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Doctor Who Monster-Edition 2: Der fremde Feind
Doctor Who Monster-Edition 2: Der fremde Feind
Doctor Who Monster-Edition 2: Der fremde Feind
eBook359 Seiten4 Stunden

Doctor Who Monster-Edition 2: Der fremde Feind

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Über dieses E-Book

Die Angriffe der Deutschen haben ihren Höhepunkt erreicht. Während die Luftwaffe London bombardiert, beobachtet der Auswanderer Cody McBridge die Bruchlandung einer bedrohlichen, silbernen Sphäre. Er sieht etwas aus ihrem Inneren hervortreten. Die Sphäre muss eine neue Geheimwaffe der Deutschen sein, die irgendeine Fehlfunktion hatte. Was sonst?

Inmitten des Chaos landen der Doktor und Ace und folgen einer Spur, die sie direkt zu versteckten Nazis führt. Zudem begegnen sie einigen sehr alten Feinden …

Ein Abenteuer mit dem siebten Doktor, gespielt von Sylvester McCoy, und seiner Begleiterin Ace.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum13. Juli 2020
ISBN9783966580199
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    Buchvorschau

    Doctor Who Monster-Edition 2 - Bernd Sambale

    Freund

    ERSTER TEIL

    1

    »London, England, November 1940. Drei Monate in diesem verdammten Land und kein Fall in Sicht. Ich wünschte, ich hätte Chicago nie verlassen … doch ich hatte keine Wahl. Zu viele Leute wollten mich aus dem Weg räumen – und zwar für immer. Ein Neuanfang in einem alten Land. Hab mir gedacht, ich könnte im verschlafenen England mal ein bisschen aufräumen. Leider Fehlanzeige. Die Ganoven sind zu langsam und die Bullen zu schnell. Alles nur Kleingaunerei. Die echten Talente sind alle weg, um Nazis zu bekämpfen, oder schmuggeln Eier aus Suffolk ein, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.«

    Cody McBride lehnte sich auf seinem Schreibtischstuhl zur Seite, hob eine Ecke des Verdunkelungsvorhangs an und ließ den Blick über die Dächer von East London schweifen. Die Straßen unter ihm waren dunkel und leer. Er verzog das Gesicht. So sollte eine Stadt nicht aussehen. Er war an geschäftige Passanten gewöhnt, an Lärm und helle Lichter. Und nun kamen Lärm und Licht allein von den Bombern am Himmel – und den Schützen, die sie herunterholen sollten.

    In der Ferne sah er die Spuren von Leuchtgeschossen am Nachthimmel und das unheimliche orange Glühen großer Brände. Jeden Tag starb ein weiterer Teil dieser Stadt, genau wie seine Bewohner, und das machte McBride wütend. Er reckte den Hals, um einen Blick auf die St.-Paul’s-Kathedrale werfen zu können, die sich dunkel vor dem erleuchteten Nachthimmel abzeichnete. Wie lange würde es dauern, bis auch sie nur noch ein Haufen Schutt am Rande einer Londoner Straße war? So wie sie hervorstach, verblüffte es ihn, dass sie den Luftangriffen bisher getrotzt hatte. Er hoffte, dass sie das Ganze überdauern würde. Zu viele Wahrzeichen Londons waren bereits zerstört worden.

    Sein Blick fiel auf den Zeitungsstapel unter dem Fenster. Der Schleicher. Mitten im Chaos hatte sich irgendein Bekloppter daran gemacht, Leute zu zerstückeln. Ein echter Psychopath. Den »Schleicher von Limehouse« nannte ihn die Presse. Seit zwei Monaten zog er eine Spur von ausgeweideten, verstümmelten und auch ansonsten ziemlich übel zugerichteten Leichen durch East London. Selbst der Luftwaffe machte er die Schlagzeilen streitig. McBride fand die ganze Sache wirklich seltsam: Obwohl jede Nacht gnadenlos Bomben vom Himmel regneten, war es dem Schleicher gelungen, die Bevölkerung in Panik zu versetzen. Man musste dem Tod nur ein menschliches Gesicht verleihen, schon wirkte er wesentlich fürchterlicher als alles andere. Die Polizei war weit davon entfernt, den Schleicher dingfest zu machen. Cody McBride hatte es noch nicht einmal versucht. Den Schleicher von Limehouse zu schnappen – das wäre mal ein richtiger Coup! McBride lachte in sich hinein. Aber wie sollte man bloß Fälle lösen, wenn die Nazis immerzu die Tatorte bombardierten?

