Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Versöhnliches Ende: Ein Streit der Zünfte
Versöhnliches Ende: Ein Streit der Zünfte
Versöhnliches Ende: Ein Streit der Zünfte
eBook273 Seiten3 Stunden

Versöhnliches Ende: Ein Streit der Zünfte

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Markt zu Rosenheim wird im 18. Jahrhundert von einer Auseinandersetzung zwischen zwei Zünften beherrscht: den Seilern und den Pechlern. Die Seiler stellen Seile und Wagenschmiere her, die Pechler brennen Pechöl. Nun wird dem Pechler Ellmayr vorgeworfen, dass auch er Wagenschmiere herstellen und illegal verkaufen würde. Es kommt zum Prozess, der sich über viele Jahre hinzieht und auch in den Familien für Streit sorgt. Zwischen den Fronten stehen Rosalia, die Tochter des Pechlers Ellmayr, und Franz, der Sohn eines Seilers. Bisher konnten sie ihre Liebe geheimhalten, doch wird sie den andauernden Streit der Zünfte überstehen?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Mai 2022
ISBN9783475549250
Versöhnliches Ende: Ein Streit der Zünfte

Ähnlich wie Versöhnliches Ende

Ähnliche E-Books

Historienromane für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Versöhnliches Ende

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Versöhnliches Ende - Horst Rankl

    Das Marktgericht

    Torknecht Franz Pontifeser, Rosenheims oberster und zugleich auch wichtigster Torknecht, stolziert mit geschwellter Brust und lauter Stimme über den Schrannenplatz. Aber noch viel lauter ist seine Handglocke, die er unablässig und mit großen, weit ausholenden Armbewegungen zum Läuten bringt. Das Echo des schrillen Glockenklangs springt von der Häuserzeile des Schrannenplatzes zur gegenüberliegenden und wieder zurück, und lässt die aufmerksame Bürgerschaft kaum verstehen, was der Pontifeser da in das Geläute hineinbrüllt. Zum Glück wiederholt er mehrmals seine, ihm vom Bürgermeister aufgetragene wichtige Ankündigung, sodass doch schließlich ein jeder mitbekommt, was er zu vermelden hat:

    »Aufgepasst, ihr Bürger zu Rosenheim! Aufgepasst! Schlag 8 Uhr ist Beginn der öffentlichen Gerichtsverhandlung. Es wird verhandelt: der Casus ›Seiler gegen Pechler‹.«

    Wieder einmal der Casus »Seiler gegen Pechler«, denkt sich da der eine oder andere Bürger und winkt resigniert ab. Das ist doch diese verflixte Streitsache, wo niemand so recht weiß, warum, wieso und wann diese endlose Geschichte angefangen hat. Bei Gott, man braucht da schon ein langes Gedächtnis.

    Heute schreibt man das Jahr 1715. Begonnen hat das Ganze aber bereits im Jahr 1698, also sage und schreibe vor 17 Jahren. Damals fingen die Seiler aus heiterem Himmel an, gegen den Pechler zu klagen. Vor dem Marktgericht. Genau vor jenem Gericht, das heute wieder in selber Sache zur Verhandlung aufgerufen hat. Dieses Mal jedoch öffentlich.

    Bürgermeister Wolf Jacob Ruedorffer besteht auf einer öffentlichen Verhandlung, weil er der festen Überzeugung ist, dass dadurch die ganze Sache schneller ein für alle Mal ausgeräumt werden könne. Er ist der Meinung, durch eine derartige Verhandlung werde der Druck auf die Streitparteien offenkundiger und somit nachteiliger, denn man könnte die Streitparteien besser bloßstellen und bekäme damit schneller Ruhe im Markt. Wenngleich des Bürgermeisters Gedanken etwas verwegen sind, so ist doch so mancher in der Bürgerschaft der Meinung, man solle nichts unversucht lassen, was dem Streit ein baldiges Ende bereite.

