Männerseelen: Ein psychologischer Reiseführer
Von Björn Süfke
4.5/5
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Über dieses E-Book
Ein Buch für Männer, die neugierig auf sich selbst sind. Und für Frauen, die ihre Partner besser verstehen wollen. Warum können Männer ihre Gefühle so schlecht zum Ausdruck bringen? Auf die Frage "Wie geht es dir?" folgt häufig keine klare Antwort. Denn der Mann weiß oft gar nicht genau, wie es ihm gerade geht!
Björn Süfke
Björn Süfke, Diplom-Psychologe, beschäftigt sich als Männerberater mit den individuellen Sorgen und Nöten einzelner Männer und als Buchautor mit den allgemeinen Schwierigkeiten des Mann-Seins in der heutigen Zeit. Er hält Vorträge zu verschiedenen Männerthemen und bietet Fortbildungen im Gesundheits- und Beratungsbereich sowie Seminare an Hochschulen und Ausbildungsinstituten an.
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Buchvorschau
Männerseelen - Björn Süfke
NAVIGATION
Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Björn Süfke
Männerseelen
Ein psychologischer Reiseführer
Patmos Verlag
INHALT
Dank
Übersichtskarte: Männer und Gefühle
Kapitel 1
Reisevorbereitungen – Die Gefühle müssen mit!
Ohne Gefühlswahrnehmung keine Bedürfnisbefriedigung
Ohne Gefühlswahrnehmung keine Handlungsplanung
Ohne Gefühlswahrnehmung keine psychische Gesundheit
Kapitel 2
Geschichtliches – Die Entwicklung der männlichen Identität
Anlage oder Umwelt? Anlage und Umwelt!
Der Weg zur männlichen Identität – eine Wanderkarte
1. Etappe: Die Entfremdung von der eigenen Innenwelt
2. Etappe: Die männliche Außenorientierung (Externalisierung)
3. Etappe: Dogmatismus und Hilflosigkeit
4. Etappe: Das männliche Dilemma, die Hassliebe gegenüber Frauen und die männliche Depression
Kapitel 3
Gespaltenes Land – Zwischen Bedürftigkeit und Gefühlsabwehr
Gefühlsabwehr ist nicht gleich Unsensibilität
Gefühlsabwehr lohnt sich nicht
Die »zwei Seiten« des Mannes
Die Aufrechterhaltung des männlichen Dilemmas von außen
Die Doppel-Rolle moderner Männlichkeit
Die Auseinandersetzung mit dem männlichen Dilemma
Kapitel 4
Sitten und Gebräuche – Die männlichen Arten der Gefühlsabwehr
Schweigen und Alleinsein (Männliche Distanzierung, Teil 1): »Da muss man alleine durch!«
Selbstdarstellung: »Mein Haus, meine Yacht, mein Pferd«
Rationalität: Die Liebe zu Zahlen, Listen, Statistiken und Systemen
Handlungsorientierung: »Ich sprech’ nicht gern, ich mache lieber«
Ergebnis- statt Prozessorientierung: »Entscheidend ist, was hinten rauskommt«
Konkurrenz und Leistungsdruck: »Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär«
Gewalt: »Und bin ich nicht fähig, so brauch’ ich Gewalt«
Kapitel 5
Touristische Highlights – Die Stärken der Männer
Humor und Emotionsregulation (Männliche Distanzierung, Teil 2)
Selbstbehauptung
Rationalität
Handlungsorientierung
Ergebnis- statt Prozessorientierung
Kapitel 6
Einheimischen-Kontakt – Eine Lösung für das männliche Dilemma
Der Weg zu sich selbst – eine Wanderkarte
1. Etappe: Das Erkennen der Beziehungsprobleme
2. Etappe: Die liebevolle Konfrontation
3. Etappe: Das Entdecken der Gefühle in der beschützten Hilflosigkeit
4. Etappe: Lösung – Die Entwicklung gefühlsorientierter Lebensbewältigungsstrategien
Kapitel 7
Sehenswürdigkeiten und Geheimtipps – Die (un)heimlichen Gefühle der Männer
Angst
Hilflosigkeit
Trauer
Ärger/Wut
Schuldgefühle
Scham
Sehnsüchte
Liebe und Lust
Ausblick
Anhang
Anmerkungen
Literatur
Quellennachweis
Glossar
LANDKARTESUEFKE.tifFür meinen Sohn Jonathan
Dank
Ich danke Corinna Kraze, Anke Reinisch, Stefan Reinisch, Hermann-Josef Roder und Detlef Vetter, die Teile des Manuskripts Korrektur gelesen und mit ihren Gedanken bereichert haben. Wolfgang Neumann danke ich für das gemeinsame Brainstorming zum Thema »Männer und Gefühle« sowie für ein schönes Fallbeispiel, welches ich übernehmen durfte. Sehr dankbar bin ich auch Sandra Münstermann, Hans Pfeifer und Andrea Roder, die das gesamte Manuskript durchgearbeitet haben und mich immer noch mögen. Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern Brigitte und Hans-Peter Süfke, die nicht nur die allererste Version des Manuskripts in gute Bahnen gelenkt haben, sondern auch mich.
