Polyamorie - Herzen zwischen Erfolg und Hoffnung: Biographische Analysen nicht-monogamer Beziehungen
Von Sina Muscarina
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Über dieses E-Book
Sina Muscarina
Sina Muscarina (*1975), Magistra, Studium der Psychologie an der Universität Wien. Social*Entrepreneur, die im Laufe ihres Lebens ein authentisches Verständnis von Polyamorie und verschiedenen alternativen Liebesstilen entwickelt hat. Mitbegründerin und Teil des wissenschaftliche Komitees der "Non Monogamies and Contemporary Intimacies" Konferenz. Die Psychologin entdeckte ihre Liebe zu verschiedensten Lebens-Kulturen durch jahrelange Aufenthalte in New York, Lissabon und Zürich. Aus- und Weiterbildungen in den Bereichen Pflege mit Spezialisierung Psychiatrie, Notfallpsychologie und psychologische Beratung. Derzeit laufendes Master Studium der Gender Studies. Lebt und arbeitet in der deutschsprachigen Schweiz.
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Buchvorschau
Polyamorie - Herzen zwischen Erfolg und Hoffnung - Sina Muscarina
Sina Muscarina
Polyamorie. Elastische Herzen
„Nicht nur eine Liebe. Zwischen Erfolg und Hoffnung..."
Biographische Analysen nicht-monogamer Beziehungen
Imprint
Polyamorie. Elastische Herzen
Sina Muscarina
Das vorliegende Buch wurde als Masterarbeit an der Universität Wien, Fakultät für Psychologie verfasst unter dem OriginalTitel: „Polyamorie. Mehr als eine Liebe. Eine biographische Studie über nicht-monogame Beziehungskulturen.
Published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2014 Sina Muscarina
Coverfoto: Atma Natalia Stech www.atmastech.com
Coverdesign: Chris Husek www.christianhusek.com
Lektorat: Johanna Vedral www.schreibstudio.at
ISBN 978-3-7375-6795-4
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen."
Theodor W. Adorno
„Minima Moralia"
(1951)
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
1. Sozio-kultureller Hintergrund
1.1. Primat der Bindung
1.2 Mono-normativer Bias in Psychologie und Partnerschaftstherapie
2. Polyamorie
2.1 Polyamorie – Geschichte und Definition
2.2 Konfigurationen in polyamorösen Beziehungen
2.3 Literatur über Polyamorie
2.4 Polyamorie und Liebe
2.4.1 Die „Colors of Love" nach John Alan Lee
2.4.2 Luhmanns systemtheoretische Sicht auf Liebe und Intimität
3. Methodischer Zugang
3.1 Qualitative Sozialforschung
3.1.1 Einfluss pragmatischer Erkenntnisstrategien
3.1.2 Exkurs Symbolischer Interaktionismus
3.1.3 Einfluss phänomenologischer Erkenntnisstrategien
3.1.4 Einfluss kommunikationstheoretischer Erkenntnisstrategien
3.2 Narratives Interview nach Schütze
3.2.1. Praxis der Methodik
3.2.2. Charakterisierung und Ethik der Interviewführung
3.2.3. Analyse narrativer Interviews
3.2.5.1 Formale Textanalyse
3.2.5.2 Strukturelle inhaltliche Beschreibung
3.2.5.3 Analytische Abstraktion
3.2.5.4 Wissensanalyse
3.2.5.5 Kontrastive Vergleiche unterschiedlicher Interviewtexte
3.2.5.6 Konstruktion eines theoretischen Modells
4. Dokumentation und Reflexion des Forschungsprozesses
4.1 Forschungsinteresse und Generierung der Forschungsfragen
4.2 Opportunistische Forschung? Reflexion meiner Position als Forscherin
4.3 Feldzugang, Auswahl der Interviewpartner und Datenerhebung
4.4 Interpretationsphase
5. Praxis der Narrationsanalyse: Interpretationsarbeit
5.1. Beispiel einer Transkription
5.2. Beispiel für eine strukturelle inhaltliche Beschreibung
6. Darstellung der Interviews
6.1 Fallbeschreibungen und biographische Portraits
6.2. Portrait Walter: „Von der Hemmung zur Herausforderung"
6.2.1 Biographische Darstellung von Walter
6.2.2 Zusammenfassung
6.3 Portrait Ellen: „Vom Ausweichen zur Integration"
6.3.1 Kurzer Lebenslauf
6.3.2 Biographische Darstellung von Ellen
6.3.3 Zusammenfassung
6.4. Diskussion der biographischen Portraits
6.4.1. Biographien im Vergleich
6.4.2. Zentrale Orientierungsstrukturen in den Biographien
7. Zusammenfassung
Wissenschaftliche Danksagung
8. Literatur
Anhang
Einleitung
Das Lebenskonzept der monogamen Zweierbeziehung wird auch innerhalb der Mainstream-Psychologie und Psychotherapie nur selten in Frage gestellt. Allerdings wird das Konzept der Polyamorie seit etwa zehn Jahren auch im deutschen Sprachraum doch breiter diskutiert. Es erschienen zahlreiche Ratgeber und Artikel in Frauenzeitschriften. Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch nennt in einem Interview Polyamorie als eine der Beziehungsformen der Zukunft. [1] Polyamorie steht für ein Beziehungsgeflecht, in dem mehrere Liebesbeziehungen verantwortungsvoll, offen, und verbindlich gleichzeitig entwickelt und gelebt werden.
