DAEDALOS 16: Der Story-Reader für Phantastik
Von Michael Siefener (Editor), Ellen Norten (Editor) und Andreas Fieberg (Editor)
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Über dieses E-Book
Der Inhalt:
Friedrich zu Weyterstadt-Hohenthal: Feuersbrunst
Horst-Dieter Radke: Sei folgsam
Julia Mostowa: Das geheime Trimoire
Ellen Norten: Haddock
Alexa Rudolph: Der Himmel bleibt niemals leer
Nikolaus Schwarz: Licht aus, sie kommen!
Alexander Klymchuk: Schmerzgrenze
Björn Helbig: Die Strafe
Andreas Müller: Lichtspielhausträume
Manfred Kyber: Das Gerippe
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Buchvorschau
DAEDALOS 16 - Michael Siefener
daedalos
Der Story-Reader für Phantastik
Nummer 16
Michael Siefener, Ellen Norten & Andreas Fieberg (Hrsg.)
DAEDALOS 16
Der Story-Reader für Phantastik
Daedalos 16
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: März 2025
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Aubrey Beardsley, aus: Vignetten zu »Bon-Mots«, Verlag J. M. Dent, London 1893/94
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
DAEDALOS. Der Story-Reader für Phantastik
im Verlag der p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 445 8
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 700 8
Editorial
Hochverehrtes Publikum,
wir präsentieren Ihnen die Nr. 16 unseres Phantastik-Readers daedalos. Aus den vielen Einsendungen, für die wir uns herzlich bedanken, haben wir diese Auswahl getroffen – typisch für daedalos und typisch für seinen Fokus auf die Literatur des Wundersamen und Unheimlichen.
Peter Schünemann fand im Nachlass seines unerwartet verstorbenen Freundes Friedrich zu Weyterstedt-Hohenthal brisante Details zu dessen Ehefrau Bianca, von deren Doppelleben er nichts ahnte. Wie es ein beunruhigender Zufall will, hängen sie mit einem Magazin für »Dunkle Phantastik« zusammen, das die Nr. 16 trägt …
Horst-Dieter Radke zeigt uns, wie einfach es sein könnte, folgsam zu sein, aber auch zu welchem Preis. Im »Geheimen Grimoire« entführt uns Julia Mostowa zu einem wundersamen Heiler in Jekaterinoslaw/Ukraine des XIX. Jahrhunderts. Ellen Norten stellt uns einen Hund vor, der nicht ganz von dieser Welt ist und das Bad in eisiger See bevorzugt. Alexa Rudolph präsentiert uns die weitreichenden Überreste eines alten Gefängnisses, und bei Nikolas Schwarz zeigt Halloween seine andere, drastische Seite.
Alexander Klymchuk führt uns an die »Schmerzgrenze«, während bei Björn Helbig schon »Die Strafe« wartet. Andreas Müller macht uns bekannt mit einem von Albträumen geplagten Filmvorführer, dem einiges durcheinandergerät.
Alle Geschichten locken uns auf die dunkle Seite der Welt, auf der wir leicht verloren gehen können.
Und auch diesmal haben wir wieder nach einer besonderen Geschichte, die aus einer anderen Zeit stammt, gefahndet. »Das Gerippe« von Manfred Kyber heitert am Ende die sonst düster anmutenden Eindrücke dieser daedalos-Ausgabe auf. Den Autor, dessen Name nicht mehr allzu vielen bekannt sein dürfte, stellt Michael Siefener in einem kurzen Abriss vor.
Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre, einen schaurig-wohligen Grusel und gute Unterhaltung. Außerdem hoffen wir unverzagt auf viele ergötzliche Zusendungen für die nächste Ausgabe.
Die Herausgeber
Michael Siefener, Ellen Norten & Andreas Fieberg
Friedrich zu Weyterstedt-Hohenthal: Feuersbrunst
02_feuersbrunst_1Draußen fällt die Abenddämmerung nieder, löscht die Farben des Herbstes aus, verbirgt bis zum nächsten Morgen die gelben, braunen und roten Blätter der Bäume, die leuchtenden Farben der Astern, das grüne Gitterwerk des kleinen Pavillons, in dem Bianca und ich so oft den Nachmittagstee getrunken haben. Es ist kalt da draußen und kalt auch im Haus, mich fröstelt. Im Kamin verglimmt langsam das Feuer, das ich vor Stunden entzündet habe, ein wenig Glut ist noch vorhanden, ich könnte Holz nachlegen, die Glut schüren … Und dann das verfluchte Heft hineinwerfen: die neueste, 16. Ausgabe von »Irrlicht«, Magazin für Dunkle Phantastik. Sie liegt vor mir auf dem Glastisch, mit dem Deckblatt nach unten, ich mag das verzerrte Antlitz der verdammten Seelen darauf nicht mehr sehen, obwohl TomX, der Stammzeichner des Zines, wie immer sein Bestes gegeben hat. Abwechselnd starre ich darauf und auf meinen Laptop, der mir eine Wikipedia-Seite zeigt, die es nicht geben dürfte – nicht so jedenfalls …
Als ich gestern nach der Arbeit den gefütterten Umschlag mit dem vertrauten Absender aus unserem Briefkasten fischte – ja, da war meine Welt noch in Ordnung. Ich freute mich auf den Abend, wenn Bianca nach Hause kommen würde, meine Frau, die düstere Phantastik ebenso liebt – oder liebte? – wie ich. Wir würden zusammen essen, uns unterhalten, voller Vorfreude schon, dann ein paar Kerzen anzünden, eine Flasche trockenen Rotwein entkorken und zusammen in dem neuen Heft lesen, das seinem Namen wie immer alle Ehre machen würde. Irrlichter führen einen auf gefährlichen Wegen durchs Moor, gewiss, aber manchmal auch zu verborgenen Schätzen – und so stimmte es, denn der in diesen Seiten verborgene Schatz waren die Schilderungen der Gefahren, Schrecken und Abwege, die uns beiden jedes Mal wohlige Schauer über den Rücken jagten und uns noch enger zusammenrücken ließen, als wir ohnehin schon saßen, Wange an Wange. Ausgedachte Gefahren, erfundene Schrecken, gewiss, aber so gekonnt in Szene gesetzt, dass man sich in diesen Welten verirren konnte – um am Ende, die (meist toten oder einem schlimmeren Schicksal ausgelieferten) Protagonisten hinter sich zu lassen und erfreut festzustellen: Wir leben noch, sind noch beisammen, noch in dieser Welt – mag sie sein, wie sie will!
