Der arme Spielmann
Von Franz Grillparzer und mehrbuch Verlag (Editor)
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Über dieses E-Book
Ein Erzähler berichtet von seiner Begegnung mit dem alten Geiger Jakob, einem verarmten Sonderling, und gibt dessen Lebensgeschichte wieder: Jakob wird von seinem Vater verstoßen, beerbt ihn aber trotzdem, verliert aufgrund seiner Naivität sein Erbe und hat am Ende nichts mehr im Leben außer seiner Musik und der Erinnerung an eine unerfüllte Liebe.
Franz Grillparzer
1791 in Wien geboren, 1872 in Wien gestorben, Schriftsteller.
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Der arme Spielmann - Franz Grillparzer
Der arme Spielmann
Franz Grillparzer
Inhaltsverzeichnis
Über den Autoren
Der arme Spielmann
Impressum
Über den Autoren
Franz Seraphicus Grillparzer war ein österreichischer Schriftsteller, der vor allem als Dramatiker hervorgetreten ist. Aufgrund der identitätsstiftenden Verwendung seiner Werke, vor allem nach 1945, wird er auch als österreichischer Nationaldichter bezeichnet.
Der arme Spielmann
In Wien ist der Sonntag nach dem Vollmonde im Monat Juli jedes Jahres samt dem darauffolgenden Tage ein eigentliches Volksfest, wenn je ein Fest diesen Namen verdient hat. Das Volk besucht es und gibt es selbst; und wenn Vornehmere dabei erscheinen, so koennen sie es nur in ihrer Eigenschaft als Glieder des Volks. Da ist keine Moeglichkeit der Absonderung; wenigstens vor einigen Jahren noch war keine.
An diesem Tage feiert die mit dem Augarten, der Leopoldstadt, dem Prater in ununterbrochener Lustreihe zusammenhaengende Brigittenau ihre Kirchweihe. Von Brigittenkirchtag zu Brigittenkirchtag zaehlt seine guten Tage das arbeitende Volk. Lange erwartet, erscheint endlich das saturnalische Fest. Da entsteht Aufruhr in der gutmuetig ruhigen Stadt. Eine wogende Menge erfuellt die Strassen. Geraeusch von Fusstritten, Gemurmel von Sprechenden, das hie und da ein lauter Ausruf durchzuckt. Der Unterschied der Staende ist verschwunden; Buerger und Soldat teilt die Bewegung. An den Toren der Stadt waechst der Drang. Genommen, verloren und wiedergenommen, ist endlich der Ausgang erkaempft. Aber die Donaubruecke bietet neue Schwierigkeiten. Auch hier siegreich, ziehen endlich zwei Stroeme, die alte Donau und die geschwollnere Woge des Volks, sich kreuzend quer unter- und uebereinander, die Donau ihrem alten Flussbette nach, der Strom des Volkes, der Eindaemmung der Bruecke entnommen, ein weiter, tosender See, sich ergiessend in alles deckender Ueberschwemmung. Ein neu Hinzugekommener faende die Zeichen bedenklich. Es ist aber der Aufruhr der Freude, die Losgebundenheit der Lust.
Schon zwischen Stadt und Bruecke haben sich Korbwagen aufgestellt fuer die eigentlichen Hierophanten dieses Weihfestes: die Kinder der Dienstbarkeit und der Arbeit. Ueberfuellt und dennoch im Galopp durchfliegen sie die Menschenmasse, die sich hart vor ihnen oeffnet und hinter ihnen schliesst, unbesorgt und unverletzt. Denn es ist in Wien ein stillschweigender Bund zwischen Wagen und Menschen: nicht zu ueberfahren, selbst im vollen Lauf; und nicht ueberfahren zu werden, auch ohne alle Aufmerksamkeit.
Von Sekunde zu Sekunde wird der Abstand zwischen Wagen und Wagen kleiner. Schon mischen sich einzelne Equipagen der Vornehmeren in den oft unterbrochenen Zug. Die Wagen fliegen nicht mehr. Bis endlich fuenf bis sechs Stunden vor Nacht die einzelnen Pferde- und Kutschen-Atome sich zu einer kompakten Reihe verdichten, die, sich selber hemmend und durch Zufahrende aus allen Quergassen gehemmt, das alte Sprichwort Besser schlecht gefahren, als zu Fusse gegangen
offenbar zuschanden macht. Begafft, bedauert, bespottet, sitzen die geputzten Damen in den scheinbar stillestehenden Kutschen. Des immerwaehrenden Anhaltens ungewohnt, baeumt sich der Holsteiner Rappe, als wollte er seinen durch den ihm vorgehenden Korbwagen gehemmten Weg obenhin ueber diesen hinaus nehmen, was auch die schreiende Weiber- und Kinderbevoelkerung des Plebejer-Fuhrwerks offenbar zu befuerchten scheint. Der schnell dahinschiessende Fiaker, zum ersten Male seiner Natur ungetreu, berechnet ingrimmig den Verlust, auf einem Wege drei Stunden zubringen zu muessen, den er sonst in fuenf Minuten durchflog. Zank, Geschrei, wechselseitige Ehrenangriffe der Kutscher, mitunter ein Peitschenhieb.
Endlich, wie denn in dieser Welt jedes noch so hartnaeckige Stehenbleiben doch nur ein unvermerktes Weiterruecken ist, erscheint auch diesem status quo ein Hoffnungsstrahl. Die ersten Baeume des Augartens und der Brigittenau werden sichtbar. Land! Land! Land! Alle Leiden sind vergessen. Die zu Wagen Gekommenen steigen aus und mischen sich unter die Fussgaenger, Toene entfernter Tanzmusik schallen herueber, vom Jubel der neu Ankommenden beantwortet. Und so fort und immer weiter, bis endlich der breite Hafen der Lust sich auftut und Wald und Wiese, Musik und Tanz, Wein und Schmaus, Schattenspiel und Seiltaenzer, Erleuchtung und Feuerwerk sich zu einem pays de cocagne, einem Eldorado, einem eigentlichen Schlaraffenlande vereinigen, das leider, oder gluecklicherweise, wie man es nimmt, nur einen und den naechst darauffolgenden Tag dauert, dann aber verschwindet, wie der Traum einer Sommernacht, und nur in der Erinnerung zurueckbleibt und allenfalls in der Hoffnung.
Ich versaeume nicht leicht, diesem Feste beizuwohnen. Als ein leidenschaftlicher Liebhaber der Menschen, vorzueglich des Volkes, so dass mir selbst als dramatischem Dichter der rueckhaltslose Ausbruch eines ueberfuellten Schauspielhauses immer zehnmal interessanter, ja belehrender war als das zusammengekluegelte Urteil eines an Leib und Seele verkrueppelten, von dem Blut ausgezogener Autoren spinnenartig aufgeschwollenen literarischen Matadors; als ein Liebhaber der Menschen, sage ich, besonders wenn sie in Massen fuer einige Zeit der einzelnen Zwecke vergessen und sich als Teile des Ganzen fuehlen, in
