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Die Drei Könige: Köln-Krimi
Die Drei Könige: Köln-Krimi
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eBook399 Seiten4 Stunden

Die Drei Könige: Köln-Krimi

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Über dieses E-Book

Sie sind Freunde seit Kindertagen und bereits im Studium erfolg­reiche Musiker. Doch als auf Helgoland ein Mord geschieht, ist ihre Band­karriere schlagartig vorbei. Jahrzehnte später beschäftigen zwei tote Wachleute die Kölner Kripo. Stammen die Täter aus der Drogenszene? Aber was hat dann ein geplanter Kunstraub im Wallraf-Richartz-Museum damit zu tun? Kriminalhauptkommissar Max Harmsen hat alles im Griff, so scheint es. Bis er seinen alten Widersachern begegnet.
SpracheDeutsch
Herausgebercmz
Erscheinungsdatum5. Nov. 2015
ISBN9783870621919
Die Drei Könige: Köln-Krimi

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    Buchvorschau

    Die Drei Könige - Paul Schaffrath

    Autoreninfo

    Winrich C.-W. Clasen, Jahrgang 1955, schreibt unter dem Pseudonym Paul Schaffrath seit 2011 Kriminalromane. Nach einem Studium der Romanistik, Evangelischen Theologie und Kunstgeschichte in Bonn arbeitet er als Verleger in Rheinbach. Die Drei Könige ist sein zweiter Roman.

    Haupttitel

    Paul Schaffrath

    Die Drei Könige

    Köln-Krimi

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2015 by CMZ-Verlag

    An der Glasfachschule 48, 53359 Rheinbach

    Tel. 02226-9126-26, Fax 02226-9126-27, info@cmz.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlagfoto (Dom und Musical Dome, Köln):

    Dirk Quardt, Iserlohn

    Umschlaggestaltung:

    Lina C. Schwerin, Hamburg

    eBook-Erstellung:

    rübiarts, Reiskirchen

    ISBN 978-3-87062-167-4 (Paperback)

    ISBN 978-3-87062-191-9 (eBook epub)

    ISBN 978-3-87062-196-4 (eBook kindle)

    20161105

    www.cmz.de

    Motto

    I can strip you of life

    Strip you of breath

    Ship you down

    To the house of death

    Bob Dylan

    Inhalt

    Autoreninfo

    Haupttitel

    Impressum

    Motto

    Donnerstag, 12. März 2015: Köln, St. Aposteln

    Samstag, 14. März 2015: Köln, Rheinauhafen

    Mittwoch, 5. Februar 1964: Köln, St. Gereon

    Montag, 16. März 2015: Köln, Polizeipräsidium

    Samstag, 14. März 2015: Köln, Schanzenstraße

    Montag, 16. März 2015: Köln, Polizeipräsidium

    Donnerstag, 15. Juni 1967: Köln, Gereonsdriesch

    Sonntag, 15. März 2015: Köln, Dom / Volksgarten

    Montag, 16. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Bonn, Altstadt

    Dienstag, 4. September 1979: Köln, St. Severin

    Montag, 16. März 2015: Köln, Volksgarten

    Sonntag, 15. März 2015: Köln, Dom / Wallraf-Richartz-Museum

    Freitag, 6. November 1981: Köln, St. Severin

    Montag, 16. März 2015: Bonn, Altstadt / Köln, Volksgarten

    Mittwoch, 15. Mai 1985: Bonn, Universität

    Sonntag, 15. März 2015: Köln, Rheinauhafen / Keule

    Freitag, 7. August 1987: Helgoland

    Montag, 16. März 2015: Bonn, Altstadt / Köln, Polizeipräsidium

    Samstag, 8. August 1987: Helgoland

    Montag, 16. März 2015: Köln, Schanzenstraße / Rheinauhafen

    Samstag, 8. August 1987: Helgoland

    Montag, 16. März 2015: Köln, Wallraf-Richartz-Museum / Rheinwiesen

    Mittwoch, 23. Mai 1990: Hannoversch Münden

    Montag, 16. März 2015: Köln, Schanzenstraße / Rheinauhafen

    Dienstag, 24. Oktober 1995: Köln-Meschenich, Am Kölnberg

    Montag, 16. März 2015: Köln, Päffgen

    Montag, 16. März 2015: Köln, Rheinauhafen

    Freitag, 7. Mai 1999: Hamburg, Övelgönne

    Dienstag, 17. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Wallraf-Richartz-Museum

