MIT DEN AUGEN DES ANDEREN: Psychothriller
Von Doris Althoff
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Über dieses E-Book
Um zu entkommen, muss die Gruppe als Team zusammenarbeiten und ein Rätsel lösen, welches sie zwingt, sich mit ihrer eigenen Persönlichkeit und der ihrer Mitgefangenen auf Basis des Enneagramms auseinanderzusetzen. Unter der extremen psychischen Belastung treten schnell individuelle Stärken, aber auch Schwächen und verborgene Geheimnisse ans Licht. Spielt jeder in dem Haus mit offenen Karten? Und was steckt hinter diesem perfiden Plan?
Die Uhr tickt.
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Buchvorschau
MIT DEN AUGEN DES ANDEREN - Doris Althoff
Mit den Augen des anderen
Psychothriller
Doris Althoff
Impressum
Deutsche Erstausgabe
Copyright Gesamtausgabe © 2023 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2023) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-812-6
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Inhaltsverzeichnis
Mit den Augen des anderen
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Epilog
Mitwirkende
Nachwort
Danke …
Die Autorin
Man kennt ja niemals einen Menschen. Man kennt nur
die eigenen oder fremden Vorstellungen von ihm.
August Strindberg (1849-1912)
Neun Menschen eingesperrt in einem
abgelegenen Haus mitten im Wald.
Jeder geht anders damit um, dass es kein
Entkommen gibt. Und im Hintergrund ziehen
zwei Brüder, für die es um alles geht, die Fäden.
Mitwirkende
Mitarbeiter der Kämmerer AG
Magda Bruns
Assistentin der Geschäftsleitung nach BWL Studium, 39 Jahre, 1,80 m, schlank, sportlich, grün-braune Augen, mittellanges, brünettes Haar, tiefe Stimme, spricht betont akzentuiert, sehr gepflegtes Äußeres, trägt meistens Hosenanzüge, flache Schuhe, wenigen, aber wertvollen Schmuck, achtet sehr auf ihre Haltung, hat sich von ihrem Partner getrennt, kinderlos, raucht selten. Roter Golf GTI.
Sabine Lohmann
Sanitäterin, 29 Jahre, 1,62 m, etwas pummelig, sehr weiche, kindliche Züge, stupsnasig, langes, blondes Haar, blaue Augen, redet viel mit schriller Stimme, flache Schuhe, dunkle Jeans, bunter Pullover, Modeschmuck, große Handtasche mit Erste Hilfe Artikeln, Nichtraucherin, verlobt. Kleiner Fiat.
Dirk Koffler
Produktionsleiter nach Ingenieurstudium, 42 Jahre, 1,78 m, etwas untersetzt, aber trainiert, braune Augen, volles, braunes Haar, markantes Gesicht, spricht ruhig, aber bestimmt, trägt teure Anzüge, weißes Hemd, Krawatte, eine Breitling am Handgelenk, verheiratet, 3 Kinder, Raucher. Gelber Porsche.
Kevin Wonder
Marketing Quereinsteiger nach abgebrochenem Kunststudium, 52 Jahre, 1,68 m, graue Augen, weiche Gesichtszüge, schmalbrüstig, feingliedrig, kleiner Bauchansatz, graues, im Nacken langes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar, tiefe Geheimratsecken, redet ausschweifend, theatralisch, Lederjacke, Designerjeans, Cowboystiefel, geschieden, kinderlos, malt in seiner Freizeit erfolglos, Raucher. Ohne Auto.
Karl Mund
Entwicklungsabteilung nach Chemiestudium, 49 Jahre, 1,86 m, schlank, blaue Augen, schütteres, braunes, kurz geschnittenes Haar mit grauen Ansätzen, unauffällige Brille, Anzug von der Stange, dunkelblaues Hemd, keine Accessoires, unverheiratet, kinderlos, spricht kaum, Nichtraucher. Grauer Ford.
Sabine Bauer
Sekretärin, 38 Jahre, 1,65 m, unauffällige Erscheinung, dunkelblaue Augen, mittellanges, braunes Haar mit grauen Strähnen, graues Kostüm, randlose Brille, unverheiratet, kinderlos, Nichtraucher. Blauer Mazda.
