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Tizian
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eBook395 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Dieses Buch bietet nicht nur eine kenntnis- und aufschlussreiche Einführung in das Werk eines der größten Maler der Menschheitsgeschichte. Es lädt uns vielmehr zur Entdeckung des faszinierenden Mikrokosmos der venezianischen Kunstwelt ein, in der Tizian lebte und arbeitete. Von seinen frühen Jahren in der Künstlerwerkstatt des Giovanni Bellini über sein Treffen mit Michelangelo bis hin zu seiner Rivalität mit Pordenone – die Geschichte von Tizians Werdegang erzählt auch die Geschichte der einflussreichsten geistigen und künstlerischen Strömung, die Italien je erfasst hat: der Renaissance.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Okt. 2016
ISBN9781780428215
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    Buchvorschau

    Tizian - Sir Claude Phillips

    Tizian (Tiziano Vecellio), Selbstportrait, 1565-1570. Öl auf Leinwand, 86 x 65 cm. Museo Nacional del Prado, Madrid.

    EINLEITUNG

    Tizian, der eigentlich Tiziano Vecellio da Cadore hieß, ist ganz ohne Zweifel einer der größten und einflussreichsten Maler der italienischen Kunst. Zwar mag es sein, dass die seit Jahrhunderten mit Ehrfurcht ausgesprochenen Namen wie Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti uns heute auch geläufiger sind als der Tizians und dass Raffael ihn an ätherischer Schönheit und an Ausgewogenheit zwischen Vergeistigung und handwerklichem Können übertrifft. Doch Tizian spricht vor allem durch die Fülle und die Variationsbreite seines Werks zu uns, durch seine tiefe Menschlichkeit und durch die unvergleichliche Ausdruckskraft seiner Farben. Mit seiner Maltechnik und seiner fast alchimistisch anmutenden Fähigkeit im Umgang mit Farben war er richtungweisend für die gesamte abendländische Malerei bis hinein in die Moderne. Allein schon seine Grablegung Christi im Louvre, die Assunta (Himmelfahrt Mariens), die Madonna der Familie Pesaro und das, was vom Tod des Heiligen Petrus Märtyrer erhalten geblieben ist, reichen aus, seine überragende Position in der Kunstgeschichte unumstößlich zu verankern. Selten nur gelingt es einem Künstler, die Pracht und Fülle seiner bekanntesten Werke auf so sichere und souveräne Weise mit einer Würde und Schlichtheit zu kombinieren, die so verinnerlicht, ja naturhaft gewachsen scheint. Nur ganz wenige Maler des 16. Jahrhunderts haben in gleichem Ausmaß den Lauf der Kunstgeschichte und den Stil ihrer Zeit geprägt wie Tizian, aus dessen großen zeremoniellen Altartafeln eine Leidenschaftlichkeit spricht, deren Übertreibungen allein von dem Streben nach dem vollendeten Ausdruck der Wahrheit beseelt sind.

    Zumindest in der Geschichte der italienischen Kunst muss Tizian als einer der besten und vermutlich sogar als der bedeutendste Maler männlicher und weiblicher Porträts eingestuft werden – und dies, obwohl er sich bei diesem Genre in illustrer Gesellschaft befindet: Leonardo übt auf den Betrachter eine fast unheimlich anmutende, geheimnisvolle Faszination aus und Raffael, Michelangelo, Giorgione und Sebastiano del Piombo sind ebenfalls vortreffliche Porträtisten. Auch Giorgione (eigentlich Giorgio Barbarelli da Castelfranco, weshalb er gelegentlich auch als Barbarelli oder Meister von Castelfranco bezeichnet wird) muss in diesem Zusammenhang unbedingt genannt werden. Was bei ihm vor allem auffällt, ist der poetische Zauber, den seine Modelle ausstrahlen: Trotz seiner sehr realistischen Malweise versteht er es, ihnen eine ausgereifte Schönheit und würdige Erhabenheit zu verleihen. Auch von Lorenzo Lotto sind uns vorbildliche Porträts überliefert, aus denen echte Zartheit spricht, eine gelungene Kombination seiner subjektiven Gefühle mit einer universellen Objektivität, deren Ergebnis äußerst poesievoll wirkt. Doch selbst wenn wir auch anderen Künstlern unsere Bewunderung zollen, so müssen wir doch, wenn wir beim Studium der Kunstgeschichte Gerechtigkeit walten lassen wollen, Tizians Stil in der Porträtmalerei als den kraftvollsten, ausgereiftesten und den herausragendsten anerkennen, allein schon im Hinblick auf die Zahl der Künstler, die ihre Inspiration von ihm bezogen.

