Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Partizipation ist schon da!: Qualitative Analyse von Partizipationshandeln burundischer Jugendlicher
Partizipation ist schon da!: Qualitative Analyse von Partizipationshandeln burundischer Jugendlicher
Partizipation ist schon da!: Qualitative Analyse von Partizipationshandeln burundischer Jugendlicher
eBook443 Seiten4 Stunden

Partizipation ist schon da!: Qualitative Analyse von Partizipationshandeln burundischer Jugendlicher

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Das vorliegende Buch ist die Dissertationsschrift von Stefan Hoffmann zur Partizipation Jugendlicher in Burundi. In dieser Abhandlung wird die Frage verfolgt, wie Jugendliche in dem ostafrikanischen Land sich unter Bedingungen der politischen Instabilität und unter kulturellen und hierarchischen Rahmensetzungen beteiligen. Hoffmann rekonstuiert ein sehr strategisches Partizipationsverhalten und bietet dadurch Impulse für eine sozialarbeiterische Praxis und weitere Forschungsarbeit in diesem Bereich. Ein Buch das für PraktikerInnen genauso gewinnbringend ist wie für StudentInnen und Lehrende, die sich mit der Grounded Theory und Jugendarbeitsforschung auseinandersetzen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum26. Feb. 2019
ISBN9783748123972
Partizipation ist schon da!: Qualitative Analyse von Partizipationshandeln burundischer Jugendlicher
Autor

Stefan Hoffmann

Stefan Hoffmann lebte und arbeitete fünf Jahre mit seiner Familie in Burundi, Ostafrika. In dieser Zeit betreute er ein Projekt für Strassenkinder, war Berater eines der größten Kirchennetzwerke Burundis und begleitete Projekte der friedlichen Wahlvorbereitung. Seit seiner Rückkehr begleitet er Partnerschaftsprogramme in Eritrea und Nigeria. Berufsbiographisch ist er in den Themen Changemanagement, Armutsbekämpfung, Soziale Ungleichheit und Partizipation verortet. Er unterrichtet an der DHBW und der IUBH.

Ähnlich wie Partizipation ist schon da!

Ähnliche E-Books

Sozialwissenschaften für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Partizipation ist schon da!

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Partizipation ist schon da! - Stefan Hoffmann

    Darstellung)

    1. Einleitung

    Burundi wirbt für sich selbst mit dem Titel „The beating heart of Africa (NTOB 2011: 1). Der dort angesprochene „beat hat zum einen mit einem schlagenden Herzen als Zeichen von Lebendigkeit zu tun, bezieht sich zum anderen aber auf die heiligen Trommeln, die eine lange Tradition haben und auch heute bei Festen im Land nicht wegzudenken sind. Burundi ist ein beeindruckendes, grünes Land, das durch seine Fruchtbarkeit und die Fröhlichkeit seiner Menschen besticht. Ich³ habe mit meiner Familie selbst in diesem „schlagenden Herzen Afrikas" für fünf Jahre gelebt. Die vorliegende Arbeit ist ein Element meiner Forschungsarbeit in Ostafrika. In ihr werden viele Aspekte genannt, die zu einem problemzentrierten Blick führen könnten. Dies ist nicht die Absicht dieser Arbeit – im Gegenteil. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen und können Jugendlichen und jungen Menschen helfen, ihr Beteiligungshandeln kreativer zu gestalten, um ihnen somit mehr Möglichkeiten zu eröffnen.

    Während des fünfjährigen Arbeitsaufenthaltes im ostafrikanischen Burundi führte ein Handlungsforschungsprojekt zu einer Masterarbeit und nun zu vorliegender Dissertation. Die Grundfrage, wie Jugendliche zu beteiligen sind, war eine Frage aus meiner Arbeitspraxis, die in der Theorie Orientierung suchte und forschend erweitert wurde. Ich arbeitete als Sozialarbeiter fünf Jahre in einem Kinder- und Jugendprojekt der kirchlichen Entwicklungszuammenarbeit in einer Kooperation zwischen der Diözese Bujumbura und der Liebenzeller Mission. Das Projekt wird detailliert in Kapitel 5.2.2. vorgestellt, es hat die Unterstützung der Lebensgestaltung von Waisen und Halbwaisen im Fokus.

