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Hochwasser-Handbuch: Auswirkungen und Schutz
Hochwasser-Handbuch: Auswirkungen und Schutz
Hochwasser-Handbuch: Auswirkungen und Schutz
eBook1.486 Seiten9 Stunden

Hochwasser-Handbuch: Auswirkungen und Schutz

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Über dieses E-Book

Hochwasser verursacht jedes Jahr Sachschäden in Milliardenhöhe. Das Handbuch bietet die notwendigen Informationen, wenn es darum geht, die richtigen Maßnahmen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes zu finden. Lösungsansätze und Berechnungsbeispiele liefert ein Autorenteam aus hochkarätigen Wissenschaftlern und Praktikern. In der Neuauflage finden die strategischen und technischen Entwicklungen der letzten 10 Jahre Berücksichtigung, die Darstellung der gesetzlichen Grundlagen wurde aktualisiert (u. a. EU-Hochwasserschutzrichtlinie).
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Vieweg
Erscheinungsdatum24. März 2020
ISBN9783658267438
Hochwasser-Handbuch: Auswirkungen und Schutz

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    Buchvorschau

    Hochwasser-Handbuch - Heinz Patt

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    H. Patt, R. Jüpner (Hrsg.)Hochwasser-Handbuchhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-26743-8_1

    1. Einführung in die Thematik

    Heinz Patt¹   und Robert Jüpner²  

    (1)

    Sachverständigenbüro für Wasserbau und Wasserwirtschaft, Professor Patt & Partner, Bonn, Deutschland

    (2)

    Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft, Technische Universität Kaiserslautern, Kaiserslautern, Deutschland

    Heinz Patt (Korrespondenzautor)

    Email: heinz.patt@t-online.de

    Robert Jüpner

    Email: robert.juepner@bauing.uni-kl.de

    1.1 Mit dem Hochwasser leben

    1.2 Verbesserung des Wasserrückhalts

    1.3 Überregionales Denken und Handeln

    1.4 Arten von Hochwasser

    1.5 Hochwasservorhersage, Vorwarnzeiten

    1.5.1 Hochwasservorhersage

    1.5.2 Vorwarnzeiten

    1.6 Gewässergröße, wirtschaftliche Bedeutung

    Das vorliegende Handbuch enthält Hinweise und Informationen zur Entstehung und zu den Auswirkungen von Hochwasser und zum Schutz vor Hochwasserschäden. Die einzelnen Kapitel behandeln Themengebiete, die in vielen Fällen bei der praktischen Planung des Hochwasserschutzes von Bedeutung sind. Das schließt nicht aus, dass einiges nur kurz behandelt werden konnte und daher vielleicht im Einzelfall nicht zur Lösung spezieller Fragen beitragen kann.

    1.1 Mit dem Hochwasser leben

    „Es hat viel geregnet und die Menschen siedeln zu nah am Fluss. Dieses Zitat aus der Zeitschrift „Die Zeit vom 1. August 1997 ist zwar zwei Jahrzehnte alt und mag banal klingen, trifft jedoch die zwei wesentlichen Gesichtspunkte der Hochwasserproblematik.

    Anteil des Niederschlags an Hochwasserereignissen. Hochwasser sind Bestandteile des natürlichen Wasserkreislaufs und daher nicht zu vermeiden. Zu Beginn eines Niederschlagsereignisses wird das Wasser auf Pflanzen und auf der Bodenoberfläche zurückgehalten. Mit weiter andauerndem Niederschlag versickert ein Teil des Wassers und fließt so dem Grundwasserleiter zu. Gleichzeitig erhöht sich der Oberflächenabfluss. Beides führt in den Fließgewässern zu steigenden Wasserständen (Hochwasser). Regnet es viel und sind die natürlichen Rückhaltemöglichkeiten auf Pflanzen und das Wasseraufnahmevermögen des Bodens erschöpft, wird der größte Teil des Niederschlages unmittelbar oberflächig abgeführt. Extreme Hochwasser – im Sprachgebrauch auch „Jahrhunderthochwasser" genannt – entstehen durch das Zusammentreffen besonders ungünstiger, den Oberflächenabfluss fördernde Konstellationen, wie z. B. starke Regenfälle auf einen gesättigten Bodenspeicher (Kap. 3).

    Die meisten naturbelassenen Fließgewässert ufern mit steigenden Abflüssen aus. Dadurch vergrößern sich die Abflussquerschnitte und die Fließgeschwindigkeiten nehmen ab. Die damit verbundene Abflussverzögerung führt zu einem zeitweisen Rückhalt von Wasser, sodass die Wasserstände in den nachfolgenden Gewässerabschnitten geringer sind. Sind die überschwemmten Bereiche frei von Nutzungen, entstehen keine oder nur geringe Hochwasserschäden, da keine nennenswerten Schadenspotenziale vorhanden sind.

    Der Mensch beeinflusst den natürlichen Wasserkreislauf und damit das Abflussgeschehen in vielerlei Hinsicht. Zu nennen sind u. a. die anthropogenen Einflüsse auf das Klima, die Nutzung der Gewässer, der gewässernahen Bereiche und des Einzugsgebiets sowie die Umgestaltung der Fließgewässer zur Optimierung der Nutzungen. Durch die Einwirkungen des Menschen verändern sich wesentliche Parameter des Wasserhaushalts, wie z. B. Niederschlagsintensität und Niederschlagsverteilung, Versickerung und Wasserrückhalt und der Oberflächenabfluss. Dies führt dazu, dass sich wichtige wasserwirtschaftliche Planungsgrößen diesen veränderten Gegebenheiten anpassen. Betroffen sind u. a. der gesamte Wertebereich des Abflusses, seine Extremwerte und deren Auftretenswahrscheinlichkeiten. Damit verschieben sich in der Folge auch die Planungsgrundlagen und die darauf aufbauenden Risikoabschätzungen.

    Gewässernahe Nutzungen. Aus vielerlei Gründen sind die Nutzungen und Ansiedlungen in der Vergangenheit an die Fließgewässer herangerückt. Dabei kam es häufig zu Einschränkungen hinsichtlich der gewässertypischen Entwicklungsmöglichkeiten. Dazu gehören insbesondere die Veränderungen an der Laufentwicklung (Linienführung, Längs- und Querprofile, Gewässerbettausbau), der Ausbau von Fließgewässern zu Wasserstraßen und der Bau von Wasserkraftanlagen (u. a. Wehre, Zu- und Ableitungen, Turbinen).

    Durch den Gewässerausbau wird die Leistungsfähigkeit der Querschnitte erhöht, sodass kleinere Hochwasser, die in der Vergangenheit zu Hochwasserschäden geführt haben, nun schadensfrei abgeführt werden können. Das Ausbleiben der Schäden führte wiederum zu einer Ausdehnung und Intensivierung der Nutzungen, die durch immer aufwendigere Hochwasserschutzmaßnahmen geschützt werden müssen.

    Trotz aller Ausbau- und Schutzmaßnahmen ist deren Wirkung begrenzt. Mit steigenden Hochwasserabflüssen wächst das Risiko von Hochwasserschäden. Diese sind dann jedoch ungleich höher, da – im Vertrauen auf die vermeintliche Hochwassersicherheit – zwischenzeitlich wesentliche höhere Sachwerte in den überschwemmungsgefährdeten Bereichen konzentriert worden sind.

    Aber auch bei kleineren Hochwasserereignissen zeigen sich negative Auswirkungen des Gewässerausbaus. Durch Laufverkürzungen und Vergleichmäßigung der Gerinnebegrenzungen (z. B. Ufermauern, Sohlenpflasterungen) steigen die Fließgeschwindigkeiten und damit das Feststofftransportvermögen der Strömung. Das kann in den betroffenen Bereichen zu Eintiefungen der Gewässersohle und zu Standsicherheitsproblemen der Uferberandungen führen. Die erodierten Materialien werden abtransportiert, an anderen Stellen abgelagert und bewirken eine Aufhöhung der Gewässersohle. Die damit verbundene Verringerung des Sohlengefälles und die Verringerung des Fließquerschnitts führen zu einer Reduzierung der Abflussleistung der Gerinnestrecke.

    Große Schwierigkeiten tauchen auch beim Betrieb der Abwasserkanäle auf, wenn diese durch eindringendes Flusswasser geflutet werden. Dies kann nicht nur zu Wasseraustritten an ungesicherten Schächten führen, sondern beeinträchtigt auch den Betrieb der Kanalnetze und der angeschlossenen Kläranlagen. Zudem kann bei hohen Wasserständen das geklärte Abwasser oft nicht mehr mit natürlichem Gefälle dem Vorfluter zugeleitet werden. Dann werden Speicherbecken bzw. Stauräume erforderlich, um das anfallende Wasser kurzfristig zwischenzuspeichern, oder Hochwasserpumpwerke (Schöpfwerke), um das Abwasser in höherliegende Kanalbereiche bzw. in den Vorfluter zu fördern.

    Da sich in Folge der hohen Wasserstände im Fließgewässer auch höhere Grundwasserstände einstellen, kann es auch weiter entfernt vom Fließgewässer, hinter der Hochwasserschutzlinie, zu Wasseraustritten, Überflutungen und kritischen hydraulischen Belastungen kommen. Für den Hochwasserschutz ist dabei von besonderer Bedeutung, dass die Grundwasserspiegelhöhen meist sehr viel langsamer ansteigen als die Wasserspiegel im Fließgewässer, aber auch mit einer deutlichen Verzögerung wieder fallen. Bei der Planung muss besonderes Augenmerk auf ehemalige Gewässerverläufe gelegt werden, da derartige Bereiche besonders gefährdet sind. Dies hängt u. a. mit den dort vorkommenden guten Grundwasserleitern und der Höhenlage alter Gewässerstrecken zusammen.