    Sein Blick ging zur Tür hin, wo oben auf der Scheibe ein Schriftzug prangte: CODY MCBRIDE – PRIVATDETEKTIV. Die Farbe begann bereits abzublättern, obwohl sie kaum drei Wochen alt war. Offenbar waren nicht nur die begabten Verbrecher fortgegangen, um gegen Nazis zu kämpfen – auch talentierte Maler und Handwerker waren dieser Tage schwer zu finden.

    Er ließ den Vorhang los und musterte sein Büro, das im Halbdunkel vor ihm lag. Selbst für seine Ansprüche war die Ausstattung sehr dürftig. Ein paar große Aktenschränke befanden sich an einer Wand, ein frei stehender Safe an einer anderen. Ein paar Trenchcoats und ein Hut hingen an einem Kleiderständer in der Ecke. Daneben stand ein alter Tisch mit einer noch älteren Schreibmaschine darauf. Auf seinem Schreibtisch, einem großen Klotz aus Nussbaum, gab es nichts außer Löschpapier, einem Telefon, einer Flasche Whisky und seinen Schuhen. In den Schuhen steckten seine Füße, die er auf der Tischkante abgelegt hatte – die Flasche daneben war leer.

    Er nahm einen großen Schluck aus dem Glas in seiner Hand, schwenkte den Rest Whisky darin und lehnte sich auf seinem knarrenden, alten Drehstuhl zurück. Während eines Luftangriffs hätte er eigentlich gar nicht hier sein sollen, sondern zusammen mit allen anderen unten im Luftschutzkeller. Er hatte zugesehen, wie die Leute beim Sirenengeheul durch die Straße geströmt waren, um unter der Erde Zuflucht zu suchen, während die Lichter der Stadt eins nach dem anderen erloschen waren. Er hatte auf die Menschenflut hinabgeschaut, sein eigenes Licht gelöscht, den Verdunkelungsvorhang zugezogen und sich dann wieder seinem Besäufnis gewidmet.

    Anfangs hatte er sich noch an die Vorschriften gehalten und auf den Bahnsteigen oder den Treppen der U-Bahnhöfe übernachtet, während die Deutschen London in Grund und Boden bombten. Doch irgendwann hatte er die bedrückende Stimmung, die Nähe so vieler Menschen, denen allmählich die Hoffnung ausging, nicht mehr ausgehalten. Immer mehr Luftangriffe hatte er mit einer Flasche Whisky in seinem Büro im vierten Stock verbracht. Er wusste, dass er damit sein Leben aufs Spiel setzte, aber das war ihm egal – auf diese Weise konnte er wenigstens selbst darüber bestimmen. Es war seine persönliche Partie russisches Roulette mit Hitler und der Luftwaffe. Er hatte schon immer ein eher einsames Leben geführt. Insofern schien es nur passend, wenn er am Ende einen einsamen Tod starb.

    Er fischte eine Packung Lucky-Strike-Zigaretten aus seiner Tasche und zündete sich eine an. Während er zusah, wie der Rauch zur Decke des Büros aufstieg, schüttelte er die Packung. Nur noch zwei übrig. Wenn er diese Nacht überlebte, würde er zu O’Rourke’s oder Mamas Bar gehen und Nachschub besorgen müssen. Er sog den Rauch tief in seine Lungen und hatte den Geschmack von Heimat auf der Zunge. Er dachte an alles, was er zurückgelassen hatte. Um ehrlich zu sein, war das nicht allzu viel: Eine paar Feinde und eine Handvoll gescheiterter Beziehungen. McBride war nie sonderlich gut im Umgang mit dem anderen Geschlecht gewesen. Viele Frauen hatten ihn gemocht, doch nur wenige hatten ihn geliebt. Seine Beziehungen hielten selten lange und endeten immer in Tränen.