    Eines der Ergebnisse meiner Handlungsforschung in diesem Projekt war, dass burundische Jugendliche sich Beteiligungs- und Austauschplattformen wünschen. Dieser erste forschende Schritt wurde im Jahr 2008 mit 149 Kindern im Rahmen einer Zukunftswerkstatt zu den Lebensbereichen Schule, Freizeit und Familie durchgeführt. Im Rahmen der nachfolgenden Masterarbeit wurden 2010 praktisch forschend Handlungsoptionen mit Jugendlichen und BetreuerInnen⁴ erarbeitet, die zur Gründung von Jugendclubs führten. Hierbei spielte ein aneignungsorientierter partizipativer Ansatz eine Rolle. In der Umsetzung dieser Maßnahme und zum Ende meines Arbeitsaufenthaltes in Burundi stellte ich mir immer mehr die Frage, wie Partizipation von den Jugendlichen wahrgenommen wird, und ob es Unterschiede in einem fremdinitiierten Partizipationsprojekt (also dem Projekt, in dem mein burundisches Team und ich zusammengearbeitet haben) und einem eigeninitiierten Partizipationsprojekt (wo Jugendliche selbst aktiv wurden) gab. Auch die Sicht der Erwachsenen auf die umgesetzten Beteiligungsprozesse weckte mein Interesse und formte sich zu einer evaluierenden, komparativen Sozialforschung. Somit wurde zu Beginn der Ansatz der responsiven Evaluation gewählt, in welchem Gruppendiskussionen mit Jugendlichen und Erwachsenen im Fokus standen, deren Ergebnisse den Diskutanten nach einer ersten Auswertung wieder zur Diskussion gestellt wurden, um sie zu validieren, wissenssoziologisch zu verorten und die Ergebnisse fruchtbar zu machen. Erst nach der Rückkehr nach Deutschland wurde das Material dann einer weiteren Analyse mit der Methode der Grounded Theory unterzogen, um tiefere Erkenntnisse zu gewinnen. Hierbei wurde neben einer methodologischen Frage, nämlich der Frage nach einem an den Untersuchungsgegenstand angepassten Kodierparadigma, das Partizipationshandeln an sich wichtig und formte sich im Prozess zu einer Typisierung von Partizipationsprozessen. Diese Typisierung bildete sich zum einen am Grad der Formalität des Handelns heraus und zum anderen an den Interessen der Gruppen, mit denen sie auf Probleme reagierten. Somit konnten vier Strategietypen aus dem Material rekonstruiert und abgebildet werden und in Bezug zu Sozialtypiken gesetzt werden.

    Das Forschungsinteresse, das mich leitete, bestand darin, Erfahrungen und Wirkungen von Partizipationsprozessen vergleichend zu evaluieren und daraus neue Erkenntnisse für die Beteiligung von Jugendlichen in Burundi zu gewinnen. Diese Erkenntnisse sollen wieder zurück in die Praxis der Sozialarbeit und der Lebenswelt der Jugendlichen selbst führen. Die daraus abgeleitete Forschungsfrage war: wie beurteilen Jugendliche in Burundi Partizipationsprozesse? Und wie werden diese Prozesse von an ihnen beteiligten Erwachsenen beurteilt?

    Ich entschied mich für ein qualitativ ausgerichtetes Forschungsdesign, in dem mit Gruppendiskussionen eine responsive Evaluation in Anlehnung an die dokumentarische Evaluationsforschung mit Jugendlichen und Erwachsenen in zwei verschiedenen Partizipationsprojekten durchgeführt wurde. Eines war Teil meiner Arbeit, das andere war mir bekannt. Nach der Rückkehr aus Burundi wurde der so gewonnene Datenkorpus einer vertieften Analyse in Anlehnung an die Grounded Theory unterzogen, um das sich abzeichnende „implizite Erfahrungswissen" (May 2010a: 310) der Jugendlichen in Bezug zu partizipationsbedingenden Faktoren zu setzen. Die Grounded Theory wurde auf Grund ihrer prozesshaften Anlage und durch das Aufbrechen des Materials durch Kodieren als rekonstruktive Methode gewählt.

    Um die Gedankengänge, Entscheidungen und Prozesse während des Forschungsprozesses transparent zu machen, ist die Arbeit wie folgt aufgebaut:

    Nach der Einleitung im ersten Kapitel der Dissertation wird im zweiten Kapitel die Geschichte sowie die wirtschaftliche und politische Situation in Burundi skizziert. In den Ausführungen wird die Situation der burundischen Jugend besonders beleuchtet, um dem LeserIn den Kontext der Forschungsarbeit näher zu bringen.

