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Rosalies (Hexen)-Sommer
Rosalies (Hexen)-Sommer
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eBook259 Seiten3 Stunden

Rosalies (Hexen)-Sommer

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Über dieses E-Book

Die 14-Jährige Rosalie erlebt 1956 mit ihren Freunden einen verhexten Sommer. Eigentlich wollte sie nur ihre Freizeit genießen und einige Kräuterrezepte von einer alten Frau erfragen, aber es kommt alles ganz anders.
Ein großer weißer Hund besucht sie nachts und führt sie zu einem Stein, der verwunschen ist. Vielen Menschen aus dem Ort sind spurlos verschwunden. Die alte Frau Isabell, die einen sprechenden Raben besitzt und aus Kräutern heilende Elixiere herstellt, will Rosalie als ihre Nachfolgerin zur Hexe ausbilden. Ein böser Geist treibt sein Unwesen und in einem geheimen Raum der Hexe entdeckt Rosalie große Spinnen, die Menschen ähneln.
Mithilfe ihrer Freunde versucht Rosalie, die Menschen zu retten, und begibt sich in Gefahr, um Isabells Bedingungen zu erfüllen...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum13. Aug. 2015
ISBN9783739256979
Rosalies (Hexen)-Sommer
Autor

Christine Holzenkämpfer

1949 bin ich in Südfrankreich, in der Provence geboren. Dort besuchte ich bis zu meinem elften Lebensjahr eine Klosterschule. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, kam ich 1960 mit meinen Eltern nach Deutschlang. Ich bin verheiratet und habe zwei Söhne. Für sie habe ich kleine geschichten geschrieben. So wurde es zu meinem Hobby. Leider hatte ich wegen des beruflichen Alltags, als kaufmännische Angestellte, kaum Zeit dem Schreiben nachzugehen. Ich habe nur kleine Weihnachtsgeschichten geschrieben, wovon einige in unserer Tageszeitung veröffentlicht wurden. Jetzt als Rentnerin habe ich endlich viel Zeit für mein Hobby.

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    Buchvorschau

    Rosalies (Hexen)-Sommer - Christine Holzenkämpfer

    25

    Kapitel 1

    Rosalie steht hinter ihrer Zimmertür, die nur einen Spalt breit geöffnet ist, und belauscht das Gespräch, welches in der unteren Etage im Esszimmer zwischen ihren Eltern und den Nachbarn stattfindet. Das ist sonst nicht ihre Art, aber weil ihre Mutter sie sofort nach dem Eintreffen von Frau und Herrn Mirage, die zu Besuch gekommen waren, mit ihren Schwestern in ihre Zimmer geschickt hatte, ist sie nun besonders neugierig. Zuvor hatte Rosalie ihre kleinen Schwestern Nani und Fina, ein fünfjähriges Zwillingspaar, ins Bett gebracht.

    Sie kann nicht alles genau verstehen, was unten gesprochen wird, denn die Erwachsenen unterhalten sich besonders leise. Die Sätze, die jedoch bis zu ihren Ohren dringen, klingen sehr spannend:

    »Sie hat ihn grün und blau geschlagen«, erzählt Frau Mirage aufgeregt.

    »Was? Die Hexe Isabell? Wie unheimlich!«, ruft ihre Mutter erstaunt aus.

    Plötzlich hört Rosalie ein Knarren auf der Holztreppe. Schnell läuft sie zum Fenster und schaut hinaus, damit niemand bemerkt, dass sie gelauscht hat.

    »Möchtest du dich noch nicht schlafen legen?«, spricht ihre Mutter sie an, als sie das Zimmer betritt.

    »Doch, gleich, ich habe noch meine Bücher für die Schule geordnet. Vielleicht lese ich im Bett noch ein wenig im neuen Buch, welches ich mir aus der Schulbücherei geliehen habe.«

    »Gute Nacht, ich schließe die Tür, dann ist es leiser«, verabschiedet sie sich und schon fällt diese ins Schloss.

    Schade, denkt sie, ich hätte so gerne noch mehr erfahren. Vielleicht erzählt mir Mutter morgen etwas über das Gespräch mit den Nachbarn. Sie nimmt sich vor, sie auf jeden Fall danach zu fragen.

