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TRAPPED - GEFANGEN: Roman
TRAPPED - GEFANGEN: Roman
TRAPPED - GEFANGEN: Roman
eBook380 Seiten5 Stunden

TRAPPED - GEFANGEN: Roman

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Über dieses E-Book

Matt Kearns hat zwei Möglichkeiten: kämpfen oder verstecken.
Die Kreatur im alten Obstgarten wird den Rest übernehmen.
Drei Tage zuvor kam er an seinem Lieblingsplatz dieser Welt an, einer kleinen Hütte auf Michigans oberer Halbinsel.
Der Plan war, den Tod seines Vaters zu betrauern und herauszufinden, was sein eigenes Leben für ihn bereithielt.
Nun kämpft er für dieses Leben.
Ein unsichtbares Wesen hält ihn gefangen.
Jedes Mal, wenn Matt zu fliehen versucht, wird er von einer unsichtbaren Kraft zurückgezogen.
Allein und ohne Hoffnung auf Rettung, muss Matt den Fängen dieses Jägers entkommen.
Aber wie soll man sich von etwas befreien, das man nicht sehen kann?
--------------------------------------------------------
"Sehr gut. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen..." [Lesermeinung]
"Die Geschichte ist ungewöhnlich … schaurig spannend, die Stimmung bedrückend." [Lesermeinung]
"Ich bin bin heilfroh das ich es gekauft habe. Das Buch ist wirklich spitze" [Lesermeinung]
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum14. Juli 2021
ISBN9783958356351
TRAPPED - GEFANGEN: Roman

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    Buchvorschau

    TRAPPED - GEFANGEN - Michael Hodges

    Der Anfang

    Die Pausenglocke läutete und erschreckte Matt Kearns mit ihrem kalten metallischen Geklirr. Er klappte sein Biologiebuch zu und eilte aus dem Klassenzimmer. Während die letzten Sekunden des schrillen Lärms auf dem Flur nachhallten, spürte er, dass etwas nicht stimmte. Er konnte es an nichts Konkretem festmachen, sondern wusste es einfach.

    Die große Glasdoppeltür am Ende des Flurs lockte ihn, weil sie aus dem Betongrab führte, das sich Walnut Grove High nannte. Als er sie mit einem Fuß aufstieß, fiel Sonnenlicht auf seine Haut. Endlich.

    »Hi, Matt«, grüßte Amber Lynne. Sie lehnte an der Ziegelsteinmauer und kaute Bubblicious mit Wassermelonengeschmack; das roch er von dort aus, wo er stand.

    »Hey«, erwiderte er.

    »Hast du was von dem Riesenstress drüben auf dem Sportplatz mitgekriegt?«, fragte sie, bevor sie eine Blase machte.

    Plopp!

    »Viel Geschrei«, fuhr sie fort. »Die Jungs streiten sich wohl. Du weißt ja, wie deinesgleichen so ist.« Amber verdrehte ihre Augen.

    Matt bückte sich, um den Aufschlag seiner Jeans von der Lasche seines rechten Stiefels zu ziehen, wozu er sein Biobuch an die Wand lehnte. Während er zum Sportplatz hinüberlief, versammelte sich eine kleine Menschenmenge auf dem gemähten Rasen, größtenteils Lacrossespieler in voller Montur. Viele von ihnen erhoben ihre Stimmen. Als er die Gruppe erreichte, drängelte sich Matt in die Mitte.

    »Mach das Mistvieh fertig!«, rief Abe Johnson.

    »Haha, er weiß nicht, was er machen soll!«, belustigte sich eine andere männliche Stimme. Dann stimmte Betsy Armstrong mit ein, deren angsterfüllte Stimme unangenehm wie immer klang: »Pass auf seine Zähne auf! Er hat ja so viele!«

    Während sich Matt nach vorn kämpfte, jaulte und wimmerte etwas in der Mitte des Pulks: ein trauriger, flehentlicher Laut, der ihn umgehend tiefer ins Geschehen zog. Als er den inneren Kreis erreichte, stand dort Mike Armstrong im Lacrossetrikot mit allem Zubehör und drückte etwas mit seinem Schläger zu Boden. Matt stellte sich neben ihn und schaute am Schaft hinunter zum Netz.

    Ein Kojote.

    Ein großer Kojote mit einem schönen, dichten Fell.

    Mike Armstrong stützte sich mit vollem Gewicht – satte 220 Pfund – auf den Schläger und hielt das Tier so von der Flucht ab. Als es versuchte, seinen Kopf herauszuziehen, versetzte Mike dem Schläger einen kräftigen Ruck, bis der verstörte Kojote nachgab. Matt beschlich das unsägliche Gefühl, der Blödmann habe seine helle Freude.