    Noch immer konnte er Delores’ Gesicht vor seinem inneren Auge sehen, den Ausdruck auf ihren Zügen, als er das Schiff nach England bestiegen hatte. Sie war eine der wenigen gewesen, denen er wirklich etwas bedeutet hatte. Hätte er sie damals am Pier gefragt, hätte sie ihn auf der Stelle geheiratet. Sie war eine seiner Klientinnen gewesen. Er hatte geholfen, nach einem hässlichen kleinen Erpressungsskandal den Namen ihres Vaters reinzuwaschen. Er hätte Chicago hinter sich zurücklassen und einen guten Job in der Firma ihres Vaters annehmen können – sie hatten es ihm angeboten. Stattdessen war er abgehauen, wobei ihm wohl niemand vorwerfen würde, er hätte sich damit den leichtesten Weg ausgesucht. Er hatte geglaubt, in England sicher zu sein, doch »Sicherheit« war ein relativer Begriff. Vor zwei Monaten hatten die Angriffe begonnen – und McBride hätte an keinem schlimmeren Ort feststecken können.

    Er war unter dem Vorwand hergekommen, dem Freiwilligen-Sanitätscorps beitreten zu wollen, war jedoch bereits ins kriminelle Milieu vorgedrungen, kaum dass er in Southampton von Bord gegangen war. Innerhalb weniger Tage war es ihm gelungen, sich in East London geschäftlich niederzulassen. Der alte Mann, von dem er die Räume mietete, war nicht gerade glücklich darüber gewesen, dass ein Privatdetektiv in seinem Gebäude leben würde, aber McBrides Geld kam ihm sehr gelegen.

    Das dumpfe Donnern einer Explosion, viel näher als zuvor, riss McBride aus seinen Gedanken. Er nahm die Füße vom Tisch und kippte, während er zum Safe hinüberging, den letzten Schluck Whisky runter. Mit geübter Hand drehte er an der Scheibe, bis ein befriedigendes Klicken ertönte und die Tür sich öffnete. Im Inneren befanden sich zwei volle Flaschen, eine mit Whisky, eine mit Sodawasser, daneben vier Kristallgläser. Die Gläser waren teuer, der Whisky nicht.

    McBride stellte das billige Glas, aus dem er getrunken hatte, oben auf dem Safe ab und nahm eins der schicken Gläser und die Whiskyflasche heraus. Er öffnete sie und goss sich einen großzügigen Drink ein. Die Gläser waren ein Geburtstagsgeschenk von Delores gewesen. Außer ihnen hatte er nichts aus Amerika mitgebracht. Er zog ein weiteres Mal kräftig an seiner Zigarette, dann ging er zum Fenster hinüber, schob erneut den Vorhang beiseite und betrachtete das todbringende Feuerwerk am Himmel.

    Er hob das Whiskyglas und spähte hindurch. Der Kristall verwandelte den Tod und die Zerstörung da draußen in ein winziges Kaleidoskop von Licht und Schatten. In seinem betrunkenen Zustand empfand er das Schauspiel beinahe als hypnotisch. Er spürte, wie ihm die Augen schwer wurden.

    Ein gleißendes Leuchten brachte ihn schlagartig wieder zur Besinnung. Er riss das Glas von seinem Gesicht weg und schüttete sich dabei Whisky aufs Hemd. Fluchend rieb er sich die Augen, um mehr erkennen zu können. Das Gleißen ging von einer strahlend hellen Lichtkugel aus, die zwischen Geschossspuren und Rauch über den Nachthimmel fegte und in eine Reihe gedrängt stehender Häuser in der Nähe krachte. Der Einschlag ließ die Fenster des kleinen Büros erzittern. McBride stellte das leere Whiskyglas auf den Tisch und beobachtete, wie das Licht langsam inmitten der Trümmer erlosch.