    Dienstag, 17. März 2015: Köln, Schanzenstraße / Rheinau-Hafen

    Freitag, 25. Mai 1990: Helgoland

    Mittwoch, 18. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Schanzenstraße

    Mittwoch, 18. März 2015: Köln, Rheinauhafen / Hahnwaldweg

    Mittwoch, 18. März 2015: Köln, Leipziger Platz

    Mittwoch, 18. März 2015: Köln, Rheinauhafen / Bonn, Heerstraße / Köln, Polizeipräsidium

    Freitag, 7. August 1987: Helgoland

    Donnerstag, 19. März 2015: Köln, Dom / Polizeipräsidium

    Donnerstag, 19. März 2015: Bonn, Altstadt

    Donnerstag, 19. März 2015: Köln, Rheinauhafen

    Donnerstag, 19. März 2015: Bonn, Altstadt / Köln, Polizeipräsidium

    Donnerstag, 19. März 2015: Köln, Rheinauhafen / Polizeipräsidium

    Freitag, 7. August 1987: Helgoland

    Freitag, 20. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Rheinauhafen

    Freitag, 20. März 2015: Köln, Altstadt / Rheinauhafen

    Freitag, 20. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Innenstadt

    Freitag, 20. März 2015: Köln, Dom

    Freitag, 7. August 1987: Helgoland

    Freitag, 20. März 2015: Köln, Wallraf-Richartz-Museum

    Samstag, 21. März 2015: Köln, Päffgen

    Danksagung

    1

    Donnerstag, 12. März 2015: Köln, St. Aposteln

    Wie viele Schattierungen doch Grau haben konnte! Fünfzig? Patrick Schwartz betrachtete die Häuserfassaden, die wenigen Sträucher, einen Stromkasten und zwei tagsüber wahrscheinlich anthrazitfarbene Autos, die jetzt im Dunkeln fast gleich aussahen. Dann ging er weiter. Nach wenigen Metern bog er auf den Neumarkt ein. Er war müde; sein Dienst im Wallraf-Richartz-Museum hatte wieder länger gedauert. Hinterher hatte er mit den Kollegen noch im Café des Museums gesessen, weil eine der beiden Kellnerinnen in ihren Geburtstag hineinfeiern wollte.

    Er sah sich um. Hatte er Schritte gehört? Seine Armbanduhr zeigte 01:35 Uhr, und selbst die Nachtschwärmer hatten mitten in der Woche das heimatliche Bett aufgesucht. Er beschleunigte seinen Gang etwas. Morgen hatte er frei und konnte endlich wieder ausschlafen.

    Eigentlich machte ihm sein Dienst Spaß. Er hatte vor zwei Jahren bei einer Kölner Wach- und Schließgesellschaft, einem alten Familienunternehmen, eine Stelle als »Museumsbeamter« erhalten, wie seine Kollegen das nannten, weil man sich selten bewegen mußte und den ganzen Tag seinen Gedanken nachhängen konnte. Ab und zu mußte man uneinsichtige Besucher ermahnen, etwas vom jeweiligen Gemälde zurückzutreten; das war aber auch alles.

