Sternbilder: Phantastische Erzählungen
Von Erik Simon
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Über dieses E-Book
Vervollständigt wird "Sternbilder" mit einer Vorbemerkung des Herausgebers, einem Vorwort von Hans-Peter Neumann und mit Anmerkungen des Autors. Schon dieser Band macht deutlich, dass Erik Simon einer der vielseitigsten – und vergnüglichsten! – deutschen SF-Schriftsteller ist. Für die hier enthaltene Erzählung "Spiel beendet, sagte der Sumpf" erhielt er 2003 den Kurd Laßwitz Preis.
Erik Simon · Simon's Fiction · Band 1
Herausgegeben von Hannes Riffel
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Buchvorschau
Sternbilder - Erik Simon
Impressum
Erik Simon: Sternbilder
(Simon’s Fiction. Band 1 – Neuausgabe)
Herausgegeben von Hannes Riffel
Mit Vignetten von Dimitrij Makarow
© 1972, 1975–2002, 2015–2021 Erik Simon (für die Erzählungen, Gedichte und Kommentare)
Die Daten der Erstpublikationen sind am Ende des Bandes bei den »Quellen und Anmerkungen« verzeichnet.
© 2021 Hannes Riffel (für die Vorbemerkung zur Neuausgabe)
© 2002 Hans-Peter Neumann (für sein Vorwort)
© 2021 Dimitrij Makarow (für die Vignetten)
© 2021 Erik Simon und Memoranda Verlag (für die Zusammenstellung dieser Ausgabe)
Das Titelbild verwendet einen anonymen Holzschnitt, der vermutlich für Camille Flammarions Buch »L’Atmosphère: Météorologie populaire« (1888) gezeichnet wurde.
© dieser Ausgabe 2021 by Memoranda Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Gestaltung: Hardy Kettlitz & s.BENeš [www.benswerk.com]
Memoranda Verlag
Hardy Kettlitz
Ilsenhof 12
12053 Berlin
www.memoranda.eu
www.facebook.com/MemorandaVerlag
ISBN: 978-3-948616-52-6 (Buchausgabe)
ISBN: 978-3-948616-53-3 (E-Book)
Inhalt
Impressum
Vorbemerkung zur Neuausgabe
Vorwort zur Ausgabe von 2002
Sternschnuppen 1
Ausgrabungen
Liebe kleine Tllanaa
Wir sind allein
Das Märchen
Warum wir die Bekanntlich-Geschichten geschrieben haben
t
c
Schuttabladeplatz
Fremde Sterne
Fremde
Nachts auf dem fremden Planeten, zwölf Parsec von Dsirra entfernt
Marsmenschen gibt’s natürlich nicht …
Die Cherubim und das Rad
Der Sammler
En route
Der Beobachter
Auszug ins Gelobte Land
Die Riddhaner
Der schwarze Spiegel
Ytvaros großer Kreis
Wissenswertes über den Planeten Ikaros
Sterne
Der Bahnbrecher
Gespräche unterwegs
Die Sterne
Clivia Neman
Der Kundschafter
Das Diorama
Sternschnuppen 2
Bedingte Reflexionen
Die Sitzung
Zitate
Neu bei Scifilis: Cave Martem!
