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Geschichte der Chemie Band 2 – 19. und 20. Jahrhundert
Geschichte der Chemie Band 2 – 19. und 20. Jahrhundert
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eBook1.008 Seiten9 Stunden

Geschichte der Chemie Band 2 – 19. und 20. Jahrhundert

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Über dieses E-Book

Dieses Werk umfasst in zwei Bänden die gesamte Geschichte der Chemie von den Anfängen der Zivilisation bis hin zum 20. Jahrhundert. Es füllt in seiner umfassenden Darstellung eine Lücke in der Chemiegeschichtsschreibung, indem es den Wandel und das verbindende Element der Chemie im Laufe der Jahrhunderte beschreibt  und dabei aktuelle Forschungsergebnisse integriert.

Die Einteilung in drei Epochen bildet den Rahmen, in den die Kapitel des Werkes eingeordnet sind: beginnend von der Chemie des Altertums und Mittelalters (frühe Chemie), über die Chemie des 16. bis 18. Jahrhunderts (neuzeitliche Chemie) bis zu der Chemie des 19. und 20. Jahrhunderts (moderne Chemie).

Der vorliegende zweite Band behandelt die moderne Chemie vom 19. und 20. Jahrhundert. Er beschreibt die vielseitigen Fakten und Tendenzen, die diese kennzeichnet: die Entwicklung von der Idee massiver Atome bis zu den Elementarteilchen, die Erforschung der Lebensvorgänge, die Ordnungssysteme für die Elemente und die organischen Verbindungen, die Entwicklung zahlreicher analytischer Verfahren und die Entstehung neuer Teilgebiete der Chemie. Auch die chemische Industrie, die Ausbildung und das Berufsbild des Chemikers kommen hier zur Sprache.

Der Autor zeigt mit diesem Werk, wie die Chemie in ihrem geschichtlichen Verlauf einem ständigen Wandel unterlag und die Welt verwandelt hat. Das Buch ist verständlich geschrieben, ohne dabei die Begriffssprache des Chemikers zu verleugnen. Studierenden, Wissenschaftshistorikern und interessierten Lesern wird damit die Faszination für diese Naturwissenschaft und deren Entwicklung vermittelt.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Apr. 2018
ISBN9783662558027
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    Buchvorschau

    Geschichte der Chemie Band 2 – 19. und 20. Jahrhundert - Jost Weyer

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018

    Jost WeyerGeschichte der Chemie Band 2 – 19. und 20. Jahrhunderthttps://doi.org/10.1007/978-3-662-55802-7_1

    1. Stöchiometrische Gesetze

    Jost Weyer¹  

    (1)

    Behrkampsweg 1, 22529 Hamburg, Deutschland

    Jost Weyer

    Email: jutta.weyer@gmx.net

    1.1 Überblick über die moderne Chemie (19. und 20. Jahrhundert)

    1.2 Quantifizierung der Chemie

    1.3 Das Gesetz von der Erhaltung der Materie bei chemischen Reaktionen

    1.4 Das Gesetz der konstanten Proportionen

    1.5 Richters Gesetz der äquivalenten Proportionen

    1.6 Das Gesetz der multiplen Proportionen

    1.7 Gay‐Lussacs chemisches Volumengesetz

    1.1 Überblick über die moderne Chemie (19. und 20. Jahrhundert)

    Die moderne Chemie ist die dritte und bisher letzte Epoche der Chemie. Theoretische Grundlage dieser Epoche ist letzten Endes Daltons chemische Atomtheorie, die in verschiedenen Richtungen weiterentwickelt wurde. Hierzu gehören die Molekulartheorie, die Theorien der chemischen Bindung und das Periodensystem der chemischen Elemente, das zum Ordnungsprinzip der Chemie schlechthin wurde. Apparative Methoden ermöglichten Einblicke in die innere Struktur des Atoms.

    Als wichtige Teilgebiete der allgemeinen Chemie entwickelten sich organische Chemie, physikalische Chemie und Biochemie. Für den Beruf des Chemikers wurde ein verbindlicher Ausbildungsgang mit Universitätsstudium ausgearbeitet. Die gewerbliche Produktion im großen Maßstab führte bei einigen Stoffen und Stoffgruppen zum Entstehen einer chemischen Großindustrie.

    Die Grenze zur Epoche der neuzeitlichen Chemie (16. bis 18. Jahrhundert) ist durch mehrere Daten markiert: Lavoisiers Oxidationstheorie (1777), die damit verbundene Nomenklatur für anorganische Stoffe (1787), Lavoisiers neuen Elementbegriff (1789) und Daltons chemische Atomtheorie (1803). Oft wird dieser Übergang von der neuzeitlichen zur modernen Chemie als „chemische Revolution" bezeichnet. Eine neue, vierte Epoche ist trotz der vielen Neuerungen, welche die Chemie in diesen zwei Jahrhunderten erfahren hat, noch nicht zu erkennen, so dass die Epoche der modernen Chemie nach vorne hin offen bleibt.

    Ansätze zu einer Quantifizierung der Chemie führten zur Aufstellung der stöchiometrischen Gesetze. Alle diese Gesetze weisen auf Daltons chemische Atomtheorie hin und lassen sich im Nachhinein daraus ableiten, aber die Reihenfolge ihrer Entdeckung entspricht nicht immer der logischen Reihenfolge. Das Gesetz von der Erhaltung der Materie bei chemischen Reaktionen wurde in seiner allgemeinen Form bereits in der Antike formuliert, und, auf die chemischen Stoffe angewandt, wurde es im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einem Erfahrungsgesetz. Das Gesetz der konstanten Proportionen, d. h. die Tatsache, dass die Stoffe nur in ganz bestimmten Gewichtsverhältnissen miteinander reagieren, war ein ähnliches Erfahrungsgesetz, das im Laufe des 18. Jahrhunderts allgemein akzeptiert wurde.

    Das Gesetz der äquivalenten Proportionen wurde von Richter entdeckt und formuliert. Das Gesetz der multiplen Proportion, d. h. das Phänomen, dass manche Stoffe in unterschiedlichen Gewichtsverhältnissen miteinander reagieren, fiel als „Nebenprodukt" bei der Konzipierung von Daltons chemischer Atomtheorie an, ohne dass Dalton diese Beobachtung als Gesetz formulierte. Das chemische Volumengesetz, nach dem sich Gase in ganzzahligen Volumenverhältnissen miteinander vereinigen, wurde von Gay‐Lussac entdeckt, der auf eine theoretische Deutung seiner Ergebnisse verzichtete.

    In Daltons chemischer Atomtheorie waren zum ersten Mal Elementenlehre und Atomtheorie verbindlich miteinander vereinigt. Ihre entscheidende Aussage lautet, dass sich die chemischen Elemente durch das relative Gewicht ihrer Atome voneinander unterscheiden. Diese Aussage, die sich später als revisionsbedürftig erwies, bildete die Grundlage für alle weitere Quantifizierung der Chemie. Dalton initiierte mit seiner Theorie ein neues Forschungsprogramm: die Bestimmung von Atomgewichten. Hierbei ergab sich allerdings die Schwierigkeit, dass man ohne eine Zusatzhypothese nur die Äquivalentgewichte bestimmen konnte.

    Eine Entscheidungshilfe in dieser Frage brachte die Molekulartheorie von Avogadro, der Gay‐Lussacs Volumengesetz auf der Grundlage der chemischen Atomtheorie interpretierte. Nach seiner Theorie ist die Zahl der Moleküle in beliebigen Gasen bei gleichem Volumen immer dieselbe. Ferner postulierte er, dass die Moleküle elementarer Gase aus zwei oder mehr Atomen gebildet werden können.

    Die Elektrochemie wurde ein interessantes neues Gebiet, als Galvani und Volta die chemische Elektrizität entdeckten, d. h. die Erscheinung, dass zwei verschiedene Metalle, die durch eine leitende Flüssigkeit und einen metallischen Leiter zu einem Kreis geschlossen wurden, einen elektrischen Strom erzeugten. Mit Hilfe von Batterien, die nach diesem Prinzip konstruiert waren, isolierte Davy einige Alkali‑ und Erdalkalimetalle. Berzelius entwarf eine elektrochemische Theorie der chemischen Bindung, und Faraday formulierte Gesetzmäßigkeiten zwischen der Elektrizitätsmenge und der aus einem Elektrolyten abgeschiedenen Stoffmenge. Arrhenius zeigte mit seiner Theorie der elektrolytischen Dissoziation, dass die Salze, Säuren und Basen in wässriger Lösung in Ionen aufgespalten sind.

    Das Periodensystem der chemischen Elemente wurde das grundlegende Ordnungssystem der gesamten Chemie. In ihm waren die Elemente in seiner ursprünglichen Form mit steigendem Atomgewicht in waagerechten und senkrechten Spalten derart angeordnet, dass Elemente mit analogen Eigenschaften in derselben senkrechten Gruppe standen. Später stellte sich heraus, dass für die exakte Einordnung nicht das Atomgewicht, sondern die Kernladungszahl maßgebend ist.

    An der Entdeckung des Periodensystems waren sechs Forscher beteiligt, wobei der letzte und bedeutendste Beitrag von Mendelejew stammt. Die folgenden Jahrzehnte dienten dem Ausbau des Periodensystems, das durch seine Lücken auch die Voraussage noch unbekannter Elemente ermöglichte. Das Bohr’sche Atommodell mit seinen Verfeinerungen lieferte eine theoretische Begründung für den Aufbau des Periodensystems.