    Wenn wir von der Porträt- zur Landschaftsmalerei wechseln, können wir nicht umhin, auch hier wiederum Tizian eine Vorrangstellung einzuräumen. In diesem Genre konnte er sich auf viele renommierte Vorläufer und Lehrer stützen, deren Erkenntnisse und Anregungen er zu einem revolutionären Ansatz synthetisierte. Bis zu Claude Lorrain (1600 bis 1682), der einem viel späteren Zeitalter angehört, gelang es keinem Maler, es Tizian gleichzutun, wenn es darum geht, die Schönheit der Natur in vollkommener Weise wiederzugeben, ohne sich durch eine exakt kopierende Realitätsnähe in Fesseln legen zu lassen. Giovanni Bellini (auch Giambellino genannt, um 1430 bis 1516) bewies bereits mit seinen frühesten, noch in Padua angefertigten Werken – ganz anders als sein berühmter Schwager Andrea Mantegna (1431 bis 1506) – sein großes Talent als Landschaftsmaler. Die atmosphärischen Bedingungen bildeten in Bellinis Kompositionen stets ein wichtiges Element.

    Eine Besprechung von Giorgiones Landschaften führt unweigerlich zum schwierigen, wenn auch faszinierenden Thema seiner zahlreichen verschiedenen Techniken, die auch bei den bekanntesten seiner Werke zur Anwendung kommen und die auf so bewundernswerte Weise die komplexen Stimmungen und Wesenszüge seiner Figuren zum Ausdruck bringen. Doch selbst, wenn wir uns auf die Meisterwerke seiner reifen Jahre konzentrieren, etwa auf sein wunderbares Altarbild von Castelfranco, Die kleine Landschaft mit dem Gewitter, der Zigeunerin und dem Soldaten (Das Gewitter, um 1507/1508)[1] in der Galleria dell’Accademia in Venedig und die Drei Philosophen in einer Gebirgslandschaft (um 1507/1508) im Kunsthistorischen Museum in Wien, so haftet Giorgiones Landschaften noch immer ein kaum merklicher aber nicht zu verleugnender Beigeschmack der spätmittelalterlichen, also der gotischen, Kunstauffassung an.

    Es war Tizian, der in seiner frühen Schaffensperiode die Landschaftsmalerei in der Manier Giorgiones zu ihrer vollen Entfaltung brachte. Man denke an die Allegorie der Lebensalter des Menschen (um 1512), Himmlische und irdische Liebe (1515) und Ländliches Konzert (1500/1510). Nachdem er das Glück gehabt hatte, seine Lehre bei den besten Meistern zu absolvieren, machte er sich daran, diese mit seinen wunderbaren Darstellungen von Erde und Himmel zu übertrumpfen, wie wir dies etwa in diesen Gemälden sehen: Venusfest (1518), Das Bacchanal der Andrier (1518/1520) und Bacchus und Ariadne (1520/1523). Die prunkvollen Kulissen dieser mythologischen Szenen sind durchaus jenen vergleichbar, die den Rahmen für seine trefflichsten Darstellungen der heiligen Familie und der Szenerien mit Maria und Heiligen (sacre conversazioni, also Heilige Gespräche) bilden. Mehr noch als die dramatische Intensität und die akademische Fülle seiner Figuren war es die unheilschwangere Grandiosität der Landschaft, die weit mehr als nur Kulisse ist, die dem Tod des Heiligen Petrus Märtyrer (1528/1530) seinen universellen Ruf einbrachte. Dieselbe intime Beziehung zwischen Landschaft und Figuren spricht auch aus seinem späteren Bild Jupiter und Antiope (Pardo-Venus; 1535/1540) im Louvre; es markiert eine Art Rückkehr zur beschaulichen Ruhe und zum Einssein mit der Natur, die so charakteristisch für den Giorgionismus (ital. Giorgionismo, also Malerei in der Art des Giorgione) ist.

