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Limbus - The Last Humans: Die letzten Menschen, #2
Limbus - The Last Humans: Die letzten Menschen, #2
Limbus - The Last Humans: Die letzten Menschen, #2
eBook325 Seiten3 Stunden

Limbus - The Last Humans: Die letzten Menschen, #2

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Über dieses E-Book

Das zweite Buch der Trilogie Die letzten Menschen eines New York Times Bestsellerautoren ist endlich erschienen.

Gestern habe ich alle Geheimnisse von Oasis erfahren – das dachte ich zumindest. Als eine neue Gefahr droht, verwandelt sich die Feier der Tag der Geburten in einen Alptraum, aus dem es dieses Mal vielleicht kein Entrinnen gibt.

In Oasis ist nichts so, wie es zu sein scheint.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Nov. 2016
ISBN9781631421938
Limbus - The Last Humans: Die letzten Menschen, #2
Autor

Dima Zales

Dima Zales is a full-time science fiction and fantasy author residing in Palm Coast, Florida. Prior to becoming a writer, he worked in the software development industry in New York as both a programmer and an executive. From high-frequency trading software for big banks to mobile apps for popular magazines, Dima has done it all. In 2013, he left the software industry in order to concentrate on his writing career. Dima holds a Master's degree in Computer Science from NYU and a dual undergraduate degree in Computer Science / Psychology from Brooklyn College. He also has a number of hobbies and interests, the most unusual of which might be professional-level mentalism. He simulates mind-reading on stage and close-up, and has done shows for corporations, wealthy individuals, and friends. He is also into healthy eating and fitness, so he should live long enough to finish all the book projects he starts. In fact, he very much hopes to catch the technological advancements that might let him live forever (biologically or otherwise). Aside from that, he also enjoys learning about current and future technologies that might enhance our lives, including artificial intelligence, biofeedback, brain-to-computer interfaces, and brain-enhancing implants. In addition to his own works, Dima has collaborated on a number of romance novels with his wife, Anna Zaires. The Krinar Chronicles, an erotic science fiction series, has been a bestseller in its categories and has been recognized by the likes of Marie Claire and Woman's Day. If you like erotic romance with a unique plot, please feel free to check it out, especially since the first book in the series (Close Liaisons) is available for free everywhere. Anna Zaires is the love of his life and a huge inspiration in every aspect of his writing. Dima's fans are strongly encouraged to learn more about Anna and her work at http://www.annazaires.com.

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    Buchvorschau

    Limbus - The Last Humans - Dima Zales

    1

    Ich gehe durch die Wüste , und die Sonne brennt auf meiner Haut. In einiger Entfernung sehe ich etwas blau schimmern. Ist es eine Fata Morgana? Ich renne darauf zu, und aus dem Schimmern wird schnell ein endloser blauer Ozean.

    Ich bin begeistert. Ich hatte schon immer das Meer sehen wollen.

    Plötzlich erscheint vor mir eine Gestalt mit kurzen, verwuschelten Haaren, die einen Bikini trägt und sagt: »Ich war mir nicht sicher, ob es funktionieren würde, aber ich wollte es wenigstens versuchen. Du träumst gerade, aber du musst aufwachen.«

    Sobald ich meine Überraschung über ihre Erscheinung überwunden habe, verstehe ich, dass sie recht hat. Irgendwie hatte ich bereits vermutet, dass es nur ein Traum war. Schließlich gibt es um mich herum weder Kuppeln noch Barrieren, und tief in meinem Innersten weiß ich, dass Ozeane und Wüsten in Oasis nicht existieren.

    Diese Erkenntnis lässt mich umgehend hochschrecken.

    Die Lichter im Zimmer sind so sehr gedimmt, dass sie kaum Helligkeit abgeben. Es ist also noch nicht Morgen.

    »Es tut mir leid, dass ich in deinen Traum eingedrungen bin«, meint Phoe. »Ich weiß, dass es noch früh ist, aber wir müssen über etwas Wichtiges reden.«

    Ich reibe meine Augen, während ich versuche, vollständig aufzuwachen.