    Der Kojote jaulte und knurrte, während sein Brustkorb bebte. Seine bronzefarbenen Augen blickten düster durch die Netzmaschen – ein anmutiger Gefangener, der einen verheerenden Fehler begangen hatte. Alle paar Sekunden bleckte das Tier seine Zähne, wobei seine Oberlefze zitterte.

    Matt fasste die Menge ins Auge, rote und verzogene Gesichter, aus deren Mündern Speichel spritzte, während sie johlten. Etwas überkam ihn, ein unerklärlicher Druck. Das irre Gegröle trat in den Hintergrund, die Farben der Gesichter und Kleider verblassten zu Schwarz-Weiß. Das Gras blutete dunkles Rot, der Himmel setzte sich in Grau ab. Mike Armstrong erschien in Schwarz-Weiß, sodass die Glaskörper seiner Augen hell hervorstachen. Alles, außer der Kojote, hatte die Farbe gewechselt. Sein sandbraunes Fell schillerte in der Sonne, seine Zunge leuchtete hellrosa. Dann nahm Matt alles in Zeitlupe wahr – das Kläffen, die ausgestreckten Arme, das Geschrei.

    Ein zweiter Schüler mit Lacrosseausrüstung trat aus der Menge hervor: Ben Jacobsen, das Sport-Ass von Walnut Grove und ein ausgemachtes Hohlbrot. Er stürzte auf das Tier zu, während er weit mit dem Schläger über seinem Kopf ausholte. Vergiss es, dachte Matt. Er stieß ihn zur Seite, doch Ben behielt seinen Schwung und drosch auf den Schädel des Kojoten.

    »Gib ihm Saures!«, bellte irgendein Kerl. »Schaff dieses Ungeziefer von unserem Platz!«

    Matt erholte sich von seinem missglückten Angriff und riss Ben den Lacrosseschläger aus der Hand.

    Einen Moment lang stand der Junge da und beäugte Matt ungläubig. »Was glaubst du, was du hier tust, Mann?«, fragte er, während er einen Arm zurückzog, um ihn zu boxen. Matt wich aus, indem er sich duckte, und schlug mit dem Schaft quer über Bens Knie, die dabei ekelhaft knirschten. Er brach zusammen, hielt sich die Beine und brüllte. Sein Gezeter vereinte sich mit dem Jaulen und Knurren des Kojoten. Glänzendes Blut verklebte nun dessen Kopffell.

    Mike fuhr ungerührt damit fort, den Schädel des Tiers niederzudrücken. Es trat mit den Hinterläufen aus, warf Gras und Erde hoch.

    Matt fuhr herum und ließ Bens Schläger auf Mikes Kopf krachen, was von einem hohlen Klonk begleitet wurde. Nachdem Mike kurz um sein Gleichgewicht gerungen hatte, hob er seinen eigenen Schläger hoch und schwang ihn hinter sich, wobei er Matt auf der Schulter traf und beiseite stieß.

    Die Mienen im Rund verloren ihren kaltherzigen Ausdruck selbstgefälliger Überlegenheit und entglitten in Bestürztheit.

    »Knöpf ihn die vor, Mike! Er hat es gewagt, dich zu schlagen«, empörte sich Betsy Armstrong.

    Da er ihretwegen glaubte, eine Chance zu erkennen, holte Mike abermals weit aus und traf Matt genau am Kiefer. Die Umgebung verschwamm und drehte sich, während Matts Ohren klingelten, doch dann richtete sich alles wieder.

    »Das hättest du besser bleiben lassen«, brüllte Mike mit starrem Blick, während er mit hoch über seinem puterroten Gesicht erhobenem Schläger zu einem weiteren Hieb ausholte. Sein siegesgewisser, wutschnaubender Blick nahm jedoch fassungslose Züge an, die schließlich mit einem Schrei entglitten, der jedes Hollywoodsternchen stolz gemacht hätte.

    Vom Boden nämlich grollte es nun erbittert, und zwar immer vehementer, einhergehend mit einem Geräusch wie von Fleisch, das zerriss. Der Kojote hatte sich aus dem Lacrossenetz befreit und verbiss sich in Mikes Knöchel, durchtrennte eine Sehne wie eine Schere einen Faden. Während das Tier Rache an dem angeschlagenen Spieler übte, fielen Matt dessen Augen auf, die zwar vor Zorn schwelten, aber auch eine gewisse Weisheit vermittelten, womit er nie gerechnet hätte. Schnauze und Fell waren mit Blut besudelt, doch ob es sich um sein eigenes Blut oder das von Mike Armstrong handelte, konnte Matt nicht sagen.

