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Frauen am Land: Potentiale und Perspektiven
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eBook386 Seiten4 Stunden

Frauen am Land: Potentiale und Perspektiven

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Über dieses E-Book

Die vielfältigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse, die Frauen in ländlichen Regionen heutzutage zugänglich sind, bieten ihnen Möglichkeiten einer selbstbestimmten Lebensführung und der Verwirklichung individueller Potentiale. Immer wieder sind Frauen am Land aber mit gesellschaftlichen Erwartungen und strukturellen Barrieren konfrontiert, die nach politischen und sozialen Lösungen verlangen, sei es in Regionalentwicklung und Kommunalpolitik, in der Landwirtschaft oder in Bezug auf Bildung, Mobilität, Migration und Ehrenamt.
Die Beiträge aus Deutschland, Österreich und der Schweiz dokumentieren sowohl die Brisanz als auch die Bedeutung, die den Potentialen und Perspektiven von Frauen sowie den Geschlechterverhältnissen in ländlichen Regionen zukommen. Sie weisen auf Basis wissenschaftlicher Analysen auf Problemlagen hin und fordern zu lösungsorientiertem Handeln auf.

Mit Beiträgen von Katrin Baumgartner, Julia Bock-Schappelwein, Doris Damyanovic, Reinhard Engelhart, Anna Faustmann, Eva Favry, Renate Fuxjäger, Thomas Hader, Isabel Häberli, Christine Jurt, Bente Knoll, Kathleen Kreßmann, Manuela Larcher, Tim Leibert, Jutta Obertegger, Theresia Oedl-Wieser, Elisabeth Prügl, Florian Reinwald, Lydia Rössl, Ruth Rossier, Mathilde Schmitt, Gertraud Seiser, Isabella Skrivanek, Tina Uhlmann, Wiebke Unbehaun, Stefan Vogel, Anna Wanka, Heidrun Wankiewicz, Friederike Weber, Karin Wiest, Brigitte Wotha, Nana Zarnekow.
SpracheDeutsch
HerausgeberStudienVerlag
Erscheinungsdatum7. Mai 2015
ISBN9783706557481
Frauen am Land: Potentiale und Perspektiven

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    Buchvorschau

    Frauen am Land - StudienVerlag

    AutorInnen

    Land_Frauen_Leben – Vielfalt im Fokus

    Mathilde Schmitt, Gertraud Seiser, Theresia Oedl-Wieser & Manuela Larcher

    In der vorliegenden Edition wird den Potentialen und Perspektiven von Frauen_Leben am Land in interdisziplinärer und thematischer Vielfalt nachgegangen. Ihre Sichtbarmachung gelingt nur auf der Basis genauer Analysen des Status quo und damit der Benachteiligungen und Einschränkungen, mit denen Frauen und Mädchen in ländlichen Räumen konfrontiert sind. Diese erweisen sich als sehr ausdauernd. Die Auseinandersetzung mit geschlechterspezifischen Problemlagen erfordert daher neben empirischen Studien weitreichende Überlegungen, etwa zur Definition ‚ländlicher Räume‘, zur ruralen Frauen- und Geschlechterforschung, zum Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis, aber auch zu den notwendigen Übersetzungsleistungen zwischen Disziplinen und Wissenskulturen. Zudem verlangt eine Ausrichtung auf (zukünftige) Perspektiven, sich bewusst zu machen, dass die Ausführungen in eine Gegenwart einzubetten sind, die von weltweiten beschleunigten Veränderungsprozessen gekennzeichnet ist.

    Seit den 1980er Jahren und verstärkt seit der Jahrtausendwende sind in Folge der Informationstechnologie-unterstützten Globalisierung, der einschneidenden politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa und des neoliberalen Umbaus der Volkswirtschaften rasante gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformationen sowie wachsende soziale Ungleichheiten festzustellen. So eindeutig die Diagnosen für diese weitreichenden Entwicklungen sind, so vielfältig ist das Spektrum ihrer Interpretationen.1 Die Auswirkungen sind bis in unseren Alltag hinein deutlich zu spüren und werden auch in unserer Sprache sichtbar. Viele neue Begriffe wie Hedge-Fonds, Outsourcing, Turbo- oder Kasinokapitalismus werden immer selbstverständlicher. Gleichzeitig bestimmen demografische Veränderungen wie die Überalterung der Gesellschaft sowie Prozesse der Individualisierung, Pluralisierung und Entsolidarisierung die medialen, politischen und wissenschaftlichen Diskurse.

