Welches Leben nach dem Tod?: Reinkarnation und christlicher Glaube
Von Gabriel Looser
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Buchvorschau
Welches Leben nach dem Tod? - Gabriel Looser
NAVIGATION
Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Literaturverzeichnis
Anmerkungen
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Gabriel Looser
Welches Leben nach dem Tod?
Reinkarnation und christlicher Glaube
Patmos Verlag
INHALT
Einleitung
Reinkarnation – eine drängende Frage
Das Schweigen der Kirchen
Mein Weg mit der Reinkarnationslehre
Der Weg zu diesem Buch und seine Aufgabe
Der Aufbau der Studie
Eine Frage des Glaubens
Reinkarnation und christlicher Glaube
Die Bedeutung der Reinkarnationsfrage am Sterbebett
Ursprünge der Reinkarnationsidee
Eine erste Wurzel: östliche Religionen
Eine zweite Wurzel: europäisch-abendländische Traditionen
Die Gnosis der Spätantike
Die Diskussion im 20. Jahrhundert
Allgegenwärtige Thesen
Theologen als Lehrer der Reinkarnation
Autoren ohne spezifisch theologischen Hintergrund
Wichtige Stationen in der Kirchengeschichte
Die Schule von Alexandria und Origenes
Das frühe Mittelalter
Das hohe Mittelalter
Die Neuzeit: Renaissance, Reformation und 19./20. Jahrhundert
Die Theologie des 20. Jahrhunderts: ein Gesprächsangebot
Die biblisch-christliche Tradition: Gericht und Hölle
Die Brücke zur Reinkarnation: das Fegefeuer
Das konstruktive Angebot eines Brückenschlages
Lehrte Jesus die Reinkarnation?
Der »wiedergekommene« Elija
Wer ist Jesus?
Die Heilung des Blindgeborenen
Nicht um Reinkarnation geht es, sondern um die Sendung Jesu
Schlüsselstellen, in denen nicht von Reinkarnation die Rede ist
Jesus als (gnostischer) Geheimlehrer?
Wurde die Bibel »gesäubert«?
Reinkarnation – eine Selbstverständlichkeit zur Zeit Jesu?
Ein-Leben-Lehre im Zweiten Testament?
Ein vorläufiges Fazit
Eine biblische Reinkarnationslehre
Ungewohnte Bibelinterpretationen
Entfaltung der biblischen Reinkarnationslehre
Kritische Würdigung
Eine christlich-theologische Reinkarnationslehre
Integration der Reinkarnation in das christliche Heilsverständnis
Die biblische Grundlage
Der gesamtkulturelle Kontext
Kritische Würdigung
Eine christliche Ein-Leben-Lehre
Die Entscheidung fällt beim Glauben
Die Frage nach der menschlichen Seele
Zwischen Tod und Jüngstem Gericht
Fegefeuer oder Reinkarnation?
Gnade oder Karma?
Vergebung der Sünden durch Christi Kreuzestod
Die Ein-Leben-Lehre ergibt sich aus der Geschöpflichkeit des Menschen
Reinkarnationsglaube – Überschätzung menschlicher Möglichkeiten
Kritische Würdigung
Wie hältst du’s mit der Reinkarnation?
Überblick
Das Wichtigste in Kürze I: Jesus und die Reinkarnation
Das Wichtigste in Kürze II: die Reinkarnation in der Geschichte der Kirchen
Meine eigene Position
Ein undogmatischer Vorschlag für einen Ausgleich
Die beschränkte Tauglichkeit von Kompromissen
Ein gemeinsames Größeres
Unterschiede bleiben – der Wettstreit der Hoffnungen
Literaturverzeichnis
Anmerkungen
Einleitung
Ein Gespräch unter vier Augen mit einer Interessentin an meiner Ausbildung in »Spiritueller Sterbebegleitung«. Manchmal bringe ich das Thema »Reinkarnation« selbst ein, diesmal kam meine Gesprächspartnerin darauf zu sprechen: »Ja, an die Reinkarnation glaube ich ganz bestimmt. Das ist für mich eine Tatsache.« Etwas später äußerte sie ebenso klar, dass sie überzeugte Christin sei, wenn auch kirchenfern. Auf meine Nachfrage, wie sich ihrer Meinung nach das Verhältnis darstelle von Christus als Erlöser zum Reinkarnationsglauben, nach welchem doch jeder den Weg selbst gehen müsse und diesen nicht stellvertretend einem Heiland überlassen könne, wurde sie unsicher: »Ja, so genau habe ich mir das nicht überlegt.« Aber sicher sei, eine ewige Hölle könne es nicht geben, schließlich sei Gott die absolute Liebe. Da sei die Reinkarnation zwingend. Auf meine Bemerkung, dass die Hölle als ewige Strafe sehr wohl Teil der biblischen Lehre sei, reagierte sie erneut zögernd. Sie bekräftigte jedoch ihre Haltung mit dem Hinweis, dass sie irgendwo gelesen habe, dass die Kirche ursprünglich die Reinkarnation auch gelehrt habe, bis sie von einem Konzil verboten worden sei.