    Da ich in diesen Kontext – das Land Burundi – eingetaucht bin, setzte ich mich im dritten Kapitel vor dem Hintergrund der Diskurse um Postkolonialismus und Kosmopolismus mit meiner Rolle als Forschender in fremdem kulturellem Kontext auseinander. Die in diesem Zusammenhang aufkommenden erkenntnistheoretischen Fragen werden in diesem Kapitel mit einer wissenssoziologischen Positionierung in Anlehnung an Mannheim beantwortet.

    Nach dieser Positionsbestimmung und -reflektion als Forscher setzt sich das vierte Kapitel mit dem zentralen Begriff dieser Arbeit auseinander – mit dem Begriff der Partizipation. Hier wird zum einen der Forschungsstand zu Jugendpartizipation im Allgemeinen und zum anderen von Jugendpartizipation in Afrika und in Burundi dargestellt und erörtert. Darüber hinaus werden die in Europa entwickelten demokratie- und dienstleistungstheoretischen Begründungen und Konzepte von Zivilgesellschaft und Partizipation in ein Spannungsverhältnis mit der afrikanischen Situation gesetzt. Daran schließt sich eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Begriffen von Macht an, die in der Ausarbeitung von fünf Kristallisationspunkten von Partizipation endet. Abschließend werden armuts- und unterdrückungsumfassende Theorien von Freire und Friedmann ins Verhältnis zur Frage der Partizipation und des Empowerment gesetzt, um sie dann in ihrer Bedeutung für die Soziale Arbeit zu diskutieren.

    Nach diesen Grundlegungen folgt ab dem fünften Kapitel der empirische Teil der Arbeit. Hierin werden zuerst das Forschungsdesign und meine Rolle in Bezug zu den beforschten Projekten dargestellt und reflektiert. Des Weiteren wird die Methode der Grounded Theory in ihrer auf den vorliegenden Fall angepassten und übertragenen Form erläutert.

    Im sechsten Kapitel wird detailliert der Umgang mit dem gewonnenen Datenmaterial beschrieben. Im Schritt des offenen Kodierens werden sieben unterschiedliche Kategorien rekonstruiert. Es wird dargestellt, wie die siebte Kategorie „Strategien der Jugendlichen, um zu partizipieren" im Prozess des axialen Kodierens auf komparatistische Weise in vier unterschiedliche Strategietypen ausdifferenziert wird. Hierbei wird in Anlehnung an die Arbeiten von Henri Lefebvre und dessen relationalen Kategorien von Problem und Interesse ein eigenes Kodierparadigma entwickelt. Die Interessen werden hierbei in formelle und informelle unterschieden. In weiterer Umsetzung der Arbeit Lefebvres werden abschließend strategische Hypothesen formuliert, die die gewonnenen Erkenntnisse zurück in die Praxis führen können.

    Zuvor wird jedoch eine Reflektion der rekonstruierten Strategietypen in Bezug zu folgenden sozialtypischen Aspekten geleistet: Alter und Herkunft, Position und Geschlecht. Hierbei werden die Redebeiträge der TeilnehmerInnen anhand von Dauer und Inhalt analysiert.

    Im abschließenden siebten Kapitel werden die gewonnen Erkenntnisse zusammengefasst und ein Ausblick auf weitere Anwendung in der Forschungs- und Sozialarbeitspraxis gegeben.


    ³ Da es in dieser Arbeit oft um meine Rollen als Forscher und Projektmitarbeiter geht, wird in der Arbeit vom forschenden Subjekt als „ich gesprochen, statt einer distanziert neutralen Formulierung wie „Autor.

    ⁴ Es wird im Sinne einer lesbaren gendersensiblen Formulierung das Binnen-I verwandt. Im Text wird der Artikel ungesetzmäßig alterniert, also der LeserIn oder die LeserIn verwandt anstatt der/ die LeserIn. Um die Lesbarkeit zu erhöhen, werden geschlechtsneutrale Formulierungen bevorzugt.