    Mit der Frage der chemischen Bindung befassten sich Chemiker und Physiker über ein Jahrhundert lang. Die erste derartige Theorie ist die elektrochemische Theorie von Berzelius, nach der eine Bindung dadurch zustande kommt, dass alle Stoffe aus Teilchen von entgegengesetzter positiver Ladung aufgebaut sind. Seine Theorie erwies sich für die organischen Verbindungen als unbrauchbar, wo verschiedene Radikal‑ und Typentheorien durch immer weitere gedankliche Zerlegung der Moleküle bis in die einzelnen Atome zur Aufstellung der Valenztheorie durch Kekulé und Couper führten.

    Die Idee, dass die chemische Bindung durch Valenzbeziehungen von Atom zu Atom gekennzeichnet ist, wurde durch Butlerow zur chemischen Strukturtheorie verallgemeinert. Mit ihrer Hilfe versuchte man unter anderem, den Bindungszustand in den ungesättigten und den aromatischen Verbindungen zu klären. Die elektronentheoretische Deutung der Bindung lieferte einen Schlüssel zum Verständnis der Ionen‑ und Atombindung. Ein verfeinertes Modell ergab sich aus der Anwendung der Quantenmechanik auf die chemische Bindung.

    Zu einem bedeutenden Teilgebiet der Chemie entwickelte sich die organische Chemie, die zunächst die Stoffe im Pflanzen‑ und Tierreich und die chemischen Prozesse im Organismus umfasste und später auf die Chemie der Kohlenstoffverbindungen eingeschränkt wurde. In den ersten Jahrzehnten wurden die meisten organischen Verbindungen aus Naturprodukten isoliert, in der folgenden Zeit überwiegend durch Synthese künstlich hergestellt. Die quantitative Zusammensetzung wurde durch die Elementaranalyse ermittelt, während die Ermittlung der Struktur vom jeweiligen Stand der Bindungstheorien abhängig war und eigentlich erst seit dem Aufkommen der chemischen Strukturtheorie möglich war. Für die ständig zunehmende Zahl der organischen Verbindungen entwarf Kekulé eine Klassifikation, und ein internationaler Chemiker‐Kongress in Genf verabschiedete eine Nomenklatur.

    Die Stereochemie, die Lehre von der räumlichen Anordnung der Atome im Molekül, ist ein Spezialgebiet der chemischen Bindungstheorie. Van’t Hoff und Le Bel entwickelten die grundlegenden Vorstellungen über die räumliche Anordnung der Substituenten beim einfach und doppelt gebundenen Kohlenstoffatom. Pauling gab später im Rahmen der Quantentheorie eine theoretische Bestätigung der stereochemischen Postulate. Die tatsächliche räumliche Anordnung der Atome und Atomgruppen am Kohlenstoffatom wurde durch Röntgenstrukturanalyse ermittelt.

    Die chemische Industrie spielte in der Epoche der modernen Chemie in wirtschaftlicher Hinsicht eine wichtige Rolle. In einigen Produktionszweigen bildete sich im 19. Jahrhundert eine chemische Großindustrie heraus, unter anderem bei der Produktion von Soda, Schwefelsäure und Chlorkalk. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verlagerte sich der Schwerpunkt von der Grundstoffindustrie zur Präparateindustrie, wozu insbesondere die Produktion von Farbstoffen und Arzneimitteln gehörte. Für die Herstellung solcher Feinchemikalien waren theoretische Kenntnisse, vor allem über die chemische Struktur der betreffenden organischen Verbindungen, unerlässlich.

    Für den Beruf des Chemikers war das 19. Jahrhundert von großer Bedeutung. Zunächst war Frankreich in der Chemie führend, wo dieses Fach staatlich gefördert wurde und namhafte Chemiker auch industriell tätig waren. In Deutschland stellte Liebig die Ausbildung des Chemikers auf eine neue Grundlage, die dann auch von anderen Staaten übernommen wurde. Es gab seither einen verbindlich vorgeschriebenen Ausbildungsgang mit Universitätsstudium, praktischen Arbeiten im Laboratorium und wissenschaftlichen Untersuchungen. Viele der ausgebildeten Chemiker gingen in die chemische Industrie.

    Die physikalische Chemie untersucht die Eigenschaften und das Reaktionsverhalten der Stoffe mit physikalischen Methoden, ist also ein Bindeglied zwischen Chemie und Physik. Umfangreichere Untersuchungen, die in diese Richtung zielten, wurden seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ausgeführt. Seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts etablierte sich die physikalische Chemie als eigenständiges Fach. Die wichtigsten Teilgebiete waren in dieser Zeit die Kinetik, die Thermodynamik und die Elektrochemie.

    Die chemische Kinetik behandelt die verschiedenen dynamischen Aspekte der Chemie. Hierzu gehören unter anderem die kinetische Gastheorie, die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen und die Katalyse, die alle in den Bereich der physikalischen Chemie fallen. Ein Sonderbereich sind die Reaktionsmechanismen in der organischen Chemie.

    Die analytische Chemie entwickelte sich aus der chemischen Probierkunst. Verschiedene analytische Methoden und Verfahren wurden von Bergman zum ersten Mal zusammengefasst und systematisiert. Rose entwarf einen allgemeinen Analysengang, der auf alle Elemente anwendbar war. Zur quantitativen Analyse der organischen Verbindungen diente die organische Elementaranalyse. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewannen physikalische Methoden und Apparate in der analytischen Chemie immer mehr Bedeutung: die Spektralanalyse in der anorganischen und die optische Drehung in der organischen Chemie, im 20. Jahrhundert unter anderem radiochemische Methoden, Röntgenstrukturanalyse, Massenspektrometrie und kernmagnetische Resonanz.

    Die Biochemie, zunächst physiologische Chemie genannt, untersucht die Bestandteile und Reaktionsabläufe im tierischen und pflanzlichen Organismus. In den ersten Jahrzehnten stand sie noch im Schatten der organischen Chemie, die sich ihrerseits aus der allgemeinen Chemie löste, bis die Biochemie Ende des 19. Jahrhunderts ein eigenständiges Fachgebiet geworden war. Wichtige biochemische Themen sind unter anderem die Enzyme, Hormone, Nucleinsäuren und der Stoffwechsel. Die Blütezeit der Biochemie fällt in das 20. Jahrhundert.

    Fast ausschließlich dem 20. Jahrhundert gehören auch alle Untersuchungen an, die mit dem Innern des Atoms, seinem Aufbau und seinen Umwandlungen zu tun haben. Auf die Entdeckung der Radioaktivität folgten die künstliche Elementumwandlung und die Kernspaltung des Atoms. Das Bohr’sche Atommodell mit seinen Verfeinerungen vermittelte einen Einblick in die Struktur des Atoms. Forschungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigten, dass auch der Atomkern eine Struktur besitzt¹.

    1.2 Quantifizierung der Chemie

    Die stöchiometrischen Gesetze sind ein Teilaspekt des umfassenderen Themas der Quantifizierung der Chemie . Ob eine Quantifizierung der Chemie, d. h. eine Anwendung der Mathematik auf die Chemie, möglich oder überhaupt wünschenswert ist, ist nicht so selbstverständlich, wie man zunächst annehmen könnte. Anders als in der Physik kann man nämlich in der Chemie nicht von den individuellen Eigenschaften der Stoffe absehen, denn die Stoffe mit ihren vielfältigen Eigenschaften und die stofflichen Veränderungen bilden ja gerade den Gegenstand der Chemie. So wichtig quantitative Gesetzmäßigkeiten sind, kann sich die Chemie daher nicht ausschließlich auf die Erforschung mathematisch‐funktioneller Zusammenhänge beschränken².

    Nicht alles, was unter der Bezeichnung „Quantifizierung der Chemie" läuft, hat denselben Stellenwert. Man muss nämlich unterscheiden zwischen quantitativen Techniken und quantitativen Konzepten. Quantitative Techniken sind beispielsweise die Bestimmung des Gewichts, des spezifischen Gewichts oder des Schmelzpunkts, quantitative Konzepte die stöchiometrischen Gesetze, die chemische Atomtheorie oder das Periodensystem der chemischen Elemente. Quantitative Techniken sind zwar auch als solche für die Chemie unentbehrlich, aber sie führen nur dann zu vertieften wissenschaftlichen Aussagen, wenn sie Bestandteil eines quantitativen Konzepts werden³.

    Die Wurzeln einer Quantifizierung der Chemie gehen bis auf das Altertum zurück. Hierbei sind drei Richtungen festzustellen: die Anwendung quantitativer Techniken in der Chemie, die philosophische oder religiöse Überzeugung von einer mathematisch‐harmonischen Ordnung der Welt und die Ansätze zu quantitativen Konzepten in der Chemie. Über die Entstehung und weitere Entwicklung dieser Richtungen im Altertum und Mittelalter⁴ sowie in der Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert⁵ war in früheren Kapiteln berichtet worden. Hier sollen die wichtigsten Fakten kurz zusammengefasst werden.

    Was die Anwendung quantitativer Techniken in der Chemie betrifft, war die Waage in Mesopotamien und Ägypten seit dem 3. Jahrtausend in Gebrauch, und in Keilschrifttexten aus dem 1. Jahrtausend findet man Gewichtsangaben für die Ausgangsprodukte. Besonders empfindliche Waagen wurden im arabischen Kulturbereich hergestellt; sie wurden in der Probierkunst und im Münzwesen verwendet. Die theoretischen Grundlagen für die Bestimmung des spezifischen Gewichts legte Archimedes. Sehr genaue Zahlenwerte für die spezifischen Gewichte der Metalle ermittelte al‐Bīrūnī.

    Die philosophisch oder religiös begründete Überzeugung von einer harmonisch geordneten, zahlenmäßig erfassbaren Struktur der Welt wurde zum ersten Mal von den Pythagoreern ausgesprochen, welche die Anschauung vertraten, dass die Zahlen die Grundlagen aller Dinge seien. Dieser pythagoreische Grundgedanke wurde zum Ausgangspunkt für eine Quantifizierung der Naturwissenschaften einschließlich der Chemie.