Carmen Suarez
Zuständig für Firmenzeitung nach Germanistikstudium, spanischer Herkunft, 45 Jahre, schlank, braune Augen, attraktiver Typ, bunte Kleidung, kurzer Rock, hohe Schuhe, schwarze Locken, lange Ketten, mehrere Ringe, geschieden, eine Tochter, ständig in Bewegung, Nichtraucherin. Rotes, flaches Cabrio,
Markus Steinwehr
Betriebsratsvorsitzender, 55 Jahre, 1,90 m, massiv, fast Glatze, helle Augen, spricht sehr laut, Anzug von der Stange, verwitwet, kinderlos, starker Raucher, viel Alkohol. Jeep.
Ulrich Feinberg
Rechtsabteilung nach Jurastudium, 35 Jahre, 1,75 m braune Augen, kurzes, schwarzes Haar, schlank, Radfahrer, verheiratet, 2 Kinder, spricht ruhig mit schwacher Stimme, Nichtraucher. Dunkelgrauer Audi A8.
Die Brüder Kämmerer
Ludwig Kämmerer
60 Jahre, Vorstandsvorsitzender, Personalvorstand
Hans Kämmerer
58 Jahre, Finanzvorstand
Sonstige
Elisabeth Kämmerer
58 Jahre, Frau von Ludwig Kämmerer
Prolog
Alles war vorbereitet. Das Spiel konnte beginnen. Auf den ersten Blick wirkte das verlassene Anwesen der Familie Kämmerer durchaus malerisch. Ließ man die letzte Kurve des Waldweges hinter sich, sah man zunächst einige jahrhundertealte Linden. Die bereits abgeworfenen, herzförmigen Blätter sammelten sich um ihre mächtigen Stämme. Zwischen den Bäumen hatten sich wild gewachsene Weißdornbüsche zu einer dichten Wand ausgebreitet. Erst auf den zweiten Blick erkannte man dahinter die über zwei Meter hohe Bruchsteinmauer ähnlich einer mittelalterlichen Festung. Auf dem Mauerwerk gespannte Drähte und Stacheldrahtrollen muteten eigenartig bizarr in diesem friedlichen Grün an. Blitze und Totenköpfe auf Schildern wiesen darauf hin, dass die Drähte unter Strom standen, von ihnen eine tödliche Gefahr ausging. Unweigerlich überkam einen das beklemmende Gefühl, sich in einem ostdeutschen Teil des Landes vor der Wende anstatt im Sauerland zu befinden. Näherte man sich dem dichten Buschwerk, erfasste der Blick das vermooste, schmiedeeiserne Tor in der Hecke. Durch die eng gesetzten Stäbe war ein gemauerter Brunnen mit verwittertem Holzdeckel zu erkennen. Dahinter führten die ausgetretenen Stufen einer breiten Steintreppe zu einer Villa. Ihr war anzusehen, dass sie ihrer Funktion als Jagdschloss schon lange nicht mehr nachkam. Geheimnisvoll und verschwiegen hatte das Anwesen wohl Jahrhunderte überdauert. Unter jedem Stein vermutlich ein ungelöstes Rätsel.
Ließ man das Bild eine Zeitlang auf sich wirken, drängte sich eine Frage auf. Diente der Schutzwall nicht eher dazu, den Weg zur Außenwelt abzuriegeln, als unerwünschte Besucher fernzuhalten? Davon, dass noch vor wenigen Tagen Menschen hier gearbeitet hatten, war nichts mehr zu sehen. Alles wirkte völlig unberührt und vergessen. Am Freitag, dem 6. September 2019 fielen die letzten Sonnenstrahlen auf die dunklen Butzenscheiben der alten Villa. In ihnen spiegelten sich Heckenrosen, die sich durch kräftige Efeustränge gekämpft hatten. Kurz darauf verschwand die Sonne so schnell hinter den Bäumen, als würde sie den Anblick des nun Kommenden nicht ertragen wollen.