    2. Burundi – der Kontext der Arbeit

    Um den Kontext dieser Arbeit zugänglich zu machen, wird in diesem Kapitel die Situation des Landes Burundi dargestellt, da es ein eher unbekanntes afrikanisches Land ist. Die Beschreibungen sind als Situationsbeschreibungen zu verstehen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben, aber im Sinne einer Kontextbeschreibung das Thema Jugendpartizipation vor einen sozio-geographischen, historischen, wirtschaftlichen und politischen Hintergrund stellen. Da das Thema „Situation der Jugend" ein zentrales ist, wird es nicht unter soziogeographischen Aspekten subsumiert, sondern bekommt ein eigenes Kapitel.

    2.1. Sozio-geographischer Hintergrund

    In diesem Kapitel werden Burundi und seine Menschen unter soziogeographischen Schwerpunkten eingeführt. Zuerst wird das Land knapp anhand von einigen Daten skizziert und danach die ethnische Bevölkerungssituation vorgestellt.

    2.1.1. Das Land – ein datenbasiertes Portrait

    Burundi liegt am Tanganjika See, der einer der größten und tiefsten Seen der Erde ist. Es ist ein grünes, hügeliges Land, in dessen Hauptstadt Bujumbura rund 10% der Bevölkerung leben. Burundi ist ein Teil der Ostafrikanischen Union bestehend aus Uganda, Tansania, Ruanda und Kenia, wobei es innerhalb dieser Union das einzige Land ist, das noch frankophon ist. Das Land besitzt eine Bevölkerung von 9,8 Millionen Einwohner mit einem Bevölkerungswachstum von 3,2% (Bertelsmann Stiftung 2014: 2)⁵. Die Lebenserwartung liegt im Jahr 2014 bei 53,1 Jahren und es zählt zu den ärmsten Ländern dieser Welt (Bertelsmann Stiftung 2014: 19).

    Burundi hat eine Größe von rund 27.800 km²und gehört zu den am dichtesten bevölkerten Ländern Afrikas (Omara/ Ackson 2010: 6). Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern besitzt Burundi den Vorteil (vgl. Watt 2008: 15), dass nur eine Sprache gesprochen wird – Kirundi. Daneben wird Französisch als Behördensprache gesprochen. Englisch und Suaheli sind weitere Sprachen, die in dem Land angewandt und auch schon früh in der Schule unterrichtet werden.

    Die meisten Burundier gehören einer christlichen Religion an, laut Omara/ Ackson rund 67% (Omara/ Ackson 2010: 6). Es gibt keine verlässlichen Mitgliedsdaten von den Kirchen selbst, Statistiken besagen, dass die katholische Kirche mit rund 65% dominiert, die protestantische Kirche rund 30% Anhänger besitzt und die Muslime die nächstgrößere Religionsgemeinschaft stellen (vgl. ISTEEBU 2012: 31). Unter den protestantischen Kirchen hat die Anglikanische Kirche die größte Anhängerschaft, sie ist mit neun Diözesen im ganzen Land vertreten.

    Bekannt wurde Burundi unter anderem durch einen Konflikt, der im Nachbarland Ruanda zu trauriger Berühmtheit führte, aber auch in Burundi ein Wesensmerkmal des Zusammenlebens darstellt: nämlich die Auseinandersetzung der beiden vorherrschenden Volksgruppen Hutu und Tutsi.