    Der Sportler wandte sich von ihm ab, um sich von dem Kojoten zu befreien, brach aber zusammen, als er sein Gewicht auf den Fuß mit der gerissenen Sehne verlagerte. Während er am Boden brüllte, blieb das blutige Gelenk erschlafft liegen. Als sich Mike an die Wunde fassen wollte, schnappte das Tier nach seiner Hand. Als er sie zurückzog, hatte er nur noch drei Finger.

    Unverständlich fluchend kroch Ben Jacobsen zu dem Kojoten und schlug ihm seinen Schläger einhändig auf den Schädel. Der Vierbeiner wich heulend zurück und schüttelte seinen blutüberströmten Kopf, sodass die Gesichter der Zuschauer dunkelrote Spritzer abbekamen. Dann glotzte er Matt an, hob seine Schnauze und nieste zweimal. Schließlich humpelte er zu der Baumreihe am Rand des Sportplatzes.

    Die Schüler hinter Matt wurden still, bis man nur noch Mike Armstrongs wehleidiges Wimmern und Ben Jacobsens tränenersticktes Schluchzen hörte.

    Als Matt den Lacrosseschläger losließ, polterte das Holz auf den Boden wie ein Knochen beim Ausbeinen eines Walkadavers.

    Mike schaute düster zu ihm auf, die Lippen angeschwollen und schmierig. »Arschloch!«

    Dann rückte ihm Betsy Armstrong auf die Pelle und wackelte mit einem Zeigefinger vor seinem Gesicht. Sie roch nach Wäschestärke und Schminke. »Ich rufe die Polizei«, drohte sie. »Du hast kein Recht, Sportler anzugreifen.« Sie lief zu Mike hinüber, besah seine Fingerstümpfe und schrie: »Dafür wirst du büßen! Sieh dir seine Hand an! Er wird nicht mehr spielen können! Sieh sie dir an!«

    Matt blendete Betsy aus und schaute zur Südseite des Platzes hinunter. Dort saß der Kojote vor den Bäumen und beobachtete Matt mit heraushängender Zunge. Dann schlich er ins Grün, wo sein buschiger Schwanz über den Gräsern pendelte, bis er verschwunden war.

    Matt ging davon aus, dass das Tier keine bleibenden Schäden davongetragen hatte, sondern nur die eine oder andere Beule am Kopf. Während er sich selbst humpelnd von der perplexen Menge entfernte, blendete die Welt langsam wieder von Schwarz-Weiß auf Farbe über. Verkehrsgeräusche strömten auf ihn ein wie kühle Wellen.

    ***

    Wie sich herausstellte, hatte sich Ben Jacobsen ein Bein gebrochen und ein Knie verstaucht. Seine Karriere als Highschoolsportler stand auf der Kippe. Mike Armstrongs Finger wurden nie gefunden. Matt nahm an, dass der Kojote sie gefressen, sie wie Chicken McNuggets aus dem Rasensalat des Sportplatzes gepickt hatte. Mike musste sich wegen der Sehne operieren lassen und auf eine langwierige Heilung einstellen.

    Als Matt das alles erfuhr, wurde er dennoch nicht reumütig. Sie hatten Unrecht getan, und er war eingeschritten, um das Richtige zu tun. Sein Vater hatte ihm oft gesagt, das Letzteres viel schwieriger sei.

    Und sein Vater sollte recht behalten.

    Matt machte sich eher Gedanken wegen eines Trappers, den die Stadt angeheuert hatte. Der Kojote sollte eingeschläfert werden – eine feige Beschönigung von umgebracht, vermutlich per Kopfschuss mit einem Kleinkaliber. Er fragte sich, woher man wissen wollte, welcher Kojote es war. Am Ende würden sie mehrere töten, um den einen zu finden.

    Die Polizei hatte ihn zu Hause aufgesucht und verhört, aber niemand erstattete Strafanzeige. Laut Aussage einiger Schüler war Matt zuerst angegriffen worden, was ihn jeglicher Schuldigkeit enthob. Auf Walnut Grove High sah man das anders; Matts Eltern wurden vom Schulrat zu einer außerordentlichen Anhörung einberufen.

    Rektor Anderson war ein kleiner Mann mit einer Vorliebe für Dreiteiler. Er hatte eine Glatze und trug deshalb ein Toupet. Seine dicken Wangen erinnerten an jene von Streifenhörnchen, wenn sie Körner sammelten. »Du bist immer ein guter Schüler gewesen, Matt – kein Einserkandidat, aber dennoch gut. Wir haben alle Aussichten für dich hier auf Walnut Grove in Betracht gezogen, gelangen aber zu dem Schluss, dass es am besten für dich ist, die Schule zu wechseln.« Nachdem er dies gesagt hatte, leckte er an seinem Daumen und Zeigefinger, um die Seiten der Schülerakte umzublättern.

