Schachnovelle
Von Stefan Zweig
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Über dieses E-Book
Auf einem Passagierdampfer, auf der Passage von New York nach Buenos Aires, kommt es zu einer außergewöhnlichen Konfrontation: Der amtierende Schachweltmeister Mirko Czentovic, ein derber Mensch, dessen Inselbegabung für Schach verloren in charakterlicher Ödnis liegt, tritt auf Veranlassung weiterer Passagiere gegen den geheimnisvollen, sensiblen Österreicher Dr. B. an. - Und dieser gewinnt mit spielerischer Eleganz gegen den Großmeister. Woher hat B. seine Schachkunst? Ein dunkles Geheimnis bricht sich im Verlauf des Spiels bitter Bahn ... |
Stefan Zweig
Stefan Zweig (1881-1942) war ein österreichischer Schriftsteller, dessen Werke für ihre psychologische Raffinesse, emotionale Tiefe und stilistische Brillanz bekannt sind. Er wurde 1881 in Wien in eine jüdische Familie geboren. Seine Kindheit verbrachte er in einem intellektuellen Umfeld, das seine spätere Karriere als Schriftsteller prägte. Zweig zeigte früh eine Begabung für Literatur und begann zu schreiben. Nach seinem Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik an der Universität Wien begann er seine Karriere als Schriftsteller und Journalist. Er reiste durch Europa und pflegte Kontakte zu prominenten zeitgenössischen Schriftstellern und Intellektuellen wie Rainer Maria Rilke, Sigmund Freud, Thomas Mann und James Joyce. Zweigs literarisches Schaffen umfasst Romane, Novellen, Essays, Dramen und Biografien. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Die Welt von Gestern", eine autobiografische Darstellung seiner eigenen Lebensgeschichte und der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, sowie die "Schachnovelle", die die psychologischen Abgründe des menschlichen Geistes beschreibt. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland wurde Zweig aufgrund seiner Herkunft und seiner liberalen Ansichten zunehmend zur Zielscheibe der Nazis. Er verließ Österreich im Jahr 1934 und lebte in verschiedenen europäischen Ländern, bevor er schließlich ins Exil nach Brasilien emigrierte. Trotz seines Erfolgs und seiner weltweiten Anerkennung litt Zweig unter dem Verlust seiner Heimat und der Zerstörung der europäischen Kultur. 1942 nahm er sich gemeinsam mit seiner Frau Lotte das Leben in Petrópolis, Brasilien. Zweigs literarisches Erbe lebt weiter und sein Werk wird auch heute noch von Lesern auf der ganzen Welt geschätzt und bewundert.
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Buchvorschau
Schachnovelle - Stefan Zweig
Inhalt
VORWORT DES HERAUSGEBERS
SCHACHNOVELLE
Vorwort des Herausgebers
AUF EINEM PASSAGIERDAMPFER, auf der Passage von New York nach Buenos Aires, kommt es zu einer außergewöhnlichen Konfrontation: Der amtierende Schachweltmeister Mirko Czentovic, ein derber, unsensibler Mensch, dessen Inselbegabung für Schach alleine und verloren in charakterlicher Ödnis liegt, tritt auf Veranlassung weiterer Passagiere gegen den geheimnisvollen, sensiblen Österreicher Dr. B. an. – Und dieser besiegt mit spielerischer Leichtigkeit und Eleganz den Großmeister. Doch woher hat B. seine Schachkunst? Es ist ein dunkles Geheimnis, das sich im weiteren Verlauf des Spiels bitter Bahn bricht.
Der Ich-Erzähler, ein österreichischer Emigrant, schildert das Aufeinandertreffen der beiden so unterschiedlichen Naturen: Hier Großmeister Czentovic, als Kind »maulfaul und dumpf«, heute ein arroganter, abweisender und primär an Geld interessierter Mensch. Auf der anderen Seite der kultivierte ›Dr. B.‹, der zunächst nur helfend in die hoffnungslose Schachpartie eines Mr. McConnor gegen Czentovic eingreift, und, als sein überragendes Talent sichtbar wird, sich von den Anwesenden gedrängt sieht, tags darauf alleine gegen den Weltmeister zu spielen.
Erst langsam lüftet sich B.’s Geheimnis: Im Schachspiel ist er Autodidakt, auch hatte er noch niemals Schachfiguren in der Hand, nie ein Schachbrett vor sich liegen. Nein, all seine Partien spielte er bisher im Geiste. – Anderntags, an Deck, gelingt es dem Erzähler, mehr über B.’s Schachgenie zu erfahren: ein bitteres Geheimnis tut sich auf ...
So treten also die beiden Spieler auf der Schiffspassage gegeneinander an, und die Zuseher ahnen nichts davon, in welcher Gefahr Dr. B. schwebt, in den manischen Zustand, den das Schachspiel in ihm auslösen kann, zurückzufallen ...
Stefan Zweig selbst war, wie Zeitgenossen berichten, ein eher durchschnittlicher Schachspieler, und zog, zur Schilderung einiger technischer Schachdetails, eine damals gängige Schachfibel zu Rate. Doch um Schach geht es auch nur oberflächlich in der Schachnovelle. Das Spiel ist das Medium, das Transportmittel für die tiefere Symbolik des Buches: Hier der ungeschlachte, tumbe und stur wie ein Panzer agierende Czentovic, auf der anderen Seite der sensible, gebildete Dr. B. – die Protagonisten sind Stellvertreter für die damals rivalisierenden Strömungen der Zeit, in denen das Tumbe, der Nationalsozialismus, die Oberhand gewann.