    2.1.2. Hutu, Tutsi und Twa

    Sowohl historisch als auch wissenschaftlich ist es höchst umstritten, wie es zu einer Einteilung des burundischen Volkes in die drei Ethnien kam. Ob der Begriff „Ethnien"⁶ richtig ist, wird vielerorts diskutiert. Der Politikwissenschaftler und Historiker Strizek führt als mögliche Begriffe neben „Rasse die Begriffe „Kaste und „Klasse an, die verschiedentlich gewählt wurden, um das Phänomen der Trennung der Volksgruppen zu beschreiben (vgl. Strizek 1996: 40f). Der Theologe Ndabiseruye, der mir persönlich bekannt ist und selbst bei ethnischen Auseinandersetzungen schwer verletzt wurde, weist unter Problematisierung des Ethnienbegriffs in seiner Dissertationsschrift darauf hin, dass es schwierig ist, „von „Ethnien nach der traditionellen⁷ Definition zu sprechen (Ndabiseruye 2009: 69, Hervorhebung im Original). Vielmehr könne es sich auch um soziale Identitäten oder soziale Kategorien handeln, die vor der Kolonialzeit eine Einheit gebildet hätten (ebd.). Aber, so Ndabiseruye weiter, all „diese Aussagen betonen die „Einheit der drei Volksgruppen und schieben die Schuld der Spaltung einzig auf die Kolonialverwaltung, als wäre in der Vorkolonialzeit alles heil gewesen (ebd., Hervorhebung im Original). Es zeichnen sich zwei Argumentationslinien ab – eine ethnische und eine soziale. Nach der sozialen Argumentation sind die drei Gruppen – vereinfacht dargestellt – ein Volk, in dem es zu Abgrenzungen und Ausprägung von Herrschaftsverhältnissen kam und dies die Trennung mit sich brachte (Strizek 1996: 56f). Die ethnische Argumentation beruht auf der Annahme, dass es Migrationen verschiedener Ausgangsbevölkerungsgruppen gibt, die in der Region aufeinandertreffen. Laut Omara/ Ackson, die im Auftrag des ostafrikanischen Zentrums⁸ für Verfassungsentwicklung einen Bericht über Burundi verfasst haben, scheint es eine größere Anhängerschaft für die Theorie der sukzessiven Einwanderung zu geben. Zuerst seien die Batwa gekommen, dann im 1. Jahrhundert die Bahutu und am Schluss hätten die Batutsi⁹ das Land im 15. Jahrhundert besiedelt. Traditionell seien die Twa Töpfer, die Hutu Landwirte und die Tutsi Kuhhirten. Heute gehörten 85% der Burundier den Hutu, 14% den Tutsi und 1% den Twa¹⁰ an (vgl. Omara/ Ackson 2010: 16). Egal welcher Entstehungstheorie man anhängt, Fakt ist, dass diese Einteilung des ruandischen und burundischen Volkes in Kombination mit politischen und kolonialistischen Visionen, Manipulationen und Machtinteressen eine blutige Geschichte begründete, die hunderttausenden Menschen das Leben kostete und in den 1990er Jahren die Welt wegen ihrer Brutalität in Atem hielt. Strizek nutzt den Begriff der „politisierten Ethnizität, um diese Verquickungen auszudrücken (Strizek 1996: 77).¹¹ Deutlich wird, dass diese politisierte Ehnizität Auswirkungen auf Menschenleben hat – sei es durch Verluste in Familien, Flucht oder Trauma und vor allem junge Menschen trifft. Der auch in Burundi forschende Psychologe und Traumaexperte Crombach drückt es so aus: The psychological consequences of armed conflicts are particularly devastating for children and adolescents. (Crombach 2013: 3)

    2.2. Situation der Jugend in Burundi

    Jugend ist keine leicht zu definierende soziale Kategorie. Selbst wenn man sie nur über die reine Altersdefinition beschreiben will, gibt es unterschiedliche Altersgrenzen, wie ein Definitionspapier der UN zeigt: UN Habitat definiert das Alter von 15-32, das Generalsekretariat von 15-24 Jahren und UNICEF nennt jeden unter 18 Jahren ein Kind (UNDESA: 2). Die Afrikanische Jugend Charter sieht das Alter eines jungen Menschen von 15-35 Jahren (ebd.).

    Bevor dies nun vertieft wird, sei angemerkt, dass Burundi ein „junger" Staat ist, in dem die 0 bis 24-Jährigen mit 66,4% den größten Bevölkerungsanteil stellen, wie in Tabelle 1 deutlich wird:

    Tabelle 1: Auszug aus dem Bevölkerungsbericht von 2008 (République du Burundi 2008: 44)

    Dadurch, dass nicht nur in Burundi, sondern in Afrika insgesamt (65 % sind laut African Union jünger als 35 Jahre¹²) junge Menschen einen wichtigen Teil der Bevölkerung stellen, ist es wichtig, zu definieren, was unter „Jugend" verstanden wird.

