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Look at Me: Ein schwarzes Mädchen in einer weißen Welt
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Look at Me: Ein schwarzes Mädchen in einer weißen Welt
eBook265 Seiten2 Stunden

Look at Me: Ein schwarzes Mädchen in einer weißen Welt

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Über dieses E-Book

Why we matter

Von Kindesbeinen an zieht es Ana Milva Gomes auf die Bühne. Mit außergewöhnlichem Talent, viel harter Arbeit und unbändigem Willen erkämpft sich die Tochter kapverdischer Immigranten erfolgreich Musical-Hauptrollen in »Mamma Mia!«, »Sister Act« oder »Cats«. Doch abseits des Scheinwerferlichts stößt die sympathische Künstlerin immer wieder an die Grenzen einer monochromen Gesellschaft. Nach der Geburt ihrer Tochter und dem medienwirksamen Tod des Afroamerikaners George Floyd erkennt sie, dass ihr Auftritt politischer ist als gewollt – und beginnt, ihre eigenen schmerzvollen Erfahrungen mit Diskriminierung zu reflektieren.
Bewegend und ohne jede Anklage erzählt sie von beabsichtigtem und unbeabsichtigtem Rassismus, degradierenden Stereotypen und ihrer Verantwortung als schwarze Frau auf der Bühne – ein leidenschaftlicher Appell an die Gesellschaft für mehr Offenheit und ein bewusstes interkulturelles Miteinander.


Mit zahlreichen Abbildungen in Farbe & Spotify-Playlist mit Soundtrack zum Buch
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum25. Nov. 2021
ISBN9783903217843

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    Buchvorschau

    Look at Me - Ana Milva Gomes

    Restart

    Liebste Izzy,

    unser erstes gemeinsames Weihnachten ist aus vielerlei Gründen besonders. Als du vor wenigen Monaten zur Welt gekommen bist, hast du mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Du wunderbares Wesen, das noch sein ganzes Leben vor sich hat. Dass sich fast zeitgleich mit deiner Geburt auch die Welt da draußen verändern würde, hätte aber niemand erwartet. Und so sitzen wir unter dem rot geschmückten Weihnachtsbaum deiner Großmutter in Den Haag und genießen diese zwangsweise entschleunigte Zeit in kleinstem Kreise. Du und ich, in dem Haus, in dem ich meine Jugend verbracht habe, voller Vorfreude auf die Feiertage und alles, was noch folgen wird. Wäre nicht gerade eine Pandemie im Gange, sähe diese Zeit ganz anders aus. Die ganze Familie wäre zum Essen bei meinen Eltern eingeladen, vor allem auch, um dich zu bestaunen. Meine Onkel, Tanten und Cousinen würden miteinander plaudern und sich gegenseitig nicht zuhören. Wir würden Fotos durch die Runde reichen und uns an alte, vermeintlich bessere Zeiten erinnern. Wir wären mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs, und ich würde dir einen ersten Vorgeschmack auf den Zauber geben, der die Welt mit Ende November ergreift. Ich verspreche dir, früher oder später wirst du diesen Zauber noch kennenlernen. Ich fand Weihnachten als kleines Mädchen immer großartig. Welches Kind denn nicht? Wenn sich erst einmal der Duft einer frisch geschnittenen Tanne in der Wohnung ausbreitet und diese in prachtvoller Dekoration erstrahlt – meine Mutter setzte dabei bevorzugt auf Rot –, kann man sich der Vorfreude kaum erwehren. All die großen Erwartungen, die vor dem Fest in der Luft liegen. Der Gedanke an die Geschenke, die man vielleicht bekommt, weil man sich ein ganzes Jahr lang nicht in irgendwelchen Schabernack verwickeln hat lassen, sondern sich – meistens zumindest – vorbildlich benommen hat. Genaueres muss das Christkind nicht wissen.

