Metal-Nerds: Jäger der verlorenen Philosophie
Von Dominik Feldmann
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Über dieses E-Book
"Metal-Nerds" ist ein krachender wie verrückter Clash der Kulturen, in dem auf leicht verständliche Art gezeigt wird, wie eng die unterschiedlichen Bereiche des Lebens miteinander verknüpft sind. So werden Philosophie, Coming-of-Age, Heavy Metal und Populärkultur auf wahnwitzige und äußerst unterhaltsame Weise verwoben.
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Buchvorschau
Metal-Nerds - Dominik Feldmann
Kapitel 1
L
aut schallte Bon Jovi aus dem Radio. You Give Love A Bad Name, es war einer ihrer großen Klassiker. Aristoteles sang lauthals mit. Er war im Badezimmer und frisierte seine mittellangen Haare. Im Spiegel sah er seinen langen, etwas zu dürren blassen Körper. Er wirkte schlaksig. Auf Veränderungen durch regelmäßige Besuche im Fitnessstudio oder zumindest ein Sonnenbad hatte er keine Lust. Freibad und Sport lagen nicht in seiner Natur. Dafür sang er lieber lauthals mit. Für seine nicht ganz so heimliche Liebe zu Bon Jovi wurde er von seinen Freunden immer verspottet. Die Band sei angeblich nicht genug „Metal", was auch immer das bedeuten mochte. Doch darüber konnte er locker hinwegsehen. Außerdem war Bon Jovi in den letzten Jahren überall in der Gunst gestiegen, seit Barney Stinson in der Serie How I Met Your Mother das Lied You Give Love a Bad Name zum ultimativen Opener eines jeden Mixtapes erklärt hatte.
Plötzlich ertönte von draußen mehrfach ein lautes Hupen. Aristoteles sah aus dem Fenster. Vor der Haustür stand ein grauer VW Golf mit einem großen Slayer-Schriftzug auf der Heckscheibe und dem super-evil Nummernschild seines besten Freundes: FN 666.
Immer wenn er die Kombination sah, musste er grinsen, da er es gleichermaßen großartig wie lächerlich fand. Dafür blieb jetzt allerdings keine Zeit. Er schnappte sich schnell sein Obituary-Shirt mit dem toten, verrottenden Menschen vorne drauf. Es war genau das richtige Outfit für heute Abend. Bei einem Konzert dieser Größenordnung waren einfach zu viele Mode-Fans vorhanden, die nur kamen, weil Konzerte gerade im Trend waren und sich damit brüsten wollten, Metallica gesehen zu haben, obwohl sie kaum mehr als zwei Songs kannten. Von diesen wollte er sich abgrenzen.
Als Aristoteles aus der Haustür trat, hörte er The Four Horsemen aus den Boxen des Autoradios scheppern. Friedrich hatte die Kill ‘em All aufgelegt. Eine gute Wahl. Metallicas erste Scheibe war die perfekte Einstimmung auf den Gig. Freudig setzte er sich auf den Beifahrersitz und nickte seinem besten Kumpel zur Begrüßung zu.
„Hier, nimm dir erstmal ein Bier!" Er streckte ihm eine Flasche entgegen.
Aristoteles griff zu und öffnete sie mit einem Feuerzeug, welches auf dem Armaturenbrett lag. Plopp! Friedrich schnipste den Kronkorken seiner Flasche ebenfalls weg.
„Ey, du fährst doch", merkte Aristoteles an.
„Nur die Ruhe. Das ist alkoholfrei! Friedrich grinste. „Auf ein gutes Konzert! Prost!
Die Flaschen stießen klirrend aneinander.
„Wo ist denn Judith? Ich dachte, sie kommt mit?"
„Das habe ich dir doch schon gesagt. Es hätte für sie nur noch überteuerte Tickets auf dem Schwarzmarkt gegeben", antwortete Friedrich.
„Achja, stimmt. Konntest du sie nicht überreden? Immerhin sind Metallica Legenden! Wer weiß, wie lange sie in ihrem Alter noch auf der Bühne stehen können."
„Naja… so richtig drüber diskutiert haben wir nicht. Ich habe doch nur kurz nach dem Uni-Seminar mit ihr geredet. So gut kennen wir uns auch wieder nicht. Wir hatten nur das eine Seminar zusammen und mein Argument scheint daher nicht so überzeugend gewesen zu sein." Friedrich zuckte mit den Schultern.