    Die gängigste Art einer Definition ist die des Alters wie eingangs schon angeführt. Dass es hierbei Unterschiede gibt wurde schon aufgezeigt. Noch deutlicher wird es, wenn man versucht, Jugendbegriffe nicht nur per Alter, sondern normativ oder kulturell voneinander abzugrenzen: in der Problematisierung der Jugend als Forschungsgegenstand beschreibt die Anthropologin Durham, dass Jugend eine relationale und soziale Kategorie und „even posibly a social effect of power (Durham 2000: 114) ist. Dabei führt sie aus, wie für den afrikanischen Kontext traditionell verwurzelte Initiationsriten, die den Übergang von Alters- und Gruppenkohorten markierten, „are supplanted by labor migration, schools, or participation in civil wars (ebd.). Dieser Wandel traditioneller Aspekte, was Jugend ist, kommt auch in Burundi zum Tragen. Zur Gruppe der Jugendlichen gehört man dort, stark generalisiert gesagt, so lange man nicht verheiratet ist und/ oder eine Arbeit hat (vgl. Berckmoes 2015: 5). Die zu Afrika forschende Anthropologin Berckmoes erweitert dieses Verständnis, indem sie die Kirundi Wörter untersucht, die für Jugend oder junge Menschen gebraucht werden. Es gibt keine direkte Übersetzung des Wortes „Jugend in Kirundi, sondern es werden verschiedene Wörter benutzt, wie zum Beispiel umosore is associated with energy (able-bodied person) and is generally used to describe young men on the verge of adulthood. Umusore can also be used to comment on a person’s strength and vitality irrespective of his age. Unmarried young women are referred to as inkumi. Urwaruka refers to young people more generally it includes children" (a.a.O.: 4f., Hervorhebungen im Original).

    Die Definition, wer jugendlich in Burundi ist, setzt sich also unter anderem zusammen aus sozialen Aspekten (Heirat), ökonomischen Aspekten (Arbeit), physischen Aspekten (Energie/ Vitalität) und Lebensalter. Im Kontext dieser Arbeit ist der Aspekt der Abhängigkeit von (erweiterter) Familie, Ernährenden oder Betreuungspersonen zu benennen, da ein Teil der Jugendlichen als Waisen oder Halbwaisen in solchen Abhängigkeitsverhältnissen steht und lebt. Wenn im Zusammenhang der vorliegenden Forschungsarbeit in den Projekten von Jugendlichen gesprochen wird, so sind solche gemeint, die entweder im Projekt, in dem ich arbeitete, beteiligt waren (und von den lokalen Kirchengemeinden identifiziert wurden) oder vom Vorstand als Mitglied im Jugendverein aufgenommen waren – in beiden Fällen wurde also von den Burundiern selbst bestimmt, wer jugendlich bzw. bedürftig ist und somit zu dieser Gruppe zu zählen ist.

    In dieser Arbeit wird Jugend als „social being and social becoming gesehen, wie die im Auftrag des Nordic Africa Institute forschenden Christiansen/ Utas/ Vingh es näher beschreiben: „Youth is both a social position which is internally and externally shaped and constructed, as well as part of a larger societal and generational process, a state of becoming. (Christiansen/ Utas/ Vigh 2006: 11) Im Verweis auf Mannheim weisen die drei Forschenden darauf hin, dass bei sozialen Kategorien „meanings and manifestations arise in relation to specific social processes, cultural understandings and historical influences" (a.a.O.: 10).

    Die nun nachfolgenden Aspekte sollen helfen, einige der sozio-kulturellen Gegebenheiten und Umsände für dieses „becoming and being" der Jugend in Burundi näher darzustellen.

    2.2.1. Jugend auf dem Land und in der Stadt

    Es kann natürlich keine generalisierte Aussage über diesen Unterschied getroffen werden, da die familiären, wirtschaftlichen oder bildungsbezogenen Situationen der Jugendlichen geographisch variieren. Prinzipiell kann aber durchaus gesagt werden, dass Kinder und Jugendliche in Burundi schon früh zum Einkommen und Gelingen des Familienalltags beitragen müssen – unabhängig, ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben. So passen Mädchen ab einem gewissen Alter auf ihre Geschwister auf und helfen im Haushalt mit oder Jungen und Mädchen holen Wasser an Wasserstellen (sowohl Land als auch Stadt). Weitere Aufgaben sind Feuerholz holen, Ziegen und Kühe hüten oder helfen, das Feld zu bestellen (urbane Situation: meist am Stadtrand wo man hinlaufen muss oder im Vorgarten). Somit ist Kinder- und Jugendzeit stark vom gemeinsamen Arbeiten und Überleben bestimmt. Für privilegiertere Kinder und Jugendliche (sowohl in der Stadt als auch auf dem Land) fällt dies weg – sie müssen nicht zur Schule laufen, sondern werden gefahren (Bus/ Auto), die Familie lebt vom Einkommen und weniger von der Subsistenzwirtschaft, daher werden die Felder nur bedingt selbst bestellt. Diese frei gewordene Zeit wird nach eigenen Beobachtungen, wenn die Stromversorgung es zulässt, oft durch Medienkonsum (Konsolen, TV, Smartphone) und verstärkt auch Drogenkonsum gefüllt¹³.

