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Die Schwingen des Rotmilans: Historischer Roman
Die Schwingen des Rotmilans: Historischer Roman
Die Schwingen des Rotmilans: Historischer Roman
eBook847 Seiten12 Stunden

Die Schwingen des Rotmilans: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Wales 1140. Um den Fängen ihres zurückgewiesenen Verehrers Richard de Gray am englischen Königshof zu entkommen, nutzt die junge Normannin Jane Herlewin die Gunst der Stunde und folgt einer Einladung nach Wales. Im hohen Norden lebt die »Familie des Rotmilans«, zu der seit Kurzem ihre langjährige und engste Freundin, die Countess of Caedwynn, zählt. Doch viel Zeit Land und Leute besser kennen zu lernen bleibt nicht, denn ein von Selbstsucht zerfressener Richard taucht unerwartet auf, mit einer schriftlichen königlichen Erlaubnis: die hübsche Hofdame im Dienst Königin Matildas soll ihn nach Chester begleiten. In Wahrheit erhält sie den Auftrag, ihn und den machtgierigen Earl of Chester für König Stephen auszuspionieren, um so die ständigen Unruhen im Königreich zu beenden. Dies gelingt ihr zwar, doch muss Jane vor der Rache Richards fliehen. Aber wohin? Der englische Königshof ist durch die unerwartete Gefangennahme König Stephens nicht mehr sicher. Somit macht sich Jane auf den Weg nach Wales, wo die »Familie des Rotmilans« sie bei sich aufnimmt. Aber auch hier kommt die Normannin nicht zur Ruhe. Erst jetzt erkennt sie, welch hohen Preis sie für ihren Dienst zahlen musste ...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum29. Jan. 2021
ISBN9783969405253
Die Schwingen des Rotmilans: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Die Schwingen des Rotmilans - Jessica Thon

    Jessica Thon

    DIE SCHWINGEN

    DES ROTMILANS

    Historischer Roman

    Engelsdorfer Verlag

    Leipzig

    2021

    Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

    Copyright (2021) Engelsdorfer Verlag Leipzig

    Alle Rechte beim Autor

    Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

    www.engelsdorfer-verlag.de

    Für meinen Großvater,

    dessen Erzählungen

    mich von Kindertagen an

    in immer neue Abenteuerwelten führte.

    Inhalt

    Cover

    Titel

    Impressum

    Dramatis Personae

    Erster Teil

    Erstes Zusammentreffen

    Ein paar unbeschwerte Tage

    Die Übereinkunft

    Aussicht auf Flucht

    Gute Nachrichten, böse Vorahnungen

    Verrat

    Blackpool

    Ein turbulentes Wiedersehen

    Ein Ausflug mit Folgen

    Neuigkeiten aus England

    Stürmische Gefühle

    Gute und schlechte Nachrichten

    Ein bedeutender Schritt

    Zweiter Teil

    Rache

    Was wäre wenn

    Briefe und Steine

    Auftrag ausgeführt

    Die Einladung

    Eine Reise in die Vergangenheit

    Aufeinandertreffen

    Ein altes Versprechen

    Dritter Teil

    Neue Wege

    Vergangenes und Zukünftiges

    Die Botschaft

    Epilog

    Dramatis Personae

    Es folgt eine Auflistung der wichtigsten Charaktere sowie aller namentlich erwähnten, historischen Personen, welche mit einem * gekennzeichnet sind. Hier werden die Nationalitäten bzw. Abstammung der jeweiligen Figuren berücksichtigt, um dem Roman in seiner Handlung nicht vorzugreifen.

    DIE NORMANDIE

    Jane Herlewin, eine Hofdame von Königin Matilda am Palast von Westminster

    Rènier Herlewin, ihr Vater und ein bekannter Kaufmann aus Rouen

    Allyson Thurstan, ihre Mutter

    Margarete Brandon, ihre ältere Schwester

    Jeanne und Isabelle, engste Freundinnen von Jane aus Kindertagen

    WALES

    Im Norden

    Owain ap Gwynedd*, der Count of Gwynedd, mächtigster Mann des Nordens

    Owain ap Gruffydd, der Count of Caedwynn

    Rhys ap Gruffydd, sein jüngerer Bruder und Steward of Caedwynn

    Juliana ferch Gruffydd, ihre verstorbene älteste Schwester

    Edwin ap Hywel, ihr Ehemann und Schwager von Owain und Rhys, ein Söldner, der auf Caedwynn Castle lebt

    Efa, eine junge Magd auf Caedwynn Castle

    Luce, ein Stallbursche auf Caedwynn Castle

    Im Süden

    Gwenllian ferch Madog, eine Edelfrau aus Cardiff

    Alice und Judith, zwei Damen, die Lady Gwenllian auf Cardiff Castle dienen

    Dyfnwal und Seisyll, zwei junge walisische Krieger, die gemeinsam mit Edwin ap Hywel den Count of Cardiff unterstützten

    Madog ap Maredudd*, der Count of Powys, beteiligte sich an der Schlacht von Lincoln

    Die vier Fürstenbrüder von Deheubarth, Anarawd, Cadell, Maredudd und Rhys*, die Söhne von Gwynedd ap Rhys, welche sich in ihrer Regentschaft abwechselten Gilbert de Clare*, der Earl of Pembroke und Lord Marschall

    ENLAND

    Die königliche Familie

    Stephen de Blois*, König von England, Neffe von Henry I von England, Enkel von Wilhelm dem Eroberer

    Matilda de Boulogne*, seine Gemahlin und die Countess of Boulogne, Königin von England

    Balduin, Eustance, Mathilda, William und Maria*, ihre gemeinsamen Kinder

    Matilda (Maud)*, Tochter Henry I’s und Cousine König Stephens, die Countess of Anjou und kurzzeitige, selbsternannte Kaiserin von England

    Geoffrey Plantagenet*, ihr Gemahl und der Count of Anjou

    Henry Plantagenet*, ihr ältester Sohn, später Henry II, König von England und der Normandie

    Robert of Gloucester*, Mauds Halbbruder und Unterstützer im Erbfolgekrieg zwischen ihr und Stephen, der Earl of Gloucester

    Im Norden

    Ranulph de Gernon*, der Earl of Chester

    Richard de Gray, ein enger Vertrauter des Earl of Chester

    Bernar Fitz Gawain, ein weiterer Vertrauter des Earl of Chester

    William (Will), Richards Kammerdiener auf Chester Castle

    Blanche, eine Küchenmagd auf Chester Castle

    Agnes, ihre verstorbene Vorgängerin

    Robert Brandon, ein erfolgreicher Kaufmann aus Blackpool

    Hugh Bigod*, der Earl of Norfolk

    Philip de Harcourt*, der Dekan von Lincoln, Beaumont und Bischof von Bayeux

    Im Süden

    Katherine (Kate) Bennet, frühere Hofdame von Königin Matilda und beste Freundin von Jane Herlewin

    Brian Fitz Count*, der Lord of Wallingford, Berater von Henry I, Stephen und später Maud

    Miles de Gloucester*, der Earl of Hereford, Lord High Constable of England, Kommandant der königlichen Armee, Master of the Horses, Vorsitzender des Adels- und Ehrengerichts

    Aubrey de Vere*, der Earl of Oxford und Lord High Chamberlain

    William de Vere*, sein jüngerer Bruder, Lord High Chancellor und Lord Siegelbewahrer

    Adelelm*, der Bischof von Salesburry und Lord High Treasurer

    Percy Fitz Gerome, Edwin ap Hywels persönlicher Bote am königlichen Hof

    Anne, Tochter des königlichen Hufschmieds

    Roger de Beaumont*, der Earl of Warwick

    Gundred de Warenne*, seine Gemahlin, die Countess of Warwick

    William de Beaumont*, ihr gemeinsamer Sohn

    Lady Annabelle, de Grays Gemahlin und langjähriger Gast auf Warwick Castle

    Marie, ihre Tochter, lebt seit ihrer Geburt auf Warwick Castle

    Geoffrey de Mandeville*, der Earl of Essex

    Adriana, eine alte Schneiderin aus London

    SCHOTTLAND

    David I*, König von Schottland

    Henry*, sein ältester Sohn

    Ein namenloser Bote, der als Spion für den schottischen König in Ranulph de Gernons Kämpfertruppe eingeschleust wurde

    Erster Teil

    Oktober 1140 – September 1141

    Erstes Zusammentreffen

    Caedwynn, Oktober 1140

    „Owain, Owain! Sie ist da!" Katherine stand plötzlich in mitten des Arbeitszimmers ihres Gemahls, der sich gemeinsam mit seinem Bruder Rhys bis eben gedankenversunken über den in der Mitte stehenden, großen, mit Schnitzereien verzierten Tisch gebeugt hatte, und stirnrunzelnd auf die dort ausgebreiteten Pergamente geblickt hatte. Er hasste diesen Teil seiner Aufgaben, denen er als Count of Caedwynn nachkommen musste, und war immer wieder dankbar, dass sein jüngerer Bruder die Verwaltung und Buchhaltung für ihn übernahm. Besonders an Tagen wie diesen, an denen es darum ging, die Erträge und Ausgaben der vergangenen sechs Monate zu ermitteln, wurde ihm wieder vor Augen geführt, wie sehr er Rhys brauchte. Sie hatten sich schon immer bestens verstanden, weshalb es nicht verwunderlich war, dass keiner von ihnen je zögerte wenn es darum ging, dem anderen zu helfen. Sie schätzten einander seit Kindertagen an, und auch wenn Owain oft ein schlechtes Gewissen hatte, weil er dachte, er würde seinem etwas mehr als zwei Jahre jüngeren Bruder zu selten zeigen, wie unverzichtbar er auf Caedwynn Castle geworden war, so wusste er doch, dass jener seine Zuneigung und sogar Bewunderung spürte. Ja, Owain bewunderte ihn für dessen Wissen und Talent im Umgang mit Zahlen oder der Verwaltung der Grafschaft. Während ihm solche Dinge wie Pachteinnahmen, Ernteerträge oder die Ausgaben des Küchenpersonals Kopfschmerzen bereiteten – er konnte sich einfach keinen Überblick über alle anfallenden Posten verschaffen –, schien Rhys die meisten Zahlen im Kopf zu haben. Für ihn bestand die Burg mit samt den Ländereien von Caedwynn aus Listen und Rechnungen, während Owain dies alles mit den Augen eines Kriegers sah, der jeden möglichen Schwachpunkt sofort erkannte, um diesen unmittelbar zu beseitigen, sodass es keinem Feind möglich wäre, in Caedwynn Castle oder dessen Wälder einzudringen.