    Das Marktgericht zu Rosenheim tagt direkt vor dem Rathaus. Das Podium dazu haben die niederen Torknechte unter strenger Anweisung und scharfen Blicken des geschäftigen Pontifeser schon seit 6 Uhr morgens in aller Eile errichtet. Auf dem Podium stehen ein Tisch und drei Stühle. Der größere der Stühle ist dem Bürgermeister Wolf Jacob Ruedorffer vorbehalten. Die zwei kleineren Stühle sind für den Vertreter des Inneren Marktes, den Ratsherrn Franz Plest, und für den Vertreter des Äußeren Marktes, den Ratsherrn Johann Rieder, reserviert.

    Unmittelbar vor dem Podium, ebenerdig auf dem Pflaster, wie es sich gehört und auch, um den geziemenden Abstand zur Obrigkeit deutlich zu machen, haben die Torknechte die Gerichtsschranke aufgebaut. Eine Barriere aus Holz, schwer und massiv, seitlich links und rechts zum Einklappen, damit sie auch gut und sicher steht.

    Immer mehr Menschen kommen neugierig von allen Seiten, heftig diskutierend, herbei und drängen über die Schranke hinaus nach vorne zum Podium. Und dass das nicht leise und geordnet vonstattengeht, lässt sich kaum leugnen.

    Der Torknecht Franz Pontifeser eilt vor dem Podium hin und her wie ein geölter Blitz: »Ruhe! Haltet eure Gosch’n. Gleich tritt das Marktgericht zusammen. Ruhe! Herrschaftszeiten, müsst ihr denn dauernd so rumplärren! Gosch’n halten, hab ich gesagt. Ruhe! Zurücktreten! Da stellt euch her, da, hinter die Schranke.«

    Auch die anderen Torknechte, Hubertus Schweindl, Wilhelm Eisenhofer und wie sie alle heißen, haben alle Hände voll zu tun, um Ruhe und Ordnung herzustellen, um das Volk zu beschwichtigen und in großem Abstand von der Schranke fernzuhalten.

    Trotz all der Aufgeregtheit und Unruhe merkt man eine allmähliche Zweiteilung der Bürgerschaft. Einerseits gruppieren sich Sympathisanten der Seiler drüben und andererseits solche des Pechlers hüben zusammen. Gehässige Blicke fliegen von der einen Seite zur anderen, unverkennbare Gesten zeugen von gegenseitiger Geringschätzung und von Unmut. Es stimmt also, was man offen bekundet, dass es über den nun schon 17 Jahre lang andauernden Streit zwischen Seilern und Pechler so manchen Bürger gibt, der für die eine oder andere Gruppe Partei ergreift und dies auch noch deutlich zeigt. Nicht nur Seiler und Pechler streiten, sondern der ganze Markt Rosenheim ist mehr oder weniger gespalten.

    Vom Rathaus her kommen Bürgermeister Wolf Jacob Ruedorffer und die Herren des Marktrates, Franz Plest und Johann Rieder. Sie treten über die rückwärts an das Podium angebrachte Treppe herauf und bleiben in Würde und mit strengem Blick hinter dem Richtertisch stehen.

    Marktschreiber Thomas Frank betritt als Letzter das Podium und geht ganz nach vorne an die Rampe. Eine Weile verharrt er dort schweigend mit strengem Blick, bis allmählich Ruhe in der aufgeregten Schar der Bürgerschaft eintritt. Neugierige, erwartungsvolle Blicke gehen nach oben. Der Marktschreiber weiß, wie man eine unruhige Menge zum Schweigen bringt. Er macht dies nicht zum ersten Mal.

    Jetzt ist es so weit. Dreimal stößt der Marktschreiber mit seinem schwarzen, aus Ebenholz geschnitzten Amtsstab kräftig auf den Holzboden des Podiums, dass es laut und deutlich auf dem Schrannenplatz widerhallt.

