Zwei Männer in einem Raum: Erzählung
Von Walter Vogt, Kim de l'Horizon und Christoph Geiser
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Über dieses E-Book
Zwei Männer in einem Bett, der eine schläft, der andere spricht. Erzählt wird eine Liebe in Zeiten von Aids: Die Geschichte eines »Verschonten«, der sich in einen wesentlich jüngeren Infizierten verliebt, dessen Tod greifbar nahe scheint. So macht sich der Ältere in einem Monolog Gedanken über seine Beziehung, über das Trennende der beiden Männer, über Sexualität, gekaufte Sexualität, aber auch über Freundschaft, Identität und das Verorten zwischen den Geschlechtern. Ein schonungsloser Text, von dem Vogt selbst dachte, dass er nicht publizierbar sei.
Über Walter Vogt schrieb Kurt Marti: »Das Ekstatische faszinierte ihn, zugleich behielt er den scharf beobachtenden Blick des Intellektuellen. Der Hunger nach Erlebnis und der Hunger nach Erkenntnis trieben ihn gleichermassen um, trieben ihn auch voran. Erstaunlich die Offenheit, mit der Vogt schliesslich über sich selbst zu sprechen wagte! Worüber er auch immer schrieb und sprach, er schrieb und sprach von sich selbst. Es ist wahr, das tut wohl jeder Autor, nur tun es nicht alle so offen, so obsessionell, auch so gescheit wie Vogt.«
Vogts eindrücklicher Text wird flankiert von einem »Vorbeben« von Christoph Geiser und einem »Nachbeben« von Kim de l'Horizon.
Walter Vogt
Walter Vogt (geboren 1927 in Zürich, gestorben 1988 in Muri bei Bern) studierte Medizin und wurde Röntgenarzt, schließlich Psychiater. Nach einer Krankheit begann er 1961 schriftstellerisch zu arbeiten, schrieb Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele, Fernsehspiele und Gedichte. Vogt war Gründungsmitglied und später Präsident der Gruppe Olten. Er erhielt mehrere Literaturpreise, u.a. von Stadt und Kanton Bern.
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Buchvorschau
Zwei Männer in einem Raum - Walter Vogt
Vorwort
Walter Vogt (1927–1988) war eine der wichtigen literarischen Stimmen der Schweiz der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Mit ersten Texten, welche die damaligen »Götter in Weiss« kritisierten und den Arzt als Patienten zeigten, eckte er Mitte der Sechzigerjahre gesellschaftlich an. Als Psychiater experimentierte er mit psychedelischen Substanzen und verschrieb sich selber den Drogenentzug. Diese Erfahrungen verarbeitete er auch literarisch. In späteren Werken rückt seine Bisexualität und die Maskenhaftigkeit geschlechtlicher Zuordnung in den Vordergrund. Walter Vogt schrieb in allen literarischen Genres, von der Prosa über die Lyrik bis zum Fernsehspiel. Zunehmend entfernten sich seine Texte von der Fiktionalität. »Zwei Männer in einem Raum« entstand 1986 und ist einer der letzten Texte Vogts. Der Text ist bisher unpubliziert und findet sich in Vogts sogenannter »Geheimschublade spez.« im Schweizerischen Literaturarchiv.
»Zwei Männer in einem Raum« erzählt die Liebe in Zeiten von AIDS: Die Geschichte eines »Verschonten«, der sich in einen wesentlich jüngeren Infizierten verliebt. In der Unlebbarkeit der Beziehung, in der Bedrohung und Faszination, die von der Krankheit ausgeht, erlebt sich der Erzähler selbstdefiniert als Mann in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern.
»Zwei Männer in einem Raum« erscheint in der neuen Buchreihe »Reihe der Autor:innen«. Sie basiert auf dem Prinzip »Autor:innen entdecken Autor:innen« und wird getragen von Schreibenden, die bestimmte Bücher, die nach 1945 verfasst wurden, auf dem Buchmarkt vermissen. Die Autor:innen wählen die Texte aus, geben sie neu heraus und verfassen die Vorworte und »Begegnungen«, in denen es um die literaturgeschichtliche wie auch um die aktuelle Bedeutung eines Textes oder eines Autors, einer Autorin geht.
Die »Reihe der Autor:innen« des Vereins ALIT –Netzwerk für Literatur präsentiert Vergessene, Verkannte und Frühverstorbene mit ihren maßgeblichen Werken, in Werkzusammenstellungen oder Neuentdeckungen aus dem Nachlass.
Ziel ist es, zu zeigen, wie bedeutende, aber heute weitgehend vergessene Texte zu Debatten beitragen, Themen und Schreibweisen einbringen, die bis heute relevant sind oder vielleicht neu relevant werden können. Daher sind in jedem Band »Begegnungen« von heute schreibenden Autor:innen enthalten, die sich mit dem Text auseinandersetzen, darauf reagieren, ihm widersprechen, ihn ergänzen und sichtbar machen, welche Bedeutung er für uns Heutige haben kann.
Als Einstieg in diesen Band erzählt Christoph Geiser, Zeit- und Weggenosse Vogts, das eigene Outing und den Schock der tödlichen Pandemie, welche auf einen Schlag die Beziehungen zwischen Menschen bestimmte.