    Man konnte von diesen beiden Männern nicht behaupten, dass sie in sich grundverschieden waren, doch auch nicht, dass sie sich in allen Charaktereigenschaften ähnelten, wie es sich häufig mit sich nahestehenden Geschwisterpaaren verhielt. Der größte Unterschied war, dass Owain, neben der Tatsache, dass er, als erstgeborener Sohn von Gruffydd ap Anarad und Eirlys ferch Maredudd, nach des Vaters Tod vor knapp sechs Jahren dessen Position übernommen hatte und nun der Count of Caedwynn war, sich mit den Jahren zu einem ausgezeichneten Kämpfer und Strategen entwickelt hatte, wohingegen Rhys als talentierter und fähiger Verwalter fungierte. Allerdings war es nicht so, dass der Jüngere ein ungeschickter Kämpfer war oder gar lieber eine Feder, statt eines Schwertes in Händen hielt. Er war durchaus gewillt zu kämpfen, wenn es die Situation erforderte. Auch würde er einem Konflikt niemals aus dem Weg gehen, sollten seine Familie oder Freunde in Gefahr sein. Dies war eine Gemeinsamkeit der beiden Waliser. Loyalität den eigenen Freunden und Verbündeten gegenüber gehörte zu ihren Charakterstärken. „Begegnet euren Freunden stets mit Respekt und zeigt ihnen eure Loyalität, auf dass sie sich eines Tages daran erinnern werden und euch in der Not ihrerseits beistehen werden", hatte ihnen ihr Vater bereits in jungen Jahren eingebläut. Diesen, und viele ähnliche Ratschläge, hatten sie im Laufe ihrer Kindheit verinnerlicht, weshalb es nicht überraschend war, dass diese Werte fortan eine zentrale Rolle für Owain und Rhys gespielt hatten.

    Einen kleinen Unterschied hinsichtlich der Einstellung dem Kampf gegenüber gab es jedoch. Während Rhys das Schwert nur erhob, wenn es unbedingt notwendig erschien – nach ausführlicher Prüfung aller alternativen, vor allem aber gewaltfreien Optionen –, konnte es bei Owain hin und wieder vorkommen, dass er sich von einem Feind provozieren ließ, woraufhin er dann etwas aufbrausend, gar herausfordernd werden konnte. Im Grunde war er jedoch immer sehr ruhig und gelassen, war er sich seiner Verantwortung als Count of Caedwynn doch durchaus bewusst. Der Schutz der Bewohner hatte oberste Priorität für ihn. Unter keinen Umständen würde er sie unnötigen kriegerischen oder sonstigen Gefahren aussetzen, wenn es sich vermeiden ließe. Daher war er stets wachsam und vorbereitet, und beratschlagte sich zudem regelmäßig mit Rhys sowie deren Schwager Edwin über die momentane Situation in Wales oder dem politischen Geschehen bei ihren Nachbarn in England. Zudem tauschen sie sich über mögliche geplante Vorhaben der anderen Counts und englischen Earls aus, die ihnen zu Ohren kamen, um auf die jeweilige aktuelle Lage reagieren zu können. Sie waren einfach ein gutes Team, welches sich in den letzten Jahren stets aufs Neue bewehrt hatte.

    Rhys hatte Owain gerade von den zunehmenden Kosten der Renovierung des alten Burgturms berichtet, welcher nach einem Blitzeinschlag im letzten Sommer fast komplett abgebrannt war und seit einigen Wochen wieder aufgebaut wurde, der durch eine neuere Bauweise stabiler werden sollte, was die Materialkosten um einiges steigen ließ, als Kate das Zimmer betreten hatte. Beide Männer, der eine achtundzwanzig, der andere sechsundzwanzig Jahre alt, blickten von den Papieren auf.

    Lady Katherine Bennet, eine Engländerin aus Essex, lebte bis vor einigen Monaten noch am englischen Königshof, bis sie das Schicksal zunächst nach Cardiff und schließlich zu Owain geführt hatte. Nachdem sie sich ein Jahr zuvor, im Sommer, bei einem Bankett auf Cardiff Castle zum ersten Mal gesehen und auf Anhieb ineinander verliebt hatten, hatten sie im vergangenen August geheiratet. Die drei Jahre jüngere Kate, wie sie von ihren Freunden und Owain genannt wurde, hatte sich mittlerweile sehr gut auf Caedwynn Castle eingelebt, und war nicht nur ihrem Schwager Rhys ans Herz gewachsen. Mit ihren leicht gelockten, langen, braunen Haaren, den grün-braunen Augen mit den buschigen Augenbrauen, ihrer filigranen Nase und den roten Lippen verzauberte sie nicht nur ihren Gemahl immer wieder aufs Neue. Sie war eine schlanke und sehr elegante Frau, die mit ihrer familiären Art die Herzen der Bewohner ihrer neuen Heimart im Sturm erobert hatte. Owain war stolz, solch eine Frau an seiner Seite zu haben.

    „Sie ist da", wiederholte Kate und ging auf die Brüder zu.

    Bei ihrem Anblick musste Owain schmunzeln. Es kam sehr selten vor, dass seine Gemahlin solche, fast kindliche Begeisterung zeigte. Für gewöhnlich war sie sehr darauf bedacht, ihre Emotionen zurückzuhalten, wie sie es am Hofe des Königs während ihrer Zeit in London gelernt hatte. Er schätzte diese Eigenschaft an ihr, da es ihr etwas sehr erwachsenes, ja gar majestätisches verlieh. Und doch erfreute es ihn jedes Mal, wenn ihre Freude über etwas so groß war, dass es sie ihr höfisches Verhalten für kurze Zeit vergessen ließ. Allerdings hielten diese seltenen Momente nie lange an, da sie sich schnell an diese Formen zurückerinnerte und wieder ihre gewöhnliche Haltung annahm. So auch diesmal.

    Kaum hatte sie das leichte Zucken seiner Mundwinkel bemerkt, zwang sie sich innerlich zur Ruhe und faltete die Hände vor ihrem Körper. Sofort veränderte sich ihre Haltung; Sie stand aufrecht, ihr Rücken durchgedrückt, die Schultern leicht nach hinten und das Kinn etwas erhoben – eine typische Pose für eine Edelfrau. Sie demonstriert Anmut, Selbstvertrauen und Selbstbeherrschung. Besonders Letzteres war in ihren Augen im Moment das Wichtigste. Nicht, dass ihr Gemahl es erbost hätte, oder er es sonst in irgendeiner Weise missbilligte wenn sie ihre Begeisterung zeigte. Im Gegenteil, Kate wusste, dass er diese „Fehltritte" stehst genoss – besonders, wenn ihr dies in Anwesenheit anderer passiert, da so die Anderen nur für ein paar Sekunden einen Teil von ihr sahen, den sonst nur er kannte. Nur bei ihm ließ sie sich gelegentlich dazu hinreisen, ihre Selbstbeherrschung abzulegen und ihm offen ihre tatsächlichen Empfindungen zu zeigen. Dies war für ihn das größte Zeichen des Vertrauens und der Liebe, das sie ihm geben konnte.

    Sie sah die beiden an und fragte mit wieder völlig ruhiger Stimme: „Begleitet ihr mich nach unten und heißt sie auf Caedwynn Castle willkommen?"

    Owain war dankbar für jede Ablenkung, nachdem er und Rhys nun schon seit dem frühen Morgen über den Dokumenten gebrütet hatten, und richtete sich ächzend auf. „Es wird mir eine Ehre sein unseren Besuch als Count of Caedwynn willkommen zu heißen, sagte er, wobei er seiner Frau ein strahlendes Lächeln schenkte. „Immerhin ist sie eine langjährige Freundin von dir und ich freue mich schon sehr darauf, die junge Lady endlich kennen zu lernen von der du mir schon so viel erzählt hast.

    Kate nickte. „Schön. Ich bin mir sicher, ihr werdet euch sehr gut verstehen, und nicht nur, weil sie deine Meinung über den Earl of Chester teilt."

    Rhys, der schon wieder in die Auflistungen vertieft war, murmelte, ohne seinen Blick dabei zu heben: „Dann ist sie erst recht ein Ehrengast auf unserer bescheidenen Burg."

    „Nun kommt, sagte Kate ungeduldig und streckte ihrem Gemahl die rechte Hand entgegen. „Wir sollten Lady Jane nicht länger warten lassen. Nicht, dass sie am Ende noch denkt, wir hätten ihre Ankunft vergessen. Und gemeinsam mit den beiden Männern verließ sie das Zimmer, hinab in Richtung Burghof, um Lady Jane zu begrüßen.

