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Ich bin Lian: Die Geschichte eines Kindes, das nicht Opfer ist, sondern Beobachter
Ich bin Lian: Die Geschichte eines Kindes, das nicht Opfer ist, sondern Beobachter
Ich bin Lian: Die Geschichte eines Kindes, das nicht Opfer ist, sondern Beobachter
eBook380 Seiten4 Stunden

Ich bin Lian: Die Geschichte eines Kindes, das nicht Opfer ist, sondern Beobachter

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Über dieses E-Book

„Ich bin Lian. Ich bin acht. Ich bin mutig. Und ich will wissen, wer mein Papa ist.“
Lian lebt mit seiner Mutter Jasmin und seiner kleinen Schwester Melina in Dortmund.
Sein Vater Marco ist weg – nicht tot, nicht vergessen, nur verschwunden.
Doch als ein Brief auftaucht, beginnt Lian zu fragen.
Nicht laut.
Aber tief.
Warum warst du nicht da?
Hast du mich noch lieb?
Und: Wer bist du eigentlich?
Während Jasmin zwischen Schutz und Offenheit ringt, beginnt Lian, seine eigene Sicht auf Familie zu entwickeln.
Er schreibt.
Er fragt.
Er entscheidet.
„Ich bin Lian“ ist die Geschichte eines Kindes, das nicht Opfer ist, sondern Beobachter.
Nicht naiv, sondern klug.
Nicht laut, sondern klar.
Ein Roman über das Recht, selbst zu wählen, was Nähe bedeutet.
Und über die leise Kraft, die entsteht, wenn ein Kind beginnt, sich selbst zu vertrauen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition GmbH
Erscheinungsdatum12. Dez. 2025
ISBN9783384776310
Ich bin Lian: Die Geschichte eines Kindes, das nicht Opfer ist, sondern Beobachter
Autor

Danilo Sieren

Danilo – Autor, Gestalter, Visionär Danilo wurde im sächsischen Riesa geboren und lebt heute in Dortmund. Als Autor mit einem ausgeprägten Sinn für emotionale Tiefe, kulturelle Authentizität und poetische Sprache erschafft er literarische Welten, die berühren und bleiben. Seine Texte zeichnen sich durch stilistische Raffinesse, fließende Komposition und eine klare Ablehnung von formelhafter Kürze oder repetitiver Sprache aus – jedes Wort trägt, jedes Bild wirkt. Danilo denkt Geschichten nicht linear, sondern in Schichten: Plot, Design und Markenidentität entstehen bei ihm stets parallel. Er verbindet strategisches Denken mit künstlerischer Intuition und entwickelt narrative Konzepte, die weit über das Geschriebene hinausreichen. Seine visuelle Handschrift ist ebenso präzise wie seine Prosa – fotorealistische, textfreie Cover und typografische Ornamentik sind für ihn keine Dekoration, sondern Teil der Erzählung. Als kreativer Perfektionist arbeitet Danilo iterativ, offen für radikale Umbrüche und feine Nuancen. Er liebt das Spiel mit Ambivalenz, emotionaler Resonanz und symbolischer Tiefe – und versteht es, Leserinnen und Leser in atmosphärisch dichte, realistisch-magische Räume zu führen. Seine Arbeit ist geprägt von einem tiefen Respekt für Sprache, Struktur und Wirkung. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit begleitet Danilo seine Projekte gestalterisch und konzeptionell bis ins Detail. Er denkt international, visuell und generationenübergreifend – mit einem klaren Ziel: Geschichten zu schaffen, die nicht nur gelesen, sondern erlebt werden.

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    Buchvorschau

    Ich bin Lian - Danilo Sieren

    Teil I: Ankommen

    Der März 2003 war ungewöhnlich mild im Ruhrgebiet. Die ersten Krokusse reckten sich durch den grauen Boden, und die Luft roch nach Frühling und Kohlenstaub. In einem kleinen Zechenhaus in Dortmund, eingeklemmt zwischen Fördertürmen und alten Backsteinfassaden, wurde Lian geboren.