    Hier in Wien zumindest ist es das Christkind, das über die potenziellen Geschenke verfügt, in den Niederlanden, wo ich aufgewachsen bin, hatte immer Sinterklaas das letzte Wort. Sein Fest wird am 5. Dezember gefeiert und ist in den Niederlanden fast noch wichtiger als Weihnachten. Die Feierlichkeiten sind eine große Sache, jedenfalls kann ich mich noch gut an die Aufregung erinnern, die alljährlich mit seiner aufsehenerregenden Ankunft verbunden war. Sinterklaas reist nämlich per Dampfschiff in den Niederlanden an. Ein Ereignis, das auch ins Fernsehen übertragen wird und Massen von Eltern mit ihren Kindern in die niederländischen Häfen lockt. Auch meine Eltern nahmen mich, als ich klein war, regelmäßig in den Hafen von Den Haag mit, um Sinterklaas zu begrüßen. Wir drängten uns in die vorderste Reihe, und ich winkte wie Hunderte andere Kinder, die auf den Schultern ihrer Eltern saßen oder sich auf Zehenspitzen in die Höhe reckten, dem ankommenden Weihnachtsboten euphorisch zu.

    Besuch von Sinterklaas und seinen Pieten im Kindergarten. Eine Tradition, die sich tief in meine Erinnerung eingebrannt hat.

    Doch wenn ich an diese Momente zurückdenke, wird meine kindliche Vorfreude von einem merkwürdigen, befremdlichen Gefühl überdeckt. Und erst rückblickend kann ich dessen Ursprung wirklich benennen. Denn Sinterklaas macht seine Arbeit keineswegs alleine, sondern hat eine ganze Crew von Helfern an Bord seines Schiffs: seine Knechte, bei uns bekannt als die Zwarten Piets. Jedes Kind fürchtet sich ein bisschen vor ihnen, weil sie Sinterklaas nicht nur beim Tragen seiner Gaben unterstützen, sondern auch die Aufgabe haben, die weniger braven Kinder zu bestrafen. Die Pieten sind oft altmodisch, aber farbenfroh gekleidet, tragen lustige, auffällige Schuhe, und manche von ihnen haben einen Hut auf, den eine Feder ziert. Früher hatten sie oft auch eine Rute dabei. Da ich zumeist ein braves Mädchen war, hätte ich eigentlich keinen Grund gehabt, mich vor ihnen zu fürchten. Trotzdem kamen sie mir grotesk und unheimlich vor. Denn die Zwarten Pieten waren nicht wirklich schwarz, sondern verkleidete weiße Menschen mit schwarzer Farbe im Gesicht. Auf ihren Köpfen trugen sie Afroperücken, ihre Ohren waren mit großen goldenen Kreolen behangen, und ihre Lippen waren intensiv rot geschminkt. Sie sprachen in unterschiedlichen Dialekten und verkörperten immer bestimmte Rollen. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ein Ober-Piet den Aufmarsch der Knechte orchestrierte, während ein Clown-Piet Grimassen zog und ein kleiner Piet Luftballons an die jubelnde Menge verteilte. Die Pieten benahmen sich meist laut und auffällig, tanzten und hüpften durch die Gegend. Irgendwie wirkten sie immer ein bisschen dumm.

    In den Schulen wurden die Pieten-Paraden dann fortgesetzt. Gemeinsam mit Sinterklaas waren sie auch in meiner Schule regelmäßig zu Besuch. Alle Kinder fanden es super, wenn die weihnachtlichen Boten den Unterricht störten, um Süßigkeiten in die Klasse zu werfen und Stimmung zu machen. Wenn Sinterklaas eintrat, um den Kindern die Weihnachtsgeschichte vorzulesen, beruhigten sich die Pieten und nahmen inmitten der Kinder Platz. Zumeist war es so, dass mich ein Zwarter Piet auf den Schoß nehmen wollte, was erneut zu Aufregung führte, da ich das einzige schwarze Mädchen in meiner Klasse war. »Ah, du bist ja ein süßer Zwarter Piet«, sagte mein Lehrer einmal schmunzelnd und schoss ein Foto für das Klassenalbum. Der Piet, der mich auf dem Schoß hatte, wollte mir zeigen, wie ähnlich unsere Haare waren. Dass ich das etwas anders sah und seine billige Perücke nicht mit meinen echten Haaren verglichen haben wollte, interessierte ihn wenig. Diesem »vorbildlichen« Verhalten folgend, war es wohl nur logisch, dass mich meine Klassenkameraden nach dem Unterricht ebenfalls Zwarter Piet riefen. Und auch Jahre später, als ich schon ein Teenager war, wurden meine beste Freundin und ich von einer Lehrerin gefragt, ob wir als Zwarte Pieten für einen Auftritt einspringen wollten, immerhin müssten wir uns dafür ja nicht mal schminken. Wir lehnten ab.

