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WOHNRAUM planen: Architektur – Psychologie – Sozial – Gesellschaft – Kultur
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eBook393 Seiten3 Stunden

WOHNRAUM planen: Architektur – Psychologie – Sozial – Gesellschaft – Kultur

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Über dieses E-Book

Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Der Wohnraum, die Wohnung ist für den Menschen wohl der wichtigste Raum, hier hält er sich einen grossen Teil seiner Zeit auf. Bedingt durch verschiedene Einflussgrössen verändern sich die Art des Wohnens und die Ansprüche der Bewohner ständig. Es gibt beim Bauen wohl keinen so komplexen und ständig anpassungsbedürftigen Bereich wie der des Wohnens.

Die Wohnung ist der privateste Bereich des Wohnens, das engste Wohnumfeld. Das Wohnen beschränkt sich aber nicht nur auf die eigentliche Wohnung. Auch das Wohngebäude, die Nachbarschaft, die nähere und weitere Umgebung, und schlussendlich die psychischen und sozialen Eigenschaften der Bewohner haben einen grossen Einfluss auf dessen Wohlbefinden.

Das Planen und Bauen von Wohnraum ist, mehr als alle anderen Bauaufgaben, eine interdisziplinäre Angelegenheit. Das Wohnen beinhaltet ganz verschiedene Komponenten: physische, psychologische, soziale, gesellschaftliche, etc. Im vorliegenden Buch werden die wichtigsten Aspekte zum Thema Wohnen behandelt, die alle eng miteinander verbunden sind.

Die einzelnen Kapitel können separat gelesen werden. Auch die vorgegebene Reihenfolge muss nicht eingehalten werden. In jedem Kapitel gibt es deshalb immer wieder Hinweise auf andere Themen.​​

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Vieweg
Erscheinungsdatum30. Juni 2021
ISBN9783658336882
WOHNRAUM planen: Architektur – Psychologie – Sozial – Gesellschaft – Kultur

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    Buchvorschau

    WOHNRAUM planen - Jörg Kurt Grütter

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    J. K. GrütterWOHNRAUM planenhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-33688-2_1

    1. Mensch und Raum

    Jörg Kurt Grütter¹  

    (1)

    Bern, Schweiz

    Jörg Kurt Grütter

    Email: info@joerg-gruetter-architekt.ch

    1.1 Grundsätzliches zu Mensch und Raum

    1.2 Mathematischer Raum – erlebter Raum

    1.3 Raumzonen um den Menschen

    1.4 Raumwahrnehmung und Persönlichkeit

    1.5 Raumwahrnehmung und Licht

    1.6 Raumwahrnehmung und Farbe

    Literatur

    Zusammenfassung

    Zwischen dem auf den Plänen dargestellten Raum und dem vom Mensch erlebten Raum bestehen grundsätzliche Unterschiede. Die Wahrnehmung von Raum, das Erleben von Raum und damit auch die Bewertung dieser Räume, hängt auch eng mit der Persönlichkeit des Betrachters zusammen. Das Verhalten des Menschen ist immer von einer Vielzahl verschiedener, gleichzeitig vorliegenden Einflussfaktoren bestimmt, welche ein sogenanntes psychologisches Feld bilden. Dies bedeutet, dass das Erleben von Raum nicht nur von dessen Dimension, Form, Grösse, etc. abhängt, sondern auch von vielen sozialen, psychologischen und kulturellen Faktoren. Sie bestimmen das Erleben von Raum mit. Beim Planen von Wohnraum darf deshalb nicht nur auf ein mathematisch festgelegtes Nutzungsprogramm Rücksicht genommen werden, sondern es müssen auch alle Arten dieser sozio-psychologischen Beziehungen berücksichtigt werden. Dies gilt speziell für den Wohnraum. Licht und Farbe sind zwei wichtige Aspekte der Architektur. Mit dem natürlichen Licht, das durch die Öffnungen ins Innere der Wohnung dringt, verändert sich die vorherrschende Atmosphäre im Raum. Die Wichtigkeit des Farbsehens wird gemeinhin unterschätzt. Auch Farbe hat einen starken Einfluss auf unsere Raumwahrnehmung. Mithilfe der Farbe kann das Erleben von Wohnraum gesteuert und verändert werden.

