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Persephone
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eBook375 Seiten4 Stunden

Persephone

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Über dieses E-Book

Neue Antriebe ermöglichen es der Union, immer weiter in den interstellaren Raum vorzudringen. Dabei stoßen die Pioniere bald auf fremde Spezies, wie das rätselhafte Robotervolk der Tloxi. Nicht alle diese Völker sind friedlich gesinnt. Manche von ihnen wachen eifersüchtig über ihre Interessensphären.
Schon bald sieht die Menschheit sich mit einer ernsthaften militärischen Herausforderung konfrontiert. Nur ein beherztes Vorgehen kann die Entscheidung bringen. An Bord der MARQUIS DE LAPLACE bereitet sich der junge General Rogers auf die Stunde der Wahrheit vor.
SpracheDeutsch
HerausgeberBegedia Verlag
Erscheinungsdatum14. Aug. 2017
ISBN9783957771001
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    Buchvorschau

    Persephone - Matthias Falke

    Rongphu

    Kapitel 1. Der Test

    Das orbitale Forschungslabor ERIS bewegte sich schweigend auf seiner annähernd kreisförmigen Umlaufbahn um den zweiten Planeten. Die fliegende Wissenschaftsplattform bot zwanzig Personen Platz. Sie war mit dem Modernsten ausgerüstet, was den Planetologen der Union derzeit zur Verfügung stand. In ihren Einrichtungen steckten Milliarden an Entwicklungskosten. Die meisten ihrer virtuellen, interaktiven, vollintegrierten und von KIs der dritten Generation gesteuerten Anlagen waren noch geheim. Sie würden, wenn überhaupt, erst in vielen Jahren für den öffentlichen Markt freigegeben werden.

    Die Aufgabe von ERIS war es, den Planeten zu erforschen, der sich träge unter ihr drehte und dem die Scherzkekse von der Wissenschaftlichen Abteilung den Namen Orkus gegeben hatten. Der eigentliche Zweck der Mission war es jedoch, das High Tech-Labor selbst und seine hochgezüchtete, kostspielige Ausstattung zu testen.

    Aktuell war die Station nur mit sieben Wissenschaftlern besetzt. Die Lebenserhaltungssysteme waren für zwölf Monate autark. Seit dem letzten Versorgungsflug waren erst wenige Wochen vergangen. Ein Frachter der TERMIT-Klasse hatte Wasser, Sauerstoff, frische Lebensmittel sowie Synthetisatorsubstanz gebracht. Außerdem persönliche Gegenstände, Wechselwäsche, zwei Forschungsmodule des Typs AIGIS, Plasma für die beiden Shuttles der ERIS und ein Containment, das auf der Nutzlastkapsel einer Lambda-Ionensonde basierte und das auf der höchsten Geheimhaltungsebene eingestuft war: Nur für den Kommandanten.

    Wie alle kleineren Sprungschiffe der Frühzeit der interstellaren Exploration wiesen auch die TERMIT-Frachter ein groteskes Missverhältnis zwischen Nutzlast und Ruhemasse auf. Der noch wenig erprobte Flug im Überlichtbereich machte es nötig, den Schiffen zu einer gewissen Trägheit zu verhelfen. Einheiten, die kleiner als eine Million Tonnen waren, konnten bis jetzt nicht zuverlässig genug navigieren. Unbemannte Versuchseinheiten waren viele Millionen Kilometer abseits der vorherberechneten Koordinaten aus den Transportkorridoren gekommen, was für den regulären Betrieb unzumutbare Risiken barg. Ein Schiff konnte sich im Inneren eines Mondes materialisieren oder zu tief im Gravitationstrichter eines Planeten, den es eigentlich ansteuern sollte. Die Forschungen steckten fest. Die superrelativistische Physik des Überlichtfluges ließ sich mathematisch schlechter in den Griff bekommen, als die Chefentwickler der Union und der konkurrierenden Vereinigungen bislang erklären konnten.