    Seine Mutter Jasmin, 24 Jahre alt, hielt ihn zum ersten Mal im Arm und weinte. Nicht aus Schmerz, sondern aus einer überwältigenden Mischung aus Liebe, Angst und Hoffnung. Sein Vater Marco, ein kräftiger Mann mit ölverschmierten Händen und einem Herz, das größer war als sein Stolz, stand daneben und schwor sich, dass sein Sohn ein besseres Leben haben würde als er.

    Die ersten Wochen waren ein Rausch aus Windeln, Fläschchen und schlaflosen Nächten. Doch das Zechenhaus war erfüllt von Leben. Die Großeltern kamen fast täglich vorbei Oma Helga, die immer selbstgebackenen Streuselkuchen mitbrachte, und Opa Rudi, der Lian schon mit drei Wochen mein kleiner Freund nannte.

    Lians Kindheit begann wie ein Bilderbuch. Zum ersten Geburtstag gab es einen selbstgebauten Zug aus Holz von Opa, zum zweiten eine Hüpfburg im Garten, die Marco von einem Kollegen geliehen hatte. Jasmin dekorierte das Wohnzimmer jedes Jahr mit bunten Luftballons und selbstgemalten Plakaten. Lian lachte viel, und seine Augen funkelten wie die Lichter der Kirmes, die jedes Jahr in der Nähe aufgebaut wurde.

    Kinder fühlen anders als Erwachsene. Sie fühlen direkter, ungefiltert. Was Erwachsene rationalisieren, wegdrücken, verdrängen – das trägt ein Kind auf der Haut, im Magen, im Herzen. Und manchmal ist das Schweigen das Lauteste von allem.

    An einem warmen Sommertag, als Lian drei war, fuhren sie zum ersten Mal in den Movie Park Germany. Marco trug ihn auf den Schultern, und Lian zeigte auf die Achterbahn, als wäre sie ein Drache, den er bezwingen wollte. Jasmin kaufte ihm ein Stofftier einen kleinen Löwen, den Lian Leo nannte und nie wieder hergab.

    Es gibt Dinge, die Kinder nicht aussprechen können. Nicht weil die Worte fehlen, sondern weil die Gefühle zu groß sind, zu verworren. Wie soll man sagen, dass man jemanden vermisst und gleichzeitig wütend auf ihn ist? Dass man ihn sehen will und Angst davor hat?

    Jedes Jahr im September war Kirmeszeit. Die Familie zog gemeinsam los Lian an der Hand von Jasmin, Marco mit einer Tüte gebrannter Mandeln. Lian liebte das Kinderkarussell, das nach Zuckerwatte roch und sich drehte wie die Welt in seinen Träumen. Einmal gewann Marco beim Dosenwerfen ein riesiges Plüschtier, das kaum durch die Haustür passte. Lian nannte es Kohle-Karl ein Bär mit Helm, den er als Bergmann verkleidete.

    Die Sehnsucht eines Kindes nach seinem Vater ist etwas Ur-Instinktives. Sie fragt nicht nach Schuld oder Recht. Sie ist einfach da, wie der Hunger oder die Müdigkeit. Und manchmal tut sie genauso weh.

    Manchmal weiß man nicht, ob man hoffen oder aufgeben soll. Beides fühlt sich falsch an. Hoffen tut weh, wenn es enttäuscht wird. Aufgeben tut weh, weil man dann allein ist mit dem, was hätte sein können.

    Der Geruch von Brot und Butter. Das Klappern von Geschirr. Alltägliche Geräusche, die plötzlich kostbar wurden, weil sie bedeuteten: Wir sind hier. Wir sind zusammen. Wir sind okay.

    Im November bastelte Jasmin mit Lian eine Laterne aus schwarzem Tonpapier, mit gelben Sternen und einem kleinen Fenster, durch das das Licht flackerte. Beim Martinszug lief Lian stolz vorne mit, während Marco und Jasmin am Straßenrand standen und ihm winkten. Nach dem Umzug gab es Kakao und Weckmänner, und Lian erzählte, dass seine Laterne die Dunkelheit vertreibt.