Kapitel 1
6. September 2019, 19.30 Uhr
Ulrich Feinberg stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Jetzt wusste er, warum in der Einladung der Weg so genau beschrieben war. Sowohl sein Handy als auch sein Navigationssystem hatten auf dem letzten Stück des Weges ihren Dienst versagt. Weder GPS noch die Kommunikationsnetze schafften es in diesen abgelegenen Teil der Welt. Er war der letzte Gast, der seinen Wagen am Rand des schmalen Weges hinter denen seiner Kolleginnen und Kollegen abstellte. Er nickte seinem Beifahrer Kevin Wonder zu und stieg aus seinem dunkelgrauen A8. Als Justiziar des Unternehmens konnte er sich über sein Einkommen nicht beklagen und sparte nicht an materiellen Dingen, auch wenn ihm diese nicht übermäßig viel bedeuteten. Mit seinen 35 Jahren hatte er es bereits zu einer liebevollen Frau, zwei Kindern und einigem gebracht, von dem andere noch mit 50 träumten. Wichtig waren ihm ein angenehmer Umgang mit Kollegen, ein sicherer Arbeitsplatz und Gesundheit. Deshalb war er, wann immer es seine Zeit zuließ, mit dem Rad unterwegs. Nachdem sein Kollege sich im Rückspiegel den grauen Pferdeschwanz gerichtet hatte und dann ebenfalls ausgestiegen war, verriegelte er sein Fahrzeug und sah zu den mächtigen Linden.
»Wie lauschig«, bemerkte Kevin Wonder, der nach einem abgebrochenen Kunststudium als Quereinsteiger in der Marketingabteilung der Kämmerer AG untergekommen und allseits als Theatraliker bekannt war. Er zog eine Packung Zigaretten aus seiner Lederjacke, kramte in den Taschen seiner Designerjeans, für die andere einen Wochenendurlaub machten, nach seinem Feuerzeug.
»Ist ja wie früher im Osten hier«, bemerkte Feinberg und zeigte mit dem Zeigefinger auf den Stacheldraht. Wonder zündete sich eine Zigarette an und blies genussvoll den Qualm zum Himmel.
»Dafür sind die Linden sehr eindrucksvoll.«
»Ich bin gespannt, was uns erwartet. Der Chef hat anscheinend nur ein paar Leute eingeladen. Was uns wohl zur Elite macht?«, fragte Feinberg.
»Hm. Kämmerer scheint Geschmack zu haben. Wem gehören denn die Autos?«
Sie blickten beide auf die sieben, vor ihnen parkenden Fahrzeuge. Der schwarze Chevrolet des Vorstandsvorsitzenden stand direkt vor dem Eingang.
»Also die Beule gehört der Lohmann, und …«
»Welcher Lohmann?«, unterbrach Wonder Feinbergs Aufzählung.
»Ich weiß nicht, wie sie mit Vornamen heißt. Die junge, mollige Sanitäterin mit den langen, blonden Haaren.«
»Ach die«, sagte Wonder und zeigte auf den gelben Porsche. »Der ist unschwer zu erkennen, das ist Kofflers. Produktionsleiter müsste man sein.«
»Also, ich frage mich, was uns hier alle verbindet, wenn ich mir die Autos so ansehe.«
»Den besten Geschmack hat zweifelsohne die Spanierin, die für die Firmenzeitung zuständig ist«, antwortete sein Kollege und bestaunte das rote, flache Cabrio.
»Wie heißt die noch?«
»Carmen Suarez.«
»Stimmt. Den Ford da kenne ich nicht.«
»Ich glaube, der gehört einem aus der Entwicklung. Komm, lass uns gehen.«
Sie gingen Richtung Tor und während Kevin Wonder seinen Blick nochmal zu den Linden schweifen ließ, sagte Ulrich Feinberg: »Der Jeep gehört dem Steinwehr.«
Wonder fiel die Kinnlade runter.
»Markus Steinwehr, dem glatzköpfigen Betriebsratsvorsitzenden? Wer holt sich denn selbst die Ratten ins Haus?«
»Vielleicht plant Kämmerer was und will ihn im Vorfeld sanft stimmen.«
»Hm.«
Sie gingen an den letzten beiden Fahrzeugen, einem roten Golf GTI und einem blauen Mazda, vorbei.
»Der Golf gehört der Bruns, oder?«, fragte Wonder.