    *

    Rosalie ist vierzehn Jahre alt. Sie ist ein kluges, aber eher zurückhaltendes Mädchen. Sie besucht in der naheliegenden größeren Stadt Carpentras das Gymnasium in einer ganztägigen Klosterschule. Jeden Morgen fährt sie mit dem Bus und ist erst am späten Nachmittag wieder zu Hause. Rosalie gefällt es dort, denn in der Zeit, die sie in dieser Einrichtung verbringt, ist sie ohne Verpflichtungen. Sobald sie aus der Schule kommt, muss sie sich um ihre Schwestern kümmern und ihrer Mutter helfen. Ihr Vater ist selten zu Hause anwesend, nur an den Mahlzeiten nimmt er regelmäßig teil. Seine Zeit ist sehr begrenzt, da er eine Firma besitzt, die er leiten muss. Obwohl ihre Mutter nicht berufstätig ist, muss Rosalie sie ständig unterstützen.

    Sie ist ein hübsches Mädchen von schlanker Statur. Sie hat lange kastanienbraune Haare, die ihr bis zu den Hüften reichen und die sie meistens als geflochtenen Zopf oder zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt.

    Die Familie wohnt in einem zweistöckigen Haus in Pernes-les-Fontaines, das früher einmal das Polizei-Gebäude war. Diese kleine französische Gemeinde liegt in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur.

    Die Gefängniszellen und der Hof sind auch heute im Jahr 1956 noch wie in der damaligen Zeit vorhanden. Als Rosalie im Kindergartenalter war und Zeit zum Spielen hatte, traf sie sich oft mit anderen Kindern im Hof. Dieser ist von hohen Mauern umgeben, wobei sich an einer Seite viele Türen nebeneinander reihen, hinter denen sich kleine Räume befinden. In einigen von diesen lagern ihre Eltern Eierkohlen für den Winter. Diese werden für den Ofen in der Küche gebraucht, der nicht nur im Winter zum Heizen, sondern auch zum Kochen dient. Im Sommer wird der Gasherd benutzt. Diese kleinen Räume im Hof waren einmal Gefängniszellen, erzählte ihr damals die Mutter. Dort befindet sich auch eine Wascheinrichtung mit zwei unterschiedlich großen, aus Stein gemauerten Becken. Damals haben dort die Gefangenen sich selbst und auch ihre Wäsche gewaschen. Eine der Mauern trennt den Hof vom Garten. In diesen gelangt man durch einen offenen Torbogen, nachdem man zwei Steinstufen erklommen hat. Die Rückseite des Gartens bildet ein großes Holztor, welches immer abgeschlossen ist. Im verwilderten Garten befindet sich in einer Ecke eine Stehtoilette, die damals für die Insassen errichtet wurde. Rosalie und die anderen Kinder machten immer einen großen Bogen um dieses kleine Gebäude. Auf der anderen Seite des Gartens steht ein Feigenbaum. Irgendjemand hatte an einem stabilen Ast ein dickes Tau befestigt. Die Kinder benutzten es als Schaukel, denn am Tauende befand sich ein Knoten, an den man sich hängen und wunderbar schaukeln konnte. Eigentlich war dies ein seltsamer Ort zum Spielen, aber Rosalie kannte es nicht anders. Für ihre Mutter war es sehr praktisch, dass das Küchenfenster direkt zum Hof liegt, so konnte sie während der Zubereitung des Essens die Kinder gut beaufsichtigen.

    Bis heute werden diese Becken noch für die Wäsche genutzt. Als Frau Mirage als eine der Ersten in der Nachbarschaft eine Waschmaschine kaufte, war dies für alle eine Sensation. Sie wäscht einmal in der Woche auch die Wäsche von Rosalies Familie. Die Waschmaschine steht im Hof nah an der Wascheinrichtung. Mit einem langen Kabel aus der Küche wird der Stromanschluss ermöglicht. Nach dem Waschvorgang, wobei warmes Wasser in die Maschine eingefüllt werden muss, wird das schmutzige Wasser mittels Schlauch in eine Wanne abgelassen. Die Wäsche wird anschließend in einem der Becken in kaltem Wasser gespült. Danach kommt erneut die Maschine zum Einsatz, die eine Wringeinrichtung besitzt. Die Wäschestücke werden nun einzeln mittels Kurbel zwischen zwei Rollen durchgepresst und zum Trocknen an die Wäscheleine geklammert. Solch eine Waschprozedur dauert einen ganzen Tag.

