Spaziergänge durch den Hausgarten: Altes Gartenwissen
Von R. H. Francé
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Über dieses E-Book
Neubearbeitung als ebook mit Abbildungen und Index.
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Buchvorschau
Spaziergänge durch den Hausgarten - R. H. Francé
SPAZIERGÄNGE DURCH DEN HAUSGARTEN
VON
R. H. FRANCÉ
mit Abbildungen von Dr. G. Dunzinger, H. Dopfer u. a.
Ebook Bearbeitung der Veröffentlichung:
Deutsche Naturwissenschaftliche Gesellschaft, Geschäftstelle Theod. Thomas Verlag, Leipzig, 1914
Bearbeitung und Titel-Neugestaltung: Julia Evers, Ratingen, 2015
[...] dieses Büchlein [...] will denen, die sich lebendiges Naturwissen [...] aneignen wollen, einen Weg weisen zur Kenntnis der Lebenserscheinungen der Pflanzen, indem es an die jedermann leicht zugänglichen Zimmer- und Gartenpflanzen anknüpft und eine Anleitung gibt, wie man sie beobachten und sinnend betrachten soll, um von ihnen nicht nur ästhetische Freude, sondern auch Belehrung zu empfangen.
***
Es ist wirklich eine Unsumme der interessantesten Naturerscheinungen, die ungenützt täglich und überall jedem vor Augen steht. Denn wer verzichtet darauf, wenn er als Großstädter sich die Freuden des eigenen Gärtchens versagen muss, dass er nicht doch am Fensterbrett oder Balkon eine kleine grüne Oase in die Staubwüste seines Wohngehäuses schaffe, und seien es nur ein paar Pelargonien, ein Stachelkaktus, eine Azalee, ein Topf voll Zierspargel oder ein Efeustock. So wie es Hausfreunde unter den Tieren gibt gleich dem Hunde, die dem Menschen überallhin folgen, auf die Hochebene Tibets und Perus und in die eisige Polarnacht Grönlands, wo sie kaum die ihrer Art zusagenden Lebensbedingungen finden, so begleiten auch einige Pflanzen den Menschen in seine dunklen »Wohnhöhlen« die gewiss nicht geeignet sind, um einem nur durch das Licht lebenden Geschöpf als dauernder Aufenthaltsort zu dienen. Einzelne Gewächse, so namentlich der Lorbeer und die mit unserem heimischen Maiglöckchen noch verwandte Schildblume, welche aber die wenigsten der Blumenfreunde unter diesem Namen kennen da sie die Gärtner als Aspidistra verkaufen, sind in ihrem Lichtbedarf so anspruchslos, dass man sie auch in eine völlig dunkle Zimmerecke stellen kann, ohne dass sie eingehen. Der Lorbeer erträgt sogar monatelange völlige Dunkelheit ohne weiteren Schaden.
Neben diesen »hartlaubigen« Gewächsen gibt es aber auch andere, die sich keineswegs in unsere Stube bequemen wollen. Schon die Kapuzinerkresse (Tropaeolum) verkümmert, wenn sie nicht unmittelbar am Fensterbrett steht; ihre von Natur aus langen und dünnen Blattstiele strecken sich durch Wachstum unwahrscheinlich lang und halten die merkwürdigerweise in der Mitte an ihr angewachsene Blattscheibe mit einer wahrhaft sehnsüchtig anmutenden Gebärde gegen das lichtspendende Fenster hinaus. Sie beweisen damit, dass die Pflanze die Richtung des Lichteinfalles wahrnimmt und in ihrem Wachstum ein Mittel besitzt, um ihre Lebenslage durch Bewegung, durch Ortsveränderung zu verbessern. Dem Gärtner war das von jeher bekannt; er nannte eine solche, durch das »Streben« nach besserer Beleuchtung zu übermäßigem Wachstum angeregte, gewöhnlich auch durch mangelnde Blattgrünbildung blasse und ihrer natürlichen Form entkleidete Pflanze »vergeilt« und wusste sehr gut, warum er erfolgreiche Zimmerblumengärtnerei eigentlich nur in Glashäusern mit Oberlicht unternehmen wollte. Die meisten der von Blumenfreunden gepflegten Zimmerpflanzen sind mehr oder minder vergeilt und verraten ihren Lichthunger zu mindestens durch ihre einseitige von der Fensternähe bestimmte Gestalt. Sehr viele und gerade viele der schönsten Gartenblumen eignen sich daher aus ihrem großen Lichtbedürfnis gar nicht für die Stubenpflege, und so zeigt uns schon die erste Betrachtung unseres Blumenfensters das große pflanzengeographische Gesetz: Das Licht regelt die Verbreitung der Pflanzen.
Es ist freilich nicht der Lichtmangel allein, der eine Menge von Pflanzen untauglich zu unserem Stubengenossen macht. An sich ist er wohl der wichtigste Faktor, denn wenn der Wiener Botaniker J. Wiesner fand, dass 11/2 Meter von einem Fenster in einer Stadtgasse nur 1/ 60 der Lichtmenge herrscht wie auf einer Wiese im freien Feld, so verrät das Beleuchtungsverhältnisse, die in der Natur fast niemals an vegetationsreichen Orten vorkommen. Denn selbst am Boden des dichten Tannenwaldes herrscht noch 1/ 30 der Lichtmenge die eine Wiese trifft, und es ist jedermann, der auf seinen Spaziergängen auch nur ein wenig auf die Natur achtet, bekannt, wie pflanzenleer das Waldesinnere unter den Bäumen eigentlich ist.