    Im abendländischen Bereich berief man sich dabei oft auf einen Satz aus der jüdischen Weisheitsliteratur, der auf pythagoreische Einflüsse zurückgeht, dass Gott alle Dinge nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet habe. Dieser Satz war nicht nur eine Metapher, sondern schon im Mittelalter ein Motiv für viele Gelehrte, die Natur auf ihre Quantifizierbarkeit hin zu untersuchen. Dass er auch noch an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert von Bedeutung war, lässt sich daran ablesen, dass er von Richter, dem Entdecker des Gesetzes der äquivalenten Proportionen, und von Proust, dem Verfechter des Gesetzes der konstanten Proportionen, zitiert wird. Noch im Jahr 1870, als in Leipzig ein großes chemisches Institut gebaut wurde⁶, ließ Kolbe im Hörsaal den Satz aus dem Buch der Weisheit anbringen. Unmittelbar darunter befand sich eine Tabelle der damals bekannten Elemente mit ihren Atomgewichten – die Entdeckung des Periodensystems gerade in diesen Jahren war noch nicht allgemein bekannt.

    Auch die Ansätze zu quantitativen Konzepten in der Chemie lassen sich bis auf das Altertum zurückführen. Empedokles machte in seiner Elementenlehre bei einigen Stoffen Aussagen über deren quantitative Zusammensetzung aus den vier Elementen. Platon, in dessen Philosophie die Mathematik einen hohen erkenntnistheoretischen Stellenwert einnahm, ordnete den vier Elementen vier reguläre Polyeder zu. Der arabische Alchemist Ğābir ibn Ḥaiyān machte in seiner Elementenlehre Zahlenangaben für die Urqualitäten der Metalle, die er einem magischen Quadrat entnahm.

    Während derartige Ansichten über eine Quantifizierbarkeit der Natur im Altertum und arabischen Mittelalter isolierte Beispiele darstellen, trat im lateinischen Mittelalter eine breitere wissenschaftliche Strömung auf, die in diese Richtung zielte, wobei insbesondere die Schule von Chartres zu erwähnen ist. Für die Chemie kann ein kleines Werk von Nikolaus von Kues über Versuche mit der Waage als programmatisch angesehen werden, in dem er die Anwendung der Waage in Physik, Chemie, Astronomie und Medizin empfiehlt.

    Derartige Impulse waren die Ursache dafür, dass seit dem 16. Jahrhundert die Waage auch als methodisches Hilfsmittel zunehmend Eingang in die Chemie fand, d. h. zur Beantwortung wissenschaftlicher Fragen diente. Van Helmont, Glauber, Boyle und andere Forscher verfolgten ihre Experimente quantitativ, und Mayow, Black, Cavendish, Priestley, Scheele und Lavoisier berücksichtigten bei ihren Versuchen auch die Volumina der Gase.

    Im 18. Jahrhundert wurde vereinzelt die Forderung nach einer weitergehenden Mathematisierung der Chemie erhoben. Lomonossow vertrat die Ansicht, dass Chemiker und Mathematiker in einer Person vereint sein müssten, um zu den Geheimnissen der Chemie vorzudringen. Der in Königsberg lehrende Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) stellte 1786 in seinem Werk Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft⁷ die These auf, dass eine Wissenschaft im eigentlichen Sinne nicht nur eine empirische, sondern eine apodiktische Gewissheit aufweisen müsse und dass dies nur mit Hilfe der Mathematik möglich sei. Die Chemie bezeichnete er daher nicht als eine Wissenschaft, sondern als eine systematische Kunst, da sie einer mathematischen Behandlung nicht zugänglich sei.

    Diese herausfordernde These Kants erhielt wenige Jahre später von den Chemikern eine Antwort, und zwar von Richter, dem Entdecker des Gesetzes der äquivalenten Proportionen. Jeremias Benjamin Richter (1762–1807)⁸ war für einige Jahre im Ingenieurcorps der preußischen Armee tätig, studierte in Königsberg Mathematik und promovierte 1789 mit einer Dissertation über den Gebrauch der Mathematik in der Chemie. Er erhielt schließlich eine feste Anstellung als Sekretär beim Oberbergamt in Breslau und wurde 1798 zweiter Chemiker an der Berliner Porzellanmanufaktur. Seine experimentellen und literarischen Arbeiten führte er nach seiner Promotion bei einem Adligen in der Nähe von Glogau durch, wo er sich auch ein Laboratorium einrichtete, später meist in den Nachtstunden außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit.

    Ein Jahr nach der Entdeckung des Gesetzes der äquivalenten Proportionen⁹, nämlich im Jahr 1792, veröffentlichte er den ersten Teil eines Werks mit dem Titel Anfangsgründe der Stöchyometrie oder Meßkunst chymischer Elemente¹⁰. In diesem Werk, in dem er seine experimentellen Ergebnisse publizierte, prägte er den Begriff Stöchiometrie, der dann von den Chemikern übernommen wurde. Im Vorwort setzte er sich mit der Mathematisierbarkeit der Chemie auseinander und ordnete große Teile der Chemie als Teilgebiete der angewandten Mathematik ein. Allerdings, so musste er einräumen, sei im Hinblick auf eine Quantifizierung der Chemie bisher noch wenig geschehen. Er führte dieses Versäumnis darauf zurück, dass sich die Chemiker selten mit der Mathematik beschäftigen und sich die Mathematiker nicht für quantitative Aspekte in der Chemie interessierten.

    Die stöchiometrischen Gesetze und insbesondere die chemische Atomtheorie lieferten dann in der Folgezeit einen Beweis dafür, dass eine Quantifizierung der Chemie möglich war, was von namhaften Forschern wie Lavoisier oder Berzelius als ein erstrebenswertes Fernziel der Chemie angesehen wurde. Jetzt war die Chemie zum ersten Mal im Besitz von einigen grundlegenden quantitativen Konzepten. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung stellte zweifellos die Entdeckung des Periodensystems der chemischen Elemente in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar. Der mathematische Aufwand bei der Berechnung derartiger quantitativer Zusammenhänge war allerdings relativ bescheiden, sieht man einmal von der Thermodynamik und ähnlichen Gebieten ab. Dies änderte sich erst seit dem zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts, als die Quantentheorie in die Chemie einzudringen begann¹¹. Seither kann man auf diesem Gebiet mit vollem Recht von einer mathematischen Durchdringung der Chemie sprechen¹²,¹³,¹⁴.

    1.3 Das Gesetz von der Erhaltung der Materie bei chemischen Reaktionen

    Das Gesetz von der Erhaltung der Materie bei chemischen Reaktionen gehört nicht zu den stöchiometrischen Gesetzen im engeren Sinne, sondern stellte deren Grundlage dar. Es besagt, dass bei allen chemischen Reaktionen die Gesamtmaterie der Reaktionsteilnehmer unverändert bleibt. Dieses Gesetz kann, wenn man seine historische Entwicklung verfolgt, in zwei Gesetzmäßigkeiten aufgespalten werden: in das Gesetz von der Unzerstörbarkeit der Materie und in das Gesetz von der Erhaltung der chemischen Art.

    Das Gesetz von der Unzerstörbarkeit der Materie lässt sich bis zu den vorsokratischen Philosophen zurückverfolgen. Für Empedokles, Anaxagoras und Demokrit sind die Teilchen der Materie unentstanden, unveränderlich und unvergänglich. Bei Empedokles beispielsweise wird das Gesetz in der Weise formuliert, dass aus Nicht‐Seiendem nichts entstehen kann und Seiendes nicht völlig zugrunde gehen kann. Bereits einige Jahrhunderte später war der Satz in der Formulierung „De nihilo nihil" (Von nichts kommt nichts) Allgemeingut.

    Das Gesetz von der Erhaltung der chemischen Art hat seine Wurzeln in den praktischen Erfahrungen der Berg‑ und Hüttenleute und der Alchemisten des Mittelalters. Sie stellten z. B. fest, dass man calcinierte Metalle wieder in die Metalle überführen konnte oder dass sich der Vorgang der Calcination und Reduktion mehrfach wiederholen ließ. Derartige Beobachtungen, dass die chemischen Stoffe nach den verschiedensten Prozeduren in ihre eigene Art zurückverwandelt werden können, nahmen seit dem 16. Jahrhundert an Häufigkeit und Bedeutung zu¹⁵.

    Die Unzerstörbarkeit des Stoffes, die Erhaltung der chemischen Art, die Erhaltung des Gewichts und die Umkehrbarkeit chemischer Reaktionen wurden im Laufe des 17. Jahrhunderts für die Chemiker zu feststehenden Erfahrungsgesetzen, ohne dass damals eine theoretische Erklärung dafür gegeben werden konnte. Lavoisier , der gelegentlich fälschlich als der Entdecker des Gesetzes von der Erhaltung der Materie bei chemischen Reaktionen bezeichnet wird, gab lediglich eine sehr prägnante Formulierung. Er sagt in seinem chemischen Lehrbuch im Zusammenhang mit der alkoholischen Gärung, dass bei allen chemischen Operationen die Materiemenge vor und nach der Reaktion die gleiche sei; auch die Art und die Menge der daran beteiligten Elemente bleibe erhalten¹⁶.

    Eine experimentelle Überprüfung des Satzes von der Erhaltung der Materie wurde erst in dem Augenblick für sinnvoll angesehen, als die analytischen Methoden außerordentlich stark verfeinert worden waren. In den Jahren zwischen 1890 und 1907 führte Hans Heinrich Landolt (1831–1910), Professor für Chemie in Aachen und seit 1880 in Berlin, sehr exakte Messungen durch, um die Gültigkeit des Gesetzes zu prüfen. In einem zusammenfassenden Aufsatz aus dem Jahr 1910 kam er zu dem Ergebnis, dass bis zu einer Größenordnung von weniger als 1/100 mg keine Abweichung von dem Gesetz der Erhaltung der Materie bei chemischen Reaktionen festzustellen war¹⁷.