    Je nach Lebensumständen ist aber auch in Burundi die Schere zwischen den Gegebenheiten, wie die Jugend auf dem Land oder in der Stadt ihre Positionen sucht, enorm. Bujumbura gilt als durchaus ruhige und überschaubare Hauptstadt, in der der Zugang zu internationalen Festivals und Aktivitäten, die Chancen auf kreative und innovative Events oder der Zugang zu Ministerien viel einfacher gestaltet werden kann, wie auf dem Land, wo oft schon infrastrukturelle Bedingungen (Strom/ Wasser/ etc.) schwieriger zu gewährleisten sind. Trotz aller Bemühungen seitens der Regierung oder von NGOs diese Distanz aufzuheben, bleibt dieses Gefälle zwischen Stadt und Land erhalten. Dieses Gefälle zeigt sich nicht nur in den Bereichen der Bildung und Infrastruktur, sondern auch in der Gesundheitsversorgung. Sie sind neben wirtschaftlichen und rechtstaatlichen Rahmenbedingungen auch Fokuspunkte der Strategie zur Armutsbekämpfung in Burundi (vgl. IMF 2012).

    2.2.2. Jugend und Bildung

    Zwar hat die Regierung mit ihrer Machtübernahme in 2005 freie Schulbildung in der primaire (Klasse 1-6)¹⁴ umgesetzt, um das Analphabetentum zu senken und den Bildungsstand zu erhöhen. Aber es fehlen nicht nur Schulgebäude, Klassenräume und Lehrkräfte, sondern auch Lehrmaterial und viele Klassen werden von ein und derselben LehrerIn doppelt unterrichtet¹⁵ (République du Burundi 2012: 21f). Schulklassen haben laut einer Statistik von 2010 im Durchschnitt 82 SchülerInnen (CRIDIS 2012: 26). Dennoch zeigt die Maßnahme Auswirkungen, wie die Geographin Biele zeigt: „Die Einschulungsrate ist seither von ca. 57 % auf 92 % in 2010 gestiegen, die Alphabetisierungsrate bei Jugendlichen von 53 % 1990 auf 78 % im Jahr 2007" (Biele 2015: Bildung). Die allgemeine Alphabetisierungsrate lag in Burundi in den Jahren 2009/2010 bei 42,5%.

    Schulbildung ist dennoch nicht kostenlos. Familien müssen für Schulhefte, Kugelschreiber etc. rund 7,5 US Dollar pro Jahr pro Kind bezahlen (CRIDIS 2012: 20). Bei Kindern in der weiterführenden Stufe – der secondaire – sind es dann schon rund 20 US Dollar pro Kind pro Jahr (ebd.). Bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 260 US Dollar¹⁶ (Destatis 2016) und durchschnittlich – je nachdem welche Statistik man zugrundelegt – zwischen drei ¹⁷ (ISTEEBU 2012: 19) und sechs (IMF 2012: 112) Kindern ist das eine enorme Summe des verfügbaren Einkommens, das für Bildung investiert werden muss.

    Kritisch ist zu sehen, dass das Ziel der Entwicklung von Bildung und Erziehung ist, wie es im strategischen Plan der Regierung heißt, die Armut im Land zu bekämpfen, indem Humankapital produziert werde, das zum Wachstum beitrage. Dieses wird dann als Gewinn im formellen Bildungssektor gesehen¹⁸ (République du Burundi 2012: 15).