    Die ländlichen Räume in Europa erscheinen demgegenüber aus Sicht der Medien und des Marketings in Traditionen verwurzelt, homogen, friedlich und abseits der großen Veränderungsprozesse. Diese dualistischen Imaginationen und Konstruktionen werden unter der Geschlechterperspektive nicht selten verstärkt: Frauen in der Stadt werden als modern, emanzipiert und weltgewandt ins Bild gesetzt, Frauen am Land als familien- und traditionsverbunden, als bescheiden und religiös verwurzelt angesehen. Tatsache ist jedoch, dass die Globalisierung nie am Land vorbeiging, sondern oft sogar von dort ausging oder unterstützt wurde. Die Industrialisierung wäre nicht ohne die vielen Arbeitskräfte, die vom Land in die Städte zogen, möglich gewesen. Großstädte waren damals und sind bis zu den Megacitys von heute Produkte der andauernden Migration und Landflucht (Mills 2003; Sassen 1996). Entdeckungen und Entwicklungen in der Landwirtschaft waren es, welche die Ernährung der ab Mitte des 19. Jahrhunderts rasch ansteigenden Weltbevölkerung ermöglichten (Bruckmüller 2008; Langthaler 2010). Historisch betrachtet war einer der ersten ,Weltmärkte‘ jener für Getreide und an der Börse zu Chicago wurden zunächst Butter und Eier gehandelt, die auf dem Land produziert wurden. Nicht zufällig gehört die Agrarpolitik zu den ersten und wichtigsten gemeinsamen Politikfeldern der Europäischen Union und ihrer Vorläuferorganisationen.

    Die ländlichen Räume waren und sind massiv von vergangenen wie aktuellen weltweiten Umstrukturierungen betroffen. Diese sind die Folge von Konzentrationsprozessen im landwirtschaftlichen Sektor, der Abwanderung oder des Rückbaus von Industrien, die bedeutende Funktionen für die sie umgebenden ländlichen Räume hatten (vgl. Solbrig et al. 2001; McIntyre et al. 2009). Innerhalb der Europäischen Union wird seit Anfang der 1990er Jahre durch die zunehmende Forcierung der Regionalentwicklung und einer Spezialisierung der Regionen sowie ab dem Jahr 2000 durch die stärkere Betonung der Ländlichen Entwicklung im Rahmen der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) versucht, diesen weitreichenden Veränderungen entgegenzuwirken (Copus & Dax 2010; Hancvencl 2002). Auf der Ebene der Regionen führte dies zwar zu größeren politischen und wirtschaftlichen Gestaltungsspielräumen, gleichzeitig aber durch die Etablierung neuer intermediärer Verwaltungs-, Projekt- und Managementstrukturen zu einer Ausweitung der Bürokratie mit einer spezifischen Projektkultur und -sprache, die den Bedürfnissen der BürgerInnen vor Ort nicht immer gerecht werden (Hoppichler 2007; Kröger 2006). Aufkommende zivilgesellschaftliche Bewegungen, zurückgehende berufsständische Interessenpolitiken und die Auflösung der Parteienbindung führten weltweit einerseits zu neuen Allianzen, andererseits aber auch zum Rückzug aus gemeinschaftlichem Engagement – in Stadt und Land gleichermaßen. Jean und John Comaroff (2001: 40ff.) sprechen von einer „Beschwörung der Zivilgesellschaft", die das Vakuum füllen soll, das durch das neoliberale Bestreben, staatliche Politik und Leistungen durch Markt zu ersetzen, entstand.