    Als Landolt seine Ergebnisse veröffentlichte, waren seine Folgerungen letzten Endes bereits überholt. Inzwischen hatte nämlich Albert Einstein (1879–1955) im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie nachgewiesen, dass der Satz von der Erhaltung der Materie nicht exakt gilt, sondern dass selbst bei normalen chemischen Reaktionen eine, wenn auch winzige, Materiemenge in Energie übergeht oder aus dieser erzeugt wird. Die Materiedifferenz der betreffenden Reaktion lässt sich nach Einsteins Gesetz der Äquivalenz von Masse und Energie E = m · c² (E = Energie, m = Masse, c = Lichtgeschwindigkeit) berechnen.

    1.4 Das Gesetz der konstanten Proportionen

    Das Gesetz der konstanten Proportionen besagt, dass sich zwei Elemente immer in einem konstanten Gewichtsverhältnis zu einer chemischen Verbindung vereinigen. Dies soll am Beispiel der Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser demonstriert werden, wobei unter der Formelgleichung die entsprechenden Molekulargewichte stehen:

    $$ \begin{array}{c}\text{H}_{2} \\ 2\end{array}+\begin{array}{c}\frac{1}{2}\text{ O}_{2} \\ 16\end{array}\rightarrow \begin{array}{c}\text{H}_{2}\text{O} \\ 18\end{array}$$

    In allen Fällen ist das Gewichtsverhältnis von Wasserstoff zu Sauerstoff 1 : 8. Ist von einer Komponente mehr vorhanden, als dem angegebenen Mengenverhältnis entspricht, dann wird diese nicht umgesetzt. Das Gesetz der konstanten Proportionen ergibt sich als eine unmittelbare Folgerung aus der chemischen Atomtheorie.

    Vereinzelte Beispiele für das Gesetz der konstanten Proportionen gibt es im Altertum und arabischen Mittelalter. Empedokles gab in seiner Vier‐Elemente‐Lehre bei einigen Stoffen deren stöchiometrische Zusammensetzung an. So sollten Knochen aus Erde, Wasser und Feuer im Verhältnis 1 : 1 : 2 aufgebaut sein. Platon ordnete in seiner Vier‐Elemente‐Lehre die Elemente vier Polyedern zu, beispielsweise das Feuer dem Tetraeder, die Luft dem Oktaeder. Wenn das Feuer durch Zerlegung in die Dreiecksflächen und Rekombination in Luft übergeht, ergeben 2 Teile Feuer 1 Teil Luft. In der Elementenlehre von Ğābir ibn Ḥaiyān hat jedes Metall zwei Urqualitäten „außen und zwei „innen. Beispielsweise sollte das Gold „außen 3 Teile Wärme und 8 Teile Feuchtigkeit enthalten, „innen 1 Teil Kälte und 5 Teile Trockenheit¹⁸.

    Die Wurzeln für das Gesetz der konstanten Proportionen findet man jedoch nicht bei derartigen aus einer Theorie abgeleiteten Einzelbeispielen, sondern bei den praktischen Erfahrungen beim Umgang mit den Stoffen. In der praktischen Chemie war schon seit dem Altertum bekannt, dass man bei ganz bestimmten Mengenverhältnissen der Ausgangsprodukte eine maximale Ausbeute des gewünschten Endprodukts erhielt. Ein entscheidender Schritt wurde vollzogen, als man ausgehend von dieser Erfahrung allmählich zu der Überzeugung gelangte, dass die Stoffe nur in ganz bestimmten Gewichtsverhältnissen miteinander reagieren.

    Zu dieser Entwicklung trug bei, dass seit der Mitte des 17. Jahrhunderts einfache chemische Reaktionen – z. B. Neutralisationsreaktionen – entdeckt wurden, bei denen man konstante Mengenverhältnisse feststellte. Die experimentelle Basis für verallgemeinernde Aussagen blieb allerdings noch bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts ziemlich dürftig. Dennoch setzte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts allmählich die Überzeugung von den konstanten Proportionen durch. Sie wurde nur selten als Satz formuliert, sondern die Chemiker setzten sie bei ihren Experimenten stillschweigend voraus. Immerhin hatte sich die Überzeugung schon so sehr gefestigt, dass sie 1765 in der französischen Encyclopédie als ein „Dogma von ewiger Wahrheit" bezeichnet wurde, nämlich, dass alle Verbindungen aus bestimmten und unveränderlichen Proportionen ihrer Bestandteile zusammengesetzt sind¹⁹.

    Der Satz von den konstanten Proportionen rückte erst wieder durch eine wissenschaftliche Kontroverse ins Bewusstsein der Chemiker. Sie wurde in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts zwischen Berthollet und Proust ausgetragen. Claude Louis Berthollet (1748–1822) war nach Lavoisiers Tod der bedeutendste französische Chemiker²⁰. Joseph Louis Proust (1754–1826)²¹, zunächst Apotheker in Paris, wanderte nach Spanien aus und wurde Professor für Chemie in Segovia, Salamanca und schließlich in Madrid, wo er ein hervorragend ausgerüstetes Laboratorium hatte. Als 1808 während der napoleonischen Kriege Madrid von französischen Truppen belagert wurde, plünderten Bürger Madrids sein Laboratorium, und er kehrte bald darauf verarmt nach Frankreich zurück.

    Proust führte in den Jahren 1797 bis 1809 zahlreiche Untersuchungen über die Zusammensetzung von Mineralien und Verbindungen der Metalle durch. Dabei stieß er wiederholt auf das Gesetz der konstanten Proportionen, und gelegentlich formulierte er es auch. So sprach er in einer Veröffentlichung von 1799 davon, dass die Natur bei der Bildung von Verbindungen die Waage halte, und griff damit einen Gedanken auf, den bereits Seneca geäußert hatte²². Dies sei die Ursache für die für immer unveränderlichen Proportionen und die konstanten Eigenschaften, welche die echten Verbindungen charakterisierten²³. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1806 wiederholte er die Aussage von der Natur mit der Waage in der Hand, wobei das Zitat „pondere et mensura" (nach Gewicht und Maß) aus dem Buch der Weisheit stammt. Auch hier sprach er bei den von ihm untersuchten Verbindungen von festen Proportionen und von unveränderlichen Verhältnissen ihrer Elemente²⁴.

    Die Kontroverse zwischen Proust und Berthollet – die übrigens sachlich geführt wurde – begann, nachdem Berthollet 1803 sein Werk Essai de statique chimique veröffentlicht hatte²⁵. Berthollet war durch seine Untersuchungen über die Affinität²⁶ zu der Ansicht gelangt, dass die Zusammensetzung chemischer Verbindungen nicht konstant war, sondern innerhalb gewisser Grenzen beliebig variierte. Wenn dennoch eine konstante Zusammensetzung ermittelt wurde, dann betrachtete er dies als einen Spezialfall. Seine Untersuchungen über die Bildung von Oxiden und Sulfiden, Metalllegierungen, Amalgamen und Gläser schienen ihm recht zu geben.

    Bei den Oxiden und Sulfiden, die beide Forscher untersucht hatten, wies Proust nach, dass es sich bei Berthollets Substanzen um Mischungen mehrerer Oxide mit jeweils wohldefinierter Zusammensetzung handelte. Die Kontroverse endete letztlich unentschieden. Die inzwischen von Dalton aufgestellte chemische Atomtheorie trug aber dazu bei, dass die Mehrzahl der Chemiker weiterhin von der Richtigkeit des Gesetzes der konstanten Proportionen überzeugt war²⁷.

    Im 19. Jahrhundert wurde das Gesetz der konstanten Proportionen dennoch zweimal einer intensiven Prüfung unterzogen. Die erste Reihe von Versuchen, die ab 1810 veröffentlicht wurde, stammt von Berzelius²⁸. Der belgische Chemiker Jean Servais Stas (1813–1891) führte außerordentlich genaue Atomgewichtsbestimmungen durch, die größtenteils 1860 und 1865 publiziert wurden²⁹. Diese Untersuchungen waren für ihn kein Selbstzweck, sondern sie dienten unter anderem zur Überprüfung des Gesetzes der konstanten Proportionen. Beide Forscher konnten innerhalb der damals erreichbaren Genauigkeit die Gültigkeit des Gesetzes bestätigen.

    Neue Gesichtspunkte ergaben sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den russischen Chemiker Nikolaj Semenowitsch Kurnakow (1860–1941)³⁰, Professor für Chemie in St. Petersburg. Kurnakow stellte fest, dass auch bei Verbindungen mit anscheinend konstanter Zusammensetzung diese manchmal innerhalb enger Grenzen variierten. Er nannte derartige Verbindungen in einem 1914 erschienenen Aufsatz „Berthollide, im Gegensatz zu den Verbindungen mit exakt konstanter Zusammensetzung, die von ihm die Bezeichnung „Daltonide erhielten³¹.

    1.5 Richters Gesetz der äquivalenten Proportionen

    Das Gesetz der äquivalenten Proportionen ist von seiner Aussagekraft her das anspruchsvollste stöchiometrische Gesetz. Es besagt nach einer heutigen Formulierung, dass sich Elemente immer im Verhältnis ihrer Äquivalentgewichte zu chemischen Verbindungen vereinigen. Dabei sind die Äquivalentgewichte relative, auf das Gewicht einer Standardsubstanz bezogene Gewichte. Beispielsweise beträgt das Gewichtsverhältnis von Sauerstoff zu Wasserstoff im Wasser H2O 7,936, von Stickstoff zu Wasserstoff im Ammoniak NH3 4,632, was sich beides experimentell ermitteln lässt. Bezieht man diese Werte auf das Äquivalentgewicht 1 des Wasserstoffs als Standard, dann beträgt das Äquivalentgewicht des Sauerstoffs 7,936, des Stickstoffs 4,632. Das Gesetz ist auch dann gültig, wenn man statt der Elemente Verbindungen nimmt oder andere Standardsubstanzen oder Standardzahlen wählt.

