Alte Rechnungen und falsche Schuldner: Übertragung in Beziehungen, Gemeinden und Beratung
Von Ursula Schmidt und Ursula Roderus
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Über dieses E-Book
Die Verletzung, die Lisa durch eine Unhöflichkeit der Seelsorgerin beim letzten Gespräch erlebt hat, wäre schnell geheilt. Aber ihre tiefen Schmerzen, die eigentlichen Wunden aufgrund der Vernachlässigung durch die Mutter, die bleiben weiterhin verdrängt, unbeachtet, ungeheilt.
Immer wieder erleben wir in aktuellen Beziehungen aufgewühlte Gefühle, Konflikte oder Enttäuschungen, die eigentlich zu früheren Erfahrungen gehören, die wir aber unwissentlich auf unser gegenwärtiges Gegenüber, den falschen Schuldner, übertragen. Sigmund Freud hat dieses Phänomen beschrieben und dafür den Begriff „Übertragung“ geprägt. Ihren häufig verwirrenden und zerstörerischen Einfluss findet man in Ehen, Gemeinden, Beratungssituationen, unter Arbeitskollegen: überall dort, wo Menschen miteinander zu tun haben. Bleibt Übertragung unerkannt, kann sie verheerende Folgen für Einzelne und Organisationen nach sich ziehen.
Ein wichtiges Buch zu einer allgegenwärtigen Thematik, die große Auswirkungen hat, kenntnisreich und gut lesbar geschrieben.
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Buchvorschau
Alte Rechnungen und falsche Schuldner - Ursula Schmidt
© Copyright 2016 by Asaph-Verlag
2. Auflage 2017
Bibelzitate wurden der Lutherübersetzung 1984
© 1984 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, entnommen.
Umschlaggestaltung: joussenkarliczek, Schorndorf
(unter Verwendung eines Motivs von © istockphoto.com/Fosin2)
Satz/DTP: Jens Wirth
E-Book
-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
ISBN 978-3-95459-581-5
Bestellnummer 148003
Für kostenlose Informationen über unser umfangreiches Lieferprogramm an christlicher Literatur, Musik und vielem mehr wenden Sie sich bitte an:
Fontis Media GmbH, Postfach 2889, D-58478 Lüdenscheid
fontis@fontis-media.de – www.fontis-shop.de
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1: Wie entsteht Übertragung?
Alte Konflikte in heutigen Beziehungen
Bearbeiten oder vergeben?
Kapitel 2: Dynamik von Übertragung
Suche nach dem Happy End
Positive Übertragung
Negative Übertragung
Die destruktive Seite der Übertragung
Kapitel 3: Was löst Übertragung aus?
Situationen
Umfeld
Personen
Kapitel 4: Übertragung in Ehe und Partnerschaft
Kapitel 5: Übertragung in christlichen Gemeinden
Gemeinde – ein Ort der Heilung?
Göttliche und menschliche Liebe
Religiöser Missbrauch?
Kapitel 6: Folgen für den Übertragenden
Typisch!
Vergebliche Versuche geistlicher Bearbeitung
Vergebliche Beziehungsklärung
Einbeziehen anderer
Die Macht der Lügen
Kapitel 7: Folgen für das Opfer einer Übertragung
No-Win-Situation
Weitere Übertragungen werden ausgelöst
Ein allgemeines „Kesseltreiben"
Kapitel 8: Zwei Beispiele
Elsa
Ein Gemeinde-Leitungsteam
Kapitel 9: Umgang mit Übertragung
Was nicht hilft
Was dem Opfer einer Übertragung hilft
Was demjenigen hilft, der verletzt ist und überträgt
Kapitel 10: Eine dringende Warnung vor Missbrauch
Kapitel 11: Übertragung im Kontext Beratung
Das Dramadreieck
Eine andere Sicht einnehmen
Kapitel 12: Übertragung in der Beratungsbeziehung
Geistliche Elternschaft
Klare Angebote?
Den eigenen Mangel füllen
Übertragung beim Berater
Übertragung auf den Berater
Fruchtbarmachen positiver Übertragung
Thematisieren von negativer Übertragung
Schutz vor destruktiven Auswirkungen
Traumatisierte Klienten
Kapitel 13:Gegenübertragung
Was ist Gegenübertragung?
Empathische Gegenübertragung
Reaktive Gegenübertragung
Fruchtbarmachen von Gegenübertragung
Selbstreflexion und Supervision
Kapitel 14: Pflege- und Adoptivkinder und das Thema Übertragung
Kapitel 15: Übertragung in der Gottesbeziehung
Anmerkungen
Weitere Bücher
Vorwort
Ich erinnere mich an etliche unerfreuliche Begebenheiten in meinem Leben, wo sich aus geringem Anlass heftige Konflikte entwickelten, die nicht zu lösen waren. Wurde solch ein Konflikt öffentlich, bildeten sich bald „Fanclubs, die den Streit weiter eskalieren ließen und neue Konflikte zwischen anderen Personen schufen. Unbeteiligte waren ratlos, Vermittlungsversuche von Freunden und auch fachliche Mediationen verpufften wirkungslos. Alle Beteiligten beanspruchten für sich absolute Aufrichtigkeit, jeder fühlte sich der Wahrheit verpflichtet, jeder wollte nur „das Beste
– und trotzdem schlitterten die beteiligten Parteien unaufhaltsam in eine Beziehungskatastrophe. Sehr spezifische Erwartungen, unweise Formulierungen, emotionale Entgleisungen, zunehmende Respektlosigkeiten und Unterstellungen, Verdrehen von Tatsachen und Lügen schufen ein Klima des Misstrauens, an dem schließlich Ehen, langjährige Freundschaften, Familienclans und Gemeinden zerbrachen.