Fragestellung
Innerhalb der Mainstream-Psychologie und Psychotherapie kommt die Erforschung alternativer Lebensformen oft zu kurz oder wird negativ bewertet. Mich interessiert besonders die Sichtweise und die Lebenspraxis von Menschen, die nicht konventionelle Beziehungsformen wie Polyamorie führen, und ich will sie jenseits von traditionellen hegemonialen Bewertungen und Strukturalisierungen erforschen.
Methode
Für die vorliegende Untersuchung wurde die biographische Methode mittels narrativer Interviews nach Schütze („Biographieforschung und narratives Interview", 1983) gewählt, weil mit dieser Methode die Einflüsse auf die Bildungsprozesse eines Individuums in einem speziellen Kontext samt ihrer dazugehörigen Zeitdimension sehr gut beleuchtet werden können. Interviewpartner wurden über zwei deutschsprachigen Foren zum Austausch über Polyamorie (www.polyamory.ch und www.polyamory.at) gefunden. Als Auswahlkriterium war wichtig, dass die Interviewpartner bereits längere Zeit in polyamoren Beziehungen lebten, um biographische Prozesse hinsichtlich Polyamorie erfassen zu können.
Aufbau der Arbeit
Das erste Kapitel befasst sich mit der Eigenart der pointiert monogamen Bindungsform im Gang der Ausprägung der okzidentalen Lebenswelt. Ins Zentrum rückt das Primat der Bindung, die gesellschaftliche Regulierung und Normierung einer auf Monogamie eingeschworenen Sexualität. Anschließend werden die aktuellen Leitbilder der Psychologie und Partnertherapie dargestellt, um den mononormativen Bias in der Psychologie aufzuzeigen. Dazu werden zentrale sekundäranalytische Studien in einer knappen Übersicht vorgestellt. Der leitende Gesichtspunkt ist die Mononormativität in wissenschaftlichen Studien über Partnerschaften und innerhalb der Psychotherapie. Eine polyamoröse Kultur wird unter anderem in Anlehnung an und Abgrenzung zu wissenschaftlichen Theorien über Beziehungen erörtert, welche einen Bias hinsichtlich einer mono-normativen Perspektive aufweisen.
Das zweite Kapitel führt in Geschichte und Definition von Polyamorie ein, beschreibt mögliche Konfigurationen in polyamourösen Beziehungen und gibt einen Überblick über die Literatur zur Polyamorie, die vorwiegend in der Form von Selbsthilfebüchern, Erfahrungsberichten oder gesellschaftspolitischen Erwägungen zum Thema Mehrfachbeziehungen vorliegt und zum großen Teil aus dem englischen und amerikanischen Sprachraum stammt. Ein Unterkapitel über Polyamorie und Liebe beschreibt die Liebesstile nach John Alan Lee und referiert Luhmanns systemtheoretische Sicht auf die Liebe.
Im dritten Kapitel wird der Forschungsprozess reflektiert, die Entstehung der Forschungsfragen geschildert, der Feldzugang dokumentiert, die Auswahl der Interviewpartner begründet, sowie der Prozess der Datenerhebung erläutert.
1. Sozio-kultureller Hintergrund
1.1. Primat der Bindung
In ihren „Streifzügen durch die Sittengeschichte" betonen von Bredow & Noetzel (1990), dass politische Ordnungen immer auch die Sexualität regulieren: Was man darf und was verboten ist, wird in gesellschaftlichen Diskursen bestimmt. Die Regelungen im Sozialen beginnen mit der Regulierung der Sexualität. So gehören als Beispiel das Inzest-Tabu und andere Normierungen des Fortpflanzungsverhaltens zur Basis sozialer Normen.