    ***

    Lady Jane Herlewin war siebzehn Jahre alt gewesen, als sie die Möglichkeit bekam, an den englischen Hof von König Henry zu gehen, um dort für einige Jahre zu leben. Ihr war stets bewusst, dass dies eine große Ehre war und nicht als selbstverständlich angesehen werden konnte – zumindest nicht für jemanden ihrer Herkunft. Jane und ihre Familie waren Normannen. Keiner ihrer Verwandten oder Vorfahren hatten je zuvor in England gelebt. Doch irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie dort hin gehörte. Schon seit ihrer Kindheit fühlte sie sich mit diesem Land, dessen Geschichte und Traditionen so viel mehr verbunden, als mit ihrer normannischen Heimat. Sie liebte ihre Familie und war stolz auf ihre Herkunft, aber da war immer diese Sehnsucht nach dem anderen Land. Einige Jahre bevor sie ihren Traum verwirklichen konnte und nach Westminster Palace eingeladen wurde, heiratete ihre ältere Schwester Margarete Robert Brandon, den Sohn eines wohlhabenden englischen Kaufmannes, der mit seiner Familie im Norden Englands, nahe der schottischen Grenze lebte, wo er mittlerweile eine eigene Schiffsflotte besaß. Die Familie lebte viele Jahre in Frankreich – in Paris, um genau zu sein –, wo sich er und Margarete auch kennen lernten. Die Herlewins selbst lebten zwar in Rouen, von wo aus ihr Vater, ebenfalls ein erfolgreicher Kaufmann, regen Handel (nicht nur mit den umliegenden Regionen, sondern auch weiten Teilen Frankreichs) trieb. Im Laufe der Zeit hatte sich Rénier Herlewin einen Namen machen können, was ihm Zutritt zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft verschafft hatte. Dank dieser glücklichen Entwicklung war es ihm und seiner Frau Allyson möglich, ihren beiden Töchtern eine gute Ausbildung zukommen zu lassen. Sie konnten nicht nur Lesen und Schreiben, sondern zeigten beide ein gewisses sprachliches Talent, sodass die Schwestern mehrere Sprachen fliesend beherrschten. Aus diesem Grund begleitete Margarete ihren Vater eines Tages nach Paris, wo er hoffte, einige nützliche neue Kontakte knüpfen zu können. In Paris trafen viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern aufeinander. Somit war ihm wohler bei dem Gedanken, seine sprachgewandte Tochter an seiner Seite zu haben, um mit potentiellen Händlern ins Gespräch kommen zu können. Dort traf sie, im Haus eines Pariser Bischofs, auf Robert, der seinerseits seinen Vater zu seinen geschäftlichen Treffen an diesem Tag begleitete. Wie Jane später auf Nachfrage von ihrer Schwester erfuhr, fand die ältere ihn sofort interessant. Ob höhere Gewallt oder reiner Zufall; auch er fühlte sich direkt zu ihr hingezogen. Nach einiger Zeit, in der sie sich gelegentlich zu ausgedehnten Spaziergängen getroffen hatten und in regem Briefkontakt miteinander standen, hielt er schließlich um ihre Hand an. Noch am Tag der Hochzeit brachen sie gen England auf, wo sie ihr gemeinsames Leben in Blackpool, im Norden des Landes, beginnen würden. Sie freute sich auf diesen neuen Lebensabschnitt, zumal Roberts Familie in England die beiden bereits freudig erwarteten, sodass ihr der Abschied nicht all zu schwer fiel.

    Margaretes Briefe an Jane, die sie ihr in regelmäßigen Abständen schickte (natürlich auf Englisch, damit Jane den Gebrauch dieser, ihrer Meinung nach wunderschönen Sprache nicht verlernte) schürten ihre Begeisterung für dieses Land nur noch mehr. Sie beneidete ihre Schwester geradezu um diese Gelegenheit. Insgeheim hoffte sie, ebenfalls eines Tages einen reichen englischen Edelmann zu treffen, der sie heiratete und mit in seine Heimat nehmen würde. Diesen Traum hegte sie immer noch, nach all den Jahren.

    Als sie dann durch glückliche Umstände, sowie einige Kontakte hochrangiger Herren und Damen, die Möglichkeit bekam, für einige Jahre am Hof in Westminster zu leben, konnte Jane ihr Glück kaum fassen. Natürlich war sie unglaublich aufgeregt und hatte Angst, sich dort falsch zu verhalten (etwas, das in diesen Kreisen fatale Folgen haben konnte, wie sie nur all zu gut wusste), immerhin war sie gerade einmal siebzehn. Doch die Freude überwog, und so begann sie im Juni 1134 ihr neues Leben in England.

    Während der ersten Wochen im Palast lernte Jane Lady Katherine Bennet kennen, die ihrerseits für ein paar Jahre dort leben sollte. Seit dieser Zeit verband die beiden Frauen ein sehr enges Band der Freundschaft, das nun seit mehr als acht Jahren bestand. Sie kannten den jeweils anderen besser als niemand sonst, sogar besser, als die eigenen Familienmitglieder oder – wie in Kates Fall – ihr Ehemann. Die zwei Hofdamen vertrauten sich einfach alles an, jedes Geheimnis, jede Sorge, alle Ängste oder Freuden. Das war allerdings nicht von Beginn an der Fall. Diese besondere Vertrautheit entwickelte sich mit den Jahren ihrer Freundschaft, weshalb sie diese um so mehr zu schätzen wussten, und daher auch gewissenhaft pflegten. In Kates siebten Jahr im Dienste der englischen Königin unterbereitete ihr eine walisische Edelfrau aus Cardiff, Lady Gwenllian ferch Maddog, bei einem offiziellen Besuch im Palast, das Angebot, sie auf ihre Burg zu begleiten. Kate zögerte zunächst, beschloss dann aber doch, diesen unerwarteten Weg zu gehen – sie hatte ja nichts zu verlieren. Außerdem bestärkten sie sowohl Jane als auch ihre Herrin, Königin Matilda, sie in diesem Vorhaben, was der klugen Engländerin das nötige Selbstvertrauen gab, jenen Schritt zu wagen. In Cardiff lernte sie ein paar Monate später dann Owain ap Gruffydd, den Count of Caedwynn bei einem Bankett kennen, und verliebte sich in den gut aussehenden Lord mit den blonden, kinnlangen Locken, dem ebenso blonden Bart und den grünen sanften Augen (so war zumindest Kates Beschreibung dieses Walisers in ihren Briefen an Jane). Dieser positive Eindruck musste wohl auf Gegenseitigkeit beruht haben, denn laut Kate begannen die zwei sich daraufhin näher zu kommen, zunächst in der Form reger Korrespondenz über einen längeren Zeitraum, da Owain nach dem besagten Bankett wieder zurück nach Caedwynn reiten musste, um dort wichtige Dinge zu regeln. Etwas später dann lud er sie zu einem Besuch auf seiner Burg ein, unter dem mehr oder weniger glaubwürdigen Vorwand ihr mit Caedwynn einen anderen Teil Wales zeigen zu wollen. Dennoch kam es für Kate überraschend, als der Count am Vorabend ihrer Abreise um ihre Hand anhielt und sie bat, für immer auf Caedwynn Castle zu verweilen. Vor Freude und Rührung vollkommen überwältigt versagte ihr die Stimme, weshalb sie ihm lediglich mit einem Kopfnicken antwortete. Kurz darauf wurde auf Ceaddwynn Castle Hochzeit gefeiert.

    Jane bedauerte damals, dass sie diesem besonderen Tag im Leben ihrer Freundin nicht beiwohnen konnte, wo sie doch, dank Kates ausführlicher Briefe, beinahe das Gefühl hatte, immer an ihrer Seite gewesen zu sein während der Zeit, in der sich diese beiden Menschen verliebt hatten. Auch Kate war darüber sehr betrübt gewesen und versprach Jane, sie könne sie und ihren Gemahl jederzeit auf Caedwynn Castle besuchen kommen. Und gerade jetzt brauchte Jane nichts dringender, als ihre Freundin und einen Ort, an dem sie Zuflucht finden konnte. Nach den letzten Wochen und Monaten am königlichen Hof, in denen ihr so vieles widerfahren war und ihr bis dahin farbenfrohes Bild von England, welches sie seit ihrer Kindheit in ihrem Herzen hatte, sich zu einer schwarzen Leinwand zu wandeln begann, schien die Reise nach Wales wie ein heller Hoffnungsschimmer zu sein.

    ***

    Als Kate, Owain und Rhys hinaus auf den Burghof traten, um ihren Gast zu begrüßen, schlug ihnen der Lärm einer kleinen aufgebrachten Menschenmenge entgegen, die sich um Lady Jane und ihr Pferd versammelt hatten (sie reiste ohne jegliche Begleitung, was nicht nur besonders gefährlich für eine Frau war, sondern auch äußerst unüblich für Menschen ihres Standes). Die einfach gekleideten Männer warfen ihr wüste Beleidigungen an den Kopf. Natürlich war ihnen sofort aufgefallen, dass diese Dame keine Waliserin, sondern Normannin war, was sie dazu veranlasst hatte, ihrer Abneigung gegenüber dieser Herkunft deutlich Ausdruck zu verleihen – selbstverständlich auf Walisisch. So eine wie sie hatte in ihrem Land nichts zu suchen, zu stark waren die Erinnerungen, zu tief die Wunden welche die Normannen hier hinterlassen hatten. Und nun hatte es so eine gewagt, einfach so hier in Caedwynn aufzutauchen und die Bewohner wieder an ihre Leiden zu erinnern? Das konnten sie nicht hinnehmen.