    Einführung

    Zwischen dem auf den Plänen dargestellten Raum und dem vom Mensch erlebten Raum bestehen grundsätzliche Unterschiede. Die Wahrnehmung von Raum, das Erleben von Raum und damit auch die Bewertung dieser Räume, hängt auch eng mit der Persönlichkeit des Betrachters zusammen. Das Verhalten des Menschen ist immer von einer Vielzahl verschiedener, gleichzeitig vorliegenden Einflussfaktoren bestimmt, welche ein sogenanntes psychologisches Feld bilden. Dies bedeutet, dass das Erleben von Raum nicht nur von dessen Dimension, Form, Grösse, etc. abhängt, sondern auch von vielen sozialen, psychologischen und kulturellen Faktoren. Sie bestimmen das Erleben von Raum mit. Beim Planen von Wohnraum darf deshalb nicht nur auf ein mathematisch festgelegtes Nutzungsprogramm Rücksicht genommen werden, sondern es müssen auch alle Arten dieser sozio-psychologischen Beziehungen berücksichtigt werden. Dies gilt speziell für den Wohnraum. Licht und Farbe sind zwei wichtige Aspekte der Architektur. Mit dem natürlichen Licht, das durch die Öffnungen ins Innere der Wohnung dringt, verändert sich die vorherrschende Atmosphäre im Raum. Die Wichtigkeit des Farbsehens wird gemeinhin unterschätzt. Auch Farbe hat einen starken Einfluss auf unsere Raumwahrnehmung. Mithilfe der Farbe kann das Erleben von Wohnraum gesteuert und verändert werden.

    1.1 Grundsätzliches zu Mensch und Raum

    Das Verhalten des Menschen hängt nicht allein von ihm selber ab, sondern auch von seinem Umfeld, von der Umgebung in der er sich bewegt, von der natürlichen und gebauten Umwelt. Gebäude, Räume und Gegenstände aber auch andere Menschen bestimmen somit unser Verhalten mit. Die Wechselbeziehungen zwischen Personen und ihrer Umwelt sind schon auf der psychologischen Ebene sehr vielseitig und komplex. Auch verändern sie sich ständig. Die Eigenschaften einer Person, aber auch das vorherrschende soziale und kulturelle System, bestimmen deren raumbezogenes Verhalten massgebend mit. In dieser Umwelt baut der Mensch sich im Laufe seiner Entwicklung ein Bezugssystem auf. Mit der Zeit kennt er sich hier aus, er weiss wie was wo läuft. Dem entsprechend verhält er sich in einer bestimmten Situation. Jeder Mensch hat sein eigenes Bezugssystem und dem entsprechend verhält er sich auch individuell. Zu der intensiven Interaktion zwischen dem Menschen und seiner Umwelt meinte der deutsche Philosoph Martin Heidegger: „Ist die Rede von Mensch und Raum, dann hört sich dies an, als stünde der Mensch auf der einen und der Raum auf der anderen Seite. Doch der Raum ist kein Gegenüber für den Menschen. Er ist weder ein äusserer Gegenstand noch ein inneres Erlebnis" (Heidegger 1994, S. 139–156).

    Über seine Sinnesorgane nimmt der Mensch seine Umgebung, die verschiedenen Räume in denen er sich bewegt, wahr. So lernt er sie kennen, und sie beeinflusst wiederum sein Verhalten. Das wichtigste Sinnesorgan des modernen Menschen ist heute das Auge. Der Mensch nimmt durchschnittlich tausendmal mehr Informationen über das Auge auf als über das Ohr. Dementsprechend verlässt er sich normalerweise bei der Wahrnehmung eher auf das Auge. Die visuellen Informationen sind meistens auch genauer als die akustischen. Auch der Tastsinn spielt bei der Wahrnehmung von Architektur eine wichtige Rolle: so werden zum Beispiel Oberflächenstrukturen oft über den Tastsinn ergründet (Hall 1976, S. 54).

    Der Architekt sieht den Benutzer des von ihm geschaffenen Raumes eher als Subjekt. Er möchte zum Beispiel wissen, wie viel Raum er für welche Tätigkeit benötigt. Der Psychologe sieht den Benutzer eher als Objekt, für dessen Verhalten in diesem architektonischen Raum er sich interessiert. Er kann über das Verhalten der Menschen Aussagen machen, die für die Architektur wichtig sind. Gerade beim Entstehen von Wohnraum sind beide Sichtweisen eminent wichtig. Sowohl die architektonischen, technischen wie auch die psychologischen, sozialen und kulturellen Aspekte müssen deshalb berücksichtigt werden. Das Ziel der Planung von Wohnraum darf nicht nur sein, neue Objekte, Gebäude, Umgebungen nach rein funktionalen Gesichtspunkten zu gestalten und zu bauen. Es muss auch Raum für verschiedene Beziehungen zwischen den gebauten Objekten und ihren Nutzern geschaffen werden.