Michel Foucault beleuchtet das Thema Sexualität aus einer historischen Perspektive. Er ist diskursanalytisch orientiert und seine Analysen gehen geschichtlich vor. In seinem 1976 veröffentlichten Werk „Der Wille zum Wissen charakterisiert er die historische Entstehung des „Dispositiv[s] der Sexualität
(Foucault 1983, p. 95). Foucault zeichnet die Diskurse über Sexualität geschichtlich innerhalb Europas nach.
Mit dem Begriff „Diskurs" benennt Foucault unter anderem verstrickte Machtbeziehungen:
„Eben weil sich Macht und Wissen im Diskurs ineinander fügen, ist dieser als eine Serie diskontinuierlicher Segmente zu betrachten, deren taktische Funktion weder einheitlich noch stabil ist. Genauer: die Welt des Diskurses ist nicht zweigeteilt zwischen dem zugelassenen und dem ausgeschlossenen oder dem herrschenden und dem beherrschten Diskurs. Sie ist als eine Vielfältigkeit von diskursiven Elementen, die in verschiedenartigen Strategien ihre Rolle spielen können, zu rekonstruieren." (Foucault 1983, p. 122)
Nach Foucault lassen sich vom 18. Jahrhundert an, „vier große strategische Komplexe […] unterscheiden, die um den Sex spezifische Wissens- und Machtdispositive entfalten." (Foucault 1983, p. 125) Diese Komplexe sind nicht gleichzeitig entstanden, sie verfolgen auch kein einheitliches Ziel, sondern sie haben sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem dynamischen Machtkomplex zusammengefügt.
Die vier Dispositive, die Foucault aufdeckt, sind folgende:
„Die Hysterisierung des weiblichen Körpers ist ein dreifacher Prozess: der Körper der Frau wurde als ein gänzlich von Sexualität durchdrungener Körper analysiert – qualifiziert und disqualifiziert; aufgrund einer ihm innewohnenden Pathologie wurde dieser Körper in das Feld der medizinischen Praktiken integriert; und schließlich brachte man ihn in organische Verbindung mit dem Gesellschaftskörper […], mit dem Raum der Familie […], und mit dem Leben der Kinder […]:" (Foucault 1983, p. 126)
Neben der Hysterisierung des weiblichen Körpers ist ein zweiter Wissens- und Machtkomplex entstanden, der kindliche Sexualentwicklung anvisiert:
„Die Pädagogisierung des kindlichen Sexes geht von der zweifachen Behauptung aus, dass sich so gut wie alle Kinder sexueller Aktivität hingeben oder hingeben können und dass diese ungehörige (sowohl ,natürliche‘ wie auch ,widernatürliche‘) sexuelle Betätigung physische und moralische, kollektive und individuelle Gefahren birgt;" (Foucault 1983, p. 126)
Als dritten Bereich arbeitet Foucault die Sektoren Ökonomie, Politik und Medizin heraus, die sich zu Institutionen entwickeln, welche Sexualität als Fortpflanzungsverhalten regulieren:
„Die Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens vollzieht sich als ökonomische Sozialisierung über ,soziale‘ oder steuerliche Maßnahmen, welche die Fruchtbarkeit der Paare fördern oder zügeln; als politische Sozialisierung durch Weckung der Verantwortlichkeit gegenüber dem gesamten Gesellschaftskörper […]; als medizinische Sozialisierung, die den Praktiken der Geburtenkontrolle krankheitserregende Wirkungen für Individuum und Art zuschreibt." (Foucault 1983, p. 127)
Und schließlich wird der Fokus wieder auf die Medizin geleitet, die unterscheidet, was normale und was pathologische Sexualität ausmacht:
„Und schließlich die Psychiatrisierung der perversen Lust: der sexuelle Instinkt ist als autonomer biologischer und psychischer Instinkt isoliert worden; alle seine möglichen Anomalien sind isoliert worden; man hat ihm eine normalisierende und pathologisierende Rolle für das gesamte Verhalten zugeschrieben; schließlich hat man nach einer Korrekturtechnik für diese Anomalien gesucht." (Foucault 1983, p. 127)
Für meine Arbeit ist Foucault insofern relevant, als er den historischen Rahmen absteckt, in dem die Diskurse über Sexualität angesiedelt sind. Er zeigt, dass unter anderem Medizin, Psychologie und Psychotherapie die relevanten Disziplinen sind, deren Worte zum Thema Sexualität Bedeutung haben. Dabei ziehen diese Wissens- und Machtkomplexe nicht an einem einheitlichen Strang, sondern sie streiten innerhalb ihrer Disziplin genauso wie untereinander, sie gehen strategische Schulterschlüsse ein und lösen diese wieder, und sie reflektieren oft die vielfältigen Machtverflechtungen nicht, in denen sie verstrickt sind.