    Die kleine Gruppe, die sich um Lady Jane scharte, war gerade dabei, diese als „Normannenhure zu beschimpfen, als der Count, gefolgt von seinem Bruder und Gemahlin, den Hof betrat. Kaum wurde dieser sich der Szene, die sich ihm dort bot, gewahr, stürmte der Count auch schon wutentbrannt auf die Männer los. Entsetzt über das untypische Verhalten seiner Leute, andererseits aber auch in gleichem Maße erzürnt, ob dieser Respektlosigkeit einer Edeldame gegenüber, drängte er sich mit leichter Gewalt zwischen die aufgebrachte Meute. Nachdem seine erste Ermahnung offenkundig auf taube Ohren gestoßen war, baute sich der Count of Caedwynn nun vor ihnen auf, die Hände in die Seiten gestemmt. Er wollte gerade seine Stimme erheben und diesem unehrenhaften Treiben ein Ende setzen, da hob die Lady ihre Hand und wandte sich der Menge zu. Sie hatte während der gesamten Zeit freundlich lächelnd neben ihrem Pferd gestanden und sich nicht geregt, obwohl sie zweifellos alleine schon am Tonfall der Waliser erkannt haben musste, dass diese weniger erfreut über ihren Besuch waren. Doch nun, nachdem sie nicht nur den Lord, sondern auch die Männer durch ihre Geste zum Verstummen gebracht hatte, öffnete sie den Mund und sagte, immer noch lächelnd und in freundlichem Ton: „Mir scheint, ich bin an Eurem Hof äußerst willkommen, Mylord of Caedwynn. Solch eine stürmische Begrüßung hatte ich schon lange nicht mehr. Aber zugegeben, als „Normannenhure wurde ich bisher noch nicht bezeichnet. Zwar nicht sonderlich kreativ, aber durchaus ausdrucksstark."

    Die Männer, die Lady Katherines Freundin eben noch aus vollem Halse angeschrieben hatten, standen nun mit offenen Mündern da und starrten Jane entsetzt und verwirrt zugleich an, denn sie hatte diese Worte nicht in ihrer Muttersprache gesprochen, sondern in nahezu fließendem Walisisch. Kate wirkte, ähnlich wie Jane, amüsiert, während Rhys sie mit leicht geweitete Augen ungläubig ansah. Owain war unterdessen bereits wieder damit beschäftigt, seine Männer anzubrüllen und vom Hof zu jagen – es gab Momente, da ging es einfach mit ihm durch, und dies war eben solch ein Moment.

    Nachdem sich der Tumult etwas gelegt hatte, trat Kate endlich zu ihrer Freundin und umarmte sie herzlich. „Oh liebste Jane, ich freue mich ja so sehr über deinen Besuch. Es ist schon viel zu lange her, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht und nicht durch die vielen Briefe sehen. Sei herzlich willkommen auf Caedwynn Castle. Sie wandte sich um und wies mit der Hand auf Owain. „Darf ich dir meinen wundervollen Gemahl, den Count of Caedwynn vorstellen?

    Ein wenig außer Atem und mit leicht gerötetem Gesicht vom Anschreien seiner Leute, ergriff er ihre Hand. „Lady Jane Er verneigte sich leicht vor ihr. „Ich hoffe, Ihr entschuldigt diesen unerfreulichen Zwischenfall. Dies war bestimmt keine Begrüßung in unserem Sinne. Ich hoffe, Ihr bedauert Eure Entscheidung, uns hier in Caedwynn zu besuchen, nicht und werdet einige angenehme Wochen in Wales verbringen.

    Seine Frau trat neben ihn und legte ihre Hand beschwichtigend auf seinen Unterarm.

    Jane betrachtete das Paar einen Moment und stellte fest, dass Kate in ihren Beschreibungen von Owains Äußerem nicht übertrieben hatte. Er war von beeindruckender Statur mit offenbar sehr muskulösen Armen und breiten Schultern; ein wahrer Krieger. Die Sommersprossen auf seiner Nase und die freundlichen Augen verliehen ihm jedoch ein weniger hartes Aussehen als sie vermutet hatte. Wie sie da so nebeneinander standen konnte Jane nicht leugnen, dass sie ein wirklich hübsches Paar abgaben.

    „Macht Euch bitte keine Gedanken, Mylord, erwiderte Jane. „Ich bereue meine Entscheidung nicht im geringsten. Offen gestanden, war das noch eine der harmlosesten Beleidigungen. Ich habe mir schon ganz andere Dinge anhören müssen – besonders in den letzten Monaten, fügte sie sanft lächelnd hinzu.

    Und doch war bei diesen letzten Worten ein leiser Schatten über ihr Gesicht gehuscht. Man hätte es wahrscheinlich leicht übersehen können, aber Kate bemerkte es sofort, und noch einem anderen entging die kurze Veränderung in Janes Augen nicht.

    Als Janes Blick auf Rhys fiel, der sie immer noch unverwandt anblickte, stellte Kate ihr diesen als Owains jüngeren Bruder vor, dem Steward von Caedwynn. Wie bereits sein Bruder ergriff auch er ihre schmale, zarte Hand und verneigte sich vor ihr, während sie seine höfische Begrüßung mit einem Knicks erwiderte. Für einen kurzen Augenblick sah er ihr in die grauen Augen, doch sie schien seinen Blick nicht zu bemerken. Er war sich bewusst, dass er, seit er sie dort im Hof hatte stehen sehen, neben ihrem schwarzen Hengst, in diesem schönen dunkelblauen Kleid, unverwandt angesehen hatte. Sie hatte glatte schwarze Haare, die leicht über ihre Schultern fielen, eine feine Nase und sinnliche Lippen. Ihre schlanke Figur mit der schmalen Taille ließ sie sehr elegant wirken und ihre blasse Haut wurde durch die dunklen Haare und hellen Augen besonders betont. Er hatte noch nie eine vergleichbar schöne Frau gesehen.

    Mit leicht hochgezogener Augenbraue blickte Owain zu Rhys hinüber, nachdem Kate Jane bei der Hand genommen hatte und mit ihr in Richtung Haupthalle schritt.

    „Sag mal Bruder, murmelte Owain und zog den anderen etwas beiseite. „Irre ich mich, oder bist du gerade tatsächlich rot geworden, als du ihre Hand ergriffen hast? Er grinste ihn schelmisch an.

    Rhys hingegen, der die Neckereien seines großen Bruders nur all zu gut kannte, verzog keine Miene und blickte ihm direkt in die Augen. „Sagt der Richtige. Dein Kopf sah auch eher wie eine Tomate aus."

    Owain zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Mag sein, allerdings war ich auch immer noch aufgebracht wegen dem Verhalten der Dorfleute." Und er folgte leise lachend den Damen in die Burg.

    Rhys stand noch ein paar Augenblicke lang auf dem Hof und blickte ihnen nach. Dann folgte auch er dem kleinen Grüppchen.

    ***

    Nachdem Kate ihrer Freundin nach deren Ankunft auf Caedwynn Castle zunächst ihr Zimmer gezeigt hatte und Jane die Gelegenheit genutzt hatte, um sich etwas frisch zu machen – es war immerhin ein langer und mehrtägiger Ritt von London bis nach Nordwales –, begaben sich die beiden Frauen hinunter in die große Halle, wo bereits das Abendessen serviert werden sollte. Jane war erst am späten Nachmittag in Caedwynn angekommen, daher war die späte Oktobersonne bereits untergegangen, als sie gemeinsam den großzügigen, mit langen Holzbänken und

    -tischen

    versehenen, steinernen Saal betraten. Kerzen auf den Tischen, sowie zahlreiche Fackeln an den Wänden tauchten die Halle in ein warmes Licht. Der große offene Kamin zur Rechten hatte jegliche Kälte vertrieben. Genau genommen schien es eine der Mägde wohl etwas zu gut mit dem Feuerholz gemeint zu haben, denn kaum hatte Jane einige Zeit in der Halle gestanden, wurde ihr warm. Kate empfand dies ebenso und wedelte sich mit ihrer Rechten etwas Luft zu.

    „Du meine Güte, sagte sie und blickte auf das große flackernde Feuer. „Noch ein Holzscheit mehr und wir können unsere leichten Satinkleider für den Sommer zum Essen tragen. Sie lächelte Jane breit an.

    „Dagegen hätte ich nichts einzuwenden", sagte plötzlich jemand hinter ihnen und beide Damen drehten sich um. Owain und Rhys hatten soeben die Halle betreten.

    Kate legte den Kopf leicht schief, hob eine Augenbraue und sagte an ihren Mann gewandt: „Das glaube ich Euch aufs Wort, Mylord of Caedwynn."

    Dieser grinste breit und nahm seine Gemahlin am Arm. „Wenigstens, fuhr er gut gelaunt fort, „wird sodass Essen nicht gleich kalt. Ich werde Efa aber auftragen, sich für heute nicht mehr um das Feuer zu kümmern. Sie dachte wohl, da wir heute Abend nur vier Leute in dieser großen Halle sind, muss sie ihn etwas stärker heizen.

    Er führte seine Frau an den großen Tisch am Kopfende der Halle. Dabei murmelte er ihr, den Kopf leicht gesenkt, etwas ins Ohr das niemand außer ihnen hören konnte. Doch Owains Blick verriet, dass es sich wohl um ein etwas unzüchtiges Kompliment handeln musste, denn er lächelte Kate dabei spitzbübisch an.

    Jane drehte sich zu Rhys und sah ihn freundlich an.

    Dieser erwiderte ihren Blick, erinnerte sich dann jedoch seiner höfischen Umgangsformen und neigte hastig den Kopf. „Lady Jane."