    »Heilige Mutter …« McBride, plötzlich nüchtern, schnappte sich seinen Trenchcoat und den Fedora vom Hutständer und verließ eilig sein Büro, während er vergeblich versuchte, mit dem Löschpapier vom Schreibtisch sein whiskygetränktes Hemd zu trocknen.

    Er lief ins Freie, warf das nasse Löschpapier in die Gosse und kämpfte verzweifelt um Orientierung. Ein Stück die Straße hinauf fing jemand an zu schimpfen und McBride zuckte zusammen.

    »Machen Sie das verfluchte Licht aus!«, brüllte ein Luftschutzhelfer durch den Briefkastenschlitz eines Reihenhauses. »Es ist Verdunkelung! Wollen Sie ’ne Bombe auf den Kopf kriegen?«

    McBride lief auf ihn zu und zog in der kalten Novembernacht den Trenchcoat enger um sich.

    Der Luftschutzhelfer, ein stämmiger Mann in den Sechzigern mit einem Schnauzbart, richtete sich auf, als McBride die Straße überquerte. »Was machen Sie hier draußen? Es gab noch keine Entwarnung. Warum sind Sie nicht im Schutzraum?«

    McBride hatte keine Zeit zu streiten. »Haben Sie das Ding da oben gesehen?«

    »Was?«

    »Am Himmel. Da hat was geleuchtet.«

    Der Helfer musterte McBride mit leidgeprüftem Blick. Dann schnupperte er laut und rümpfte die Nase. »Sie haben getrunken, stimmt’s?« Er zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus seiner Jackentasche. »Ich werde Ihren Namen aufnehmen müssen.«

    McBride schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Hören Sie zu, Jack. Gerade eben ist was runtergekommen. Ein paar Blocks weiter, glaub ich.«

    Der Helfer schnaubte ungläubig. »Machen Sie sich nicht lächerlich. Wenn eine Bombe so nah bei uns runtergekommen wär, hätte ich das gehört. Und für Sie bin ich nicht Jack, sondern Potter. Colonel T. P. Potter, im Ruhestand.«

    McBride ging allmählich die Geduld aus. »Das war keine gottverdammte Bombe!«

    Potter stupste McBride mit dem Finger hart gegen die Brust. »Ich hab auch ohne Spaßvögel wie Sie, die nur Ärger machen wollen, schon genug zu tun. Und jetzt sagen Sie mir gefälligst Ihren Namen!« In einem der Häuser war plötzlich Licht zu sehen: Jemand hatte den Vorhang zurückgezogen, um zu schauen, wer da auf der Straße Lärm machte. Der Luftschutzhelfer ging darauf los wie ein Jagdhund auf einen Hasen.

    »Licht aus, aber zack! Oder wollen Sie, dass ich Sie melde?«

    Fluchend versuchte McBride, sich neu zu orientieren. Das Ding war östlich von St. Paul’s heruntergekommen.

    »Watling Street«, murmelte er. »Es muss in der Nähe der Watling Street sein.« Er rannte auf unsicheren Beinen durch die verlassenen Straßen und bemühte sich, das Knattern des Gewehrfeuers und den Explosionslärm in der Ferne auszublenden. Die Runde russisches Roulette, auf die er sich eingelassen hatte, war plötzlich ein gutes Stück gefährlicher geworden, als er erwartet hatte.

    Er kam nur langsam voran: Überall lagen Trümmer herum, die noch nicht weggeräumt worden waren. Als er der Stelle näherkam, wo die Lichtkugel niedergegangen war, musste er einige kleine Feuer umgehen. McBride war sich nicht sicher, ob diese Verwüstung durch die Lichtkugel entstanden war.