    Die Arbeitsstelle war ideal für ihn; er war immer ein Einzelgänger gewesen, las viel und gerne, hörte ein bißchen die Musik seiner noch nicht allzulange zurückliegenden Jugend und traf sich nur selten mit seinen Kollegen. In seinem Leben hatte er verschiedene Tätigkeiten ausprobiert, war Kellner gewesen (zu hektisch), hatte als U-Bahn-Fahrer gearbeitet (kein Tageslicht), hatte für den Kölner Stadt-Anzeiger geschrieben (nur Vereinsjubiläen) und war schließlich durch einen entfernten Bekannten auf den »Sicherheitssektor« unter den ihm möglichen Berufen aufmerksam gemacht worden. Seine Arbeit gefiel ihm. Zu seiner Ausbildung hatte Sport gehört, dazu kamen ein Schieß- und ein Kampftraining, Schlüsseldienstkenntnisse und einiges andere mehr, bei dem er wenig reden mußte. Außerdem hatte er ausreichend Zeit für eine kleine Nebentätigkeit. Er freute sich auf Sonntag, ein wichtiger Tag für eine kleine, wie er es nannte, Einnahme.

    Hinter ihm hustete jemand.

    Er drehte sich um. Niemand war zu sehen.

    Er ging schneller.

    Als er den Chor von St. Aposteln erreichte, trat aus dem Schatten der beiden Bäume eine dunkle Gestalt. Gleichzeitig packte ihn von hinten jemand an der Schulter. Er versuchte, einen der Judogriffe anzusetzen, die er vor längerer Zeit gelernt hatte, kam aber gegen die beiden Männer nicht an. Der hinter ihm Stehende drehte seine Arme auf den Rücken, was ziemlich schmerzhaft war; der Vordere trat ihn in den Bauch.

    Er krümmte sich vor Schmerzen. Dann erhielt er einen Schlag auf den Kopf und verlor das Bewußtsein.

    Das Messer, das direkt in sein Herz fuhr, spürte er nicht mehr.

    Samstag, 14. März 2015: Köln, Rheinauhafen

    Ingolf Campen langweilte sich. Er hatte nichts zu tun. Er stand auf und ging zum Fenster seiner zweihundert Quadratmeter großen Eigentumswohnung im Kranhaus Nord am Kölner Rheinauhafen. Die Wohnung lag im elften Stock, und der Blick war schon atemberaubend, obwohl er von der anderen Rheinseite auf die drei Kranhäuser sicher besser war. Den Kaufpreis im Jahre 2008 von sechstausend Euro pro Quadratmeter hatte er aus der Portokasse bezahlt. Die Wohnung war schnell eingerichtet gewesen: Möbel und Bücherregale vom Antiquitätenhändler, die Küche von zeyko, das Bad auf dem modernsten technischen Stand. Extravaganzen wie in Limburg auf dem Domplateau hatte er allerdings vermieden.

    Sein Lieblingsraum war ein eigentlich für Gäste vorgesehenes kleines Zimmer von fünfunddreißig Quadratmetern. Hier stand seine gesamte Technik: vier große Monitore, diverse Computer, Notebooks, ein Gerät zum Abhören des Polizeifunks, eine komplizierte Telefonanlage und zwei große Flachbildschirme, einer davon ein gekrümmter Samsung-Fernseher.

    An der Querwand war ein großer Stadtplan von Köln befestigt, in dem an verschiedenen Stellen bunte Pins steckten. Daneben war eine große Korkwand angebracht, an der die unterschiedlichsten Papiere hingen: Fotografien, Briefe, Fahrscheine. Fast sah es wie im Major Incident Room in den englischen Krimiserien aus.

    In der Ecke befand sich ein großes Regal, das mit säuberlich beschrifteten Aktenordnern gefüllt war. Ein halbhohes Bord daneben enthielt eine moderne Ausgabe von Meyers Konversationslexikon und die vollständige Encyclopædia Britannica. Oben auf dem Regal stand eine Karaffe mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit und einem Glasstöpsel. Daneben waren vier Whiskygläser sorgfältig im Viereck arrangiert.