Spiel beendet, sagte der Sumpf
Voraussichten, Nachbilder
Voraussichten
Invasion aus dem Weltraum
Der Planeter
Zwei Temponautenlieder
Kosmo-Logische Liedchen
Streustrahlen
Petrefakt
Progression
Zukunftsbilder
Mind Your Own Dirty Genes
Den Künftigen
Elementarsonette
1. Wasser
2. Feuer
3. Luft
4. Erde
Der Staub
Nachbilder
Hymne des Planeten Andymon
Vom Ringkrieg
Vom wirklichen Weltraum
Sternschnuppen 3
Märchen vom Gebruder Simon
Die Geschichte des dritten Sohnes
Die Geschichte der unschuldig Verurteilten
Schneewittchen
Rotkäppchen
De draconibus tractatus
Vom Ruhm des Ritters Roderich
Vom Los des Ritters Willibald
Märchen
Die drei Königinnen
Quellen und Anmerkungen
Bücher bei MEMORANDA
Vorbemerkung zur Neuausgabe
Erik Simon ist eine Singularität im Maxwell’schen Sinne. Ich zitiere aus der einschlägigen Internet-Enzyklopädie: »Allgemein bezeichnet demnach eine Singularität einen Zusammenhang, in dem eine kleine Ursache eine große Wirkung hervorruft.«
Erik Simon ist ein Einzelkämpfer, dessen Einfluß auf die Science Fiction im deutschsprachigen Raum maßgeblich ist. Als Lektor und Herausgeber hat er Leserinnen und Lesern den Zugang vor allem zu ausländischen Autorinnen und Autoren ermöglicht. Als Übersetzer vor allem aus dem Russischen wirkte er bahnbrechend, darüber hinaus hat er zahlreiche Werke aus mehreren anderen slawischen Sprachen, dem Englischen und dem Niederländischen übersetzt.
An dieser Stelle soll es jedoch vor allem um den Schriftsteller Erik Simon gehen. Der deutschsprachige Raum ist nicht eben mit einer Vielzahl anspruchsvoller SF-Autorinnen und -Autoren gesegnet. Im Westen mag das mitunter daran gelegen haben, daß der Romanheftmarkt einen Großteil des Potentials abschöpfte und in seine Minimalform preßte, vom Einfluß der Autorenkrake Perry Rhodan einmal ganz zu schweigen. (Die Frage sei erlaubt, was aus einem William Voltz oder einem Rainer Zubeil alias Thomas Ziegler unter förderlicheren Umständen hätte werden können.)
In Ostdeutschland waren die Umstände gänzlich anders gelagert – und ähnelten, mit meinen westlichen Augen betrachtet, einer veritablen Alternativwelt. Hier gab es zwar gewisse Einschränkungen, was geschrieben werden konnte, aber wie geschrieben wurde, die sogenannten Produktionsbedingungen also, hatten einiges für sich: Für den eigentlichen Schreibprozeß stand relativ viel Zeit zur Verfügung, und der Anspruch an die Qualität der Texte war, zumindest punktuell, mit dem vergleichbar, der an anerkannt literarische Werke gestellt wurde.
Geradezu tragisch ist, was nach der Wende von alldem übrig blieb: Der deutschsprachige Buchmarkt läßt für die Science Fiction lebenswichtige Publikationsformen – den Sammelband mit Erzählungen eines Autors oder die Anthologie mit Texten verschiedener Autorinnen – wie Wasser an Ölzeug abperlen. Gäbe es nicht eine eminent tapfere Kleinverlagsszene (mit Memoranda als einem der Leuchttürme), wäre vieles nicht mehr zugänglich, was von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung des Genres ist.
Der vorliegende erste Band von Simon’s Fiction ist ursprünglich, in leicht anderer Gestalt, vor knapp zwanzig Jahren erschienen und Teil des fortwährenden Unternehmens, die erzählerischen Werke von Erik Simon einerseits und des Ehepaars Steinmüller andererseits, mit allen bestehenden Verflechtungen zwischen diesen, wieder dauerhaft zugänglich zu machen. Diese beiden Werkausgaben haben über diverse Verlagswechsel hinweg Bestand, was nicht zuletzt der klugen Weitsicht und Beharrlichkeit von Verleger Hardy Kettlitz zu verdanken ist.