    Solange leichtere und zielgenauere Schiffe nicht zur Verfügung standen, behalf man sich mit zweierlei. Zum einen mussten die Einheiten zuerst bei Unterlichtflug das innere System verlassen und den relativ freien Raum der äußeren Planeten gewinnen, um zu springen. Dort betrugen die Distanzen zwischen den Massen viele Milliarden Kilometer oder mehrere Lichtstunden, was jenseits der kritischen Toleranzen der Aggregate lag und eine entsprechende Sicherheit gewährleistete. Erkauft wurde das mit einem manchmal mehrwöchigen Flug der schweren Einheiten bei Unterlichtflug, was zu nicht unerheblichen Zeitverlusten führte. Zum anderen schleppten die Schiffe dieser Generation gewaltigen Ballast mit sich herum, um ihren Flug zu stabilisieren. Da es dichte Masse sein musste und nicht Fracht sein konnte, die nicht in der gleichen Weise berechenbar war, ergab sich die für Ökonomen schwer zu ertragende Unwucht von bis zu einer Million Tonnen Ballast bei einer Nutzlast von gerade hunderttausend Tonnen. Das verschlang Treibstoff und, während der Beschleunigungsphase, Zeit. War im Augenblick aber technologisch nicht anders darzustellen. Die Schiffe – und das Prinzip galt für nahezu alle derzeit in Dienst stehenden Typen – ähnelten so den aufgedunsenen Königinnen der Termiten, Ameisen und anderen staatenbildenden Insekten. Der winzige Kopf und Vorderkörper wurde fast erdrückt und in den Schatten gestellt von dem bizarr aufgeblähten Unterleib. Statt Eier zu produzieren und den Erhalt der Population sicherzustellen, befanden sich in den zwei Dritteln der Gesamtlänge einnehmenden Hecksektionen der TERMIT-Frachter jedoch riesige Barren aus unverhüttetem Erz, das man der Einfachheit halber aus Asteroiden gebrochen hatte.

    Die beiden Notfallshuttles der ANT-Klasse, die an der ERIS angedockt waren, folgten vom Grundsatz her dem gleichen Bauplan. Da sie jedoch keine Fracht zu bewegen hatten, sondern nur der Besatzung der Station eine Fluchtmöglichkeit bieten sollten, waren die bewohnbaren Module inklusive Normalraum-Antriebssektion um den Faktor sechs kleiner als die der Transporter. Das Prinzip war jedoch dasselbe: der winzigen Wohnkapsel war ein kolossaler Rumpf angehängt, der außer dem Überlichtantrieb nichts als sonst nutzlose Materie enthielt. Da Kommunikation schneller als Licht in dieser bedauernswerten Frühzeit der Erkundung der Galaxis ebenfalls noch nicht möglich war, konnte sich die Crew eines abgelegenen Außenpostens wie ERIS nicht darauf verlassen, in einer Notfallsituation einen Hilferuf absetzen zu können und daraufhin gerettet zu werden. Sie musste sich selbst helfen und die Station verlassen. Da man, wie der Stationsleiter, Dr. Rogers, zu sagen pflegte, von allem Wichtigen immer zwei Exemplare zur Verfügung haben soll, waren es zwei ANT-Module, die an den entgegengesetzten Seiten der Orbitalstation festgemacht hatten. Dabei: Was sollte denn passieren?

    Die Straße folgte dem Geruch des nahen Meeres und schmiegte sich, als der Ozean in Sicht kam, dem Verlauf der Küste an. Rechterhand flimmerte die subtropische Pracht des Golfs, als die Fahrbahn nach Osten einbog. Sie verlief während der ganzen Zeit auf Stelzen, die so hoch wie fünfstöckige Bauwerke waren. Das erlaubte dem Passagier, der an die Automatik übergeben hatte, den Blick auf die sandgefüllten Buchten und palmenbestandenen Strände zu genießen. Es war Nachmittag. Die Sonne stand im Südwesten und schlug aus der unbewegten Fläche des Meeres einen platinfarbenen Glanz heraus. Villen und Feriensiedlungen zogen auf der Landseite dahin, Golfplätze und Appartementanlagen. Dann stakte die Fahrbahn wieder wie auf Zehenspitzen über Urwald und Mangroven, in denen sich seit den Zeiten der ersten europäischen Entdecker nichts geändert hatte.

    Das Ziel lag etwas außerhalb von Pensacola. Dabei waren die Grenzen zwischen Weichbild und Umland fließend. Pensacola, Hauptsitz der Union, zu dem auch deren Verwaltung, die Akademie und der mit Abstand größte Raumhafen des Planeten gehörten, fraß sich wie ein Krebsgeschwür ins Hinterland. Aus dem Orbit oder aus der Luft betrachtet, präsentierte es sich als grauer Tumor, dessen Metastasen mehrere Fahrstunden weit in die Umgebung ausgriffen. Werften, Forschungseinrichtungen, Bürokomplexe, wissenschaftliche Institute, Wohnraum und Freizeitanlagen für mehrere zehntausend Menschen. Pensacola war die Union, und die Union war inzwischen eine der größten Institutionen der Welt, auch wenn ihr Werbeslogan, demzufolge sie die Galaxis beherrschte, dem einen oder anderen übertrieben und, was schlimmer war, geschmacklos erscheinen mochte.