    Campen blickte gedankenverloren auf den Fluß. Eigentlich ging es ihm gut. Er war reich, hatte erfolgreiche Jahre, einige davon in den Vereinigten Staaten, als Softwareentwickler hinter sich, in denen er Großes geleistet hatte – was seine Finanzen anging.

    Und immer wieder hatte er anonym der Polizei geholfen, zuletzt in der Angelegenheit des Millionärsehepaars Schwerte, das vor zwanzig Jahren aus seiner Wohnung am Hahnwald spurlos verschwunden war. Eine Zeitlang hatte die Tochter als Hauptverdächtige gegolten, aber das hatte Campen mit einer Bewegungsanalyse des Onkels des Mädchens und einer lückenlosen Auflistung aller seiner Unternehmungen in einer bestimmten Woche entkräften können. Der Onkel saß jetzt wegen Mordes ein und war bestimmt ziemlich wütend, daß Campen ihm auf die Schliche gekommen war. Und die Kripo wußte nicht, wem sie die Lösung auch dieses Verbrechens zu verdanken hatte.

    Aber richtig interessiert hatte ihn keiner »seiner« Fälle. Etwas nagte an Campen. Er fühlte sich zu wenig gefordert, intellektuell unterbeansprucht, nicht seinen Geistesgaben entsprechend eingesetzt – auch wenn er sich selbst die jeweilige Angelegenheit zuteilte.

    Schon immer hatten ihn die Grauzonen der Halbwelt interessiert. Manches Mal hatte er sie betreten, aber immer wieder rechtzeitig verlassen, um nicht erwischt zu werden. Oft hatte er sie zu seinem Vorteil ausgenutzt. Ob Leute dabei auf der Strecke blieben, hatte ihn nie interessiert, solange er etwas für sich bewegen konnte und sein jeweiliges Ziel erreichte. War er ein Egoist? Wahrscheinlich nicht, wenn er an Zeitgenossen wie die Amazon- und Google-Gründer dachte. Konnte man ihn als eitel bezeichnen? Er ging zum Flurspiegel und sah hinein. Nein, höchstens als bemerkenswert sorgfältig und gut gekleidet. Als intelligent? Bestimmt; ein Test seines Intelligenzquotienten während der Studienzeit hatte als Wert 143 erbracht, genug, um in der Mensa damit angeben zu können. Aber das alles war jetzt unwichtig.

    Campen seufzte. Er war einundfünfzig Jahre alt, und er mußte überlegen, was er mit seinem Leben noch anfangen wollte.

    Sollte er das Heft selbst in die Hand nehmen? Aber wollte er seine, die gesetzestreue Welt der Langweiler ganz verlassen? Vielleicht ging ja beides: nach außen anständig bleiben, nach innen den Schurken herauskehren. Oder umgekehrt. Er grinste sein schiefes, dämonisches Grinsen, wie es in einem anderen Leben mal ein Klavierspieler genannt hatte.

    Plötzlich wußte er, was er zu tun hatte. Entschlossenen Schritts ging er in den Technikraum, den er seine »Leitstelle« getauft hatte. Er schwang sich in den großen schwarzen Ledersessel, fuhr den Hauptcomputer hoch und schaltete die Bildschirme ein. Die beiden linken Monitore zeigten das gewohnte Windows-Bild; auf den beiden rechten war ein Film zu sehen. Jedenfalls würde das ein unverhoffter Besucher annehmen, dachte Campen. Ein Schelm, wer Böses dabei dachte. Er wußte genau, was zu sehen war: die Kreuzung der Aachener Straße mit dem Melatengürtel aus zwei Blickrichtungen, einmal vor der Ampel in der Aachener Straße stadtauswärts, einmal vor der Ampel des Melatengürtels nach Süden.

    Campen grinste befriedigt. Wozu Computerkenntnisse doch gut waren. Es war nicht schwer gewesen, sich in den städtischen Verkehrsrechner hineinzuhacken. Er konnte – wie in der Verkehrsleitstelle selbst – das Bild jeder jeweils gewünschten Kamera aufrufen. Was aber noch viel besser war: er konnte auch auf die Ampeln zugreifen und ihre Schaltung ändern. Einmal hatte er das nachts um drei ausprobiert, um niemanden zu gefährden, und sich gewundert, wie leicht das gegangen war.