Erik Simon selbst schreibt über die Anlage von Simon’s Fiction: »Bei den sechs erschienenen Bänden ist das unmittelbare Ordnungsprinzip von Band 3, 5 und 6, daß dort die zusammen mit Reinhard Heinrich bzw. den Steinmüllers verfaßten Texte gesammelt sind. Die übrigen Bände sind thematisch strukturiert, in der Regel nicht durchgehend, sondern in jeweils mehreren Clustern, die sich um ein SF-Thema, ein eher literarisches Thema, einen stilistischen Ansatz etc. gruppieren. Sie sind historisch gewachsen, insbesondere ihre jeweiligen Kerne, drei noch zu DDR-Zeiten konzipierte Bände, von denen zwei (Fremde Sterne und Mondphantome, Erdbesucher) damals auch schon erschienen sind.«
Über das Phänomen Erik Simon als Ganzes informiert, präzise und umfassend, das Vorwort von Hans-Peter Neumann, das bereits in der ersten Ausgabe von Sternbilder enthalten war. Ich möchte an dieser Stelle lediglich nachreichen (bzw. vorwegnehmen), daß der Autor die Neuedition um mehrere Gedichte und ein Märchen erweitert sowie die Anmerkungen durchgesehen hat. Wir haben es also beinahe mit einer »Ausgabe letzter Hand« zu tun, einer Ausgabe, an die Erik Simon letzte Hand angelegt hat, um seine Werke in der Form zu präsentieren, wie er sie veröffentlicht sehen will. Bisher sind sechs Bände erschienen bzw. zur Neuausgabe vorgesehen, aber es bleibt zu hoffen, daß der Autor uns noch das Vergnügen weiterer Bände bereitet. Denn bei aller gedanklichen Strenge, bei aller stilistischen Ausgefeiltheit sind diese Erzählungen und Gedichte nämlich genau das: ein großes Lesevergnügen.
Hannes Riffel
im März 2021
Vorwort zur Ausgabe von 2002
Dem 1950 in Dresden geborenen Diplomphysiker Erik Simon wird oft nachgesagt, daß er einen beachtlichen Einfluß auf die Entwicklung der Science Fiction in der DDR gehabt habe. Dieser Einfluß wird meist zuerst an seiner Tätigkeit als Lektor im Verlag Das Neue Berlin 1974 bis 1991, als Herausgeber von Anthologien sowie als SF-Theoretiker festgemacht: Er brachte den DDR-Lesern u. a. amerikanische und bulgarische SF näher, konzipierte mit Lichtjahr einen auch international beachteten SF-Almanach, war einer der beiden Herausgeber des Lexikons Die Science-fiction der DDR – Autoren und Werke und trug mit zahlreichen Essays und Rezensionen zur kritischen und theoretischen Aufarbeitung des Genres bei; er gilt als der prominenteste deutsche Kenner des Werkes der Brüder Strugazki.
Als Lektor war er vor allem für SF aus dem seinerzeit sozialistischen Ausland zuständig, er hat aber auch konzeptionell an der Publikation von westlicher und Vorkriegs-SF bei DNB mitgewirkt und gelegentlich (in den siebziger Jahren nur vertretungsweise, später regelmäßiger) DDR-Autoren betreut. In den späten achtziger Jahren war er bei DNB Fachgebietsleiter für SF. Sein besonderes Interesse für die kürzeren Formen äußerte sich auch in Simons Arbeit als Lektor und Herausgeber: Er hat (meist anonym) zahlreiche Erzählungsbände ausländischer Autoren zusammengestellt und von 1978 bis 2001 insgesamt 24 Anthologien herausgegeben (davon einige mit Ko-Herausgebern oder anonym und drei im Ausland). Essays und Kritiken hat er in Lexika und Werkführern, Anthologien, Zeitschriften, Zeitungen und Fanzines des In- und Auslandes veröffentlicht. Er ist – nach Franz Rottensteiner selbst – der dienstälteste noch aktive Mitarbeiter des renommierten Quarber Merkur und hat z. B. für die britische SF-Zeitschrift Foundation, die sowjetische Literaturnoje Obosrenije (Literarische Umschau), für den französischen Antares und für den fünfbändigen Survey of Science Fiction Literature (1979) geschrieben; der größte Teil seiner Publikationen im Westen ist allerdings zu DDR-Zeiten (aus naheliegenden Gründen) unter Pseudonymen erschienen, von denen er heute einige der Tradition halber fortführt.