    Das üppige Klima und die robuste Vegetation, die im Handumdrehen noch aus jeder Brachfläche aufschoss, verhinderten, dass das ganze so hässlich und deprimierend war, wie es vielleicht in höheren Breiten geworden wäre. Auch legten die Architekten und Landschaftsplaner wert darauf, immer wieder Grünflächen, Gärten und botanische Oasen zwischen den Verwaltungstrakten, Hangars und Laborgebäuden einzuschalten. Pensacola als Ganzes glich so einem Campus, beinahe einer Sommeruniversität. Es war abgasfrei, erfüllte problemlos alle Forderungen der Rassen- und Geschlechtermischung, der ethnischen Vielfalt und der religiösen Toleranz. Über dem Pensacola der Werbevideos schien permanent die Sonne. Alle Menschen trugen weiß. Und alle lachten. Das empirische Pensacola kam dem erstaunlich nahe, was das eigentliche Unionsgelände anging. Aber es gab auch Schattenseiten. Pensacola Stadt etwa, das sich westlich der genannten Einrichtungen am Golf dahinzog, wies Ansichten auf, die kaum von einem Slum zu unterscheiden waren, als wolle es vehement leugnen, dass man sich noch in Nordamerika befinde. Die hier vorherrschende Ethnie waren Latinos, die auf den Straßen gesprochene Sprache war ein karibisch getöntes Spanisch. Hier wucherten Prostitution, Drogenmissbrauch, organisierte Kriminalität. Die statistischen Werte für Einkommen, Bildung oder etwa Kindersterblichkeit unterschieden sich nicht von jenen auf der Südhälfte des Kontinents oder in Afrika. Der Union war das schmuddelige Ambiente ihres Hinterhofs einigermaßen peinlich. Aber bis jetzt waren alle Anstrengungen, die Übel zu beseitigen, gescheitert. Einstweilen fand man sich damit ab, sie zu ignorieren.

    Der Scooter zeigte an, dass er die Küstenstraße an der nächsten Ausfahrt verlassen werde. Aus einer Laune heraus übernahm Laertes die Steuerung manuell. Er folgte den Anweisungen der Automatik und bog in eine kleinere Straße ein. Die sichelförmige Bucht in der Tiefe bildete an ihrem östlichen Abschluss eine Halbinsel, die auf einer hohen Felsklippe thronte. Die Interstate verlief hier weiter landeinwärts, da sie die Halbinsel abschnitt. Die Nebenstraße, der er nun folgte, ließ sich jedoch auf das Abenteuer eines Abstechers zu diesem idyllischen Dead End ein.

    Laertes drosselte das Tempo, um sich besser ein Bild machen zu können. Er bestaunte schmucke Villen und geräumige Privatgrundstücke. Daneben fiel ihm auf, dass dieser herrliche Flecken Erde bevorzugt zur Ansiedlung von Altenstiften, Pflegeheimen, Seniorenkliniken und Rehazentren genutzt wurde. Er lächelte in sich hinein und konzentrierte sich dann wieder auf sein Fahrzeug. Das Display zeigte an, dass er so gut wie da war. Dann hielt der Scooter auch schon vor einem schlichten Einfamilienhaus, das schön zum Meer hin gelegen war, auf drei Seiten von Rasen und Blumenbeeten umgeben. Er stieg aus und ging zum Tor. Noch ehe er sich bemerkbar machen konnte, wurde ihm geöffnet.

    Eine attraktive Frau von noch nicht vierzig Jahren kam ihm entgegen.

    »Sie müssen Laertes sein!«

    Sie trug nur eine kurze Leinenhose und eine helle Bluse. Ihre Arme und Beine waren braungebrannt. Die modische Kurzhaarfrisur verstärkte noch den jugendlichen Eindruck, der von ihr ausging.

    »Und Sie Beth.« Laertes reichte ihr die Hand, die sie mit festem Griff packte und schüttelte. Er vermutete, dass sie eine gute Tennisspielerin war.