»Die mit dem Ordnungstick und den Hosenanzügen, oder?«
»Ja, die geht immer so gerade, als hätte sie einen Stock im Hintern. Aber vielleicht muss man das als Assistentin der Geschäftsleitung. Und der Mazda gehört der grauen Maus.«
»Graue Maus?«, fragte Wonder und seine weichen Gesichtszüge ließen ihn dabei wie ein hilfloses Kind aussehen.
»Sabine Bauer, die Sekretärin mit den grauen Strähnen.«
»Ach die.«
Sie gingen durch das schmiedeeiserne Tor und folgten dem Kiesweg zur dunklen Haustür. Während der Marketingmitarbeiter die Zigarette an der Sohle seines Cowboystiefels ausdrückte und die Kippe in seinem Taschenaschenbecher verschwinden ließ, schellte der Justiziar mit einem unerklärlich seltsamen Gefühl.
Kapitel 2
6. September 2019, 19.40 Uhr
Ludwig Kämmerer öffnete zum letzten Mal an diesem Abend die Haustür und bat seine beiden Gäste herein.
»Dann sind wir ja vollzählig«, sagte er, gab beiden die Hand und zeigte auf die anderen sieben Personen, die sich mit Sektgläsern in den Händen in der Empfangshalle verteilt hatten.
»Nehmen Sie sich doch ein Glas und gesellen sich zu Ihren Kollegen.«
Auf einem an der Seite des Raumes aufgestellten Tisch standen gefüllte Gläser. Außerdem war dort ein Buffet aufgebaut, das keine Gaumenfreuden ausließ. Die beiden nahmen sich jeder ein Glas und traten zu Carmen Suarez, die mit Dirk Koffler in der Mitte des Raumes stand. Zur Begrüßung nickten sie einander zu und blickten dann erwartungsvoll zu Kämmerer, der sich vor die noch geöffnete Haustür gestellt hatte.
»Als Erstes möchte ich Ihnen stellvertretend für die gesamte Belegschaft für das großzügige Geschenk danken, das sie mir alle zu meinem sechzigsten Geburtstag gemacht haben. Dass so viel Geld für das Kinderhospiz zusammenkommen würde, hätte ich nicht gedacht. Gleich zu Beginn der nächsten Woche werde ich den Scheck übergeben. Das wird mir in Ihrem Namen eine große Freude sein. Danke nochmals dafür.«
Den kurzen Applaus wartete er lächelnd ab, bevor er fortfuhr.
»Es wird Sie sicher wundern, warum ich ausgerechnet Sie neun zu dieser Feier eingeladen habe. Aber, glauben Sie mir, das wird nicht das Einzige sein, worüber Sie sich an diesem Wochenende wundern werden.«
Als würde er die Wirkung dieses Satzes auf seine Gäste auskosten wollen, schwieg der Firmeneigner für einen Moment. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und sah jedem Anwesenden kurz in die Augen.
»Ich werde Sie gleich verlassen, da ich auf einer weiteren Feier in meiner Stadtvilla erwartet werde. Deshalb wünsche ich Ihnen jetzt noch interessantes Wochenende. Bis bald.«
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und zog beim Hinausgehen die Haustür hinter sich zu. Draußen eilte er die Stufen hinunter auf seinen schwarzen Chevrolet zu, hinter dessen dunkel getönten Scheiben sein Bruder Hans ihn schon mit laufendem Motor erwartete. Er stieg ein, und mit durchdrehenden Reifen wirbelte der Wagen den Kies auf, als sie durch das schmiedeeiserne Tor, das sich hinter ihnen automatisch schloss, das Anwesen verließen.
***
»Und?«, fragte sein Bruder Hans. »Wie haben sie es aufgenommen?«
»Das schauen wir uns am besten direkt mal an.«
Ludwig Kämmerer beugte sich vor und schaltete einen Bildschirm in der Mitte des Armaturenbretts an.
»Ich wusste gar nicht, dass wir auch im Wagen zuschauen können. Du hast aber auch wirklich nichts ausgelassen.«
Hans Kämmerer lachte kurz auf.