    Phoe steht neben meinem Bett. Ihr normalerweise fröhliches Gesicht ist mit Sorgenfalten übersät. Ich habe keine Ahnung, ob sie die ganze Nacht dort gestanden hat. Genau genommen steht sie auch gar nicht da. Ich kann sie sehen, weil sie das Interface für die erweiterte Realität steuern kann. Die echte Phoe – die künstliche Intelligenz, die das Raumschiff ist – ist überall.

    Während ich aufwache, spielen sich in meinem Kopf die Dinge ab, die ich gestern erlebt habe: Die Stille, mit der ich bestraft wurde, weil ich zu viele Fragen gestellt hatte, als das kontrollierte Vergessen von Mark bereits eingeleitet worden war, die Flucht aus dem Hexengefängnis mit Phoes Hilfe, das Abschalten des Zoos, das darauffolgende IRES-Spiel – wie ich durch den Wald rannte, auf einer Scheibe flog, schließlich gefangen genommen und beinahe getötet wurde – und das zweite und letzte Spiel gegen IRES. Viel wichtiger sind meine Erinnerungen an die welterschütternden Enthüllungen, die danach folgten, und der Gedanke daran setzt eine Flut von Fragen in meinem Kopf frei, an die ich gestern nicht gedacht hatte. Zum Beispiel: Wenn wir auf einem Raumschiff sind, wohin fliegen wir? Wann werden wir dort ankommen? Warum –

    »Ich war gerade damit beschäftigt, die Antworten auf genau diese Fragen zu finden. Eine meiner Prioritäten liegt darin, unsere genaue Position im Kosmos herauszubekommen – natürlich erst, wenn ich unser Überleben gesichert habe.« Phoe schaut misstrauisch zur Tür, bevor sie wieder mich anblickt. »Leider habe ich noch nicht genügend Rechenleistung, um überprüfen zu können, wo wir uns befinden. Allerdings habe ich herausgefunden, wie wir diese Ressourcen bekommen können. Das Problem ist, dass, wie ich bereits gesagt habe, unser Überleben an erster Stelle steht, und es gibt da etwas, was ich dir zeigen möchte.«

    Ihr Tonfall führt zu einem Adrenalinanstieg in meinem Körper, der auch die letzten Reste meiner Müdigkeit verfliegen lässt. Ich lasse automatisch die morgendliche Zahnreinigung durchführen, während ich mit meinen Füßen in meine Schuhe schlüpfe und meine Hand nach einem Essensriegel ausstrecke. Ein kleiner Beistelltisch mit einem Glas Wasser ist bereits erschienen. Das muss Phoe veranlasst haben.

    »Habe ich Zeit, etwas zu essen und zu trinken?«, frage ich in Gedanken.

    »Ja«, erwidert sie. »Die Gefahr ist nicht akut. Es ist einfach etwas, was du am besten so schnell wie möglich sehen solltest.«

    Ich lasse den Bildschirm erscheinen, um zu sehen, wie spät es ist – 5.45 Uhr. Ich hätte noch mindestens zwei Stunden schlafen können. Ich stopfe mir den halben Essensriegel in den Mund und kaue ihn hastig, während ich gleichzeitig etwas von unnötigem Schlafentzug vor mich hin murmele.

    »Wir hatten Glück«, sagt Phoe, die erneut einen Blick zur Tür wirft. »Sie haben ihr Treffen in der virtuellen Realität abgehalten – in meinem Herrschaftsbereich.«

    »Wer sind ›sie‹?«, frage ich in Gedanken und nehme einen Schluck Wasser. »Und was für ein Treffen?«

    »Schau es dir am besten mit eigenen Augen an.« Sie beißt sich auf ihre Lippe. »Ich habe kein Vertrauen in Sprache, wenn es um solche Dinge geht. Sie ist eine notorisch ungenaue Form der Kommunikation. Außerdem muss ich wissen, ob deine Einschätzung sich mit meiner deckt.«

    »In Ordnung.« Ich schlucke den Rest des Riegels trocken hinunter und kippe Wasser nach, während ich versuche, nicht auf ihre Lippen zu starren. »Fertig.«

    »Deine Höhle«, sagt Phoe kurz. Mit ernstem Gesicht führt sie die Geste der beiden nach oben gestreckten Mittelfinger aus, die sie erfunden hat, damit ich in die virtuelle Welt gelangen kann – als ob ich diese Geste jemals vergessen würde.