    »Franklin ist im Garten«, sagte sie, als er an ihr vorbeiging. Dann setzte sie noch hinzu: »Ich denke, wir können Du sagen.«

    »Ja, natürlich.«

    Beth führte ihn um das Haus herum. Es waren Blumenrabatten und Gemüsebeete zu unterscheiden, Spalierobst und ein kleiner Rosengarten. Das war Beths Domäne, so viel sah man auf den ersten Blick. Ihre nackten Füße waren voller Erde, und sie hielt eine Gartenschere in der Linken.

    »Franklin ist bei der Kleinen.« Beth deutete auf die Wiese hinaus, die sich hinter dem Haus öffnete und meerwärts bis zum Ende des großzügigen Grundstücks verlief. »Er kann nicht von ihr lassen.«

    Laertes war unwillkürlich hinter ihr zurückgeblieben, deren burschikose Art ihn einschüchterte. Über einige Hecken und Beete hinweg sah er seinen ehemaligen Kameraden in einem Gartenstuhl sitzen. Ein etwa dreijähriges Mädchen kletterte auf ihm herum.

    »Geh ruhig«, ermunterte ihn Beth. »Ich wasche mir die Hände und sehe mal in der Küche, was ich für euch tun kann. Trinkst du einen Kaffee, Laertes?«

    »Ja, gern.« Er hörte sich selber sprechen, während er das Bild betrachtete, dessen Harmlosigkeit etwas mit ihm machte, für das er noch keinen Begriff gefunden hatte.

    Beth verschwand im Haus. Er ging um die Hecke aus Kotoneaster herum. Auf der Wiese war ein einfacher Plastiktisch gedeckt.

    Ash reichte ihm sitzend die Hand.

    »Entschuldige«, sagte er grinsend mit Blick auf das Mädchen, das wie ein Äffchen an seiner Brust und Schulter herumturnte.

    »Kein Problem.« Laertes strengte sich an, das unbefangene Lächeln zu erwidern. Er sah zu, wie Ash die Kleine mit sanfter Gewalt von sich löste und sie dann wieder richtig herum auf seinen Schoß setzte. Das Mädchen war ausgesprochen hübsch. Ihr braunes Haar war zu einem Pferdeschwanz gefasst. Die dunklen, temperamentvollen Augen hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Und wie Beth war auch sie sonnengebräunt. Jeder Zoll ihres energiegeladenen Wesens strahlte Unternehmungslust und einen nicht zu bändigenden Willen aus.

    »Darf ich vorstellen«, sagte Franklin B. Ash, der seinen Vaterstolz kaum noch bemeistern konnte. »Jenny, unsere Jüngste.«

    »Hallo Jenny«, sagte Laertes unbeholfen.

    »Jenny, Liebes, gib Onkel Laertes die Hand.«

    Die Kleine streckte ihm ihre Rechte entgegen und gleichzeitig die Zunge heraus. Laertes lachte und schüttelte das kleine Händchen, das von irgendwelchen Süßigkeiten klebrig war. Dann schaute er seinen Freund aus den Tagen des Jungfernfluges an.

    »Wieso die Jüngste?«

    »Wie sieht es aus?« Dr. Randolph Valerian Rogers trat an den Hauptbedienplatz der Orbitalstation.

    »Alles bereit zum finalen Test«, erklärte sein Stellvertreter, Seten Brini.

    »Dann bin ich mal gespannt.« Rogers sah über das holographische Pult hinweg. Einige hundert Kilometer unter ihnen dehnten sich die sandfarbenen Ebenen des Planeten. Dünne Wolkenschatten wanderten über die Salzseen und die kargen Gebirge. Es war eine trostlose Welt, auch wenn der Name Orkus ein bisschen melodramatisch für die ereignisarmen Basaltwüsten und kontinentgroßen Schotterflächen anmutete. Ein Planet, so groß und einladend wie der Mars. Nicht ungeeignet fürs Terraforming, auch wenn er dafür offiziell noch nicht freigegeben war.

    »Gehen wir’s an.« Dr. Rogers hatte noch einen Moment innegehalten, als habe er einen letzten Zweifel niederzukämpfen. Seine Mitarbeiter, mit dem Exogeologen Brini an der Spitze, kannten ihn allerdings gut genug, um zu wissen, dass er keine Zweifel und keine Vorbehalte kannte. Eher war es ein Augenblick der Besinnung, wie man ihn einem Hochgenuss vorausgehen lässt. Noch einmal die Augen schließen und tief durchatmen, ehe man den ersten Schluck Champagner trinkt oder an der Qatlette zieht.