»Alter Perfektionist.«
»Das hat uns auch eine Menge gekostet. Aber, wie sagst Du immer: Man gönnt sich ja sonst nichts.«
Ludwig war seit jeher in geschäftlichen Dingen noch ein wenig engagierter als sein Bruder. Während Hans es eher vorzog, sich mit dem ererbten Vermögen ein angenehmes Leben zu machen, ohne allerdings die Existenz des traditionsreichen Unternehmens zu gefährden, war Ludwig eher der spartanische und disziplinierte Typ. Nicht ohne Grund war Hans Finanzvorstand der Kämmerer AG, mit Geld wusste er umzugehen. Genauso wie er verstand, es auszugeben, verstand er auch, es einzunehmen. Soweit war auch er ein echter Kämmerer. Und denen wurde seit Generationen nachgesagt, dass ihnen letztlich nichts über das Geschäft ginge. Ludwig war nicht nur Vorstandsvorsitzender, sondern auch Personalvorstand, der sich für einen Menschenkenner hielt.
»Dass wir das letzte Mal so gebannt auf einen Bildschirm gestarrt haben, war als Vater uns unseren ersten Computer geschenkt hat. Weißt Du noch? Von Texas Instruments war der, glaube ich.«
»Dass du den Wagen fährst, vergisst du dabei hoffentlich nicht.«
»Alter Spielverderber.«
»Der warst damals du. Ich habe nicht vergessen, wie du das Ding beinahe aus dem Fenster geworfen hast, nur weil ich dich immer bei diesem komischen Videotennis geschlagen habe.«
»Dafür hattest du beim richtigen Tennis nie eine Chance gegen mich.«
Während Hans, wie zur Bestätigung seiner Überlegenheit, das Gaspedal durchdrückte, beobachtete Ludwig das Geschehen auf dem Bildschirm.
Kapitel 3
6. September 2019, 19.45 Uhr
Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, kehrte für einen Augenblick absolute Stille ein. Verwunderte Blicke wurden ausgetauscht. Sabine Bauer strich verlegen den grauen Rock ihres mäßig sitzenden Kostüms glatt und wich einen Schritt zurück. Carmen Suarez lachte auf.
»Ist der wieder witzig heute«, sagte Markus Steinwehr, verdrehte die Augen und trat vor, um die Türklinke herunterzudrücken. Kevin Wonder sah sich in der Eingangshalle um. Sein Blick blieb an einem, ihm geschmacklos erscheinenden Jagdmotiv von Helmut Erxleben hängen. In dem Moment, als alle bemerkten, dass die Tür verschlossen war, wurde es lauter.
»Hat der 'ne Macke?«, fragte Steinwehr entrüstet. Ulrich Feinberg wendete sich an Magda Bruns, die mit enganliegendem Hosenanzug und gerader Körperhaltung trotz flacher Schuhe noch die meisten der Anwesenden überragte.
»Wissen Sie etwas darüber, Frau Bruns?«
»Ich?«, fragte die Assistentin der Geschäftsleitung und tippte sich mit dem Finger auf die Brust. »Nein, glauben Sie mir, ich bin genauso überrascht wie Sie und finde das nur mäßig witzig.«
»Hat jemand eine Erklärung für diesen Mist hier?«, mischte sich Steinwehr wieder ein, der immer noch die Türklinke in der Hand hielt und nun durch die Runde blickte.
Carmen Suarez warf ihre langen schwarzen Locken zurück, machte mit ihren hohen Absätzen zwei geschickte Schritte zum Tablett mit den Sektgläsern und tauschte das leere gegen ein volles Glas.
»Ich denke, Herr Kämmerer sucht interessantes Material für meine nächste Firmenzeitschrift«, sagte sie lachend. Steinwehr verdrehte die Augen, sprach dann die kleine, etwas korpulente Sanitäterin an: »Kannst du dir das hier erklären, Sabine?«
Sabine Lohmann schüttelte ihr langes blondes Haar und antwortete: »Nein, ich habe mich überhaupt gewundert, warum nur so wenige eingeladen wurden und ausgerechnet ich dabei bin.«
Steinwehrs Blick wanderte weiter zu Karl Mund, der sich auf einer Treppenstufe niedergelassen hatte und auf sein Handy tippte.