    1.2 Mathematischer Raum – erlebter Raum

    Der Architekt entwirft nach den Wünschen der Bauherrschaft und nach seinen eigenen Ideen Räume, die er dann auf zweidimensionalen Plänen aufzeichnet. Nach diesen Plänen entstehen gebaute, konkrete, dreidimensionale Räume, welche von verschiedenen Personen genutzt werden.

    Der auf den Plänen dargestellte Raum, der sogenannte mathematische Raum, und der erlebte Raum sind keineswegs identisch, sie unterscheiden sich grundsätzlich (Abb. 1.1). So liegen zum Beispiel zwei Schlafräume auf einem Plan eines Wohngebäudes, zwei gezeichnete mathematische Räume, nur durch eine Linie getrennt, welche eine Mauer darstellt, nebeneinander. Sie können aber zu zwei verschiedenen Wohnungen gehören und werden so von verschiedenen Menschen genutzt, die sich wahrscheinlich gar nicht kennen. Für die Menschen, die in diesen beiden Räumen schlafen, sind ihre jeweiligen Schlafräume erlebte Räume. Sie kennen nur ihren eigenen, von dem Schlafraum des Nachbarn nur durch eine Mauer getrennten Raum. Erlebnismässig liegen die beiden Räume aber sehr weit auseinander.

    ../images/512878_1_De_1_Chapter/512878_1_De_1_Fig1_HTML.jpg

    Abb. 1.1

    mathematischer Raum (a), erlebter Raum (b). Zeichnung und Abbildung vom selben Objekt

    Im mathematischen Raum, dargestellt auf dem Plan, sind alle Punkte gleichwertig, jede beliebige Richtung kann zu einer Achse gemacht werden. Der auf dem Plan gezeichnete mathematische Raum sagt etwas aus über die genaue Dimension des Raumes, über die Art seiner Öffnungen, Fenster und Türen, über seine Beziehung zu den anderen Räumen und zu der Umgebung. Diese Informationen sind konstant, so wie sie auf dem Plan dargestellt sind. Dieser Raum, konkret gebaut, kann aber je nach Person, je nach momentaner Situation, Tageszeit und Beleuchtung, je nach Möblierung und Farbgebung, ganz verschieden wahrgenommen und erlebt werden. Dann sprechen wir vom erlebten Raum.

    Die in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts vom polnischen Psychologen Kurt Levin entwickelte Feldtheorie besagt, dass das Verhalten des Menschen immer von einer Vielzahl verschiedener, gleichzeitig vorliegenden Einflussfaktoren bestimmt ist, welche das psychologische Feld bilden. Unter Verhalten versteht Lewin nicht nur das Handeln, sondern auch das Denken und Fühlen. Diese Einflussfaktoren verändern sich ständig, je nach Situation in der sich der Mensch befindet. Bezogen auf die Architektur bedeutet das, dass nicht nur der mathematische Raum – also Länge, Breite, Höhe, Farbe, Material – unser Verhalten bestimmt, sondern auch eine Vielzahl sozialer, kultureller und psychologischer Faktoren. Sie bestimmen den erlebten Raum mit (Richter 2004, S. 29).

    Der erlebte Raum hat immer ein Zentrum, den Standort des Betrachters, und eine Achse, die mit der Körperhaltung des Betrachters zusammenhängt. Es gibt vorne, hinten, links und rechts. Die Objekte in diesem erlebten Raum stehen in einem Beziehungssystem. Der erlebte Raum ist somit stark an den Betrachter gebunden und wird so von verschiedenen Menschen ungleich wahrgenommen, er ist für jeden Menschen anders. Ja er wird vom selben Betrachter, je nach seiner momentanen psychischen Verfassung, verschieden empfunden. Eine genaue Darstellung des erlebten Raumes auf einem Plan ist nicht möglich, auch weil sich dieser je nach Stimmung jedes einzelnen Menschen verändern kann. Der Mensch eignet sich Räume an. Der erlebte Raum ist anders als der mathematische Raum. Deshalb sind auch subjektive Aussagen über Räume nie genau, da persönliche Gefühle nie exakt objektiv beschrieben werden können. Emotionale Eindrücke haben nicht nur im Augenblick einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung, sie hinterlassen Spuren und beeinflussen unser Verhalten auch später mit.