Seine Leistungen als Übersetzer aus sieben Sprachen und als Autor geraten bei solchen Betrachtungen leicht etwas in den Hintergrund – nicht jedoch bei den Lesern, die nicht in Kategorien wie »Einfluß« und »Beitrag zum Selbstverständnis des Genres« denken: Die Gesamtauflage seiner drei SF-Erzählungsbände (einschließlich des ersten, gemeinsam mit Reinhard Heinrich verfaßten) liegt bei 220 000 in Deutschland, vier Buchausgaben in polnischer, schwedischer, bulgarischer und tschechischer Sprache brachten es zusammen auf über 160 000 Exemplare; Erzählungen und Essays von ihm (und gelegentlich seinen Ko-Autoren) sind in mindestens 14 Fremdsprachen erschienen.
Mit dem Ende der DDR war freilich auch für ihn die Zeit der hohen Auflagen vorbei. Während aber die meisten seiner ostdeutschen SF-Kollegen völlig oder fast völlig verstummten und sich nach einer Weile vor allem einige Romanautoren zurückmeldeten, die auch zu DDR-Zeiten schon besonders produktiv gewesen waren und für die Jugendbuchreihe »Spannend erzählt« geschrieben hatten, blieben auf dem Gebiet der kürzeren Formen praktisch nur Rolf Krohn und Erik Simon regelmäßig aktiv. Daß Simon an seine besten Leistungen aus DDR-Zeiten anknüpfen konnte, bestätigte in den neunziger Jahren auch der zweimalige Gewinn des Kurd-Laßwitz-Preises für die »Beste Kurzgeschichte« bzw. – gemeinsam mit seinen Ko-Autoren, den Steinmüllers – für die »Beste Erzählung«. Da er den Laßwitz-Preis auch zweimal in anderen Kategorien erhalten hat, ist er in dieser Hinsicht der erfolgreichste ostdeutsche SF-Profi, übrigens auch der einzige, der seinen Lebensunterhalt weiterhin mit SF verdient, wenn auch nun vor allem als Übersetzer und Herausgeber.
Während aber Rolf Krohn seit der Wende drei neue Erzählungsbände vorgelegt hat, datiert Erik Simons dritter und bisher letzter Band von 1987; etwa die Hälfte seiner Geschichten ist nur verstreut in Anthologien erschienen, weitere sind unveröffentlicht, und seine Neigung, Arbeiten mit Ko-Autoren wie auch Texte, die etwas am Rande der SF liegen, unter Pseudonym zu veröffentlichen, hat ihn als Autor noch zusätzlich »unsichtbar« gemacht. Der Shayol Verlag und die Herausgeber haben es daher unternommen, in einer Werkausgabe die in Erik Simons früheren Bänden enthaltenen Erzählungen wieder zugänglich zu machen und ihnen die bisher nur verstreut oder gar nicht publizierten zur Seite zu stellen.
Der Autor ist seinem Prinzip treu geblieben, seine Bände nach thematischen und stilistischen Gesichtspunkten zu komponieren. Die älteren Bände werden daher innerhalb der neuen als Kapitel bzw. Abteilungen wieder auftauchen, jedoch erweitert um Geschichten, die sich nahtlos in das jeweilige Konzept einfügen, und Seite an Seite mit völlig neu konzipierten Abschnitten. Eine chronologische Gliederung der Bände nach der Entstehungszeit oder der Erstveröffentlichung der Texte kommt daher nicht in Frage. Der vorliegende Band 1 Sternbilder umfaßt mit Simons erster SF-Geschichte »Marsmenschen gibt’s natürlich nicht« aus dem Jahre 1970 und der 2001 abgeschlossenen, bisher unveröffentlichten Erzählung »Spiel beendet, sagte der Sumpf« einen Entstehungszeitraum von gut drei Jahrzehnten, sein Schwerpunkt liegt aber doch bei den älteren Arbeiten.