    Manchmal weiß man nicht, ob man hoffen oder aufgeben soll. Beides fühlt sich falsch an. Hoffen tut weh, wenn es enttäuscht wird. Aufgeben tut weh, weil man dann allein ist mit dem, was hätte sein können.

    Seine kleine Hand lag in ihrer, warm und vertrauensvoll. Sie spürte den Puls seines Lebens in diesen winzigen Fingern, dieses Wunder, für das sie alles tun würde.

    In der Nachbarschaft lebte Tim, ein Junge in Lians Alter, dessen Vater ebenfalls auf der Zeche arbeitete. Die beiden wurden unzertrennlich. Sie bauten Höhlen aus Decken, jagten imaginäre Drachen im Garten und schworen sich, eines Tages gemeinsam Astronauten zu werden. Marco baute ihnen ein kleines Baumhaus schief, aber stabil und nannte es die Kommandozentrale.

    Manchmal ist es ein Geruch, der einen zurückwirft. Der Duft eines bestimmten Waschmittels. Rasierwasser. Oder einfach nur die Art, wie jemand riecht, wenn man ihn umarmt. Diese sensorischen Erinnerungen sind tiefer als Worte.

    Die Wohnung roch nach Kaffee und dem leisen Summen des Kühlschranks. Draußen spielten Kinder auf dem Hof, ihre Rufe drangen gedämpft durch die geschlossenen Fenster. Es war einer dieser Momente, in denen die Zeit stillzustehen schien – und doch viel zu schnell verging.

    Das erste Weihnachten, an das Lian sich bewusst erinnerte, war magisch. Jasmin schmückte das Wohnzimmer mit Lichterketten, Marco holte einen echten Tannenbaum vom Markt, und Oma Helga brachte selbstgestrickte Socken. Es gab Bratäpfel, Geschenke und das Geräusch von Plattenspielern, die alte Ruhrpott-Schlager spielten. Lian bekam ein ferngesteuertes Auto rot, schnell, laut. Marco sagte: Damit fährst du irgendwann zur Schule, Kleiner.

    Es gibt Momente, in denen ein Kind mehr versteht, als die Erwachsenen glauben. Nicht in Worten vielleicht, aber in Gefühlen. In der Art, wie sich eine Tür schließt. Wie lange eine Umarmung dauert. Wie eine Stimme klingt, wenn sie zu sagen versucht, dass alles gut wird.

    Manche Sätze wiegen schwerer als andere. Nicht wegen der Worte selbst, sondern wegen dessen, was hinter ihnen steht. Der Geschichte. Der Angst. Der Hoffnung, dass diesmal vielleicht alles anders wird.

    Die Wohnung roch nach Kaffee und dem leisen Summen des Kühlschranks. Draußen spielten Kinder auf dem Hof, ihre Rufe drangen gedämpft durch die geschlossenen Fenster. Es war einer dieser Momente, in denen die Zeit stillzustehen schien – und doch viel zu schnell verging.

    Freitagabende waren Kinotage. Marco liebte Actionfilme, Jasmin mochte Liebesdramen, und Lian wollte einfach Popcorn. Sie saßen nebeneinander, lachten, weinten, und manchmal schlief Lian auf Marcos Arm ein, während der Abspann lief. Danach gab es Pommes rot-weiß an der Bude gegenüber, und Marco erzählte Geschichten aus seiner Jugend von Mofas, Fußball und dem ersten Kuss hinter der Turnhalle.

    Manche Kinder lernen früh, dass Liebe kompliziert sein kann. Dass Menschen, die man liebt, auch wehtun können. Und dass das eine das andere nicht ausschließt. Das ist eine schwere Lektion für ein junges Herz.

    Seine kleine Hand lag in ihrer, warm und vertrauensvoll. Sie spürte den Puls seines Lebens in diesen winzigen Fingern, dieses Wunder, für das sie alles tun würde.

    Mit sechs Jahren war Lian bereit für die Schule. Jasmin hatte ihm einen Ranzen mit Dinosauriern gekauft, und Marco bestand darauf, dass er wie ein kleiner Chef aussah. Die Einschulung war ein Fest: Oma Helga brachte eine riesige Schultüte, Opa Rudi hielt eine kleine Rede im Garten, und Lian strahlte, als hätte er gerade die Welt erobert.