    Tizian (Tiziano Vecellio), Papst Paul III. mit Kamauro, um 1545-1546. Öl auf Leinwand, 105 x 80,8 cm. Museo Nazionale di Capodimonte, Neapel.

    Tizian (Tiziano Vecellio), Portrait des Papstes Paul III. Farnese (ohne Kopfbedeckung), 1543. Öl auf Leinwand, 106 x 85 cm. Museo Nazionale di Capodimonte, Neapel.

    Raffael (Raffaello Sanzio), Papst Leo X. mit den Kardinälen Giulio de’ Medici und Luigi de’ Rossi, um 1517. Öl auf Tafel, 154 x 119 cm. Uffizien, Florenz.

    Tizian (Tiziano Vecellio), Papst Paul III. mit den Nepoten Alexander und Ottavio Farnese, um 1545. Öl auf Leinwand, 262 x 176 cm. Museo Nazionale di Capodimonte, Neapel.

    Tizian (Tiziano Vecellio), Portrait des Kardinals Ippolito de’ Medici, um 1532-1534. Öl auf Leinwand, 139 x 107 cm. Palazzo Pitti, Galleria Palatina, Florenz.

    Auch wenn Tizian weder mit den Talenten des Universalgenies Leonardo da Vinci, der ja keineswegs nur Künstler, sondern daneben auch Anatom, Erfinder, Ingenieur, Mathematiker und Naturwissenschaftler war, noch mit Michelangelo, der außerhalb der Malerei auch als Bildhauer und Architekt Großartiges leistete und mit den verschiedensten Medien umzugehen verstand, oder mit der unersättlichen Neugierde von Albrecht Dürer mithalten kann, so deckte er doch, was die Malkunst anbelangt, mehr Terrain ab als jeder andere Meister des 16. Jahrhunderts. So erwies er sich in mehr als einer Gattung der Malerei als konkurrenzloser Meister, wobei er jedoch die monumentale, dekorative Malerei seinen beiden um einiges jüngeren Rivalen, Tintoretto (1518 bis 1594) und Paolo Veronese (1528 bis 1588), überließ.

    Um neben Tizian ein zweites Beispiel für eine derart meisterhafte Pinselfaktur und gediegene Auffassung zu finden, müssen wir Italien verlassen und uns nach Antwerpen begeben. Der Maler, der hier den Anspruch auf die Bezeichnung des flämischen Tizian erhebt, ist Peter Paul Rubens (1577 bis 1640). In der Tat verdankt er seinem Vorgänger aus Venedig eine ganze Menge, wenn auch weniger als sein Schüler Anthonis van Dyck (1599 bis 1641). Rubens besetzte während der ersten vier Dekaden des 17. Jahrhunderts denselben Thron, den Tizian während der Hochblüte der Renaissance noch wesentlich länger innegehabt hatte. Als Porträtist, mit opulenten, teilweise fast brutalen portraits d’apparat (emblematischen Bildnissen) von Fürsten, Aristokraten und Vertreterinnen weiblicher Schönheit, war er unerreicht, wobei man zusätzlich bedenken muss, dass sich unter seinen Gegenspielern keine Geringeren befanden als van Dyck, Frans Hals (zwischen 1580 und 1585 bis 1666), Rembrandt van Rijn (1606 bis 1669) und Diego Velázquez (1599 bis 1660).

    Das Verhältnis zwischen Rubens und Tizian, die beide zur ersten Garde der Maler der Weltgeschichte gehören, findet sein Pendant in der Beziehung zwischen den beiden Städten Antwerpen und Venedig. Zur Zeit ihrer größten Blüte standen beide Städte hinsichtlich Wohlstand und Lebensqualität an der Spitze der europäischen Städte. An materieller, wenn auch nicht unbedingt an geistiger Kultur, hatten sie alles erreicht, was damals möglich war. Die Realität mit all ihrer Wärme und Wahrhaftigkeit blieb in der venezianischen Kunst immer Realität. Allerdings war es eine Realität, die durch die Methode ihrer Präsentation wahrer, gediegener und großzügiger wirkte. Eine Idealisierung im engeren Sinne des Wortes konnte dem Reiz und der Lieblichkeit einer solchen Umgebung, ihrer Erhabenheit und wundervollen Sinnlichkeit nichts hinzufügen. Denn sie war ohnehin frei von hässlichen Elementen und bedurfte also keiner artistischen Verklärung. Die Kunst selbst konnte bestenfalls einen bestimmten Akzent und die richtige Betonung hinzufügen, einen größeren Geltungsbereich für die Wahrheit oder die Beleuchtung und Farbgebung, die die Schönheit der Natur und die Kraft, den Charakter und die Anmut des Menschen am vollkommensten zum Ausdruck bringen und zu einer wunderbaren Harmonie verschmelzen. Auf genau diese Dinge verstand sich Tizian wie kein zweiter unter seinen großen venezianischen Zeitgenossen, und kein anderer konnte ihm in dieser Beziehung das Wasser reichen.