Erik Simons erzählerisches Werk steht im Kontext einer Blüte der SF-Erzählung in der DDR, die in den 70er Jahren nach langer Vernachlässigung der kurzen Formen umso heftiger einsetzte und mit dem Auftreten einer ganzen Plejade neuer Autoren verbunden ist: Alfred Leman (anfangs mit Hans Taubert), die Brauns, Gert Prokop, Bernd Ulbrich, Erik Simon (anfangs mit Reinhard Heinrich), Rolf Krohn, die Steinmüllers (anfangs nur Karlheinz) – um nur jene von denen zu nennen, die zuerst in den 70er Jahren hervortraten und auch in den 80ern noch SF-Erzählungsbände publizierten. Unter ihnen allen ist Simon vielleicht der konservativste, was das Anknüpfen an Standardthemen der SF angeht, aber zugleich der experimentierfreudigste beim Umdeuten dieser Themen und beim Ausprobieren vielfältiger Formen und Stilmittel; das dürfte auch der Grund sein, warum er sich ausschließlich den kürzeren Formen widmet.
Schon im Abschnitt »Sternschnuppen 1«, wo wir einige seiner Frühwerke präsentieren, die bisher nicht oder nur in Fanzines veröffentlicht waren, sind diese Charakteristika von Simons Schaffen in Ansätzen zu erkennen. Vom Autor selbst als Miniaturen bezeichnet, sind die Geschichten direkt auf eine überraschende Wendung hin geschrieben – ohne die durchdachte, oft tiefgestaffelte Struktur, die seine späteren Erzählungen auszeichnet. Doch schon hier zeigt sich die bei Simon so typische Auseinandersetzung mit Ideen, Erzählmustern und Konventionen der Science Fiction, teils mit ernsthaftem Anspruch, oft aber mit der parodistischen Erzählhaltung, die besonders in seinem ersten Buch, dem zusammen mit Reinhard Heinrich verfaßten Zyklus Die ersten Zeitreisen (1977), vorherrscht. Auch wird schon in seinen Frühwerken die Neigung Simons deutlich, sich nicht nur mit allgemeinen SF-Themen auseinanderzusetzen, sondern manchmal auch ganz konkret auf Werke anderer Autoren Bezug zu nehmen: deren Grundidee aus anderem Blickwinkel zu beleuchten, weiter oder auch ad absurdum zu führen. Die Erzählung »Der Schuttabladeplatz« geht auf eine Idee von Wolfgang Köhler zurück, in »Die Sitzung« – hier im Abschnitt »Sternschnuppen 2« abgedruckt – greift er die gleichnamige Erzählung von Rolf Krohn auf, sein Erstling »Marsmenschen gibt’s natürlich nicht …« ist von einer Episode aus Heines »Harzreise« inspiriert. In seinem späteren Schaffen sollten aus dieser Motivation heraus einige seiner besten Geschichten entstehen: »Der Omm« – eine Inversion von Maupassants »Horla« – oder »Der schwarze Spiegel« nach Meyrinks »Die schwarze Kugel«.
