Schwarze Poesie - Poesia Negra: Afrobrasilianische Dichtung der Gegenwart | Portugiesisch - Deutsch
Von Edition diá
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Über dieses E-Book
Zeugenaussagen von höchster Aktualität: als Selbstgespräch, Zwiegespräch, Anrufung, poetischer Aphorismus, Sekundengedicht. In allen Tonfarben und Farbtönen, Stimmlagen: spöttisch, sarkastisch, zornig, sanft, liebevoll, sehnsüchtig. Ein Lesebuch, ein Lehrbuch, das mit einem Schlag die gelesenen Bücher dieses Kontinentlandes in ein deutlicheres Licht, in eine weitergespannte Dimension stellt.
Die Selbstfindung des schwarzafrikanischen Brasilianers in seiner unfreiwilligen zweiten Heimat ist das überwältigende Thema dieses überwältigenden Buchs. Jedes Gedicht ist ein Schlüssel, ein Zeichen, ein Ausrufungszeichen, ein Memento an die Konquista. Was für eine Lehre für die Leser der Ersten Welt." (Curt Meyer-Clason)
Der Band enthält ein Interview mit Cuti, dem wichtigsten Vertreter afrobrasilianischer Dichtung, das Renate Heß 2012 mit ihm führte.
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Buchvorschau
Schwarze Poesie - Poesia Negra - Edition diá
diá
Über dieses Buch
»Dieses Buch ist ein Glücksfall. Würde ich von einem jungen Leser, der sich zum ersten Mal an die brasilianische Literatur der Gegenwart wagt, gefragt werden, womit er beginnen soll, ich würde ihm nachdrücklich diesen Band empfehlen. Und auch allen Liebhabern lateinamerikanischer Literatur, die gerade einen brasilianischen Roman lesen, möchte ich zurufen: Unterbrecht eure Lektüre, und setzt sie erst fort, nachdem ihr dieses Buch in euch aufgenommen habt, vom ersten bis zum letzten Wort, vorab die hellsichtige, erhellende, eingehende Einführung der Herausgeberin.
Zeugenaussagen von höchster Aktualität: als Selbstgespräch, Zwiegespräch, Anrufung, poetischer Aphorismus, Sekundengedicht. In allen Tonfarben und Farbtönen, Stimmlagen: spöttisch, sarkastisch, zornig, sanft, liebevoll, sehnsüchtig. Ein Lesebuch, ein Lehrbuch, das mit einem Schlag die gelesenen Bücher dieses Kontinentlandes in ein deutlicheres Licht, in eine weitergespannte Dimension stellt.
Die Selbstfindung des schwarzafrikanischen Brasilianers in seiner unfreiwilligen zweiten Heimat ist das überwältigende Thema dieses überwältigenden Buchs. Jedes Gedicht ist ein Schlüssel, ein Zeichen, ein Ausrufungszeichen, ein Memento an die Konquista. Was für eine Lehre für die Leser der Ersten Welt.« (Curt Meyer-Clason)
Der Band enthält ein Interview mit Cuti, dem wichtigsten Vertreter afrobrasilianischer Dichtung, das Renate Heß 2012 mit ihm führte.
Die Herausgeberin
Moema Parente Augel, 1939 in Ilhéus/Bahia geboren, Promotion in Literaturwissenschaften an der Universidade Federal von Rio de Janeiro. Ihre Hauptarbeitsgebiete sind die afrobrasilianische Literatur, die Literatur von Guinea-Bissau sowie Reiseliteratur. Zahlreiche Buch- und Aufsatzveröffentlichungen in Brasilien, Deutschland, Portugal, England und den USA, Herausgeberin der Anthologie »Schwarze Prosa. Prosa Negra« (Edition diá, 1993).
Der Übersetzer
Johannes Augel, 1939 in Adenau/Eifel geboren, Dr. phil., Historiker und Soziologe, lebte lange Zeit in Frankreich, Brasilien und Guinea-Bissau. Er lehrte in der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, Gastdozenturen an brasilianischen Universitäten, insbesondere an der Universidade Federal da Bahia (UFBA), und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituto Nacional de Estudos e Pesquisa (INEP) in Bissau. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Brasilien und Guinea-Bissau, Übersetzungen von Sachbüchern und Belletristik, vor allem aus dem Portugiesischen.