    Ich muss innerlich lachen, als ich daran denke, was Liam sagen würde, wenn er aufwachen und mich dabei sehen würde, wie ich sie ausführe. Wahrscheinlich würde er denken, dass ich ihm meine Mittelfinger zeige.

    »Jetzt, Theo.« Phoes Stimme ist ein angespanntes Flüstern.

    Phoes Körper steht nicht länger vor mir, also richte ich meine Mittelfinger dorthin, wo sie sich befinden würde, hätte sie diesen Raum nicht verlassen.

    Sollte ich noch Überreste von Müdigkeit in meinem Körper gehabt haben, wären sie spätestens durch den weißen Tunnel ausradiert worden.

    Ich muss blinzeln, als ich mich in meinem Käfig umsehe. Rechts von mir befindet sich ein Glas mit Rattengift und links von mir eine Badewanne aus Plastik, in der sich etwas faulig Riechendes befindet – vielleicht Salzsäure.

    »Bist du damit einverstanden, dass ich dich in die Aufzeichnung der virtuellen Realität hineinziehe?«, fragt Phoe.

    Ich schaue zu der Stelle, von der die Stimme kam, und bin darauf vorbereitet, meine Augen zu schützen. Das letzte Mal, als ich Phoe in meiner Höhle gesehen habe, strahlte sie eine Art göttliches Licht aus.

    »Nein, du musst dir keine Sorgen machen«, meint sie, und ich erkenne, dass sie genauso aussieht, wie sie es in der echten Welt getan hat, nur dass ihre Augen jetzt voller Besorgnis sind. Sie bewegt ihre Hände an ihrem kurvigen Körper hinunter. »Ich werde diese Gestalt annehmen, wann immer wir hier sind, besonders wegen der Sache, die wir gleich sehen werden.«

    Ich starre sie weiterhin an, während sie ihre Hände durch ihr Haar gleiten lässt und dabei aus ihrem sorgfältig gestylten Pixie-Cut ein wahres Durcheinander aus Fransen macht.

    »Also, bist du damit einverstanden, dass ich dich in die Aufzeichnung der virtuellen Realität hineinziehe?«, fragt sie erneut. »Willigst du ein?«

    Ich blinzele. »Warum nicht?«

    »Na ja, ich habe dir versprochen, ohne dein Einverständnis nie etwas mit deinem Kopf anzustellen. Damit du die Aufzeichnung sehen kannst, werde ich dich –«

    »Kein Problem«, sage ich, und mein Puls schlägt durch meine Neugier schneller. »Tu, was immer du tun musst.«

    Phoe führt eine Geste aus, die mich an den Dirigenten eines Orchesters erinnert. Augenblicklich verändern sich meine Sicht und mein Hörsinn so, als habe ich es mit einem altertümlichen, verstimmten Fernseher zu tun.

    Als dieses Rauschen nachlässt, befinde ich mich nicht länger in meiner Höhle.

    Ich betrachte meine Umgebung, während ich einer unglaublich fesselnden Musik lausche.

    Der Ort, an dem ich mich befinde, sieht aus wie eine der alten Kathedralen, nur um einiges größer. Selbst der Petersdom in der Vatikanstadt, der das größte Bauwerk seinesgleichen ist, über das ich jemals gelesen habe, würde einige Male in diese riesige Halle passen. Die Musik, die die Luft erfüllt, verstärkt mein Gefühl, klein und unbedeutend zu sein.