    Sie konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. Man hatte förmlich sehen können, wie er sich plötzlich im Klaren darüber wurde, dass er jegliche Umgangsformen einer Damen gegenüber vergessen zu haben schien.

    Innerlich schallte sich Rhys einen Narren. Was war bloß los mit ihm? Er war es gewohnt mit hübschen – und weniger hübschen – Damen zu verkehren ohne dabei jemals solch ein Verhalten an den Tag gelegt zu haben. Sie musste ihn für einen unbeholfenen Jüngling halten, der seine Zeit in den walisischen Wäldern verbrachte und den Kontakt zu Menschen nicht gewohnt war. „Jetzt reiß dich mal zusammen, Mann", ermahnte er sich selbst, wobei er zusätzlich seine Schultern straffte, um somit auch äußerlich wieder Haltung anzunehmen.

    Jane hatte den Blick von ihm abgewandt und sah hinüber zu dem Count und der Countess of Caedwynn. Ohne den jüngeren anzusehen, fragte sie: „Es speist also sonst niemand mit uns heute Abend?"

    Rhys, dankbar für jedes Gesprächsthema, nickte. „Ja, Lady Katherine hat ausdrücklich darum gebeten. Sie wollte, dass Ihr an Eurem ersten Abend nur ihren Mann und mich kennen lernt. Sie dachte, es wäre vielleicht etwas zu viel, Euch nach Eurer langen Reise gleich den gesamten Burgbewohnern vorzustellen."

    Während er dies sprach bot er ihr seinen Arm an, in der Absicht, sie zum Tisch zu führen. Kate und Owain hatten bereits Platz genommen und warteten auf sie. Als Count of Caedwynn saß Owain natürlich in der Mitte des langen Tisches, seine Frau zu seiner Linken. Rhys führte Jane zu dem freien Platz neben ihrer Freundin. Er selbst setzte sich neben seinen Bruder. Kaum hatten alle Platz genommen, kam auch schon eine Magd durch die kleine Tür an der Seite der Halle, die ihnen einen großen tönernen Krug mit Wein brachte. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Mädchen um Efa, die übereifrige Magd, die offenbar für das Kaminfeuer verantwortlich war. Nachdem Owain sie darauf angesprochen hatte, entschuldigte sie sich leicht beschämt und um Verzeihung bittend. Sie kam Jane noch sehr jung vor, vielleicht siebzehn, und hatte Mitleid mit ihr. Doch Owain machte eine kurze Handbewegung und sagte, dass sie das nächste Mal einfach lieber ein Stück Holz weniger ins Feuer legen sollte. Mit leicht geröteten Wangen, aber sichtlich erleichtert, verließ das junge Mädchen die Halle.

    Das Essen wurde aufgetragen: ein Eintopf mit großen Fleischstücken, die offenbar von einem Reh oder ähnlichem Wild stammte. Es war ein typisches Essen, wie es in den kalten Jahreszeiten häufig gekocht wurde. In den Burgen war es meist eiskalt, trotz zahlreicher Kaminfeuer und ausreichend dicker Wolldecken. Aber auch die größten Feuer konnten den beißenden Wind, der über das Land zog, nicht daran hindern, durch die unzähligen Ritzen und Spalten der kalten Steinwände zu dringen. Auf Caedwynn Castle war der Wind allerdings noch um einiges stärker und (wenn vielleicht auch nur eingebildet) kälter als in anderen Teilen von Wales. Die Burg lag nämlich nicht nur im Norden des Landes, sondern direkt an der Irischen See. Die Klippe, auf welcher Caedwynn Castle vor langer Zeit erbaut worden war, ragte leicht ins Meer, sodass dessen Bewohner die stürmischen Böen besonders zu spüren bekamen. Selbst im Sommer, während alle anderen Menschen im Land unter der senkenden Sonne zu zerlaufen drohten, kam es vor, dass hier am Abend das ein oder andere Feuer entzündet wurde, um das leichte Frösteln zu vertreiben. Doch gerade in den Wintermonaten schien man die Kälte kaum aus den Räumen vertreiben zu können, weshalb ein dampfender Eintopf immer eine willkommene Mahlzeit war, um so den Körper wenigstens von Innen zu wärmen. An diesem Abend jedoch hätte Owain eine kalte Mahlzeit völlig ausgereicht.

    Der Count of Caedwynn erhob seinen Trinkbecher und alle taten es ihm gleich. „Auf Euch, Lady Jane Herlewin, auf dass Ihr eine angenehme Zeit auf unserer bescheidenen Burg verbringen möget."

    Jane nickte ihm höflich zu und trank einen Schluck. Der Wein war angenehm süß, mit einer leichten Zimtnote, passend für diese Jahreszeit. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Kate nur kurz an ihrem Becher nippte und ihn dann wieder abstellte. Dieser so vertraute Anblick amüsierte die Normannin. „Deine Einstellung gegenüber Wein hat sich also seit deinem Verlassen des Hofes nicht geändert!", stellte Jane amüsiert fest.

    Kate bedachte sie mit einem vielsagenden Blick. „Hast du etwa gedacht, nur weil ich in einem anderen Land lebe, verwerfe ich alle Angewohnheiten und werde zu einer leidenschaftlichen Weintrinkerin?"

    Beide lachten.

    Owain wandte sich an Jane. „Also stimmt es, dass meine Gemahlin Bier und Wein verschmäht? Ich hatte die leise Hoffnung, dass sie dies züchtige Verhalten nur vortäusche, um den Eindruck einer vornehmen Dame zu erwecken. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie noch an unserem Hochzeitstag, unmittelbar nach der Trauung, zum nächsten Weinkrug gegriffen und ihn in einem Zug geleert hätte."

    Jane schüttelte mit einem gespielten Ausdruck des Bedauerns den Kopf. „Tut mir leid Euch enttäuschen zu müssen, Mylord. Eure Frau würde lieber verdursten, als eines dieser Getränke zu sich zu nehmen. Sie blickte ihre Tischnachbarin an und als sie deren ehrliche Heiterkeit sah, fuhr sie fort. „Die Gefahr redselig oder gar anhänglich zu werden, ist Lady Katherine einfach zu groß!

    Das konnte Owain nur bestätigen. Diese Einstellung passte ganz und gar zu seiner Frau. Lady Jane schien sie wirklich gut zu kennen. Ihm war auch nicht der kurze Seitenblick entgangen, den sie ihr während ihrer Erzählung zugeworfen hatte. Es kam ihm vor, als hätte sie sich zuvor erst vergewissern wollen, ob Kate ihr ihr Einverständnis gäbe, diese Eigenschaft von ihr offen zu legen. Er wusste aus ihren Beschreibungen von der Zeit am Hof Henrys und später Stephens, dass die Freundschaft der beiden Frauen ein großes Maß an Vertrauen und Respekt beinhaltete; davon war er gerade selbst Zeuge geworden.

    „Wird an Stephens Hof denn immer noch so viel getrunken oder treiben sie dort auch weiterhin diese Völlerei?", fragte Kate und stützte das Kinn auf ihre rechte Hand.

    Jane seufzte. „Es kommt ganz auf die Gäste an, die der König empfängt. Er nutzt den Wein als Zeichen seines Wohlstandes und ist besonders großzügig damit beim Ausschenken, wenn er weniger erwünschten Besuch hat. Besonders beim Earl of Chester arten die Zusammentreffen meist zu einem Trinkgelage aus. Der König versucht ihn damit zu provozieren. Er will ihm zeigen, dass er mächtiger und reicher ist als dieser engstirnige, verbitterte Ranulph. Sie hielt kurz inne, dann fuhr sie fort: „Leider vergisst der König darüber hinaus, dass diese Mengen an Wein nicht gerade die besten Seiten eines Menschen hervorbringen. Dementsprechend verhalten sich auch seine Gefolgsleute. Der schlimmste von ihnen ist Richard de Gray. Als Ranulphs Vertrauter sollte man eigentlich meinen, er würde sich zurück nehmen und angemessen verhalten, aber dem ist ganz und gar nicht so. Es ist schon eine Schande, wie er sich gebärdet, nachdem er vier oder fünf Becher Wein getrunken hat.

    Kate hatte sie die ganze Zeit unverwandt angesehen, und ebenso wie bereits bei ihrer Ankunft, bemerkte sie auch jetzt den Ausdruck in Janes Augen: irgendetwas stimmte nicht. Ihre Freundin bedrückte etwas. Und diese kaum merklichen Veränderungen in ihrem Gesicht verhießen – dass wusste sie nach all den Jahren – nichts Gutes. Es muss etwas geschehen sein oder noch andauern, worunter Jane offensichtlich litt. Sie musste auf jeden Fall mit ihr reden, am besten gleich morgen.