    Er hielt inne, als sein Blick auf ein pulsierendes Glühen in einer Ruine am Ende einer Reihe zerbombter Reihenhäuser fiel. Vorsichtig bahnte er sich seinen Weg durch die Trümmer. Er kam an einer Kinderwiege vorbei, in der eine Dachschindel lag. Die Ungewissheit, ob dies das Mahnmal eines tragischen Todes war oder das Zeichen eines wundersamen Entkommens, verursachte ihm Übelkeit. Er beschloss, Letzteres anzunehmen: Es gab schon genug Finsternis in seinem Leben. Wankenden Schrittes setzte er seinen Weg fort.

    Bald stand er dort, wo sich mal eine Küche befunden haben musste, und blickte durch eine zum Teil eingestürzte Wand ins angrenzende Zimmer. Vor ihm im Schutt lag eine Kugel, knapp zweieinhalb Meter im Durchmesser. Aus ihrem Inneren drang schwaches Licht hervor. Um sie herum brannte es und gelegentlich krachten Ziegel oder einzelne Balken herab.

    McBride schob seinen Hut zurück und zwickte sich in den Nasenrücken, um seinen Kopf klar zu bekommen. Eine Bombe war das ganz sicher nicht – zumindest hatte er noch nie so eine gesehen. Er nahm seinen Mut zusammen, ging zum sonderbaren Ball hinüber und entdeckte, dass ihm sein eigenes verzerrtes Spiegelbild aus der glatten Oberfläche entgegenstarrte. Er umrundete das Ding einmal und stellte fest, dass es vollkommen intakt war: kein Spalt, keine Risse – nicht einmal irgendwelche Schweißnähte oder Ähnliches, die verraten hätten, wie die Kugel zusammengesetzt worden war.

    Zögerlich berührte McBride die Oberfläche. Überraschenderweise war sie überhaupt nicht heiß. Mutiger geworden, legte er nun beide Handflächen auf die kühle, spiegelnde Oberfläche.

    Es zischte, als würden sich eine Million Colaflaschen öffnen, und dann teilte sich die Kugel in der Mitte. Blendendes Licht brach daraus hervor und beleuchtete die Trümmer wie ein Suchscheinwerfer. McBride taumelte zurück und versuchte vergeblich, mit den Händen seine Augen gegen das gleißende Licht abzuschirmen. Durch einen Schleier von Tränen sah er verschwommen, wie sich im Inneren der Kugel etwas bewegte, doch das Licht in seinem Gehirn wurde heller und heller, bis mit einem Mal gnädigerweise alles dunkel wurde.

    McBride erwachte mit dem schlimmsten Kater seines Lebens. In seinem Kopf wummerte es, als wollte er zerspringen, und sein Mund fühlte sich an, als hätte er stundenlang auf einer Socke rumgekaut. Er atmete zittrig ein und musste unwillkürlich würgen. Der unangenehme Geruch abgestandenen Whiskys hüllte ihn ein wie eine Wolke.

    Zögerlich öffnete er die verklebten Augen. Es war früher Morgen. Gerade ging die Sonne über den zerstörten Gebäuden auf und obwohl sie nicht annähernd so hell war wie der große leuchtende Ball gestern Nacht, brauchte McBride eine Weile, bis er etwas sehen konnte, ohne dass ihm die Augen tränten.

    Vor ihm ruhte die Kugel in ihrem Krater. Oder zumindest das, was davon übrig war: zwei hohle Halbkugeln. Er hörte, wie sich Schritte knirschend über den Schutt näherten. Er versuchte, sich aufzusetzen, bereute es jedoch sofort. Mit einem Stöhnen ließ er sich in den Ziegelhaufen zurücksinken, in den er gefallen war, und verdrehte den Kopf, um zu sehen, wer da kam. Ein Mann kämpfte sich durchs Geröll. Er hatte den Blick auf das fremdartige Objekt geheftet und schien McBrides Anwesenheit kaum zu bemerken.