    Matt lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während er seine Wanderstiefel, die Absätze und Spitzen, aneinander rieb.

    »Und ein vorübergehender Ausschluss vom Unterricht?«, flehte Mrs. Kearns, die ein zerknülltes, von Tränen feuchtes Papiertaschentuch in ihrer kleinen Faust hielt. »Unser Sohn wurde angegriffen.« Sie war eine Frau von zurückhaltender Schönheit, und ihre Bitte ließ Rektor Anderson nicht unberührt.

    Allerdings war er nicht in der Stimmung, sich überreden zu lassen. »Uns wurde mitgeteilt, Ben Anderson und Mike Armstrong würden gemeinsam Klage einreichen, sollte Matt nicht der Schule verwiesen werden«, erklärte er.

    Mrs. Kearns runzelte ihre Stirn. »Na und? Das können sie nicht tun, nicht wahr, John?«, fragte sie, indem sie ihren Mann mit feuchten Augen anschaute.

    Matts Vater nickte. Big John, so nannten sie ihn. In dieser Situation war er aber nicht ›big‹ genug, um irgendetwas zu unternehmen. »Doch, können sie, aber wir können Einspruch dagegen erheben«, erwiderte er. »Die Sache ist noch nicht vorbei.«

    Rektor Anderson seufzte. »Ich fürchte, das ist sie wohl, Mr. Kearns. Wir haben alle denkbaren Optionen ausgeschöpft.«

    Matt verfolgte das alles mit, ohne den Mund zuzubekommen, enttäuscht angesichts der Tatsache, dass Rechtschaffenheit zu einem Verweis führte. Er bedachte den Rektor mit einem stechenden Blick und zeigte mit einem Finger auf den Tisch. »Sie wollen mir weismachen, ich muss die Schule verlassen, weil ich mich selbst und ein hilfloses Tier verteidigt habe? Ich war in Gefahr, Mr. Anderson – und habe die Würde der Schule bewahrt, indem ich etwas gegen geistesgestörtes Verhalten unternahm. Bitte, ich tue alles, um das wiedergutzumachen.«

    »Tut mir leid«, entgegnete Rektor Anderson und richtete seine aufgeweckten Augen von Matt zu dessen Vater. »Ihnen ist doch bewusst, dass Bens Eltern beide in der Strafverteidigung tätig sind, oder? Die Schule möchte einen langwierigen Rechtsstreit vermeiden, und Sie, glaube ich, ebenso.« Er richtete sich in seinem Ledersessel auf, zufrieden mit der Spitze, die er gerade abgefeuert hatte.

    Nachdem es totenstill im Raum geworden war, standen die Kearns auf. Matts Mutter legte ihrem Sohn sanft eine Hand auf die Schulter und flüsterte: »Komm jetzt, Matthew, es ist Zeit zu gehen.«

    Dies war das Ende von Matt Kearns Laufbahn auf der Walnut Grove High. Er suchte sich eine Schule mit Schwerpunkt Computertechnik, um sein viertes Highschooljahr hinter sich zu bringen. Die Kurse absolvierte er mit links und erhielt sein Abschlussdiplom im Juni.

    Zwei Wochen später berichteten ein paar Ortsansässige, gesehen zu haben, wie der Trapper aus der Gegend verschwunden sei, und auf der Ladefläche seines Pick-ups hätten leere Käfige gerappelt.

    Reise

    Matt Kearns starrte durch die Windschutzscheibe hinaus, wo die Scheinwerfer des Wagens der Dunkelheit Michigans trotzten. Motten und Fliegen schwirrten an der schrägen Böschung entlang in den Lichtkegeln. Er öffnete das Türfenster einen Spaltbreit und atmete tief ein. Ströme frischer Luft kräuselten die Ecken dreier Fotos, die mit Klebeband an seinem Armaturenbrett befestigt waren. Die grün glimmenden Anzeigen beleuchteten die Bilder, als seien es Museumsstücke. Das erste zeigte seinen Vater und ihn jeweils beim Einholen eines gerade gefangenen Bachsaiblings, das zweite seine frühere Freundin Stacey und das dritte seinen Hund von damals, als er noch ein kleiner Junge gewesen war: Elmo.

    Keiner von ihnen lebte mehr.