    Die Sehnsucht eines Kindes nach seinem Vater ist etwas Ur-Instinktives. Sie fragt nicht nach Schuld oder Recht. Sie ist einfach da, wie der Hunger oder die Müdigkeit. Und manchmal tut sie genauso weh.

    Es gibt Dinge, die Kinder nicht aussprechen können. Nicht weil die Worte fehlen, sondern weil die Gefühle zu groß sind, zu verworren. Wie soll man sagen, dass man jemanden vermisst und gleichzeitig wütend auf ihn ist? Dass man ihn sehen will und Angst davor hat?

    Die Wohnung roch nach Kaffee und dem leisen Summen des Kühlschranks. Draußen spielten Kinder auf dem Hof, ihre Rufe drangen gedämpft durch die geschlossenen Fenster. Es war einer dieser Momente, in denen die Zeit stillzustehen schien – und doch viel zu schnell verging.

    Doch während die Familie lachte und feierte, saß Marco später allein auf der Terrasse. In der Ferne hörte man das Brummen eines getunten BMWs. Und in seinem Handy blinkte eine neue Nachricht: Bereit für was Großes? Treffpunkt morgen. Holland.

    Manchmal weiß man nicht, ob man hoffen oder aufgeben soll. Beides fühlt sich falsch an. Hoffen tut weh, wenn es enttäuscht wird. Aufgeben tut weh, weil man dann allein ist mit dem, was hätte sein können.

    Der Herbst 2009 war nass und grau. Die Blätter klebten auf den Gehwegen, und der Himmel über Dortmund wirkte, als hätte er das Lachen verlernt. Lian war nun sechs Jahre alt und frisch eingeschult. Er gewöhnte sich langsam an den Schulalltag, an Buchstaben, Pausenbrot und das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein.

    Der Geruch von Brot und Butter. Das Klappern von Geschirr. Alltägliche Geräusche, die plötzlich kostbar wurden, weil sie bedeuteten: Wir sind hier. Wir sind zusammen. Wir sind okay.

    Doch zu Hause veränderte sich etwas.

    Manchmal weiß man nicht, ob man hoffen oder aufgeben soll. Beides fühlt sich falsch an. Hoffen tut weh, wenn es enttäuscht wird. Aufgeben tut weh, weil man dann allein ist mit dem, was hätte sein können.

    Eines Tages kam Marco mit einem breiten Grinsen und einem dröhnenden Motor in die Straße gefahren. Ein BMW E36 Coupé, tiefgelegt, metallicblau, mit getönten Scheiben und Felgen, die glänzten wie frisch polierter Stahl. Die Nachbarn schauten, einige nickten anerkennend, andere tuschelten. Marco stieg aus, klatschte auf die Motorhaube und sagte: Jetzt geht’s los, Jasmin. Endlich was Richtiges.

    Manchmal weiß man nicht, ob man hoffen oder aufgeben soll. Beides fühlt sich falsch an. Hoffen tut weh, wenn es enttäuscht wird. Aufgeben tut weh, weil man dann allein ist mit dem, was hätte sein können.

    Manchmal ist es ein Geruch, der einen zurückwirft. Der Duft eines bestimmten Waschmittels. Rasierwasser. Oder einfach nur die Art, wie jemand riecht, wenn man ihn umarmt. Diese sensorischen Erinnerungen sind tiefer als Worte.

    Jasmin stand in der Tür, Lian hinter ihr. Ihr Blick war starr. Was hast du getan, Marco? Gekauft. Auf Raten. Ein Schnäppchen. Der Typ brauchte schnell Geld. Wir haben Schulden bei der Bank. Die Küche ist noch nicht abbezahlt. Und du kaufst dir ein Auto, das aussieht wie aus ’nem Musikvideo? Ich brauch das. Für die Arbeit. Für... Möglichkeiten.