    »Go!« Rogers zwinkerte seinem Assistenten munter zu.

    Brini aktivierte ein seit mehrere Minuten rot pulsendes Sensorfeld in der Mitte der virtuellen Konsole. Umfangreiche Aktivitäten tief im Inneren des fliegenden Labors liefen an, viele Decks unter ihnen und natürlich vollautomatisch. Ein Projektil wurde ausgestoßen. Durch Korrekturdüsen verringerte es seine Orbitalgeschwindigkeit, woraufhin es hinter der Station zurückzubleiben und nach unten zu driften begann. Als ein gewisser Sicherheitsabstand erreicht war, zündete das Projektil ein konventionelles Triebwerk, das auf der bewährten Lambda-Reihe basierte. Es schoss senkrecht nach unten, wobei es hart beschleunigte und bei Atmosphäreneintritt einen magnesiumfarbenen Schweif aus Plasma ausbildete.

    »Alle Systeme arbeiten einwandfrei«, kommentierte Seten Brini, was auf den Anzeigen zu sehen war.

    Die übrigen Mitarbeiter bildeten eine Traube um die beiden Chefwissenschaftler. Einige hatten sich auch an anderen Konsolen postiert, um den Vorgang von dort aus zu verfolgen. Eingreifen musste oder konnte jetzt niemand mehr. Die Dinge gingen ihren Lauf, der Millionen Male durchgerechnet, aber noch nie unter Echtbedingungen und in realem Maßstab ausprobiert worden war.

    »Zehn Sekunden bis zum Impact«, sagte Brini.

    Der senkrechte Strich der schwarzen Rauchfahne, die als leere Hülle zurückblieb, stand dürr am südwestlichen Horizont und wurde von der Eigendrehung des Planeten und der Orbitalbewegung der Station rasch in die Unsichtbarkeit entrückt.

    Mit bloßen Augen war jetzt nichts mehr zu erkennen. Aber ERIS hatte in den letzten Wochen ein vollintegriertes Satellitennetz über Orkus installiert, so dass der Kontakt zu dem Projektil sichergestellt war. Zahllose Sensoren waren auf den übermannshohen Konus gerichtet, der sich jetzt mit mehrfacher Überschallgeschwindigkeit der staubigen Oberfläche des Planeten näherte, von optischen Kameras bis zu Röntgensonaren, von Mikrowellenempfängern bis hin zu Gravitonendosimetern.

    Die letzten Sekunden. Dann zeigte das nachgeführte Bild, wie das Projektil sich senkrecht in die Kruste bohrte.

    »Impact«, sagte Seten Brini.

    Auf sämtlichen Schirmen entfaltete sich ein Feuerwerk an Daten. Gewaltige Massen an Informationen brandeten auf die Station ein und wurden von ihren Systemen aufbereitet. Die Besatzung würde Wochen damit zu tun haben, den Anfall an Messergebnissen zu interpretieren. Im Augenblick gab es nur eine Frage.

    »Hat es geklappt?« Dr. Rogers beugte sich, als sei er kurzsichtig, über die Konsole. Das optische Bild zeigte eine Staubsäule, die sich langsam und majestätisch über der Einschlagstelle in die Luft erhob. Da jeder Größenvergleich fehlte, waren ihre Dimensionen zunächst nicht festzustellen. Sie musste aber mehrere hundert Meter hoch sein. Ihre Form war die einer schlanken Fontäne.

    Mit einigen Sekunden Verzögerung brach nun das eigentliche Inferno über ERIS herein. Die meisten Daten kamen von den Satelliten, was eine gewisse Pufferung mit sich brachte. Eine hochauflösende 3D-Konsole etablierte sich unaufgefordert. Sie zeigte die Totale des Planeten, die nun durchscheinend wurde und den komplizierten Schalenbau im Inneren der Welt offenbarte.

    »Bingo.« Brini nickte seinem Vorgesetzten zu. Er strahlte über beide Ohren. »Sieht so aus, als hätten wir einen Volltreffer gelandet.«

    »Ins Schwarze!« Auch Rogers wirkte zufrieden.