Übersichtskarte: Männer und Gefühle
Vor einiger Zeit stolperte ich in meiner Lieblingsbuchhandlung über ein Büchlein, welches Frauen erklären wollte, »wie Männer ticken«. Nach nur 5-minütiger Lektüre wurde die Kernaussage des Autors bereits überdeutlich: Männer sind gefühllose, sexbesessene und geistig zurückgebliebene Trottel – und Frauen sollten sie so akzeptieren, wie sie sind! Das war der Moment, in dem ich beschloss, ein Buch über Männer zu schreiben. Denn als Mann und Männertherapeut weiß ich durchaus, dass wir Männer manchmal unsensible Trottel sind. Aber, bitte schön, doch nicht nur! Da gibt es schon noch ein wenig mehr, das erwähnenswert wäre. Außerdem ist manchmal auch das Gegenteil wahr: Da sind wir sensibel, klug und haben Angst vor Sex – oder schlichtweg keine Lust.
Diese Ängste und Lüste aber, unsere Sorgen und Sehnsüchte bleiben in der öffentlichen Diskussion zumeist ausgeklammert. Was kein Wunder ist, wenn davon ausgegangen wird, dass es solche tiefergehenden Regungen bei Männern kaum gibt. So bleibt weitgehend im Dunkeln, wie es uns Männern tatsächlich geht, was wir fühlen im Inneren, manchmal ganz tief verborgen im Inneren, was wir lieben und worunter wir wirklich leiden, was unsere Sehnsüchte sind und woran wir verzagen, was uns überfordert und was uns begeistert, was uns ängstigt und was uns (auch im nicht-sexuellen Sinne) anmacht. Dieses Buch dreht sich also um jene Frage, deren ehrliche Beantwortung uns Männern in der Regel schwer fällt. Ich spreche von der Frage »Wie geht es dir?«.
Wie geht es dir?