STEFAN ZWEIG wurde am 28. November 1881 in Wien geboren, wo er auch seine Kindheit und Jugendjahre verbrachte. Er studierte Philosophie, Romanistik und Geschichte, reiste viel, unter anderem 1910 nach Indien und 1912 nach Amerika. Schon als sehr junger Mann machte er sich einen Ruf als Übersetzer unter anderem von Verlaine und Baudelaire und arbeitete verschiedenen Zeitschriften als Autor zu. Während der 1920er und 30er Jahre wurde er zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren.
1934 emigrierte Stefan Zweig nach England und 1940 nach Brasilien. Bedrückt durch die politischen Entwicklungen in Deutschland und Europa nahm er sich, zusammen mit seiner zweiten Frau Charlotte Altmann, in der Nacht auf den 23. Februar 1942 durch eine Schlafmittelüberdosis das Leben. Er hatte sich zeitlebens als kosmopolitischer Intellektueller, als Europäer und Pazifist verstanden. »Seine Werke verbinden hohe moralische und ethische Ansprüche mit dem Bemühen um den Erhalt der alten geistigen Werte«, schreibt der Brockhaus Literatur.
Die Schachnovelle wurde 1942 veröffentlicht, kurz vor Stefan Zweigs Tod im brasilianischen Petrópolis.
© Redaktion AuraBooks, 2022/2013
SCHACHNOVELLE
AUF DEM GROßEN Passagierdampfer, der um Mitternacht von New York nach Buenos Aires abgehen sollte, herrschte die übliche Geschäftigkeit und Bewegung der letzten Stunde. Gäste vom Land drängten durcheinander, um ihren Freunden das Geleit zu geben, Telegraphenboys mit schiefen Mützen schossen Namen ausrufend durch die Gesellschaftsräume, Koffer und Blumen wurden geschleppt, Kinder liefen neugierig treppauf und treppab, während das Orchester unerschütterlich zur Deck-Show spielte. Ich stand im Gespräch mit einem Bekannten etwas abseits von diesem Getümmel auf dem Promenadendeck, als neben uns zwei- oder drei Mal Blitzlicht scharf aufsprühte – anscheinend war irgendein Prominenter knapp vor der Abfahrt noch rasch von Reportern interviewt und photographiert worden. Mein Freund blickte hin und lächelte. »Sie haben da einen raren Vogel an Bord, den Czentovic.« Und da ich offenbar ein ziemlich verständnisloses Gesicht zu dieser Mitteilung machte, fügte er erklärend bei: »Mirko Czentovic, der Weltschachmeister. Er hat ganz Amerika von Ost nach West mit Turnierspielen abgeklappert und fährt jetzt zu neuen Triumphen nach Argentinien.«
In der Tat erinnerte ich mich nun dieses jungen Weltmeisters und sogar einiger Einzelheiten im Zusammenhang mit seiner raketenhaften Karriere; mein Freund, ein aufmerksamerer Zeitungsleser als ich, konnte sie mit einer ganzen Reihe von Anekdoten ergänzen. Czentovic hatte sich vor etwa einem Jahr mit einem Schlage neben die bewährtesten Altmeister der Schachkunst, wie Aljechin, Capablanca, Tartakower, Lasker, Bogoljubow, gestellt. Seit dem Auftreten des siebenjährigen Wunderkindes Rzecewski bei dem Schachturnier 1922 in New York hatte noch nie der Einbruch eines völlig Unbekannten in die ruhmreiche Gilde derart allgemeines Aufsehen erregt. Denn Czentovics intellektuelle Eigenschaften schienen ihm keineswegs solch eine blendende Karriere von vornherein zu weissagen. Bald sickerte das Geheimnis durch, dass dieser Schachmeister in seinem Privatleben außerstande war, in irgendeiner Sprache einen Satz ohne orthographischen Fehler zu schreiben, und wie einer seiner verärgerten Kollegen ingrimmig spottete, »seine Unbildung war auf allen Gebieten gleich universell«.
Sohn eines blutarmen südslawischen Donauschiffers, dessen winzige Barke eines Nachts von einem Getreidedampfer überrannt wurde, war der damals Zwölfjährige nach dem Tode seines Vaters vom Pfarrer des abgelegenen Ortes aus Mitleid aufgenommen worden, und der gute Pater bemühte sich redlich, durch häusliche Nachhilfe wettzumachen, was das maulfaule, dumpfe, breitstirnige Kind in der Dorfschule nicht zu erlernen vermochte.
Aber die Anstrengungen blieben vergeblich. Mirko starrte die ihm schon hundert Mal erklärten Schriftzeichen immer wieder fremd an; auch für die simpelsten Unterrichtsgegenstände fehlte seinem schwerfällig arbeitenden Gehirn jede festhaltende Kraft. Wenn er rechnen sollte, musste er noch mit vierzehn Jahren die Finger zu Hilfe nehmen, und ein Buch oder eine Zeitung zu lesen, bedeutete für den schon halbwüchsigen Jungen noch besondere Anstrengung. Dabei konnte man