    Als einziges schwarzes Mädchen in meiner Klasse musste ich immer für ein gemeinsames Foto mit einem der Pieten herhalten.

    Das Sinterklaas-Fest steht ob seiner rassistischen Tendenzen schon lange in der Kritik. Doch es gibt genügend Menschen, die sich der nüchternen Argumentation verweigern und auf den vermeintlichen Traditionswert pochen oder es als harmloses »Kinderfest« relativieren wollen. Aber wie kann etwas harmlos sein, das mir schon als Kind Unwohlsein bereitete? Ohne die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen, erleben zu müssen, wie Stereotype perpetuiert werden? Mit Blackfacing und klischeehaften Kostümierungen, die an die Sklaverei erinnern und jedem schwarzen Menschen vor Augen führen, dass er den Weißen untergeordnet war und ist. Wenn ich sehe, wie gleichgültig Stereotype reproduziert werden und dass es trotz zahlreicher Beschwerden kaum gesellschaftliche Einsicht gibt, wundert mich die blutige und dunkle Kolonialisierungsgeschichte retrospektiv gesehen nur wenig.

    »Ja, aber du hast doch auch mitgefeiert«, heißt es dann manchmal, wenn ich Bedenken äußere. Natürlich habe ich mitgefeiert. Ich war ein Kind. Was hätte ich schon dagegen tun können? Und es ist ja auch vieles großartig an dem Fest. Die Geschichten, die Geschenke, die Energie. Aber bei all der überbordenden Feiertagsfreude sollte man sich eben auch bewusst sein, dass es nicht in Ordnung ist, mich oder sonst jemanden als kolonialistische Karikatur zu inszenieren. Es hat mich auch irritiert, wenn ein Zwarter Piet den Akzent einer Freundin meiner Mutter, die aus Surinam kommt, imitierte. Häufig nahmen die Darsteller bei ihren Auftritten die unterschiedlichen Dialekte ehemaliger niederländischer Kolonien an. Viele Migrantinnen und Migranten, die oft aus ärmeren Milieus stammen, sprechen die Sprache ihrer neuen Heimat nicht akzentfrei, sondern mischen Eigenheiten ihrer Muttersprachen in ihren Sprachgebrauch. Nur selten wird dies als etwas Positives wahrgenommen – außer es handelt sich um eine Sprache, die als elegant gilt, Englisch oder Französisch vielleicht. Doch wen wundert es, wenn den Immigranten neben ihrem mühseligen Bestreben, für sich und ihre Familie eine Existenz aufzubauen, die Zeit fehlt, ihre Sprache zu perfektionieren? Diese Menschen wissen genau, dass sie nicht wirklich dazugehören, dass sie anders sind. Der Zwarte Piet muss sie in seinen clownesken Darbietungen nicht auch noch daran erinnern.

    Da sich die Rassismusvorwürfe gegenüber den Sinterklaas-Traditionen seit Jahren halten, wurde irgendwann versucht, dem Fest ein neues Narrativ zu geben. So hieß es von denen, die die Traditionen hochhalten, dass die Pieten deshalb so schwarz seien, weil sie, um die Kinder besuchen zu können, den Weg durch den Kamin nehmen müssten. Was eine billige Erklärung für den »Ruß« in ihrem Gesicht sein mag, aber nicht die lockigen Haare und schon gar nicht die vollen roten Lippen erklärt. Als ich bei einer solchen Geschichte einmal nachhakte, meinte mein Gegenüber tatsächlich, dass Letzteres durch die Enge der Schornsteine bedingt sei. Die Lippen seien einfach zu groß, um durch den Kamin zu kommen, ohne dabei aufgerieben zu werden. Come on!