Im dritten Teil sucht Kim de l’Horizon ein Verhältnis zu den Fragen, welche Vogts Text aus heutiger Sicht aufwirft. Welche blinden Flecken enthielt Vogts Selbstverständnis? Und wie haben sich die Koordinaten von Identität und Sexualität, welche Vogt zu überwinden suchte, auf dem Weg bis heute verschoben?
»Zwei Männer in einem Raum« ist erhalten als maschinengeschriebenes Manuskript mit handschriftlichen Korrekturen.Es gibt keine Vorfassungen oder Versionen, wenige Hinweise auf die Entstehungsgeschichte finden sich im Text selber. Minimale Eingriffe bei der Herausgabe betreffen die Anpassung an die aktuelle Rechtschreibung, einzelne Kommasetzung, Vereinheitlichung von Schreibweisen und offensichtliche Vertipper.
Guy Krneta
Im Kiez
Ein Vorbeben zu Walter Vogts
»Zwei Männer in einem Raum«
Flucht – aus der Enge einer verlogenen Liebesbeziehung in der vergleichsweise kleinen Stadt Bern, die verbotene Erzählung des Verschwiegenen im Gepäck, mit dem russischen Schlafwagen Bern-Moskau direkt, den’s längst nicht mehr gibt, als einziger Passagier – aber nur bis Berlin. Angst, verschlafen zu haben, beim Erwachen in Birkenwäldern … Birkenwälder? Oder waren’s Fichten? Ich habe mich weggestohlen, aus dem sozialistischen Schlafwagen, fahnenflüchtig, am Schaffner in seinem Drillich vorbei, der neben seinem Samowar schlief, um sieben Uhr früh. Bahnhof Zo-o-logischer Garten. Selbständige politische Einheit Westberlin. Juni 83. Man musste den Hasenörl ausm Bett holen, damit er mich vom Büro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in meinen Kiez chauffierte. Lustiger Kiez, sagte der Hasenörl, doch ich wusste weder was ein Kiez ist noch was lustig daran. Fremd in der Selbständigen politischen Einheit. Die Hauptstadt der DDR war mir vertrauter. Da stand ich nun – in einer kahlen Wohnung, karg bestückt, keine bedrohlichen Möbelstücke, ein zerschossener Spiegel zwischen den beiden Fenstern ohne Gardinen und Vorhänge, Schmauchspuren, als hätte jemand auf sich selber geschossen. Eine Brandmauer gegenüber, aus vielen kleinen Backsteinchen, die von fern verschwammen, hinter dem Spielplatz mit Kinderschaukel jenseits der Eisenacher Straße. Und – rechts davon – in blauer Leuchtschrift Blue Boy. Eine Bar. Bis am Abend wusste ich, wo ich bin, was ein Kiez ist und was lustig daran. Alles schien möglich – für den, der aus der Unmöglichkeit kam. Wenn man mal siebzehn ist, sagen die hier nichts mehr. Die Minibar der Minis, vom Spielplatz weggelaufen, von der Kinderschaukel katapultiert im süßlichen Ruch des Hanfs, das Glimmen der Glut an den Stängeln nachts. Das Bel Ami mit dem Billardtisch für das reizende Vorspiel, oder Tom of Finnlands Keller. Und – überall in den Bars, in dem Keller, das gelbe Plakat mit der schwarzen Schrift: AIDS – was nun? Seuchengebiet!
Ich war Mitte dreißig – bereit zu schier allem, wählerisch noch immer, aber aus einem breiten Angebot. Ohne Vorurteil. Besessen, genommen zu werden – von den Knaben, den Jungs, den jungen Männern, von Wildfremden endlich, womöglich im Finstern. Im Keller. Lebensgefahr! Wir wussten es schon. »Der Spiegel« mit dem ominösen Negativbild der zwei nackten Männer auf dem Titel war eben erschienen. Die unerschrockene junge Immunologin auf mission impossible versuchte, die Ledermänner im Keller zur Enthaltsamkeit zu überreden – denn vom Gummi war die Rede noch nicht, keine Rede vom Gummi. Von ehelicher Treue zu reden, lächerlich hier. Aufhörn! Hieß auch die Botschaft des Doktors vom Robert Koch Institut, verkündet im Audi-Max der FU, vor tausend verschreckten Schwulen. Das Diagramm an der Wandtafel, Kreidestriche, die Ringlein miteinander verbanden, die wieder mit anderen Ringlein verbunden waren – bis zur infinitesimalen Verbreitung … von was eigentlich? Da gab’s noch kein Virus. Ein Gummi?! Der Gummi?! Noch nie einen Gummi gesehen … wir treiben doch keine Familienplanung! Wir zeugen doch nichts! Aber es muss Blut fliessen, sagte der Doktor vom Robert Koch Institut. Eine fatale Verharmlosung. Ein mikroskopisch winziges Risslein in der Halbschleimhaut reicht – man hätte Leben retten können. Kaposi Sarkom. Die schwarzen Flecken auf der Haut, die Farbe von Weinhefe, heisst’s. Doch was ist die Farbe von Weinhefe? Pneumocystis carinii – in New York husteten sie sich schon die