    Sie verfolgten noch eine Weile, wie der Tsunami der hereinkommenden Daten von den hochentwickelten KIs der Bordsysteme gebändigt wurde. Dann reichten sie einander feierlich die Hand.

    »Ich denke, das war ein voller Erfolg«, sagte Rogers.

    »Das sehe ich ganz genauso.« Brini wusste kaum noch, wohin mit sich. Er trat von einem Bein auf das andere und wollte sich von Rogers losmachen, der immer noch seine Rechte festhielt.

    »Immer langsam.« Der Stationsleiter schien amüsiert. »Was haben Sie denn vor?«

    »Ich würde sagen, wir haben etwas zu feiern.«

    In der Crew machte ein vorfreudiges Raunen die Runde.

    »Auf die Gefahr, Sie zu enttäuschen«, sagte Dr. Rogers, der Brinis Hand jetzt endlich losließ und sich an die gesamte Besatzung des Orbitallabors wandte. »Aber ich fürchte, die eigentliche Arbeit fängt erst an!«

    »Nimm doch noch ein Stück Kuchen.« Beth reichte Laertes die Platte, und er nahm sich ein weiteres Stück des frischen Erdbeerkuchens.

    »Selbst gebacken?«, fragte er höflich.

    »Natürlich«, sagte Ash anstelle seiner Frau. »Beth ist eine hervorragende Hausfrau.«

    Er betonte das Wort und sah seinen ehemaligen Kameraden dabei lauernd an.

    »Was?« Laertes kaute mit vollen Backen. Auch Kaffee, wie Beth ihm mit einer Geste anbot, ließ er sich noch einmal einschenken.

    »Ich weiß genau, was du jetzt denkst!« Ash hatte den jovialen Freizeitton drauf.

    »Ich habe kein Wort gesagt.«

    Ash wartete, bis Beth aufstand und ins Haus ging, um frischen Kaffee und Limonade zu holen. Auch letztere schmeckte hervorragend! Selbstgemachte Zitronenlimonade!

    »Du denkst, da hat er sich aber eine ins Bett geholt«, fuhr Ash dann fort. »Eine die Kuchen backt und Blumen gießt und ihm süße Kinderchen schenkt.«

    »Ich habe nichts dergleichen gesagt oder gedacht.« Laertes hatte den Mund leer und konnte sich endlich verteidigen. Er sah Jenny zu, die in einem kleinen Sandkasten spielte. Dann schaute er seinem Freund ins Gesicht. »Niemals würde ich in solchen – Kategorien denken! Ich glaube, Beth ist eine ganz patente Frau, die ...«

    »Sie hat einen Master in Triebwerkstechnik und arbeitet im Forschungszentrum in Pensacola!« Ashs Triumph klang ein wenig angestrengt. Laertes fragte sich, ob die rhetorische Vorbereitung nötig gewesen wäre.

    »Schön«, sagte er nur.

    Beth kam mit einer weiteren Kanne Kaffee und einer Karaffe voll Limonade zurück.

    »Stell dir vor«, rief Ash ihr empört entgegen, als sie die Treppe von der Terrasse herunterkam und über die Wiese ging. »Mein Freund hier hat den Verdacht geäußert, du seist ein Hausmütterchen ohne Bildung, das nur kochen und backen kann.«

    »Das stimmt doch überhaupt nicht!« Laertes sprang auf, um Beth das schwere Tablett abzunehmen. Dabei bemerkte er das breite Grinsen, das seine Gastgeber wechselten. Offenkundig war das ganze ein Spiel, das sie öfter mit ihren Gästen spielten. Ein festes Ritual.

    »Blödmann!« Er boxte Ash im Vorbeigehen in die Schulter und setzte sich dann wieder auf seinen Platz.

    Jenny kam von ihrem Sandkasten gelaufen und verpasste ihrem Vater ebenfalls einen Fausthieb auf den Oberarm. Ash krümmte sich in vorgetäuschtem Schmerz. Dann packte er die Kleine, um sie durchzukitzeln. Laertes sah ihnen versonnen dabei zu. Er wartete, bis auch Beth ihren bequemen Stuhl wieder eingenommen hatte.

    »Du arbeitest für die Union?«, fragte er dann.

    »Wir alle sind die Union«, lachte sie.