Ausprobieren und Übernahme von Ideen, die wechselseitige Inspiration durch Geschichten weisen auf Erik Simons Anfänge als Autor hin, die untrennbar mit dem Dresdner Stanisław-Lem-Klub verbunden sind, dem er während seines Physikstudiums an der TU Dresden angehörte. Anfang der siebziger Jahre (bis zum Verbot der Klubarbeit 1973) gab es dort unter anderem eine Gruppe von Amateurautoren, die intensiv über ihre Geschichten diskutierten und zusammen Projekte in Angriff nahmen; dazu gehörten u. a. auch Rolf Krohn, Reinhard Heinrich und Wolfgang Köhler. Mit ihnen allen (und mit anderen) hat Erik Simon gemeinsame SF-Erzählungen verfaßt oder doch zumindest konzipiert, am erfolgreichsten war zunächst die Zusammenarbeit mit Reinhard Heinrich, die zu Simons Debütband Die ersten Zeitreisen führte. (Übrigens kam Simon über den Klub, für den er schon damals auch ausländische SF übersetzte und zu Anthologien zusammenstellte, sowie durch Artikel in Fanzines in Kontakt zum Verlag Das Neue Berlin. Mit den Steinmüllers und Michael Szameit gehörte er zu den wenigen prominenten SF-Profis in der DDR, die auch zu den SF-Klubs der achtziger Jahre enge Kontakte pflegten.)
1979 folgte – nunmehr von Erik Simon allein verfaßt – der Erzählungsband »Fremde Sterne«. Hier begegnet uns ein gereifter Autor, der eine Vielzahl vertrauter Themen und Konventionen der SF wiederum parodiert, abwandelt oder invertiert. Die Erzählungen weisen eine komplexe und sehr durchdachte Struktur auf, mehrere Erzählebenen, Perspektivwechsel oder Verschränkungen der Handlung sind die Regel. Der Humor ist im Vergleich zu Die ersten Zeitreisen leiser und subtiler geworden. Franz Rottensteiner schrieb im Quarber Merkur 53 zu diesem Buch: »Die Erzählungen sind solide durchkonstruiert, gehen methodisch vor und zeigen oft einen ruhigen, aber nachdrücklichen und sehr ironischen Humor, der die Ereignisse relativiert, Zweifel weckt oder dem außerordentlichen Ereignis des kosmischen Kontakts durch betont alltäglichen Kontext eine komische Note verleiht. […] Diese ruhigen Erzählungen hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck und gehören zum besten, was in den letzten Jahren an SF aus der DDR gekommen ist.« In der vorliegenden Ausgabe sind die »Fremden Sterne« um drei Erzählungen erweitert, die bisher nur in Anthologien erschienen waren; zwei davon sind jünger als die von 1970 bis 1978 entstandenen Texte der ursprünglichen Sammlung.
Eng verwandt mit den beiden vorangehenden Abschnitten – und auch mit manchen Erzählungen in Erik Simons späterer Sammlung Mondphantome, Erdbesucher (1987), die in Band 2 der Werkausgabe folgen soll – sind die vier Texte in »Sternschnuppen 2«. Bei Simons allgemeiner Vorliebe für das Spiel mit Genrekonventionen wird das nicht überraschen, denn hier im dritten Abschnitt sind Texte versammelt, die sich ganz explizit – und zwar parodistisch – mit SF-Ideen auseinandersetzen. Zeitlich umfaßt dieser Abschnitt ein weites Spektrum von den frühen siebziger Jahren bis zur Gegenwart.
Deutlich abgesetzt sind hingegen der vierte und fünfte Abschnitt des vorliegenden Bandes: Der eine behandelt den Motivkanon der SF (und in einem Fall der Fantasy) in Gedichten, der andere greift – teils in Versen, teil in Prosa – typische Märchenmotive auf. Zwar sind die meisten Gedichte keine Lyrik im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern erzählen eine Geschichte, wie es üblicherweise Balladen tun; dennoch weisen sie formal und thematisch über das hinaus, was für gewöhnlich unter SF firmiert – in seinen Anmerkungen spricht Erik Simon sich denn auch gegen eine »allzu kleinteilige Verschubkastelung der phantastischen Genres« aus. Er hat schon Anfang der siebziger Jahre begonnen, sowohl SF-Balladen zu schreiben (»Invasion aus dem Weltraum«) als auch mit belletristischen Prosaformen zu experimentieren, die sich als (fiktive) Sachtexte ausgeben; es gibt von ihm übrigens auch eine große Anzahl Gedichte, die nicht unmittelbar phantastische Themen haben, deren Machart aber, wie Karlheinz Steinmüller über seinen Band »Nacht- und Nebelverse« Wenn im Traum der Siebenschläfer lacht (1983) schrieb, »die gleiche spielerisch-ernste Geistesart verrät, die auch Simons SF eignet«. Somit illustrieren die letzten drei Abschnitte der Sternbilder besonders anschaulich die These, daß Erik Simon im Gebrauch von literarischen Formen und Stilmitteln einer der vielseitigsten SF- und Phantastik-Autoren deutscher Zunge sein dürfte.