    Sein Vater war an Lungenkrebs gestorben, seine Ex einem Säufer namens Ed Higgins zum Opfer gefallen; dieser hatte sie im trunkenen Zustand überfahren, als sie durch den Ruger Park gejoggt war. Sie hatte Musik gehört und den besoffenen Tölpel nicht bemerkt. Elmo – der gute alte Elmo – hatte auch unter Krebs gelitten, doch er war nicht so leise aus dem Leben geschieden wie Matts Vater. Dies hatte zum Wesen des Shih Tzu gepasst, seinem übertriebenen, ja nahezu verrückten Beschützerinstinkt.

    Matt seufzte und sog die Luft der Northwoods ein, die ihm seit je dabei half, klare Gedanken zu fassen. Er packte das Lenkrad fest und seufzte noch einmal.

    Kleinlastwagen konnten einen fertigmachen. Jedenfalls war es seinerzeit so gewesen, bevor sie sich zu Luxussofas auf Rädern gemausert hatten. Matt mochte hingegen solche althergebrachten Modelle, die einem auf dem Highway den Allerwertesten massierten und Forstwege wie nichts bewältigten, genauso wie der Pick-up, den er gerade fuhr, einen verlässlichen, betagten Toyota mit Allradantrieb, den sein Vater ihm vermacht hatte. Matt schüttelte seinen Kopf und musste zur Abwechslung unweigerlich schmunzeln. Er fuhr zu seiner heiß geliebten Hütte, um neun Tage lang Ruhe und Frieden zu genießen.

    Die Reise von Chicago dauerte knapp acht Stunden und war ereignislos verlaufen, bis er den Ottawa National Forest erreicht hatte. Der Ottawa, wie ihn die Einheimischen kurz nannten, erstreckte sich über ungefähr eine Million Morgen unerschlossenes, bundesstaatliches Land an der Grenze zwischen Wisconsin und Michigan. Lange Waldabschnitte mit Rot- und Strauchkiefern sowie Espen bestimmten das Landschaftsbild. Matt machte diesen Abstecher unter anderem zum Angeln auf dem Black River, einem reißenden Strom mit Schieferbett und zahlreichen Wasserfällen. Es war September, also laichten flussaufwärts die Silberlachse und warteten nur darauf, jeden funkelnden Köder zu schlucken, den man in die sauberen Tümpel warf. Der zweite Grund für die Reise war Trauer. Stacey hatte diese Welt 64 Tage zuvor verlassen, Elmo 120, und sein Vater schon vor sechs Monaten. Matt glaubte, der Kummer habe ihn endgültig um den Verstand gebracht, und selbst seiner Mutter war aufgefallen, dass es ihm schlecht ging. Sie hatte darauf bestanden, dass er nach Norden fuhr. Dies war die Gegend, wo Matt Matt sein konnte.

    Ich werde zu alt für solche Fahrten, dachte er, obwohl er erst 21 war. Viel wahrscheinlicher hatten die drei Stunden Schlaf in der vergangenen Nacht etwas mit seiner Müdigkeit zu tun. Vielleicht.

    Als Matt den Ottawa erreichte, nahm die Dichte der Kiefern zu. Die Forstbehörde ließ die hohen Bäume am Fahrbahnrand gern stehen, wohingegen sie den Wald dort, wo Reisende nicht hinsahen, unbeeindruckt abholzte. Würde man sich 50 Yards tief in den Wald bewegen, würde man auf Stümpfe und Kahlschläge stoßen. Ferner sähe man eine Fülle gestutzter Pappeln und anderer wuchernder Laubbäume. Diese nahmen dem Urwald aus Weymouthskiefern und Hemlocktannen den Platz weg, die in den Northwoods überwogen. Matt hatte als Kind weite Teile des Gebiets erkundet und es im Lauf der Jahre zu seinem zweiten Zuhause erkoren. Auf Wanderungen durch die Schluchten und über die Felsgrate der Huron Mountains trainierte er für gewöhnlich seine Beine.

    Obwohl sie abgeholzt wurden, boten der Ottawa und die Hurons weiterhin Wölfen einen Lebensraum. Heimische Bärenmarder und Berglöwen waren längst aus dem Ökosystem getilgt worden – die Folgen von ausufernder Fallenstellerei und Verfolgung bestimmter Arten. Mr. Emerson, der Biologiedozent seines Community Colleges, war stets von Matts Kenntnissen bezüglich Fauna und Flora angetan gewesen, was oft zu ausgedehnten Gesprächen über die obere Halbinsel von Michigan geführt hatte. An diese Momente aus seiner Studienzeit erinnerte er sich gern – den Austausch mit Lehrern, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnete, einfach wie einem anderen Erwachsenen während einer Unterhaltung.