    Das Gesetz der äquivalenten Proportionen lässt sich wie alle anderen stöchiometrischen Gesetze aus der chemischen Atomtheorie ableiten. Es macht aber nur Aussagen über das Gewichtsverhältnis der Komponenten, nicht über das Atomverhältnis in der betreffenden Verbindung. So sagt das Äquivalentgewicht 7,936 für Sauerstoff nichts darüber aus, ob es der Formel H2O, HO oder HO2 für Wasser entspricht.

    Im Gegensatz zu den bisher erörterten stöchiometrischen Gesetzen lässt sich beim Gesetz der äquivalenten Proportionen ein Entdecker angeben, nämlich Jeremias Benjamin Richter³². Seine Überzeugung von einer Quantifizierbarkeit der Chemie hat zweifellos seine Forschungsrichtung entscheidend beeinflusst. Die Untersuchungen über quantitative Zusammenhänge in der Chemie legte er in einer Art Fortschrittsberichte mit dem Titel Ueber die neuern Gegenstände der Chymie nieder³³, denen als Motto der Satz aus dem Buch der Weisheit vorangestellt ist, dass Gottes alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet habe. Kurz nach dem Erscheinen des ersten Berichts veröffentlichte er seine Versuchsergebnisse in einem gesonderten Werk mit dem Titel Anfangsgründe der Stöchyometrie oder Meßkunst chymischer Elemente, dessen erster Band 1792 erschien³⁴.

    Damals lag schon einiges experimentelles Material vor, das für eine Ableitung des Gesetzes verwertbar war. So fand Cavendish 1766, dass zur Neutralisation einer gegebenen Menge an Säure unterschiedliche Gewichtsmengen verschiedener Basen erforderlich waren, und er nannte die Gewichtsmengen dieser Basen Äquivalente. 1783 stellte der schwedische Chemiker Torbern Bergman (1735–1784)³⁵ Versuche an, um den Phlogistongehalt von Metallen zu bestimmen. Die von ihm erhaltenen Werte waren im Grunde Äquivalentgewichte, ohne dass er dies erkannte. Dasselbe gilt auch für die Messwerte des irischen Chemikers Richard Kirwan (1733–1812)³⁶, der 1783 die Mengen an Metallen und Basen bestimmte, die zur Neutralisation von 100 Teilen Salzsäure, Schwefelsäure und Salpetersäure erforderlich sind, und die Ergebnisse in Tabellen zusammenstellte.

    Richter formulierte das Gesetz der äquivalenten Proportionen zum ersten Mal 1791 im ersten Teil seiner Fortschrittsberichte Ueber die neuern Gegenstände der Chymie³⁷. Zur Ableitung des Gesetzes ging er von der Beobachtung aus, dass neutrale Salze bei doppelter Umsetzung ebenfalls wieder neutrale Verbindungen ergaben. Dieser Sachverhalt ist als Neutralitätsgesetz bekannt. Daraus folgerte Richter, „dass es ein bestimmtes Verhältnis zwischen den Massen jeder neutralen Verbindung geben muss und dass die Glieder der Verhältnisse von solcher Beschaffenheit sind, dass sie aus der Masse der neutralen Verbindungen selbst bestimmt werden können. Diese Aussage präzisierte er mit Hilfe von Buchstaben: „Wenn z. B. die Bestandteile zweier neutraler Verbindungen A–a, a und B–b, b wären, dann sind die Massen‐Verhältnisse der durch die Doppelverwandtschaft entstandenen neutralen Verbindungen unveränderlich (A–a):b und (B–b):a.

    Richters Formulierung des Gesetzes der äquivalenten Proportionen soll mit Hilfe einer Zeichnung erläutert werden³⁸. Das Beispiel einschließlich der Reaktionsgleichung ist den Anfangsgründen der Stöchyometrie entnommen³⁹. Es geht dabei um die Umsetzung von Bariumchlorid BaCl2 mit Magnesiumsulfat MgSO4 unter Ausfällung von Bariumsulfat BaSO4. Das Reaktionsschema ganz oben entspricht der Schreibweise von Richter, wobei die Zahlen die entsprechenden Äquivalentgewichte bedeuten, bezogen auf das Äquivalentgewicht 1000 für Salzsäure. Um zu Richters Zahlenwerten und Buchstaben zu gelangen, muss man die heutigen Formeln der Salze in ihren basischen und sauren Anteil zerlegen, also z. B. BaCl2 in BaO und 2 HCl. Setzt man dann für A–a und a sowie B–b und b die entsprechenden Werte ein, so kommt man zu dem von Richter angegebenen Massenverhältnissen vor und nach der Reaktion. Dies ist ein spezieller Fall des Gesetzes der konstanten Proportionen.

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    Abb. 1.1

    Gesetz der äquivalenten Proportionen nach J. B. Richter

    In seinen Forschungsberichten gab er einige Jahre später eine allgemeinere, sehr abstrakte Definition des Gesetzes. Obwohl er zahlreiche Äquivalentgewichte ermittelte, bezog er sie auf keinen allgemeinen Standard; auch stellte er die Äquivalentgewichte nicht in einer Tabelle zusammen. Das liegt großenteils daran, dass er das Gesetz der äquivalenten Proportionen nicht als seine wichtigste Entdeckung ansah, sondern dass er noch tiefere mathematische Zusammenhänge gefunden zu haben glaubte. Er meinte nämlich, dass sich die Äquivalentgewichte der Säuren gegenüber einer Base in geometrischen Reihen zusammenstellen ließen, die Äquivalentgewichte der Basen gegenüber einer Säure in arithmetischen Reihen. Eine derartige Reihe umfasste beispielsweise die „Erden" von Aluminium, Magnesium, Calcium und Barium. Damit wurde die von ihm gefundene Gesetzmäßigkeit zu einem frühen Vorläufer des Periodensystems⁴⁰.

    Richters Werke trugen nur wenig zur Verbreitung seines Gesetzes der äquivalenten Proportionen bei. Das ist teilweise auf Richters komplizierten Stil und seine abstrakt‐mathematischen Formulierungen zurückzuführen. So wurde das Gesetz nur auf Umwegen der Öffentlichkeit bekannt. Als Ernst Gottfried Fischer , Lehrer in Berlin, 1802 ein Werk von Berthollet Recherches sur les lois de l’affinité ins Deutsche übersetzte⁴¹, gab er im Kommentar eine klare Zusammenfassung von Richters Gedanken und veröffentlichte eine Tabelle der Richter’schen Äquivalentgewichte, bezogen auf den einheitlichen Wert 1000 für Schwefelsäure. Diese Tabelle übernahm Berthollet ein Jahr später in sein Werk Essai de statique chimique, das die Kontroverse mit Proust auslöste.

    Über den schottischen Chemiker Thomas Thomson (1773–1852) erfuhr schließlich Dalton etwas von der Äquivalentgewichtstabelle in Berthollets Werk. Inzwischen hatte Dalton aber schon auf ganz anderen Wegen seine chemische Atomtheorie aufgestellt, und aus dieser ergab sich das Gesetz der äquivalenten Proportionen so offensichtlich, dass Dalton einen Hinweis auf diese Gesetzmäßigkeit für überflüssig hielt. So kam es, dass Richter und sein Beitrag zur Chemie für lange Zeit in Vergessenheit geriet⁴².

    1.6 Das Gesetz der multiplen Proportionen

    Das Gesetz der multiplen Proportionen lautet: Wenn sich zwei Elemente miteinander zu mehr als einer Verbindung vereinigen, dann stehen die Gewichtsanteile der beiden Elemente in den verschiedenen Verbindungen zueinander im Verhältnis ganzer Zahlen. Ermittelt man beispielsweise in den Oxiden des Stickstoffs N2O, NO, N2O3 und NO2 das Gewichtsverhältnis O : N, dann zeigt sich, dass es das Doppelte, Drei‑ oder Vierfache des Wertes für das N2O beträgt. Auch das Gesetz der multiplen Proportionen lässt sich aus der chemischen Atomtheorie ableiten.

    Die Entdeckung des Gesetzes der multiplen Proportionen geht auf John Dalton (1766–1844), den Schöpfer der chemischen Atomtheorie, zurück⁴³. Dieses Gesetz wird jedoch von Dalton nirgends als solches formuliert, sondern er operierte mit ihm lediglich als einem Bestandteil seiner chemischen Atomtheorie. Bereits in seinen Notizen aus dem Jahr 1803, als er zum ersten Mal seine Atomtheorie skizzierte, ist das Gesetz der multiplen Proportionen implizit enthalten. Unter diesen Notizen findet man auch Atomgewichte für Sauerstoff und Stickstoff und Formeln für einige Stickstoffoxide⁴⁴. Mit Hilfe dieser Daten lässt sich, wie aus dem rechten Teil der Abbildung ersichtlich, das Gesetz der multiplen Proportionen ableiten.