Hans-Peter Neumann
Sternschnuppen 1
Ausgrabungen
Frühe Versuche
Liebe kleine Tllanaa
Eine Miniatur
Das Raumschiff verließ den Hyperraum. Sie waren auf der Rückreise. Bald würden sie die Kthollu erreicht haben, und auf dem Heimatplaneten, unter den blauen Strahlen ihres Sternes Rrsati, würde für sie wieder der Alltag beginnen. Ihr Raumschiff war nicht mehr neu, es war klein und ein wenig unbequem, aber es war das einzige, das sie hatten bekommen können, und eigentlich gerade richtig für eine Hochzeitsreise.
Sie hatten rote und grüne Sonnen gesehen, weiße, orangefarbene und infrarote, fast erloschene, die zu betreten sie nur die hohe Schwerkraft hinderte. Sie waren auf dem Planeten Takkati gewesen, wo ein gastfreundliches Sternenvolk lebte, und durch die erstaunlichen Städte des Planeten Slijit gegangen, den seine rätselhaften Bewohner vor vielen Jahrtausenden verlassen hatten. Schließlich hatten sie auf der Rückreise bei dem gelben Stern haltgemacht, der in ihren Katalogen keinen Namen hatte, sondern nur eine fünfstellige Nummer.
Und deswegen hatten sich die beiden zum ersten Mal gestritten. Tllanaa wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause, denn sie hatte ihrer besten Freundin versprochen, zu ihrem Geburtstag wieder zurück zu sein; Kthaor aber hatte seinen Willen durchgesetzt und mit dem Stereofotoapparat den zweiten Planeten der gelben Sonne durchstreift – allein, denn Tllanaa schmollte. Er hatte ihr seine Aufnahmen gezeigt, aber die bizarre Landschaft hatte keinen Eindruck auf sie gemacht; sie wollte jetzt nur eins – recht bald zurück auf die Kthollu.
Tllanaa erwachte, als eine leichte Erschütterung durch das Raumschiff lief. Kthaor war nicht mehr da. Auf dem Bildschirm im Wohnraum flimmerten die Sätze:
»Liebe kleine Tllanaa, mach dir bitte keine Sorgen, ich habe nur das Landungsboot genommen, um ganz kurz mal auf den dritten Planeten zu fliegen. In ein paar Stunden bin ich wieder da, und dann geht’s sofort nach Hause – einverstanden? Du bist doch nicht mehr böse? Also bis bald!«
Nein, Kthaor konnte man auf die Dauer nicht böse sein; trotzdem nahm sie sich vor, ihm, wenn er zurückkam, zu sagen, was sie von einem Mann hielt, der sich klammheimlich aus dem Raumschiff stahl und sie alleinließ, um mal schnell auf noch so einem langweiligen Planeten vorbeizufliegen. Außerdem mochte sie es nicht, daß er sie dauernd seine »Kleine« nannte, nur weil er um einen halben Kopf größer war.