„Womit hast du es denn probiert?", fragte Aristoteles.
„‘TAALLLLLLLLIIIIIIIICCCCAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!!!"
„Wie tiefgründig! Friedrich, Metallica sind eben nicht SSSSLLLAAAAYYYYYEEEERRRR!!!! Beim nächsten Mal frage ich sie."
„Das traust du dich doch eh nicht. Du solltest sowieso mehr mit ihr reden und hättest genauso gut fragen können."
„Klappe! Jetzt fahr endlich los!"
Friedrich schmiss den Motor an und der Golf setzte sich in Bewegung. Gemeinsam wärmten sie ihre Stimmbänder auf und sangen das für diesen Abend passende Motto mit: „Bang your head against the stage like you never did before".
-----
Sie standen vor einer Schranke. Friedrich hatte das Autofenster heruntergefahren und drückte einem Mann in orangefarbener Schutzweste 5 Euro in die Hand. Der rot-weiß-gestreifte Balken ging in die Höhe und sie konnten auf den Parkplatz fahren. Nach wenigen Metern war auf der rechten Seite eine Lücke frei. Friedrich parkte in drei Zügen ein und stellte das Auto ab.
„Ich lasse meine Jacke in der Karre. Der Weg zur Halle ist nicht weit. Die paar Meter frieren ist kein Problem", sagte er und warf einen Blick auf den Rücksitz, auf dem sich das Kleidungsstück befand.
„Das ist eine gute Idee. Außerdem sparen wir uns die Kohle für die Garderobe und das nervige Anstehen nach dem Konzert", stimmte Aristoteles zu.
Als Aristoteles die Autotür zumachen wollte, rief Friedrich von der anderen Seite herüber: „Stopp! Auf drei! Eins…. zwei….drei….! Beide knallten die Autotüren mit voller Wucht zu. „Ich liebe es, wenn es scheppert!
Aristoteles hatte diesen Tick seines Kumpels noch nie verstehen können. Doch nun machten sie sich endlich auf den Weg zum Eingang der Konzerthalle. Dabei reihten sie sich in einen schier endlosen Strom an Menschen ein, der mehr oder weniger schnell vorankam. Sie alle besaßen das gleiche Ziel.
„Was ist das eigentlich für ein Shirt, das du da trägst? fragte Aristoteles. „Das Logo kann kein Schwein lesen. Ist das irgendein Underground-Black-Metal-Zeug?
Er zog die Stirn kraus.
„Sieht super aus, oder? sagte Friedrich mit einer Mischung aus Ironie und Stolz. „Das werden ganz große Stars!
„Jetzt sag schon, wer das ist!"
„Willst du es wirklich wissen?"
„Natürlich!"
„Ehrlich gesagt habe ich mir das selbst drucken lassen. Im Internet habe ich zufällig ein Foto von einem Haufen Äste gesehen, der mich an ein Bandlogo erinnert hat. Ich habe es mit einfacher Fotobearbeitung noch etwas verzerrter gemacht, verdunkelt und anschließend auf ein schwarzes Shirt gedruckt. Tadaaaa, schon haben wir eine perfekte Black-Metal-Band!"
„Echt jetzt? Da steht also nichts?", war Aristoteles verdutzt.
„Nein! Ich habe es genau für Konzerte wie heute gemacht." Friedrich blickte sich um. Es gab etliche Besucher mit Metallica-Shirts. Kleidungsstücke von anderen Bands waren kaum zu sehen. Viele trugen sogar gar kein Band-Shirt. „Ich will die Leute mal ein bisschen verwirren und unter ihnen auffallen – ein wenig echten Metal auf so eine Massenveranstaltung bringen! Die kennen doch alle Master of Puppets nur aus Stranger Things!"
Mittlerweile waren sie an der Halle angekommen und standen in dichtem Gedränge vor den metallischen Eingangsschleusen. Gleich waren sie drinnen. Ein Security winkte sie zu sich. Er tastete schnell Hose und Ärmel ab. Besonders gründlich war er nicht. Dann ging es ein paar Schritte weiter. Die Eintrittskarte wurde eingescannt. Der Weg war endlich frei und sie durften die Halle betreten. Im Vorraum war es bereits recht voll. Überall am Rand befanden sich Getränkestände für Softdrinks, Bier und Cocktails. Daneben gab es Fressbuden für Bratwurst, Burger und Pommes. An mehreren Ecken konnten sie Merchandisestände mit T-Shirts, Pullovern und sonstigen Bandutensilien entdecken, deren Preise groß angeschrieben waren. Gerade als Aristoteles sich über die hohen Preise echauffieren wollte, hörten sie wie ein über 60-jähriger Mann zu seinem gut 40 Jahre jüngeren Sohn sagte: „Das erinnert mich an früher. Da war ich mal bei Jethro Tull. Die Leute sahen genauso aus, nur lag damals mehr der Duft von Gras in der Luft."