    Verschiedenste Eigenschaften der Räume lösen beim Benutzer verschiedenen Stimmungen und Empfindungen aus, welche einen Einfluss auf seine Wahrnehmung dieses Raumes haben. Nicht nur Grösse, Form und verwendete Materialien, auch die Ausstattung der Räume spielen hier eine wichtige Rolle. die Art der Fenster und ihre Ausrichtung auf die Umgebung beeinflusst die Atmosphäre im Innern mit. So zum Beispiel durch verschiedene Belichtungen, je nach Wetterlage, Tages- oder Jahreszeit. Die Stimmung im Raum beeinflusst die sich im Raum befindenden Menschen. Umgekehrt befindet sich auch der Mensch in einer bestimmten Stimmung, welche die Wahrnehmung des Raumes beeinflusst (Bollnow 1980, S. 231). Auch von einem und demselben Menschen kann der Raum so je nach seiner psychischen Verfassung verschieden erlebt werden. Durch die Wahrnehmung beeinflusst, erscheint uns der erlebte Raum in Vielem anders als der mathematische Raum.

    Auch Distanzen und Richtungen werden teilweise anders erlebt als sie etwa in Plänen, in mathematischen Räumen, gemessen werden können. Menschen schätzen senkrechte Distanzen grösser ein als waagrechte, auch wenn sie auf dem Plan gleich lang sind. So ist zum Beispiel im mathematischen Raum, auf einem Plan, die Höhe eines quadratischen Fensters gleich gross wie seine Breite. Beim Betrachten dieses Fensters nehmen wir aber in der Realität die Höhe als grösser war als die Breite. Wenn wir also wollen, dass wir dieses Fenster als Quadrat wahrnehmen, muss seine Breite in der Realität etwas grösser sein als seine Höhe. Dieser Unterschied besteht, weil die Wahrnehmung einer horizontalen Ausdehnung weniger anstrengend ist als die einer vertikalen. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass bei einer horizontalen Augenbewegung nur halb so viele Augenmuskeln beteiligt sind wie bei einem vertikalen Blickwechsel (Grütter 2019, S. 35). Die Wahrnehmung einer horizontalen Ausdehnung ist weniger anstrengend als die von eher vertikal betonten Elementen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Feststellung Otto Bollnows, dass zwischen den beiden menschlichen Haltungen, liegen und stehen, grundsätzliche Unterschiede bestehen, die weit über das Körperliche hinausgehen und schliesslich die ganze Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt mitbestimmen (Bollnow 1980, S. 170). Während die optische Wahrnehmung eher auf das Vertikale ausgerichtet ist, Differenzen in der Höhe werden viel eher wahrgenommen als solche in der Breite, orientiert sich paradoxerweise das Handeln eher in der neutral empfundenen horizontalen Ebene. Auch zwischen links und rechts bestehen erlebnismässig Unterschiede. Der Mensch empfindet psychologisch deutlich Wertunterschiede zwischen diesen beiden Richtungen. Rechts hat denselben Wortstamm wie „richtig und „gerecht. Ein „linkischer Mensch oder eine Person, die „zwei linke Hände hat, gilt als ungeschickt. Ein Betrachter identifiziert sich allerdings mehr mit der linken Seite als mit der rechten, eine Tatsache, die auch in Theater und Film ausgenutzt wird. Die linke Bühnenhälfte gilt als die wichtigere und die Hauptperson sollte sich wenn immer möglich links befinden, so identifizieren sich die Zuschauer eher mit ihr und sehen das Geschehen von ihrem Standpunkt aus (Arnheim 1978, S. 35). Deshalb kommt der Gute in einem Film oft von links, der Böse, der auch der Gegner des Zuschauers ist, von rechts.

    1.3 Raumzonen um den Menschen

    Wenn wir von Raum sprechen, so meinen wir normalerweise stationäre, gebaute Räume. Wohnräume, Wohnungen, sind solche Räume, sie sind immobil, sie sind Immobilien. Sie befinden sich an einem Ort und sind fest an diesen gebunden. Nebst diesen gebauten Räumen unterscheiden wir zwischen privaten und öffentlichen Räumen (Kap. 6 innen – aussen / privat – öffentlich) und wir sprechen auch von Territorien (Kap. 5 Territorien). Diese Art von Räumen sind nicht unbedingt gebaute Räume, sie sind aber an einen Standort gebunden.