    Owain bemerkte nichts von all dem, sondern fragte interessiert, ob der Earl of Chester weiterhin mit dem König über seine Besitztümer streiten würde. „Allerdings", gab Jane zurück und Owain und Rhys tauschten Blicke. Der jüngere schüttelte ungläubig den Kopf, während der Count of Caedwynn sogar die Augen verdrehte. Es war mit den Jahren wirklich lächerlich geworden. Ranulph de Gernon, der Earl of Chester, kämpfte seit dem Tod seines Vaters, um dessen frühere Gebiete im Norden, die mit der Zeit nach und nach David, dem Schottenkönig, übereignet worden waren. Nachdem Stephen im Dezember 1135 den Thron des verstorbenen Henry bestiegen hatte, unterzeichnete er im Jahr darauf den Vertrag von Durham, gemeinsam mit David. Da es zuvor zu einigen Kämpfen der Schotten gegen die Engländer gekommen war – David war der Onkel von Maud, der Tochter Henrys und nach seinem Verfügung die rechtmäßige Thronerbin – zwang Stephen seinen Gegner zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages. In dem Wissen, dass ihnen die Engländer überlegen seien, stimmte er diesem Abkommen zu und erhielt damit einige Teile Nordenglands, darunter auch Gebiete des Earl of Chester. Doch nur ein paar Jahre später fiel David erneut in England ein, wurde aber auch diesmal von Stephens Armee zurückgedrängt und erhielt im Gegenzug weitere Ländereien nahe der schottischen Grenze. Bis dahin hatte Ranulph de Gernon sich dies nur widerwillig gefallen lassen. Lediglich schriftliche Beschwerden waren in regelmäßigen Abständen beim englischen König eingelegt worden, in denen der Earl auf den rechtmäßigen Besitz dieser nun verlorenen Gebiete hinwies. Doch Stephen gelang es immer wieder, ihn zu beschwichtigen oder mit kleineren Zugeständnissen zu vertrösten. Als er dann im letzten Jahr allerdings erfahren hatte, dass nun auch noch große Teile Northumbrias an Davids Sohn Henry gehen sollten, war Ranulph außer sich und bereit für seines Vaters Besitztümer zu kämpfen. Owain hatte gehört, dass er sogar geplant haben solle, den jungen Henry, nach einem Besuch am englischen Hof auf dem Rückweg nach Schottland, anzugreifen. Offenbar hatte Stephen davon erfahren, weshalb Schlimmeres verhindert werden konnte. Im Gegenzug (wahrscheinlich, so vermuteten Owain und Rhys, um den Earl of Chester ruhig zu stellen), übereignete der König ihm und seinem Halbbruder William Lincoln Castle sowie weite Teile Lincolns, unter der Bedingung, dass er nun auf seine ehemaligen Gebiete verzichtete und nicht mehr gegen die Schotten kämpfen würde. Damit schien er wohl zufrieden zu sein, denn nach den neusten Gerüchten, verhielt sich Ranulph de Gernon momentan friedlich.

    Im Grunde kümmerte es den Count reichlich wenig, was in England vor sich ging. Natürlich verfolgte er den schon mittlerweile fünf Jahre andauernden Bürgerkrieg, in dem sich die Anhänger Stephens und Mauds in zahllosen Schlachten gegenseitig bekämpften, um den, ihrer Meinung nach rechtmäßigen, Thronfolger von König Henry zu ernennen. Aber die kleineren Streitereien unter den Earls waren nicht von größerem Interesse für seine walisische Grafschaft. Doch der Earl of Chester, einschließlich seine dauernden Kämpfe um jeden Meter seiner Grafschaft, betraf zu einem gewissen Teil auch Caedwynn. Das Gebiet, in dem Owains Familie seit mehreren Generationen lebte, grenzte nämlich zu einem, wenn auch sehr kleinen Teil an Chester. Ranulph und er waren quasi Nachbarn, auch wenn keiner der beiden groß etwas mit dem jeweils anderen zu tun hatte. Er fand es daher ratsam, sich stets über Ranulphs derzeitige Situation zu erkundigen, um so ein Auge auf ihm zu haben. Zugegeben, hatte er ihn vor einiger Zeit noch nicht wirklich ernst genommen und seine Beschwerden bei Hofe albern gefunden, so hatten diese Hartnäckigkeit sowie dessen immer aggressivere Vorgehensweise Owain mittlerweile doch wachsamer werden lassen. Daher war er nun äußerst interessiert an Lady Janes Erzählungen und den anscheinend schon regelmäßigen Besuchen des Earls.

    „Er war allein in diesem Jahr vier Mal am Hof, um den König um eine Unterredung zu bitten", fuhr Jane fort.

    Rhys schnaubte.

    „Zu Ostern blieb er mehrere Tage und wartete darauf eine Audienz bei ihm zu erhalten. Nach vier Tagen ließ er ihn dann endlich zu sich rufen. Das Gespräch schien jedoch nicht so zu verlaufen, wie der Earl of Chester es gerne gehabt hätte. Ich weiß nicht genau, worum es ging oder was der König ihm geantwortet hat, aber de Gernon ist mit feuerrotem Kopf und wutentbrannt vom Hof geritten, unmittelbar nachdem Stephen ihn aus seinem Zimmer geführt hatte."

    Die beiden Brüder nickten, als hätten sie diese Geschichte ebenfalls gehört und Kate lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

    „Er war schon immer ziemlich aufbrausend und ungeduldig, pflichtete die Countess bei und bedachte Jane mit einem vielsagenden Blick. „Ich weiß noch wie er damals, kurz nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages in Durham, am Hof aufgetaucht ist und die gesamte Empfangshalle zusammen gebrüllt hatte, weil man ihn nicht zum König lassen wollte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Schon damals fand ich sein Verhalten mehr als lächerlich."

    Owain ergriff ihre Hand und drückte sie leicht. Schon wieder war er stolz darauf, sie als seine Frau zu haben.

    Nun meldete sich auch Rhys zu Wort. „Er war mal ein ehrbarer Mann, der Earl of Chester. Der Grundgedanke, für die Besitztümer seiner Vorfahren zu kämpfen, ist nobel und anständig, aber man muss auch erkennen können, wann man einen Kampf verloren hat. Niemand kann in diesen Tagen erwarten, dass seine derzeitigen Gebiete auch noch in dreißig Jahren im Besitz der jeweiligen Grafen ist oder an einen anderen übereignet wurden."

    Sie nickten zustimmend.

    „De Gernon hat es einfach übertrieben, sprach er weiter. „Mit seinen ständigen Briefen und Besuchen in Westminster hat er sich zum Gespött der Engländer gemacht. Er sollte sich lieber darauf konzentrieren, Chester, mit den Gebieten, welche ihm noch geblieben sind, aufrecht zu erhalten und ordentlich zu verwalten und verteidigen.

    Der ältere stimmte ihm zu und so sprachen sie noch eine Weile über Ranulph de Gernon und dessen erbitterten Kampf um Chester.

    Während dieser angeregten Diskussion war Jane stets darauf bedacht, das Augenmerk auf den Earl, nicht aber auf seinen Vertrauten, Richard de Gray, zu lenken. Er war der Letzte über den sie momentan reden wollte, außer vielleicht mit Kate. Zudem fürchtete sie, sich nicht mehr unter Kontrolle haben zu können, sondern unter der Last der Ereignisse, die sie seit einiger Zeit mit sich herum trug, zusammen zu brechen. Nein, sie tat alles, um dies zu vermeiden.

    Plötzlich spürte sie Kates Hand auf ihrem Unterarm, als wisse sie von ihren Gedanken und wolle sie durch ihre Berührung beruhigen. Langsam atmete Jane durch die Nase aus. Dann schloss sie für einen Augenblick die Lider, um ihr zu signalisieren, dass es ihr wieder besser ginge, und wandte sich den beiden Männern zu, die sich immer noch angeregt über ihren Nachbarn unterhielten. Dabei betrachtete Jane sie etwas aufmerksamer als sie es bisher getan hatte. Jetzt, da sie direkt nebeneinander saßen, stellte sie fest, dass sich die beiden Waliser äußerlich nur leicht ähnelten. Rhys hatte, im Gegensatz zu Owain, kurzes, leicht strubbeliges schwarzes Haar. Er trug auch keinen Bart und allgemein wirkten seine Gesichtszüge etwas weicher. Die Sommersprossen des Älteren hatte die Natur offenbar nicht an ihn weiter gereicht. Dafür war seine Haut um einiges heller und auch seine Statur wirkte weniger kriegerisch. Nichtsdestotrotz konnte man erahnen, dass auch er muskulös war, was man von einem Verwalter eigentlich nicht erwartete. Die einzige Gemeinsamkeit waren die grünen Augen. „Sanft" hatte Kate ihr Owains Augen damals, nach ihrem ersten Treffen beschrieben. Das traf auf beide Männer zu, jedoch musste Jane sich eingestehen, dass, auch wenn Owain ein wirklich gut aussehender Mann war, ihr Rhys doch eher zusagte.

    Der Steward of Caedwynn bemerkte ihren Blick, der schon seit einiger Zeit auf ihm geruht hatte, und zwang sich, dem Monolog seines Bruders weiterhin aufmerksam zu lauschen. Wie sie ihn ansah. Mit diesen wunderschönen grauen Augen. Als würde sie ihn genau betrachten und gleichzeitig durch ihn hindurch sehen. Nahm sie ihn überhaupt wahr? Schwelgte sie vielleicht nur in Erinnerungen an eine bestimmte Begegnung am Hof? Oder verglich sie womöglich die prächtigen Feste, denen sie bereits beigewohnt hatte, mit diesem kleinen, einfachen Mahl? Ihm wurde plötzlich sehr heiß und er spürte, wie seine Handflächen feucht wurden.

    Jane bemerkte, dass sich auf Rhys’ Gesicht eine leichte Röte ausgebreitet hatte. Ahnungslos ob der wahren Ursache fragte sie sich amüsiert, ob dies wohl vom Wein oder der immer noch unglaublich warmen Luft in der Halle her rührte. Eine dritte Möglichkeit kam ihr nicht in den Sinn.

