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Der Tag wird immer verlegen in der kleinen Mietswohnung, in welcher so schwere, unverständliche Möbel stehen. Aber die Dämmerung begreift alles. Sie weiß, daß das Vergangenheit ist, was da in Stühlen und Schränken und Bildern sich erhält, und daß die engen Stuben, drei Treppen hoch, schuldlos sind an dieser fremden Vergangenheit, wie Menschen, deren Gesicht von irgend einem Vorfahr den Namen eines Gefühls geerbt hat, das sie mit ihren eigenen schwächeren Herzen gar nicht zu tragen vermöchten.
Die beiden Fenster führen den roten Abend herein, der über die Dächer kommt und leise zu den wartenden Dingen tritt, welche ihn schweigend empfangen. Am freudigsten nimmt ihn die schmale, mit Säulen geschmückte Kommode auf, die wie ein kleiner Altar ist: mit all dem Silber und Glas auf ihr lächelt sie ihm zu.
Rainer Maria Rilke
Rainer Maria Rilke (1975-1926) was born in Prague and traveled throughout Europe, returning frequently to Paris, where he wrote his finest works: the two volumes of New Poems and the great modernist novel The Notebooks of Malte Laurids Brigge. He lived the last years of his life in Switzerland, where he completed his two poetic masterworks, the Duino Elegies and Sonnets to Orpheus. Joel Agee has translated Elias Canetti, Friedrich Dürenmatt, and Gottfried Benn. He won the Helen and Kurt Wolff Translator's Prize for his work on Heinrich von Kleist's verse play Penthesilea. He is the author of Twelve Years: An American Boyhood in East Germany.
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Buchvorschau
Die Letzten - Rainer Maria Rilke
Die Letzten
Die Letzten
Anmerkungen
Impressum
Die Letzten
Der Tag wird immer verlegen in der kleinen Mietswohnung, in welcher so schwere, unverständliche Möbel stehen. Aber die Dämmerung begreift alles. Sie weiß, daß das Vergangenheit ist, was da in Stühlen und Schränken und Bildern sich erhält, und daß die engen Stuben, drei Treppen hoch, schuldlos sind an dieser fremden Vergangenheit, wie Menschen, deren Gesicht von irgend einem Vorfahr den Namen eines Gefühls geerbt hat, das sie mit ihren eigenen schwächeren Herzen gar nicht zu tragen vermöchten.
Die beiden Fenster führen den roten Abend herein, der über die Dächer kommt und leise zu den wartenden Dingen tritt, welche ihn schweigend empfangen. Am freudigsten nimmt ihn die schmale, mit Säulen geschmückte Kommode auf, die wie ein kleiner Altar ist: mit all dem Silber und Glas auf ihr lächelt sie ihm zu.
Marie Holzer steht gerade vor dieser Kommode. Sie hält von den kleinen Miniaturen, welche da neben den massiven Armleuchtern aufgestellt sind, eine nach der anderen in den Abend und betrachtet jede aufmerksam. Dabei ist ihr junges, helles Gesicht ernst und nachdenklich. Für eine Weile wendet sie es einer Dame in Schwarz zu, die, nah bei ihr, auf dem Fensterplatze sitzt und vor sich hinsieht, ohne daß ihre großen Augen etwas halten. Und so kann Marie Holzer sie ruhig anschauen, als wäre auch das ein Bild: dieses Gesicht, dem man kein Alter zu geben wagt, obwohl es nicht jung ist, diesen feinen Mund, der, von wehen Erinnerungen bewegt, ein unsichtbares Leiden überwindet, und dieses Haar, von dem man zu wissen glaubt, daß es schwer ist. Und vor allem die Vornehmheit dieser zarten, stillen Gestalt, die geduldige Ruhe dieser schwarzen Schultern, auf denen das schlichte Nutzkleid wie eine Würde liegt.
Jetzt erhebt die schlanke Uhr, die fast verheimlicht zwischen den Fenstern steht, ihre zitternde Stimme und sagt feierlich sechs Schläge, von denen sie jeden anders betont; Marie Holzer läßt sie ganz ausreden und wartet auch noch das Geräusch ab, mit welchem die geteilte Stille sich hinter dem letzten Schlage wieder schließt. Dann sagt sie: »Merkwürdig.« Und nimmt wieder ein Bild von der Kommode und wiederholt: »Merkwürdig.« Da erschrickt die Frau am Fenster: »Sie haben etwas gesagt, Marie?« Das Mädchen stellt zuerst die Miniatur wieder an die alte Stelle, ehe es antwortet. »Gesagt? – Eigentlich nicht. Es ist nur so seltsam.« Die Dame sieht flüchtig über den Abendhimmel hin und fragt leise: »Was denn, Kind?«
»Daß man hier bei Ihnen