    Ländlicher Raum und die Vielfalt der Regionen

    Sicherlich war ‚das Land‘ in der Entstehungsphase der gemeinsamen Agrarpolitik in den 1950er Jahren anders zu betrachten als heute. Und die jüngsten Entwicklungen lassen in mancher Hinsicht die dichotome Unterscheidung in Stadt und Land in Frage stellen. Anerkannte Raumformen des Dazwischen sind sub- bzw. postsuburbane Räume. Auffallend dabei ist, dass immer die Stadt als Begriffshoheit fungiert (vgl. Schmitt 2012). Dem zu entgehen wurde in der französischen Geografie in den 1990er Jahren der Begriff der „Rurbanisation eingeführt. „Rurban bezeichnet eine räumliche Qualität, die sich den gewohnten städtischen Deutungsmustern entzieht. […] Rurban ist sowohl stadtländisch als auch landstädtisch, wie Pretterhofer et al. (2010: 17 u. 19), die sich „an der Schnittstelle von Architektur, Urbanismus, Kulturproduktion und Theorie verorten, betonen. „[…] das Urbane ist eine hybride Synthese mit dem Ländlichen eingegangen, es ist eine technogen geprägte Kulturlandschaft entstanden, die durch eine Neunutzung und Neustrukturierung des Landes gekennzeichnet ist. Wie so oft, werden derart innovative Konzepte nur langsam in der Forschungs- und Verwaltungspraxis aufgegriffen. In wissenschaftlichen Publikationen findet sich eine Vielzahl an Modellen zur Definition und Abgrenzung ländlicher Räume, welche es im Einzelnen zu studieren und wahrzunehmen gilt, die aber oft keine unmittelbaren Vergleiche zulassen.

    Bei genauerem Hinsehen zeichnen sich die vielfältigen ländlichen Räume durch ihre eigene Geschichte, unterschiedliche Strukturen und Mög lichkeiten für die dort lebenden Menschen aus. Immer wieder aber finden sich Hinweise darauf, dass es spezifisch ländliche Vergesellschaftungsformen gibt, die sich von städtischen unterscheiden. So bezeichnen LandbewohnerInnen mehr Personen als Teil der Familie oder Verwandtschaft als Menschen in der Stadt. Sie stehen mit ihnen im Austausch und halten Unterstützungsbeziehungen aufrecht. Es gibt mehr face to face-Kontakte vor Ort, die dazu führen, dass Individuen im Alltag sich vermehrt beobachten und dadurch eine stärkere soziale Kontrolle möglich ist – mit unterstützenden, aber auch negativen Folgen. So ist beispielsweise der Einfluss älterer Frauen auf die Abwanderung jüngerer Frauen nicht zu unterschätzen, sei es durch die offene Ermutigung, andere Lebenswege einzuschlagen, durch das Beklagen der eigenen, scheinbar ausweglosen Situation oder durch das abwertende ‚Gerede‘ über autonomere Lebensentwürfe. Zwar teilen nicht alle DorfbewohnerInnen die gleichen Werte, doch kennen sie die verschiedenen Positionierungen und orientieren sich danach (vgl. Seiser 2009; Seiser & Schweitzer 2010).

    Diese spezifisch ländlichen Charakteristika rechtfertigen unseres Erachtens nicht, Landfrauen ähnlich wie Frauen aus der europäischen Peripherie oder den so genannten Ländern des Südens undifferenziert ‚über einen Kamm‘ zu scheren, sie als weniger emanzipiert einzuschätzen und damit abzuwerten. Oder sie „als rückschrittlich, im günstigeren Fall als zu spezifisch (Knab 2001: 9) einzustufen, um für die Frauen- und Geschlechterforschung als relevant zu gelten. Die Einschätzung „spezifisch ist wenig überzeugend, wenn es – je nach Region – um mehr als ein Drittel bis hin zur Hälfte der Frauen Europas geht. Frauen am Land sind in ihrer Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit, mit ihren vielfältigen Lebensverhältnissen und Rahmenbedingungen genauso differenziert und nicht immer im Vergleich zu urbanen Frauen zu betrachten.