    Das dichte Straßennetz in einst unbefahrbaren Wäldern führte zur Ausrottung vieler Raubtierarten durch Wilderei. Ehemals verkehrsfreie Bereiche wurden über Jahrzehnte hinweg zunichtegemacht. Das übrige Land ohne Straßen beschränkte sich auf wenige staatlich geschützte Wildgebiete von je etwa 20.000 Morgen.

    Matt hatte vor, sich die faszinierenden Hurons weiter zu erschließen, auch weil er die Möglichkeit spannend fand, sie könnten durchaus das älteste Gebirge der Welt und irgendwann einmal so hoch wie die Rocky Mountains gewesen sein. Heute beliefen sie sich auf lediglich 2.000 Fuß hohe Steinkuppen, aber für ihn ging seit je etwas Faszinierendes von ihnen aus. Vereinzelte Bestände aus uralten Hemlocktannen ragten aus Klüften und von granitbedeckten Erdböden empor, windgepeitschte Rotkiefern wurzelten an Steilwänden. Diese Orte waren das Gegenteil des Mittleren Westens: malerisch; abgelegen. Die alte Jagdhütte, zu der Matt just in diesem Augenblick fuhr, stand in einem weiten, bewaldeten Tal im Schatten der Hurons, durchzogen vom Black River sowie dessen zahllosen Wasserfällen und glitzernden Tümpeln. Das ›Büdchen‹ – so ihr Spitzname – war von einer aufgegebenen Apfelplantage umgeben, deren Bäume jetzt nur noch winzige, saure Früchte hervorbrachten. An die Felder grenzte ein Wald aus Espen, Erlen, Balsamtannen und Fichten. Bachquellen und Sümpfe versorgten den Fluss das ganze Jahr über mit Wasser, befeuchteten sein Bett selbst im Sommer und Herbst, wenn es auszutrocknen drohte. Westlich der Hütte lag Twenty Mile Bog, ein imposantes Moor. Der Rest der Gegend bestand aus dichtem Wald, der Heimat von Fischmardern, Schwarzbären, Wölfen und Eulen. Diese Tiere machten die Northwoods zu dem, was sie waren. Zu wissen, dass sie noch existierten, brachte Matt zum Lächeln. Kam man aus den Chicagoer Vororten, waren sie ein Paradies, das vor Leben und Abenteuermöglichkeiten nur so strotzte.

    Matt fuhr mit einer Hand durch sein braunes Haar und suchte Musik passend zur Finsternis, die übers Land kroch. Im schwindenden Licht leuchteten die Armaturen wie Steuerpulte in einem Raumschiff.

    Green Day? Neil Young, äh … noch nicht. Pink Floyd? Prima. Wenn die Generation seiner Eltern eine Sache richtig gemacht hatte, dann Rockmusik – und die war nicht nur gekonnt, sondern in vielerlei Hinsicht ein Tritt in den Hintern.

    Matt schob eine CD in den Pioneer-Spieler, woraufhin Let There Be More Light durch die Boxen waberte.

    Er kurbelte die Scheibe zu einem Drittel herunter und erfreute sich an der kühlen Northwoods-Luft. Kein Vergleich zum Chicago und dessen Umgebung …

    Der Toyota-Pick-up rollte auf dem leeren Highway 2 entlang. Die Bewohner der Gegend hockten entweder zu Hause vor ihren Fernsehern oder in einer Kneipe ihrer Wahl, deren Namen üblicherweise ›Northwoods Tavern‹ lautete, jeweils mit vorangestelltem Namen des Inhabers. Eine der Vorzüge dieses wilden Landstrichs bestand in seiner dünnen Besiedlung, was das Fahren auf verlassenen Straßen reizvoll machte.

    Als er an der Heizungslüftung drehen wollte, sprang ein stämmiger Weißwedelhirsch vor den Wagen. Matt trat auf die Bremse und hielt das Lenkrad fest. Die Reifen quietschten, woraufhin der Gestank von verbranntem Gummi seine Nase jucken ließ. Das unglückselige Tier blökte wie ein Schaf, als seine linke Flanke an der Fahrerseite der Motorhaube vorbeischrammte. Es machte Augen groß wie Untertassen, während es hastig die Böschung hinauf zwischen die Fichten sprang. Der Pick-up kam schrillend zum Halten, und Qualm von den Reifen stieg im Scheinwerferlicht auf. Das Knattern des Vierzylinders und die Stereoanlage blieben die einzigen Geräusche in der plötzlichen Stille.