Als Kthaor wieder da war, ließ er sie gar nicht zu Worte kommen. »Stell dir vor, beinahe hätten wir doch nicht rechtzeitig starten können! Als ich den Planeten anflog, streikte plötzlich der rechte Antigravitator, und ich mußte auf der Südhälfte eines Doppelkontinents landen. Und ausgerechnet auf der Nachtseite des Planeten! Ich bin auf einer großen Wiese ’runtergekommen, zum Glück habe ich den Defekt schnell gefunden und behoben. Ich bin dann sofort wieder gestartet. Tllanaa, Kleines, sieh mal, was ich dir mitgebracht habe! …«
Schon wieder hatte er sie »Kleines« genannt! Gerade wollte sie ihm klarmachen, daß er … Doch da sah sie die Blumen, die er ihr mitgebracht hatte. Grüne Blumen! Kein Gras, sondern kleine Pflanzen, ganz unterschiedlich geformt und in ganz verschiedenen Nuancen von Grün bis fast hin zum Gelb. Unter den weißen und blauen, den roten und grünen Sonnen – noch nie hatte sie grüne Blumen gesehen. So etwas gab es gewiß im ganzen Kosmos nur einmal, und Kthaor hatte diese Blumen gefunden – für sie.
Auf dem Tisch im Wohnraum des Schiffes standen in einer Vase Blumen – die einzigen grünen Blumen im Umkreis von vielen Lichtjahren. Tllanaa gab ihnen täglich frisches Wasser. Die Blumen waren unendlich fein verzweigt und hielten sich lange, viele hatten noch Wurzeln, an denen winzige Erdklümpchen hingen. Sie freute sich an ihnen, ohne sie genauer zu untersuchen oder ihnen auch nur Namen zu geben; schließlich war das keine Expedition; sondern eine Hochzeitsreise. Dabei hätte es durchaus passende Namen gegeben, in einer Sprache, so fremdartig wie die Blumen selbst: Palmen, Araukarien, Brasilkiefern, Mangobäume …
Wir sind allein
Eine sehr phantastische Miniatur
Was ich befürchte, ist … ein gewaltiger psychologischer Schock. Stolz wie wir sind. Denn wir haben ja eine vortreffliche Welt geschaffen, uns ein enormes Wissen zugelegt, den Vorstoß ins Große Universum unternommen, haben geforscht, untersucht, entdeckt. Und was haben wir entdeckt?
A. und B. Strugazki,
»Von Wanderern und Reisenden«
Die Schiffe hießen
CHUAR
und
SENHA
, was in der Weltsprache »Suche« und »Hoffnung« bedeutete. Es waren die Flaggschiffe zweier großer Raumflotten, von denen jede Tausende von Schiffen umfaßte, größtenteils unbemannte. Und alle diese Schiffe erfüllten in dem Teil der Galaxis, der am weitesten von der Erde entfernt war, den gleichen Auftrag.
Anna Jorgesarah, die Kommandantin des Raumkreuzers S 800
NADZIEJA
, lehnte sich in das bequeme Kraftfeld zurück und streichelte mit der rechten Hand die große schwarze Dogge an ihrer Seite. Mit der Linken regulierte sie die Tiefeneinstellung des Raumbildprojektors. Ihr gegenüber saß ein älterer Mann in einer hellblauen Kombination. Das heißt, eigentlich saß dort nur sein Bild; der Mann selbst, einer der Techniker des Raumkreuzers S 800, befand sich in einer anderen Sektion des Schiffes.
»Die letzten vier Robotschiffe sind zurückgekehrt«, sagte der Mann, »die S 807, 824, 828 und 891.«
»Und wieder nichts.« Sie konstatierte es einfach. Wenn die Schiffe etwas gefunden hätten, wäre es sofort durchgegeben worden.
»Nichts«, bestätigte der Techniker. »S 828 hat ein Planetensystem entdeckt, mit …« – er blickte auf die Folie in seiner Hand – »… mit vier Planeten. Aber kein einziger davon trägt Leben, geschweige denn …«
»Gut, Ray«, sagte Anna Jorgesarah. »Unsere
NADZIEJA
hat eben kein Glück gehabt. Wir kehren zur
SENHA
zurück. Bereite bitte den Eintritt in den Hyperraum vor.«
»In Ordnung, Anna. Vielleicht haben die anderen