    Bei der Überschwemmung genutzter Bereiche sind alle dort befindlichen Bauwerke unmittelbar dem Wasser ausgesetzt. Feuchtigkeit und Nässe breiten sich schnell aus. Die Kenntnis der Auswirkungen von Wasser auf die verschiedenen Baumaterialien führt zu Vorschlägen, welche Baustoffe für das Bauen in hochwassergefährdeten Bereichen geeignet sind (Kap. 6) und welche konstruktiven Ausgestaltungen beachtet werden müssen, um die Bausubstanz dort auf Dauer vor Schäden zu schützen (Kap. 7).

    Umgang mit dem Hochwasserrisiko . Die obigen Ausführungen zu den Folgen der Nutzung der gewässernahen Bereiche zeigen deutlich, welche Vielfalt an Problemen sich der Mensch in Verbindung mit der Nutzung der natürlichen Überschwemmungsgebiete der Fließgewässer aufgeladen hat. Da viele Sünden der Vergangenheit nicht mehr korrigiert werden können, muss heute versucht werden, mit den zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten ein Optimum an Schutz zu erhalten. Bei der Planung sind nicht nur technische und naturwissenschaftliche Fragen zu klären, sondern auch gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Auswirkungen zu berücksichtigen. Dabei spielt die Einbindung der hochwasserbetroffenen Gewässeranlieger in den Entscheidungsprozess eine ausschlaggebende Rolle.

    Die zahlreichen gewässernahen Nutzungen und Ansprüche an die Gewässer erschweren oft die Planung bzw. machen den Hochwasserschutz so teuer, dass schnell Grenzen erreicht werden. Unter Berücksichtigung aller Vorbedingungen wird ein Ausbauwasserstand festgelegt, an dem sich die Planungen orientieren. An dieser Festlegung werden im Schadensfall oft alle getätigten Maßnahmen gemessen. Der Hochwasserschutz war gut geplant, wenn es keine oder nur geringe Hochwasserschäden gegeben hat; er war schlecht, wenn die Schäden groß sind.

    Der Wunsch der Betroffenen nach mehr Sicherheit resultiert meist in der Forderung nach einer Verbesserung der Schutzanlagen. Es ist jedoch falsch, Hochwasserschutz ausschließlich über bauliche Anlagen zu betreiben, weil – realistisch gesehen – niemals ein absoluter Schutz erreicht werden kann. Die verbesserten Schutzanlagen täuschen vielmehr eine vermeintliche Sicherheit vor und reduzieren so das Risikobewusstsein der Gewässeranlieger.

    Richtig ist es, den Hochwasserschutz als Umgang mit hohen Wasserständen (Hochwasser) und deren Auswirkungen zu verstehen. Das schließt keinesfalls aus, dass technische Anlagen gebaut, saniert oder erhöht werden. Es gehört aber ebenfalls dazu, dass das Risiko einer Überschwemmung wachgehalten wird und auf diese Weise das Risikobewusstsein der hochwasserbetroffenen Gewässeranlieger erhalten bleibt.

    1.2 Verbesserung des Wasserrückhalts

    Von ausschlaggebender Bedeutung für den Hochwasserschutz sind die Wasserstände. Die Reduzierung der Wasserstände, seien es auch nur wenige Zentimeter, sollte daher immer ein Ziel von hoher Priorität sein. Dazu eignen sich in besonderer Weise die Maßnahmen des Wasserrückhalts in der Fläche. Dies sind in erster Linie:

    Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederanbindung der natürlichen Überschwemmungsgebiete an die Fließgewässer (Rückverlegung von Deichen, Schutz der Überschwemmungsgebiete vor weiterer Bebauung)

    Erschließung der natürlichen Speicherkapazität der Böden (Entsiegelung von Flächen, Förderung der natürlichen Versickerung von Niederschlägen)

    technische Rückhaltemaßnahmen im großen Ausmaß (z. B. Talsperren, Hochwasserrückhaltebecken, Hochwasserpolder)

    In besiedelten und intensiv genutzten Bereichen sind derartige Maßnahmen jedoch oft nicht realisierbar, da sie mit einem großen Flächenbedarf verbunden sind. In anthropogen geprägten (urbanen) Bereichen können u. a. folgende siedlungswasserwirtschaftliche Maßnahmen zur Verbesserung des Wasserrückhalts beitragen:

    Freihalten der natürlichen Überschwemmungsgebiete von weiterer Bebauung

    Aussiedlung von Nutzungen

    Entsiegelung von Flächen

    Regenwasserversickerung

    Schaffung von Speichermöglichkeiten in der Kanalisation (Regenwasserrückhaltebecken, Stauraumkanäle u. a.)

    In ihrer Gesamtheit tragen alle genannten Maßnahmen zu einer Reduzierung der Wasserstände bei und erhöhen damit die Hochwassersicherheit.

    1.3 Überregionales Denken und Handeln

    Hochwasser entstehen meist weit entfernt von den gefährdeten Bereichen. Hochwasserschäden sind nur dann wirksam zu reduzieren, wenn auch die Entstehung der Hochwasser im Einzugsgebiet einbezogen wird. Um die Wasserstände in einem zu schützenden, intensiv genutzten Fließabschnitt zu senken, ist es zum Beispiel erforderlich, dass in den oberstrom liegenden Gewässerstrecken Rückhalteräume geplant werden. Da dies auf den Flächen der flussaufwärts liegenden Gewässeranlieger geschieht, ist vorab ein gemeinsames, auch über Landes- und Staatsgrenzen hinausreichendes, koordiniertes Handeln erforderlich.

    Andere überregionale Kooperationen im Hochwasserschutz können zum Beispiel die folgenden Bereiche umfassen:

    Aufbau einer wirksamen Hochwasservorhersage

    Ausbau der Hochwasserwarnung

    Austausch von Informationen und Daten

    gemeinsame Schulung der Einsatzkräfte

    regelmäßiger Erfahrungsaustausch

    Bereitstellung von Personal und Ausrüstung

    abgestimmte Steuerung von Talsperren, Hochwasserrückhaltebecken, Poldern u. a.

    gemeinsame Finanzierung von Maßnahmen

    Unterstützung bei der Umsetzung von Maßnahmen auf politischer Ebene

    Gelder für den Hochwasserschutz einer Stadt, die für Maßnahmen oberstrom verwendet werden, können daher eine durchaus sinnvolle Geldanlage sein.

    1.4 Arten von Hochwasser

    Hinsichtlich der Hochwasserarten wird zwischen

    Sturzfluten,

    Überschwemmung aus Starkniederschlägen,

    Sturmfluten und

    Flussüberschwemmungen

    unterschieden.

    In kleinen Einzugsgebieten führen lokale Starkregenereignissen zu Sturzfluten. Die Hochwasserwelle bildet sich bei steilen Einzugsgebieten sehr plötzlich, ist äußerst energiereich und reißt auf dem Weg ins Tal Bäume, Sträucher, große Felsbrocken und ggf. auch ganze Talflanken mit sich. In ebenen Gelände können Starkregenereignisse zu Überflutungen führen.

    Sturmfluten treten an den Küsten der Meere und großen Seen auf. Sie entstehen dadurch, dass orkanartiger Wind das Wasser gegen die Küste drängt, wodurch es zu einem unter Umständen beträchtlichen Anstieg des Wasserstands kommen kann.

    Die Hinweise in diesem Buch orientieren sich vornehmlich an den Flussüberschwemmungen. Diese entstehen i. d. R.

    nach lang andauernden, ausgiebigen Niederschlägen auf ein großes Einzugsgebiet in Verbindung mit einer

    reduzierten Versickerungsrate durch Wassersättigung oder gefrorenen Boden.

    Flussüberschwemmung en treten i. d. R. nicht überraschend auf. Wie schnell die Wasserstände steigen, hängt von der Einzugsgebietsgröße und der Einzugsgebietscharakteristik (z. B. Form des Einzugsgebiets, Gefälleverhältnisse, Bodenaufbau, Nutzungen) ab.

    Die Ausdehnung der Überschwemmungen wird von den Abflüssen sowie von der Form und Ausdehnung der Flusstäler bzw. Auen bestimmt. Da in engen Tälern die überschwemmten Flächen überwiegend auf die gewässernahen Bereiche beschränkt sind, fallen die auftretenden Wassertiefen und Fließgeschwindigkeiten entsprechend groß aus. Breite Flusstäler haben dagegen im Mittel kleine Wassertiefen mit entsprechend niedrigen Fließgeschwindigkeiten. Derartige Aspekte beeinflussen zum Beispiel die Feststofftransportvorgänge, d. h. Erosions- und Sedimentationserscheinungen. Weiterhin können solche Vorbedingungen bei der Auswahl des mathematischen Modells zur Wasserspiegellagenberechnung von Bedeutung sein. Die Wassertiefen in engen Flusstälern können oft genügend genau durch ein eindimensionales Modell erfasst werden, während ausgedehnte Überschwemmungsflächen eine zweidimensionale Berechnung erforderlich machen (s. Kap. 4).

    Der Planer muss sich darüber im Klaren sein, welche Entstehungsgeschichte den Hochwasserereignissen zugrunde liegt, vor denen er schützen will. Dies beeinflusst in besonderem Maße die Auswahl und konstruktive Ausgestaltung der Schutzanlagen, aber auch die Festlegungen bzgl. der Beanspruchung der Anlagen.

    1.5 Hochwasservorhersage, Vorwarnzeiten

    Ein wichtiger Unterschied zwischen den in Abschn. 1.4 beschriebenen Hochwasserarten sind die erreichbaren Vorwarnzeiten bzw. die daraus resultierenden Reaktionszeiten für die Hochwasserschutzmaßnahmen. Diese sind u. a.

    für die Gestaltung der Hochwasservorhersage,

    bei der Auswahl einer geeigneten Strategie für die Warnung der bedrohten Bevölkerung (Hochwasserwarnung),

    bei der Auswahl und Gestaltung der Hochwasserschutzmaßnahmen (Bauvorsorge, Organisations- und Verhaltensvorsorge),

    für die rechtzeitige Durchführung der Maßnahmen im Hochwasserfall,

    von Bedeutung.