    Matt öffnete das Türfenster ganz. Von dem Hirsch fehlte jede Spur. Er drehte die Musik leiser, griff zu der schweren Stabtaschenlampe unter seinem Sitz und stieg aus, um den Kühlergrill zu untersuchen. Kein sichtbarer Schaden, weder Blut noch Fellhaare … sicherheitshalber ging er zur Böschung hinüber und leuchtete den Graben aus, gut 50 Yards in beide Richtungen vor und hinter dem Auto. Hätte er das Tier gefunden, wäre es auf die eine oder andere Art von ihm erlöst worden. Matt hasste es, wenn jemand Wild überfuhr, ohne zurückzuschauen und sich zu vergewissern, dass es nicht mehr litt. Eins zu überrollen bedeutete schließlich nicht, dass es sofort tot war. Ein Jahr zuvor hatte er im Glacier-Nationalpark – er war mit Stacey dort gewesen – ein europäisches Eichhörnchen gesehen, das von einem Auto mit 40 Meilen pro Stunde in einer 25er-Zone erfasst worden war, allerdings nur die Hinterläufe. Das Tier hatte gezirpt und gekreischt, sich tapfer ein paar Fuß vorangeschleppt, bevor es auf dem Asphalt liegen geblieben war, immer noch lebendig. Ein Artgenosse war auf die Fahrbahn gehuscht und hatte versucht, das lahme Eichhörnchen wegzuziehen. Matt erinnerte sich daran, das Drama entsetzt mit angesehen zu haben: das verzweifelte Geschnatter des gesunden Tiers und die qualvollen Laute des verletzten. Als Ersteres aufgegeben hatte, war er wieder in seinen Wagen gestiegen und über das leidende Tier gefahren, um sein Leben zu beenden, ehe es ihm noch schlimmer ergehen konnte.

    Dieses Eichhörnchen hatte er nie vergessen. Manchmal rief er es sich wieder ins Gedächtnis, die hervorgetretenen Augen; manchmal bildete er sich ein, es zirpen zu hören, um andere vor der Gefahr zu warnen, während sich sein auffallend zimtbraunes Fell im Wind sträubte und die kleine, rosafarbene Zunge heraushing wie ein zarter Pflanzenkeim. Am schlimmsten aber fand er, wie es mit offenem Maul zu ihm aufgeschaut und dabei ein wenig von seinen Zähnen gezeigt hatte, die Angst in seinen Augen, kurz bevor es vom Tod hinweggerafft worden war. Dieses Erlebnis hatte Matt dazu bewogen, vieles zu hinterfragen, unter anderem Gott; welcher Gott würde zulassen, dass so etwas geschah? Es ergab überhaupt keinen Sinn, obwohl ihm andererseits generell vieles schleierhaft war, vor allem in Bezug auf Regeln und das Verhalten von Menschen wie ihm selbst oder angeblichen Autoritätspersonen. Er rieb sich ständig an der Welt auf, egal wie sehr er sich ums Gegenteil bemühte. Er fühlte sich den Geschöpfen der Wälder auf vielerlei Weise stärker verbunden als seinen Mitmenschen – ausgenommen diejenigen, denen er schon nahestand.

    Mancher mochte dies als verstörend empfinden oder für introvertiert halten, doch für Matt war es die Wirklichkeit. So nahm er es mit eigenen Augen wahr und spürte es in seinem Herzen. Aber als Einzelgänger konnte man ihn auch nicht bezeichnen. Er besaß Freunde – zwar nicht viele, dafür aber echte. Oft erkannte er diese Unruhe, diese leise Angst im Umgang mit anderen, was vermutlich der Grund dafür war, dass er bei einem überschaubaren Freundeskreis blieb und sich selten auf neues gesellschaftliches Terrain begab.

    Was er vorzog, waren Wanderungen durch die Wildnis. Mit seiner verstorbenen Freundin Stacey hatte es ihn in Nationalparks verschlagen, den Glacier in Montana und den Yellowstone in Wyoming. Bisweilen waren sie während der Ferien im Frühjahr losgezogen, wenn es das Gros der Jugend an sonnige Strände trieb. In den Parks traf man weniger Mensch, ob bei Schnee oder trockenem Wetter. In den Wäldern und Bergen konnte sich Matt selbst denken hören, die Arme ausbreiten und entspannen.

    Mich ausgeglichen fühlen.

    Die Natur draußen in Montana war noch unberührt. 20.000 Morgen Wildnis waren dort nichts; man fand ein Geflecht aus zwei Millionen Morgen vor und konnte Jahre damit verbringen, es zu erkunden. In den Northwoods beziehungsweise dem Ottawa National Forest stieß man immer wieder auf Forststraßen; weniger als ein Prozent Primärwald war übrig geblieben, und die meisten Tiere, die in den Northwoods gelebt hatten, sah man so gut wie gar nicht mehr. Aus unerfindlichem Grund aber vermittelte dieser Ort Matt immer noch ein starkes Gefühl von Heimat. Er mochte – nein, liebte ihn: all die kleinen Bäche, die zwischen den Bäumen glitzerten; Stachelschweine, die flapsig im Geäst herummachten, und Weißkopfadler im Flug von einem verborgenen See zum nächsten.