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    Abb. 1.2

    Gesetz der multiplen Proportionen nach dem Notizbuch von J. Dalton

    Auch in seinem Werk A New System of Chemical Philosophy, in dem Dalton seine Atomtheorie weiter ausbaute⁴⁵, stößt man auf keine Formulierung des Gesetzes. Er nennt lediglich Beispiele wie die Stickstoffoxide und gibt an, aus wie vielen Atomen Stickstoff und Sauerstoff diese jeweils zusammengesetzt sind. Als 1808 der erste Band des New System erschien, lag einiges experimentelles Material zum Gesetz der multiplen Proportionen vor. So hatte Proust gefunden, dass einige Metalle mehr als ein Oxid oder Sulfid von jeweils konstanter Zusammensetzung bilden. Dalton selbst hatte multiple Proportionen bei den Stickstoffoxiden N2O, NO und NO2, beim Methan CH4 und Äthylen C2H4 entdeckt. Thomson fand diese Gesetzmäßigkeit 1808 beim Kaliumoxalat K2(COO)2 und Kaliumhydrogenoxalat KH(COO)2 und Daltons Landsmann William Hyde Wollaston (1766–1828) im selben Jahr beim Kaliumcarbonat K2CO3 und Kaliumhydrogencarbonat KHCO3, Kaliumsulfat K2SO4 und Kaliumhydrogensulfat KHSO4. Wollaston stellte in seiner Veröffentlichung resigniert fest, dass diese seine Untersuchungen eigentlich überflüssig waren, da sie Spezialfälle von Daltons umfassenderer Theorie seien.

    1.7 Gay‐Lussacs chemisches Volumengesetz

    Das chemische Volumengesetz besagt, dass sich gasförmige Stoffe in ganzzahligen Volumenverhältnissen miteinander vereinigen. Beispielsweise reagieren 2 Volumina Wasserstoff mit 1 Volumen Sauerstoff zu Wasser, das, wenn es gasförmig vorliegt, 2 Volumina ergibt:

    $$ \begin{array}{c}2\text{ H}_{2} \\ 2\text{ Volumina}\end{array}+\begin{array}{c}\text{O}_{2} \\ 1\text{ Volumen}\end{array}\rightarrow \begin{array}{c}2\text{ H}_{2}\text{O} \\ 2\text{ Volumina}\end{array} $$

    Das Volumengesetz lässt sich aus Avogadros Molekulartheorie und der kinetischen Gastheorie ableiten.

    Der Entdecker des chemischen Volumengesetzes ist Joseph Louis Gay‐Lussac (1778–1850)⁴⁶, der in dem Jahr, als er das Gesetz veröffentlichte, Professor an der École Polytechnique und gleichzeitig Professor für Physik an der Sorbonne wurde. Der Aufsatz, in dem er das Volumengesetz formulierte, erschien 1809⁴⁷. Vier Jahre früher hatte er in einer gemeinsamen Arbeit mit Alexander von Humboldt (1769–1859) entdeckt, dass sich 2 Volumina Wasserstoff mit 1 Volumen Sauerstoff zu Wasser vereinigen. In seinem Aufsatz fügte er nur wenige eigene Experimente hinzu. Er setzte Chlorwasserstoff HCl, Bortrifluorid BF3 und Kohlenstoffdioxid CO2 mit Ammoniak NH3 um und registrierte jedesmal ein ganzzahliges Volumenverhältnis.

    Die übrigen Beispiele für sein Gesetz entnahm er den Experimenten anderer Forscher, teils direkt, teils, indem er sie umrechnete. Hierzu gehören die Reaktion von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak, von Schwefeldioxid SO2 und Sauerstoff zu Schwefeltrioxid SO3, von Kohlenstoffmonoxid CO und Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid CO2 und von Stickstoff und Sauerstoff zu den drei Stickstoffoxiden N2O, NO und NO2. Auch hier ergaben sich ganzzahlige oder annähernd ganzzahlige Volumenverhältnisse.

    Aus diesen Versuchsergebnissen zog Gay‐Lussac den Schluss, dass die Verbindung gasförmiger Stoffe miteinander immer unter den einfachsten, ganzzahligen Volumenverhältnissen verlief. War der eine Wert 1, dann betrug der andere 1, 2 oder höchstens 3.

    In Bezug auf die theoretische Deutung seiner Ergebnisse war Gay‐Lussac sehr zurückhaltend. Er wusste zwar von Daltons Atomtheorie, aber er vermied es, sich in dieser Richtung allzu sehr festzulegen. So blieb es Amedeo Avogadro (1776–1858) vorbehalten, durch Kombination von Daltons chemischer Atomtheorie mit Gay‐Lussacs Volumengesetz seine Molekulartheorie aufzustellen⁴⁸,⁴⁹.

    Fußnoten

    1

    Zu einem Überblick über die frühe Chemie (Altertum und Mittelalter) Kap. 11 (Bd. 1), über die neuzeitliche Chemie (16. bis 18. Jahrhundert) Abschn. 12.1.

    2

    Ströker, Elisabeth: Denkwege der Chemie. Elemente ihrer Wissenschaftstheorie. Freiburg im Breisgau und München 1967, S. 7–9.

    3

    Crombie, A. C.: Quantification in Medieval Physics. Isis 52 (1961), 143–160.

    4

    Abschn. 11.11 (Bd. 1).

    5

    Abschn. 12.10 (Bd. 1).

    6

    Abschn. 9.​3.

    7

    Kant, Immanuel: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. Riga 1786. – Abgedr. in: Werke in 12 Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Bd. 8. Wiesbaden 1957, S. 9–135.

    8

    Dictionary of Scientific Biography. Hrsg. von Charles Coulston Gillispie. Bd. 11. New York 1975, S. 434–438.

    9

    Näheres zur Entdeckung dieses Gesetzes Abschn. 1.5.

    10

    Richter, Jeremias Benjamin: Anfangsgründe der Stöchyometrie oder Meßkunst chymischer Elemente. Bd. 1, Tl. 1. Breslau und Hirschberg 1792.

    11

    Abschn. 5.​10.

    12

    Walden, Paul: Maß, Zahl und Gewicht in der Chemie der Vergangenheit. Ein Kapitel aus der Vorgeschichte des sogenannten quantitativen Zeitalters der Chemie (= Sammlung chemischer und chemisch‐technischer Vorträge. N. F. Heft 8). Stuttgart 1931.

    13

    Guerlac, Henry: Quantification in Chemistry. Isis 52 (1961), 194–214.

    14

    Coulson, C. A.: Mathematics in Modern Chemistry. Chemistry in Britain 10 (1974), 16–18. – Dtsch.: Die Mathematik in der modernen Chemie. Nachrichten aus Chemie und Technik 22 (1974), 95–97.

    15

    Näheres zu den Gesetzen der Unzerstörbarkeit der Materie und von der Erhaltung der chemischen Art Abschn. 11.11 (Bd. 1) und Abschn. 12.10 (Bd. 1).

    16

    Lavoisier, Antoine Laurent: Traité élémentaire de chimie. Bd. 1. Paris 1789, S. 140–141.

    17

    Landolt, Hans Heinrich: Über die Erhaltung der Masse bei chemischen Umsetzungen. Abhandlungen der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften, physikalisch‐mathematische Klasse (1910), Abhandlung 1.

    18

    Näheres zu diesen drei frühen Beispielen für das Gesetz der konstanten Proportionen Abschn. 11.11 (Bd. 1).

    19

    Näheres zur Herausbildung des Gesetzes der konstanten Proportionen im 17. und 18. Jahrhundert Abschn. 12.10 (Bd. 1).

    20

    Zu seiner Biographie Abschn. 18.8 (Bd. 1).

    21

    Dictionary, Fußnote 8, Bd. 11, 1975, S. 166–172.

    22

    „Et natura partes suas velut in ponderibus constitutas examinat" (Die Natur prüft ihre Teile, als ob sie auf einer Waage lägen). Seneca: Quaestiones naturales III, 10. 62–65. – Ausgabe: Naturales Quaestiones/Naturwissenschaftliche Untersuchungen. Hrsg. von M. F. A. Brok. Darmstadt 1995, S. 190.

    23

    Proust, Joseph Louis: Recherches sur le cuivre. Annales de Chimie 32 (1799), 26–54, hier S. 30–31.

    24

    Proust, Joseph Louis: Sur les mines de cobalt, nickel et autres. Journal de Physique, de Chimie et d’Histoire Naturelle 63 (1806), 364–377, hier S. 367–368.

    25

    Berthollet, Claude Louis: Essai de statique chimique. 2 Bde. Paris 1803.

    26

    Abschn. 18.8 (Bd. 1).

    27

    Kapoor, Satish C.: Berthollet, Proust, and Proportions. Chymia 10 (1965), 53–110.

    28

    Berzelius, Jacob: Försök, rörande de bestämda proportioner hvari den oorganiska Naturens beståndsdelar finnas förenade. Afhandlingar i Fysik, Kemi och Mineralogi 3 (1810), 162–276. – Dtsch. in erweiterter Form: Versuch, die bestimmten und einfachen Verhältnisse aufzufinden, nach welchen die Bestandteile der unorganischen Natur mit einander verbunden sind. Annalen der Physik 37 (1811), 249–334, 415–472; 38 (1811), 161–226; 40 (1812), 162–208, 235–330. – Teilw. abgedr. in: Versuch, die bestimmten … verbunden sind. Hrsg. von Wilhelm Ostwald (= Ostwald’s Klassiker der exakten Wissenschaften. Bd. 35). Leipzig 1892.

    29

    Abschn. 2.​6.

    30

    Kauffman, George B. und Beck, Alexander: Nikolaĭ Semenovich Kurnakov. Journal of Chemical Education 39 (1962), 44–49. – Abgedr. in: Selected Readings in the History of Chemistry. Hrsg. von Aaron J. Ihde und William F. Kieffer. Easton, Pennsylvania 1965, S. 191–196.

    31

    Kurnakow, N. S.: Verbindung und chemisches Individuum. Zeitschrift für anorganische Chemie 88 (1914), 109–127.

    32

    Zu seiner Biographie, zur Prägung des Wortes Stöchiometrie und zur Quantifizierung der Chemie Abschn. 1.2.

    33

    Richter, Jeremias Benjamin: Ueber die neuern Gegenstände der Chymie. 11 Tle. Breslau, Hirschberg und (ab Tl. 4) Lissa 1791–1802.