    Im Laufe des Abends erzählte Jane noch einiges von den wichtigen oder weniger wichtigen Ereignissen am Hof, welche Kate seit ihrem Weggang verpasst hatte. Kate berichtete ihr im Gegenzug von ihrer Hochzeit, wohingegen Owain und Rhys von Wales, den momentanen Konflikten im Land und natürlich über Caedwynn berichteten. Kate schlug ihrer Freundin vor, am nächsten Tag einen ausgedehnten Spaziergang zu machen, um ihr so die Burg und die Wege entlang der Klippe zu zeigen. Jane nahm das Angebot freudig an. Kurz darauf beschloss die kleine Gruppe sich in ihre Gemächer zu begeben; die warme Luft, das Essen, der Wein und der anstrengende Ritt hatten Jane tot müde gemacht. Daher zog sie lediglich ihr dunkelblaues Überkleid aus, legte sich aufs Bett und schlief sofort ein.

    Als Jane am nächsten Morgen erwachte, fröstelte sie leicht und wickelte sich die Wolldecke fester um ihren Körper. Sie trug noch immer lediglich ihr Unterkleid, musste aber offenbar in der Nacht nach der Decke gegriffen haben, die seit ihrer Ankunft auf dem Bett platziert gewesen war. „Ein Glück, dachte Jane bei sich, „sonst läge ich jetzt wahrscheinlich mit Fieber oder Schlimmerem im Bett. Ohne die Augen zu öffnen drehte sie sich auf den Rücken. Sehnsüchtig dachte sie an die wohlig warme Halle von gestern Abend zurück. Unvorstellbar, dass es ihr dort vor ein paar Stunden tatsächlich zu warm gewesen war. Langsam hob Jane die Lider, bevor sie den Kopf in Richtung des Fensters drehte, welches sich zu ihrer Rechten befand. Der Lauf der Sonne war offenbar noch nicht sehr weit fortgeschritten, denn der große, goldene Ball stand so tief, als würde er direkt vor der quadratischen Öffnung stehen. Durch diese abruppte Helligkeit musste die junge Normannin einige Male gegen das Licht blinzeln ehe das leichte Stechen, welches es in ihrem Kopf verursachte, nachließ. Nach kurzem Zögern stand sie auf und trat vor die Butzenscheiben: Sie blickte hinaus aufs Meer, das überraschend ruhig und mit sanften kleinen Wellen gegen die Klippe rollte. Erstaunt stellte sie fest, dass der Himmel und die See übergangslos miteinander verschmolzen. Man konnte nicht ausmachen, an welcher Stelle sich der Horizont befand, denn beides war nur ein leuchtend helles Blau. Sie genoss diesen Ausblick noch für einen Moment, dann wusch sie sich eilig, zog ihr fein gewebtes blaues Leinenkleid über und schnürte es mit geübten Fingern zu, machte sich die Haar und griff dann nach ihrem dicken schwarzen Wollumhang. An der Tür hielt sie kurz inne und betrachtete ihren Schatten, den die herein scheinende Sonne an die gegenüberliegende Wand warf. Meine Güte, war sie wirklich so dünn geworden, oder spielte ihr ihr Schatten nur einen Streich? Dann öffnete sie die Tür und trat hinaus auf den Gang.

    Sie stieg gemächlich die Treppe zur Halle hinab, in der sie auch gestern ihre Mahlzeit eingenommen hatten, wobei sie auf jeden Schritt den sie tat achtete. Diese bereits ausgetretenen, unebenen Steinstufen waren ihr nie wirklich geheuer und ließen ihren Gang unsicher werden. Schon mehr als einmal hatte sie von schrecklichen Stürzen gehört, die einem schnell mal das Genick berechne konnten, nur weil eine Dame in zu großer Hast die Treppe hinunter geeilt war und sich dabei mit ihrem Fuß in ihrem Kleid verfangen hatte. Und besonders bei diesen weniger glatt gehauenen Steinstufen musste man auf jeden Schritt achten, um nicht zu stolpern oder daneben zu treten.

    Während Jane also die Treppe hinunter schritt, darauf konzentriert ihr Gleichgewicht zu halten, überlegte sie, was sie an diesem sonnigen Herbsttag erleben würde. Natürlich war da der versprochene Rundgang durch die Burg sowie das umliegende Gelände von Caedwynn, worauf sich die Normannin bereits freute, aber sie war auch interessiert daran, weitere Bewohner und Freunde von Kate kennen zu lernen. Vor allem wollte sie mehr über die Waliser und deren Traditionen erfahren. Auch wenn ihr erster Kontakt mit ihnen weniger freundschaftlich war, so hatte sie der gestrige Zwischenfall nicht abgeschreckt, sondern eher nachdenklich gestimmt. Die Beziehung zwischen Walisern und Normannen war ihr durchaus bekannt; ja sie konnte deren Misstrauen oder gar Abneigung gegenüber ihrer Landsleute sogar nachempfinden. Es musste schrecklich sein, wenn plötzlich ein fremdes Volk in ein Land eindrang, ganze Familien auseinander riss, Dörfer niederbrannte und gewaltsam die Macht übernehmen wollte. Jane selbst hatte so etwas zwar nie miterleben müssen, aber alleine die Vorstellung von leblosen, blutüberströmten Leibern, die Rauchwolken, die von niedergebrannten Häusern aufstiegen, Kinder die nach ihren Müttern riefen, das Wehklagen der Frauen, die ihre toten Männer im Arm hielten oder mit zerrissenen Kleidern und befleckten Röcken auf der Erde lagen …

    Bei diesem letzten Bild wurde der Kloß in ihrem Hals, der sich jedes Mal bildete, wenn sie sich diese Szenen ausmahlte, fester und sie blieb auf der vorletzten Stufe stehen. „Das muss aufhören!", mahnte sie sich. Gleichzeitig ärgerte sie sich über ihr eigenes Verhalten. Solch emotionale Reaktionen waren untypisch für sie. Egal was in den letzten Monaten in ihrem Leben auch passiert sein mochte, sie würde hier jetzt nicht in Tränen ausbrechen und somit aller Welt zeigen, was in ihr vorging – oder zumindest den Bewohnern von Caedwynn Castle.

    Sie atmete tief durch, nahm die letzten beiden Stufen und wandte sich dann nach rechts, der großen zweiflügligen, hölzernen Tür zur Halle zu. Gerade als sie eintreten wollte, öffnete sich diese und ein Mann trat ihr entgegen. Seine Statur ähnelte der Owains, weshalb Jane sofort wusste, dass sie einem Krieger gegenüber stand. Er hatte rote, kinnlange Haare. Unterhalb seiner grünen Augen sowie auf der recht breiten Nase befanden sich auffällig viele Sommersprossen. Jane schätzte ihn auf Anfang dreißig.

    Der rothaarige Mann begrüßte sie formvollendet und stellte sich ihr als Edwin ap Hywel vor. „Und Ihr müsst Lady Jane Herlewin sein, die Freundin der ehrenwerten Countess of Caedwynn?", fragte er freundlich und betrachtete sie aufmerksam aus seinen hübschen klaren Augen.

    Sie nickte. „Ja Mylord, Ihr vermutet richtig. Die Countess und ihr Gemahl waren so freundlich, mich auf ihre wunderschöne Burg einzuladen, was mir die Gelegenheit gibt, Euere schöne Heimart besser kennen zu lernen."

    „Ah, Ihr wart also noch nie zuvor in Wales?", fragte Edwin ap Hywel interessiert.

    „Nein, leider ergab es sich bisher noch nicht. Ich habe zwar schon einige Reisen unternommen, aber diese beschränkten sich bislang nur auf England, oder natürlich meine Heimart."

    „Nun, entgegnete er mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht, „dann hoffe ich, dass Ihr uns Waliser nach Eurer Rückkehr an den englischen Hof nicht als eine Horde ungehobelter Wilder beschreiben werdet.

    Verwirrt sah sie zu ihm auf (er war gut zwei Köpfe größer als sie).

    Edwin zwinkerte. „Nach den Erzählungen meiner beiden Schwäger, war der erste Kontakt mit unseren Leuten nicht sonderlich herzlich."

    Seine Schwäger? Dann musste Edwin wohl mit Owains und Rhys’ Schwester verheiratet sein, mutmaßte Jane. Merkwürdig, niemand hatte bisher erwähnt, dass die beiden noch weitere Geschwister hatten, nicht einmal Kate. Und warum wurde sie ihr bisher noch nicht vorgestellt? Lebte sie vielleicht, ähnlich wie sie selbst, an einem anderen Ort?

    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und schüttelte leicht den Kopf. „Macht Euch keine Gedanken. Wie ich bereits Euren Schwägern und Lady Katherine versichert habe, nehme ich niemandem diese etwas … stürmische Begrüßung übel. Ich bin mir durchaus bewusst, dass das Auftauchen einer Normannin in Wales keine große Begeisterung bei den Meisten auslöst. Das ist vollkommen in Ordnung und ich empfinde es auch nicht als Angriff meiner Person. Die Menschen in diesem Land haben viel Leid ertragen müssen in den letzten Jahrzehnten, und viele meiner Vorfahren haben einen großen Teil dazu beigetragen. Da ist es nur natürlich, ihrer Wut einmal Luft machen zu wollen."

    Die gesamte Zeit über hatte sie ihn sanft angelächelt und er konnte in ihren Augen erkennen, dass diese Worte aufrichtig gemeint waren. „Eine beeindruckende Frau", dachte er bei sich und fing an zu verstehen, warum Kate diese so ins Herz geschlossen hatte. Sie schien, ebenso wie seine Schwägerin, sehr viel Respekt vor anderen Menschen, und offenbar auch Völkern, zu haben: eine Eigenschaft, die auch er sehr schätzte.

    Er verneigte sich vor ihr. „Dann hoffe ich, dass wir, meine Schwäger, die Countess und ich, in den kommenden Tagen genug Gelegenheiten haben werden, um Euch von der Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit der Waliser zu überzeugen." Damit wandte er sich von ihr ab und schritt in Richtung des Burgportals.