»Wer sind Sie eigentlich?«
Der schlanke, 1,86 Meter große Mann mit schütteren braunen, kurz geschnittenen Haaren und unauffälliger Brille sagte ruhig: »Ich heiße Karl Mund, arbeite in der Entwicklung und stelle fest, dass man hier keinen Empfang hat. Das war aber zu erwarten, nachdem die Navigationssysteme versagten.«
Unverzüglich holten alle ihr Handy aus der Tasche und suchten vergeblich nach einem Empfang.
»Das kann der doch nicht machen«, platzte es aus Steinwehr heraus, der noch einmal erfolglos mit seiner kräftigen Hand die Klinke nach unten drückte und dann gegen die Haustür trat. Die Sekretärin zuckte zusammen. Steinwehr ging zum Fenster direkt neben der Tür, von dem aus man den Eingang im Blick hatte, und versuchte es zu öffnen.
»Das gibt es doch nicht. Das blöde Ding geht auch nicht auf.«
Er rüttelte an dem Knauf, drehte ihn in jede Richtung, aber nichts tat sich.
»Na, ja. Raus kämen wir hier sowieso nicht. Die Fenster sind, wenn ich das richtig gesehen habe, alle vergittert«, bemerkte Karl Mund.
»Das ist doch Freiheitsberaubung«, mischte sich Magda Bruns ein. »Oder nicht?«, fügte sie mit einem Blick auf den Justiziar hinzu. Alle blickten nun auf Feinberg, der, offensichtlich um Ruhe bemüht, sagte: »Also, ich finde momentan auch noch keine Erklärung für diesen seltsamen Spaß. Sicher kommt Herr Kämmerer gleich zurück und klärt alles auf.«
Carmen Suarez kicherte. Wonder fuhr sich fahrig durch seinen Pferdeschwanz: »Ein Marketinggag sieht anders aus.«
Nun trat Dirk Koffler, groß, braunes Haar, teurer Anzug, weißes Hemd, nach vorne, wobei er seine Krawatte richtete. Jeder kannte ihn und wusste, wie wichtig der Ingenieur als Produktionsleiter für das Unternehmen war. Der immerwährende Erfolg war dem durchtrainierten Mann in sein markantes Gesicht geschrieben. Augenblicklich zog er die Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf sich, als er ruhig, aber bestimmt sagte:
»Ich gehe davon aus, dass Herr Kämmerer sich anlässlich seines runden Geburtstages einen fragwürdigen Spaß gönnt und wir sollten uns der Situation adäquat verhalten. Wahrscheinlich wird irgendwo in diesem Haus ein Telefon stehen, von dem aus er unseren Anruf erwartet.«
Die Sekretärin Sabine Bauer hatte sich gänzlich der Gruppe entzogen, lehnte an einer Wand und nahm eine Tablette aus ihrer Tasche. Sie schluckte sie und nickte zustimmend, während sie Koffler über ihre randlose Brille beobachtete. Magda Bruns betonte jedes ihrer Worte, während sie zwischen beiden hin und her blickte. Ihr Gesicht war ein wenig gerötet.
»Ich gebe Ihnen recht, Herr Koffler, wir sollten mit Verstand an die Sache gehen, um dieses seltsame Spiel zu beenden. Aber ich für meinen Teil werde das nicht auf mir sitzen lassen. Lassen Sie uns die Gruppe aufteilen und im Haus umsehen.«
Karl Mund saß immer noch schweigend auf der Treppe, beobachtete das Geschehen.
»Mein Gott, jetzt machen Sie es nicht schlimmer als es ist. Wir werden die Zeit schon rumkriegen bis Kämmerer kommt. Und für das leibliche Wohl ist ja nun wirklich gesorgt«, sagte Carmen Suarez und nahm sich ein Lachshäppchen vom Silbertablett. Steinwehr schnaubte verächtlich und zog eine Packung Zigaretten aus seiner Jacke. Wonder griff ebenfalls in sein Jackett.
»Bitte«, mischte sich Magda Bruns ein. »Sie können hier nicht einfach rauchen, meine Herren.«
»Ich wüsste nicht, warum nicht, wenn ich nicht nach draußen kann«, entgegnete Steinwehr und entzündete seine Zigarette.
»Wir wissen doch noch nicht mal, ob hier Rauchmelder installiert sind«, bemerkte Sabine Bauer.