    »Bürger zu Rosenheim, aufgepasst! Es wird verhandelt der Casus ›Seiler gegen Pechler‹. Das Gericht tagt öffentlich.«

    Kaum endet der Marktschreiber mit seiner Durchsage, redet alles wieder aufgeregt durcheinander und drängt nach vorne, um nur ja nichts zu überhören. Dabei überrennen die Zuschauer beinahe die Schranke. Eilig und so gar nicht zimperlich, zwingen die Torknechte mit Hilfe ihrer Spieße und Hellebarden die Schar der Neugierigen zurück. Ein Stoß mit dem Schaft der Hellebarde in die Seite, ein scharfer Spieß vor dem Gesicht und schnell ist der Platz hinter der Schranke wieder frei.

    Marktschreiber Thomas Frank wird lauter: »Die Streitparteien mögen sich hinter die Schranke begeben, von wo sie aufgerufen werden zu Rede und Antwort.«

    Begleitet von Torknechten mühen sich die vier klageführenden Seiler und der beklagte Pechler Ellmayr in den frei gehaltenen Raum hinter der Schranke. Zwischen den Kontrahenten steht ein weiterer Torknecht und achtet darauf, dass es nicht zu Handgreiflichkeiten kommt. Man ist aus früheren Verhandlungen schon gewarnt. Die Streithähne sind unberechenbar, ja geradezu unbeherrscht. Ein Wort gibt das andere und schnell ist eine tätliche Auseinandersetzung in vollem Gange. Also heißt es für die Ordnungshüter auf Abstand zu achten.

    Wieder ist es der Marktschreiber, der mit dreimaligem Pochen auf den Podiumsboden um Ruhe mahnt: »Die Handwerkerschaft der Seiler wird vertreten durch folgende Bürgersleute: Joseff Perger, Joseph Sandtner, Josef Wildt und Mathai Angler.« Beim Aufruf des Namens tritt jeder der Seiler nach vorn, unmittelbar an die Schranke.

    Der Marktschreiber ruft weiter aus: »Der Pechler und Bürgersmann Johann Baptist Ellmayr vertritt sich selbst in seinem Recht.« Auch der Pechler Ellmayr kommt nach vorne. Aufmerksam folgen ihm die Torknechte.

    Die vom Marktschreiber aufgerufenen Seiler sind alle noch jung, sehr jung. Denn es sind nicht mehr jene Seiler, die vor 17 Jahren den Streit vom Zaun gebrochen haben. Nein. Jetzt sind es die Söhne, die die Seilereien ihrer verstorbenen Vätern vererbt bekommen haben. Und weil sie nicht nur das Erbe der Betriebe, sondern auch die Streitbarkeit der Väter übernommen haben, sind sie sich bald einig, den Pechler Johann Baptist Ellmayr und auch die Rosenheimer Gerichtsbarkeit erneut herauszufordern.

    Der Pechler Johann Baptist Ellmayr hingegen ist noch derselbe. Ein Mannsbild im gestandenen Alter von 45 Jahren, der sich nun den Anfechtungen der Seiler zu widersetzen hat.

    Der Marktschreiber Thomas Frank tritt zurück an sein links des Bürgermeisters aufgestelltes Schreiberpult. Von dort wird er aufmerksam der Verhandlung folgen. Er wird das Protokoll führen und dem Bürgermeister in schwierigen Fragen zur Seite stehen. Schließlich ist er Jurist, hat das Recht an verschiedenen Universitäten studiert, bevor ihn der Markt Rosenheim zur Anstellung holte.

    Bürgermeister Wolf Jacob Ruedorffer ergreift das Wort: »Ich eröffne hiermit die Verhandlung.«

    Er und die beiden Ratsherren Franz Plest und Johann Rieder nehmen ihre Plätze ein. Der Bürgermeister gibt weitere Anweisungen: »Die Seiler sollen reden, was sie gegen den Johann Baptist Ellmayr, Pechler des Marktes zu Rosenheim, vorzutragen haben!«

    Die Seiler schweigen. Wer soll reden? Einer blickt den andern an. Doch schnell sind sie sich einig. Sie schauen auf ihren Kollegan Sandtner. Als der die Blicke merkt, deutet er auf sich. Die anderen Drei nicken heftig, als wollten sie sagen: Mach’s du, Sandtner, du bist der Richtige.