„So etwas nennt sich wohl generationenübergreifend. Friedrich schmunzelte. In dem Moment kreuzte ein Typ mit langen dunklen Haaren und einem Craddle-of-Filth-Pulli ihren Weg. Er blieb direkt vor Friedrich stehen und starrte auf dessen T-Shirt. „Endlich mal jemand mit einem vernünftigen Musikgeschmack! Geile Band! Von denen besitze ich ein paar Platten! Das ist nicht so Mainstream wie der ganze Rest hier. Das macht mir Hoffnung.
Schon war er wieder verschwunden.
Friedrich war irritiert und zu keiner Reaktion fähig. Das war ungewöhnlich für ihn. Normalerweise war er die Schlagfertigkeit in Person. Aristoteles begann zu lachen. „Ich weiß nicht, was witziger ist: dieser extreme True-Metaller oder dein verwirrter Blick! Es sieht so aus als hättest du selbst nicht daran geglaubt, dass dein Plan aufgeht."
„Der hat mich voll überrascht! So schnell konnte ich gar nicht antworten. Aber ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert! Friedrich hatte seine große Klappe zurück. „Darauf erstmal ein Bier. Lass uns zur Theke gehen und dann rein in die Halle. Ich möchte schon relativ weit vorne stehen.
„Alles klar, let’s go!"
----
Die Lautstärke tat fast schon in den Ohren weh. Riff hinter Riff knallte nieder. Die Gitarren schossen schneller als Maschinengewehrsalven auf ihn ein. Das Wummern des Basses spürte er durch seinen ganzen Körper. 14.000 Menschen waren gemeinsam mit ihm in der Halle. Nichts von ihnen nahm er noch wahr. Alles um ihn herum verschwamm. Er verlor das Gefühl für Zeit und Raum. Klatschen, Grölen, Springen, Bangen. Es existierte nichts anderes mehr. Nur noch er und die Musik. Sie waren eins. Jeder Vers von Master of Puppets war schon vor langer Zeit in Fleisch und Blut übergegangen. Jetzt ließ er jedes Wort in voller Lautstärke heraus. Schweißüberströmt bekam er kaum noch einen Ton raus. Die Heiserkeit kam. Scheiß drauf! Die ersten Töne von Whiplash erklangen. Metallica steigerten das Tempo ins Unermessliche. Mehr geht nicht! Noch einmal alles geben! Den Schädel von links nach rechts schmeißen: „Acting like a maniac // WHIPLASH!"
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Auf der Heimfahrt herrschte Schweigen. Nur die sanft-atmosphärischen Klänge von Anathema waren zu hören. Nach dem Adrenalin-Kick des Konzertes wollten sie etwas herunterkommen. Es gesellte sich das monotone Rattern des Autobahnasphalts hinzu. Am Fenster rauschten die Bäume vorbei. Es wirkte zunächst beruhigend auf Aristoteles, doch gleichzeitig baute sich ein Kribbeln in ihm auf, bis es aus ihm mit leicht heiserer Stimme herausbrach:
„Was für ein Gig! Wahnsinn! Die alten Herren haben doch noch etwas drauf und richtig Gas gegeben. Schön viele Songs der ersten vier Alben. Das war fast wie bei der Liveaufnahme aus Seattle 1989. Zeitweise hatte ich das Gefühl für Zeit und Raum vollständig verloren. Ich fühle mich jetzt total ausgeglichen und eins mit der Welt."
„Oho, große Emotionen bei dir. Ich dachte immer, du hättest keine Gefühle, sondern bei dir läuft alles nur im Kopf ab", neckte Friedrich.
„Ach komm, so schlimm bin ich nicht."
„Doch, bist du. Es ist doch schön, wenn du endlich mal geknackt worden bist. Das tut dir gut. Das gleicht dich aus."
„Wie meinst du das?", war Aristoteles verwirrt.