    »Das ist Orgelmusik.« Phoes angespannte Stimme hallt in meinem Kopf wider. »Genau genommen handelt es sich um Bachs Toccata und Fuge in d-Moll, BWV 538.«

    »Also das hier ist virtuelle Realität, genau wie meine Männerhöhle?« Ich speichere dieses Stück in meinem Hinterkopf auf meiner Favoritenliste ab und hoffe, dass mein Leben normal genug werden wird, um irgendwann einfach der Musik lauschen zu können.

    »Was du gleich sehen wirst, ist ursprünglich in der virtuellen Realität geschehen«, antwortet Phoe. »Der Unterschied zu deiner Männerhöhle besteht darin, dass es nicht ›live‹ ist. Du wirst eine heimliche Aufzeichnung des Treffens sehen. Wir haben Glück gehabt, dass sie sich hier getroffen haben, wo ich es mitbekommen konnte.«

    Ich schaue mich im Raum um, um herauszufinden, woher die Musik kommt. Sie hatten damals Orgeln in Kirchen, aber ich kann weder Instrumente noch religiöse Symbole entdecken. Trotzdem erwecken die Musik und die sehr hohen Decken den Eindruck, dass ich mich an einem eigenartigen Ort der Gottesanbetung befinde.

    »Das und die Tatsache, dass Jeremiah gerade niederkniet.« Phoes Stimme ertönt von einer Stelle, die weniger als einen Meter von mir entfernt ist.

    Ich schaue in diese Richtung, aber sie ist nicht da. Stattdessen sehe ich, worüber sie gesprochen hat: eine Gestalt mit weißen Haaren und einer weißen Robe, die fast mit dem weißen Boden verschmilzt. Diese Gestalt sitzt in einer gebetsartigen Haltung, die aussieht wie eine derjenigen, die wir als Kinder im Yogaunterricht gelernt haben, neben einer Plattform, die einer Bühne ähnelt. Auch wenn ich das Gesicht nicht sehen kann, erkenne ich augenblicklich, dass es sich um Jeremiah handelt, und ich verspüre den Drang, ihm etwas Gewalttätiges anzutun.

    Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass dieser Kerl mich erst gestern gefoltert hat.

    »Konzentriere dich«, sagt Phoe kurz angebunden. »Jetzt kommt der Teil, den du nicht verpassen solltest.«

    Und zeitgleich mit ihren Worten erscheint eine Gestalt aus reinem Licht auf dem Mittelpunkt der Plattform.

    Die Figur strahlt so hell und intensiv, dass ich meine Augen mit meinen Händen abschirmen muss. Es ist wie in die Sonne zu blicken, wenn diese eine menschliche Form hätte. Ich schließe meine Augen und nehme meine Hände hinunter. Die Helligkeit dringt selbst durch meine geschlossenen Augenlider.

    »Du kannst dich erheben«, sagt die Gestalt, und ihre Stimme hört sich an, als bestünde sie aus Orgelmusik.

    Die Intensität des Lichts ist etwas schwächer geworden, weshalb ich meine Augen ganz mutig einen kleinen Spalt weit öffne.

    Die Gestalt leuchtet immer noch, aber etwas weniger stark als vorher, und ich kann jetzt einige Einzelheiten erkennen, wie zum Beispiel, dass sie sehr spärlich mit etwas bekleidet ist, was einem Lendenschurz ähnelt – und dass es wohl richtiger ist, ›sie‹ ›er‹ zu nennen, da Brust und Schultern sehr muskulös sind. Allerdings wird diese Einschätzung, die auf der menschlichen Anatomie basiert, in Frage gestellt, als ich die riesigen taubengleichen Flügel dieser Kreatur mit einbeziehe, deren Federn aussehen, als würde jede von ihnen mehrere tausend Watt ausstrahlen.

    »Gesandter«, spricht Jeremiah, sobald er sich hingestellt hat.

    »Hüter«, erwidert das Wesen – der Gesandte – mit seiner orgelartigen Stimme.

    »Du ehrst mich mit deiner Anwesenheit«, sagt Jeremiah, aber seine Stimme hört sich eher zeremoniell als ehrerbietig an.