Für Männer, die das Glück haben, mit einer Frau zusammenzuleben, ist dies Alltag: Man kommt gerade von der Arbeit nach Hause, hat sich kaum hingesetzt, und schon nach dem ersten Schluck Kaffee fragt die Dame des Herzens: »Wie geht es dir?« Oder aber sie fragt: »Wie war dein Tag?«, oder: »Wie war es bei der Arbeit?«, was allerdings nur Variationen der Frage »Wie geht es dir?« sind. Denn sie will ja nicht hören, wie viele Akten wir erledigt oder wie viele Wände wir angestrichen haben, sondern wie wir uns fühlen. Sie meint das nicht böse, sie will einen damit nicht in die Enge treiben. Sie glaubt schlichtweg, dass dies eine einfach zu beantwortende Frage wäre wie etwa: »Wie bedient man den DVD-Recorder?«
Auf jeden Fall sitzt man nun da, nimmt vielleicht noch einen Schluck Kaffee, um Zeit zu gewinnen, aber man muss sich jetzt entscheiden:
1. Ignorieren und Thema wechseln: »Sag mal, wollen wir heute vielleicht essen gehen?«
2. Unverständliches murmeln, in der Hoffnung, dass sie selber einen Sinn darin findet: »Uhmm!«
3. Allgemeine Floskeln benutzen: »Gut!«, »Geht schon!«, »Muss ja!«
4. Oder aber man nimmt die Frage ernst, denkt darüber nach, horcht in sich hinein und stellt dabei unter Umständen fest, dass keine klare Regung auftaucht, kein deutliches Gefühl, dass man in den letzten 6 bis 10 Stunden voll und ganz Arbeitsmensch war und kein Privatmann. Kurzum: Dass man schlichtweg keine wirkliche Antwort hat auf die Frage »Wie geht es dir?«. Und wenn man so weit in sich selber hineinhorchen kann, dann stellt sich in diesem Moment vielleicht ein Gefühl von Traurigkeit darüber ein, dass man keine Antwort hat auf so eine irgendwie auch wichtige Frage. Oder etwas Hilflosigkeit und Ärger, da man doch sonst immer eine Antwort hat. Vielleicht entsteht auch ein bisschen Neid auf die Partnerin, die vermutlich alle wissenschaftlich erforschten Grundemotionen an diesem Tag drei- bis viermal erlebt hat und davon flüssig berichten könnte.
In so einer Situation, meine Herren, liebe Männer, seien wir ehrlich, wer von uns wählt da Option #4 und zieht sie dann noch konsequent durch, indem er etwa sagt: »Ich weiß es nicht, ich weiß gerade nicht wirklich, wie es mir geht!«, oder sogar: »Jetzt, wo du fragst, bin ich etwas hilflos, weil ich keine rechte Antwort habe!« Wer von uns zieht sich nicht letztlich wieder mit einer der Optionen #1 bis #3 aus der Affäre? Womit wir bereits bei der Grundthese dieses Buches angelangt wären:
Die Frage, wie es uns geht, wie wir uns fühlen, ist für uns Männer eine besonders schwierige, da uns in Kindheit und Jugend der Zugang zu eigenen Gefühlen und Bedürfnissen immer mehr erschwert worden ist. Und dieser mangelnde Bezug zur eigenen Innenwelt bleibt im Erwachsenenalter weitgehend aufrechterhalten.
Wie es dazu kommt und welche Konsequenzen dieser Prozess der Entfernung von den eigenen Gefühlen für erwachsene Männer hat, darum soll es in diesem Buch gehen.
Für Männer …
Es ist das primäre Anliegen dieses Buches, Männer dabei zu unterstützen, sich mit dieser Frage »Wie geht es mir?« auseinanderzusetzen. Dabei geht es natürlich nicht nur um den Augenblick. Es gilt, in übergreifender Form zu klären, welche spezifischen Empfindungen oder Sehnsüchte bei jedem Einzelnen in welchem Zusammenhang vorhanden sind: »Was wünsche ich mir im Leben?«, »Was befriedigt mich?«, »Worunter leide ich?«, »Wovor habe ich Angst?« Danach erst folgt die Frage, wie man einen guten Umgang mit diesen Gefühlen finden kann, einen, der mehr Probleme und Konflikte löst als neue schafft. Denn:
Die Wahrnehmung eigener Besonderheiten und Gefühle ist die Grundlage dafür, persönliche Schwierigkeiten konstruktiv zu lösen, sich individuelle Wünsche zu erfüllen sowie die eigenen Potenziale effektiv zu nutzen.
Das Hauptaugenmerk dieses Buches liegt also stets darauf, wie Männer sich fühlen, welche Gefühlsqualitäten und inneren Erlebensweisen männertypisch sind. Das Buch soll dabei helfen, sich selbst besser verstehen zu lernen, sich eventuell wiederzuerkennen in den vielen Fallbeispielen, davon berührt zu werden, sich solidarisch zu fühlen – aber auch zu sehen, wo man selber vielleicht anders ist als hier beschrieben.