    Sicher gibt es neben ihm auch andere Maler aus der Lagunenstadt, denen unser Herz und unsere Sympathie zufliegen oder die für einen kurzen Augenblick als hell glänzende Sterne am Firmament aufleuchten. Doch immer wieder ziehen wir Tizian zum Vergleich heran, zwingen diese anderen, sich mit ihm zu messen und gegen ihn zu bestehen, nicht umgekehrt. So ist er ganz eigentlich zum Maßstab nicht nur seiner Zeitgenossen, sondern auch der vielen Maler nach ihm geworden. Giorgione war aus feinerem Holz geschnitzt, man könnte sagen, er hatte eine glücklichere Hand im Kombinieren der malerischen Nuancen und der lyrischen Qualitäten, so dass es keine Epoche in der Kunstgeschichte gibt, in der sein Oeuvre nicht größte Bewunderung hervorgerufen hätte. Doch Tizian, der die Malweise und Auffassung Giorgiones voll absorbiert hatte und seinem Meister und Gefährten in Bezug auf die dichterisch-malerischen Aspekte nicht nachstand, vervollkommnete dessen Stil in einem Ausmaß, das seinem Urheber verwehrt geblieben war.

    Der zwar hoch talentierte, Tizian aber nicht ebenbürtige Sacchis de Pordenone (1484 bis 1539) erreichte in manchen Glücksstunden eine Erhabenheit, die Letzterem erst im ganz hohen Alter vergönnt war. Diese Aussage ist keineswegs nur ein Paradox, wie sich anhand der wunderbaren Madonna del Carmelo in der Galleria dell’Academie in Venedig und der fantastischen Dreifaltigkeit in der Sakristei des Doms von San Daniele in der Nähe von Udine leicht belegen lässt. Doch wer würde es ernsthaft wagen, Pordenone auf eine Stufe zu stellen mit dem Maler der Assunta (Himmelfahrt Mariens), der Grablegung Christi oder des Christus in Emmaus? In seinen glücklichsten Sternstunden ist Tintoretto begnadet und inspiriert, er besticht mit seiner wahrhaft titanischen Größe, auf unerklärliche Weise wirkt er aufwühlend auf den Betrachter und könnte diesem in gewissen Momenten als der größere Künstler erscheinen. Und trotzdem: Wenn man vor die endgültige Wahl gestellt würde zwischen diesen beiden, wer würde nicht Tizian seine Stimme geben als dem größeren und erhabeneren? Und dies, obwohl seine Werke näher an der Realität bleiben, so sehr sie auch Tragödien zum Inhalt haben oder glückliche Begebenheiten aus der Bibel, getragen von menschlichem Geist und irdischem Pathos.

    Als ernsthafte Rivalen Tizians im Bereich der Farbgebung werden gelegentlich zwei aus Verona gebürtige Maler genannt, die sich in Venedig niederließen und deshalb auch der venezianischen Kunst zugerechnet werden: Bonifazio de Pitati (Bonifazio Veronese oder auch Bonifiazio Veneziano; um 1487 bis 1553) und Paolo Veronese (um 1528 bis 1588). Sicher, es wird immer Liebhaber der Malkunst geben, die eine brillante Meisterschaft kontrastierender Farben in schroffer Gegenüberstellung einer verhältnismäßig bescheideneren, vielleicht weniger ins Auge fallenden farblichen Palette vorziehen, die dafür aber subtiler wirkt und eine tiefere und ernsthaftere Farblichkeit zustande bringt. Man könnte auch von einer tiefer verinnerlichten Schönheit sprechen, die möglicherweise weniger betörend und vielleicht nicht ganz so lebensfreudig und erheiternd auf die Sinne wirkt. So erklärte kein Geringerer als Giovanni Morelli (1816 bis 1891), Arzt, Politiker und namhafter Kunstkenner und -kritiker, Bonifazio Veronese/Pitati zum hervorragendsten Koloristen der venezianischen Schule, eine Einstufung, die aufgrund der Bilder Dives und Lazarus (Galleria dell’Accademia in Venedig) und Auffindung des Moses-Knaben (Brera, Mailand) durchaus ihre Berechtigung hat.[2]