    Ein Vorteil der Northwoods war die nur achtstündige Fahrt vom Stadtrand Chicagos aus; die Reise zum Yellowstone hingegen dauerte 22 Stunden. Für jemanden mit geregelter Arbeit machte dies den entscheidenden Unterschied aus. Im Sommer schuftete Matt sechs Tage die Woche im Bauunternehmen Stinston. Der Job war mitunter zwar anstrengend, tat ihm aber wohl. Matt hielt sich unter allen Umständen lieber draußen auf, als bei stickiger Luft in einem Büro zu sitzen.

    »Du musst flügge werden«, hatte ihm sein Vater oft vorgehalten.

    In irgendeiner kleinen Arbeitswabe ging das nicht; kein Platz. Für die Highschool beziehungsweise deren computerorientierte Alternative hatte das Gleiche gegolten; beide Anstalten waren ihm immerzu wie Gefängnisse vorgekommen. Als noch schlimmer hatte er ihren Mangel an Fenstern empfunden. Das einzige natürliche Licht war an den Enden der langen Flure eingefallen, zaghaft fast, wie um zu sagen: »Da will ich nicht rein.« Folglich hatte das Licht im Freien auf ihn gewartet, genauso wie die Northwoods. Trat er hinaus, fühlte er sich wie neugeboren.

    Bei aller Abneigung hatte er sich trotzdem auf der Highschool bewährt, im Footballteam gespielt, gute Noten bekommen und mit hübschen Mädchen angebandelt … bis zu dem Zwischenfall. Darüber redete er weder gern, noch wollte er überhaupt daran zurückdenken. Am deutlichsten erinnerte er sich in diesem Zusammenhang daran, wie ihn sein Vater angeschaut hatte, als er an jenem schicksalhaften Tag nach Hause gekommen war. John hatte das Haus daraufhin überstürzt verlassen. Seine Frau – jederzeit diejenige, die Löcher kittete und Risse übermalte – hatte Matt in den Arm genommen, nachdem ihr Mann hinausgestürmt war.

    »Ist besser so, Matthew«, hatte sie gesagt. »Er kommt schon wieder zurück; die Zeit heilt auch diese Wunde.«

    Sie sollte recht behalten, wie so oft: Die Zeit heilte diese Wunde tatsächlich, auch wenn sie nichts gegen den Krebs seines Vaters ausrichten konnte. Big John hatten sie ihn genannt … Big John war Raucher gewesen, Raucher aus Leidenschaft – und Big John hatte es nicht bei Lights belassen, sondern gleich zu Marlboro Red gegriffen, zwei Päckchen täglich.

    Big Johns Hände waren breit gewesen, ›big‹ wie auch alles andere an ihm. Er hatte viel von sich selbst gehalten, aber falls nötig, auch aufbauende Worte gefunden. Er war derjenige gewesen, der Matt die Natur nahegelegt, ihn zu Kurzreisen in den Norden bewogen hatte. Die Bonsai-Trips, wie sie sie genannt hatten, waren spontane, dreitägige Abstecher hinauf zum Büdchen. Sein Vater hatte für gewöhnlich am vorausgegangenen Abend gepackt: Kühlboxen und Taschen voller Rauchwurst, Konserven, Kartoffelpuffer, Camping- und Angelausrüstung. Die alten Flanellschlafsäcke waren so dick gewesen, dass sie die Hälfte der Ladefläche des Pick-ups eingenommen hatten. Da schon alles einen Tag zuvor erledigt gewesen war, hatten sie gleich um 15 Uhr aufbrechen können, wenn Big Johns Schicht bei der Telefongesellschaft zu Ende war. Im Kommunikationswesen hatte sich der Mann ziemlich gut ausgekannt; er war von der Army ausgebildet worden, sogar eine Weile in der Türkei stationiert gewesen und hatte unter Schweigepflicht an mehreren streng geheimen Funkstörprojekten gearbeitet.

    »Du brauchst nur zu wissen, dass Leute nicht wollen, dass du weißt, was ich weiß«, hatte er, darauf angesprochen, stets entgegnet.

    Ab und an hatte Matt bemerkt, dass sein Vater unaufrichtig gewesen war, nämlich an seiner hochgezogenen Oberlippe und den weit aufgerissenen Augen. So hatte

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