    Ich habe keine Scheu vor der Diskussion, aber es belastet mich jedes Mal aufs Neue, den Menschen die Augen öffnen zu müssen. Die meisten haben nicht einmal Lust darauf, sich andere Meinungen anzuhören und ihre eigenen Überzeugungen zu reflektieren. Sie wollen dir lieber ihre eigene Weltanschauung aufdrücken – friss oder stirb. Und wenn es einem nicht passe, möge man am besten doch dorthin verschwinden, wo man hergekommen sei. In solchen Momenten ist es zum Verzweifeln. Meine Eltern stammen von den Kapverden, aber ich bin in den Niederlanden geboren und dort aufgewachsen. Wohin sollte ich also gehen? Ich war hier ja zu Hause. Aber offenbar nicht vollends willkommen. Oder nur so lange toleriert, bis ich begann, problematische und verletzende Gepflogenheiten kritisch zu hinterfragen.

    Traditionen sind wichtig. Aber genauso wichtig ist es, diese im Spiegel der Gesellschaft und des herrschenden Zeitgeistes immer wieder zu hinterfragen. Und auch bereit zu sein, sich die Einwände von Menschen anzuhören, die durch etablierte Muster und verkrustete Strukturen verletzt, benachteiligt und zuweilen auch getötet werden. Was mit befremdlichen Festtagstraditionen und Alltagsrassismen beginnt, führte und führt in den schlimmsten und gar nicht so seltenen Fällen überall auf dieser Welt zum Tod zahlreicher Menschen. So auch zu jenem des 46-jährigen George Floyd, der vor laufender Kamera um Luft und sein Überleben flehte. Vergeblich. Unerträglich. Dass seine Tötung es war, die das Fass zumindest für kurze Zeit zum Überlaufen brachte, mag vielleicht ein Zufall sein, denn wie viele Menschen sind bereits gestorben, ohne dass sie dabei gefilmt wurden. Aber dieses medial so überaus präsente Ereignis zeigte nur umso stärker auf, in welcher Welt wir leben. Dass diese Bilder einen großen gesellschaftlichen Einfluss hatten, ist nicht zu bestreiten. Weltweit gingen Abertausende Menschen trotz Pandemie und Lockdown auf die Straßen, um gemeinsam ein Zeichen gegen systemischen Rassismus und Polizeigewalt zu setzen. Wie nachhaltig die Empörung sein wird und ob tiefergehende Veränderungen passieren werden, steht aber in den Sternen. Immerhin kämpfen wir schon jahrhundertelang gegen diese Probleme an. Mich wird es jedenfalls nicht mehr so bald loslassen. 2020 markiert für mich einen Neubeginn. Seit ich die Bilder von George Floyds Todeskampf gesehen habe, ist mir einmal mehr bewusst geworden, dass ich Rassismus – und möge er noch so »scherzhaft« gemeint sein – nicht mehr tolerieren kann.

    Seit du bei mir bist, Izzy, sehe ich mich, meine Kindheit, mein Heranwachsen und meine Erfahrungen, die mir oft gezeigt haben, dass die Welt, in der ich lebe, für andere gemacht zu sein scheint, anders. Ich habe für mich zwar einen guten Platz darin gefunden, aber dieser war nie selbstverständlich, sondern hart erkämpft. Genauso wie deine Großeltern sich ihren Platz in den Niederlanden erkämpft haben, nachdem sie auf den Kapverden keine Zukunft mehr für sich sahen. Merke dir, Izzy, es macht definitiv einen Unterschied, wo man auf dieser Welt geboren wird. Und zu meinem größten Glück bist du hier bei mir gelandet. Ich wünsche mir, dass du verstehst, wer ich bin, wer deine Familie ist und warum wir heute so sind, wie wir sind. Ich will, dass du stolz auf deine Identität bist und sie nicht hinterfragst, wie ich es im Laufe der Jahre immer wieder getan habe. Du sollst niemals mit Vorurteilen oder verletzenden Stereotypen konfrontiert sein, auch wenn es dir wahrscheinlich nicht erspart bleiben wird. Aber vielleicht wird deine Tochter oder dein Sohn es bereits etwas leichter haben. Doch das geht nur, wenn ich dir vorlebe, wie die Welt aussehen soll, die ich mir wünsche. Und dazu gehört es, offen darüber zu sprechen, was war, was ist und was sein soll.