    1.5.1 Hochwasservorhersage

    Beim Aufbau und Betrieb der Hochwasservorhersage sind Ansätze zu suchen, die unter realistischen und ökonomischen Bedingungen eine rechtzeitige und genügend genaue Vorhersage von Hochwasserereignissen ermöglichen. Ist die Zeit bis zum Erreichen des kritischen Abflusses zu kurz, ist eine rechtzeitige und gleichzeitig verlässliche Hochwasservorhersage nicht zu erreichen.

    Eine auf der Hochwasservorhersage aufbauende, organisierte Hochwasserwarnung mit umfangreichen Schutzmaßnahmen ist nur sinnvoll, wenn Vorwarnzeiten von >12 h erreicht werden können. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine sinnvollen Ausnahmen gibt und dass bei erkannten Gefahrensituationen nicht alles getan werden muss, um die Bevölkerung zu schützen.

    Je länger die erreichbare Vorwarnzeit ist, desto effektiver kann die Hochwasservorhersage dazu beitragen, die Hochwasserwarnung und darauf aufbauende Entscheidungsprozesse zu verbessern. Mit steigender Einzugsgebietsgröße steigen zudem die Schadenspotenziale rasch an, sodass sich auch die Mehrkosten für die Verbesserung der Hochwasservorhersage schnell rechnen.

    1.5.2 Vorwarnzeiten

    Wird ein kleines Einzugsgebiet von wenigen Hektar Größe von einem Niederschlagsereignis betroffen, können innerhalb kurzer Zeit extreme Oberflächenabflüsse entstehen. Diese sind zwar meist räumlich begrenzt, aber aufgrund ihrer hohen Intensität und Energie besonders gefährlich (Sturzfluten). Vorwarnzeiten sind i. d. R. nicht vorhanden oder zu kurz, um Schutzmaßnahmen rechtzeitig durchführen zu können (z. B. Installation mobiler oder beweglicher Hochwasserschutzwände, Aufbau von Sandsackdeichen oder Sandsack-Ersatzsystemen).

    Bei kurzen Vorwarnzeiten beschränken sich die Hochwasserschutzmaßnahmen daher i. d. R. auf den Bau ortsfester Anlagen. Die Organisations- und Verhaltensvorsorge muss den kurzen Vorwarnzeiten Rechnung tragen.

    Bei Einzugsgebietsgrößen zwischen 1 und etwa 10 km² liegt die Zeit bis zum Auftreten der Hochwasserabflüsse zwischen mehreren Minuten und wenigen Stunden. Hier hat mitunter die Flächenversiegelung einen beträchtlichen Einfluss auf die Abflussbildung. Dadurch können sich die Vorwarnzeiten verkürzen. In innerstädtischen Bereichen können lokal Beeinflussungen durch Entlastungen von Hochwasser- oder Regenrückhaltebecken auftreten, wenn diese plötzlich in ein kleines Fließgewässer entlasten und dort den Abfluss innerhalb kurzer Zeit zusätzlich erhöhen.

    Bei Einzugsgebieten >10 km² gewinnen die abflussverzögernde Wirkung des Gewässernetzes sowie der Abfluss über Land immer mehr an Einfluss. Diese Verzögerung des Abflusses nimmt jedoch mit wachsender Einzugsgebietsgröße wieder ab. Bei Einzugsgebieten von einigen 1000 km² wird der Abfluss nahezu ausschließlich durch die Eigenschaften des Gewässernetzes bestimmt. In einem solchen Fall können lange Vorwarnzeiten erreicht werden.

    1.6 Gewässergröße, wirtschaftliche Bedeutung

    Die Kosten für Hochwasserschutzmaßnahmen steigen mit der Größe des Gewässers (übliche Bezeichnungen: Ströme, große Flüsse, kleine Flüsse, Bäche, Gräben) und der damit verbundenen wirtschaftlichen Bedeutung. In der Vergangenheit hat sich deshalb insbesondere in der Nähe von Strömen (z. B. dem Rhein) und großen Flüssen (z. B. Mosel, Main, Donau) ein ständig wachsendes Schadenspotenzial etabliert, das im Falle einer Überschwemmung aktiviert wird.

    Vorteilhaft ist bei den bedeutenden Fließgewässern, dass sich der Mensch schon früh mit deren hydrologischen und hydraulischen Eigenheiten vertraut gemacht hat. Dadurch ist die Datenlage bei großen Flüssen oft wesentlich umfassender als bei kleineren Gewässern. Datenreihen über mehr als 80 Jahre sind deshalb keine Seltenheit. Daraus ergibt sich für den Planer eine größere Planungssicherheit.

    Der Hochwasserschutz an großen Flüssen und Strömen ist schon allein aufgrund der Dimensionen (Abmessungen des Gewässerbetts, Abfluss) sehr kostspielig. Die an derartigen Fließgewässern liegenden städtischen Bereiche erschweren die Realisierung zusätzlich. Aus Gründen der Finanzierung zieht sich die Realisierung eines Hochwasserschutzkonzepts meist über viele Jahre hin, womit natürlich die Reihenfolge der Maßnahmen große Bedeutung erlangt (Prioritätenliste).

    An kleineren Gewässer handelt es sich dagegen meist um die Entschärfung einzelner Problemstellen, die sich bei abgelaufenen Ereignissen als besonders kritisch erwiesen haben (z. B. ein zu kleiner Brückenquerschnitt). Vollzieht sich das Hochwasserereignis sturzflutartig, ist oft sogar Gefahr im Verzuge, sodass die Maßnahmen keinen Aufschub dulden.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    H. Patt, R. Jüpner (Hrsg.)Hochwasser-Handbuchhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-26743-8_2

    2. Vom Hochwasserschutz zum Hochwasserrisikomanagement

    Uwe Müller¹   und Robert Jüpner²  

    (1)

    Abteilung Wasser, Boden, Wertstoffe, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dresden, Deutschland

    (2)

    Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft, Technische Universität Kaiserslautern, Kaiserslautern, Deutschland

    Uwe Müller

    Email: Uwe.Mueller@smul.sachsen.de

    Robert Jüpner (Korrespondenzautor)

    Email: robert.juepner@bauing.uni-kl.de

    2.1 Rückblick

    2.2 Derzeitige Situation

    2.3 Hochwasserrisikomanagement

    2.3.1 Allgemeines

    2.3.2 Risiko

    2.3.3 Hochwasserrisikomanagement

    2.3.4 Beteiligte im Hochwasserrisikomanagement

    2.3.5 Handlungsbereiche nach LAWA

    2.4 Ausblick

    Literatur

    2.1 Rückblick

    Im Laufe der Geschichte hat sich der Umgang mit dem Hochwasser und seinen negativen Auswirkungen gewandelt. Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein wurden Hochwasserereignisse und die damit verbundenen katastrophalen Folgen als „Wasser = und Zuchtruthen" sowie als Mahnung für eine Umkehr vom sündigen zum gottgefälligen Lebenswandel verstanden (siehe u. a. Crell 1694).

    Viele Menschen erkannten im Ablaufen großer Hochwasser den unmittelbaren Willen Gottes, da nur er allein in der Lage ist, über den Regen und somit über das fließende Wasser zu herrschen (Deutsch 2007; Rohr 2007). Die Erinnerung an herausragende Wasserstände hielt man in Form von Hochwassermarken fest. Bis heute sind solche Marken als sichtbare Zeichen für die allgegenwärtige Gefährdung öffentlich zugänglich (siehe u. a. Deutsch und Pörtge 2009). Sie finden sich beispielsweise an Rathäusern, Brücken und Kirchen (Abb. 2.1).

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    Abb. 2.1

    Historische Hochwassermarke in der Kirche von Ribe O, Dänemark (Foto: R. Jüpner)

    Der Schutz vor dem Hochwasser wurde in ältester historischer Zeit vor allem durch eine gezielte Siedlungsplatzwahl realisiert. Das heißt, die Besiedlung und landwirtschaftliche Erschließung erfolgte vorzugsweise zunächst nur auf Flächen, die relativ selten oder überhaupt nicht von Überschwemmungen betroffen wurden.

    Der technische Hochwasserschutz zielte später vorrangig auf den lokalen Schutz ab. Bauwerke wie Ringdeiche oder Warften dienten der Sicherung von Gebäuden, Gehöften oder kleineren Feldfluren (Schmidt 2000). Dokumentiert sind auch Arbeiten an den Gewässern, wozu beispielsweise Uferverbaumaßnahmen gehörten (vgl. Konold 2005).

    Die Situation änderte sich grundlegend erst im Laufe des 18. Jahrhunderts mit der systematischen Entwicklung der sogenannten Wasser- und Ingenieurbaukunst und der Veröffentlichung und Verbreitung wasserbaulichen Wissens. Großen Einfluss hatten im deutschsprachigen Raum Albert Brahms (1692–1758), Johann Esaias Silberschlag (1721–1791) und Johann Albert Eytelwein (1764–1848). Sie verfassten wichtige Lehrbücher, in denen verschiedenste Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes an den Küsten und im Binnenland erläutert wurden (Brahms 1755; Silberschlag 1766, 1772/73; Eytelwein 1800). Darüber hinaus finden sich in diesen frühen Wasserbau-Lehrbüchern grundlegende Beschreibungen hydraulischer Vorgänge (siehe u. a. Schmidt 2000; Deutsch 2007; Patt et al. 2020).