    *

    Jetzt, als junges Mädchen, sieht Rosalie alles mit einem anderen Blick. Sie mag die Aussicht zum trostlosen Hof gar nicht. Bis heute schickt sie die Mutter in der Winterzeit dorthin, um aus einer der Zellen einen Eimer Kohlen zu holen. Jedes Mal fürchtet sie sich sehr, wenn sie eine der Türen öffnet und sich vorstellt, dass ein Gefangener in diesem dunklen und engen Raum eingesperrt war. Sie hat es dann sehr eilig, aus der Zelle zu kommen, sodass ihr schon ein paar Mal ein voller Eimer beim Herauslaufen umgekippt ist.

    In Pernes les Fontaines kennt jeder jeden, und wenn es eine Neuigkeit gibt, verbreitet sie sich wie ein Lauffeuer. Doch diese Nachricht heute Abend musste sehr geheim sein, vor allem für Kinder, dass Rosalie mit ihren Schwestern weggeschickt wurde.

    Als sie am nächsten Morgen ganz früh die Wohnküche betritt, staunt ihre Mutter.

    »Was ist los, Rosalie, dass du heute so zeitig aufgestanden bist? Ich muss dich sonst ein paarmal rufen, bevor du wach wirst.«

    »Ich bin sehr früh aufgewacht, weil ich neugierig bin, was die Mirages gestern Abend Neues zu berichten hatten.«

    »Kind«, beginnt ihre Mutter, »eigentlich wäre es besser, wenn ich es dir nicht erzähle, was mit dem Bäcker Gaston passiert ist. Um dich und deine Schwestern zu schützen, muss ich es aber tun. Es geht um die alte Frau, die oben am Waldrand wohnt. Ihr müsst euch in Zukunft ganz besonders vor ihr in Acht nehmen. Frau Mirage hat uns Folgendes erzählt: Die alte Frau, Isabell, du weißt ja, alle nennen sie die Hexe, war vorgestern am späten Nachmittag beim Bäcker Gaston und wollte ein Brot haben. Doch weil sie nie Geld zum Bezahlen hat, hat er sich geweigert, ihr eins zu geben. Statt sich zu ärgern und zu schimpfen, wie sie es üblicherweise macht, hat sie plötzlich laut gelacht, Gaston in einen Ball verwandelt und ihn immer wieder auf den Boden aufgeschlagen. Plötzlich verschwand sie, und als er wieder zu sich kam, befand er sich sitzend in einer Ecke seines Ladens. Er hatte überall Beulen und blaue Flecke am Körper, die fürchterlich schmerzten. Bitte, Rosalie, du musst mir versprechen, dass du niemals alleine oder mit deinen kleinen Schwestern auch nur in die Nähe des Hauses dieser Frau gehst!«

    »Ich weiß, Mama. Alle erzählen, dass am Waldrand eine Hexe wohnt, aber als ich mal dort war, habe ich vor dem Haus eine alte Frau gesehen. Sie sah freundlich aus und hat mich sogar gegrüßt«, berichtet sie ihrer Mutter.

    »Kind, sie will dich in ihr Haus locken und verhexen!«

    »Mama, ich weiß nicht, ob die Menschen manchmal übertreiben. Vielleicht hat sich Gaston mit jemandem geprügelt und als Ausrede für die Kunden, die nach den blauen Flecken fragen, diese fantastische Geschichte ausgedacht.«

    »Du bist ein kluges Mädchen, aber ich glaube nicht, dass Gaston sich so etwas ausdenkt.«

    Rosalie kann die Meinung ihrer Mutter nicht teilen. Sie verlässt die Küche mit den Worten:

    »Ich gehe nach oben und helfe Nani und Fina beim Anziehen.«

    Für sie ist das eine Selbstverständlichkeit. So hat es ihr die Mutter beigebracht.