    »Ja, das stimmt.« Er trank einen Schluck Limonade. »Alle eine große Familie.«

    Ash attackierte seine Tochter mit Kitzelangriffen. Die Kleine kreischte vor Vergnügen. Genau so plötzlich, wie sie gekommen war, wurde sie der Sache dann wieder überdrüssig. Sie machte sich von ihm los und kehrte in ihre Spielecke zurück.

    »Aber das müsst ihr mir trotzdem noch einmal erklären«, sagte Laertes, als die Erwachsenen wieder unter sich waren. »Wieso ist sie die Jüngste? Und wie geht das zu?«

    Beth reichte ihrem Mann über den Tisch hinweg die Hand und drückte sie lange. Die beiden sahen einander mit einem warmen Lächeln an.

    »Jenny ist unsere Kleine«, sagte Beth. »Donnan und Garth gehen auf die Schule. Und der Große ...«

    Laertes hätte sich beinahe an seiner Limonade verschluckt.

    »Ihr habt noch drei weitere Kinder?«, platzte er heraus. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?« Er funkelte Ash böse an.

    »Wir wollten dich überraschen.« Der Beamte strahlte vor Begeisterung über seinen gelungenen Coup.

    »Das ist euch gelungen.« Laertes sah von einem zum anderen. »Also! Ihr habt noch drei Söhne, und einer davon ist erwachsen, oder was?«

    »Donnan und Garth sind Zwillinge.« Beth lehnte sich stolz in ihrem Gartenstuhl zurück. »Alwyn geht aufs College.«

    »Aufs College.«

    »Wenn du zum Abendessen bleibst, kannst du die beiden Mittleren kennen lernen«, sagte Beth. »Der Große hat gerade einen Lehrgang. Er kommt nur an den Wochenenden nach Hause.«

    »Okay.« Laertes wirkte ein wenig konsterniert. Er schüttelte den Kopf, als Beth ihm noch ein Stück Kuchen auftun wollte. Stattdessen fixierte er Ash. »Bitte!«

    »Von dem Programm Semen hast du also nie gehört?«, erkundigte sich Ash.

    »Offenbar nicht, nein.«

    »Ich muss sagen, das war ein außerordentlich feiner Service, den die Union uns da geboten hat.«

    »Ein Service? Ich wusste nur, dass Du dich bei der speziell eingerichteten Kontaktbörse angemeldet hattest.«

    »Ja genau. Aber das hier ist etwas anderes. Ein äußerst umfangreiches Programm«, fiel Beth ein. »Es ging ja nicht nur um das Material als solches, um das sich schon vor dem Abflug gekümmert werden musste, sondern auch um die ganze Organisation, die Logistik, die psychologische Betreuung, die finanzielle Ausstattung, all diese Dinge.«

    »Es ist ein gewaltiger Apparat, der da im Hintergrund agiert«, sagte Ash. »Und offenbar arbeitet er so diskret, dass selbst Angehörige der Crew nichts mitbekommen haben.«

    »Hat das etwas mit unserer MARQUIS DE LAPLACE zu tun?«, fragte Laertes.

    »In gewisser Weise.« Ash schmunzelte. »Notgedrungen.«

    »Verstehe.« Laertes schüttelte den Kopf. »Also wenn ich etwas derartiges mitbekommen hätte oder dazu eingeladen worden wäre, hätte ich sicher dankend abgelehnt.« Er dachte eine Weile nach. »Nichts gegen dich, Beth, aber das alles ist sehr – seltsam.«

    »Was ist daran seltsam?«, fragte sie.

    »Na, hör mal.« Da das Thema ihnen anscheinend überhaupt nicht peinlich war, ließ er sich auf den plaudernden Tonfall ein. Ihm wäre es unangenehm gewesen. Selbst so, als Unbeteiligter, musste er dagegen ankämpfen, sich zu genieren. Aber offenbar genossen es die beiden geradezu, darüber zu reden.

    »Wie habt ihr das arrangiert?«, fragte er, um ihnen den Gefallen zu tun. »Ich meine, wie habt ihr euch überhaupt kennen gelernt? Ich vermute mal, du warst noch nicht geboren, als wir aufgebrochen sind. Oder warst du mit an Bord?«

    »Nein, war ich nicht.« Beth lachte. »Ich kam zur Welt, als ihr längst auf dem Rückflug wart. Während ich aufwuchs, lagt ihr in Hibernation.«

    »Und dann?«

    »Ich interessierte mich für alles, was mit Raumfahrt zu tun hatte. Nach dem College bekam ich die Zulassung für die Akademie der Union in Pensacola. Ich schrieb mich in Triebwerkstechnik ein. Überlichtflug war das große Thema!«

    »Und dann?« Laertes hielt es kaum noch auf seinem Sitz.