    Auch die Entwicklung von Messverfahren und Messinstrumenten zur Bestimmung von Wasserständen und Abflüssen ist in diesem Zusammenhang bedeutsam. Mit der systematischen Erhebung hydrologischer Messwerte konnten seit Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals wichtige Datenreihen als Grundlage für nachfolgende große (und zusammenhängende) Hochwasserschutzprojekte gewonnen werden. Bedeutende Baumaßnahmen begannen Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie sind beispielsweise am Rhein mit den Leistungen des Ingenieurs Johann Gottfried Tulla (1770–1828) verbunden (Tulla 1812).

    Der Hochwasserschutz stand auch in der Folgezeit im Mittelpunkt des wasserbaulichen Interesses und wurde parallel zur Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung vorangetrieben. Dabei lag der eindeutige Schwerpunkt auf dem technischen Hochwasserschutz (siehe u. a. Schmidt 2000; Deutsch 2007; Patt et al. 2020).

    Bis weit in die jüngste Vergangenheit hinein sah die überwiegende Expertenmeinung die „Vervollkommnung der technischen Anlagen als wesentliches Ziel an. Dabei wurden „Schutzversprechen bis zu vorgegebenen Bemessungshochwasserständen abgegeben (ausgedrückt durch ein Hochwasserereignis bestimmter Jährlichkeit, z. B. HQ100/HW100), bis zu deren Erreichen die Bauwerke „sicher" sein sollten.

    So definiert beispielhaft die DIN 4047-2 in der Ausgabe November 1988 den Hochwasserschutz als …

    „Gesamtheit der Maßnahmen des Gewässerausbaus, durch Gewässerregelung und Bedeichung, der Hochwasserrückhaltung und/oder der baulichen Veränderungen an den zu schützenden Bauwerken und Anlagen, die dazu dienen, das Überschwemmungsgebiet zu verkleinern, den Hochwasserstand zu senken und/oder den Hochwasserabfluss zu ermäßigen".

    Zwar wurde betont, dass ein Überschreiten der vorgegebenen Bemessungswerte und auch ein Versagen der Hochwasserschutzanlagen grundsätzlich möglich ist (u. a. Schröder und Römisch 2001; Patt et al. 2020), praktische Konsequenzen wurden aber nur in Ausnahmefällen gezogen. Diese Situation wurde häufig als nicht in der Verantwortung des Ingenieurs liegend dem Katastrophenschutz zugeteilt.

    Als weiteres charakteristisches Merkmal dieser auf technische Machbarkeit ausgerichteten Hochwasserschutzstrategie fällt die Konzentration auf das „schadlose Abführen" des Hochwassers, meist ohne Berücksichtigung der Konsequenzen für die Unterlieger, auf. Wesentliche Nachteile hatte auch die Konzentration der Abflüsse in einem ausgebauten Gewässerbett, während die gewässerbegleitenden Uferbereiche und Auen einer Nutzung zugeführt wurden und damit für die Ableitung hoher Abflüsse und die Wasserretention verloren gingen (Patt 2016).

    Damit ließen sich zwar im Laufe der Zeit deutliche Verbesserungen des Hochwasserschutzes für einzelne Städte und Regionen erreichen, jedoch wurden durch die großen Hochwasser vor allem in den 1990er-Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Grenzen des technischen Hochwasserschutzes und die resultierenden (gesamtgesellschaftlichen) Schäden auf dramatische Weise sichtbar (vgl. Tab. 2.1). Diese „schlechten Erfahrungen sind wesentlich für den Paradigmenwechsel „vom Sicherheitsdenken zur Risikokultur verantwortlich (DKKV 2003).

    Tab. 2.1

    Vergleichende Aspekte bisheriger Hochwasserschutzstrategien

    In vieler Hinsicht nachteilig ist heute insbesondere, dass ein „Sicherheitsversprechen abgegeben wurde, das zu einer teilweise sorglosen Anhäufung von Werten in den „deichgeschützten Gebieten führte. Für den Rhein wurden die „möglichen Sachschäden bei Extremereignissen" im sogenannten Rhein-Atlas flächenhaft dargestellt und auf ca. 165 Mrd. € geschätzt (IKSR 2001).

    2.2 Derzeitige Situation

    Mitteleuropa wurde in den zwei Dekaden zwischen 1993 und 2013 von einer Reihe großer Hochwasserereignisse getroffen, die zum Teil verheerende Auswirkungen hatten, so u. a. im Einzugsgebiet des Rheins 1993 und 1995, an der Oder 1997, an der Donau 2013 sowie an der Elbe 2002, 2006 und 2013.

    Die aufgetretenen Schäden resultierten dabei sowohl aus der Betroffenheit von Nutzungen in Überschwemmungsgebieten, die nicht durch technische Hochwasserschutzmaßnahmen geschützt wurden, aber zu einem beträchtlichen Teil auch aus versagenden technischen Anlagen (u. a. Deichbrüchen) sowie der Überlastung von Hochwasserschutzbauwerken durch Überschreitung der Bemessungswerte (vgl. u. a. LfUG 2004; LfULG 2015).

    Die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) formulierte 1995 die „Leitlinien für einen zukunftsweisenden Hochwasserschutz" (LAWA 1995). Darin wird erstmalig die Gleichberechtigung des technischen Hochwasserschutzes, des natürlichen Wasserrückhaltes und der Hochwasservorsorge postuliert.

    Nach dem August-Hochwasser 2002 an Elbe und Donau wurden daraus die „Instrumente und Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der Leitlinien für einen zukunftsweisenden Hochwasserschutz" abgeleitet, die die Notwendigkeit des vorsorgenden Hochwasserschutzes nachdrücklich betonen (LAWA 2004).

    Es wurde zudem offensichtlich, dass innerhalb Europas ein effektiver Hochwasserschutz nur durch eine abgestimmte und intensive grenzüberschreitende Zusammenarbeit innerhalb der Flussgebietseinheiten zu wirksamen Schadensminderungen führt.

    Im Ergebnis eines umfangreichen und langwierigen Abstimmungsprozesses wurde im Jahre 2007 die „Richtlinie über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken", die Europäische Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (EG 2007), verabschiedet. Damit ist für die Europäische Union ein gesetzlicher Rahmen geschaffen worden, der den Umgang mit der Hochwassergefahr hoffentlich vereinheitlichen wird.

    2.3 Hochwasserrisikomanagement

    2.3.1 Allgemeines

    In diesem Kapitel soll das Hochwasserrisikomanagement (HWRM) in seiner Komplexität vorgestellt und erläutert werden. Etwa 40 % (2017: 47 %) der jährlichen Naturkatastrophen sind auf meteorologische oder hydrologische Ereignisse mit Überschwemmungen zurückzuführen. Sie verursachen Todesopfer und Schäden in Millionenhöhe (Munic Re 2017, 2018). Das Risiko durch Naturgefahren steigt mit den Bedürfniszuwächsen der Gesellschaft; insbesondere wird das Schadenspotenzial erhöht (vgl. Kap. 10 und 11).

    Der Umgang mit diesen Risiken gestaltet sich jedoch sehr unterschiedlich. In den Entwicklungsländern beschränkt man sich in der Regel auf den Wiederaufbau nach Katastrophen. In den Industrieländern geht man oft weiter und betrachtet die Abflussverhältnisse im betroffenen Einzugsgebiet umfassend, d. h. neben technischen Schutzmaßnahmen werden u. a. auch Rückhaltemaßnahmen in der Fläche in der Planung berücksichtigt. Im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot spielt dabei der naturnahe Wasserbau, d. h. die naturraumtypische Unterhaltung und Gestaltung von Fließgewässern eine besondere Rolle (Patt et al. 2018).

    Für Mitteleuropa lässt sich feststellen, dass oft ein hoher Stand an technischen Schutzmaßnahmen erreicht ist. Risikobasierte Schutzplanungen gab es bis auf erste Ansätze in der Schweiz, Österreich und Deutschland jedoch bis Anfang der 2000er-Jahre praktisch keine (PLANAT 2004).

    Die Hochwasserereignisse in jüngster Zeit haben einen Umdenkprozess in Bezug auf die Risikokultur bewirkt. Diese beinhaltet neben der Realisierung von Vorbeugemaßnahmen mit einem angemessenen Aufwand auch die Bereitschaft, bei extremen Ereignissen Schäden hinzunehmen und die offene Kommunikation im Hinblick auf die bestehenden Risiken zu pflegen (Müller 2010, 2011).

    In vielen Lebenssituationen gilt es, Risiken zu erkennen, abzuschätzen und durch geeignete Handlungen und Strategien zu vermindern. Vermeiden lassen sich die Risiken nicht. Um Risikoverminderungsstrategien entwickeln zu können, sind umfassende Kenntnisse über die risikoverursachenden Prozesse erforderlich.

    Die Europäische Union hat mit der Richtlinie zur Bewertung und zum Management von Hochwasserrisiken im Jahre 2007 die Grundlage für ein integriertes Hochwasserrisikomanagement auf europäischer Ebene geschaffen (EU 2007).

    Im Zuge der Umsetzung der Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (EG-HWRM-RL) werden die Hochwasserrisiken flussgebietsweise bewertet, bei Betroffenheit Hochwassergefahrenkarten und Hochwasserrisikokarten erstellt sowie Hochwasserrisikomanagementpläne erarbeitet, mit deren Umsetzung das Hochwasserrisiko vermindert werden soll (LAWA 2010; Müller 2011; Bottermann et al. 2011).

    2.3.2 Risiko

    Das Hochwasserrisiko ist in der EG-HWRM-RL als Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit eines Hochwasserereignisses und der hochwasserbedingten potenziellen nachteiligen Folgen (Hochwasserschäden) auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe und die wirtschaftlichen Tätigkeiten definiert; wobei die Vulnerabilität (Verletzbarkeit) der Schutzgüter in den Betrachtungen der EG-HWRM-RL etwas zu kurz kommt.