    Zusätzlich existieren um jeden Menschen verschiedene unsichtbare Raumzonen, welche immer direkt auf den jeweiligen Standort des Menschen bezogen sind. Diese Raumzonen um den Menschen sind nicht an einen Ort gebunden, Sie liegen konzentrisch um jedes Individuum und wenn sich dieses bewegt, „bewegen sich diese Zonen mit ihm. Ähnlich wie beim Tier bestehen beim Menschen mit diesen Zonen unsichtbare Grenzen und Distanzen, die mithelfen das Zusammenleben zu regeln. Der amerikanische Anthropologe und Ethnologe Edward Hall unterscheidet vier solche konzentrisch Zonen, um jedes Individuum: die intime Zone, die persönliche Zone, die soziale Zone und die öffentliche Zone. Hall nannte diese Zonen „personal space (Hall 1976, S. 118). Diese Zonen haben unsichtbare Grenzen und sie bilden verschiedene Einflussgebiete (Abb. 1.2).

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    Abb. 1.2

    Die vier unsichtbaren Zonen um den Menschen

    (nach Edward Hall)

    Nach Edward Hall dringen zwei Menschen gegenseitig in ihre intimen Zonen ein, wenn die Distanz zwischen ihnen 0 bis 45 cm beträgt. Dann besteht meistens Körperkontakt. Die Wahrnehmung geschieht dann nicht mehr primär über die visuellen Sinnesorgane, sondern mehr über Tast- und Geruchsinn. Es können drei verschiedene Situationen einer solchen Annäherung unterschieden werden. Bei Menschen, die sich gut kennen, sich auch im übertragenen Sinn sehr nahe sind, geschieht eine solche Begegnung freiwillig. Die zweite Möglichkeit ist der Kampf, sei es aus sportlichem Grund, zum Beispiel beim Ringen, oder weil zwei Personen verfeindet sind. Drittens dringt auch der Arzt bei einer medizinischen Untersuchung oft in die intime Zone eines Patienten ein.

    Stehen zwei Menschen 45 bis 120 cm voneinander entfernt, so überschneiden sich ihre persönlichen Zonen gegenseitig. Menschen welche sich freiwillig in der jeweils persönlichen Zone des Anderen begegnen haben meistens eine Beziehung zueinander, es besteht ein direkter Kontakt zwischen ihnen, sie sprechen miteinander. Es gibt aber auch Situationen, wo sich die persönlichen Zonen unfreiwillig überschneiden, zum Beispiel in einem Aufzug. Solche Begegnungen sind eher unangenehm, man schaut aneinander vorbei und versucht einander zu ignorieren.

    Bei der sozialen Zone beträgt der Abstand 120 bis 360 cm. Die soziale Zone liegt zwischen der persönlichen und der öffentlichen. Individuen in diesem Bereich haben nicht direkt miteinander zu tun, sie können sich aber auch nicht ganz ignorieren. Solche Situationen ergeben sich zum Beispiel im Eingangsbereich eines Wohnhauses, in einem Restaurant oder in einem kleineren Laden.

    Im öffentlichen Bereich besteht kein direkter Zusammenhang mehr zwischen den einzelnen Personen, sie haben nichts mehr miteinander zu tun und ihr Zusammentreffen ist rein zufällig (Grütter 2019, S. 150).

    Die von Hall beschriebenen verschiedenen Zonen sind nicht bei allen Menschen gleich gross. Sie sind auch situations-, kultur- und persönlichkeitsabhängig. Befindet sich zum Beispiel ein Amerikaner im Aufzug mit einer anderen Person, so gebietet ihm die Höflichkeit, mit diesem Individuum Kontakt aufzunehmen, da sich für ihn ihre beiden persönlichen Zonen überlappen. Ein Japaner hingegen wird in der gleichen Situation sein Gegenüber ignorieren. Für ihn ist die persönliche Zone enger und er sieht deshalb keine Notwendigkeit, mit der anderen Person zu kommunizieren.

    Die Grösse der Zonen ist auch altersbedingt, sie wird mit zunehmendem Alter grösser. Generell werden die Radien der Zonen bei Menschen ab dem sechsten Lebensjahr bis ins Erwachsenenalter grösser. Bei ängstlichen und introvertierten Menschen sind die Radien grösser als bei andern Menschen. Menschen in südlichen Ländern (mediterran) rücken eher näher aneinander als Menschen in nördlichen Ländern, bei ihnen sind die Radien kleiner. Männer halten durchschnittlich mehr Distanz als Frauen (Sommer 2002, S. 647–660).