    Also bringt sich Sandtner in Positur und fängt gleich an, mit großen Worten den Ellmayr anzugreifen: »Bürgermeister, das ist eine große Sauerei, was der Ellmayr da treibt.«

    Eine solch laute und unangemessene Art der Anklage, so aus heiterem Himmel, ist dem Marktschreiber zu viel. Schnell schreitet er ein: »Langsam, langsam, Sandtner. Du redest jetzt nicht mit dem Bürgermeister, sondern mit dem hochehrwürdigen Herrn Marktrichter und so sprichst du ihn auch an, ordentlich und ruhig.«

    »Von mir aus«, kommt es trotzig vom Sandtner zurück.

    »Und du verzichtest auch ab sofort auf deine unflätigen Reden. Vor Gericht gibt’s keine ›Sauerei‹. Hast du verstanden?«

    »Wenn du das so sagst.«

    Sandtners bockiges Verhalten geht dem Marktschreiber gewaltig gegen den Strich: »Nur nicht frech werden! Benimm dich anständig! Und jetzt trägst du deine Beschwerde ordentlich vor.«

    »Wie soll man denn den Zustand beschreiben, den der Pechler seit geraumer Weile hinterlässt? Da gibt’s kein anderes Wort als Sauerei. Das muss schon einmal gesagt werden dürfen«, poltert der Sandtner von Neuem los.

    »Sandtner, willst jetzt aufhören!« Der Schreiber ist empört über das weitere ungebührliche Verhalten des Sandtner.

    In beleidigtem Ton und in gespielter Unterwürfigkeit ändert nun Sandtner sein Verhalten und beginnt noch einmal von vorne: »Hochehrwürdiger Herr Marktrichter. Also, das ist so, der Pechler Ellmayr betreibt sein Handwerk schändlich.«

    »Genau, so ist es. Der Ellmayr ist ein ausg’schamter Bazi«, ruft der Seiler Joseff Perger aufgeregt dazwischen.

    Der Marktschreiber Thomas Frank ist sichtlich erregt, weil seine Anordnungen auf Einhaltung von Ruhe und Ordnung nicht beachtet werden. Er macht ein paar Schritte auf dem Podium nach vorne an die Rampe und faucht den Perger von oben herab an:

    »Jetzt fängt der andere da unten auch noch unflätig zu reden an. Perger, halt dich zurück.«

    Der Bürgermeister ignoriert den Vorfall, denn ihm ist jetzt nicht nach Streit zumute: »Sandtner, was zwingt dich zu dieser Behauptung?«

    »Im vorigen Jahr«, beginnt Sandtner nun etwas ruhiger, »im April anno 1714, habt Ihr, Herr Marktrichter, dem Pechler zur Auflage gemacht, dass er seine Brennerei weit von unseren Wohnstätten entfernt einrichten soll, weil das Pechölbrennen im Ort so furchtbar stinkt.«

    Jetzt ist es Johann Baptist Ellmayr, der unaufgefordert und laut dazwischenruft und den Bürgermeister nicht zu Wort kommen lässt: »Deshalb habe ich eine neue gemauerte Brennerei weit draußen vor dem Wiesentor errichtet. Das hat der Schwammerl anscheinend noch gar nicht gemerkt.«

    Mit drohender Stimme reagiert der Bürgermeister: »Ellmayr, du bist jetzt nicht gefragt. – Weiter, Sandtner.«