    In Abb. 2.2 ist das Hochwasserrisiko als Interaktion von Gefährdung und Vulnerabilität nach Grünewald (2003) dargestellt. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird diese weitergehende Risikodefinition verwendet, weil damit auch die Exposition, das Schadenspotenzial und die Vulnerabilität der Schutzgüter mit berücksichtigt werden.

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    Abb. 2.2

    Risiko als Resultat der Interaktion von Gefährdung und Vulnerabilität (nach Grünewald 2003)

    Die Gefährdungsseite ist durch die gefahrauslösenden Prozesse mit ihren Intensitäten und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit gekennzeichnet. Hier hat der Mensch kaum Einflussmöglichkeiten.

    Im Bereich der Naturrisiken, zu denen das Hochwasserrisiko zählt, beschreibt die Vulnerabilität die Verletzbarkeit und die möglichen Schäden im Ereignisfall. Damit bezieht sich die Vulnerabilität vorrangig auf den Menschen und seine Errungenschaften (Mensch-Natur-Verhältnis), und nicht auf die Störung von Naturzusammenhängen (Schluchter 2002).

    Die Vulnerabilität wird durch die Exposition und die Anfälligkeit der Risikoelemente beschrieben. Als Exposition bezeichnet man das „Ausgesetztsein" der Risikoelemente gegenüber den gefährlichen Prozessen. Die Anfälligkeit der Risikoelemente beschreibt die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Gefahren. Beides zusammen beeinflusst dann den möglichen Schaden in Abhängigkeit vom Ereignis (Birkmann und Wisner 2006).

    Auf der Vulnerabilitätsseite hat der Mensch die größten Einflussmöglichkeiten, um mögliche Schäden zu verhindern oder zu begrenzen, was allerdings ein entsprechendes Wissen voraussetzt (Müller 2010).

    Das Hochwasserrisiko wird von mehreren komplex miteinander verbundenen Ebenen beeinflusst. In Anlehnung an den FloodRisk-Synthesebericht der Republik Österreich aus dem Jahre 2004 sollen die wichtigsten Ebenen benannt werden:

    Prozessebene

    Maßnahmenebene

    Schadensebene

    rechtliche Ebene

    politische Ebene

    gesellschaftliche Ebene

    Die einzelnen Ebenen stehen untereinander in unterschiedlich starken Wechselbeziehungen und beeinflussen sich damit gegenseitig. So können sich zum Beispiel nicht nachhaltig ausgeführte Hochwasserschutzmaßnahmen (Maßnahmenebene) nachteilig auf alle anderen genannten Ebenen, wie zum Beispiel Verschärfung des Abflussverhaltens (Prozessebene), Erhöhung der Schadenspotenziale (Schadensebene), Zweifel an Sinnfälligkeit von Hochwasserschutzmaßnahmen (politische Ebene) und Verlust an Akzeptanz (gesellschaftliche Ebene), auswirken (Müller 2010).

    2.3.3 Hochwasserrisikomanagement

    Nach heutigem Wissensstand gibt es mehrere unterschiedliche Risikosteuerungsstrategien, die letztendlich auch Schadenssteuerungsstrategien darstellen. In Anlehnung an Damaschke (2005) und Wolke (2007) sollen hier die folgenden grundsätzlichen Aspekte aufgeführt werden:

    Risikovermeidung

    Risikoverminderung

    Risikobegrenzung

    Risikoübertragung

    Risikoakzeptanz

    Um diese Risikosteuerungsstrategien anwenden zu können, müssen die Risiken zunächst identifiziert und analysiert werden. Diese systematische Erfassung, Analyse und Bewertung von Risiken und die daraus abzuleitenden Aktivitäten zur Risikosteuerung bezeichnet man als Risikomanagement. Dieser Wissensstand ist bisher nur ansatzweise zur Verminderung von Hochwasserrisiken angewendet worden.

    Die Erfahrungen aus den letzten Hochwasserereignissen haben jedoch gezeigt, dass nur eine ganzheitliche Betrachtung des gesamten Hochwasserrisikokreislaufes und das ressort- und grenzübergreifende Handeln aller vom Hochwasser Betroffenen zu einer möglichst großen Hochwasserrisikoverminderung, -begrenzung oder -vermeidung und damit zur Minimierung der Hochwasserschäden führt. Diesen äußerst vielschichtigen Vorgang bezeichnet man heute als Hochwasserrisikomanagement oder auch integriertes Hochwasserrisikomanagement (Müller 2010).

    Zum Risikokreislauf findet man in der Fachliteratur vielfältige Varianten. Allen gemeinsam ist, dass das Risikomanagement als fortlaufender und iterativer Prozess unter Berücksichtigung möglichst vieler Ebenen verstanden wird. Nach Müller (2010) kann der Kreislauf des Hochwasserrisikomanagements als Abfolge von „Bewältigung, „Regeneration und „Vorbeugung" beschrieben werden. Im Normalfall sollte der Kreislauf eine Spirale darstellen, weil sich das Hochwasserschutzniveau in positiver Richtung verändert (Abb. 2.3).

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    Abb. 2.3

    Kreislauf Hochwasserrisikomanagement (Müller 2010; überarbeitet 2018)

    Die einzelnen Phasen des Hochwasserrisikomanagementkreislaufs sind durch

    das Hochwasserereignis (als Abflussgeschehen mit Wasserständen oder Abflüssen ab einem definierten Schwellenwert),

    die Hochwasserbewältigung zur Begrenzung des Ausmaßes (u. a. Schadensbegrenzung) und der Dauer eines Hochwasserereignisses und

    die Regeneration zur Schaffung aller Voraussetzungen für den normalen Alltagsbetrieb sowie die Vorbeugung zur Verminderung der Vulnerabilität (Schadenspotenzialverminderung) gegenüber Hochwasserereignissen

    gekennzeichnet.

    Die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) leitet für das Hochwasserrisikomanagement vier grundsätzliche Ziele ab (LAWA 2010):

    Vermeidung neuer Risiken (im Vorfeld eines Hochwassers) im Hochwasserrisikogebiet

    Reduktion bestehender Risiken (im Vorfeld eines Hochwassers) im Hochwasserrisikogebiet

    Reduktion nachteiliger Folgen während eines Hochwassers

    Reduktion nachteiliger Folgen nach einem Hochwasser

    2.3.4 Beteiligte im Hochwasserrisikomanagement

    Mit dem dargestellten Hochwasserrisikomanagementkreislauf werden viele Fachdisziplinen angesprochen. Das gemeinsame Handeln aller Beteiligten unter dem Dach des Hochwasserrisikomanagements ist insbesondere in der praktischen Umsetzung noch ausbaufähig. Insofern besteht nicht nur in den Einzeldisziplinen, sondern auch im Hinblick auf deren Zusammenwirken umfangreicher Forschungsbedarf (Müller 2010; Jüpner und Müller 2010).

    Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Hochwasserrisikomanagement als Ziel, neben der Risikoakzeptanz (Risikobewusstsein), die größtmögliche Vermeidung, Verminderung oder Begrenzung des Hochwasserrisikos unter Beteiligung der Betroffenen und Akteure aller Ebenen mit allen verfügbaren Mitteln, in jeder Phase des Risikokreislaufes verfolgt (s. Abb. 2.4).

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    Abb. 2.4

    Beteiligte beim Hochwasserrisikomanagement (nach LAWA 2010)

    Moderner und nachhaltiger Hochwasserschutz kann nur durch den Wechsel zu einer interdisziplinären Risikokultur erzielt werden, die durch ein integriertes Hochwasserrisikomanagement gekennzeichnet ist (Müller 2010).

    2.3.5 Handlungsbereiche nach LAWA

    Vorsorge vor den negativen Auswirkungen des Hochwassers gehört zu den frühesten Aufgaben der Menschen, die in von Hochwasser betroffenen Gebieten siedelten. Die Grenzen des technischen Hochwasserschutzes wurden zu Beginn der 1990er-Jahre nachdrücklich deutlich; insbesondere durch die Auswirkungen der großen Rheinhochwasser in den Jahren 1993 und 1995.

    Die LAWA formulierte in Deutschland im Jahr 1995 die „Leitlinien für einen zukunftsweisenden Hochwasserschutz" (LAWA 1995). Darin wird explizit von den „Grenzen des technischen Hochwasserschutzes gesprochen und eine „weitergehende Hochwasservorsorge gefordert. Diese umfasst die folgenden Einzelstrategien:

    Flächenvorsorge (Hochwasserflächenmanagement)

    Bauvorsorge (lokale bauliche Maßnahmen an einzelnen Gebäuden)

    Verhaltensvorsorge (einschließlich Organisationsvorsorge – persönlich und institutionell)

    Risikovorsorge (Hochwasserrisikomanagement)

    Mit den LAWA-Leitlinien aus dem Jahr 1995 wurde ein prägnanter Wechsel in der Ausrichtung des Hochwasserschutzes eingeleitet. Die neu formulierten Vorsorgemaßnahmen bewirkten eine Änderung des rechtlichen Rahmens, der mehr und mehr die praktische Umsetzung beeinflusste (s. Kap. 12). Für eine beschleunigte Umsetzung sorgten dann im Jahr 2002 die großen Sommer-Hochwasser im Einzugsgebiet von Elbe und Donau.

    Innerhalb der Europäischen Union (EU) verständigte man sich mit der Europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (EG-HWRM-RL) europaweit auf flussgebietsbezogene, grenzüberschreitende Maßnahmen des Hochwasserschutzes, wobei der Vorsorge eine besondere Bedeutung beigemessen wird.