    Genau so gut könnte man aber auch Paolo Veronese den Platz des größten Virtuosen unter den Koloristen der italienischen Malkunst zuweisen. Alle seine Vorgänger experimentierten mit farblichen Kombinationen, die zum einen durch ihre pulsierende Leuchtkraft verblüffen, zum anderen jedoch auch ausgesprochen subtil und eher ungewöhnlich sind. Im Gegensatz zu diesen Malerkollegen verstand Veronese es jedoch, den reizvollen Charme beizubehalten und gleichzeitig abrupte Kontraste zu vermeiden. Um dieses Ziel zu erreichen, mäßigte er seine schillernden Farbtöne durch große architektonische Elemente in Grau sowie in die Tiefe gehende kühle, dunkle Schatten und mit Silber durchzogene Brauntöne.

    Tizian (Tiziano Vecellio), Portrait des Pietro Aretino, 1545. Öl auf Leinwand, 96,7 x 77,6 cm. Palazzo Pitti, Galleria Palatina, Florenz.

    Giovanni Bellini, Der Doge Leonardo Loredan, um 1501-1504. Öl auf Pappelholz, 61,6 x 45,1 cm. The National Gallery, London.

    Tizian (Tiziano Vecellio), Portrait des Dogen Marcantonio Trevisani, 1553. Öl auf Leinwand, 100 x 86,5 cm. Szépmüvészeti Museum, Budapest.

    Tizian (Tiziano Vecellio), Selbstbildnis, um 1562-1564. Öl auf Leinwand, 96 x 75 cm. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Berlin.

    Kein anderer Meister der venezianischen Schule hätte die Mystische Hochzeit der Heiligen Katharina (2. Drittel des 16. Jahrhunderts) in der dieser Heiligen gewidmeten Kirche in Venedig, die Allegorie des Sieges bei Lepanto in der Galleria dell’Accademie in Venedig oder die monumentale Hochzeit zu Kana, ebenfalls aus dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts, im Louvre malen können. Gleichzeitig muss jedoch gesagt werden, dass diese Virtuosität, die auf der einen Seite gegenüber Giorgione, Tizian, Jacopo Palma d.J. (1548 bis 1628) und Paris Bordone (um 1500 bis etwa 1570) insofern gewiss einen Fortschritt darstellte, als die Malerei damit den rein dekorativen Standpunkt hinter sich ließ, dennoch ein wenig oberflächlich und neben den nobleren, seriöseren und tieferen, wenn auch vielleicht beschränkteren Methoden Tizians auch ein wenig zu selbstbewusst erscheint. Bei Veronese ist die Farbe in erster Linie ein Werkzeug des Ausdrucks. Ihm ging es vor allem darum, das präsentierte Subjekt mit einer leuchtenden und alles durchdringenden Wahrheit auszustatten. In Übereinstimmung mit dem eigentlichen Prinzip der venezianischen Schule wurde die Farbe nicht als das für dekorative Zwecke übergeworfene Gewand gesehen, sondern, im Gegenteil, als der eigentliche Körper und die Seele des Gemäldes, als sein wahres Wesen.

