Fahnenflüchtig in Wien: Bühnenspiel
Von Sophia Benedict
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Über dieses E-Book
Krieg hat einen langen Arm. Im Zentrum der dramatischen Erzählung stehen die Schicksale von zwei jungen Männern - einem Tschetschenen und einem Russen, beide Deserteure wider Willen. Nahe der Frontlinie treffen sie im Wald aufeinander - einer von ihnen braucht Hilfe, der andere bringt es nicht übers Herz, einen Menschen in Not allein zu lassen. So bahnt sich zwischen den beiden Feinden eine Freundschaft an. Gemeinsam fliehen sie ins Ausland, aber das Grauen des Krieges verfolgt sie bis ans Ziel ihrer Flucht. Die Freundschaft hilft ihnen, zu überleben.
Die Autorin erklärt, dass jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen rein zufällig ist.
Sophia Benedict
Sophia Benedict, pisatelj, perevodchik, zhivjot i rabotajet v Vene, Avstria
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Buchvorschau
Fahnenflüchtig in Wien - Sophia Benedict
Personen der Handlung
Ivan, Russe
Ahmed, Tschetschene
Kadyr, Tschetschene
Mikola, Ukrainer
Dimitrij, Weißrusse
Farchad, Afghane
Sevar, Afghane
Jana, Moldawien
Mila, Russin
Lyudmila, Ukrainerin
alle unter 25 Jahre
Salima, Tschetschenin
Vazha, Georgier
Liya, Tschetschenin
Anusch, Armenierin
Schagane, Armenierin
alle unter 40 Jahre
Horsched, Iraner
Bacha, Tschetschene
Omid, Iraner
etwa 40 Jahre
Geigenspieler
über 60 Jahre
Katrin, Sozialarbeiterin
Günter, Leiter d. Flüchtlingsheims
Gefängniswärter, Polizisten
Burschen und Mädchen im Dorf,
Tschetschenische Kämpfer und russische Soldaten
Flüchtlinge im Heim, Ein kleines Mädchen
Passanten
Inhaltsverzeichnis
Akt I
Szene 3
Szene 4
Szene 5
Szene 6
Szene 7
Szene 8
Szene 9
Szene 10
Szene 11
Szene 12
Szene 13
Szene 14
Szene 15
Szene 16
Akt II
Szene 1
Szene 2
Szene 3
Szene 4
Szene 5
Szene 6
Szene 7
Szene 7
Szene 9
Szene 10
Szene 11
Szene 12
Szene 12
Szene 13
Szene 14
Szene 15
Szene 16
Szene 17
Szene 18
Szene 19
Szene 20
AKT I
In einer Zelle mit sechs zweistöckigen Betten im Schubhaftgefängnis in Wien befinden sich zwölf Männer : zwei Afghanen – Sevar und Farchad, ein Ukrainer – Mykola, ein Weißrusse – Dmitrij, ein Georgier – Vazha, ein Russe – Ivan, drei Tschetschenen – Achmed, Kadyr und Bacha und zwei Iranern – Horsched und Omid. Diese beiden und Bacha sind gegen vierzig Jahre alt, alle anderen sind junge Burschen rund um die zwanzig.
Manche liegen, andere sitzen beim Tisch.
Die Afghanen Farchad und Sevar – beide, wie übrigens viele Afghanen, sehen sehr gut aus, sitzen auf dem Boden mit dem Rücken zur Heizung.
Mikola spielt Gitarre.
Farchad:
„Vielleicht kennst Du auch unsere Lieder?"
Mikola:
„Eure Lieder? Nein. Wo hast Du Russisch gelernt?"
Farchad:
„Ich habe ein Jahr lang in Russland gelebt. Ich kenne auch andere Sprachen."
Mikola:
„Sing vor, ich probiere, die Musik zu finden."
Farchad beginnt leise zu singen. Sevar singt ihm nach, zuerst nur die Melodie, dann auch mit Worten. Das Lied klingt traurig und ziemlich monoton. Sie singen immer lauter, es kommen dann auch heiterere Töne. Mikola findet die passende Begleitung sehr schnell.
Man hört, dass er ein seht guter Musiker ist.
Das Lied ist sehr lang. Schließlich hält das einer der Tschetschenen nicht mehr aus.
Kadyr:
„Haltet die Klappe! Ihr beide!"
Die Burschen hören auf zu singen.
Nach einer langen, stillen Pause steht Farchad langsam auf und macht einen Schritt auf Kadyr zu:
Farchad:
„Was hast Du gesagt?"