    Zur Realisierung eines nachhaltigen Hochwasserrisikomanagements werden die Maßnahmen im Rahmen des Hochwasserschutzes nach den Empfehlungen der LAWA zur Aufstellung von Hochwasserrisikomanagementplänen in folgende Handlungsfelder eingeteilt (s. LAWA 2010):

    Vermeidung neuer Risiken

    Hochwasserflächenmanagement (s. Abschn. 7.​1)

    Flächenvorsorge (s. Abschn. 7.​1.​1)

    Natürlicher Wasserrückhalt (s. Abschn. 7.​1.​2)

    Reduktion bestehender Risiken

    Technischer Hochwasserschutz (s. Kap. 8)

    Hochwasservorsorge (s. Abschn. 7.​2)

    Bauvorsorge (s. Abschn. 7.​2.​3)

    Risikovorsorge (s. Abschn. 7.​2.​1)

    Vorhaltung und Vorbereitung der Gefahrenabwehr des Katastrophenschutzes (s. Abschn. 7.​3)

    Verhaltensvorsorge (s. Abschn. 7.​3)

    Informationsvorsorge (s. Abschn. 7.​2.​2)

    Reduktion nachhaltiger Folgen während eines Hochwassers

    Bewältigung des Hochwasserereignisses – Einsatzphase/Katastrophenabwehr

    Bewältigung der nachteiligen Folgen nach einem Hochwasser

    Nachsorge – Aufbauhilfe und Wiederaufbau

    Auswertung und Analyse

    Die Aufstellung der Hochwasserrisikomanagementpläne nach EG-HWRM-RL wird zukünftig alle genannten Handlungsbereiche umfassen und aufbauend auf regionalspezifischen Analysen und Bewertungen konkrete Einzelmaßnahmen enthalten, die in der Summe eine Verbesserung der Hochwasserschutzsituation erreichen.

    2.4 Ausblick

    Ende des Jahres 2015 wurde mit der Veröffentlichung der Hochwasserrisikomanagementpläne der erste Zyklus der Umsetzung der Europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie abgeschlossen. Derzeit wird in den Mitgliedsstaaten der EU planmäßig der „2. Zyklus" des Umsetzungsprozesses realisiert. Betrachtet man die bisherigen Ergebnisse des umfangreichen Bemühens im Bereich des technischen Hochwasserschutzes als auch der Hochwasservorsorge so ist jedoch zu konstatieren, dass ein wesentliches Ziel nicht erreicht ist: die nachhaltige Senkung der Schadenspotenziale in den Hochwasserrisikogebieten; im Gegenteil die potenziellen Schäden steigen tendenziell weiter an (vgl. Kap. 10).

    In Deutschland hat der Gesetzgeber reagiert und mit dem „Hochwasserschutzgesetz II" (Bundesrepublik Deutschland 2017) vor allem im Bereich der Hochwasservorsorge nachgebessert. Erstmals muss seit 2018 auch in Hochwasserrisikogebieten außerhalb der festgesetzten Überschwemmungsgebiete – also in den Bereichen, die bei seltenen bzw. extremen Hochwasserereignissen betroffen sind – Hochwasservorsorge betrieben werden.

    In den nächsten Jahren wird verstärkt die Betrachtung seltener Hochwasser und ihrer konkreten Auswirkungen erfolgen müssen. Die Erfahrungen der jüngsten großen Hochwasserereignisse an Neiße, Donau und Elbe in den Jahren 2010 und 2013 haben ebenso wie die verheerenden Starkniederschläge, zum Beispiel 2016 am Simbach oder 2017 in Berlin, gezeigt, dass extreme Wetterereignisse ein praktisches und kein theoretisches Phänomen darstellen. Berücksichtigt man zusätzlich die prognostizierten Auswirkungen des Klimawandels (IPCC 2018), so ist davon auszugehen, dass die Hochwasservorsorge große und katastrophale Hochwassersituationen zwangsläufig mit einschließen muss (Jüpner 2016). Dazu zählen u. a. Aspekte wie

    die Vorbereitung auf seltene Ereignisse, die über den Bemessungsansätzen technischer Hochwasserschutzanlagen liegen oder sich infolge des Versagens dieser Schutzsysteme einstellen,

    die Vorbereitung auf den konkreten Umgang der Katastrophenbewältigung, z. B. durch die Schließung von Deichbrüchen,

    die gezielte Nutzung neuer technischer Möglichkeiten zur Darstellung der räumlichen Hochwasserausbreitung im Katastrophenfall, der (berührungslosen) Bauwerksüberwachung, Echtzeit-Datenerfassung und-auswertung sowie hydrodynamische verbesserte Modellierungsansätze.

    Durch die vorhandenen Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten für HQextem sind sehr seltene Ereignisse bereits heute in ihrer flächenhaften Ausbreitung dargestellt und die resultierenden relevanten Informationen öffentlich für jedermann verfügbar. Es fehlen jedoch systematische Ansätze, wie mit der „Hochwassergefahr hinter Deichen" konkret umgegangen werden kann. Bisher existieren erste Ansätze, die sich jedoch meist auf kritische Infrastrukturen konzentrieren. In Zukunft ist zu erwarten, dass umfassende und allgemeingültige Handwerkszeuge dazu entwickelt und praktisch erprobt werden (Gall et al. 2017).

    In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit vorsorgende Maßnahmen für extreme Wetterereignisse im Hinblick auf praktikable (technische) Schutzmaßnahmen überhaupt realisierbar sein werden. Interessante Ansätze bieten dabei Betrachtungen der Resilienz im Hochwasserrisikomanagement.

    Resilienz kann sehr vielfältig definiert werden. Im Kontext des Hochwasserrisikomanagements kann Resilienz als die Fähigkeit eines Systems bezeichnet werden, eine plötzliche Belastung aufgrund von Katastrophen zu bewältigen und die Funktions- und Handlungsfähigkeit schnellstmöglich wiederherzustellen (Munich Re 2017).

    Während international Resilienzansätze im Hochwasserrisikomanagement zunehmend Gegenstand der Forschung geworden sind (IGRC 2016; De Bruijn et al. 2017) ist dieses Themenfeld in Deutschland erst in einem frühen Stadium der Entwicklung. Dabei sind die Fragen, was eine resiliente Gesellschaft auszeichnet und wie Resilienz anhand charakteristischer Parameter quantifiziert werden kann, für die zukünftig notwendigen Anpassungsprozesse an die Folgen des Klimawandels und auch des demographischen Wandels von großer Bedeutung (Jüpner et al. 2018).

    Im Hinblick auf wesentliche zukünftige Entwicklungen im Hochwasserschutz und Hochwasserrisikomanagement fällt eine weitere interessante Entwicklung auf: das Phänomen der Nutzung neuer Medien und sozialer Netzwerke.

    Für die Auswertung des Juni-Hochwassers 2013 in Sachsen wurde in der „Ereignisanalyse Hochwasser Juni 2013 erstmals eine Rubrik „Analyse der sozialen Netzwerke vorgenommen (LfULG 2014). Dort wurde ausgeführt, dass

    „… während des Hochwassers 2013 erstmals im großen Rahmen soziale Netzwerke zur Organisation „ungebundener Helfer, aber auch zur Verbreitung von Informationen und Vermittlung von Spenden genutzt [wurden]. … Deutschlandweit wurden mehr als 150 Facebook-Seiten oder -Gruppen zum Stichwort Hochwasser gegründet. Insgesamt hatten diese Seiten über 600.000 Mitglieder.

    Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als das heutige System der Katastrophenvorsorge und Gefahrenabwehr zentralistisch aufgebaut ist und keine „ungebundenen Helfer, d. h. keine nicht weisungsgebundenen Personen, kennt. Auch kämpfen „klassische Hilfsorganisationen seit Langem mit Nachwuchsmangel.

    Im Ergebnis der umfangreichen Untersuchung der Nutzung sozialer Medien während des Hochwassers 2013 wird zusammenfassend festgestellt: „Allgemein wird deutlich, dass die Nutzung sozialer Medien im Katastrophenfall kein einmaliges oder kurzzeitiges Phänomen ist und künftig bei der Organisation ungebundener Helfer nicht mehr wegzudenken ist. Als Reaktion darauf gibt es immer mehr Projekte, die sich mit diesem Thema beschäftigen und Wege zeigen, wie man dieses Phänomen nutzen kann." (LfULG 2014).

    Zukünftig wird es vor allem darum gehen, wie

    es gelingen kann, dass staatliche Stellen im Hochwasserfall mit ungebundenen Helfern zusammenarbeiten können,

    die zentrale „Hochwasser-Kommunikation" (z. B. eines Bundeslandes) soziale Medien mit einzubeziehen kann,

    im Vorfeld eines Hochwasser-Ereignisses potenzielle Helfer registriert und Hilfsangebote in das bestehende staatliche System integriert werden können.

    Auch ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung der sozialen Netzwerke in rasantem Tempo verläuft und z. B. Facebook durch andere Dienste wie WhatsApp oder Instagram ergänzt (oder verdrängt) werden.

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    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

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    3. Hydrologische Grundlagen

    Markus Disse¹  

    (1)

    Lehrstuhl für Hydrologie und Flussgebietsmanagement, Technische Universität München, München, Deutschland

    Markus Disse

    Email: markus.disse@tum.de

    3.1 Prozesse der Hochwasserentstehung

    3.2 Niederschlag

    3.2.1 Niederschlagsmessung

    3.2.2 Gebietsniederschlag

    3.2.3 Bemessungsniederschläge

    3.3 Abflussbildung

    3.3.1 Koaxialdiagramm

    3.3.2 SCS-Verfahren

    3.3.3 Das Lutz-Verfahren

    3.3.4 Das ψ-Index-Verfahren

    3.3.5 Das Horton-Verfahren

    3.4 Abflusskonzentration

    3.4.1 Isochronenmodell

    3.4.2 Einheitsganglinie

    3.4.3 Ermittlung der Einheitsganglinie

    3.4.4 Momentaneinheitsganglinie – Instantaneous Unit Hydrograph (IUH)

    3.4.5 Die lineare Speicherkaskade

    3.5 Wellenablauf in Fließgewässern

    3.5.1 Das Pulsverfahren

    3.5.2 Das Muskingum-Cunge-Verfahren

    3.5.3 Das Kalinin-Miljukov-Verfahren

    3.6 Hochwasserstatistik

    3.6.1 Empirische Wahrscheinlichkeit und Verteilungsfunktionen

    3.6.2 Ausgewählte Wahrscheinlichkeitsverteilungen

    3.6.3 N-A-Modellierung

    3.6.4 Regionale Übertragung/Hüllkurven

    3.6.5 Empirische Formeln zur HQmax – Berechnung

    3.6.6 Generierung von Hochwasserganglinien

    Literatur

    Hochwasser entsteht, wenn die Speicherkapazität des Bodens aufgrund lang anhaltender Niederschläge erschöpft ist (Sättigungsflächenabfluss, Dunnescher Oberflächenabfluss (s. Dunne et al. 1975) oder wenn die Infiltrationskapazität deutlich geringer als die Niederschlagsintensität ist (Hortonscher Oberflächenabfluss; s. Horton 1933).