Szenenwechsel: Ein junger Lehrer für Medialität (Kontakte zur geistigen Welt) kam im Laufe eines Vortrags vom Thema ab und auf die Reinkarnation zu sprechen, die für ihn eine fraglose Tatsache war. Seine Gesichtszüge veränderten sich leicht, verloren etwas von ihrer sympathischen Spontaneität und nahmen den Ausdruck eines Wissenden an: Während seiner Ausbildung zum Medium in England habe er sich eingehend auch mit dieser Frage befasst. Man wisse ja, dass die Reinkarnation ursprünglich Teil der kirchlichen Lehre und auch in der Bibel fest verankert gewesen sei. Im Mittelalter sei sie dann aber verurteilt und daraufhin seien die entsprechenden Stellen aus der Bibel gestrichen worden. Viel Nicken bei den Zuhörenden – in diesem Punkt herrschte offensichtlich große Einigkeit und man war bereit, dem jungen Referenten Kompetenz zuzubilligen. »Man« weiß es: Seit 1500 Jahren führt »die Kirche« einen erbitterten, aber zunehmend erfolglosen Kampf gegen die Idee der Reinkarnation.
Schließlich noch eine dritte Erfahrung, diesmal anlässlich eines Schulungstages für Pflegende in der (traditionell katholischen) Innerschweiz. Es war eine heiminterne Schulung, die Leute kannten sich und waren einander vertraut; die Gespräche verliefen recht offen. Der Tag näherte sich seinem Abschluss und ich fragte in die Runde, ob jemand noch eine Frage habe. Eine Frau sprach das Thema Reinkarnation an und was es damit auf sich habe. Die Unsicherheit in ihrer Stimme ließ mich ahnen, dass die Frage sie schon seit Längerem umtrieb. In solchen Situationen, in denen es um Glaubenseinstellungen geht, vermeide ich es in der Regel, sofort eine direkte Antwort zu geben, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich wüsste die Antwort. So richtete ich mich an die Runde und gab die Frage weiter. Eine weitere Teilnehmerin brachte sich ein. Ja, sie habe sich mit diesem Thema auseinandergesetzt, und diese Idee überzeuge sie entschieden mehr als die Lehre der ewigen Höllenstrafe. Darauf entgegnete die erste Fragestellerin erneut zögernd, grundsätzlich habe diese Idee auch für sie etwas Positives (so ihre Wortwahl), aber sie wisse nicht recht, schließlich lehne die Kirche diese Lehre ab; darüber könne man sich doch nicht einfach hinwegsetzen. Die Befürworterin: Die Kirche habe das am Anfang auch gelehrt, das sei erst später verboten worden. Die zögernde Frau insistierte, ob das wirklich wahr sei; das könne sie fast nicht glauben. Vielleicht sei das ja bloß eine »esoterische Idee«. Auf meine Rückfrage an die Befürworterin, was es mit diesem kirchlichen Verbot auf sich habe, meinte diese lediglich, Genaueres wisse sie nicht, aber sie habe das einmal gelesen – erneut fand ich mich mittendrin in der Kontroverse mit all ihren Unsicherheiten …
Reinkarnation ist offenbar ein Thema, für das nicht nur der »Kopf« zuständig ist; sie ist ebenso eine Angelegenheit des »Bauches«. Es geht auch um Emotionen und Erfahrungen, um subjektive Überzeugungen, die sich nicht immer leicht in Worte fassen und logisch begründen lassen. Oft ist es schwierig, ein Gleichgewicht zu finden, beiden Ebenen von uns Menschen gerecht zu werden. Der »Bauch« kennt Gewissheiten, mit denen der »Kopf« nicht immer klarkommt. Das Resultat ist eine verbreitete Unsicherheit.