Inhalt
Die afrobrasilianische Dichtung der Gegenwart
»Die Sklavenhaltermentalität ist nur scheinbar beendet.« Ein Gespräch mit Cuti 2012
Cuti
Oliveira Silveira
Adão Ventura
Oswaldo de Camargo
Éle Semog
José Carlos Limeira
Paulo Colina
Abelardo Rodrigues
Lourdes Teodoro
Miriam Alves
Geni Guimarães
Márcio Barbosa
Jônatas Conceição da Silva
José Alberto
Jamu Minka
Arnaldo Xavier
Originaltexte
Glossar
Quellennachweis
Biografische und bibliografische Notizen
Índice dos Poemas
Verzeichnis der Gedichte
Impressum
Die afrobrasilianische Dichtung der Gegenwart
Die vorliegende Anthologie stellt dem deutschen Leser einen Bereich brasilianischer Literatur vor, der selbst in Brasilien bisher wenig bekannt ist, in den letzten Jahren jedoch zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Dabei sind die inhaltlichen Aussagen heutiger Dichtung schwarzer Brasilianer ebenso aktuell und faszinierend wie die im brasilianischen Original und in deutscher Übersetzung vorgelegten Gedichte in ihrer kräftigen, bilderreichen und beschwörenden Sprache. Ein historischer Rückblick auf Sklaverei, Widerstand und Emanzipation und eine Einführung in die heutigen Probleme Schwarzer und Mischlinge in einer Gesellschaft, die sich als Schmelztiegel verschiedenster Rassen und als »Rassendemokratie« bezeichnet, sollen zum Verständnis der Gedichte beitragen.
Neben Karneval, Fußball, schönen Stränden und elenden Favelas entspricht die rassische Mischung des brasilianischen Volkes einer der Klischeevorstellungen über dieses 140-Millionen-Land Brasilien, eine der bedeutendsten Industrienationen und Wirtschaftsmächte der westlichen Welt. Wer Bilder der südafrikanischen Apartheid oder nordamerikanischer Rassenkonflikte vor Augen hat, wird in Brasilien erfreut feststellen, dass es keine vergleichbaren Formen von Rassendiskriminierung gibt. Hier finden sich zahlreiche Beispiele sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs von Nachkommen ehemaliger Sklaven; das Zusammenleben zwischen Schwarzen, Weißen, Mischlingen und Angehörigen aller menschlichen Rassen ist in Brasilien auf den ersten Blick friedfertig und Teil der für das Land charakteristischen Herzlichkeit des alltäglichen Umgangs.
Dieses positive Bild wird allerdings überschattet von der Tatsache, dass auch heute, im hundertsten Jahr der Aufhebung der Sklaverei, die soziale Lage der farbigen Bevölkerung insgesamt eher schlecht ist. Die soziologische Diskussion der Überschneidungen zwischen rassischer Situation und sozialer Lage ist nicht nur in Brasilien sehr ausgiebig geführt worden, fand aber hier ein besonders fruchtbares Untersuchungsfeld und brachte bedeutende sozialwissenschaftliche Werke hervor. Zwei grundlegende Tendenzen aller Überlegungen und Erkenntnisse zeigen gleichzeitig die Spannbreite wissenschaftlicher Forschung und alltäglicher Überzeugungen, die auch heute noch die Geister scheiden. Auf der einen Seite steht die These des friedlichen Nebeneinanders und der Integration, die seit den dreißiger Jahren in dem epochemachenden Werk von Gilberto Freyre vertreten wurde: »Herrenhaus und Sklavenhütte« (1965 und 1982) und »Vom Land in die Stadt« (1982). Die bis heute lesenswerten Werke des 1987 verstorbenen Altmeisters der brasilianischen Sozialwissenschaften vertreten ein auf der Grundlage der Rassenmischung und sozialen Mobilität basierendes Modell einer im wesentlichen friedlichen, harmonischen und auf rassischen und sozialen Ausgleich hinzielenden Gesellschaft, die gerade wegen ihres gemischtrassischen Charakters prädestiniert ist, ein bedeutender Träger einer zukünftigen Weltkultur zu werden. Auf der anderen Seite der Diskussion kann als hervorragender Vertreter Florestan Fernandes genannt werden, dessen zweibändiges Werk über »Die Integration des Negers in die Klassengesellschaft« ebenfalls in Deutsch vorliegt (1969 und 1977). Er und viele andere brasilianische und ausländische Soziologen stützen sich auf historische und statistische Analysen und zeigen die in Brasilien weiterhin zwischen Weißen und Nichtweißen bestehenden großen sozialen Unterschiede auf, die trotz aller wirtschaftlichen Umwälzungen, trotz Industrialisierung und Verstädterung auch heute noch die Rassenzugehörigkeit als einen entscheidenden Faktor in der sozialen Schichtung nachweisen. Selbst jüngste Veröffentlichungen des brasilianischen Statistischen Bundesamtes über die Stellung des Schwarzen innerhalb der brasilianischen Arbeiterschaft bestätigen eine klare Übereinstimmung rassischer und sozialer Merkmale.