    34

    Richter, Jeremias Benjamin: Anfangsgründe der Stöchyometrie oder Meßkunst chymischer Elemente. 3 Bde. Breslau und Hirschberg 1792–1794 (vgl. Fußnote 10).

    35

    Zu seiner BiographieAbschn. 18.6 (Bd. 1).

    36

    Zu seiner Biographie Abschn. 17.8 (Bd. 1).

    37

    Richter, Fußnote 33, Tl. 1. Breslau und Hirschberg 1791, S. 74–75.

    38

    Abb. 1.1.

    39

    Richter, Fußnote 34, Bd. 2, Breslau und Hirschberg 1793, S. 6–8, 56.

    40

    Abschn. 4.​2.

    41

    Berthollet, Claude Louis: Recherches sur les lois de l’affinité. Paris 1801. – Dtsch.: Über die Gesetze der Verwandtschaft in der Chemie. Übers. von Ernst Gottfried Fischer. Berlin 1802.

    42

    Partington, James Riddick: Jeremias Benjamin Richter and the Law of Reciprocal Proportions. Annals of Science 7 (1951), 173–198; 9 (1953), 289–314.

    43

    Zu Daltons chemischer Atomtheorie Abschn. 2.​2.

    44

    Abb. 1.2.

    45

    Dalton, John: A New System of Chemical Philosophy. 3 Bde. Manchester 1808, 1810, 1827.

    46

    Professor für Chemie an der École Polytechnique und für Physik an der Sorbonne (1809), Oberaufsicht über die staatliche Schießpulverfabrik (1818), oberster Probierer in der Münze (1829), Professor für Chemie am Jardin des Plantes (1832). – Dictionary, Fußnote 8, Bd. 5, 1972, S. 317–327.

    47

    Gay‐Lussac, Joseph Louis: Mémoire sur la combinaison des substances gazeuses, les unes avec les autres. Mémoires de Physique et de Chimie de la Société d’Arcueil 2 (1809), 207–234, 252–253. – Dtsch.: Ueber die Verbindungen gasförmiger Körper eines mit dem andern. Annalen der Physik 36 (1810), 6–36. – Abgedr. in: Das Volumgesetz gasförmiger Verbindungen. Abhandlungen von Alex. von Humboldt und J. F. Gay‐Lussac (1805–1808). Hrsg. von W. Ostwald (= Ostwald’s Klassiker der exakten Wissenschaften. Bd. 42). Leipzig 1893, S. 21–38.

    48

    Abschn. 2.​4.

    49

    Für dieses Kapitel wurde folgende Sekundärliteratur verwendet: Partington, James Riddick: A History of Chemistry, Bd. 3. London; New York 1962, S. 640–688. – Partington, James Riddick: A Short History of Chemistry. London 1937.

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    Jost WeyerGeschichte der Chemie Band 2 – 19. und 20. Jahrhunderthttps://doi.org/10.1007/978-3-662-55802-7_2

    2. Atom- und Molekulartheorie

    Jost Weyer¹  

    (1)

    Behrkampsweg 1, 22529 Hamburg, Deutschland

    Jost Weyer

    Email: jutta.weyer@gmx.net

    2.1 Zur Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts

    2.2 Daltons chemische Atomtheorie

    2.3 Die Reaktion auf Daltons Atomtheorie

    2.4 Avogadros Molekulartheorie

    2.5 Die Reaktion auf Avogadros Molekulartheorie

    2.6 Die experimentelle Bestimmung von Atomgewichten

    2.7 Chemische Symbole für Elemente und Verbindungen

    2.8 Die Prout’sche Hypothese

    2.9 Gesetz von Dulong und Petit, Gesetz des Isomorphismus

    2.10 Grundsätzliche Widerstände gegen Atom‑ und Molekulartheorie

    2.11 Kontroversen um die Formelschreibweise und der Karlsruher Kongress

    2.1 Zur Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts

    Das 19. Jahrhundert¹ war – ähnlich wie das 20. – eine Zeit des Umbruchs und des raschen Wandels der Gesellschaft; der Begriff des Fortschritts bildete sich erst im Laufe dieses Jahrhunderts heraus. Einer der entscheidenden Faktoren für diesen Wandel war der Einfluss der Technik, der auch das tägliche Leben stark veränderte. Zu den Erfindungen, welche die sogenannte industrielle Revolution ermöglichten und begleiteten, gehören Dampfmaschine, Eisenbahn, Telefon und Automobil. Auch in der Landwirtschaft vollzog sich durch die Einführung neuer landwirtschaftlicher Geräte und Methoden ein Wandel. Das Wirtschaftssystem dieses Jahrhunderts bezeichnet man auch als das Zeitalter des Kapitalismus. Das wachsende Selbstbewusstsein in Bezug auf den erreichten Fortschritt spiegelte sich in den Weltausstellungen wider, von denen die erste 1851 in London stattfand.

    Der Zustrom der Menschen in die größeren Städte nahm derart zu, dass die damit entstehenden Probleme nicht bewältigt werden konnten. In den alten Hauptstädten Europas verdreifachte oder vervierfachte sich die Bevölkerungszahl, und in Amerika entstanden innerhalb weniger Jahrzehnte riesige Städte aus dem Nichts. An der Peripherie der Städte wucherten die Industrieviertel ins Land hinein. Die Schattenseite des Anwachsens der Städte waren Verarmung der Masse der Bevölkerung, Hunger, Seuchen und Zunahme der Kriminalität. Eines der brennenden Probleme des 19. Jahrhunderts war die sogenannte Arbeiterfrage, d. h. die Entwicklung der Arbeiterschaft zu einer gesellschaftlich und politisch relevanten Macht und deren Kampf um Anerkennung und rechtliche Gleichstellung mit dem Bürgertum.

    Will man das 19. Jahrhundert mit einigen Schlagwörtern charakterisieren und abgrenzen, so kann man die Zeit von 1815 bis 1848 als das Zeitalter der Restauration und Revolution bezeichnen und die Zeitspanne von 1848 bis 1900 als das Zeitalter der Nationalstaaten. Dabei stellen diese Jahreszahlen nur grobe Markierungspunkte dar, die in einzelnen Staaten beträchtliche Abweichungen aufweisen. Ein anderes Schlagwort ist das des Imperialismus, worunter der Kampf der Großmächte um die politische und wirtschaftliche Aufteilung der Welt zu verstehen ist. Diese Phase begann um 1880 und hatte 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine vorläufige Zäsur.

    Frankreich durchlief auch in der Zeit nach der französischen Revolution eine Phase des politischen Wandels. Nach dem Ende der Schreckensherrschaft unter Robespierre wurde eine republikanische Verfassung, das Direktorium, eingerichtet, die durch einen Staatsstreich Napoleons gestürzt und durch eine Konsularregierung ersetzt wurde; wenige Jahre später, 1804, ließ er sich zum französischen Kaiser krönen. Noch während der französischen Revolution begannen die sogenannten Koalitionskriege, die zwischen Frankreich und verschiedenen europäischen Staaten in unterschiedlicher Konstellation geführt wurden. Sie wurden von Napoleon, zunächst als Oberbefehlshaber des Heeres, später als Kaiser fortgesetzt, der die Hegemonie in Europa anstrebte und Italien, die Niederlande, Spanien, Preußen und andere deutsche Staaten besiegte. Der Feldzug nach Russland brachte die entscheidende Niederlage Napoleons, und die Schlacht von Waterloo besiegelte das Ende seiner Regierungszeit.

    Auf dem Wiener Kongress, der 1814/1815 tagte und an dem fast alle europäischen Staaten teilnahmen, wurden die politischen Verhältnisse Europas neu geordnet. Dies lief der Tendenz nach auf eine Restauration hinaus, zumal Klemens von Metternich, der führende Kopf des Kongresses, liberale und nationale Ideen ablehnte. Frankreich kehrte vorerst zur Monarchie zurück, die im Jahr der europäischen Revolutionen 1848 durch eine Republik abgelöst wurde. Der vom Volk als Präsident gewählte Louis Napoleon ließ sich jedoch wenige Jahre später nach einem Staatsstreich als Napoleon III. zum Kaiser ernennen, bis er nach der Niederlage im deutsch‐französischen Krieg abgesetzt wurde und Frankreich eine republikanische Verfassung erhielt.

    England erlebte in diesem Jahrhundert politisch keine so wechselvolle Geschichte. Während auf dem Kontinent um 1830 die Revolution wieder aufflackerte, wurde in England, das mehr zu Reformen als Revolutionen neigte, eine Parlamentsreform durchgeführt, die einige Verbesserungen brachte. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts war Königin Victoria die dominierende Gestalt, nach der diese Epoche auch die „viktorianische Ära" genannt wird. England war im 19. Jahrhundert führende Industrienation. Seine wirtschaftliche und politische Bedeutung lag nicht nur im europäischen Bereich, sondern mehr noch in Übersee. Wie andere Nationen Europas betrieb es eine imperialistische Politik und besaß Kolonien, darunter Indien, Südafrika und Ägypten.

    In Deutschland und Österreich verlief die Entwicklung nicht so kontinuierlich. Die deutschen Staaten erfuhren unter der Herrschaft Napoleons eine tief greifende Umstrukturierung, die auch dem „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" ein Ende bereitete. Die Befreiungskämpfe trugen zur Herausbildung eines deutschen Nationalbewusstseins bei. In Preußen wurden Verwaltungsreformen durch Stein und Hardenberg durchgeführt, Heeresreformen durch Scharnhorst und Gneisenau und Bildungsreformen durch Wilhelm von Humboldt. 1848 erlebte auch Preußen eine Revolution, die sich jedoch gegenüber den konservativen und reaktionären Kräften nicht durchsetzen konnte. In ähnlicher Richtung liefen auch die politischen Ereignisse in Österreich, wo Franz Joseph I. im Revolutionsjahr Kaiser von Österreich wurde und wie Königin Victoria mehr als ein halbes Jahrhundert regierte. Österreichs Interessen verlagerten sich vom ehemaligen deutschen Reich zunehmend zum Balkan hin.