    Rurale Frauen- und Geschlechterforschung

    Auf vielen Ebenen gilt es zu diskutieren, was die Lebensqualität am Land ausmacht. Und es gilt zu analysieren, wie die dortigen Phänomene mit der Geschlechterfrage verknüpft sind. Dies ist Gegenstand der ruralen Frauen- und Geschlechterforschung. Mit Fokus auf die ländlichen Räume und ihre BewohnerInnen nimmt sie Bezug auf Grundlagenwissen der sozial-, kultur- sowie der politikwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterfor schung. Dabei werden die Anregungen und Methoden nicht einfach übernommen, sondern – ohne Abwertung der Lebens- und Arbeitskonzepte von Frauen in ländlichen Regionen – modifiziert. Um den vielfältigen Lebensrealitäten in den unterschiedlichen ländlichen Räumen gerecht zu werden, wird als notwendig erachtet, nicht nur das Weitverbreitete, das Angesagte auf die Tagesordnung zu setzen, sondern auch das Besondere, das Spezifische, die Anliegen von kleinen, öffentlich weniger präsenten Gruppen zu berücksichtigen.

    Die Themenstellungen der ruralen Frauen- und Geschlechterforschung sind vielfach anwendungs- und umsetzungsorientiert: Der unterschiedliche Zugang von Frauen und Männern zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, Veränderungen in der Landwirtschaft, die unzureichende soziale Infrastruktur in der Kinder- und Altenbetreuung werden ebenso behandelt wie die geschlechterspezifische Arbeits- und Machtverteilung in der ländlichen Gesellschaft. Die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Fragestellungen und perspektivischen Ausrichtungen (Sichtbarmachen, Frauenbefreiung, Ermächtigung, Umsetzung von Gender Mainstreaming) ist für Österreich charakteristisch (Oedl-Wieser 2009: 6), findet sich aber auch in anderen europäischen Ländern (Buller & Hoggart 2004; Schmitt 2005; Bock & Shortall 2006). Der Wissenstransfer von der ruralen Frauen- und Geschlechterforschung in die Praxis, Politik und Verwaltung hinein ist auch in Folge der Gender Mainstreaming-Strategie der EU zu beobachten. Von vielen Feministinnen als zahnloses Herrschaftsinstrument kritisiert, war es seit Mitte der 1990er Jahre darüber gelungen, den Dialog zwischen unterschiedlichen AkteurInnen aus Wissenschaft, Verwaltung, Politik und NRO-VertreterInnen zu intensivieren und die Vernetzung voranzutreiben (Asztalos Morell & Bock 2008; Oedl-Wieser 2009).

    Tagungen lassen Frauen am Land sichtbar werden

    Als die ersten Arbeitsgruppen und Tagungen zu Frauen in ländlichen Regionen in Europa Ende des 20. Jahrhunderts abgehalten wurden, ging es vor allem darum, sie und ihre Lebens- und Arbeitsverhältnisse sichtbar zu machen (vgl. Schmitt 2005). Seitdem haben sich die Bedingungen und Möglichkeiten für Land_Frauen_Leben massiv verändert. Frauen in ländlichen Regionen sind heute gut ausgebildet, haben ein großes Spektrum an Berufen und Lebenskonzepten und bewegen sich im Laufe ihrer Biografien in einem wesentlich größeren räumlichen und sozialen Radius als ihre Mütter und Großmütter. Unter den Betriebsneugründungen in Handel und Tourismus steigt der Frauenanteil kontinuierlich. Frauen in der Landwirtschaft wollen einen Betrieb leiten, als Mitunternehmerin tätig sein oder außerlandwirtschaftlich arbeiten. Was Frauen (nicht nur auf dem Land) – im Unterschied zu Männern – weniger haben, ist selbstbestimmte Freizeit. Dies ist nicht so einfach zu verwirklichen, wenn Berufs-, Freizeit- und Familienleben aufeinander abzustimmen sind. Es ist noch schwieriger, wenn dazu eine gewünschte Mitsprache in öffentlichen Gremien und die selbstverständliche Teilhabe an lokalen und regionalen Ressourcen nach wie vor erkämpft werden müssen. Nach allen Diskussionen der Frauen- und Geschlechterforschung um Re- und Dekonstruktion von Geschlecht sowie vielfältigen Gender Mainstreaming-Aktivitäten auf den unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Ebenen ist es immer noch notwendig, die Anliegen der Mädchen und Frauen, die in ländlichen Regionen leben und arbeiten, sichtbar zu machen und dafür zu sorgen, sie sichtbar zu halten. Land_Frauen sind immer noch gefordert, sich und ihre Leistungen ins Licht zu setzen und ihre Interessen mit Mut und Leidenschaft einzufordern, um ihren Sichtweisen, Bedürfnissen und Forderungen mehr Geltung zu verschaffen.