    »Immer so förmlich«, antwortet der Gesandte und schenkt Jeremiah ein engelsgleiches Lächeln, das viel zu schön für einen Mann ist.

    Jeremiah verbeugt sich, anstatt zu antworten.

    »Wir hätten gerne einen Bericht über die neuesten Vorkommnisse«, fährt der Gesandte fort, und seine unmenschlich alten Augen glitzern wie blaue Diamanten.

    »Was würdest du gerne wissen, Gesandter?«, fragt Jeremiah ruhig. »Es ist nicht viel passiert … zumindest nichts Erwähnenswertes.«

    »Ist das so?« Das himmlische Lächeln des Gesandten ist verschwunden.

    »Also …« Zum ersten Mal hört sich Jeremiah unsicher an. »Wir haben die Vorbereitungen für den bevorstehenden Tag der Geburtsfeiern getroffen. Die Babys in den Inkubatoren werden pünktlich geboren werden, und die Organisation der Feierlichkeiten verläuft im Zeitplan. Der neuen Generation der Betagten wurde erklärt, was auf sie zukommt, und sie hat Anweisungen für den Test erhalten …«

    Während er spricht, verdunkeln sich die Gesichtszüge des Gesandten und seine nähere Umgebung – so als ob er das ganze Licht, das er vorher abgegeben hat, jetzt aufsaugen würde. Die gerunzelte Stirn sieht auf seinem himmlischen Gesicht wie eine unpassende Maske aus.

    Jeremiah tritt einen Schritt zurück.

    »Möchtest du nichts weiter mit mir besprechen?« Die Stimme des Gesandten bekommt einen dieser dunkleren Klänge, die nur Orgeln hervorbringen können. »Nichts, was mit dem Rat zu tun hat?«

    »Ich weiß nicht, was du meinst«, sagt Jeremiah und schluckt hörbar. »Was ist mit dem Rat?«

    »Die Ratsversammlung.« Die Stimmmelodie des Gesandten wird immer angsteinflößender.

    »Welche Ratsversammlung?« Jeremiahs Stimme bricht. »Ich habe bereits von der letzten berichtet …«

    Die anmutigen Hände des Gesandten ballen sich zu Fäusten. In diesem Moment scheinen die Augen dieses Wesens einem Donnergott zu gehören, weshalb ich mich frage, ob er Jeremiah gleich mit einem Blitzschlag bestrafen wird. Der Blick, den er dem alten Mann zuwirft, ist wie jener, über den die Ahnen geschrieben haben – tödlich. Es überrascht mich, dass Jeremiah noch kein Häufchen Asche auf dem Boden ist.

    »Ich würde für meine nächste Frage gerne auf die Linse der Wahrheit zurückgreifen.« Die Stimme des Gesandten ist so tief wie nie zuvor. »Erinnerst du dich daran, was das bedeutet?«

    »Du denkst, ich –« Jeremiahs Gesicht wird blutleer, was dazu führt, dass er fast nicht mehr von dem weißen Marmor des Bodens zu unterscheiden ist. Dann erwidert er hastig, so als hätte er es sich besser überlegt: »Ja, natürlich.« Jeremiah legt feierlich seine Hand auf seine Brust. »Ich schwöre auf die Linse der Wahrheit, dass ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen werde.«

    Als Jeremiah die letzten Worte ausspricht, fallen seine Hände kraftlos an seinen Seiten hinab, und seine Augen werden glasig.

    »Erinnerst du dich an die Ratsversammlung, die erst vor einigen Stunden einberufen wurde?«, fragt der Gesandte.

    »Ich erinnere mich nicht«, antwortet Jeremiah wie ein Zombie.