    »Es klopft an der Tür, einmal hart, dann sanft. Es klopft an der Tür. Wer kann das sein? Mach dir keine Sorgen, mein Kind. Ich bin ein guter Freund. Und auch wenn ich schwarz wie Ruß bin, so meine ich es doch gut.« So ähnlich lässt sich das Sinterklaas-Lied übersetzen, das ich als kleines Mädchen gesungen habe und dessen Text mich unterbewusst irritiert hat. Warum sollte sich Piet für seine Hautfarbe rechtfertigen müssen? Warum muss er erklären, dass er es »eh gut« meine? Warum ist er nicht gut, so wie er ist? Auch als erwachsene und erfolgreiche Frau auf der Musicalbühne habe ich oft das Gefühl, mehr leisten zu müssen, als ich es bereits tue. Mir keine Fehler erlauben zu dürfen. Ja nicht das Falsche zu sagen. Bloß die Quotenschwarze zu sein. Das sind Gedanken, die ich ständig mit mir herumtrage. Doch dann sehe ich dich an und weiß, dass ich mich nicht mehr einschränken oder zurückhalten darf. Ich bin, wie ich bin, und das ist mehr als okay so. Und als deine Mutter will ich, dass du nicht über solche Dinge nachdenken musst, sondern selbstbewusst durch die Welt schreitest. Dass du nicht ausgeschlossen oder in deinen Möglichkeiten eingeschränkt wirst, sondern ganz selbstverständlich deinen Weg gehen kannst. So wie es jedem Menschen freistehen sollte. Deshalb möchte ich dir aus meinem Leben erzählen, unsere Familiengeschichte und den Erfahrungsschatz, den ich mir als Frau zwischen all diesen Welten erworben habe, mit dir teilen. Ich möchte mit dieser Geschichte neue Traditionen schaffen, die dich in einer souveränen, aber inklusiven Weltanschauung bestärken. Auf diesem Weg nehmen wir jeden mit, der sich uns anschließen will. Die Pieten, Izzy, die lassen wir aber zurück.

    02

    »SODADE«

    CESARIA EVORA

    Morna

    Seit ich mich erinnern kann, hat es bei uns zu Hause immer Musik gespielt. Und ich weiß noch, dass ich es schrecklich fand. Nicht die Musik an sich, denn Tanzen und Singen hat mir schon von klein auf Freude bereitet. Aber die Platten, die meine Eltern so gerne aufgelegt haben, waren meiner jugendlichen Ansicht nach viel zu schwermütig für das Ambiente unserer vorstädtischen Den Haager Wohnung. Jedes Mal, wenn ich als junges Mädchen die Stimme Cesaria Evoras aus dem Wohnzimmer vernahm, verzog ich mich lieber. Was die Musik anlangt, gelten die Kapverden als Heimat der musikalischen Schwermut, die dort in vielerlei unterschiedlichen Genres und Stilen interpretiert wird. Nicht umsonst hat der Inselstaat auch den Beinamen »Inseln der Musik«. Die Kapverden sind der Ort, an dem meine Eltern geboren, aber nicht alt geworden sind. Auf Platten gepresst, nahm mein Vater bei seiner Ausreise Anfang 1970 diese Schwermut, die »Sodade«, bei seinem Aufbruch in die weite Welt mit. Um die Heimat, egal, wo er gerade war, immer nah bei sich zu haben und um damit Jahre später – zu meinem Missfallen – unsere Wohnung vollzutönen. Wenn er an den Wochenenden diese melancholischen Melodien auflegte, bewegte sich meine Mutter zum Rhythmus der Musik durch die Wohnung. »Sodade« ist die kapverdische Abwandlung des portugiesischen Begriffs

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