Es wird daher in diesem Buch keine missionarischen Aufrufe geben, die »wahre Männlichkeit« oder die »weibliche Seite« in sich wiederzuentdecken. Sie werden keine Forderungen hören nach »neuen Männern« oder der »Metrosexualität« eines David Beckham, die jetzt so in ist – oder schon wieder out? Kurz: Es wird nichts darüber gesagt werden, wie man sich fühlen, verhalten oder sein sollte. Es werden keine Urteile darüber gefällt, welche Gefühle oder Bedürfnisse richtig oder falsch, gut oder schlecht, welche Verhaltens- und Lebensweisen angemessen sind und welche nicht. Es wird auch kein grundsätzliches Votum darüber abgegeben, welche Verhaltensweisen verändert werden sollten (solange sie keine aktiven Gewalthandlungen beinhalten). Dies ist immer nur im jeweiligen Einzelfall beurteilbar und muss schon von dem betreffenden Mann selbst entschieden werden.
Dennoch wird meine persönliche Grundhaltung in diesem Buch immer wieder einmal durchscheinen. Wie könnte es auch anders sein, wenn man über ein Thema schreibt, welches einem so am Herzen liegt? Wenn es aber keine hundertprozentige Objektivität in den Ausführungen gibt, ist es nur fair, die eigene Grundhaltung explizit zu machen. Dann wissen Sie wenigstens, woran Sie sind.
Kurz gefasst bin ich der Auffassung, dass beide Geschlechter in ihren jeweiligen psychischen Strukturen gewissen Einschränkungen unterliegen, da sie tendenziell einseitig auf spezifische Erlebens- und Verhaltensweisen ausgerichtet sind. Über die Hintergründe dessen möchte in an dieser Stelle noch nichts sagen, da sie im Folgenden, insbesondere in Kapitel 2 »Geschichtliches«, eingehend erläutert werden. Ich gehe aber davon aus, dass alle diese spezifischen Erlebens- und Verhaltensweisen sowohl prinzipiell menschlich sind, also keinem Geschlecht »gehören«, als auch prinzipiell sinnvoll. Daraus resultiert nun unmittelbar die Zielsetzung, die bestehenden psychischen Einschränkungen möglichst zu überwinden, d.h. das eigene Erlebens- und Verhaltensspektrum um die tendenziell abgespaltenen und häufig dem anderen Geschlecht zugeschriebenen Aspekte zu erweitern. Das Resultat wäre ein Mehr an menschlichen Gefühlsqualitäten sowie ein größeres Handlungsrepertoire, aus dem man schöpfen kann.
Natürlich ist diese Zielsetzung sehr hochgegriffen und individuell schwer zu erfüllen. Solange dies so ist, solange also die beschriebenen psychischen Einschränkungen bei den meisten Männern und Frauen zumindest teilweise bestehen bleiben, sollten wir wenigstens auf undifferenzierte Bewertungen von »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« verzichten. Die bekannte Abwertung von Frauen und von als weiblich erachteten Eigenheiten ist genauso dumm wie die in jüngster Zeit modern gewordene Verunglimpfung von Männern als soziale Idioten und Defizitwesen. Wenn in diesem Buch von männlichen Macken und Schwächen die Rede ist, wenn diese beizeiten ironisch kommentiert werden, dann geschieht dies stets, um auf damit einhergehende Leiden und persönliche Schwierigkeiten aufmerksam zu machen. Auf keinen Fall sollen Männer hier missioniert, verhöhnt oder erniedrigt werden. Sollte dieses Gefühl jemals bei der Lektüre auftreten, bitte ich ausdrücklich um Entschuldigung, dann wäre ich schlichtweg zu weit gegangen. Meine Idealvorstellung ist der selbstkritische, bisweilen selbstironische, aber immer liebevolle Blick in den Spiegel.