    McBride runzelte die Stirn. Der Mann war Ende fünfzig und adrett gekleidet, außerdem hatte er eine Aktentasche aus teurem Leder bei sich. Und er wirkte außer sich vor Angst. McBride bewegte sich leicht. Der Mann schrak zusammen und wirbelte zu ihm um. Dann hob er die Hand und deutete auf die Kugel. Sein Mund bewegte sich, aber er brachte keinen Laut heraus. McBride versuchte erneut, sich aufzusetzen, doch der rasende Schmerz in seinem Kopf war zu viel für ihn.

    Er wurde noch etwas schlimmer, als der Klang von Polizeisirenen die Stille zerriss. McBride beobachtete benommen, wie zwei uniformierte Polizisten, die ihre Blechhelme an den Gürtel geschnallt hatten, den Geschäftsmann an beiden Armen packten und rasch beiseite führten.

    Eine Gestalt in einem schlichten braunen Mantel und mit einer Melone auf dem Kopf erschien in McBrides Blickfeld. Er stöhnte und schloss die Augen. Mullen. Von allen Kratern mit seltsamen, leuchtenden, fliegenden Kugeln musste Mullen ausgerechnet in seinen hineinstolpern.

    »Morgen, McBride. Wieder mal als Erster am Tatort, was?« Mullen schnupperte hörbar und verzog das Gesicht, als ihm der überwältigende Whiskygeruch in die Nase stieg. »Ihr Aftershave wird immer billiger.«

    »Genau wie Ihre Witze. Reichen Sie mir mal die Hand.«

    McBride streckte den Arm aus und Mullen half ihm auf die Beine. Der Amerikaner schwankte und Mullen musste ihn stützen. Er war ein sardonischer Ire, kräftig gebaut und etwas untersetzt, und arbeitete als Chief Inspector bei der Staatspolizei. Er und McBride waren sich schon bei mehreren Gelegenheiten über den Weg gelaufen und hatten wenig füreinander übrig. Mullen konnte Privatdetektive generell nicht ausstehen und diesen einen schon gar nicht. Außerdem hielt er nicht viel von Amerikanern irischer Abstammung: Die waren doch alle Fenier. Cody McBride hingegen hätte es gereicht, wenn Mullen ihn hin und wieder einfach mal in Frieden lassen würde.

    Zwei Männer brachten eine Trage über die Ziegelhaufen und wurden von Mullen herbeigewinkt. McBride schüttelte den Griff des Chief Inspectors ab.

    »Ich brauch so was nicht. Mir geht’s gut. Ich bin in Ordnung.«

    Er hob seinen Hut vom Boden auf und klopfte den Staub ab. Auf der Straße hatten die Polizisten damit zu kämpfen, die anwachsende Menschenmenge und die Presse zurückzuhalten. McBride bemerkte, dass der Geschäftsmann ihn mit erschrockenen Augen anstarrte. Nein, nicht ihn. Die Kugel.

    Mullen hatte sich inzwischen einen Weg zu dem seltsamen Ding gebahnt und spähte hinein. McBride stolperte zu ihm hinüber. Das Innere der Halbkugeln war nicht glatt, sondern voller Rillen und anderer Konturen. Von der Gestalt, die McBride in der vergangenen Nacht kurz zu erkennen geglaubt hatte, gab es keine Spur.

    Mullen bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Kommentar dazu, McBride?«

    McBride rieb sich den Kopf und setzte sich den Hut auf, um seine Augen vor der Sonne abzuschirmen. »Nein, aber wenn Sie was rausfinden, lassen Sie es mich wissen. Ich geh nach Hause.«

    Er wandte sich zum Gehen, aber der Chief Inspector packte ihn am Ärmel seines Mantels.

    »Oh nein. Sie stecken bis zum Rand Ihrer blutunterlaufenen Augen in dieser Sache drin. Sie kommen mit auf die Wache.«

    Die beiden Männer starrten sich gegenseitig an und machten sich bereit, eine ihrer unvermeidlichen und langwierigen Auseinandersetzungen zu starten, als plötzlich ein Wagen aus einer Seitenstraße hervorgeschossen kam. Er hielt mit quietschenden Reifen ganz in ihrer Nähe an und mehrere Soldaten sprangen heraus. Sie halfen der Polizei, die Leute zurückzutreiben, und errichteten rasch eine Absperrung rund um die Einschlagstelle.