Nach dem Erscheinen von Foucaults „Der Wille zum Wissen (1976) gab es einige sexualpolitische Entwicklungen. In den westlichen Staaten gab es einerseits Liberalisierungstendenzen, die eine ökonomisch-rechtliche Gleichstellung von nichtverheirateten Paaren genauso ermöglichte wie die homosexueller Paare, andererseits blieben bestimmte Ideale wie die der Monogamie und der Fixierung von biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität weitgehend unangetastet. Die Fixierung von biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität zeigt sich beispielsweise bei Transvestismus und Transsexualität. In verschiedenen Cultural Studies (Vgl. Marchart 2008, Posner 1993) setzen sich die Autoren ausführlich mit den Phänomenen Transvestismus und Transsexualität auseinander. Wie Posner (1993) betont, existiere das Phänomen des Transvestismus nur, weil die Gesellschaft einen unterschiedlichen Dress-Code für Männer und Frauen vorschreibe. Würden Männer auch Kleider tragen dürfen, gäbe es die Kategorie „Transvestismus
nicht.
Die Ordnung der Menschen in die Dichotomie von männlich und weiblich und die Paarbildung von Menschen unterschiedlichen Geschlechts (Heterosexualität) sind fundamentale Elemente unserer Konstruktion einer gesellschaftlichen Realität, ebenso wichtig zeigen sich stabile sexuelle Identitäten. Diese gesellschaftliche Realität fürchtet Transvestismus, Hermaphroditismus und Homosexualität, weil sie die Fundamente unserer gesellschaftlichen Realität öffentlich in Frage stellen (vgl. Posner 1993).
Welches Sexualverhalten eine Gesellschaft als normal etikettiert, hat immer auch mit der Öffentlichkeit unterschiedlicher sexueller Anschauungen zu tun:
„Herstellung von Öffentlichkeit lag immer im Interesse von sexualpolitisch unzufriedenen Minoritäten, deren stärkste unzweifelhaft die weiblichen Menschen gewesen sind. Was öffentlich geworden ist, kann als normal betrachtet werden. Uns liegt an der Normalität als einem radikalen Zustand der Vergesellschaftung, der Schluss macht mit der Einsamkeit, in der ich mich allein, als pervers, nymphoman oder gar verrückt definieren müsste." (Katharina Rutschky 1984, zit. nach von Bredow & Noetzel 1990, p. 45)
In diesem Sinne verstehe ich die vorliegende Arbeit unter anderem auch als Beitrag zur Herstellung von Öffentlichkeit für die Anliegen der Menschen, die Polyamorie als Liebesstil leben und vertreten.
1.2 Mono-normativer Bias in Psychologie und Partnerschaftstherapie
Im Folgenden werden die aktuellen Leitbilder der Psychologie und Partnertherapie dargestellt, um den mononormativen Bias in der Psychologie aufzuzeigen. Dazu werden zentrale sekundäranalytische Studien in einer knappen Übersicht vorgestellt.
Der leitende Gesichtspunkt dafür ist die Mono-Normativität in wissenschaftlichen Studien über Partnerschaften und innerhalb der Psychotherapie. Marianne Pieper und Robin Bauer (2005) haben den Begriff der „Mono Normativität" (Pieper M., Bauer R., 2005, p. 66) entworfen, um die gesellschaftliche Hegemonie der Förderung einer monogamen Paarkultur hervorzustreichen. Dieser Begriff definiert Machtverhältnisse im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs, die sich durch die Bevorzugung der monogamen Paarkultur ergeben. Daraus kann unter anderem eine Stigmatisierung von sexuellen Minderheiten (vg. Klesse 2007) entstehen.