Auch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass bei allen in diesem Buch dargelegten Meinungen, Erklärungen, Thesen und Beobachtungen über Männer sowie bei allen Begriffen wie »männliches Dilemma« oder »männliche Macken« niemals grundsätzlich alle Männer gemeint sind. Jeder einzelne männliche Leser wird früher oder später Aspekte finden, in denen er sich so gar nicht wiederfinden kann. Und jede weibliche Leserin wird gelegentlich denken: »Hey, dieses Gefühl, dieses Verhalten kenne ich nur allzu gut von mir selbst!« Die Verhaltens- und Erlebensunterschiede zwischen Frauen und Männern sind selbstverständlich fließend, nicht kategorisch. Im Großen und Ganzen jedoch werden alle hier genannten Punkte auf deutlich mehr Männer als Frauen zutreffen. Es gilt wie immer im Leben: Ausnahmen bestätigen die Regel, und Bücher leben von Verallgemeinerungen.
Wo wir schon bei Begrifflichkeiten sind, darf eine Bemerkung zum Thema des »Unbewussten« nicht fehlen: Wenn in diesem Buch die Rede ist von bestimmten Verhaltensweisen der Männer oder von inneren Prozessen, die bei ihnen ablaufen, soll damit nicht gesagt sein, dass diese immer bewusst oder sogar willentlich ablaufen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich aber darauf, jedem einzelnen Aspekt den Zusatz »bewusst oder unbewusst« anzuhängen – wenngleich natürlich ein Großteil dessen, was hier beschrieben wird, auf einer unbewussten Ebene geschieht. Gerade dem männlichen Leser würde ich ja nicht viel Neues bieten, wenn ich nur das zusammenfassen und systematisieren würde, was ihm ohnehin schon bewusst ist. Ich erwähne dies dennoch so explizit, weil manche Psychotherapie-Klienten Rückmeldungen oder Erklärungen mit der Bemerkung von sich weisen, dass sie dieses oder jenes Verhalten »nicht bewusst« an den Tag gelegt hätten.
… und für Frauen
Dieses Buch ist in erster Linie »von Männern, über Männer und für Männer« geschrieben. Es basiert auf den Gedanken und Erfahrungen eines Männertherapeuten und zahlreicher Männerklienten, die immer wieder zu Wort kommen werden. Allerdings habe ich in letzter Zeit die Erfahrung gemacht, dass auch Frauen sich sehr intensiv mit dem »Männer-Thema« beschäftigen. Mein Kollege Wolfgang Neumann und ich haben vor einigen Jahren ein Fachbuch über Männerpsychotherapie geschrieben (»Den Mann zur Sprache bringen – Psychotherapie mit Männern«) und waren erstaunt, wie viele Frauen sich dafür interessierten. In erster Linie natürlich Psychotherapeutinnen, die Hilfe im Umgang mit ihren männlichen Klienten suchten. Aber auch viele »normale« Frauen fühlten sich einerseits hinsichtlich eigener Schwierigkeiten in ihrer Partnerschaft verstanden und waren andererseits zu etwas mehr Verständnis gegenüber »ihren« Männern gelangt.
Eine Frau etwa, so erzählte sie mir im Anschluss an eine Lesung, hatte nach der Lektüre unseres Buches ihrem Mann psychologische Beratung empfohlen. Nach der Rückkehr des folgsamen Gatten vom ersten Besuch beim Therapeuten suchte sie dann sofort das Gespräch: »Und, wie war für dich die erste Stunde bei dem Psychologen, erzähl mal?!« Sie erhielt darauf die »männlich-ergebnisorientierte« Antwort: »Och, ganz gut gelaufen!« Diese Antwort ließ sie weiter (und wieder einmal) allein. Sie fühlte sich gekränkt, empört, resigniert. Dann aber erinnerte sie sich an unsere »humorvolle Hartnäckigkeit«, wie sie es nannte, nahm ihren Mann in den Arm und sagte freundlich: »So schnell gebe ich nicht auf!« Da musste er lachen, und es entwickelte sich ein für beide sehr bewegendes Gespräch, das den ganzen Abend andauerte. »Obwohl er nicht alles aus dem Erstgespräch erzählen wollte!«, fügte sie ihrer Erzählung mit gespielter Entrüstung hinzu, worauf mir ein spontanes »Gut so!« herausrutschte.