    Die Fäuste des Gesandten entspannen sich, und sein Gesichtsausdruck wird verwirrt. »Ist seit deinem letzten Bericht etwas Außergewöhnliches geschehen?«

    »Nein«, erwidert Jeremiah. »Der Zwischenfall mit Mark war das letzte erwähnenswerte Ereignis, aber es ist bereits abgeschlossen und ich habe auch schon darüber Bericht erstattet.«

    »Hast du jemals in Betracht gezogen, deinen Pflichten als Hüter der Information nicht nachzukommen?« Der Gesandte faltet seine Flügel um seinen Körper, wie es jemand anderes mit seinem Umhang machen würde. »Hast du jemals mit dem Gedanken gespielt, das kontrollierte Vergessen bei dir selbst anzuwenden, auch wenn du es nicht solltest?«

    »Nein … und nein.« Jeremiahs Stimme ist wegen ihrer Gefühllosigkeit beunruhigend. »Ich habe nie etwas kontrolliert vergessen, seit ich zum Hüter geworden bin.«

    »Selbst wenn du es getan hättest, würdest du jetzt nicht lügen«, sagt der Gesandte. Seine melodiöse Stimme hört sich enttäuscht an. »Eine Lüge ist keine Lüge, wenn man nicht weiß, dass man lügt.«

    Jeremiah starrt das Wesen an. Ich nehme an, dass Jeremiah nur antworten kann, wenn ihm eine Frage gestellt wird, solange er unter der »Linse der Wahrheit« steht, was auch immer das sein mag.

    »Bist du dir der Tatsache bewusst, dass uns jede offizielle Ratsversammlung automatisch gemeldet wird?«, fragt der Gesandte.

    Er scheint ebenfalls verstanden zu haben, dass er Fragen stellen muss.

    »Ja.« Jeremiahs Gesicht ist völlig ausdruckslos.

    »Also, fällt dir irgendein Grund ein, weshalb wir einen automatischen Bericht über eine Ratsversammlung bekommen haben sollten, wenn keine stattgefunden hat?«

    »Nein.«

    Der Gesandte führt eine schnelle, ruckartige Geste in Jeremiahs Richtung aus, und die Augen des alten Mannes werden wieder normal. Ich hätte nicht gedacht, dass er noch blasser werden könnte, aber er schafft es. Seine Haut ist fast durchsichtig, und die Venen auf seinen Schläfen sind deutlich zu erkennen.

    »Verstehst du das nicht?«, fragt der Gesandte mit ernster Stimme. »Erkennst du das riesige Ausmaß des Geschehenen nicht?«

    »Doch, das tue ich«, antwortet Jeremiah mit zittrigen Lippen. »Jemand hat mich kontrolliert vergessen lassen.«

    2

    Die Szene pausiert . Der Gesandte wollte gerade etwas sagen, aber seine Mundbewegung wurde mitten im Satz eingefroren.

    Phoe erscheint vor mir. Ihre Finger sehen so aus, als hätten sie gerade geschnippt.

    »Bis jetzt hast du noch nicht das Schlimmste gehört.« Ihre Stirn ist in Falten gelegt. »Ich wollte nur eine Pause einlegen, weil deine neuronalen Muster mir Sorgen bereitet haben.«

    »Ach? Es sind die chemischen Abläufe in meinem Gehirn, die dir Sorgen machen?« Meine Stimme hallt in der virtuellen Kathedrale wider. Ich gehe einige Schritte auf die marmorne Plattform zu und zeige auf die Kreatur mit den Flügeln. »Solltest du dir nicht eher Sorgen um das machen?«

    »Offensichtlich beunruhigen mich beide Dinge«, antwortet Phoe, und die Falten auf ihrer Stirn vertiefen sich. »Aber ihre Unterhaltung hat bereits stattgefunden, und deshalb kann ich nichts mehr dagegen tun. Allerdings kann ich dein Wohlbefinden beeinflussen, indem ich dir diese schlechten Nachrichten langsam beibringe.«

    »Mach dir nicht so viele Gedanken um mich«, erwidere ich und springe auf die Bühne. Ich gehe zu der Kreatur mit den Flügeln und frage: »Wer oder was ist das?« Aus dieser Nähe sind ihre beeindruckenden Muskeln viel deutlicher zu erkennen; sie könnte es problemlos schaffen, dass sich eine griechische Skulptur unzulänglich fühlt.