    Ein Test im wirklichen Leben stand allerdings noch aus.

    Campen zögerte.

    Wenn er jetzt die Enter-Taste betätigte, überschritt er eine unsichtbare Linie. Eine Linie, die die Grenze von Licht und Dunkelheit markierte. Eine Linie, die sein Leben ändern, es endlich richtig aufregend machen würde. Eine Linie, die seine bisher nur halb genutzten Fähigkeiten von ihrem vollständigen Einsatz trennte. Eine Linie, von der seine Mutter sicher gedacht hätte, daß er sie entweder nicht kenne oder sich nie getraute, sie zu überqueren. Seine vorherigen Betrachtungen zum gesetzestreuen Bürger dagegen hätte sie gut geheißen – wobei, obrigkeitshörig war sie nie gewesen, dem Staat nicht und schon gar nicht der Kirche gegenüber.

    Campen sah auf die Bildschirme. Die Ampel an der Aachener Straße zeigte Rot. Er senkte den Finger.

    »Verdammt, was ist denn jetzt wieder los?« brüllte der Leiter der Verkehrsleitzentrale. Hektisch drückte er verschiedene Tasten auf seinem Keyboard, fummelte mit dem Mauszeiger auf einem Windows-Fenster herum, das nicht reagierte, und fluchte hemmungslos weiter.

    Sein Stellvertreter trat neben ihn. »Klappt etwas nicht?«

    »Siehst du doch. Mach doch deine Augen auf ! Der Rechner hängt – nichts geht mehr.« Er deutete auf den Großbildschirm, auf dem eigentlich im Minutenabstand die Bilder wechseln sollten.

    Das Bild war nicht eingefroren, denn sonst wäre der weiter fließende Verkehr nicht mehr zu beobachten gewesen. Aber die Kameras wechselten nicht mehr. Statt dessen war nur noch die Kreuzung Aachener Straße / Melatengürtel zu sehen.

    Alle vier Ampeln hatten Grün.

    Campen beobachtete fasziniert, wie die Ampel an der Aachener Straße auf Grün umsprang.

    Ein gelber Porsche Boxster gab Gas und vertraute augenscheinlich der Technik. Aus dem Melatengürtel kam von rechts ein dunkler Mercedes Kombi, der ein gut zu funktionierendes Gaspedal zu haben schien. Beide Autos touchierten sich mit Schmackes, wie ein Bewohner von Nippes es wohl formulieren würde. Der Porsche drehte sich um die eigene Achse – waren Porsches leichter als Mercedesse? Campen wußte es nicht. Das gelbe Fahrzeug blieb entgegengesetzt zur Fahrtrichtung stehen. Der Fahrer stieg aus und näherte sich dem Mercedesfahrer, der schon vor seinem Auto stand und sich den Schaden besah. Beide Herren fingen an zu gestikulieren.

    Campen grinste.

    Der Leiter der Verkehrszentrale hatte den Telefonhörer am Ohr. »Nun fahrt doch endlich los! Mit Blaulicht und so!«

    »Du könntest etwas freundlicher zu den Kollegen in der Bereitschaft sein. Schließlich arbeiten wir zusammen«, sagte sein Stellvertreter. Seinen Chef als Choleriker zu bezeichnen, hatte er immer als etwas untertrieben empfunden. Er verfolgte das Geschehen auf dem Bildschirm.

    Von links näherte sich ein ups-Lieferwagen der Unfallstelle, die er in einem großen Bogen umfahren wollte. Schließlich zeigte auch die Ampel auf seiner Straße Grün. Leider stieß er mit einem grünen Kleinwagen zusammen, dessen Fahrerin sich ebenfalls im Recht gewähnt hatte.