    Doch wäre es nur ein Zeichen der eigenen Unwissenheit, Paolo Veronese als nichts weiter als einen glänzenden Virtuosen abzutun und so die Tragweite seiner Kunst zu unterschätzen. Er war durchaus in der Lage, gelegentlich die gleiche Stufe von Pathos und dramatischer Leidenschaft zu erklimmen wie die größten Künstler. Allerdings waren dies genau die Gelegenheiten, bei denen er seine Farbe rigoros seinem Gegenstand unterwarf und das Chiaroscuro (den Hell-Dunkel-Kontrast) auf großartig-poetische Weise zu nutzen verstand. Beweise dafür liefert er in seinem großen Altarbild Martyrium des Heiligen Sebastian in der Kirche San Sebastian in Venedig, dem Deckengemälde Der Heilige Franziskus empfängt die Stigmata (heute Kunstakademie in Wien) und der wunderbaren Kreuzigung im Louvre. Und doch ist in diesem zuletzt genannten Werk die Farbe nicht nur auf einzigartige Weise eine Interpretation des gemalten Sujets. Vielmehr überrascht sie auch durch ihre technischen Aspekte, durch gewisse subtile und ungewöhnliche Modulationen und Gegenüberstellungen, die dem handwerklich Interessierten äußerst reizvoll erscheinen und nach denen man bis in das späte 19. Jahrhundert vergebens sucht. In diesem Sinne entzieht sich also unser Meister aus Venedig und Verona unserer Theorie, indem er auf der einen Seite tiefe Rührung und Intensität hervorruft und auf der anderen seine Farben auf bewundernswert dekorative und virtuose Weise einsetzt.

    Was bei ihm jedoch eher seltene Sternstunden sind, war für Tizian und jene, die mit ihm zusammen in einem Atemzug genannt werden, das Leitprinzip ihrer Kunst. Tizian als der größte der venezianischen Koloristen ließ sich nie dazu verführen, seine bravura mit Farbe und Pinselduktus zur Schau zu stellen oder irgendeines seiner Motive (auch wenn dies noch so berechtigt gewesen wäre) als Bühne für ein Schaustück zu missbrauchen. Wenn er als der größte Maler des 16. Jahrhunderts gilt, dann deshalb, weil er als größter Kolorist und als unübertroffener Meister der Pinselführung sein Können in einen würdigen Dienst stellte. Dabei ging es ihm nicht um den Applaus seiner Zeitgenossen und auch nicht darum, Herausforderungen zu bezwingen, die er sich selbst gestellt hatte. Vielmehr war er bestrebt, den dargestellten Sujets – und damit auch seiner Persönlichkeit als Künstler – den vollkommensten und erhabensten Ausdruck zu verleihen.

    Tizian (Tiziano Vecellio), Mann mit Handschuh, um 1520. Öl auf Leinwand, 100 x 89 cm. Musée du Louvre, Paris.

    DIE FRÜHEN WERKE TIZIANS

    Tiziano Vecelli wurde vermutlich zwischen 1488 und 1490 in Pieve di Cadore (im heutigen Südtirol) geboren, das damals zur Republik Venedig gehörte. Er war der Sohn von Gregorio di Conte Vecelli und seiner Ehefrau Lucia. Sein Vater entstammte einer alt eingesessenen, aber nicht sonderlich begüterten Familie namens Guecello (oder Vecellio) des Cadore-Tals. Einer seiner Vorfahren, Ser Guecello di Tommasro da Pozzale, war im Jahr 1321 zum Bürgermeister von Cadore gewählt worden.[3] Der Taufname Tiziano scheint in der Familie seit alters her üblich gewesen zu sein. So gab es auch einen zeitgenössischen Verwandten, Tiziano Vecelli, einen angesehenen Rechtsgelehrten und Angestellten in der Verwaltung von Cadore, der mit seinem berühmten Vetter in Venedig ein freundschaftliches Verhältnis unterhielt. Der Tizianello, der im Jahr 1622 ein anonymes Leben von Tizian (bekannt als Anonimo) der Gräfin von Arundel zueignete und 1650 in Venedig verstarb, war ein Vetter dritten Grades des Malers.

    Tizians Vater, Gregorio Vecelli, war ein tapferer Soldat, der sich im Krieg durch seinen Heldenmut und im Stadtrat von Cadore durch seine Klugheit verdient gemacht hatte, jedoch, so viel wir wissen, weder im Wohlstand geboren worden war noch in der ärmlichen Berggemeinde von Cadore über die Möglichkeit verfügte, zu Reichtum zu gelangen. Im Alter von neun (nach Ludovico Dolce in seiner Abhandlung Dialogo della Pittura) oder zehn

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