    »Aber, Herr Marktrichter, es stinkt nach wie vor im Burgfried.«

    Mit einer wegwerfenden Geste reagiert der Bürgermeister: »Ein leichter Geruch im Markt ist nicht zu vermeiden. Das muss die Allgemeinheit erdulden. Es riecht ja nicht nur nach dem Pechöl vom Ellmayr unangenehm, sondern auch nach euch Seilern. Besonders wenn ihr eure Notdurft verrichtet und dann alles aus den Fenstern schüttet.«

    Diese Rede gefällt dem Seiler Mathai Angler gar nicht und so widerspricht er dem Bürgermeister laut und heftig. »Aber, seit der Ellmayr vor dem Wiesentor arbeitet, brennt er das mehrfache an Pechöl und darum stinkt’s noch mehr als vorher.«

    Seiler Josef Wildt setzt noch eins drauf und ruft ganz erbost: »Und was macht er aus dem Pechöl? Wagenschmiere!« Das Wort Wagenschmiere zerlegt er nun in seine Silben, damit es nur ja jeder begreift: »Wa-gen-schmie-re.«

    Der Bürgermeister rutscht auf seinem Stuhl hin und her und brummelt vor sich hin. »Jetzt geht es schon wieder los: Wagenschmiere – Pechölbrennen. Ich kann es nicht mehr hören. Immer dieselbe Leier. Wagenschmiere und Pechölbrennen.«

    Seiler Joseff Perger fühlt sich aufgerufen, in dasselbe Horn zu stoßen wie der Wildt. Gehässig keift er: »Der Pechler Ellmayr produziert Pechöl, dickt das ganze Zeug ein und wenn es richtig dick ist, dann verkauft er es als Wagenschmiere. So ist das!«

    »Der Verkauf der Wagenschmiere gehört zu unserem notwendigen Geschäft. Nur wir Seiler dürfen Wagenschmiere verkaufen, nicht der Pechler«, beteuert der Seiler Mathai Angler.

    Im Publikum rumort es. Jetzt erkennt man auch ganz augenfällig, wer auf Seiten der Seiler und wer auf Seiten der Pechler steht. Die Menschen dort drüben zeigen ganz offen ihre Sympathien.

    »Genau, so ist es. Und das stinkt uns«, ereifert sich Seiler Wildt erneut.

    Und Seiler Perger gibt noch eins drauf: »Die Schuster, die Wagner, die Maurer, die Fuhrleute und viele andere Handwerker, allesamt, haben Bedarf an Wagenschmiere. Bloß wir verkaufen keine mehr wegen dem Ellmayr seinem Bazigeschäft.«

    »Ja, ja«, bestärkt Seiler Angler, »wir machen kein Geschäft mehr, wir können keine Steuern mehr zahlen, unsere Familien müssen hungern und auch das ewige Licht in der Kirche können wir auf unsere Kosten nicht mehr brennen lassen.«

    »Dann muss der Markt halt schauen, dass die Lichter nicht ausgehen«, ruft Seiler Perger gehässig hinauf zum Bürgermeister und verstärkt seine Rede mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er wendet sich dem Seiler Sandtner zu und meint: »Das ist doch so, Sandtner, oder?«

    »Genau so ist es«, bestätigt Sandtner: »Sein dickes Pechöl verkauft der Ellmayr als Ersatz für Wagenschmiere.«

    »Und dazu noch viel zu teuer. Er hat den Preis um etliche Pfennige gesteigert. Der verdient sich damit eine goldene Nase«, ereifert sich Wildt und macht dabei einen Schritt auf den Ellmayr zu. Torknecht Pontifeser, der in der Nähe steht, fasst Wildt am Ärmel und hält ihn zurück.