    Jane blickte ihm kurz nach. Das war also Kates Schwager, oder zumindest einer davon (sie wusste bis gerade eben ja nicht mal von der Existenz des einen, also wer weiß wie viele Geschwister und dazugehörige Ehepartner es noch gab). Er erschien ihr sehr nett, wenn man das nach einer so kurzen Begegnung sagen konnte, doch waren ihr seine Augen, oder vielmehr deren Ausdruck, sofort aufgefallen: Egal wie leuchtend grün sie auch waren, man konnte doch deutlich eine tiefe Traurigkeit darin erkennen. Sie seufzte. „Tja, murmelte sie leise vor sich hin, „es scheint völlig egal zu sein ob man Normannin, Engländer oder Waliser ist. Jeder Mensch hat mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen. Dann trat sie durch die immer noch offen stehende Tür hinein in die große Halle.

    Wie schon bereits am Vorabend prasselte auch jetzt ein großes Feuer im Kamin, jedoch war die Luft um einiges angenehmer als noch vor ein paar Stunden. Offenbar schien Efa aus ihrem Fehler gelernt und die Holzscheite weniger großzügig aufgestapelt zu haben. Jedenfalls war die Wärme nun erträglicher. An den langen Holztischen saßen vereinzelt ein paar Herren und Damen, einige Burgbewohner wie Jane vermutete, die sie neugierig ansahen während sie auf den großen Tisch am Kopfende des Raums zuschritt an welchem Kate saß und bereits auf sie zu warten schien. Erleichtert stellte Jane fest, dass die Anwesenden sie zwar von oben bis unten musterten, aber doch freundlich drein blickten und ihr hier und da sogar zur Begrüßung zugenickt wurde. Nicht, dass es für sie tragisch gewesen wäre wenn sie sie mit finsteren Mienen angestarrt hätten, um ihr zu signalisieren, dass sie hier nicht willkommen sei. Sie hatte gelernt, sich solchen Blicken auszusetzen und eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag zu legen, doch war es selbstverständlich um einiges angenehmer, sich an einem fremden Ort willkommen zu fühlen.

    Kate erhob sich und schloss Jane kurz in die Arme, als diese den Tisch erreicht hatte. „Guten Morgen liebste Jane. Ich hoffe, du hattest eine gute Nachtruhe und konntest dich ein wenig von deiner Reise und dem gestrigen Tag erholen?" Sie bot ihr den Platz links von ihr an, auf dem sie bereits schon gestern gesessen hatte.

    „So tief und fest habe ich seit langem nicht mehr geschlafen, sagte sie und setzte sich. „Übrigens habe ich eben deinen werten Schwager kennen gelernt, fuhr sie fort, wobei sie Kate mit hochgezogenen Brauen ansah. „Ich wundere mich, dass du ihn nie in deinen Briefen erwähnt hast, oder das Owain neben Rhys noch weitere Geschwister hat?"

    Ihre Freundin nickte langsam und faltete die Hände in ihrem Schoß. „Ja, das hat einen Grund warum ich dir bisher nichts davon erzählt habe. Owain und Rhys haben noch drei Schwestern: Juliana, Anne und Mary."

    Jane sah sie überrascht an. „Das sind ja englische Namen!"

    „Ja, erwiderte die Countess. „Ihre Mutter, Eirlys ferch Maredudd, gefielen diese Namen schon immer, so erzählt es Owain zumindest. Ihrem Gemahl, der frühere Count of Caedwynn, war damit einverstanden, ihren Töchtern englische Namen zu geben, solange die Söhne, die ja immerhin eines Tages die Verantwortung für deren Familie übernehmen würden, walisische Namen tragen. Als dann das erstgeborene Kind ein Mädchen war, nannten sie es Juliana. Ein Jahr später kam Owain zur Welt und dann Rhys. Drei Jahre darauf bekamen sie dann Anne und nochmals zwei Jahre später Mary. Nach dem Tod der Mutter, Mary war gerade zehn, gingen die beiden Jüngsten ins Kloster, wo sie noch heute leben. Owain und Rhys haben kaum noch Kontakt zu ihnen. Gelegentlich erhalten sie einen Brief von ihnen, aber eine besondere Bindung haben sie wohl noch nie gehabt. Sie scheinen mit ihrem Leben im Kloster zufriedne zu sein, und das akzeptieren ihre Brüder; Sie sollen so leben, wie sie es für richtig erachten. Zu Juliana hatten die zwei allerdings eine sehr enge Bindung. Sie hatten wohl sehr viele Gemeinsamkeiten und teilten dieselben Ansichten. Vor zehn Jahren heiratete sie dann Edwin, der ebenfalls ein sehr gutes Verhältnis zu Owain und Rhys hatte, und immer noch hat! Die Ehe war sehr glücklich, doch aus irgendeinem Grund schien die Natur nicht zu wollen, dass das Paar ein Kind bekommen. Nach fast fünf Jahren wurde Juliana dann doch schwanger, aber im siebenten Monat bekam Edwins Frau plötzlich starke Wehen und begann zu bluten. Die Hebamme tat alles, um Mutter und Kind zu retten, aber Juliana verlor zu viel Blut und starb während der Geburt. Auch dem Kind konnte niemand mehr helfen. Es war offenbar schon Tod noch bevor die Hebamme es holen konnte. Kate machte eine kurze Pause. „Das hat dem armen Edwin das Herz gebrochen, erklärte sie voll Mitgefühl in der Stimme. „… Und ihren Brüdern ebenso. Seitdem ist Edwin wie ein Bruder für sie.

    „Verstehe", sagte diese betreten und nahm einen Schluck Wein. Das war es also. Das war der Grund für diese traurigen grünen Augen: der schmerzliche Verlust eines geliebten Menschen.

    Ein langes Schweigen trat ein, während dem Jane unter dem Tisch nervös mit ihrem rechten Fuß wippte. Solche tragischen Begebenheiten bereiteten ihr stets großes Unbehagen, da sie nie wirklich wusste, wie man sich bei so etwas angemessen verhielt. Drückte man sein Mitgefühl aus, wechselte des Thema oder sprach ein paar tröstende Worte? Für Jane waren alle drei Möglichkeiten schwer umzusetzen. Sie war einfach nicht gut in solchen Dingen. Weder eigene Gefühle zeigen, noch Anteil an denen anderer nehmen fiel ihr schon immer unglaublich schwer. So war sie einfach nicht erzogen worden.

    Unterdes hatte Owains Gemahlin von ihrem leeren Teller, auf den ihre Augen bis dahin geheftet gewesen waren, in Richtung der Tür geblickt, durch welche soeben eine ihr bekannte Person in die Halle getreten war. Das plötzliche Auftauchen des Mannes heiterte nicht nur ihre Stimmung auf. „Nanu, was treibt dich denn um diese späte Stunde hier her? Möchtest du uns etwa Gesellschaft leisten?"

    Zunächst verwundert ob Kates veränderten Tonfall, wollte Jane gerade den Kopf wenden, als der Klang von Rhys’ Stimme ihre unausgesprochene Frage beantwortete. Er war wie aus dem Nichts aufgetaucht und stand nun vor ihrem Tisch.

    „Tut mir leid, liebste Schwägerin, antwortete er kopfschüttelnd, „aber ich suche deinen werten Gemahl. Wir wollten uns eigentlich noch einmal die Erträge der letzten Monate ansehen, doch ich fürchte, er will sich davor drücken – wie immer.

    Beide grinsten.

    „Das kann ich mir sehr gut vorstellen, pflichtete Kate bei. „Sollte er uns auf unserem Rundgang begegnen, werden wir ihn sofort zu dir schicken. Mit diesen Worten erhob sie sich und ergriff Janes rechten Arm. „Ich gehe schnell nach oben und hole meinen Umhang, und danach zeige ich dir unser wunderschönes Caedwynn." Sie eilte hinaus.

    Auch Jane stand auf und richtete das Wort an Rhys. „Nach Lady Katherines Äußerung zu urteilen, scheint Ihr wohl schon seit einigen Stunden mit diesen Erträgen beschäftigt zu sein?"

    Seine Mundwinkel zuckten. „So könnte man es sagen, Lady Jane. Doch leider bin ich heute noch nicht sonderlich weit gekommen, da ich hauptsächlich damit beschäftigt zu sein scheine, meinen Bruder zu suchen. Er drückt sich gerne vor solchen Dingen", fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu.

    Jane musste lachen. „Dann ist es ja gut, dass er Euch hat."

    Rhys wollte gerade etwas darauf erwidern, als Kate zurück in die Halle kehrte. Sie verabschiedete sich von ihm und ging auf ihre Freundin zu, die am Eingang der Halle stehen geblieben war und auf sie wartete. Im Gehen warf sie sich ihren Wollumhang über und verknotete ihn sorgsam unterhalb des Halses, damit sie möglichst gut vor der Kälte geschützt war. An der Tür hielt sie kurz inne und drehte sich noch einmal um. Sie hatte so ein Kribbeln im Nacken gespürt, als würde sie jemand beobachten. Und tatsächlich, als sie sich umdrehte bemerkte sie Rhys’ Blick, der wohl bis eben auf ihr geruht hatte. Für einen kurzen Augenblick erschien ihr sein Blick verträumt, ja vielleicht sogar sehnsüchtig, doch noch bevor sie mit Sicherheit sagen konnte, ob es nur Einbildung war, zog Kate sie etwas ungeduldig am Umhang und sie traten hinaus auf den Burghof.

    ***

    Der eiskalte Wind, der ihnen

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