« In düstere Gedanken versunken sah ich in die dumpf leuchtende, mokkabraune Stehlampe, die links von meinem Gesichtsfeld lag und deren Lichtschein sich auf der Tapete abzeichnete.

    Frau Putovic saß auf ihrem runden olivgrünen Sessel und notierte sich eifrig Stichpunkte auf ihrem Block. Sie schob ihre dunkelbraun umrahmte Brille, die sich zuerst auf den Nasenhöckern befand, wieder in die obere Nasenregion zurück. Diese Geste machte die Psychologin immer, wenn sie spürte, dass ich an der fixen Idee von Tilmans Ermordung festhielt. Und sie offenbar keine Ratschläge mehr für mich parat hatte.

    »War Ihr Freund denn sonst ein glücklicher Mensch?«

    Ich dachte kurz nach und spürte, wie sich meine Kiefermuskeln vor Anspannung und Schmerz verkrampften. Die letzte Erinnerung an Til fügte mir unendlichen Kummer zu. Ich hatte das Gefühl, kaum Luft zu kriegen, geschweige denn am Leben teilzunehmen.

    »Ich denke schon. Er war ein aktiver Typ, unternahm oft mit mir sonntägliche Spritztouren und hatte daneben einige Freunde und Kollegen, die ihn mochten. Mit Paul unternahm er sogar regelmäßige Bergtouren. Erst im September sind sie auf den Herzogstand gekraxelt.«

    Frau Putovic kritzelte irgendetwas Unleserliches wie ein Auto mit vier Reifen auf ihren Notizblock und überschlug elegant ihre dünnen Beinchen. Ihre Füße steckten in schwarzen Pumps. Dann sah sie wieder zu mir. Wenn es so etwas wie einen Gesichtsausdruck für professionelles Mitleid gab, dann beherrschte sie diesen perfekt.

    »Haben Sie das Gefühl, Sie hätten ihn vom Suizid abhalten können?«

    Ich schluckte und sah auf meine Fingerspitzen. Diese Frage quälte mich in jeder Sekunde, die seit Tilmans Tod vergangen war.

    »Ob Sie’s glauben oder nicht, aber diese beschissene Frage stelle ich mir jeden Tag selbst. Und ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich hatte nie etwas in der Art bemerkt. Okay, er war in den letzten zwei Wochen ruhiger als sonst, rauchte eine Zigarre und zog sich damit in sein Arbeitszimmer zurück. Aber da denkt man doch nicht an Selbstmord?«

    Ich bemerkte, dass sich meine Muskeln verhärteten und mir das Sprechen schwerer fiel, scheinbar so, als wolle mein Geist verhindern, dass ich diese Worte aussprach. Dann holte ich nochmals tief Luft und vertraute ihr mit letzter Kraft etwas an, das ich sonst bisher niemandem gesagt hatte: »Manchmal, da hole ich mein Brautkleid aus dem Schrank und ziehe es extra für ihn an. Ich nehme unser gemeinsames Foto vom letzten Urlaub in der Toskana aus dem Wohnzimmerregal und habe das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Und dann befrage ich ihn, was an jenem Mittag in ihn gefahren ist. Wieso er seinen Anzug im Bett noch trug und welcher Teufel ihn geritten hat, sich umzubringen. Abgesehen davon hätten wir im April geheiratet. Alles stand schon: Zweihundert Einladungen waren versandt, die Musik bestellt, das Menü, die Location. Eben alles. Eine Antwort habe ich bis jetzt nicht von ihm erhalten.«

    Ich wischte mir die Tränen von den Wangen und fuhr nach einer Pause fort.

    »Ich fühle mich von ihm im Stich gelassen und gleichzeitig erdrücken mich Schuldgefühle Nacht für Nacht, ihn nicht vor dem Tod gerettet zu haben. Aber wie hätte ich es denn wissen sollen? ›Bis dass der Tod uns scheidet‹ – dieses Versprechen wollte er mir doch sicher geben. Jetzt ist er vor mir aus dem Leben geschieden!«

    »Ich weiß, es ist eine schwere Lage für Sie«, antwortete sie betont langsam. »Man kann niemals in einen Menschen schauen, das wissen Sie. Sie müssen versuchen, das Ereignis baldmöglichst loszulassen und akzeptieren, dass Ihr Freund sich nun mal für diesen grausamen Weg alleine entschieden hat.«

    »Und was ist, wenn ich das nicht kann?«

    »Sie werden es … Nicht heute und nicht morgen. Aber irgendwann schaffen Sie es.«

    Frau Putovic zögerte kurz.

    »Was sind denn die belastendsten Gedanken rund um den Tod Ihres Freundes?«

    »Na ja, da gibt es vieles, was mich bedrückt. Ich dachte immer, dass er glücklich ist … mit mir als Freundin an seiner Seite. Mit unserem gemeinsamen Leben. Vielleicht wollte er mich auch nicht mehr heiraten und das war der einzige Ausweg für ihn, dem Ganzen zu entfliehen.«

    »Und wie kommen Sie darauf? Gab es einen Grund dazu?«

    Ich schluchzte und senkte den Kopf. Es gab etwas, was ich nicht einmal der Psychologin anvertrauen vermochte, worüber ich mit keinem gesprochen hatte. Zwei Tage vor Tilmans Tod hatten wir einen heftigen Streit durchgemacht. ›Fick dich!‹, hatte ich ihn an dem Abend angeschrien. ›Fick dich, du Arsch!‹ Meine Worte schossen mir abermals wie spitze Pfeile durch den Kopf.

    Ich schaute zur Psychologin wieder auf, die bis jetzt gespannt auf meine Antwort wartete. Um es kurz zu machen und allen anderen unangenehmen Fragen auszuweichen, schüttelte ich heftig und abwehrend den Kopf.

    »Scheiße, nein. Ich weiß es nicht«, log ich. »Ich habe wirklich keine Ahnung, was mit ihm passiert ist.« Und das war keine Lüge. Ich hielt beide Hände vor mein Gesicht, um die erneut in Gang gesetzten Tränen soweit wie möglich vor ihr zu verbergen. Vor mir hatte sich ein emotional tiefer Abgrund aufgetan, der mich höllisch zu verschlingen drohte.

    2. Kapitel: Böse Spiele

    Murnau-Süd, 10. November

    Im 2. Stock eines modernen Gebäudekomplexes servierte der Mann, der sich online MajestätX nannte, einer älteren Dame im Schaukelstuhl grünen Tee aus einer porzellanweißen ›Villeroy und Boch‹-Kanne. Er streichelte ihr liebevoll über die ergrauten Haare, die sie locker zu einem Dutt zusammengebunden hatte.

    Pete, ein golden schimmernder Labrador schlief neben ihr friedlich auf dem grünen Flanell-Teppich. Dann summte MajestätX genüsslich die Melodie der Symphonie Nr. 9 von Beethoven und stieg durch einen Hinterausgang die

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