Reinkarnation – eine drängende Frage
Gerade für spirituell interessierte Menschen ist die Frage der Reinkarnation tatsächlich von großer Bedeutung, sie wollen ihr Aufmerksamkeit schenken, sich mit ihr auseinandersetzen. So viel Befremdliches, so vieles, das spontan unsere Auflehnung provoziert, begegnet uns im Leben: Kinder werden hier in die fürsorgliche Liebe wohlhabender Familien hineingeboren und finden beste Voraussetzungen für eine gedeihliche Entfaltung vor. Kinder sind dort das Ergebnis von Vergewaltigungen im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen, werden in bittere Armut geboren und schon vor ihrer Geburt abgelehnt und haben somit kaum eine Chance, ihre Möglichkeiten jemals zu entfalten. Was ist ferner mit jenen, die schon im Kindesalter wieder sterben, nur für wenige Jahre, vielleicht nur ein paar Wochen oder sogar nur Stunden hier sind; was mit jenen, deren Leben bereits im Mutterschoß sich vollendet, sei es durch eine Fehlgeburt, sei es durch Schwangerschaftsabbruch? – drängende Fragen …
Die traditionellen kirchlichen Antworten verweisen in der Regel auf den für uns Menschen unergründlichen Willen Gottes, der in seiner Weisheit und Güte jedem Menschen das Los zukommen lasse, was für diesen das Beste sei. Hinter einer solchen Haltung steht der Appell an ein (oft fast) übermenschliches Vertrauen in diesen gütigen und allwissenden Gott. Doch diese Antworten vermögen heute viele Menschen nicht mehr zu überzeugen.
Da wird der Reinkarnationsidee und der damit verbundenen Karmalehre zunehmend eine höhere Plausibilität eingeräumt. Unter Karma versteht man – kurz zusammengefasst – eine Bilanz am Ende des Lebens: Wo steht der Mensch jetzt auf seinem Weg der Entwicklung und Reifung? So legt dieses Karma fest, welche Lernschritte in der nächsten Inkarnation anstehen. Und dies wiederum bestimmt, unter welchen Umständen (Kultur, soziale Schicht, Geschlecht, gesunder oder behinderter Körper etc.) diese zu erfolgen habe. Dabei spricht eine aufgeklärte Reinkarnationslehre niemals von einem »schlechten« Karma. Vielmehr gibt es »schwieriges« Karma, wenn Schritte zu gehen sind, die aufgrund dieser Lebensbilanz strengere Voraussetzungen erfordern.
Beide Haltungen jedoch – die traditionell kirchliche wie die reinkarnatorische – bergen in sich auch die Gefahr der Teilnahmslosigkeit gegenüber Mitmenschen in Not. So hört man gelegentlich von Reinkarnationsgläubigen, dass schwere Schicksale das Karma der Betroffenen sei und dass man nichts machen könne, sie »da halt einfach durch« müssten. Von der anderen Seite wird der allwissende Gott ins Spiel gebracht, der nie grundlos strafe.
Beide Perspektiven verletzen das Grundgesetz hinter allem, das Liebesgebot. Weder der Glaube an das Karma noch an die Gerechtigkeit Gottes dürfen jemals zum Vorwand werden, diese Basis aller großen religiösen Traditionen außer Kraft zu setzen.
Das Schweigen der Kirchen
Für viele Menschen sind heute »Christsein« und der Glaube an die Reinkarnation ohne Weiteres vereinbar. Kirchenferne, aber dem christlichen Glauben dennoch Verbundene äußern sich in dieser Weise und zunehmend breitet sich diese Überzeugung auch unter kirchlich Engagierten aus. Gleichzeitig herrscht, wie gesehen, viel Unklarheit und wichtige Fragen stehen unbeantwortet im Raum. Ein Blick in die »einschlägige« Literatur bringt oft nur wenig Hilfe. Da stoßen wir häufig auf vehement bis aggressiv vorgebrachte Behauptungen, aber nur selten findet man ernsthafte Begründungen, und sachliche Belege werden keine beigebracht – für kritische Leser kann das allein keine ausreichende Antwort auf ihre drängenden Fragen sein.