Aufgrund solcher Rückmeldungen wollte ich das vorliegende Buch so schreiben, dass es auch für jene Frauen interessant sein könnte, die gerne mehr wüssten vom Innenleben der Männer, aber selten etwas davon erfahren. Wobei es für die jeweilige Frau wahrscheinlich noch interessanter ist, etwas über das Innenleben ihres Mannes zu erfahren – so wie es für manchen Mann befriedigend sein könnte, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse stärker in den Blick zu nehmen und eventuell auch etwas davon zu berichten. Damit diese sehr umfassenden Zielvorstellungen verwirklicht werden können, muss das äußerst komplexe Thema »Männlichkeit« komprimiert und in überschaubare Einzelaspekte gegliedert werden. Wie bei einem Reiseführer, der die enorme Vielfalt eines Landes für eine nur zwei- oder dreiwöchige Rundreise aufbereitet. Und so wie man sich in einem Reiseführer während des Urlaubs manchmal Notizen macht, Ergänzungen, Hervorhebungen, Berichtigungen, so können auch die Einzelteile dieses »psychologischen Reiseführers« immer um persönliche Anmerkungen des männlichen Lesers erweitert werden.
Die Reise ins Innere
Ich möchte Sie, lieber Leser, liebe Leserin, also mitnehmen auf eine Rundreise durch die männliche Seele, will Sie wegweisend begleiten, Ihnen erklärend und unterhaltend zur Seite stehen. Allerdings wird auf dieser Rundreise mehr von gemeinhin als negativ erachteten Gefühlen die Sprache sein als etwa von Freude, Stolz, Liebe und Leidenschaft. Es wird eher eine Entdeckungsreise werden als ein Strandurlaub. Wir werden uns häufig auf schwieriges Terrain begeben, innere Regionen betreten, die wir sonst gerne umschiffen, weil wir uns nicht so sicher darin bewegen können: Schuld, Angst, Hilflosigkeit, Einsamkeit. Dies soll keineswegs suggerieren, dass Männer grundsätzlich mehr von negativen Gefühlen bestimmt sind als von positiven. Es ist nur einfach so, dass die meisten als angenehm erlebten Gefühle offensichtlich sind. Freude, Begehren oder Begeisterung liegen in der Regel gut sichtbar an der Oberfläche, weil Männer nur wenig Probleme damit haben, sie zu erkennen und auszudrücken. Es braucht keinen Wegweiser und keinen Reiseführer, um sie zu finden und mit ihnen zurechtzukommen. Die anderen Gefühle aber, die »schwachen«, zwiespältigen, schmerzlichen und auch die sehnsüchtigen Gefühle, die verborgenen Wünsche und Bedürfnisse, sie alle bedürfen der Nachhilfe, um gesehen, ernst genommen und nicht gleich wieder weggeschoben zu werden. Hier braucht es eine systematische Ermutigung von außen, zum Beispiel durch das psychotherapeutische Gespräch.