Derartige Konflikte waren für mich jahrelang ein Rätsel. – Wie konnte so etwas nur passieren? – Und das bei aufrichtigen Christen! – Welche zerstörerischen Mechanismen waren hier am Werk? – Niemand hatte das katastrophale Ende gewollt, und doch hatte jeder dazu beigetragen.
Bei unserer ersten Seelsorgekonferenz erhielt ich den Schlüssel. Beim Thema Übertragung saßen die Zuhörer gebannt auf der Stuhlkante. Ihre Gesichter spiegelten Betroffenheit, Trauer, Schmerz und Erleichterung. Es war für viele eine Offenbarung: „Aha, endlich verstehe ich, warum …" Bei den nächsten Konferenzen war es ähnlich. Das Wissen um Übertragung ist der Schlüssel, um die Dynamik vieler unlösbarer Konflikte verstehen zu können. In unserer Beraterausbildung bei Team. F ist es ein wichtiges Thema geworden.
Aus dem Wunsch, dieses Thema vielen enttäuschten, ratlosen und konfliktmüden Menschen zugänglich zu machen, entstand dieses Buch. Ich freue mich, dass Ursula Roderus und Ursula Schmidt dieses Thema so anschaulich und praktisch beschreiben. Beim Lesen werden Sie sicherlich etliche Aha-Erlebnisse haben. Aber vor allem ist es mein Wunsch und Gebet, dass Sie, lieber Leser, nicht nur bei anderen Übertragungsproblematiken erkennen, sondern vor allem Ihren eigenen Übertragungen auf die Spur kommen und sie bewältigen: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?" (Matthäus 7,3).
Dirk Lüling, Team. F
Einleitung
Nicht immer gehören aufgewühlte Gefühle, Konflikte oder Enttäuschungen, die wir in aktuellen Beziehungen erleben, tatsächlich nur zum Hier und Heute. Frühere Erfahrungen, vor allem Beziehungserfahrungen, haben ihre Spuren in uns hinterlassen. Entstandene Prägungen bringen wir mit in neue aktuelle Begegnungen und reagieren dementsprechend. So können gute und schlechte Erfahrungen, unerfüllte Erwartungen, frühere Enttäuschungen und Konflikte heutige Beziehungen beeinflussen. Dies spielt in vielen Lebenssituationen eine Rolle, besonders aber dort, wo wir viel von einem anderen Menschen erwarten, erhoffen oder befürchten – im freundschaftlichen Miteinander, in Gemeinden, im Beruf, in der Ehe und in Seelsorge, Beratung und Therapie.
Wenn wir Übertragung als Realität akzeptieren, ihre Dynamik und die damit verbundenen Zusammenhänge verstehen lernen, können wir Verwirrung und Missverständnisse in Beziehungen besser einordnen und Konflikten vorbeugen. Dies ist wichtig, denn Übertragung hat Folgen: für den Menschen, der überträgt, ebenso wie für den Menschen, auf den übertragen wird, und noch dazu auf die Umgebung dieser beiden. Bleibt Übertragung unerkannt, hat sie das Potenzial, Beziehung zu zerstören.
Der erste Eindruck
Wie lange dauert es, bis wir uns einen Eindruck von einem anderen Menschen verschafft haben?
In den Hauskreis kommt heute jemand Neues. Die Teilnehmer wissen nicht so recht, ob sie sich freuen sollen oder eher nicht. Frischer Wind ist bestimmt gut, aber andererseits haben alle sich gerade doch so gut zusammengefunden. Es klingelt, die Tür geht auf …
Laut Untersuchungen brauchen wir 90 Sekunden, um uns eine Meinung über einen Menschen zu bilden. Mit anderen Worten: Wir öffnen eine Schublade, die nach unserer Einschätzung passt, stecken die Person hinein – und dann bleibt sie erst einmal dort. Wir geben Menschen kaum eine Chance, aus der anfangs erfolgten Klassifizierung wieder herauszukommen. In welche Schublade eine Person geschoben wird, hat mit unseren persönlichen bisherigen Beziehungserfahrungen zu tun. Es kann durchaus sein, dass wir uns bei der Einsortierung irren, aber so schnell diese erste Sortierung erfolgt, so schwer ist es, sie später wieder zu verändern.
Kapitel 1
Wie entsteht
Übertragung?
Bei Übertragung spielen solche „Schubladen" eine wichtige Rolle, Schubladen, die gefüllt sind mit bisherigen Beziehungserfahrungen.
Der Begriff Übertragung wurde zum ersten Mal Anfang des 20. Jahrhunderts vom Psychoanalytiker Sigmund Freud definiert. Übertragung und Gegenübertragung sind auch heute noch wichtige Begriffe in Psychotherapie und Beratung. Vor allem in der psychoanalytischen Behandlung werden Übertragungen besonders beachtet und sind Grundlage der gemeinsamen Arbeit.
Alte Konflikte in heutigen Beziehungen
Das Thema Übertragung spielt nicht nur in der