Soziologische Untersuchungen und die Alltagserfahrung brasilianischer Schwarzer und Mischlinge, aber auch jedes nicht ganz oberflächlichen Weißen kennen mehr oder weniger offene Formen gesellschaftlicher Diskriminierung. Dabei sollen nicht etwa die Zurückweisung eines Schwarzen in einem Hotel oder Restaurant oder der Verweis auf den Dienstboteneingang herausgestellt werden; solche und ähnliche Einzelbeispiele lassen sich durch gewiss ebenso zahlreiche Gegenbeispiele zumindest relativieren. Entscheidend ist vielmehr die allgemeine Situation des Schwarzen und Mischlings in einer Gesellschaft, die sich in ihrer Kultur, ihrer Selbstdarstellung, ihrem Selbstverständnis als Teil der westlich-abendländischen Zivilisation versteht, als eine im Wesentlichen weiße Gesellschaft, in der Schwarzsein auch heute noch nur dann selbstverständlich ist, wenn man gleichzeitig arm, »marginalisiert«, in untergeordneten Positionen tätig und dabei auch bescheiden und anspruchslos ist. Auch heute noch ist der brasilianische Schwarze – und darunter verstehen wir auch alle nicht deutlich Weißen innerhalb der in Brasilien vielfältigen und stufenlosen Übergänge zwischen Schwarz und Weiß – von einem starken und bisher nicht auszulöschenden Trauma der Sklaverei geprägt, das ihn in seiner Identität und in seiner sozialen Stellung auch heute noch benachteiligt, ihm zusätzliche Schranken und Schwierigkeiten errichtet und seine Ausgangsbedingungen innerhalb einer offenen, auf Wettbewerb gründenden Gesellschaft negativ vorbelastet.
Trotz einer Periode raschen Wirtschaftswachstums in den letzten zwanzig Jahren sind die sozialen Gegensätze in Brasilien nach wie vor groß, in manchen Bereichen größer als je zuvor. Bedeutende Teile der Gesellschaft sind von der »Entwicklung« an den Rand gedrückt worden, und die gesellschaftliche Polarisierung hat zugenommen. Eng mit der sozialen Schichtung verbunden, jedoch nicht damit identisch sind das Rassenproblem und die Suche der nicht weißen Bevölkerungsmehrheit nach ihrer kulturellen Identität in einer Gesellschaft, deren etablierte Kultur sich vornehmlich als weiß versteht. Ohne die afrikanischen Einflüsse aus mehr als drei Jahrhunderten Sklavensystem zu leugnen und trotz Anerkennung des in manchen Gesellschaftskreisen sogar vorhandenen gewissen Stolzes auf den Mischlingscharakter der brasilianischen Zivilisation galt und gilt weiterhin für die Mehrheit der Brasilianer das Ideal der Weißwerdung. Für die nicht weißen Teile der brasilianischen Gesellschaft scheint der sicherste Weg zur gesellschaftlichen Anerkennung der der Anpassung, der Assimilation und der Integration zu sein. Die Verneinung und Verdrängung der Werte, die bewusst oder unbewusst als minderwertige Kulturgüter bezeichnet wurden, waren fast zwangsläufiges Resultat sowohl der gewaltsamen Integration der schwarzen Sklaven als auch des mehr oder minder friedlichen Zusammenlebens ihrer Nachkommen in einer sich an Europa orientierenden Gesellschaft. Colonisation est chosification – Kolonisation ist Verdinglichung, stellte schon Aimé Césaire, einer der Gründer und Vordenker der Négritude, fest. Die Geschichte der Selbstbehauptung des Afrobrasilianers ist die Geschichte der Versuche, dem Zustand als Objekt zu entkommen – ein langer, dorniger Kreuzweg voller Fallen und Stolpersteine, aber auch eine Geschichte großer Erfolge und sich und die Umwelt übertreffender Siege. Die Schwarze Poesie ist einer der Wege hin zur Befreiung.
Und wenn ich daran denke, dass wir uns schämten, Neger zu sein / und dichte Schreckträume unter der Haut … erinnert sich Cuti, einer der hervorragendsten der in der vorliegenden Sammlung vertretenen schwarzen Dichter. Ein kurzer Blick auf die Geschichte des Negers in Brasilien kann helfen, diese dichten Schreckträume