    Bezogen auf die vielfältigen Strukturveränderungen in der Landwirtschaft war dies erfolgreich mit der Tagung Frauen in der Landwirtschaft – Debatten aus Wissenschaft und Praxis gelungen, die im Januar 2011 in Bern (CH) stattfand. Frauen aus der Landwirtschaft, der Wissenschaft und von landwirtschaftlichen Beratungsstellen der Schweiz, aus Deutschland, Italien und Österreich diskutierten die Auswirkungen der Umbrüche in der Landwirtschaft aufgrund der zunehmenden internationalen Verflechtung und Marktöffnung für Frauen, Männer und bäuerliche Familien. Neben einer darauf bezogenen Standortbestimmung „[…] sollten durch die Vorträge und Diskussionen an der Tagung die Frauen in der Landwirtschaft und ihre mannigfaltigen Aufgaben, die sie in und für die Landwirtschaft übernehmen, sichtbar werden" (Bäschlin et al. 2013: 10).

    Einem erweiterten Spektrum an Fragestellungen und Lebensentwürfen in ländlichen Räumen widmete sich die Tagung Frauen am Land – Potentiale und Perspektiven, die im Februar 2013 in Wien (A) stattfand. Über 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Österreich, der Schweiz, Deutschland, Italien und Japan diskutierten über die vielfältigen Lebensund Arbeitsverhältnisse, Rollen und Leistungen von Frauen in ländlichen Regionen. Das erfreulich große Interesse an der Tagung zeugt von der Brisanz und der Wichtigkeit, die dem Tagungsthema und den Geschlechterverhältnissen in ländlichen Räumen mittlerweile zukommen. In wissenschaftlichen Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Praxisforen und dem Marktplatz zur Bildung wurden sowohl Möglichkeiten als auch die strukturellen und gesellschaftlichen Barrieren für eine selbstbestimmte Lebensführung von Frauen in ländlichen Räumen in vielen Facetten ausgeführt. Genderfragen im Rahmen der Regionalentwicklung, der Kommunalpolitik, der Landwirtschaft und des ländlichen Arbeitsmarktes wurden ebenso behandelt wie die Situation von Frauen am Land im Kontext von Bildung, Mobilität, Migration und Ehrenamt. Eine große Vielfalt an Lebensverhältnissen, die eigenständige Existenzsicherung von Frauen und geschlechtergerechte Eigentumsverhältnisse, Berufs- und Familienorientierung für Frauen und Männer waren wichtige Diskussionsthemen. Die eingangs skizzierten globalen Veränderungsprozesse standen zwar nicht im Mittelpunkt der Tagung, die dadurch ausgelösten Herausforderungen und Verunsicherungen schwangen aber in vielerlei Hinsicht in den Vorträgen und Diskussionen mit. Sie zeigten sich in der Sorge um Einkommenssicherung ebenso wie in den Einschätzungen von Abwanderung, Brain Drain und Care Drain, Arbeitsmigration und Ehrenamt. Es wurde deutlich: Auch Frauen am Land sind zunehmend weniger bereit, die demografischen und die Versorgungslücken zu schließen. Allerdings scheint dies nur zum Teil auf ein neu erstarktes Selbstbewusstsein der Frauen zurückzuführen zu sein. Land_Frauen finden sich im 21. Jahrhundert als Akteurinnen ebenso wie als Opfer, Leidtragende und Mittäterinnen. Und das ‚Land‘ als solches ist nach wie vor nicht als das konstruierte, homogenisierte und essenzialisierte ‚Andere‘ verschwunden.