    Diese beiden wesentlichen Prozesse der Hochwasserentstehung sind auf unterschiedlichen Raum- und Zeitskalen relevant. Allgemein gilt, dass mit größer werdenden Einzugsgebieten lang anhaltende Niederschläge in Kombination mit teilweise vorgesättigten Böden Flusshochwasser mit sich bringen, während in kleinen Gebieten kurzzeitige heftige Regenereignisse zu katastrophalen und zerstörerischen Sturzfluten führen können.

    Die Gebietseigenschaften beeinflussen ganz wesentlich die Form und Ausprägung der Hochwasserwelle. Für die Abflussbildung sind dies die Bodeneigenschaften und die Landnutzung bzw. die Bodenbedeckung. Die Abflusskonzentration im Einzugsgebiet wird durch das Geländegefälle (Fließzeit), die Topografie (Rückhaltevermögen) und den Bewuchs (Fließzeit und Rückhaltevermögen) bestimmt. Die Wellenverformung im Gerinne schließlich ist durch die Überlagerung von Haupt- und Nebenflüssen, das Sohlgefälle, das Ausuferungsvermögen in angrenzende Auen, Eindeichungen oder andere technische Maßnahmen festgelegt.

    Hochwasser hat es schon immer gegeben, wie die Hochwassermarken an vielen alten Gebäuden belegen (vgl. Abschn. 2.​1). Andererseits wird aber auch das Einwirken des Menschen auf das Hochwassergeschehen hervorgehoben. Das Spektrum der anthropogenen Beeinflussungen im Einzugsgebiet reicht von der Erhöhung des Wasserabflusses infolge Versiegelung der Bodenoberfläche mit Verkehrswegen und Besiedlungen über die Beschleunigung des Hochwassers durch das Abschneiden der natürlichen Ausuferungsflächen entlang der Gewässer bis zur Vergrößerung der Sedimentfracht durch erosionsfördernde Bodennutzung. Auslösende Faktoren für große Hochwasser bleiben aber die Niederschlagsintensität und die Niederschlagshöhe, gegebenenfalls verbunden mit Schneeschmelze.

    Seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts wird zunehmend die Einflussnahme des Menschen auf das Klima und damit auch auf die Niederschläge diskutiert. Eine Verlagerung der Niederschläge vom Sommerhalbjahr in die Winterperiode gilt zumindest für den Süden Deutschlands als nachgewiesen (KLIWA 2006a, KLIWA 2016). Eine zunehmende Häufung meteorologischer Randbedingungen, die zu Hochwasser auslösenden Niederschlägen führen, wird nicht ausgeschlossen (Hofstätter et al. 2018; Kundzewicz et al. 2005; Nissen et al. 2013). Als politische Vorgabe aufgrund von Klimaprojektionen für den Süden Deutschlands, wie sie im Rahmen des KLIWA-Projektes durchgeführt wurden (KLIWA 2006b), wurde beispielsweise für Bayern festgelegt, dass das hundertjährliche Hochwasser (HQ100) für neue Bemessungen um 15 Prozent zu erhöhen ist. Allerdings ist es äußerst schwierig, aus regionalen Klimaberechnungen hydrologische Extremwerte abzuleiten.

    Aus den zahlreichen deutschlandweiten Klimastudien kann geschlussfolgert werden, dass sich insgesamt die hydrologische Variabilität erhöhen wird. Es muss daher sowohl mit häufigeren Dürreperioden als auch mit vermehrten Hochwassern gerechnet werden. Außerdem kann von einer höheren Gewitterhäufigkeit ausgegangen werden, die in kleinen ländlichen und städtischen Einzugsgebieten zu größeren Überschwemmungen führen wird.

    Wenn auch die natürlichen Randbedingungen den Rahmen für das Entstehen von Hochwasser im Wesentlichen abstecken, erhöht doch jeder anthropogene Mehrabfluss die Wasserstände und ist damit geeignet, auch die Hochwasserschäden zu vergrößern. Anthropogen beeinflusst ist aber nicht nur der Hochwasserabfluss, sondern insbesondere auch das Schadensrisiko in den gewässernahen Räumen. Viel mehr Menschen als früher nutzen die Räume entlang der Gewässer mit immer hochwertigeren Ansprüchen an Siedlung, Verkehr und Gewerbe. Diese Risikokonzentration in überschwemmungsgefährdeten Gebieten ist die Hauptursache für den weltweit beobachteten Anstieg der Hochwasserschäden (s. a. Abschn. 11.​1).

    Insofern ist die Europäische Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (EG-HWRM-RL) aus dem Jahre 2007 ein gutes Instrument, die Hochwasservorsorge als wichtigen Teil des Risikomanagementkreislaufes zu stärken. Denn Hochwasser kann überall auftreten, nicht nur an den großen Flüssen.

    3.1 Prozesse der Hochwasserentstehung

    Hochwasser ist ein Teil des natürlichen Wasserkreislaufs. Entsprechend gilt auch für ein Hochwasserereignis die Wasserhaushaltsgleichung:

    $$ N=V+A+\left(R-B\right) $$

    (3.1)

    Dem Niederschlag (N ), als Eingabegröße in das System, werden die Verdunstung (V ) und der Abfluss (A) als Ausgabegrößen gegenübergestellt, ergänzt um ein Speicherglied. Das Speicherglied (R B), d. h. Rücklage (R) minus Aufbrauch (B), beschreibt den Wasserrückhalt im betrachteten Gebiet für den betrachteten Zeitraum (Dyck und Peschke 1995). Die im langfristigen Wasserhaushalt besonders wichtige Größe der Verdunstung ist während des aktuellen Hochwasserereignisses vernachlässigbar, während demgegenüber die kurzfristige Speicherleistung des Einzugsgebietes das Abflussgeschehen ganz wesentlich beeinflusst.

    Der nach der Benetzungsphase durch den Bewuchs hindurchtretende Niederschlag trifft auf die Bodenoberfläche und versickert zu großen Anteilen.

    Das Wasser, das an der Oberfläche verbleibt, füllt Mulden, bildet Rinnsale und fließt oberflächig dem Gefälle folgend ab (sog. Oberflächenabfluss – engl.: surface runoff ).

    Ein anderer Anteil des Niederschlags fließt in den oberen Bodenschichten als oberflächennaher Abfluss (auch als schneller Zwischenabfluss bezeichnet – engl.: interflow), zum Teil auch im Austausch mit dem Oberflächenabfluss, zeitnah dem Vorfluter zu.

    Oberflächen- und Zwischenabfluss bilden den Direktabfluss, der während eines Hochwassers die Ausbildung des Hochwasserscheitels prägt.

    Ein dritter, über eine tiefere und längere Bodenpassage dem Gewässer zuströmende Abflussanteil ist der sog. Basisabfluss (engl.: base flow) oder Grundwasserabfluss. Er kennzeichnet das langsame Dränieren des Einzugsgebietes, wodurch auch bei längeren niederschlagsfreien Zeiträumen ein Gewässerabfluss in der Regel gewährleistet ist.

    Die Quantifizierung dieser zeitlich aufeinander folgenden Phasen der Hochwasserentstehung Niederschlag, Abflussbildung, Abflusskonzentration und Wellenablauf soll im Folgenden erläutert werden. Abschließend werden Hinweise zur statistischen Analyse von Hochwasserabflüssen und zur überschlägigen Berechnung von Scheitelwerten gegeben.

    3.2 Niederschlag

    Als Kenngrößen des Niederschlags werden die Niederschlagsmenge in Liter pro Quadratmeter [l/m²], die Niederschlagshöhe in Millimeter [mm], die Niederschlagsintensität in Millimeter pro Stunde [mm/h] und die Niederschlagsspende in Liter pro Sekunde und Hektar [l/(s · ha)] verwendet. Da ein Millimeter [mm] Niederschlag, der auf einen Quadratmeter [m²] fällt, das Volumen von einem Liter [l] ergibt, sind die Bezeichnungen 1 mm und 1 l/m² identisch.

    Die Messung der Niederschlagsintensität iN ist bedeutend, weil kürzere Niederschläge in der Regel wesentlich höhere Intensitäten aufweisen als lang anhaltende. Kurzzeitige Starkniederschläge können zu katastrophalen Sturzfluten führen, die ein sehr hohes Erosionspotenzial besitzen und nur schlecht vorhersagbar sind.

    3.2.1 Niederschlagsmessung

    Niederschlag kann in den Formen Regen, Hagel, Graupel, Schnee, Nebel oder Tau auftreten. Für das Hochwasser sind der Regen und der akkumulierte Schnee von Interesse, der in Warmphasen zu Taufluten führen kann.

    Die Umweltverwaltungen der deutschen Bundesländer, der Deutsche Wetterdienst (DWD) und private Anbieter haben ein umfangreiches Messnetz in Deutschland aufgebaut. Die einfachen Niederschlagssammler nach Hellmann messen kumulativ die gefallene Niederschlagsmenge in einem Behälter, der 200 cm² Auffangfläche besitzt. Diese Sammler werden in der Regel einmal am Tag um 7:00 Uhr morgens ausgelesen.