    Als alle drei fertig sind, kommen sie gemeinsam die Treppe herunter und nehmen am Frühstückstisch Platz. Der Vater, der bereits am Tisch sitzt, nimmt keine Notiz von seinen Töchtern, da er mit Zeitunglesen beschäftigt ist. Er muss alle Neuigkeiten wissen, damit er für seine Kundengespräche im Bilde ist, was hier und in der Welt geschieht. So hat die Mutter es ihren Töchtern erklärt und sie kennen es auch nicht anders. Sie essen und sprechen kaum, damit der Vater nicht gestört wird. Rosalie findet es komisch, dass, während sie frühstücken, vom Vater nur die Hände zu sehen sind, die die Zeitung halten. Wenn er sein Stück Baguette ab und zu im Café au lait dippt, dann kann man ein wenig von seinem Gesicht erkennen, denn in dem Moment hält er die Zeitung nur mit einer Hand, sodass sich eine Seite neigt und diesen Anblick freigibt. Ihre Mutter nickt zu den Fragen ihrer Mädchen entweder ein Ja oder ein Nein. Irgendwann legt der Vater endlich die Zeitung beiseite und fragt:

    »Fertig? Dann hopp, hopp, ab mit euch, ihr drei!«

    Die Kinder stehen auf und die Mutter begleitet sie, nachdem sie ihre Jacken angezogen und ihre Taschen umgehängt haben, zur Tür.

    »Bis heute Nachmittag, ihr drei!«, ruft sie ihnen nach.

    Rosalie bringt Nani und Fina in den Kindergarten und steigt unmittelbar in dessen Nähe in den Bus, um zur Klosterschule nach Carpentras zu fahren. Rosalie ist sehr fürsorglich zu ihren Schwestern, doch manchmal hätte sie am liebsten gar keine Geschwister, dann könnte sie mehr Kind sein in ihrem Alter und nicht immer schon so erwachsen und gewissenhaft.

    *

    Als sie an diesem Morgen in den Bus steigt, hält ihre Freundin Eliane wie immer für sie einen Platz neben sich frei. Sie wohnt zwar in derselben Straße wie Rosalie, aber da sie ihre Schwestern morgens wegbringen muss, treffen sie sich immer erst im Bus.

    »Hallo Eliane, hast du schon gehört, was mit dem Bäcker Gaston passiert ist?«, flüstert sie ihrer Freundin zu, während sie sich setzt.

    »Ja, die Hexe Isabell soll ihn verprügelt haben«, flüstert diese zurück.

    »Ich möchte gerne mal mit Isabell sprechen, um zu wissen, ob sie wirklich so böse ist, wie es alle behaupten«, sagt Rosalie.

    »Nein, das darfst du nicht! Sie ist gefährlich, sie wird dir auch was antun!«, ruft Eliane, erschrocken über diese Äußerung.

    »Ich glaube nicht alles, was die Leute so erzählen. Ich nehme an, sie wollen sich mit solchen Geschichten nur wichtig tun.«

    »Ich warne dich, Rosalie, lasse es lieber sein!«

    Sie erreichen die Schule und Rosalie fühlt sich sofort erleichtert, denn hier ist sie frei von Zwängen und kann ein Mädchen sein wie die anderen ihres Alters.

    Nach der Schule erfolgt auf dem Rückweg derselbe Vorgang wie am Morgen, nur genau umgekehrt. Nachdem sie die Kleinen vom Kindergarten abgeholt und wieder zu Hause angekommen ist, geht es gleich weiter. Kaum sind sie durch die Tür, begrüßt sie die Mutter:

    »Hallo, meine Lieben, wie war euer Tag? Wir wollen gleich Abendbrot essen. Rosalie, deckst du bitte den Tisch? Euer Vater wird auch gleich hier sein und er hat Hunger.«

    Rosalie hat gerade Zeit, ihre Schulsachen wegzulegen, schon deckt sie den Tisch und setzt ihre beiden Schwestern auf ihre Stühle. Sie sind mit ihren fünf Jahren noch zu klein, um auf die hohen Esszimmerstühle zu klettern. Als der Vater den Raum betritt, gibt es eine kurze Begrüßung.