    Ein junger, dünner Mann mit einem schmalen Schnurrbart und einer makellosen Uniform schritt zwischen den Soldaten hindurch und brüllte Befehle. Als die Menge unter Kontrolle gebracht war, kam er zu McBride und Mullen herüber.

    »Ah, Chief Inspector.«

    Mullen fing McBrides Blick auf und flüsterte: »Ihr Heiligen, bewahrt uns vor dem Militärgeheimdienst.« Lächelnd drehte er sich um.

    »Guten Morgen, Sir.«

    Der junge Mann nickte knapp. »Major Lazonby. Militärgeheimdienst. Ich fürchte, dass Sie hierfür nicht mehr zuständig sind. Militärische Zuständigkeit und so. Und ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass die Sache strengster Geheimhaltung unterliegt.« Er spähte an Mullen vorbei in die offene Kugel. »Innerhalb einer Stunde haben wir das Ding auf einen Laster geschafft und sind verschwunden.« Er sah McBride an. »Ist das der Mann, der die Bombe gefunden hat?«

    »Ja, Sir. Cody McBride …« Mullen machte eine Pause und lächelte. »Privatdetektiv.« McBride scharrte unbehaglich mit den Füßen. Seine Augen waren rot, seine Haare zerzaust, er war voller Schlamm und stank nach Whisky. Er versuchte, wenigstens einen Teil seiner Würde zurückzugewinnen. »Es ist keine Bombe, sonst wäre ich jetzt tot. Ich stand direkt davor, als …«

    Auf der Straße ertönte Geschrei. Die Unruhe hatte sich immer weiter gesteigert, bis die Leute – angestachelt von der Presse – die kümmerliche Blockade aus Polizisten und Soldaten schließlich durchbrachen, um sich die Kugel anzusehen. Mullen und Lazonby brüllten ihren Männern zu, die Ordnung verdammt noch mal wiederherzustellen. Die Reporter rannten umher wie aufgeregte Hühner, kritzelten auf ihre Notizblöcke und machten Fotos. Zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Stunden wurde McBride von einem grellen weißen Licht geblendet, als direkt vor ihm jemand mit einer Kamera auftauchte.

    Gegen Nachmittag war die Einschlagstelle geräumt, nur ein einsamer Polizist war zurückgeblieben. Abgesehen von der sanften Kuhle im Boden deutete nichts mehr auf die sonderbare Kugel hin. Soldaten hatten die beiden Hälften auf die niedrige Ladefläche eines Lasters gehievt und waren davongebraust – mit der storyhungrigen Presse dicht auf den Fersen.

    Mullen hatte McBride in einen Wagen verfrachtet und ihn aufs Revier in Spittersfield gebracht. Dort hatten sie ihn in ein Verhörzimmer gesteckt und ihm miesen Kaffee gebracht. Mittlerweile hatte er drei Tassen getrunken und sich eine Zigarette angesteckt. Seit sieben Stunden war er nun schon hier.

    Mullen überflog den Notizblock, den er vor sich liegen hatte, und lehnte sich mit einem tiefen Seufzer auf seinem Stuhl zurück. »Und das ist wirklich alles, was Sie zu sagen haben?«

    McBride sagte nichts und aschte in seine leere Kaffeetasse.