»Umso besser«, lachte Steinwehr auf, »dann kommen wir mit der Feuerwehr hier raus. Und Sie haben noch mehr Futter für die Firmenzeitung. Nicht wahr, Frau Suarez?« Er nahm sich nun auch einen weiteren Sekt und kippte ihn in einem Zug hinunter. Suarez quittierte die Bemerkung mit einem Lächeln.
»Rauchen oder nicht rauchen?«, rief Wonder theatralisch in die Runde und wedelte mit seinem Feuerzeug hin und her.
»Nicht jeder verträgt den Rauch«, sagte Sabine Lohmann.
»Aber dafür haben wir doch Sie, verehrte Sanitäterin«, antwortete Wonder und steckte nun auch seine Zigarette an. Feinberg brauchte zwei Anläufe, bevor er sich Gehör verschaffen konnte, da sich ein Stimmengewirr im Raum breitgemacht hatte.
»Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch vernünftig miteinander umgehen. Vielleicht gehen die Raucher in einen separaten Raum«, versuchte er es versöhnlich.
»Und«, riss nun Koffler die Aufmerksamkeit aller wieder an sich, »dann können wir gleich testen, ob alle Fenster verschlossen sind.«
Er ging den Weg durch die Gruppe in den nächsten Raum und versuchte vergeblich, die Fenster zu öffnen. Alle bis auf Karl Mund folgten ihm in die Küche und sahen sich dort um. Koffler schaltete die Abzugshaube über dem Herd ein, zündete sich ebenfalls eine Zigarette an und blies den Rauch in ihre Richtung. »Immerhin eine Notlösung. Wenn wir aufgeraucht haben, durchsuchen wir das Haus.«
Kapitel 4
6. September 2019, 21.25 Uhr
Ludwig Kämmerer hielt zur Begrüßung der Gäste in seiner Stadtvilla nur eine kurze Rede. Er bedankte sich auch bei ihnen für die großzügigen Spenden, die sie in seinem Namen an das Kinderhospiz überwiesen hatten, obwohl er dachte, dass diese, angesichts der Vermögensverhältnisse der anwesenden Geschäftsfreunde und Politiker, durchaus hätten höher ausfallen können. Er wünschte allen einen schönen Abend und zog sich, den missbilligenden Blick seiner Frau ignorierend, in sein Arbeitszimmer zurück. Im Augenblick hatte er Wichtigeres zu tun, als eine oberflächliche Party zu feiern, auch wenn diese anlässlich seines Geburtstages stattfand. Seine Aufregung konnte er kaum unterdrücken, als er sich hinter den wuchtigen Schreibtisch setzte und die beiden Bildschirme einschaltete. Zwar hatte er alle neuen Installationen, die aus dem alten Jagdschloss eine Art Hightech Bunker gemacht hatten, vor wenigen Tagen noch selbst überprüft. Aber ob alle automatischen Verriegelungen jetzt, da es darauf ankam, auch wirklich funktionierten, wollte er einfach direkt überprüfen. Was er sah, stellte ihn aber sofort zufrieden. Offensichtlich hatte niemand das Haus verlassen. Und dafür konnte es nur den Grund geben, dass es ihnen nicht möglich war. Sie standen auch nicht mehr im Foyer zusammen, sondern hatten sich im Haus verteilt, schienen, genau wie er es erwartet hatte, nach einem Ausweg zu suchen. Er fühlte, dass er damit schon zu Beginn des Spiels seinem Bruder gegenüber einen kleinen Vorsprung herausgeholt hatte. Alles würde sich in seinem Sinn entwickeln. Er rief das Menü auf und zappte durch die einzelnen Räume. Alle Kameras funktionierten, die Bilder waren gestochen scharf. Dass die Suarez sich weiterhin am Buffet aufhielt und abscheulichen Prickelwein in sich hinein kippte, hatte er genauso vorausgesehen wie Steinwehrs Erregung. Als sein Bruder Hans das Arbeitszimmer betrat, konnte er sich ein siegessicheres Lächeln nicht verkneifen.
»Und? Wie läuft es?«, fragte Hans, ging um den Schreibtisch herum und stellte sich neben ihn.
»Genau wie es laufen soll, genau wie ich es gesagt habe.«
Hans lachte kurz auf.