    »Guten Abend, Mädchen. Mal sehen, was eure Mutter Schönes gekocht hat, und leise sein beim Essen, in der Firma war es heute sehr anstrengend und ich brauche jetzt Ruhe.«

    Die Mutter trägt die Speisen auf und bedient immer zuerst den Vater. Er bekommt auch immer das größte Stück Fleisch. Nachdem er versorgt ist, gibt die Mutter den beiden Kleinen das Essen und erst dann Rosalie– so ist in dieser Familie die Reihenfolge. Eigentlich nicht nur beim Essen, sondern auch in allen anderen Dingen, Rosalie kommt immer zuletzt.

    Nach dem Abendessen geht der Vater in den Salon, setzt sich in seinen Sessel und zündet sich eine Zigarre an. Rosalie hilft ihrer Mutter beim Abräumen und Abwaschen des Geschirrs. Nani und Fina dürfen in dieser Zeit in ihrem Zimmer spielen. Wenn Rosalie in der Küche fertig ist, muss sie ihre Schwestern für die Nacht vorbereiten, ausziehen, waschen, Nachthemden anziehen und auch anschließend ins Bett bringen. Wenn sie ihre Aufgaben erledigt hat, darf sie manchmal einen Moment im Salon bei ihren Eltern bleiben, was sehr selten vorkommt und falls sich kein Besuch angemeldet hat. Meistens jedoch geht sie in ihr Zimmer, lernt für die Schule und liest Bücher, die sie sich aus der Schulbibliothek leiht. Seit sie jedoch die Geschichte über Isabell gehört hat, kann sie sich auf kein Buch mehr konzentrieren. Sie will und muss unbedingt zu ihr. Sie nimmt sich dies für das Wochenende vor, denn sonntagnachmittags durfte sie sich mit Erlaubnis der Eltern mit Eliane treffen, um mit ihr etwas zu unternehmen.

    Kapitel 2

    Der Sonntag kam und Rosalie tat etwas, was ihr nicht sehr behagte. Sie musste ihre Mutter anlügen, indem sie ihr erzählte, sie wolle Eliane besuchen.

    Auf dem Weg, ungefähr zwanzig Minuten von ihrem Elternhaus entfernt, trifft sie Jean-Marie. Sie findet ihn sehr nett. Er ist zwei Jahre älter als sie.

    »Hallo Rosalie, wo willst du hin, dass du so in Eile bist?«, fragt er.

    »Ich muss etwas bei Bekannten abholen«, stottert sie, weil sie nicht auf solch eine Frage vorbereitet war.

    »Kommst du heute um 17 Uhr? Wir treffen uns alle wieder am Brunnen vor der Apotheke.«

    »Mal sehen, Jean, wenn ich es schaffe, komme ich.«

    Rosalie kennt Jean-Marie aus der Pfadfindergruppe, der sie angehört. Er hat ihr von Anfang an gut gefallen, er wohnt seit eineinhalb Jahren im Ort. Die Gruppe trifft sich regelmäßig am Sonntagnachmittag, doch heute muss sie unbedingt erst zu Isabell. Ziemlich aus der Puste steht sie nun vor dem Zaun. Nanu, wo ist hier der Eingang? Sie ist schon zweimal rundherum gelaufen und hat kein Tor gefunden, trotzdem sie ja früher schon einmal hier war. Sie bleibt stehen und schaut durch den Zaun. Rosalie sieht nur schwache Umrisse von unterschiedlich großen grauen Feldsteinen und in der Ferne vermutet sie ein Haus mit einem sehr spitzen Dach, kann es aber nicht richtig erkennen. Plötzlich spricht jemand zu ihr:

    »Suchst du was?«

    Die Stimme ist sehr krächzend.

    »Wer spricht zu mir?«, fragt sie, da sie niemanden entdecken kann.

    »Hier oben auf dem Baum bin ich!«

    Sie schaut auf und ein sehr großer Rabe sieht sie an.

    »Hast du zu mir gesprochen?«, fragt sie den Vogel.