    Für die Hochwasservorhersage ist insbesondere der zeitliche Verlauf des Niederschlages von großem Interesse. Die Niederschlagsschreiber sind hierfür mit – in der Regel – elektronischen Messeinrichtungen versehen, die die Niederschlagsintensität nach dem Kippwaagen- oder dem Wägeprinzip registrieren und per Datenfernübertragung in die Vorhersagezentralen übermitteln.

    Da die Hochwasservorhersage in den Aufgabenbereich der Bundesländer fällt, sind einige von ihnen Kooperationen mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) und privaten Anbietern eingegangen. So besteht zum Beispiel in Bayern das sogenannte Messnetz 2000 aus insgesamt 380 hochauflösenden, automatisch abrufbaren Niederschlagsmessstationen, von denen 40 % vom DWD, 15 % von Fremdmessnetzen und 45 % von der bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung gestellt werden (https://​www.​lfu.​bayern.​de/​wasser/​niederschlagsmes​sdaten/​index.​htm). Beispiele für Niederschlagsschreiber sind in Abb. 3.1 zu sehen.

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    Abb. 3.1

    Niederschlagsschreiber a Pluivio-Ott (Wägeprinzip) b Thies-Schreiber (Wippenprinzip) (Foto: Eckhard Lanzinger, DWD)

    Das Wägeprinzip hat den entscheidenden Vorteil, dass keine Verdunstungs- und Benetzungsverluste auftreten, wohingegen beim Kippwaagenprinzip diese Verluste aufgrund des Fließweges des Niederschlagswassers zum Kippmechanismus vorhanden sind. Bei allen Niederschlagsmessern besteht die Gefahr, dass aufgrund des Windeinflusses zu wenig Niederschlag registriert wird. Die Differenz zum realen Niederschlag kann in der Jahressumme 10 Prozent betragen und ist bei Schneefall naturgemäß höher. Korrekturformeln sind u. a. bei Richter (1995) zu finden.

    3.2.2 Gebietsniederschlag

    Niederschlagsstationen messen nur für einen Punkt des Einzugsgebietes die Niederschlagshöhe. Für die Hochwasserentwicklung ist jedoch der Gebietsniederschlag entscheidend, d. h. die Niederschlagsmenge, die in einem bestimmten Zeitraum über der Fläche des betrachteten Einzugsgebietes insgesamt niedergegangen ist. Damit stellt sich die Aufgabe, die an den Niederschlagsmessgeräten für diesen Punkt gemessenen Niederschläge auf die Fläche zu übertragen.

    3.2.2.1 Wetterradar

    Eine flächenhafte Schätzung des Niederschlags kann man durch Verwendung des Wetterradars erhalten.

    Im Projekt RADOLAN (RADar-OnLine-ANeichung) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) werden hierzu punktuell an den Niederschlagsstationen gemessene stündliche Werte mit der flächendeckenden Niederschlagserfassung von 16 Wetterradarstationen des DWD kombiniert. Das Ergebnis sind kalibrierte stündliche Niederschlagshöhen für jeden Quadratkilometer in Deutschland. Dieses Verfahren wurde in Kooperation des Deutschen Wetterdienstes (DWD) mit den Wasserwirtschaftsverwaltungen der Bundesländer (LAWA) entwickelt. Der operationelle Routinebetrieb läuft seit Juni 2005. Die Daten werden u. a. von den Hochwasservorhersagezentralen für die Hochwasservorsorge genutzt.

    Ein weiteres Produkt für die flächige Niederschlagsvorhersage ist das Radar-Niederschlagsvorhersagesystem RADVOR (RADar-Online-NiederschlagsVORhersage) . Hier werden für die zeitnahe Niederschlagsvorhersage im operationellen Einsatz RADOLAN-Daten mit einem numerischen Wettervorhersagemodell verbunden und Niederschlagszellen mit dem Radartracking-Verfahren KONRAD (KONvektionsentwicklung in RADarprodukten) verfolgt. Die Verlagerung der Niederschlagszellen wird in 5-Minuten-Abständen erfasst, das resultierende Vektorfeld bis zu 2 Stunden in die Zukunft extrapoliert und jeweils eine einstündige Niederschlagssumme berechnet. Weitere Informationen sind unter www.​dwd.​de, in der Rubrik: Forschung-Wettervorhersage-MeteorologischeFachverfahren-Radarverfahren-Quantitative Niederschlagsabschätzung zu finden.

    3.2.2.2 Manuelle Verfahren

    Einfachere Verfahren der Gebietsniederschlagsbestimung, die häufig für Hochwasserbemessungsfragen und weniger für Hochwasservorhersagen angewendet werden, sind das Thiessen-Polygon-Verfahren, das Isohyeten-Verfahren und das Inverse-Distance-Verfahren. Auf moderne geostatische Verfahren, wie External Drift Kriging oder Copula Verfahren soll hier nicht eingegangen werden. Literatur hierzu findet man zum Beispiel bei Pilz (2008) und Bárdossy und Pegram (2013).

    Thiessen-Polygon-Verfahren

    Mit der Thiessen-Polygon-Methode werden Einflussflächen für jede Station voneinander abgegrenzt. Dabei wird postuliert, dass der Niederschlag in der Einflussfläche dem Stationsniederschlag entspricht. Die Einflussflächen werden durch Mittelsenkrechten auf den Verbindungslinien benachbarter Stationen gebildet (s. Abb. 3.2).

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    Abb. 3.2

    Konstruktion eines Thiessen-Polygons

    Nachteile des Verfahrens sind, dass orografische Einflüsse des Einzugsgebietes nicht berücksichtigt werden und an den Grenzen der Thiessen-Polygone Sprünge der Niederschlagshöhe entstehen, die in der Realität nicht auftreten. Zu den Vorteilen zählen die Einfachheit des Verfahrens und die nur einmalige Bestimmung der Thiessen-Polygone und der zugeordneten Fläche, falls sich das Niederschlagsnetz nicht verändert.

    Isohyeten -Verfahren

    Beim Isohyetenverfahren werden, ähnlich wie bei der Konstruktion von Höhenlinien, Linien gleicher Niederschlagshöhe bestimmt. Die Lage der Isolinien erfordert eine gewisse Erfahrung des Anwenders, damit meteorologisch sinnvolle Ergebnisse erzielt werden. Das Zeichnen und Auswerten der Isohyeten ist arbeitsaufwendig und die Isohyetenkarte muss für jedes Niederschlagsereignis neu aufgestellt werden.

    Vorteilhaft ist dabei, dass die räumliche Niederschlagsverteilung zutreffend dargestellt wird (keine Sprünge der Niederschlagshöhen). Beim Zeichnen der Isohyeten kann man die Geländeformation berücksichtigen und erfasst damit auch bei verhältnismäßig weitmaschigen Beobachtungsnetzen die orografischen Einflüsse.

    Inverse-Distance-Verfahren

    Bei der Inverse-Distance-Methode wird der Flächenniederschlag mithilfe einer orthogonalen Rasterbildung und Wichtung der nächstgelegenen Stationsniederschläge in den vier angrenzenden Quadranten gebildet. Dabei geht die Entfernung der Niederschlagsstation umgekehrt proportional in die Wichtung ein. Dieses Verfahren liefert häufig ähnlich gute Ergebnisse wie das Kriging-Verfahren . Ein Beispiel zum Inverse-Distance-Verfahren liefert Abb. 3.3.

    ../images/66662_3_De_3_Chapter/66662_3_De_3_Fig3_HTML.png

    Abb. 3.3

    Raster für das Inverse-Distance-Verfahren

    3.2.3 Bemessungsniederschläge

    Die Variabilität des Niederschlags ist erstaunlich groß. Der übliche jährliche Platzregen, auf den unsere städtischen Kanalisationen bemessen sind, beträgt in Deutschland circa 10 mm Niederschlagshöhe in 15 min. Der 100-jährliche Tageswert, d. h. die Niederschlagshöhe in 24 Stunden, die nur einmal in 100 Jahren erreicht oder überschritten wird, liegt dagegen in der Größenordnung von 100 mm, in der Alpenregion bis zu 200 mm.

    Tropische Wirbelstürme können mehrere 100 mm Niederschlag in wenigen Stunden liefern. Die höchste 24-Stunden-Niederschlagshöhe ist im Jahr 1952 mit 1870 mm auf der Insel Reunion im Indischen Ozean gemessen worden (DWD 1997). Abb. 3.4 liefert einen weltweiten Überblick über Maximalniederschläge in Abhängigkeit der Niederschlagsdauer.

    ../images/66662_3_De_3_Chapter/66662_3_De_3_Fig4_HTML.png

    Abb. 3.4

    Gemessene Maximalniederschläge in Abhängigkeit von der Dauer (nach Dyck und Peschke 1995)

    Auch in Deutschland sind extreme Niederschlagsintensitäten gemessen worden. So fielen am 12. August 2002 in Zinnwald im Osterzgebirge innerhalb von 24 Stunden 312 mm, in Münster in Westfalen am 28. Juli 2014 innerhalb von 2 Stunden 245 mm und in Füssen im Allgäu am 25. Mai 1920 innerhalb von 8 min 126 mm Regen.

    Eine Studie des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zu möglichen Gebietsniederschlagshöhen in Deutschland weist physikalisch maximierte 24-Stunden-Niederschlagshöhen in der Größenordnung bis zu 600 mm aus (DVWK 1999a).

    Die Erwartungen an Niederschlagsintensität und Niederschlagshöhe nehmen meteorologisch begründet mit der zeitlichen Dauer des Niederschlagsereignisses und der Größe der überregneten Fläche ab.

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