    Fünf Minuten später war die Kreuzung dicht.

    Campen schaltete das Verkehrsbild auf die Stolkgasse in der Nähe des Hauptbahnhofs um und verfolgte, wie gleich drei Polizeiwagen mit hoher Geschwindigkeit die Polizeiinspektion 1 verließen. Früher hätte man Polizeiwache gesagt, dachte er; aber wahrscheinlich änderte eine Kommission im Innenministerium alle zwei Jahre auch diese Bezeichnungen.

    Die Einsatzwagen brausten davon. Bestimmt benötigten sie zehn Minuten für die viereinhalb Kilometer bis zur Unfallstelle, überlegte er – Zeit genug, daß der städtische Verkehr zumindest im Westen der Großstadt ziemlich lahmgelegt wurde.

    Das war ja alles ganz nett, dachte Campen, aber weder schwierig, noch aufregend gewesen. Beim Schachspiel wußte man wenigstens nicht vorher, wie es ausgehen würde, wobei … Er verlor sich in seinen Gedanken an die vielen Schachturniere, die er gewonnen hatte. Aber spannender hatte er immer Go gefunden, das chinesische Brettspiel, bei dem es nur um Strategie ging und es fast immer einen eindeutigen Gewinner gab. Leider hatte er in Köln bislang keinen ebenbürtigen Spieler auftreiben können. Im Studium war das noch anders gewesen. Zu viert hatten sie gegeneinander gespielt, wobei Nummer Vier meist verloren und irgendwann genug gehabt hatte.

    Konzentrier dich, sagte sich Campen. Wenn er sein Leben wirklich von Grund auf umkrempeln wollte, mußte er planvoll vorgehen. Verkehrsunfälle bewußt herbeizuführen, war eigentlich auch langweilig. Irgendwas Großes mußte es schon sein.

    Ein Banküberfall? Pfft, das konnte jeder Jogginghosenträger mit einem schnellen Motorrad.

    Eine Geiselnahme, um Lösegeld zu verlangen? Genauso dämlich. Außerdem besaß er genug Geld. Darum ging es eben nicht, um noch mehr Geld. Die Banker, die es horteten, würden wahrscheinlich irgendwann an ihrem Geld ersticken.

    Erpressung? Um vielleicht ein politisches Erdbeben auszulösen? Aber dann würde nur eine Pappnase durch eine andere ersetzt werden. Die Parteien waren inzwischen ja alle gleich, bis auf ein paar wackere Sozis, einige vernünftige Konservative, mit denen man noch reden könnte, und ein paar Grüne, mit denen man …

    Campen grinste. Ihm fiel das wunderbare Lied Jrön des kölschen Barden Gert Köster ein, das einige seiner Lieblingstextzeilen enthielt: »En Kinder Punk Band spillt en dr Waldorf Schull / 40 db de Wäng sin Mahagoni / De Texte sin vun dr Schulleiterin.« Die Grünen konnten mit ihrer Penetranz manchmal schon ihre Umgebung verpesten. Aber schlimmer waren noch die Veganer. Ihre etwas einseitige Weltanschauung hielt Campen für eine Epidemie, die in Berlin ihren Ursprung hatte. Man wußte immer sofort, wann ein Veganer vorhanden war – er würde es einem schon sagen.

    Zurück zum Wesentlichen, dachte er. Was sollte er tatsächlich tun? Irgendwie fand das ganze Leben unter seinem Niveau statt, wie der große Dichter Hildebrandt gesagt hatte.

    Plötzlich hatte er eine Idee.

    Campen war wie elektrisiert. Das war es, das würde ihn unsterblich machen; zumindest die erste Zeit danach würde man mindestens in Deutschland von ihm reden.