    Wissenskommunikation, Vermittlung und Vernetzung

    Ziel der vorliegenden Edition ist es, die Mannigfaltigkeit der unterschiedlichen Lebensentwürfe, Potentiale und Perspektiven von Frauen am Land zu zeigen und respektvoll nebeneinander stehen zu lassen. Unabhängig von den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und Wissenschaftskulturen, denen wir vier Herausgeberinnen uns zuordnen, verknüpft sich für uns alle damit der Anspruch, gesellschaftlich relevantes Wissen zu produzieren und letztlich eine größere Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Wie sich bei der Tagung zeigte, sind dafür Übersetzungsleistungen in vielfacher Hinsicht nötig: zwischen VertreterInnen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Praxis, zwischen akademisch produziertem Wissen, Erfahrungs- und Anwendungswissen, zwischen etablierten und alternativen Wissenskonzepten, zwischen verschiedenen Werthaltungen und Sprachregelungen, zwischen unterschiedlichen Einschätzungen davon, was wünschenswert ist und politisch umgesetzt werden sollte. Bezogen auf das Geschlechterwissen unterscheidet Angelika Wetterer (2009) Alltagswissen, Gender-ExpertInnenwissen und wissenschaftliches Geschlechterwissen, die untereinander ebenfalls Übersetzungsarbeit notwendig machen. Schwierigkeiten bei der Kommunikation können die Hierarchisierung der Wissensarten und konkurrierende Wirklichkeitsdimensionen hervorrufen. Für einen konstruktiven Austausch ist es notwendig, die „Hierarchie des Besser-Wissens" (ebd.: 46) aufzuheben, was nur gelingen kann, wenn es Ziel aller Beteiligten ist.

    Gudrun-Axeli Knapp (2013: 105) spricht in Anlehnung an Ilse Lenz vom „Magischen Viereck" bestehend aus autonomer Frauenbewegung, Frauenforschung, Einrichtungen der Frauenförderung bzw. Gleichstellung sowie der Frauennetzwerke in Gewerkschaften und Parteien. Politische Wirksamkeit beruht demnach auf dem hohen Maß an Kontakten und wechselseitiger Aufmerksamkeit zwischen den AkteurInnen aus den unterschiedlichen Praxisfeldern. Als besonders wichtig erachtet sie den Austausch in übergreifenden Räumen in Form von eventförmigen Treffen und Kongressen, die Verbreitung der Erkenntnisse und Forderungen durch Tagungsberichte, Artikel und die Dokumentation in Journalen. Die Rückmeldungen, die wir im Anschluss an die Tagung erhielten, lassen darauf schließen, dass die angesprochene Übersetzungsarbeit und Vermittlung mit der Tagung Frauen am Land – Potentiale und Perspektiven gut gelungen sind. Das Potential zur gegenseitigen Anregung von Forschung, Verwaltung und Praxis war in hohem Ausmaß vorhanden. Viele Teilnehmende nutzten die Gelegenheit, noch vor Ort Kontakte herzustellen, um auch nach der Tagung gemeinsam weiter zu reflektieren und zu kooperieren. Wir wünschen uns, dass die vorliegende Edition dazu beiträgt, diese angeregte Vernetzung weiter zu intensivieren.

    Vielfalt im Fokus der Beiträge

    Die Beiträge dieses Sammelbandes machen die Relevanz ruraler Schwerpunktsetzungen innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung ebenso deutlich wie das Bestehen gravierender Forschungs- und Wissenslücken. Sie beruhen auf Untersuchungen der letzten Zeit und sind überwiegend der anwendungsorientierten Forschung zuzurechnen. Themen von allgemeiner weitreichender Bedeutung werden darin ebenso behandelt wie sehr lokale Phänomene. Sie gehen von konkreten Fragestellungen und spezifischen fachlichen Kontexten aus – und immer stehen Frauen in ländlichen Regionen im Fokus. Die soziale Kategorie Geschlecht wird dabei nicht ausschließlich sozialwissenschaftlich abgehandelt, sondern auch aus wirtschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet. Es kommt ein großes Spektrum sozialwissenschaftlicher, statistischer und planerischer Methoden sowie das Methodenrepertoire der Monitoring- und Evaluierungsverfahren zur Anwendung. Zu Beginn steht eine Gruppe von Beiträgen, die in Themen einleiten, Außenperspektiven hereinholen oder Überblicke bieten, die Verbindungen zu nachfolgenden Artikeln herstellen.