„Naja, ich will nicht gemein zu dir sein, aber manchmal bist du schon etwas steif." Um seine Worte zu unterstreichen nahm er den Blick von der Straße und blickte kurz zu seinem Kumpel auf dem Beifahrersitz.
Aristoteles grübelte: steif oder verstockt? Er hielt sich für etwas schüchtern oder introvertiert. Ganz falsch lag Friedrich allerdings nicht. Die Emotionen, die er während des Konzertes gespürt hatte, waren für ihn wirklich außergewöhnlich intensiv gewesen.
„Friedrich, wie war es denn bei dir?", wollte er wissen.
„Hm… ich bin aufgewühlt und muss mich erstmal ordnen. Es war ein wenig, so als würde ich schweben. Wie eine Art Rausch. Ich suche gerade noch nach den richtigen Worten... , dachte Friedrich laut nach. „Vielleicht eine transzendentale Ausschweifung?
Friedrich stockte kurz. Dann rief er: „Jetzt habe ich es! Der richtige Begriff ist dionysisches Erlebnis!"
„Dio-was?", fragte Aristoteles.
„Deine Vorfahren stammen aus Griechenland, du studierst Geschichte und Philosophie und kennst Dionysos nicht? Willst du mich vereimern? Hat dir dein Opa nie etwas darüber erzählt? Ihr habt doch früher immer über Philosophie gesprochen. Daher hast du doch deinen Namen. Na egal…ich schließe deine Bildungslücke. Dionysos gehörte im alten Griechenland zum Pantheon. Er war einer ihrer Götter. Rausch, Ausschweifung, Leben! Das waren seine Kernkompetenzen. Ihm gegenüber stand Apollon. Er symbolisierte die Mäßigung, die Sittlichkeit und die schönen Künste. Kurz gesagt: Ich Dionysos, du Apollon", sagte Friedrich. Eine Kombination aus Fassungslosigkeit und Vorwurf lag in seiner Stimme.
„Ach, danke. Ja, da war was. Nur weil ich griechische Vorfahren habe, kann ich mir nicht alles merken. So langsam erinnere ich mich dran. Sorry! Im ersten Moment musste ich natürlich an unseren heiligen Dio – Gott hab ihn selig – denken."
Daraufhin spreizten beide den kleinen Finger sowie den Zeigefinger und streckten ihre Hand Richtung Autodach, um dem allmächtigen Erfinder der Heavy-Metal-Pommesgabel die Ehre zu erweisen.
Aristoteles musste lachen: „Genug der Ehre für Dio. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was du mir gerade eigentlich sagen willst. Was will der alte griechische Gott von uns?"
„Nichts, aber Friedrich Nietzsche will etwas, oder besser gesagt, er ist derjenige, der das Konzert für mich perfekt beschreibt."
„Wirklich? Dann erzähl mal. Wenn du einen Philosophen kennst, dann ist es Nietzsche."
„Japp, immerhin besitzen wir die gleichen Initialen!"
Aristoteles wusste, dass dies nicht der einzige Grund war, warum Friedrich sich so intensiv mit Nietzsche auseinandergesetzt hatte. Nietzsche war sprichwörtlich der Philosoph mit dem Hammer. Diese Destruktivität hatte sein Freund angezogen, aufgesogen und geprägt, nachdem ihn in seiner Jugend ein schwerer Schicksalsschlag ereilt hatte. Aristoteles hatte Friedrich damals über lange Zeit unterstützt und geholfen. Dazu hatte Friedrich zwei weitere Stützen gefunden. Die erste war der Metal, genauer gesagt Death und Black Metal. Die Düsternis der Musik und ihr teilweise bewusst inszeniertes zerstörerisches Gedankengut erfassten ihn emotional. Das hatte ihn nicht heruntergezogen, sondern erstaunlicherweise emotional stabil gehalten. Als zweites waren es die vernichtenden Gedanken Friedrich Nietzsches gewesen, in die Friedrich immer tiefer eingetaucht war. Zufällig hatte er eine kurze Dokumentation im Fernsehen über den Philosophen gesehen. Seine Ideen hatten bei Friedrich einen Nerv getroffen, sodass er sich mehrere Bücher von ihm gekauft hatte. Seit diesem Zeitpunkt feierte es Friedrich sehr, dass er die gleichen Initialen wie Friedrich Nietzsche besaß: FN – Friedrich Nußbaumer – Friedrich Nietzsche.