    Es gibt Momente, in denen ein Kind mehr versteht, als die Erwachsenen glauben. Nicht in Worten vielleicht, aber in Gefühlen. In der Art, wie sich eine Tür schließt. Wie lange eine Umarmung dauert. Wie eine Stimme klingt, wenn sie zu sagen versucht, dass alles gut wird.

    Manchmal ist es ein Geruch, der einen zurückwirft. Der Duft eines bestimmten Waschmittels. Rasierwasser. Oder einfach nur die Art, wie jemand riecht, wenn man ihn umarmt. Diese sensorischen Erinnerungen sind tiefer als Worte.

    In den folgenden Wochen wurde Marco unruhiger. Er telefonierte oft draußen, flüsterte, verschwand abends zum Treffen mit Kollegen. Jasmin fragte, was los sei. Marco winkte ab. Ich habe was am Laufen. Was Gutes. Für uns. Was Gutes oder was Schnelles? Vertrau mir.

    Manchmal ist es ein Geruch, der einen zurückwirft. Der Duft eines bestimmten Waschmittels. Rasierwasser. Oder einfach nur die Art, wie jemand riecht, wenn man ihn umarmt. Diese sensorischen Erinnerungen sind tiefer als Worte.

    Das Licht fiel schräg durch die Jalousien, malte Streifen auf den Boden. In der Ferne hörte man den Verkehr, ein konstantes Rauschen, das zur Kulisse des Alltags gehörte. Hier drinnen aber war es still. Zu still vielleicht.

    Doch Jasmin vertraute nicht mehr blind. Sie sah die Rechnungen, die Mahnungen, die Tankquittungen. Sie sah, wie Marco nachts wach lag, wie er nervös auf sein Handy starrte. Und sie sah, wie Lian ihn immer seltener zum Einschlafen rufen konnte, weil Marco noch was erledigen musste.

    Es gibt Momente, in denen ein Kind mehr versteht, als die Erwachsenen glauben. Nicht in Worten vielleicht, aber in Gefühlen. In der Art, wie sich eine Tür schließt. Wie lange eine Umarmung dauert. Wie eine Stimme klingt, wenn sie zu sagen versucht, dass alles gut wird.

    Manche Narben sieht man nicht. Sie sind in der Art, wie ein Kind spielt – vorsichtiger vielleicht. Wie es lacht – seltener. Wie es vertraut – langsamer. Das sind die Spuren, die Trennung, Verlust, Enttäuschung hinterlassen.

    Der Geruch von Brot und Butter. Das Klappern von Geschirr. Alltägliche Geräusche, die plötzlich kostbar wurden, weil sie bedeuteten: Wir sind hier. Wir sind zusammen. Wir sind okay.

    Das Licht fiel schräg durch die Jalousien, malte Streifen auf den Boden. In der Ferne hörte man den Verkehr, ein konstantes Rauschen, das zur Kulisse des Alltags gehörte. Hier drinnen aber war es still. Zu still vielleicht.

    An einem Freitagabend eskalierte es. Jasmin hatte die Kontoauszüge gesehen. Überziehungsrahmen ausgeschöpft. Kreditkarten am Limit. Du ruinierst uns, Marco! schrie sie im Wohnzimmer, während Lian in seinem Zimmer saß und versuchte, die Stimmen zu ignorieren. Ich mach das für euch! Für Lian! Damit er nicht so endet wie wir! Du machst das für dich. Für dein Ego. Für diesen verdammten Wagen! Du verstehst das nicht. Ich habe ein Angebot bekommen. Ich kann in einem Monat mehr verdienen als in einem Jahr auf der Zeche. Was für ein Angebot? Stille. Sag es mir, Marco. Sag mir, was du tust. Ich fahr. Ich bring Sachen rüber. Holland. Nichts Wildes. Drogen? Nur Kurier. Ich fass nichts an. Ich fahr nur.

    Jasmin weinte. Nicht laut. Nicht dramatisch. Sondern leise, wie jemand, der merkt, dass etwas zerbricht, das sie nicht halten kann.