    Entwicklungsperspektiven von Regionen

    Die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen gilt als Indikator für ungünstige Entwicklungsperspektiven einer Region. Wenn die HoffnungsträgerInnen für die Zukunft weggehen, wird von Wissenschafter-Innen, PolitikerInnen und PraktikerInnen Handlungsbedarf gesehen. Tim Leibert und Karin Wiest gehen in einer qualitativen Untersuchung den Wanderungsentscheidungen junger Frauen in Sachsen-Anhalt (D) nach. Es wird deutlich, dass die Frauen, je nach Lebensphase, das Leben am Land mehr oder weniger attraktiv finden. Basierend auf diesen Erkenntnissen präsentieren die AutorInnen Regionalentwicklungsstrategien, welche Frauen nach der Ausbildungsphase in den Städten wieder in ihre Herkunftsregionen ziehen sollen. Sie werden derzeit im Rahmen eines EU-Projekts erprobt. Darüber hinaus entwickeln Leibert und Wiest eine quantitative Typologie regionaler Geschlechterungleichgewichte für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Aus dieser wird ersichtlich, wie wichtig geschlechtersensible Erhebungen auf regionaler Ebene sind und wie wenig zielführend es ist, Stadt und Land dichotom gegenüberzustellen.

    Nana Zarnekow stellt ebenfalls relevante Unterschiede fest, sowohl zwischen Frauen und Männern als auch zwischen verschiedenen Regionen. Ausgehend vom vielfach bestätigten Befund, dass die Einbindung der Individuen in soziale Netze (Verwandte, Freunde, KollegInnen etc.) sowohl das persönliche Wohlbefinden als auch die wirtschaftliche Entwicklung einer Region stark beeinflusst, wurden die Netzwerkstrukturen in Polen und der Slowakei vergleichend untersucht. Mittels sozialer Netzwerkanalyse wurden stadtnahe und stadtferne, wirtschaftsstarke und wirtschaftsschwache ländliche Regionen in den zwei Ländern mit einem dezidierten Fokus auf geschlechtsspezifische Unterschiede verglichen. Neben den länderspezifischen Unterschieden der Netzwerkstrukturen wird z. B. belegt, dass Frauen in beiden Ländern über dichtere soziale Netzwerke als Männer verfügen, während die Netzwerke der Männer größer sind. Die für die Regionen positiven Effekte der Netzwerke der Frauen sind ein Potential, das bislang nicht hinreichend gewürdigt und gefördert wird. Julia Bock-Schappelwein stellt in ihrem Beitrag den österreichischen Genderindex vor. Er wurde in Anwendung und in Auseinandersetzung mit bereits vorhandenen internationalen Beispielen entwickelt und soll auf regionaler Ebene Maßzahlen liefern, die den Unterschied in der Lebenssituation und Arbeitsmarktlage von Frauen und Männern abbilden. Bock-Schappelwein erläutert die Auswahl und Zusammensetzung der Indikatoren des österreichischen Genderindex und diskutiert seine Aussagekraft. So zeigt der Indexwert einer Region das Ausmaß der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auf, sagt jedoch nichts über die allgemeine Situation dieser Region aus. Über einen längeren Zeitraum angewendet, eröffnet er die Möglichkeit zu erkennen, ob z. B. Politikmaßnahmen dazu beitragen, die Geschlechtergerechtigkeit zu fördern oder zu verringern. Dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in den urbanen Zentren merklich geringer ist als zwischen den verschiedenen intermediären und ländlichen Räumen dürfte Aufmerksamkeit hervorrufen.