Kadyr:
„Ich hab gesagt, haltet endlich eure verdammten Klappen!
Euer Geheul steht mir schon hier!"
Kadyr zieht mit der Handkante über seinen Hals und steht auf.
Die beiden stellen sich in aggressiver Körperhaltung auf und schauen einander direkt in die Augen.
Ahmed:
„Lass das, Kabyr!"
Im gleichen Moment greifen Farchad und Kadyr einander an. Der Afghane versucht den Tschetschenen in den Clinch zu nehmen, man sieht, dass er stärker ist und auch besser trainiert.
Alle, außer Horsched und Omid stehen auf und schauen schweigend auf die Beiden.
Sevar und Аchmed sind bereit, ihren Kameraden zu Hilfe zu kommen. Jetzt stehen auch die Iraner langsam auf. Sie sind älter, als alle anderen hier, nur sie beide tragen Bärte.
Furchtlos stellen sich diese beiden zwischen Farchad und Kadyr.
Omid sagt etwas in seiner Sprache mit leiser, aber sehr harter Stimme. Es klingt so, als ob ein strenger Lehrer einem Schüler die Leviten liest. Farchad und Kadyr verstehen die Worte zwar nicht, aber sie verstehen sehr gut, worum es geht. Ungern beugen sie sich der Autorität der Älteren.
Sie schauen zur Seite, wie ein bestrafter Hund. Immer noch sind sie sehr wütend, aber etwas hindert sie, gegen Befehl der Älteren zu handeln.
Ahmed (ganz leise):
„Kadyr, lass das. Lass sie singen. Das stört ja niemanden.
Dmitrij:
„Gefällt dir denn das Lied nicht?"
Kadyr:
„Das Lied geht mich nichts an. Ich will einfach nicht, dass sie singen!"
Dmitrij (setzt sich neben Mikola):
„Hör‘ zu! Weißt du zufällig, warum Afghanen mit Tschetschenen verfeindet sind?"
Mikola:
„Verzeih, Dim", sagt er, „mir ist das scheißegal! Ich bin Musiker! Ich liebe alle, die Musik lieben!"
Dmitrij: „Warum bist du dann nach Österreich gekommen?"
Mikola (mit einer unzufriedenen Grimasse auf dem Gesicht, greift in die Saiten):
„Warum, warum…"
Dmitrij:
„Na, ich zum Beispiel wegen dem Lukashenko. Und Du?
Hast du auch Probleme?"
Mikola:
„Verzeih‘, ich scheiß‘ auf die Politik! Auch auf diesen Tschetschenen und den Afghanen. Ich hab‘ doch gesagt, ich bin Musiker! Mich interessiert nur die Musik!"
Mikola spielt auf der Gitarre eine elegante Passage, so, als ob er damit sagen wolle, dass das Gespräch zu Ende ist.
Rückblende.
Kärntnerstraße. Die Fußgängerzone. Es ist Abend, aber die Geschäfte sind noch geöffnet. Festlich angezogene Menschen flanieren über die Straßen. Bei Anbruch der Dämmerung sammeln die Straßenmaler ihre Habseligkeiten zusammen und die Musiker nehmen ihre Plätze ein.
Aus verschiedenen Richtungen wehen schwach verschiedene Melodien herüber.
Mikola findet einen passenden Platz. Er schließt seinen tragbaren Verstärker an die Gitarre an. Das geöffnete Futteral der Gitarre bleibt auf dem Boden liegen. Er beginnt die Gitarre zu stimmen.
Ein Mann mit einer Geige kommt auf ihn zu.
Geigenspieler (mit ukrainisch-jüdischer Aussprache):
„Du wieder hier …!"
Mikola:
„Ja, was soll ich sonst tun!"
Geigenspieler
„Du und ich kommen aus demselben Land. Ich sehe, dass auch dich das Heimweh plagt.
Mikola:
„Was ist das, dieses Heimweh? Geht es Dir schlecht in Wien? Du hast doch schon längst die Staatsbürgerschaft…"
Geigenspieler:
„Habe ich. Warum? Es geht mir gut. Ich bin froh in Wien zu sein."
Mikola:
„Übertreib nicht! Ginge es dir gut, würdest du abends nicht auf der Straße spielen."
Geigenspieler:
„Früher dachte ich auch so. Ich träumte davon, im Konzerthaus spielen zu dürfen. Später habe ich aber verstanden, dass die Freiheit wichtiger ist. Wie viel verdienst Du am Abend? Ich komme auf fünfzig bis sechzig Euro pro