In diesem Sinne definieren Sozialpsychologen und Konstruktivisten das Entstehen einer persönlichen Identität vorwiegend über soziale Interaktionen und im Hinblick auf die in einer Gesellschaft dominanten kulturellen Werthaltungen (vgl. Barker 2005). Barker und Ritchie (2003) reflektieren die Konstruktion von dominanten Leitbildern und Wertvorstellungen hinsichtlich Partnerschaftsformen in unserer westlichen Kultur anhand von Filmen, Pop-Songs und psychologischer Literatur und Forschung über Partnerschaften. Die Hauptelemente dieser Konstruktion sind, dass das erstrebenswerte Ideal der sexuellen Beziehungen heterosexuell und monogam sein soll.
Das Klischee, dass man nicht zwei Menschen zur gleichen Zeit lieben kann und keine Parallelbeziehung eingeht, wenn man in der Partnerschaft glücklich ist, hat in unserem westlichen Kulturkreis eine besondere Bedeutung (vgl. Griffin 2000). Diese Form von Heterosexualität wird in unserem Kulturkreis als eine stabile, dogmatische und nicht hinterfragbare Kategorie mit universeller Gültigkeit dargestellt und selten als das Konstrukt und die Erfindung einer bestimmten Kultur (vgl. Richardson 1998, zit. n. Barker & Ritchie 2003). Nicht-monogame Beziehungsformen sind nicht außerhalb des Wirkungsbereiches von Heteromononormativität bildbar und stehen unter deren Einfluss:
„The construction of the public sphere in heteronormative terms opens the possibilities for ostracising queer identities, sex, affection and relationships outside of the narrow constriction of the private sphere. […] As a result, queer sexualities (such as S/M, same-sex relationships and prostitution) may in fact be regulated by the state across the boundaries of the public/private distinction." (Klesse 2007, p. 134).
Jamieson (2004) sieht in ihren Forschungen aber eine Tendenz zur Lockerung dieser strengen normativen Ideale, weil das Ausleben von Sexualität außerhalb einer monogamen Partnerschaft auf mehr Akzeptanz in unserer Kultur stoße. Allerdings sei das Ideal immer noch die monogame Paarbeziehung. Um die besondere Wertschätzung der monogamen Paarbeziehung zum Ausdruck zu bringen, wird vor allem die sexuelle Exklusivität betont. Beziehungen außerhalb dieser Exklusivität nehmen die Form von heimlicher Untreue und somit Verfehlung der Partnerschaft an. Eine offene Form von nicht monogamen Beziehungen wird nicht in Erwägung gezogen (vgl. Jamieson 2004).
Im Lichte dessen definieren Reibstein und Richards (1993) die derzeit dominanten Wertvorstellungen für eine monogame Ehe.
Sie arbeiten in ihren soziologischen Studien drei Modelle für eine Ehe heraus, wie sie in unserer Kultur derzeit favorisiert und unterstützt werden:
Das Modell der alles inkludierenden Ehe , in der ein Partner die einzig wahre Liebe sei und alles miteinander geteilt würde und man sich ausschließlich aufeinander beziehe.
Weiters das Modell der segmentierten Ehe, in der man einen bestimmten Ausschnitt von gemeinsamen Vorstellungen miteinander teile, aber nicht alle, zumindest aber die Sexualität und die Liebe.
Zuletzt gäbe es das Modell der sexuell offenen Ehe, in der es gestattet sei, seine Sexualität auch mit anderen Partnern zu leben, die Liebe aber exklusiv dem Ehepartner vorbehalten bliebe (vgl. Reibstein und Richards 1993).
Die Bedeutung der Aufdeckung einer heimlichen, parallelen Beziehung in diesen Ehemodellen kann im Lichte dessen verschiedene Dimensionen annehmen:
Beim Modell der alles inkludierenden Ehe bedeutet eine aufgedeckte, ehemals heimliche, parallele Beziehung, dass der Partner etwas innerhalb der Beziehung vermisst, das man ermitteln und in die Ehe integrieren sollte. Die Intention ist also die Wiederherstellung der ursprünglichen Situation und das Beenden der parallelen Beziehung, da diese als Indikator für eine Schieflage in der ehelichen Beziehung gesehen wird. Ungelöste Eheprobleme werden als die Ausgangsbasis für das Eingehen einer parallelen Beziehung gesehen.
Beim Modell der segmentierten Ehe wird die parallel zur Ehe verlaufende, meist heimliche Beziehung als etwas Isoliertes oder sogar Komplementäres gesehen, das keinerlei Auswirkungen auf die Ehe hat. Die zumeist heimliche Beziehung wird von der sie unterhaltenden Person als Bereicherung der Ehe empfunden.