Und die Kirchen schweigen! Ja, in den Kirchen herrscht oft erschreckende Sprachlosigkeit. Ihr Jahrhunderte währendes, missbilligendes Schweigen lastet noch immer lähmend auf vielen Priestern und Pfarrern. Wohl wagen sich einzelne Amtsträger gelegentlich etwas vor. So erzählte mir ein evangelischer Pfarrer einer Landgemeinde, ein überzeugter Reinkarnationsgläubiger, dass er Tauffeiern gerne mit den Worten einleite: Das Kind »(Name) ist wiedergekommen.« Noch nie habe er eine ablehnende Reaktion erlebt. Nun, das mag teilweise auch daran liegen, dass die Leute oft nur wenig aufmerksam zuhören. Auf alle Fälle aber genügt eine solche Aussage bei Weitem nicht. Suchende Menschen brauchen entschieden mehr als versteckte Hinweise.
Angesichts der Tatsache, dass eine stetig wachsende Zahl kirchlich Gläubiger sich der Reinkarnationsidee zuwendet, kommen die Kirchen nicht länger darum herum, sich dieser Frage zu öffnen. Im Gegensatz zu vielen reinkarnationsfreundlichen Autoren, welche diese Forderung ebenfalls erheben, meine ich damit jedoch nicht, Kirchen und Pfarrer müssten sich »endlich« zur Reinkarnation bekennen und diese lehren – nein, darum geht es nicht. Aber sie müssen sich den Fragen stellen.
Die Reinkarnation muss in den innerkirchlichen Diskussionen ihren Raum finden. Das aber setzt voraus, dass die kirchlichen Repräsentanten sich zunächst einmal eine entsprechende Kompetenz aneignen – und eine hilfreiche Sprechweise! Hier geht es nicht bloß darum zu predigen, dafür oder dagegen. Vielmehr müssen Räume geschaffen werden für eine offene Auseinandersetzung. Natürlich hat jeder Pfarrer das Recht, ja mehr noch: die Pflicht zu einer persönlichen Haltung. Und er soll diese sachlich, das heißt biblisch und theologisch begründen können. Im Weiteren – ganz wichtig! – soll er sachlich begründete andere Glaubenshaltungen als ebenso gültig akzeptieren. Bei unsicheren Kirchenvertretern mag auch die Angst mitspielen, dass sie, wenn sie sich nur schon der Thematik ernsthaft stellen, den »wahren Glauben« verraten würden.
Es wird zu zeigen sein, dass man mit guten Gründen Christ sein und an die Reinkarnation glauben, mit ebenso guten Gründen aber auch Christ sein und an ein einziges Leben glauben kann. Doch die Fragen müssen thematisiert werden!
Für Schulen gilt im Übrigen dasselbe. Auch hier geht es nicht darum, dass Lehrpersonen für oder gegen die Reinkarnationslehre Stellung beziehen. Aber sie müssen den Heranwachsenden das geistige Rüstzeug vermitteln, mit dem diese kompetent ihre eigene Entscheidung zu treffen imstande sind. Dass damit sowohl Lehrende wie Pfarrerinnen und Pfarrer im konkreten Einzelfall oft überfordert sind, ist offensichtlich. Das ist nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, wie völlig abwesend das Thema in beider Ausbildung ist. Diese verbreitete Ahnungslosigkeit ist keine Schande – aber eine Herausforderung.
Mein Weg mit der Reinkarnationslehre
Meine erste Begegnung mit dem Wiedergeburtsglauben hatte ich schon in frühen Kinderjahren – unter ganz besonderen Umständen. Ich verbrachte meine Kindheit in den 1950er-Jahren in einer kleinen Stadt in der Schweiz, damals 12 000 Einwohner, der historischen Entwicklung entsprechend ungefähr je zur Hälfte Katholiken (zu denen unsere Familie gehörte) und Reformierte (Zwinglianer). Ein paar jüdische Familien ergänzten die kleine Gemeinschaft. Im Alltag funktionierte das Zusammenleben problemlos. Man wusste, wer wohin gehörte, und alle lebten in der Überzeugung, selbst die Wahrheit zu glauben und die anderen im Irrtum zu wissen. Doch tat dies einem gedeihlichen Stadtleben keinen Abbruch.
Es gab zwei prominente Repräsentanten in der Stadt, der Bürgermeister, der hier Stadtammann heißt und traditionell der Freisinnigen Partei, die zu der Zeit hauptsächlich von Reformierten und Freidenkern gebildet