Die Pflanze lebt aber nicht vom Licht allein, sondern trinkt auch Wasser, und zwar Mineralwasser, mit welchem Ausdruck ich andeuten will, dass sie der im Bodenwasser gelösten mineralischen Bestandteile bedarf, um sich zu erhalten. Jedermann weiß das insofern wenigstens, als ihn seine Stubenpflanze durch hängende Blätter und verwelktes Aussehen auffordern, sie zu begießen, wenn er lange nicht an ihren Wasserbedarf gedacht hat.
Was hat sich bei diesem Welken eigentlich ereignet? Wenn wir ein wenig darüber nachdenken, ist das ganze kleine Ereignis klar. Die Pflanze verliert ständig durch ihre Blätter Wasser einfach dadurch, dass die Blätter austrocknen wie im Winde flatternde Wäschestücke.
Soll sie nicht binnen wenigen Stunden, namentlich an warmen Tagen, im hellen Sonnenschein und bei frischem Wind verwelken, so muss das verloren gehende Wasser immer wieder durch die saugenden Wurzeln ersetzt werden und damit gelangen wir schon aus theoretischem Wege zu der Annahme, dass ein Wasserstrom ständig alle lebenden Pflanzenteile durchzieht und sich aus den Blättern unsichtbar als Dampf in die Lüfte schwingt. Für die Hygiene unserer Stube ist das ein Wink. Die Zimmerluft leidet namentlich im Winter fast stets an zu großer Trockenheit. Durch das Aufstellen von Blattpflanzen kann man sie also verbessern.
ABBILDUNG 1: Vergeilte Stubenpflanzen
Im Leben der Pflanze aber bedeutet diese Wasserfrage eine stete Sorge. Das Gewächs kann seine Wasserzufuhr nur in sehr beschränktem Maße regeln. Wenn der Boden mehr Feuchtigkeit enthält als es bedarf, kann es sich gegen den Überfluss kaum wehren; ist er sehr dürr, wird auch eine außerordentliche Ausdehnung des Wurzelgeflechts nicht ganz helfen. Es geht auch der Pflanze so wie den Menschen: bei drohendem Defizit verspricht es mehr Erfolg, seine Ausgaben einzuschränken als sich auf die Erschließung neuer Hilfsmittel zu verlassen.
Die Wasserabgabe hängt von der Größe und dem Bau der Blätter ab. Sind diese sehr groß und dünn, kann das Wasser ungehindert aus ihnen verdunsten, dann werden sie die Pflanze oft in Gefahr bringen, wenn ihr nicht ständig viel Wasser zu Gebote steht.
ABBILDUNG 2: Xerophyten in den Gärten zu Gries bei Bozen (Tirol)
Danach scheiden sich die Gewächse in Trockenheitspflanzen (Xerophyten) und Feuchtigkeitspflanzen (Hygrophyten) und jedem dieser zwei Typen kommen ganz bestimmte Anpassungen zu.
Das macht sich auch in unserem Zimmerflor geltend. In unserer Stube herrscht — vom Standpunkt einer Pflanze aus beurteilt — das Klima einer dunklen, mäßig warmen Wüste. Hieraus ist zu schließen, dass neben Schattenpflanzen auch typische Xerophyten sich am ehesten darin wohl fühlen werden.
Die rotblühende Pelargonie (Pelargonium zonale), dieser Allerweltshausgenosse aus dem Blumenreich bestätigt diese Vermutung auf das Trefflichste. Warum gedeiht sie auch in der Stube üppig? Weil sie ein Kind des Kaplandes und daher an ein sehr trockenes steppenartiges Klima angepasst ist. Sie trägt auch alle Merkzeichen einer echten Xerophyte an sich. Sie hat zwar keine kleinen Blätter, aber dafür auf den Blättern einen dichten, wolligen Filz. Betrachtet man den unter dem Mikroskop, so sieht man, dass er aus Drüsenhaaren besteht, welche die Verdunstung hindern zugleich aber der Pelargonie gestatten, aus der Luft selbst Feuchtigkeit aufzusaugen. Eine andere, sehr merkwürdige Anpassung an trockenes Klima lernt man kennen, wenn man einen der Stängel durchschneidet. Es fließt kein Saft aus, sondern er ist erfüllt mit einem zähen, wasserhaltigen Schleim. Das ist offenbar ein Wasserbehälter, aus dem die Pflanze in den Tagen der Not schöpft. Und wirklich, wenn wir einmal eine Woche lang das Begießen der Pfleglinge am Blumenbrett vergessen haben, so haben das die Pelargonien von allen noch am besten überstanden. Mit ihnen auch noch die Kakteen, von denen ja der umsichtige Blumenfreund weiß, dass man sie überhaupt nicht viel gießen darf. Auch sie sind im Innern mit Schleim erfüllt, sie zeigen aber noch eine weitere Trockenheitsanpassung geradezu ideal entwickelt. Nämlich die Verkleinerung der verdunstenden Oberfläche. Sie gerieten dabei gleich ins Extrem. In ihrer mexikanischen und südamerikanischen Heimat