    Wildt schlägt um sich und schreit: »Der Ellmayr ist ein Ruach.«

    Und auch Perger ist nicht mehr zu halten: »Und jetzt sag ich noch was: Sein Pechöl ist gar kein richtiges Pechöl!«

    Dem Bürgermeister wird es nun doch zu viel des Geschreis der aufgebrachten Seiler. Er schlägt mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch und springt auf: »Was soll das heißen, Perger?«

    »Das soll heißen, dass der Ellmayr ein Zeug zu Pechöl verarbeitet, das nicht nur zum Himmel stinkt, sondern auch gegen die Handwerkskunst der Pechler verstößt.«

    »Genau«, ereifert sich Wildt, »weil der Ellmayr sein dickes Pechöl aus einem fürchterlich schlechten und verworfenen Material herstellt. Und was dabei herauskommt ist keine Wagenschmiere, sondern ein Dreckszeug.«

    Jetzt wird es dem Ellmayr nun doch zu bunt mit den Beschuldigungen. Harsch gibt er zurück: »Das kannst doch du gar nicht beurteilen, Wildt. Du bist kein gelernter Pechölbrenner. Von dem Handwerk verstehst du nichts, also halt deinen Mund. Du bist nichts als ein ausg’schamter Stricktandler.«

    Der Marktschreiber Thomas Frank versucht Ruhe herzustellen: »Hier wird nicht beleidigt! Ellmayr, Ruhe!«

    Doch Ellmayr ist nicht mehr zu halten: »Wer beleidigt denn? Die Seiler oder ich?« Das Publikum reagiert hitzig. Die beiden Fronten zeigen sich wortstark.

    Der Marktschreiber versucht wieder einmal, seine Autorität ins Spiel zu bringen: »Jeder hat sich ruhig zu verhalten, sofern er nicht gefragt ist. Und du, Ellmayr, du hältst auch den Mund!«

    Während sich der Ellmayr schmollend zurückzieht, meldet sich der Sandtner in gemäßigtem Ton: »Herr Marktrichter, da gibt es noch etwas.«

    »Was noch?«, will der Bürgermeister wissen und setzt sich resigniert. Er weiß aus Erfahrung, dass er sich ruhig verhalten muss. Er darf kein schlechtes Beispiel abgeben, um die Streithähne nicht zu weiteren Eskapaden anzuregen. Denn schnell schaukelt sich so eine Verhandlung auf und gerät außer Kontrolle. Das wäre nicht das erste Mal in den vergangenen 17 Jahren.

    »Der Ellmayr verkauft das dicke Pechöl als Wagenschmiere außerhalb seines Betriebes«, gibt Sandtner scharf zur Antwort.

    »Außerhalb? Wie macht er das?«

    »Ganz einfach. Er lässt sein stinkiges Zeug von mindestens dreißig Ölträgern und Hausierern verkaufen. In allen Gerichten und Hofmarken unseres Pflegbezirks sind die Leute in seinem Auftrag unterwegs. Sogar bis in die Dörfer nächst München und Glonn.«

    Und noch bevor der Bürgermeister eine weitere Frage stellen kann, schreit Wildt: »Das ist verboten! Ausdrücklich verboten! Jawohl!«

    Ellmayrs Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Man merkt die Anspannung. Er will auf den Wildt losgehen. Einen Schritt macht er schon, doch wieder ist es der Obertorknecht Pontifeser, der ihn mit einem harten Griff zurückhält.

    »So ein Schmarrn!«, schreit Ellmayr. »Bürgermeister, das ist Verleumdung!«

    Der Marktschreiber herrscht den Ellmayr an: »Ruhe! Ellmayr, du bist jetzt nicht gefragt.«

    Auch der Seiler Angler gibt keine Ruhe: »Und was noch gesagt werden muss, Bürgermeister: Der Ellmayr bescheißt auch noch die armen Menschen, die seinen Mist verkaufen.«

    »Wie das?«

    »Weil der Ellmayr sie nicht ordentlich bezahlt. Für einen Hungerlohn müssen die Kraxentrager sein minderwertiges Glump verkaufen.«

    »Der Angler hat recht«, ruft Sandtner dazwischen und fordert: »Auch dafür gehört Ellmayr bestraft.«

    Der Bürgermeister ist genervt von den ewigen Vorwürfe und gibt scharf zurück: »Über Entlohnung zu sprechen ist nicht Gegenstand

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1