    Manche Narben sieht man nicht. Sie sind in der Art, wie ein Kind spielt – vorsichtiger vielleicht. Wie es lacht – seltener. Wie es vertraut – langsamer. Das sind die Spuren, die Trennung, Verlust, Enttäuschung hinterlassen.

    Seine kleine Hand lag in ihrer, warm und vertrauensvoll. Sie spürte den Puls seines Lebens in diesen winzigen Fingern, dieses Wunder, für das sie alles tun würde.

    In den nächsten Tagen war das Haus stiller. Marco war oft weg. Jasmin sprach wenig. Lian spürte die Veränderung, auch wenn niemand sie ihm erklärte. Er malte dunkle Bilder in sein Tagebuch Autos, Tunnel, Schatten. Leo, sein Stofflöwe, lag oft unberührt in der Ecke.

    Es gibt Momente, in denen ein Kind mehr versteht, als die Erwachsenen glauben. Nicht in Worten vielleicht, aber in Gefühlen. In der Art, wie sich eine Tür schließt. Wie lange eine Umarmung dauert. Wie eine Stimme klingt, wenn sie zu sagen versucht, dass alles gut wird.

    Vergebung ist kein Schalter, den man umlegt. Besonders nicht, wenn man klein ist. Es ist ein Prozess, langsam, unsicher, mit Rückschlägen. Und manchmal reicht es nicht zu wissen, dass jemand es besser machen will. Manchmal muss man es erst sehen, immer wieder, bis man es glauben kann.

    Und draußen, auf dem Parkplatz, stand der BMW. Glänzend. Laut. Wie ein Versprechen oder eine Drohung.

    Die Wohnung roch nach Kaffee und dem leisen Summen des Kühlschranks. Draußen spielten Kinder auf dem Hof, ihre Rufe drangen gedämpft durch die geschlossenen Fenster. Es war einer dieser Momente, in denen die Zeit stillzustehen schien – und doch viel zu schnell verging.

    Die Luft roch nach feuchtem Laub, als Jasmin an einem Sonntagnachmittag mit Lian an der Hand vor dem Haus von Marcos Eltern stand. Ein kleines Reihenhaus in Castrop-Rauxel, gepflegt, mit einem akkurat gestutzten Buchsbaum vor der Tür. Sie hatte sich lange gesträubt, hierherzukommen. Doch jetzt war sie entschlossen.

    Die Sehnsucht eines Kindes nach seinem Vater ist etwas Ur-Instinktives. Sie fragt nicht nach Schuld oder Recht. Sie ist einfach da, wie der Hunger oder die Müdigkeit. Und manchmal tut sie genauso weh.

    Marcos Mutter, Helga, öffnete die Tür. Ihre Augen wurden groß, als sie Jasmin sah. Ach, Kind... das ist aber eine Überraschung. Ich muss mit euch reden. Es geht um Marco. Komm rein. Willst du Kaffee?

    Vergebung ist kein Schalter, den man umlegt. Besonders nicht, wenn man klein ist. Es ist ein Prozess, langsam, unsicher, mit Rückschlägen. Und manchmal reicht es nicht zu wissen, dass jemand es besser machen will. Manchmal muss man es erst sehen, immer wieder, bis man es glauben kann.

    Im Wohnzimmer saß Günter, Marcos Vater, mit der Fernbedienung in der Hand. Fußball lief, Schalke gegen Mainz. Er brummte ein kurzes Tag und schaltete den Ton leiser.

    Der Geruch von Brot und Butter. Das Klappern von Geschirr. Alltägliche Geräusche, die plötzlich kostbar wurden, weil sie bedeuteten: Wir sind hier. Wir sind zusammen. Wir sind okay.

    Lian setzte sich brav auf das Sofa, zog Leo aus dem Rucksack und begann, leise zu spielen.

    Manchmal ist es ein Geruch, der einen zurückwirft. Der Duft eines bestimmten Waschmittels. Rasierwasser. Oder einfach nur die Art, wie jemand riecht, wenn man ihn umarmt. Diese sensorischen Erinnerungen sind tiefer als Worte.