„Nun erzähl schon. Ich merke doch, dass du nicht an dich halten kannst", ermunterte Aristoteles seinen Freund, das Gespräch fortzusetzen.
Das ließ sich Friedrich nicht zweimal sagen: „Ausgangspunkt von Nietzsches Überlegungen ist die griechische Tragödie."
„Also das Theater? Das hat doch Aristoteles in seiner Poetik thematisiert."
„Genau. Das ist sein Ausgangspunkt. Vor allem die Musik des Theaters. Nietzsche sagt, dass Musik Menschen in einen Rauschzustand versetzen kann. Mir erging es heute so. Ich hatte mich komplett verloren. Es war wie ein neuer Bewusstseinszustand. Als würde ich über der Welt schweben. Als würde ich in diesem Moment alles können. Als würde ich sogar bei Metallica Schlagzeug spielen können", fuhr Friedrich fort.
„Ach komm, das ist nun wahrlich keine große Kunst. Das weißt du auch. Lars Ulrich gilt nicht gerade als Meister seines Faches." Mit seinen Händen trommelte er einen Moment auf dem Handschuh-fach herum.
„Egal. Dann nimm die Soli von Kirk Hammett oder jedem anderen Gitarristen auf der Welt. Darum geht es mir jetzt nicht. Während des Gigs war ich wie in einem Zustand der totalen Selbstüberschätzung. Ich war mit mir im Reinen. Ich war eins mit mir, während ich eigentlich gleichzeitig gar nicht mehr genau wusste, was ich zum Rhythmus der Musik mache. Ich schwebte über den Dingen."
„Interessant. Soetwas nennt man dionysischen Rausch?"
„Ja. Ich denke, dass Nietzsche genau diese Erfahrung gemeint hat. Vermutlich hattest du ebenfalls diesen Rausch oder den Ansatz davon. Wobei…bei deiner großen emotionalen Stoffeligkeit, war es vermutlich schon ein echter Rausch". Schelmisch blickte Friedrich ihn an. Aristoteles nickte und überging die Spitze gegen ihn.
„Der Vollständigkeit halber muss ich jedoch anfügen, dass das bei Nietzsche irgendwann bei der Erfindung eines neuen Menschen und dem sogenannten Übermenschen gelandet ist, was von diesen Drecks-Nazis ausgeschlachtet worden ist."
Nach einer kurzen Pause ergänzte Friedrich: „Vielleicht haben es Metallica selbst sogar auf den Punkt gebracht. Dass sie ausgerechnet heute Whiplash gespielt haben, war schon eine Überraschung. Der Song bringt unser Erlebnis ganz gut auf den Punkt."
Langsam sagte er den Text des Refrains auf: „Adrenaline starts to flow // you're thrashing all around // acting like a maniac // whiplash!"
„Maniac! Manie! Dionysischer Rausch! Das passt wirklich gut zum heutigen Abend. Vielleicht ist genau das die Essenz des Thrash Metals oder sogar des Metals allgemein", grübelte Aristoteles.
„Ja, einfach diese ganze gottverdammte Welt hinter sich lassen. All dieses Gequassel von Verantwortung und Werten, Normen und Idealen, Sünde und Gewissen beiseiteschieben. Diese komplette Ökonomisierung des Lebens auf Reichtum, Macht und Glück. Mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Pferd. Das ist doch alles Mist! Ich habe keine Ahnung, was ich in fünf, zehn oder zwanzig Jahren machen werde oder welchen beruflichen Weg ich einschlagen möchte. Das Gefühl von heute Abend. Der Rausch. Das war es. Das war das echte Leben!" Dabei betonte er den letzten Satz besonders laut und deutlich.
„Amen", sagte Aristoteles etwas ratlos. Er wusste, dass sein bester Freund immer wieder mit der Welt, der Gesellschaft und vor allem seinem eigenen Leben haderte. Nicht immer war er darauf gefasst oder konnte etwas Konstruktives beitragen. Dann nahm er die Äußerungen einfach hin.
Mittlerweile war der graue Golf von Friedrich vor Aristoteles` Haustür zum Stehen gekommen. Die Anathema-Platte lief längst nicht mehr. Gebannt von ihrer Diskussion hatten sie dies gar nicht mitbekommen und keine neue Musik ausgewählt. Nach einem Moment der Stille ergriff abermals Friedrich das Wort.
„Jetzt haben