    Mullen legte eine Waffe auf den Tisch. Eine Automatikpistole, Browning, neun Millimeter. »Und von der wissen Sie auch nichts?« McBride zog noch einmal an seiner Zigarette und schwieg. »Wir können den ganzen Tag so weitermachen, wenn Sie das wollen!« Dann fuhr Mullen etwas freundlicher fort: »Hören Sie, Ihre Waffe interessiert mich nicht. Aber der Militärgeheimdienst ist unheimlich scharf darauf, Sie endlich in die Finger zu bekommen, und die werden es Ihnen nicht so leicht machen. Ich will lediglich eine Stellungnahme.«

    McBride betrachtete den Chief Inspector mit müden Augen. »Mehr hab ich nicht zu sagen. Wenn Sie mir nicht glauben, ist das Ihr Problem.«

    Mullen seufzte und wandte sich zu dem jungen Polizisten um, der neben der Tür stand. »Dixon, rufen Sie meine Frau an und sagen Sie ihr, ich komme heute Abend später.«

    Der verängstigte Geschäftsmann von der Einschlagstelle war nach wie vor völlig außer sich. Er hatte zugesehen, wie der unglückselige amerikanische Privatdetektiv auf den Rücksitz des Polizeiautos geschoben und fortgebracht worden war. Er war geblieben, während die Soldaten die beiden Hälften der Kugel auf ihren Truck geladen und Planen darübergelegt hatten und dann weggefahren waren. Einige Reporter hatten seine Version der Geschehnisse hören wollen, aber er hatte sie wütend abgewiesen, wäre sogar um ein Haar gewalttätig geworden, als einer von ihnen ihn fotografiert hatte.

    Um ihn herum erwachte London allmählich zum Leben, während er nun zu einem großen, sicheren Gebäude im Schatten des Kraftwerks von Southwark eilte. Dem Schild zufolge, das oben am Gebäude angebracht war, befand sich dort PEDDLER ELECTRONIC ENGINEERING – PRÜFUNG UND WEITERENTWICKLUNG.

    Die junge Dame an der Rezeption riss alarmiert den Kopf hoch, als ihr Arbeitgeber in sichtlich aufgebrachtem Zustand an ihr vorbeihetzte. »Dr. Peddler …«

    Er warf ihr seinen Mantel beinahe an den Kopf. »Jetzt nicht, Rosemary. Keine Anrufe heute und ich werde auch niemanden empfangen.« Dann war er in seinem Büro verschwunden und hatte die schwere Tür aus Eichenholz hinter sich zugezogen.

    Erst hier gewann er seine Fassung teilweise zurück. Er schenkte sich einen großen Whisky ein, dann zog er die untere Schublade seines Schreibtischs auf und begann damit, eine Reihe von Briefen und elektronischen Diagrammen durchzusehen. Dann zückte er sein Feuerzeug, zündete die Papiere eins nach dem anderen an und warf sie in den kleinen metallenen Abfalleimer in der Ecke des geräumigen Büros. Er öffnete das Fenster, damit der Rauch sich verziehen konnte, und blickte auf die gedrängt stehenden Gebäude und die Bahngleise hinaus, die den größten Teil des Londoner Südostens ausmachten. Wenn er fertig war, würde nichts mehr übrig sein – nichts würde ihn noch mit diesen … Dingern verbinden.

    Mit noch ein wenig zittrigen Fingern fischte er eine Zigarre aus seiner Jacketttasche, zündete sie an und beobachtete, wie der Tabakrauch sich mit dem Qualm der brennenden Dokumente vermischte. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte er sich wieder einigermaßen wohl in seiner Haut. Das Gefühl verging schlagartig, als er in den Hof der Fabrik hinabschaute. Der Rauch seiner Zigarre blieb ihm im Hals stecken und er bekam einen Hustenanfall. Im Hof stand der Lkw, mit dem die Soldaten die Kugel transportiert hatten. Bevor er sich wieder gesammelt hatte, hörte er ein zaghaftes Klopfen an seiner Bürotür und Rosemary steckte den Kopf herein.

    »Es tut mir leid, Dr. Peddler, aber diese Leute haben darauf bestanden …« Die Tür wurde aufgestoßen und ein kleiner, elegant gekleideter Mann trat ein. Er trug ein unangenehmes Lächeln auf den Lippen, das Peddlers Nervosität erneut in die Höhe schießen ließ, und rieb sich die Hände, als würde er sich auf etwas freuen.

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