    2

    Mittwoch, 5. Februar 1964: Köln, St. Gereon

    Gertrud Mannes stand vor St. Gereon und fror. Die Frühmesse war gerade vorbei, die wenigen Besucher waren gegangen, und sie hoffte, Pater Hubert noch kurz sprechen zu können. Sie trat neben das Baumaterial, das für die Wiederherstellung der im Krieg beschädigten Taufkapelle bereitlag, und wartete. Von irgendwoher kam der Geruch nach verbranntem Holz – wahrscheinlich fehlte immer noch das Geld für Kohle oder Öl, und jemand verheizte seinen Gartenschuppen. Es fing wieder an zu regnen. Gertrud zog den alten Mantel ihrer Tante enger um sich und sah an sich hinunter. Ihr Bauch war nicht zu übersehen. Wie sie die Bemerkungen ihrer Tante haßte. »Wer ist es denn gewesen? In deinem Alter! Was deine armen Eltern dazu sagen würden! Schämst du dich nicht!« Und noch mehr Sätze mit Ausrufezeichen.

    Sie seufzte. Ihre Eltern waren kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Köln beim Einsturz ihres Hauses umgekommen. Ihre Tante hatte sie aufgenommen und als Gegenleistung die Mitarbeit in der von ihr betriebenen Wäscherei verlangt. Der Hinweis auf ihr Alter war ungerecht. Fünfunddreißig war sie im letzten Sommer geworden. Und hatte den Mann ihres Lebens getroffen.

    Die Kirchentür schlug zu. Gertrud blickte auf und sah den hochgewachsenen jungen Priester auf sich zukommen.

    »Ich habe dir doch gesagt, nicht hier! Wenn uns die Leute sehen!« zischte Pater Hubert. Er duftete nach Eau de Cologne. Eigentlich hatte sie das immer gemocht; heute störte es sie. War er etwa eitel? Durften Priester Parfum benutzen?

    »Dann sagst du, du stehst nur einer armen jungen Frau bei, die kurz vor Ostern ihr erstes Kind erwartet.« Gertrud lächelte ihn an.

    »Ja, ausgerechnet von mir.« Pater Hubert war aufgebracht.

    »Du hast versprochen, daß du zu mir hältst.«

    »Das hast du völlig falsch verstanden. Wie stellst du dir das überhaupt vor?«

    Gertrud fing an zu weinen.

    »Ich kann doch nicht meinen Beruf aufgeben. Wovon soll ich denn dann leben?« Der Pater gab ihr sein weißes Taschentuch.

    Gertrud betrachtete die langen schmalen Finger des Geistlichen. Schreibtischarbeit und Reden, das war das einzige, was für ihn in Frage kam. »Wir könnten wegziehen, und du könntest als Lehrer arbeiten.«

    Pater Hubert schüttelte den Kopf. »Ohne meine Kirche …« Er drehte sich um und blickte auf die romanische Basilika, die ihm in den letzten beiden Jahren zur neuen Heimat geworden war. Er war in Mainz zum Priester geweiht worden, mußte aber die Stadt nach der Sache mit der kleinen Verkäuferin … Er lächelte.

    »Siehst du, das würde dir gefallen«, sagte Gertrud. »Wir könnten uns in Süddeutschland – du wolltest doch immer nach Süden, oder? – erst einmal eine Wohnung suchen und dann …«

    »Laß die Träumereien. Ich bleibe hier. Und überhaupt, wer sagt denn, daß das Kind wirklich von mir stammt?«

    Gertrud sah ihn ungläubig an. »Das ist jetzt doch nicht dein Ernst.« Sie schluckte. »Wenn das so ist – vielleicht interessieren sich auch deine Vorgesetzten für das Kind.« Sie ließ den Pater stehen. Auf dem Weg zur Wäscherei weinte sie bitterlich.

    3

    Montag, 16. März 2015: Köln, Polizeipräsidium

    Max Harmsen betrat den Erweiterungsbau des Polizeipräsidiums am Walter-Pauli-Ring in Köln-Kalk. Inzwischen hatte er sich an seinen neuen Arbeitsplatz gewöhnt. Nach seiner Ausbildung in Hannoversch Münden hatte er lange Jahre in Hamburg, Oldenburg und Münster verbracht und sich dann vor drei Jahren auf die ausgeschriebene Stelle als Kriminalhauptkommissar in Köln beworben.