    »Ja. Was willst du hier? An deiner Stelle würde ich sofort wieder gehen!«

    »Nein, ich möchte zu Isabell. Ist sie zu Hause?«

    »Was willst du von ihr? Sie mag keinen Besuch, sie lässt nie jemanden zu sich ins Haus.«

    »Kannst du sie bitte fragen, ob sie einmal eine Ausnahme machen kann und ich zu ihr darf? Es wird nicht lange dauern, aber ich möchte sie so gerne sehen, bitte.«

    »Wie heißt du?«, fragt der Rabe.

    »Rosalie. Und wie ist dein Name?«

    »Isabell ruft mich Corbos.«

    »Gut, Corbos, frage sie bitte und sage ihr, dass ich sie nur kennenlernen möchte.«

    »Ich kann es versuchen.«

    Der Rabe fliegt zum Haus mit dem hohen spitzen Dach, denn das ist das Einzige, was Rosalie vom Zaun aus sehen kann. Nach einer ganzen Weile kommt er zurück und setzt sich auf den Ast direkt über sie.

    »Isabell möchte niemanden sehen und sie hat heute auch sehr schlechte Laune, muss ich sagen. Es tut mir leid, Rosalie.«

    Sie ist enttäuscht, gibt jedoch nicht so schnell auf.

    »Bitte, Corbos, fliege noch einmal zu ihr und sage ihr, dass ich sie mag und nicht schlecht über sie spreche und nicht glaube, was die anderen Leuten über sie sagen, sonst wäre ich nicht hier.«

    »Ich finde dich nett, Rosalie, und nur aus diesem Grund starte ich noch einen zweiten Versuch und hoffe, dass ihre Laune sich dadurch nicht noch mehr verschlechtert.«

    »Danke, Corbos, ich finde dich auch nett.«

    Der Rabe fliegt ein zweites Mal los. Kurze Zeit später hört Rosalie von Weitem ein Krachen wie ein Donnerschlag und es blitzt sogar, obwohl gar keine Wolke am Himmel zu sehen ist. Sie hat plötzlich ein schlechtes Gewissen. Corbos hat wegen mir mit Isabell Ärger bekommen. Wenn sie mich heute nicht sehen möchte, dann muss ich es eben ein anderes Mal versuchen, denkt sie. Doch Corbos landet gerade auf dem Zaun, direkt vor ihr.

    »Oh je, war es schlimm für dich? Ich habe es donnern gehört«, fragt sie leise und traut sich nicht, den Raben anzusehen.

    »Nein, gar nicht, erst wurde sie wütend, doch nach kurzer Überlegung hat sie sich anders entschieden und möchte dich sehen«, antwortet Corbos stolz über seinen Erfolg.

    »Ja? Wirklich? Danke! Und wie komme ich hier hinein? Im Zaun ist gar kein Tor.«

    »Warte ab, gleich kannst du hineingehen, dort.«

    Corbos zeigt ihr mit seinem rechten Flügel die Stelle. Rosalie traut ihren Augen nicht, auf einmal ist da ein wunderschönes Tor, mit einem Bogen darüber, an dem sich prächtige und stark duftende Rosen ranken.

    »Öffne es ruhig, ich fliege voraus, du brauchst mir nur zu folgen.«

    Sie öffnet das Tor und betritt einen wunderschönen Garten. Ein breiter Weg, von großen und kleinen Feldsteinen umsäumt, führt direkt zum Haus mit dem sehr spitzen Dach. An der Tür steht eine ältere, krumm gebückte Frau und lächelt ihr freundlich zu.

    »Komm her. Du bist also Rosalie, die mich unbedingt kennenlernen möchte«, spricht sie mit einer sehr hellen Stimme.

    »Ja, ich heiße Rosalie.«

    Mehr traut sie sich nicht zu sagen.

    »Komm herein, Kind, wenn du dich traust.«

    Rosalie ist plötzlich nicht mehr so mutig, doch sie lässt es sich nicht anmerken. Sie gehen ins Haus, Corbos bleibt draußen. Rosalie hätte es lieber gesehen, wenn er bei ihr bliebe.

    »Setz dich!«, sagt Isabell im Befehlston.

    Rosalie sieht sich um. In dem Raum befinden sich ein großer Kamin, ein Tisch, auf dem ein aufgeschlagenes, sehr großes Buch liegt, ein alter Herd, auf dem es aus mehreren Töpfen dampft und kocht.

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