Herr Arnaud¹ hat Medizin und Psychologie studiert und arbeitet als Berater in einem Gesundheitsladen. Er ist 47 Jahre alt, lang, dünn, mimisch starr und blass. Er berichtet, dass er in die Männerberatungsstelle komme, weil er »Glück im Unglück« gehabt habe. Vor zwei Wochen nämlich habe er einen Herzinfarkt erlitten, den er nur gerade so überlebt habe. Und das, obwohl er doch sonst immer der medizinische und psychologische Experte sei. »Vielleicht nur für die Herzensangelegenheiten anderer«, überlege ich laut. »Könnte stimmen«, sagt er und wiegt seinen Kopf hin und her. Herr Arnaud ist ein sehr besonnener Mann, der sich schwer tut mit Entscheidungen. »Das ist gut im Beruf, aber schlecht im Privaten«, sagt er, »da bin ich wie mein Vater.« »Hat das mit dem Unglück etwa auch Tradition in Ihrer Familie?«, frage ich. Er nickt langsam, sein Vater sei in der Résistance gewesen, habe deshalb nicht studieren können und sei aufgrund finanzieller Nöte auch nach dem Krieg nicht zum Studieren gekommen. Er habe dann Zeit seines Berufslebens unglücklich als einfacher Angestellter im Straßenbauamt gearbeitet. »Ihr Herz hat noch einmal Glück gehabt, nun soll Ihr Glück wohl ganz werden, sonst wären Sie nicht beim Therapeuten?«, mutmaße ich. Herr Arnaud nickt: »Obwohl meine Frau mir immer vorwirft, ich sei ein klassischer Schulmediziner, glaube ich dennoch an psychosoziale Faktoren wie Stress und Unglück bei der Genese von Herzerkrankungen.« »Wie bei Vater ist bei Ihnen das Glück an die Erfüllung Ihrer Wünsche gekoppelt«, doziere ich zurück, »und, Herr Arnaud, was wären denn so Ihre unerfüllten Herzenswünsche?« Er schweigt eine Weile betroffen, dann sagt er: »Ich weiß nicht, ob ich nach Frankreich zurückkehren soll und ob ich meine Ehe weiterführen soll!« »Vom Sollen zum Wollen!«, sage ich. »Das klingt nach einer Entscheidungsoperation am offenen Herzen.« Herr Arnaud grinst, wobei er plötzlich aussieht wie ein Lausbub, gar nicht mehr so blass und erschöpft.
Zu Beginn der nächsten Stunde macht Herr Arnaud allerdings wieder einen ziemlich herzkranken Eindruck. Ich spreche ihn auf diesen Lausbub-Gesichtsausdruck vom letzten Mal an und frage ihn, wo der denn geblieben wäre. Herr Arnaud nickt wieder auf seine besonnene Art und berichtet schließlich aus seiner Kindheit. Mit 11 Jahren sei er von seiner geliebten Mutter verlassen worden. Sie sei nach Frankreich zurückgegangen, und er habe schrecklich unter dem Verlust gelitten. Daraufhin sei er sehr ernst geworden und hätte sich zurückgezogen. »Sie haben Ihre Herzensgefühle unterdrücken müssen, um nicht unterzugehen?«, frage ich. Herr Arnaud schluckt und fängt schließlich an zu weinen. »Jetzt, wo ich fast 50 Jahre alt bin, merke ich es immer noch.« Nach einer Pause sagt er: »Aber jetzt kann ich weinen!«, und atmet schwer. »Als ob es noch nicht überwunden ist«, sage ich. »Was kann man da noch tun?«, fragt er mit dünner Stimme. »Sie könnten an Ihre Mutter als 11-jähriger Junge einen Brief schreiben, mit dem Inhalt, wie es Ihnen damals mit Ihrem Herzen ging«, schlage ich vor. Er lächelt, willigt ein und verlässt das Therapiezimmer, um den Brief sofort in einem nahen Café zu verfassen.
Als ich am Nachmittag nach draußen gehe, um etwas Luft zu schnappen, sehe ich im Briefkasten einen großen Briefumschlag, an mich adressiert. Der Umschlag enthält eine Kopie des zutiefst bewegenden »Mutterbriefes« von Herrn Arnaud, einer unendlich traurigen und ebenso liebevollen Beschreibung der Gefühlswelt des 11-jährigen Jungen sowie seines weiteren Werdegangs. Ich lese den Brief sofort an Ort und Stelle und muss mir am Ende die Tränen der Rührung aus den Augenwinkeln wischen, da ich meinen nächsten Klienten über den Hof kommen sehe. Behutsam stecke ich den Brief in den Umschlag zurück – auf der Rückseite steht in großen Lettern: »Tränen der Freiheit. Bis nächste Woche, François Arnaud.«
Schritt für Schritt
Weil diese schmerzlichen oder sehnsüchtigen Gefühle von Männern oftmals nicht wahrgenommen und schon gar nicht ausgedrückt werden, wird ihnen hier so viel Aufmerksamkeit zuteil – ganz so wie in einer Psychotherapie. So ähnelt auch der Aufbau des Buches, also der Reise, in grundlegender Hinsicht dem therapeutischen Prozess:
1. »Reisevorbereitungen«: Die Männer