    Er hat sich einen Wagen gekauft. Einen BMW. Auf Pump. Und jetzt... jetzt redet er von Holland. Von Fahrten. Von Angeboten. Helga stellte die Tasse ab. Was meinst du damit? Ich glaube, er ist in etwas Illegales verwickelt. Ich weiß es nicht genau. Aber es fühlt sich falsch an. Günter schnaubte. Marco ist kein Idiot. Der weiß, was er tut. Genau das glaube ich eben nicht mehr.

    Manchmal ist es ein Geruch, der einen zurückwirft. Der Duft eines bestimmten Waschmittels. Rasierwasser. Oder einfach nur die Art, wie jemand riecht, wenn man ihn umarmt. Diese sensorischen Erinnerungen sind tiefer als Worte.

    Helga versuchte zu beschwichtigen. Er hat immer schon große Träume gehabt. Vielleicht ist das nur eine Phase. Eine Phase, die uns ruiniert. Ich sehe die Kontoauszüge. Ich sehe, wie er sich verändert. Und ich sehe, wie Lian darunter leidet.

    Manchmal weiß man nicht, ob man hoffen oder aufgeben soll. Beides fühlt sich falsch an. Hoffen tut weh, wenn es enttäuscht wird. Aufgeben tut weh, weil man dann allein ist mit dem, was hätte sein können.

    Günter stand auf, stellte sich breitbeinig vor den Fernseher. Du kommst hierher, um uns zu sagen, dass unser Sohn ein Krimineller ist? Ich komme her, weil ich Hilfe brauche. Weil ich hoffe, dass ihr mit ihm reden könnt. Dass ihr ihn erreicht. Er ist ein erwachsener Mann. Wenn er Mist baut, muss er selbst damit klarkommen. Und wenn er uns mit reinzieht? Wenn Lian das alles mitbekommt?

    Manche Kinder lernen früh, dass Liebe kompliziert sein kann. Dass Menschen, die man liebt, auch wehtun können. Und dass das eine das andere nicht ausschließt. Das ist eine schwere Lektion für ein junges Herz.

    Helga wirkte hin- und hergerissen. Ihre Hände zitterten leicht, als sie die Tasse hob. Ich kann mit ihm reden. Aber du musst auch verstehen: Marco war immer... impulsiv. Er wollte nie klein denken. Vielleicht ist das seine Art, auszubrechen. Ausbrechen? In was? In Schulden? In Gefahr?

    Die Wohnung roch nach Kaffee und dem leisen Summen des Kühlschranks. Draußen spielten Kinder auf dem Hof, ihre Rufe drangen gedämpft durch die geschlossenen Fenster. Es war einer dieser Momente, in denen die Zeit stillzustehen schien – und doch viel zu schnell verging.

    Plötzlich stand Lian auf. Mama, können wir gehen? Seine Stimme war leise, aber klar. Ich mag es hier nicht.

    Jasmin nickte. Sie stand auf, nahm seine Hand, und sah Helga noch einmal an. Wenn ihr ihn liebt, dann redet mit ihm. Bevor es zu spät ist.

    Günter schaltete den Fernseher wieder laut. Fußball ist gleich spannend. Lass ihn machen. Er wird schon merken, was Sache ist.

    Auf dem Heimweg regnete es leicht. Jasmin zog die Kapuze hoch, Lian stapfte neben ihr durch die Pfützen. Warum mögen die dich nicht? fragte er plötzlich. Sie mögen mich schon. Sie wissen nur nicht, wie sie helfen sollen.

    Manchmal ist es ein Geruch, der einen zurückwirft. Der Duft eines bestimmten Waschmittels. Rasierwasser. Oder einfach nur die Art, wie jemand riecht, wenn man ihn umarmt. Diese sensorischen Erinnerungen sind tiefer als Worte.

    Jasmin wusste: Sie war allein. Und Marco driftete weiter ab.

    Die Straßenlaternen warfen blasse Lichtkegel auf das Kopfsteinpflaster, als Jasmin spätabends vor dem Café Kleine Freiheit stand. Es war ihr Lieblingsort früher gewesen bevor Lian, bevor Marco, bevor das Leben sich in eine Richtung bewegte, die sie nie geplant hatte.