    »Ich erfuhr von dem Programm. Man machte unter jungen Kommilitonen ziemlich Werbung dafür. Die MARQUIS DE LAPLACE würde in einigen Jahren von ihrem Flug, ihrem buchstäblichen Jahrhundertflug, zurückkehren. Ein großer Teil der Crew setzte sich aus Singles zusammen, die auf eine Welt ohne Angehörige treffen würden.«

    »Eine Kontaktbörse!«

    »Ja, auch. Aber noch sehr viel mehr.«

    »Eine umfassende Unterstützung. Das Rundum-Sorglos-Paket zur Familiengründung.«

    »Naja, sorglos.« Ash wirkte auf einmal nicht mehr so begeistert.

    »Am Anfang brauchte es natürlich ein wenig.«

    »Ich habe ziemlich lange gebraucht«, sagte Ash in Richtung seines Kameraden. »Bestimmt ein halbes Jahr. Du hast es ja selber mitgemacht. Man kommt hier an. Alles ist anders, einfach alles. Und da ist niemand mehr, den man kennt.«

    »Ja, ich weiß.« Laertes wandte den Blick ab und atmete tief durch.

    »Tut mir leid, Mann. Wir alle mussten da durch, auf die eine oder andere Weise.«

    »Nur dass du« – Laertes schluckte. Dann zwang er sich, Beth in die dunklen Augen zu sehen, die jetzt ganz ernst waren. – »dass du am Gate von deiner Familie abgeholt wurdest?«

    »Von meiner Frau und meinen drei Söhnen.« Ash strahlte. »Und als Beth vor vier Jahren mit Jenny schwanger war, waren wir auf Luna III, weil dort ein Symposium über die aktuelle Triebwerkstechnik stattfand.«

    »Aber ihr kanntet euch doch vorher gar nicht!«

    »Ich hatte ja sein Profil von der Kontaktbörse«, erzählte Beth unbefangen. »Was willst du. Er sieht gut aus. Er ist wohlhabend. Und er ist so lustig!«

    »Ja, das ist er allerdings«, seufzte Laertes. Den Büro-Ash, dachte er, bekam sie ja vermutlich nie zu sehen.

    »Oder findest du die Idee einer arrangierten Ehe per se anstößig?«

    »Nein, auf keinen Fall.«

    »Also doch.« Beth lächelte. Seine Antwort war ein bisschen zu schnell gekommen. »Das muss jeder für sich selbst entscheiden.«

    »Ich würde es nie verurteilen«, sagte Laertes hilflos. »Aber für mich käme es eben nicht in Frage.«

    »Keiner wird gezwungen.« Sie hob die sonnengebräunten Schultern. »Aber ich muss sagen, in diesem Fall war es schon eine feine Sache. Ihr hattet ja nun einiges hinter euch. Die Wiedereingliederung, um es im offiziellen Jargon zu sagen, würde so oder so schwierig werden. So war das Nest schon bereitet, in das die Heimkehrer sich fallen lassen konnten.« Sie betonte das Wort im Stil eines markigen Propagandavideos.

    Laertes nickte geistesabwesend und kaute auf der Lippe.

    »Natürlich mussten wir uns kennen lernen«, fuhr Beth fort. »Aber das hat eigentlich ganz gut geklappt. Als die MARQUIS DE LAPLACE sich dem Sonnensystem näherte und man wieder halbwegs normal kommunizieren konnte, haben wir angefangen, uns Videos zu schicken.«

    »Da war«, Laertes überschlug ein paar Daten im Kopf, »da war der Große aber schon geboren.«

    »Ja, Allie war schon da.«

    »Und wenn ihr nun gemerkt hättet, dass es – nicht geht?«

    Beth sah ihn nachdenklich an. »Wenn man sich zu einem solchen Schritt entschließt«, sagte sie ruhig, »dann ist man auch bereit, sich darauf einzulassen. Man rechnet nicht mit dem Blitz, mit der großen Liebe.«

    »Man arrangiert sich.«

    »Man lernt sich kennen. Man gibt einander Zeit. Man akzeptiert einander. Man lernt den Anderen lieben.«

    »Wow.« Laertes lächelte schüchtern. »Das klingt beinahe zu

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