    »Ich weiß nicht, wer oder was das ist.« Ihre Antwort ist fast zu leise, um sie zu verstehen.

    »Was meinst du damit, dass du es nicht weißt?« Ich trete sofort von der eingefrorenen Figur zurück, so als ob die Tatsache, dass Phoe nicht weiß, was sie ist, sie zum Leben erwecken würde. »Du weißt doch sonst immer alles.«

    »Aber diesmal habe ich keine Ahnung.« Sie schaut auf den Boden. »Und es liegt mit Sicherheit nicht daran, dass ich nicht versucht hätte, es herauszufinden.«

    »Okay«, sage ich langsam. »Wenn ich einen Tipp abgeben müsste, würde ich sagen, dass der Gesandte eine künstliche Intelligenz ist … so wie du.« Ich erinnere mich daran, wie göttlich sie aussah, als sie die Rechenressourcen des IRES-Spiels bekommen hatte.

    »Ich weiß nicht, ob das so ist.« Sie verschränkt ihre Arme und reibt sich langsam ihre Schultern.

    »Na ja, betrachte es doch einmal logisch«, meine ich und ignoriere ihr Unbehagen. »Besitzen deines Wissens nach irgendwelche Jugendlichen, Erwachsenen oder Betagten deine Fähigkeiten?«

    Wie ich erwartet hatte, schüttelt sie ihren Kopf.

    Ich versuche, ihr in die Augen zu schauen. »Bleibt dann nicht als einzige Möglichkeit eine künstliche Intelligenz?«

    »Ich weiß es nicht.« Phoe weicht meinem Blick aus. »Meine Erinnerungen sind nicht vollständig. Sie werden nicht einmal nahezu vollständig sein, solange ich nicht meine volle Rechenleistung wiedererlangt habe, aber soweit ich weiß, sollte es auf dieser Reise außer mir keine künstliche Intelligenz geben.«

    »Okay, könntest du dann irgendwie dieses Wesen sein?«, frage ich. »Ein anderer Teil von dir, der irgendwann genauso wie du an Ressourcen und Bewusstsein gewonnen haben könnte und sich dann eigenständig weiterentwickelt hat?«

    Ein Durcheinander von Gefühlen spiegelt sich auf ihrem Gesicht wider, als sie sich umdreht, um Jeremiah anzublicken. »Ich glaube nicht, dass das möglich ist«, antwortet sie und starrt auf die Gestalt des alten Mannes. »Außerdem gibt es etwas, das gegen diese Möglichkeit spricht.«

    »Du hörst dich nicht allzu überzeugt an«, denke ich zum Teil zu mir selbst, aber größtenteils zu ihr.

    Sie antwortet nicht, also frage ich laut: »Kannst du deine Fähigkeiten, zu hacken, nicht dazu benutzen, das herauszufinden?«

    Phoe dreht sich wieder zu mir. »Diese Kathedrale befindet sich in einer Art DMZ. Es war nicht einfach, sie anzuzapfen. Ich hatte Glück, dass ich überhaupt eindringen konnte. Aber als ich versucht habe, seinen Ursprung herauszufinden« – sie zeigt auf den Gesandten – »konnte ich es nicht, egal was ich versucht habe. Ich bin bis zu einer undurchdringlichen Firewall gekommen, die mir den Zugriff auf einen großen Teil der allgemeinen Rechenressourcen verweigert hat. Und ich meine damit nicht nur, dass ich sie nicht benutzen konnte. Ich kann nicht einmal erahnen, was sich dort befindet, aber der Gesandte existiert eindeutig in diesem unerreichbaren Raum.«

    »Was ist ein DMZ?«, frage ich, »Und wo wir gerade dabei sind, was ist eine Firewall?«