    Der Versuch einer Einigung Deutschlands, wie sie in der 1848 in Frankfurt einberufenen Deutschen Nationalversammlung zum Ausdruck kam, scheiterte zunächst. Der weitere Verlauf der Ereignisse wurde maßgebend von Otto von Bismarck beeinflusst, der 1862 in Preußen zum Ministerpräsidenten ernannt wurde und eine Hegemonie Preußens erstrebte. Auf den Krieg von Österreich und Preußen gegen Dänemark folgte der Krieg Preußens gegen Österreich und 1870/1871 der deutsch‐französische Krieg. Bismarck nutzte die nationale Kriegsbegeisterung und gründete nach Absprache mit den deutschen Einzelstaaten das sogenannte zweite deutsche Kaiserreich. Der preußische König Wilhelm I. wurde deutscher Kaiser, Bismarck Ministerpräsident.

    Eine nationale Einigung gelang nach längeren Auseinandersetzungen auch Italien, wobei Camillo di Cavour, Ministerpräsident von Sardinien‐Piemont, führender Kopf der Einigungsbestrebungen war. 1861 wurde Victor Emanuel II. erster König des geeinten Italien, und ein Jahrzehnt später wurde Rom zur Hauptstadt erklärt. Griechenland führte einen Befreiungskrieg gegen die Türken und erlangte 1829 die Unabhängigkeit.

    Russland wurde sich nach Napoleons Niederlage beim Russlandfeldzug seiner militärischen Stärke zum ersten Mal bewusst. Zar Alexander I., der am Wiener Kongress teilgenommen hatte, gehörte zu den konservativen Herrschern. Unter seinen Nachfolgern, die sich auch in kriegerische Auseinandersetzungen, unter anderem auf dem Balkan, einließen, verschärften sich die innenpolitischen Spannungen. Da eine bürgerliche Mittelschicht fehlte, mussten Reformen, wenn es sie überhaupt gab, „von oben" kommen, so die Aufhebung der Leibeigenschaft durch Alexander II., der einem Attentat zum Opfer fiel. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich mit der Industrialisierung auch eine Arbeiterklasse heraus, die eine der Voraussetzungen für die russische Revolution war.

    Nordamerika gehörte zu den Ländern, in denen politische Reformen am weitesten fortgeschritten waren. Die Einwanderung von Europäern, insbesondere seit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, ließ die Bevölkerungszahlen schnell ansteigen. Zu einer schweren innenpolitischen Zerreißprobe wurde der sogenannte Sezessionskrieg zwischen den Nord‑ und Südstaaten, der mit einem Sieg der Nordstaaten und damit einer Erhaltung der politischen Union endete. Präsident der Vereinigten Staaten während dieser kritischen Zeit war Abraham Lincoln. In Südamerika ging in der ersten Hälfte des Jahrhunderts das spanisch‐portugiesische Kolonialreich zu Ende, und es entstanden politisch unabhängige Staaten. Zu den Freiheitsführern, die daran maßgebenden Anteil hatten, gehört Simón Bolívar.

    Der Kolonialismus, eng gekoppelt mit dem Imperialismus, erhielt seine charakteristische Ausprägung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein klassisches Beispiel ist Afrika, das völlig unter die europäischen Staaten aufgeteilt worden war, aber auch Vorder‑ und Hinterindien sind zu nennen. Auch der Bau des Suezkanals, der 1869 eingeweiht wurde, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. England war bestrebt, einigen seiner Kolonien innerhalb des britischen Empire größere politische Selbstständigkeit zu geben; den Anfang machte Kanada, das 1867 Dominion wurde.

    In der Malerei und bildenden Kunst dominierte zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Klassizismus, der seine Inspiration von der griechischen und römischen Antike empfing. Es folgte die Romantik, die nicht nur in der Kunst von Bedeutung war, mit einer Hinwendung zum Gefühl, zum Naturerlebnis und zur Epoche des Mittelalters. Eine Richtung der Malerei, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Frankreich aufkam, ist der Impressionismus, der den flüchtigen Augenblick festzuhalten suchte und Licht und Farbe besonders betonte; Claude Monet, Auguste Renoir und Paul Cézanne gehören unter anderem zu den impressionistischen Malern, während Vincent van Gogh dieser Stilrichtung nahe stand. Auch in der Architektur stand am Anfang der Klassizismus, jedoch gab es dann bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts keinen eigenständigen Baustil mehr, sondern man orientierte sich an der Vergangenheit – von der Antike bis zum Barock.

    Analog zur Malerei und Baukunst war in der Musik zu Anfang des Jahrhunderts noch die klassische Musik vorherrschend, der sich die romantische Musik anschloss. Zu den bedeutendsten Komponisten zählen Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Felix Mendelssohn‐Bartholdy, Richard Wagner, Guiseppe Verdi, Johannes Brahms und Pjotr Iljitsch Tschaikowski. In der Dichtung repräsentierte Johann Wolfgang von Goethe die Klassik, während Lew Nikolajewitsch Tolstoi und Émile Zola der Gattung des Romans zu Ansehen verhalfen.

    Auch die Geistes‑ und Naturwissenschaften spielten im 19. Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Rolle. Einflussreiche Philosophen waren Georg Wilhelm Friedrich Hegel als Vertreter des deutschen Idealismus, Auguste Comte als Begründer des Positivismus und Friedrich Nietzsche mit seiner Lehre vom Übermenschen sowie der Theologe Søren Kierkegaard, der die Verantwortung des Einzelnen gegenüber Gott betonte. Die Geschichtsschreibung erlebte im 19. Jahrhundert eine Blüte, vertreten unter anderem durch Leopold Ranke.

    In der Astronomie maß Friedrich Wilhelm Bessel zum ersten Mal die Entfernung eines Fixsterns, in der Physik entdeckten Julius Robert Mayer, James Prescott Joule und Hermann Helmholtz das Gesetz der Äquivalenz von Wärme und Arbeit, in der Chemie eröffnete Justus Liebig in Gießen ein Unterrichtslaboratorium, das zum Vorbild für viele andere wurde, und Dmitri Iwanowitsch Mendelejew entdeckte zusammen mit anderen das Periodensystem der chemischen Elemente, in der Biologie begründete Charles Darwin mit seinem Werk On the Origin of Species die Abstammungslehre²,³.

    2.2 Daltons chemische Atomtheorie

    John Dalton (1766–1844)⁴,⁵,⁶, der Begründer der chemischen Atomtheorie , stammte aus einer armen Weberfamilie und war bis 1800 an verschiedenen Orten als Lehrer tätig. 1794 trat er in die Manchester Literary and Philosophical Society ein, deren Präsident er von 1817 bis zu seinem Tod war. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Atomtheorie in ihrer allgemeinen Form weit verbreitet. Besonders in England gab es in dieser Hinsicht eine von Newton beeinflusste Tradition, an die Dalton unmittelbar anknüpfen konnte. Nach Newton bestehen die Stoffe aus massiven, harten Atomen von unterschiedlicher Größe und Form, deren Vereinigung und Trennung er auf Anziehungs‑ und Abstoßungskräfte zurückführte⁷.

    Soweit sich die Vorgeschichte rekonstruieren lässt – es gibt sich widersprechende Berichte – kam Dalton wahrscheinlich durch seine Untersuchungen über Gasmischungen auf die chemische Atomtheorie. Ausgehend von Newtons Ansatz, wonach Gase aus sich abstoßenden Atomen oder Korpuskeln bestehen, und unter Zugrundelegung der damals bekannten Werte für die Dichte von Gasen versuchte er zu erklären, weshalb Sauerstoff, Stickstoff und Wasserdampf in der Atmosphäre eine völlig gleichmäßige Mischung ergeben. Nach verschiedenen Lösungsversuchen kam er auf die Idee, das Problem mit Hilfe des Gewichts der Gasteilchen zu lösen.

    In Daltons Notizbüchern findet sich zum ersten Mal am 6. September 1803 eine Eintragung, welche die Atomgewichte betrifft. In den sechs Seiten, welche die Eintragungen dieses Tages umfassen, ist bereits die gesamte chemische Atomtheorie enthalten: das Gewicht als charakteristische Atomgemeinschaft, die Bestimmung von Atom‑ und Molekulargewichten und das Gesetz der multiplen Proportionen. In den nächsten Wochen wandte Dalton seine Hypothese auf die Löslichkeit von Gasen an, und im Oktober hielt er einen Vortrag über dieses Thema vor der Manchester Society, der 1805 zusammen mit einer Atomgewichtstabelle veröffentlicht wurde⁸. In diesem Vortrag sagt er unter anderem, dass er sich seit Kurzem mit der Untersuchung der relativen Gewichte elementarer Teilchen (engl. the relative weights of the ultimate particles of bodies) beschäftige.

    Neue Impulse erhielt Dalton erst wieder ein Jahr später, als ihn sein Kollege Thomas Thomson (1773–1852)⁹, Dozent für Chemie in Edinburgh, besuchte und Dalton ihm von der Atomtheorie berichtete. Thomson gab in der 3. Auflage seines Lehrbuchs System of Chemistry, die 1807 erschien, eine kurz gefasste Darstellung von Daltons Atomtheorie. Etwa zur gleichen Zeit entwarf Dalton auch eine neue Theorie der Gasmischungen, wobei er die Atomtheorie zur Erklärung heranzog. Offenbar erkannte er erst jetzt die Bedeutung der Atomtheorie für die Chemie in ihrer vollen Tragweite. Er stellte jetzt für sich ein neues Forschungsprogramm

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