    Politische Beteiligung auf regionaler und kommunaler Ebene

    Brigitte Wotha und Kathleen Kreßmann benennen für Deutschland eine mögliche Ursache für das stärkere Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern auf dem Land: Frauen sind in strukturschwachen ländlichen Gebieten deutlich weniger in kommunalen politischen Gremien vertreten als in städtischen Räumen. Sie sind jedoch an den informellen lokalen und regionalen Netzwerken zur Alltagsbewältigung stärker beteiligt als die Männer, was auch Befunde aus anderen Ländern bestätigen (siehe Zarnekow). Wotha und Kreßmann nehmen die im Rahmen der ländlichen Regionalentwicklung geschaffenen, intermediären Gremien des LEADER-Schwerpunkts in den Blick und überprüfen, inwieweit das Querschnittsziel der Gleichstellung von Frauen und Männern in den Halbzeitbewertungen der Förderperiode 2007–2013 erreicht wurde. Die Ergebnisse sind ernüchternd: die bestehende Ungleichheit in der kommunalpolitischen Beteiligung von Frauen wird in den EU-geförderten Projekten reproduziert. Trotz Gender Mainstreaming werden frauen- und geschlechterbezogene Themen kaum thematisiert. Die Autorinnen plädieren sowohl für strukturelle Maßnahmen (z. B. an Fördermittel gebundene Quoten), als auch für (Sensibilisierungs-)Maßnahmen bei AkteurInnen aus Verwaltung und Politik.

    Auch im Beitrag von Florian Reinwald, Doris Damyanovic und Friederike Weber wird das Engagement von Frauen im öffentlichen politischen Raum behandelt. Mit einem breiten Methodenrepertoire gehen sie der Beteiligung von Frauen in der burgenländischen Kommunalpolitik (A) nach und analysieren Wege, wie diese erhöht werden könnte. Sie zeigen, dass Frauen in den Gemeinderäten die Qualität politischer Entscheidungen verbessern, weil sie andere Themen einbringen und beispielsweise sozialen Belangen höhere Priorität zuweisen. Die in den Gemeinderäten angetroffenen Frauen waren vorwiegend in der Altersgruppe der 45–55-Jährigen und zu 90 % erwerbstätig. Das lässt wichtige Rückschlüsse auf die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik zu, da die Betreuung von Kleinstkindern in dieser Altersphase meist schon wegfällt und Berufstätigkeit offenbar das Interesse an politischer Beteiligung fördert und keineswegs behindert. Der Artikel schließt ebenfalls mit einem Bündel von Strategien und Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in politischen Gremien.

    Sowohl Wotha und Kreßmann als auch Reinwald, Damyanovic und Weber sehen das Empowerment von politisch interessierten Frauen durch entsprechende Schulungsangebote als eine wirksame Strategie an, die Präsenz von Frauen in der kommunalen und regionalen politischen Öffentlichkeit zu erhöhen. An bereits bestehenden Politikvorbereitungskursen setzen Jutta Obertegger und Theresia Oedl-Wieser an. In Tirol (A) werden seit 2001 kontinuierlich Politiklehrgänge für Frauen angeboten, die bis 2011 von insgesamt 230 Teilnehmerinnen absolviert wurden. Der Beitrag fasst die von Jutta Obertegger durchgeführte Evaluierung dieser Lehrgänge in Hinblick auf Wissenszuwachs, Empowerment und Vernetzung zusammen und mündet in der Frage, ob solche Kurse das Potential haben, Frauen für die Politik zu mobilisieren. Die Autorinnen bestätigen die ermächtigende Wirkung der Lehrgänge auf die Teilnehmerinnen in Bezug auf deren Selbstbewusstsein und Motivation. Allerdings wurde die Mehrheit der Frauen stärker von alternativen Politikformen und zivilgesellschaftlichem politischen Engagement angezogen als von der klassischen Parteipolitik.

    Planung und Beratung zur Gleichstellung von Frauen und Männern

    Sensibilisierung für Genderaspekte wird nicht nur politisch, sondern auch in Bezug auf die räumliche Ebene eingefordert: Gender Planning ist ein Ansatz der feministischen Raumplanung und Regionalentwicklung. Im Mittelpunkt stehen Männer und Frauen, deren Beziehungen zueinander und die gesellschaftlichen Rollenerwartungen an sie. Auf dieser Basis werden Raumstrukturen und Nutzungserwartungen für den Lebensalltag bewertet, vorhandene Wert- und Machtstrukturen sichtbar gemacht und deren Veränderungen angestrebt. Heidrun Wankiewicz geht

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