    Auch die nächsten Bildungswege wie formale Ausbildungen oder Universitätsplätze sind dünn gesät, somit überlaufen und oft völlig unterversorgt (Ausnahme bilden einige Privatuniversitäten, die aber Studiengebühren verlangen und somit nur priviliegierten Studierenden Zugang bieten). Allein schon die Tatsache, dass es im Jahr 2012 nur 3.000 Ausbildungsplätze für Handwerksberufe im Anschluss an die primaire gibt (die aber bis 2020 auf 16.000 angehoben werden sollen, vgl. a.a.O: 28), zeigt, wie schwierig es für Jugendliche ist, berufliche Perspektiven zu entwickeln. Diese Zahl wird umso brisanter, wenn man sich die Bevölkerungsstatistik vor Augen führt (s.o.) und deutlich wird, wie stark dieses Missverhältnis von Angebot und Nachfrage in absoluten Zahlen ist. Ähnliches gilt für die universitäre Ausbildung. Im Jahr 2012 waren es rund 30.000 Studienplätze (davon 57% in privaten Universitäten), die auf 52.000 im Jahr 2020 angehoben werden sollen, mit einem Anteil an Privatuniversitäten von 53% (a.a.O.: 31f.). Hinzu kommt noch, dass für viele StudentInnen die Auswahl des Studiengangs zwar in Präferenzen angegeben werden kann, aber letztlich eine zentrale Vergabestelle über die kostengünstigen Plätze an staatlichen Universitäten entscheidet. Als weiterer Punkt kommt hinzu, dass auch wenn ein junger Mensch nun eine gute Ausbildung absolviert hat, er dadurch allein noch keine Aussicht auf berufliche Perspektive hat, wie im African Econimc Outlook für ganz Afrika beschrieben wird: „For young people, the lack of jobs is the most pressing challenge. Despite their improved education, young Africans still suffer from both poor health and a lack of employable skills, as well as limited access to financial assets to start their own businesses." (AfDB/OECD/UNDP 2017: 109) Dieser Aspekt spielt im empirischen Teil im Kapitel 6.2.2. „Zukunft gestalten" eine Rolle.

    Neben diesen bildungstechnischen schwierigen Perspektiven spielen noch kulturelle Aspekte eine Rolle, die burundische Jugendliche bei ihrer gesellschaftlichen Positionierung beeinflussen.

    2.2.3. Jugend und kulturelle Identität

    Der Anthropologe und Experte für Jugend in Kriegs- und Nachkriegsländern Marc Sommers beschreibt sehr eindrücklich wie Jugendliche in Ruanda, dem Nachbarland und „großen Bruder Burundis, in ihrer Jugend „feststecken: „Many are stuck, struggeling to become adults but unable to gain acceptance as one. […] They were unable to construct a house, […] (Sommers 2012: 194). Diese Situation hatte zur Folge: There were strikingly high levels of frustration and anxiety affecting nearly all of the male youth the research team interviewed in rural Ruanda (ebd.).

    In Burundi, dessen Sprache, Geschichte und Kultur ja eng verwandt mit den ruandischen Gegebenheiten ist, habe ich eine ähnliche Erfahrung gemacht. Auf Grund der oben aufgeführten Wirtschafts- und Bildungssituation können viele Jugendliche nicht heiraten. Denn der zu bezahlende Brautpreis (la dotte) ist für viele unerschwinglich. Hinzu kommt noch, dass der Brautpreis steigt, wenn die Braut eine höhere Bildung besitzt, und viele Paare starten hoch verschuldet in ihr neues Ehe- und Familienleben. Daher werden viele Ehen in Burundi derzeit spät geschlossen. Zur kulturellen Identität eines Mannes oder einer Frau gehört aber, dass er oder sie verheiratet ist und – vor allem die Frau – auch Kinder hat.

    Diese Beobachtungen werden vom Politologen und Burundi Kenner Uvin in einer Untersuchung bestätigt und deutlich unterstrichen (vgl. Uvin 2009: 123ff.). Eine Folge dieser Situation der späten Heirat sind Landflucht (a.a.O.: 127) und „illegale oder unoffizielle Heirat (ebd.). Trotz dieser belastenden Situation halten viele burundische Jugendliche an diesen traditionellen Rollenvorstellungen fest: „Burundians identify with traditional African constructions of masculinity and feminity – at their core, to be a good young woman is to behave morally, to be a hard worker in the home of first her parents and then her husband, and to bear children. To be a good young man is to be financially viable enough to secure a marriage, support one’s family, and provide for one’s parents. And everyone ought to respect their parents and elders (a.a.O.:142). Dennoch ist ein gesellschaftlicher Wandel festzustellen – beispielsweise werden manche Bräuche gegenseitiger Besuche vor oder nach der Hochzeit durch die Familien des zukünftigen Ehepaars nicht mehr oder abgeschwächt gemacht. Prozesse, die sowohl von den Eltern ausgehen, als auch von den Jugendlichen selbst gestaltet werden.

    Somit hat unter anderem die derzeitige wirtschaftliche Situation ein

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1