»Ist es für eine solche Aussage nicht noch etwas früh? Ich meinte, ob alles funktioniert.«
Wortlos führte Ludwig seinem Bruder die Sicht in die verschiedenen Räume vor. Dieser nickte anerkennend, klopfte ihm auf die Schulter.
»Gut gemacht, altes Haus. Und die Uhr?«
Daran, dass er ihn »altes Haus« nannte, obwohl er nicht einmal zwei Jahre älter war, hatte Ludwig sich gewöhnt, aber an den überheblichen Tonfall, in dem er nur allzu gerne mit ihm sprach, würde er sich nie gewöhnen. Auch deshalb musste er diesmal gewinnen.
»Die werde ich gleich starten.«
Die Tür öffnete sich abermals, diesmal nur einen Spalt breit und seine Frau steckte ihren Kopf durch den Spalt.
»Kommst du jetzt?«, fragte sie unwirsch.
»Nur einen Moment noch. Wir sind hier gleich fertig.«
»Deine Gäste warten.«
»Ich weiß.«
»Dann komm auch!«
»Gleich.«
»Ja, ja«, sagte sie mehr zu sich als zu ihm und schloss die Tür wieder.
Wie oft hatten er und seine Frau schon solche nichtssagenden Worte miteinander gewechselt? Sie würde ihn sicher nie verstehen. Aber wer tat das schon?
Ludwig sah auf die Systemuhr des Rechners, sie zeigte 21:40 Uhr an. Er tippte auf die Anzeige. Ein Fenster öffnete sich, in dem auch die Sekunden der aktuellen Uhrzeit angezeigt wurden. Wenn er die Uhr starten würde, sollte sie auch auf die Sekunde genau die verbleibende Zeit anzeigen. Er rechnete kurz aus, wie lange es von 21:42 Uhr an bis Mitternacht am Sonntag dauern würde. Dann trug er 50 Stunden, 18 Minuten, 0 Sekunden in den Videochat des Überwachungsprogrammes ein, wartete, bis die Systemuhr genau 21:42:00 Uhr anzeigte und drückte genau in diesem Augenblick die Entertaste.
Kapitel 5
6. September 2019, 21.30 Uhr
Innerhalb weniger Minuten verteilten sich alle im Haus. Jeder suchte sich seine Position und versuchte sich auf seine Art und Weise an den Gedanken zu gewöhnen, vorübergehend in diesem Haus eingeschlossen zu sein.
Markus Steinwehr begann in der Küche Schubladen und Schränke zu durchsuchen, hoffte darauf, einen Schlüssel zur Haustür zu finden. Tassen, Teller, Besteck, Vasen, sinnlose Dekorationsartikel. Laut knallte er die Schranktüren wieder zu, zügelte sich bei dem Gedanken, Befriedigung darin zu finden, einen der Tellerstapel fallen zu lassen. Sabine Lohmann blieb mit ihm in der Küche, legte ihre Tasche auf dem Tisch ab und begann in den Unterschränken zu suchen, während sie zu Steinwehr sagte: »Ich helfe Dir hier in der Küche, Markus. Obwohl man nicht so richtig weiß, wonach man sucht, oder? Wenn Kämmerer hier einen Schlüssel liegen haben würde, hätte er uns nicht einzuschließen brauchen.«
»Ich weiß echt nicht, was dieser Idiot vorhat. Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank mit seiner ganzen Kohle. Die sollte er mal besser unter den Mitarbeitern verteilen.«
Er knallte die Schublade mit einem Ruck zu.
»Aber irgendetwas muss man ja tun.«
Koffler hatte sich einen Teller aus dem Schrank genommen und seine Zigarette darin ausgedrückt. Dann hatte er sich in der Runde umgesehen und war wortlos in das angrenzende Nebenzimmer gegangen, das als Esszimmer zu erkennen war. Magda Bruns schritt hinter ihm her. Seine Vorgehensweise war ihr allemal lieber als sich in der Gegenwart der flatterhaften Suarez aufzuhalten, der es offensichtlich daran mangelte, den Ernst der Lage zu erfassen. Sie hatte Probleme mit Menschen, für die alles immer nur Spaß, Spiel und Leichtigkeit bedeutete. Das brachte niemanden weiter.
»Haben Sie einen