    Die räumlichen zwischenmenschlichen Beziehungen bewirken ein kompliziertes System von sich nähern, fliehen, ausweichen, umgehen usw. Der gebaute architektonische Raum darf deshalb nicht nur auf ein mathematisch festgelegtes Nutzungsprogramm Rücksicht nehmen, sondern er muss alle Arten dieser sozio-psychologischen Beziehungen berücksichtigen. Aufgabe der Architektur ist es auch, räumliche Voraussetzungen zu schaffen, damit der Mensch sich in den gebauten Räumen so bewegen kann, dass gewünschte Begegnungen möglich sind und unangenehme verhindert werden, dass Überschneidungen der Zonen verschiedener Menschen nur dort stattfinden wo sie gewünscht werden. Dies ist sowohl im größeren Maßstab notwendig, zum Beispiel in einem Dorf oder einer Stadt (Abb. 1.3), aber auch bei der Gestaltung einzelner Räume. Dies gilt auch für den Wohnraum.

    ../images/512878_1_De_1_Chapter/512878_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Begegnungsmöglichkeiten der Menschen (Punkte) mit ihren verschiedenen unsichtbaren Zonen (vgl. Abb. 1.2) in der gebauten Umwelt

    1.4 Raumwahrnehmung und Persönlichkeit

    Die Wahrnehmung von Raum, und damit auch die Bewertung von Räumen, hängt auch eng mit der Persönlichkeit des Betrachters zusammen. Experimentell wurde der Zusammenhang zwischen einer architektonischen Situation und der Gefühlsreaktion von Menschen, anhand deren Pupillengrösse untersucht. Dabei ergab sich, dass Testpersonen verschiedener Kulturen auch verschieden auf bestimmte Formen reagieren. Das heisst: Gewisse Formen rufen bei Menschen verschiedener Kulturen verschiedene Gefühlsreaktionen hervor. Damit ist nur bewiesen, dass die Art unserer Umgebung, also die Architektur und ihr Kontext, verschiedene Gefühle hervorrufen kann und somit unsere Handlungsweise beeinflusst, nicht aber, welche Art von Umwelt welche Art von Gefühlen hervorruft. Interessant ist dabei die Feststellung, dass die Pupillenveränderung und damit die Gefühlsreaktion bei Architekten grösser ist als bei den übrigen Versuchspersonen (Payne 1973, S. 76). Dies resultiert wohl aus der Tatsache, dass das Auge eines Architekten durch seine Erfahrungen sensibilisierter ist als dasjenige anderer Menschen.

    Der britischen Psychologe Hans Jürgen Eysenck behauptet, gestützt auf Carl Gustav Jung, dass der introvertierte Mensch eher verstandesmässig reagiert und eine einfache, klare Ordnung vorzieht. Er wird eine Architektur bevorzugen, bei der eine gewisse Ordnung und Ausgewogenheit vorherrscht Der extrovertierter Mensch reagiert eher gefühlsmässig und bevorzugt eine komplexe Ordnung (Abb. 1.4) (Eysenck 1947).

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    Abb. 1.4

    Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstruktur, der Art wie der Betrachter auf die Wahrnehmung reagiert, und der bevorzugten Ordnung

    1.5 Raumwahrnehmung und Licht

    Die Art, wie Raum wahrgenommen und erlebt wird, hängt nicht nur von dessen Grösse und Form ab. wichtig sind auch andere Faktoren. Durch die Öffnungen in den raumbegrenzenden Elementen besteht eine Beziehung zwischen innen und aussen (Abschn. 6.​3 Öffnungen und Übergänge zwischen innen und aussen, zwischen privat und öffentlich). Durch diese Öffnungen kann Licht ins Innere dringen, welches die Raumwahrnehmung signifikant mitbestimmt. Obwohl Licht bei der Planung von Wohnraum oft nicht unmittelbar eine primäre Rolle spielt, ist Licht ein wichtiger Faktor vor allem in der Wohn-Architektur. Licht ist die Voraussetzung für jede optische Wahrnehmung. Bei vollkommener Dunkelheit können wir weder Raum, Form noch Farbe sehen. Aber auch der psychologische Stellenwert von Licht ist für das Wohnen, für das menschliche Leben ganz allgemein, einer der wichtigsten Faktoren. Der Architekt Morris Lapidus meint dazu: „Die Menschen sind wie Motten; man stelle ein helles Licht auf, und sie stürzen sich darauf, ohne zu wissen weshalb. Wir gehen aufs helle Licht zu, ob wir es wollen oder nicht; wir werden von ihm angezogen" (Klotz und Cock 1974, S. 175).

    Grundsätzlich können

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