    Köln war für ein Nordlicht wie ihn schon etwas Spezielles. Wie in anderen großen Städten war es wichtig, auf welcher Seite des entsprechenden Flusses man auf die Welt gekommen war oder auf welcher Seite des Flusses man arbeitete. Erwähnte er, daß er auf der Schääl Sick in Köln sein Geld verdiente, also auf dem rechten Rheinufer, zogen die echten Kölner schon mal eine Augenbraue hoch und sagten: »Wenn et nit anders jeht …«

    In Hamburg war das allerdings ähnlich gewesen. Zählen tat nur das Hamburg nördlich der Elbe, wo die wirklichen Hanseaten residierten, die natürlich nie zugeben würden, daß sie hochnäsig waren. Für sie begann nämlich südlich der Elbe Bayern.

    Ein Problem war der kölsche Klüngel, der für jemanden wie ihn, der in Lübeck geboren und darauf auch ein bißchen stolz war, nicht rätselhaft, aber zumindest unverständlich blieb. Wieso bekamen immer die Bekannten und guten Freunde die Posten, egal ob im Karnevalsverein, in der Stadtverwaltung oder in der Politik? Das funktionierte allerdings stets so verschwiegen, daß das Anrüchige daran höchstens bis in die nächste Straße reichte. Immer mal wieder versuchte jemand, das System zu ändern; meistens gelang das erst nach Unglücksfällen wie dem Einsturz des Stadtarchivs vor sechs Jahren. Da waren »Köpfe gerollt«, wie der Express es betitelt hatte. Die Ursache des Einsturzes hatte man jedoch noch immer nicht herausgefunden. Und die Leute ohne Rückgrat saßen wieder da, wo sie vor dem Unglück auch schon gesessen hatten.

    Aber wahrscheinlich war das mit dem Klüngel in seinen bisherigen Städten nicht anders. In Hamburg s-prach man nicht darüber; in Münster war ohnehin klar, daß der örtliche Geldadel das Leben bestimmte; in München erörterte man alles stillschweigend bei einer Maß Bier.

    Max seufzte. Die Sonne schien, kein großer Fall war aktuell zu bearbeiten, und er sinnierte über das Leben im allgemeinen und in Köln im besonderen. Er schüttelte den Kopf, was den Pförtner irritierte, der seinen Gruß abbrach und wieder zu seiner Tageszeitung griff. »Pleitegeier über der Akropolis« hieß die Schlagzeile auf der heutigen Titelseite.

    Sein Büro lag im ersten Stockwerk, leider nicht im obersten, das das »Penthouse« genannt wurde, weil es etwas von der Fassade gesehen zurückgebaut worden war. Ein Glasdurchgang verband den fünften Stock mit dem Nachbargebäude. Die schöne Aussicht begann allerdings erst hinter dem S-Bahn-Damm: man konnte nämlich bis zur Rheinbrücke und zum Dom sehen.

    Als er seine Bürotür aufstoßen wollte, hörte er die Stimme seines Chefs hinter sich.

    »Schon jehört?«

    Walter Pankow kam aus Berlin, was man ihm auch nach zwanzig Jahren in Köln immer noch anmerkte. Ähnlich wie der Kardinal, der 1989 von der Spree an den Rhein gekommen und bis 2014 geblieben war, war er nicht sonderlich beliebt; man schätzte ihn aber wegen seiner sachlichen Art und seiner vielen Ermittlungserfolge.

    »Was denn?« Max hatte sich in Hamburg diesbezüglich wohler gefühlt; einen Flurfunk hielt er für überflüssig. Montagmorgens leitete Pankows Frage meistens einen Monolog über a) die Spielergebnisse der Bundesliga, b) eine seiner Meinung

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