    Drinnen saß Nele, ihre beste Freundin aus Schulzeiten. Immer noch dieselbe wilde Lockenmähne, dieselbe Lederjacke, dieselbe direkte Art. Nele arbeitete inzwischen als Sozialpädagogin in der Nordstadt, hatte zwei Katzen und eine klare Meinung zu fast allem.

    Manche Narben sieht man nicht. Sie sind in der Art, wie ein Kind spielt – vorsichtiger vielleicht. Wie es lacht – seltener. Wie es vertraut – langsamer. Das sind die Spuren, die Trennung, Verlust, Enttäuschung hinterlassen.

    Du siehst müde aus, sagte Nele, kaum dass Jasmin sich gesetzt hatte. Ich bin müde. Was ist los? Marco. Der Wagen. Die Schulden. Ich glaube, er macht krumme Sachen. Drogen? Ich weiß es nicht genau. Aber er redet von Fahrten nach Holland. Von schnellen Deals. Und er ist nicht mehr... er selbst.

    Nele lehnte sich zurück, musterte Jasmin. Und du? Was machst du? Ich versuche, Lian zu schützen. Ich versuche, nicht durchzudrehen.

    Vergebung ist kein Schalter, den man umlegt. Besonders nicht, wenn man klein ist. Es ist ein Prozess, langsam, unsicher, mit Rückschlägen. Und manchmal reicht es nicht zu wissen, dass jemand es besser machen will. Manchmal muss man es erst sehen, immer wieder, bis man es glauben kann.

    Warum hast du mir nicht früher was gesagt? Ich dachte, ich krieg’s allein hin. Ich wollte nicht die sein, die jammert. Du jammerst nicht. Du kämpfst. Aber du kämpfst allein. Und das ist gefährlich.

    Manchmal weiß man nicht, ob man hoffen oder aufgeben soll. Beides fühlt sich falsch an. Hoffen tut weh, wenn es enttäuscht wird. Aufgeben tut weh, weil man dann allein ist mit dem, was hätte sein können.

    Die Wohnung roch nach Kaffee und dem leisen Summen des Kühlschranks. Draußen spielten Kinder auf dem Hof, ihre Rufe drangen gedämpft durch die geschlossenen Fenster. Es war einer dieser Momente, in denen die Zeit stillzustehen schien – und doch viel zu schnell verging.

    Jasmin starrte in ihre Tasse. Ich liebe ihn. Aber ich erkenne ihn nicht mehr. Und ich weiß nicht, ob ich ihn noch retten kann. Vielleicht geht’s nicht darum, ihn zu retten. Sondern dich. Und Lian.

    Die Wohnung roch nach Kaffee und dem leisen Summen des Kühlschranks. Draußen spielten Kinder auf dem Hof, ihre Rufe drangen gedämpft durch die geschlossenen Fenster. Es war einer dieser Momente, in denen die Zeit stillzustehen schien – und doch viel zu schnell verging.

    Ich habe mit seinen Eltern gesprochen. Die blocken ab. Ich habe niemanden. Du hast mich.

    Weißt du noch, wie wir damals Pläne gemacht haben? Studium, Reisen, Welt retten? Und jetzt retten wir uns selbst. Willkommen im echten Leben.

    Ich habe Angst, Nele. Wenn Marco in diesem Zeug drinsteckt... was, wenn sie ihn erwischen? Was, wenn er uns mit reinzieht? Dann musst du handeln. Nicht warten. Nicht hoffen. Sondern entscheiden.

    Manche Kinder lernen früh, dass Liebe kompliziert sein kann. Dass Menschen, die man liebt, auch wehtun können. Und dass das eine das andere nicht ausschließt. Das ist eine schwere Lektion für ein junges Herz.

    Manchmal weiß man nicht, ob man hoffen oder aufgeben soll. Beides fühlt sich falsch an. Hoffen tut weh, wenn es enttäuscht wird. Aufgeben tut weh, weil man dann allein ist mit dem, was hätte sein können.

    Die Wohnung roch nach Kaffee und dem

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