Ich hatte Bianca vor mehr als zwanzig Jahren auf dem MarCon kennengelernt, den Enthusiasten, Liebhaber dieser Art dunkler Literatur, alle vier Jahre in den kleinen Städtchen Marstein ausrichten. Dreimal hatten wir während der ersten beiden Tage des Cons in den gestopft vollen, stickigen Sälen nebeneinandergesessen, und als es zum vierten Mal geschah, fasste ich mir ein Herz und lud sie auf einen Wein ein, was mir selbst fast zu vermessen schien. Denn Bianca war nicht nur hübsch, sie war schön, und sie bewegte sich mit einer Eleganz, die mir auch später, all die Jahre hindurch, immer wieder den Atem nahm. Und dennoch – oder gerade deshalb? – war sie, genau wie ich, inmitten der vielen Con-Besucher allein, gehörte zu keiner Gruppe, trug auch keins der hier so häufigen Fantasiekostüme, die jedem Wave-Gothic-Treffen alle Ehre gemacht hätten. Vielleicht war sie ja etwas wortarm, simpel, unbeholfen, eine langweilige Gesprächspartnerin, hatte ich mich gefragt, obwohl ich mir das nicht vorstellen konnte, dazu sah sie zu hellwach aus und folgte den Lesungen, Gesprächen und Foren zu aufmerksam, wenngleich sie sich dabei nie zu Wort meldete; aber das tat ich auch nicht, ich war es zufrieden, allem und allen zuzuhören.
Bianca nahm meine Einladung an, mit einem dankbaren Blick, und bei dem Gespräch, das folgte, stellte sich schnell heraus: Sie war wortgewandt, klug, in wohltuendem Maße witzig und brannte geradezu für Dunkle Phantastik. Rasch stellten wir Übereinstimmungen fest, was unsere Lieblingsbücher betraf, aber auch Differenzen, über die wir uns austauschten und bisweilen sogar ein wenig ereiferten. Das machte uns beiden viel Freude, und als der Con zu Ende war, fuhr jedes mit des anderen Telefonnummer und Mailadresse im Gepäck heim.
Kein Jahr später waren wir verheiratet und zogen zusammen hierher, nach Hallberg, wo zwei unserer Lieblingsautoren leben und außerdem »Irrlicht« wie auch »Dunkelstern« erscheinen, die beiden besten Magazine für unsere Art von Literatur. Beide waren wir in unseren Berufen erfolgreich, ich als Anwalt, Bianca als IT-Managerin; wir entdeckten dieses alte Haus mit dem Kamin, dem großen Garten und dem Pavillon darin, kauften und sanierten es, wobei wir den größten Raum zur Bibliothek machten, einem Traumreich mit gut gefüllten Regalen, in denen sich manche Kostbarkeit fand; und wenn es etwas geben mochte, das unser Glück trüben konnte, dann die Tatsache, dass wir keine Kinder hatten. Bianca hatte mir an dem Abend, als ich ihr meinen Antrag machte, aufrichtig gesagt, sie könne keine Kinder bekommen, damit müsse ich leben; aber das war mir gleich, ich liebte sie, und über Kinder hatte ich noch nicht einmal nachgedacht.
Aber jetzt … Ich wollte, wir hätten Kinder – nicht nur eins, sondern zwei, drei, vier … Dann wäre der Rest meines Lebens weniger einsam. Vielleicht. Oder doch nicht? Alles scheint möglich. Ich finde mich auf diesen Irrwegen nicht mehr zurecht … Aber egal: Wir hatten keine Kinder und Schluss.
Ich greife nach dem Heft, starre in die verglimmende Glut. Ich muss es nur zwei Armlängen weit werfen. Wenig später: Asche.
Wäre das nicht das richtige Ende für dieses Ding? Doch es ist ja nicht schuld an meinem Elend.
Es gab bei uns eine ungeschriebene Regel: Wer ein neues Heft oder Buch mit dunklen Geschichten aus dem Briefkasten fischt, darf es auspacken, das Cover betrachten, das Inhaltsverzeichnis studieren – aber nicht darin lesen, das muss warten, bis wir zu zweit sind.
Ich habe mich nicht an diese Regel gehalten – dieses eine Mal nicht. Doch wäre das Ergebnis wirklich ein anderes gewesen, hätte ich sie befolgt? Das weiß ich nicht, und das macht mich fast wahnsinnig.
Wie auch immer: Als ich im Inhaltsverzeichnis den Namen Friedrich zu Weyterstedt-Hohenthal« und den Titel »Feuersbrunst« entdeckte – da konnte ich nicht anders, ich