Der außereheliche Partner wird in diesem Modell vorzugsweise als Objekt und Stabilisator der ehelichen Beziehung behandelt, anstatt als eigenständiges Subjekt und eigenständige Beziehung.
Im Modell der offenen Ehe wird eine Zweitbeziehung meist nur dann geduldet, wenn es sich um eine rein sexuelle Beziehung handelt und diese Beziehung keinen zu großen Raum einnimmt. Ein Verlieben in den Parallelpartner wird meist genauso als Versagen innerhalb der Ehe gewertet wie beim Alles inkludierenden Modell (vgl. ebda.). Diese Modelle lassen sich auch auf nicht verheiratete Paare ausweiten, denn es wird im Allgemeinen vorausgesetzt und erwartet, dass man sich beim Eingehen einer Partnerschaft an monogamen Modellen orientiert (vgl. Griffin 2000).
An dieser Stelle kann man deutlich erkennen, dass bei den derzeit dominanten Wertvorstellungen für eine Ehe ein Bias zugunsten der Mononormativität und einer heterosexuellen Paarkultur vorhanden ist. Auch in der Psychologie wird generell wenig Aufmerksamkeit auf nicht-monogame Beziehungsformen innerhalb der westlichen Kultur gelenkt (vgl. Barker 2005). Die Literaturanalyse zeigt deutlich: Der herrschende Mainstream über eine beziehungspsychologische Normalität in der persönlichen Entwicklung ist das Eingehen einer lebenslangen oder seriellen monogamen Partnerschaft. Dieses Konstrukt ist die „Kernfamilie". Die heteronormative Orientierung in der Beziehungs- und Familienforschung und auch in den Sexualwissenschaften (vgl. Klesse 2007, p. 11) zeigt deutlich, dass das Ideal der Zweierbeziehung stark in der heterosexuellen Kultur verankert ist. Individuen, die aus diesem Modell herausfallen, bleiben unbeachtet oder werden diskriminiert:
„Gayle Rubin (1992) has demonstrated that heterosexuality is integrated into a wider system of sexual stratification which does not only privilege heterosexuality, but also couplehood, monogamy, marriage, and the privatisation of sexuality. According to Rubin´s analysis, sexual acts are attributed differential status depending on which identities, genders, body parts, relationship status, styles of touch, numbers of partners and emotional undercurrents are involved."(Klesse 2007, p. 11)
Die Leitideologie in der euro-amerikanischen Literatur und Kultur ist, dass echte Liebe nur zwischen zwei Personen wirklich wahrhaftig und verantwortungsvoll stattfinden könnte und dass diese Liebe für immer sei. Dieses kulturelle Programm verbunden mit dieser Erwartungshaltung wird als „fairy-tale-syndrom bezeichnet (vgl. Orion 2007, p. 3), weil die Realität der steigenden Scheidungsraten und die hohe Rate an heimlichen oder tolerierten Liebes- und Sexaffären ein anderes Bild zeigen. Weiters ist die „serielle Monogamie
, das heißt das Eingehen einer exklusiven Partnerschaft nach der anderen, derzeit der am meisten bevorzugte Partnerschaftsstil. Diese Erfahrungswerte sprechen also gegen das „one person for the rest of your life"- Ideal (vgl. Emerson, zit. nach Orion 2007, p. 3).
Nicht-monogame Beziehungen sind historisch gesehen ein Kennzeichen sexueller Liberalisierungstendenzen in der westlichen Gesellschaft (vgl. Klesse 2006). Vor allem in den 60-ern und 70-ern des vorigen Jahrhunderts haben diese Liberalisierungsbewegungen die kulturellen und politischen Diskurse in vielen sozialen Bewegungen geformt. Es wurde unter anderem mit neuen bzw. alternativen Beziehungsformen experimentiert und die „Kernfamilie als Repressionsinstitution kritisiert. Subkulturen entstanden, die mehr Raum für andere erotische, sexuelle und intime Identitäten geschaffen haben. Vor allem die Bewegung der Homosexuellen hat ein reichhaltiges Repertoire an nicht-monogamer Sexualität und Intimität entwickelt (vgl. ebda). Der Psychotherapeut Ellis hat erstmals 1958 sein Werk „Sex without guilt in the 21st century
publiziert, bei dem er unter