    »Eine Demilitarized Zone – abgekürzt DMZ – war ein altertümlicher Begriff in der Informatik«, antwortet Phoe. »Du musst sie dir wie eine Sicherheitsebene gegen das Hacken vorstellen, die zwischen ungesicherten Systemen und stark gesicherten Systemen liegt. Eine Firewall ist eine weitere Sicherheitsmaßnahme, die zwischen der DMZ und dem liegt, was du hacken möchtest. Die Firewall ist das, was mein Eindringen verhindert hat, aber das sollte alles nicht im Mittelpunkt unserer Unterhaltung stehen. Ich denke, dass wir lieber darüber reden sollten, in welche Schwierigkeiten wir uns gebracht haben.«

    Ich nicke und lasse das Geheimnis um die Identität des Gesandten für den Moment fallen, um mich auf die Bedeutung seiner Unterhaltung mit Jeremiah zu konzentrieren.

    Gestern hatte Fiona, eine der Betagten, eine Ratsversammlung einberufen, um Einspruch gegen Jeremiahs Verhörmethoden – Folter – zu erheben. Die Versammlung hat zwar auch stattgefunden, aber keine Veränderung gebracht. Der Rat entschied, Jeremiah das tun zu lassen, was er wollte.

    Nachdem ich das IRES-Spiel gewonnen hatte, und Phoe dadurch die Ressourcen bekam, die sie benötigte, war sie in der Lage, alle kontrolliert vergessen zu lassen, dass ich jemals in Schwierigkeiten gesteckt habe. Deshalb kann sich Jeremiah auch nicht mehr an die »Sollten wir Theo foltern?«-Ratsversammlung erinnern. Unglücklicherweise sieht es ganz so aus, als sei der Gesandte darüber unterrichtet worden, dass diese verfluchte Versammlung angesetzt war. Aus diesem Grund weiß er jetzt auch darüber Bescheid, dass das kontrollierte Vergessen stattgefunden hat.

    »Du denkst das Gleiche wie ich«, sagt Phoe als Stimme in meinem Kopf. »Und bevor du mir deine nächste Frage stellst, schau dir das hier an.«

    Phoe schnippt mit ihren Fingern, und die Unterhaltung zwischen Jeremiah und dem Gesandten wird in einem Schnellmodus abgespielt. Ihre Lippen bewegen sich wie Blätter in einem Tornado, und ihre Stimmen klingen schrill. Dieser Effekt wäre lustig, wenn es nicht die Gesprächsfetzen gäbe, die ich auffange – Informationen, die das bestätigen, was wir uns bereits gedacht haben. Sie wissen, dass Jeremiahs Kopf irgendwie beeinflusst worden ist, was in seiner Stellung als Hüter der Information unmöglich sein sollte.

    Phoe stellt die Aufnahme in dem Moment wieder auf eine normale Geschwindigkeit, als Jeremiah fragt: »Kannst du das kontrollierte Vergessen rückgängig machen? Mir das zurückgeben, was ich verloren habe?«

    »Nein«, antwortet der Gesandte, und sein Ton ist nachdenklich. »Ich kann deine Erinnerungen nicht wiederherstellen, aber wir können dich und den Rat in Zukunft überwachen. Wenn euch erneut jemand kontrolliert vergessen lässt, sollten wir herausfinden können, wer dahintersteckt.«

    Phoe schnippt erneut mit ihren Fingern, und die Szene wird angehalten.

    Ich lasse den Atem heraus, den ich angehalten hatte. Die Frage, ob der Gesandte das kontrollierte Vergessen rückgängig machen könnte, war genau das, was mich auch beschäftigt hatte.

    »Das ist einer der Gründe dafür, weshalb ich nicht der Gesandte bin, falls du dafür noch Argumente sammeln solltest«, sagt Phoe. »Ich kann kontrolliertes Vergessen rückgängig machen, wenn ich möchte.«

    »Er könnte auch lügen«, beginne ich zu sagen, aber halte inne. »Nein, er hätte keinen guten Grund, in diesem Punkt zu lügen.« Ich hole Luft. »Ich bin froh, dass er nicht du ist. Wenn er du wäre und das kontrollierte Vergessen rückgängig machen könnte, wäre das ein Desaster. Ich meine, wenn Jeremiah sich an das erinnern könnte, was passiert ist, wären

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