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Dottore, Pasta & Amore: Geschichten aus meinem Leben als italienischer Kellner
Dottore, Pasta & Amore: Geschichten aus meinem Leben als italienischer Kellner
Dottore, Pasta & Amore: Geschichten aus meinem Leben als italienischer Kellner
eBook208 Seiten2 Stunden

Dottore, Pasta & Amore: Geschichten aus meinem Leben als italienischer Kellner

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Über dieses E-Book

Buon appetito!

Walter Cosimo Coriano ist Kellner. Süditalienischer Kellner.
Und im fliegenden Rollenwechsel ist er als Psychologe, Diplomat, Liebhaber, Schauspieler und Dompteur für seine hungrigen Gäste im Einsatz. Denn in seinem Restaurant feiert das Leben an jedem Tag neue Premieren: Drama und Intrige, Lust und Leidenschaft.
Hier hat er seine Erlebnisse aufgeschrieben. Alltagsgeschichten, so vergnüglich wie lustig und nachdenklich stimmend, aus unserem liebsten Soziobiotop und nahesten Ersatz-Urlaubsziel - dem Ristorante!

Da gibt es beispielsweise den Patrone, den viele gerne als Franco oder Luigi kennen, und in dessen Haus natürlich das leckerste Essen der ganzen Welt zelebriert wird. Die Servicekollegen, ein eingeschworenes Team, das nicht nur das Trinkgeld teilt, sondern auch die amourösen Abenteuer, denen sich ein italienischer Kellner kaum entziehen kann. Die Köche, eine ganz eigene Spezies in diesem Universum, die im Ruf stehen, mit der Nähe zum heißen Herd auch einen großen Teil ihres Hirns verbrannt zu haben. Und dann die Gäste: Die Banker, Rechtsanwälte und Manager, so kurz wie prägnant allesamt "Dottore" genannt; die Promis von A bis C, für die Tisch 1 (Sehen und gesehen werden) immer reserviert ist; die Stammgäste, Frischlinge und Restaurant-Messis - eben die komplette Typologie der Gäste, wie sie wahrscheinlich nur in einem italienischen Restaurant zu finden ist. Natürlich gehören auch die so falsche wie nervende Kennerschaft bekundenden "Zwei-Expressi-Sager" dazu, denen unser Kellner zwecks kulinarischer Weiterbildung hier sehr gerne einige Einblicke in die süditalienische Küche seiner Großmutter gestattet.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. Mai 2014
ISBN9783864895531
Dottore, Pasta & Amore: Geschichten aus meinem Leben als italienischer Kellner

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    Buchvorschau

    Dottore, Pasta & Amore - Walter Cosimo Coriano

    Walter Cosimo Coriano, Jahrgang 1973, entstammt einer Gastronomenfamilie und arbeitet seit vielen Jahren in italienischen Restaurants. Er ist verheiratet und lebt in Frankfurt.

    WALTER COSIMO CORIANO

    DOTTORE,

    PASTA &

    AMORE

    Geschichten aus meinem

    Leben als

    italienischer Kellner

    WESTEND

    Das Buch stellt keine Behauptungen über reale Personen oder Orte auf. Vielmehr verdichtet es auf der Grundlage verschiedenster Erfahrungen Personen und Handlungen zu Episoden, die lediglich Typisierungen und Stilisierungen beinhalten.

    Mehr über unsere Autoren und Bücher:

    www.westendverlag.de

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Publisher

    Umschlagfoto: Hartmuth Schröder

    ISBN 978-3-86489-553-1

    © Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2014

    Satz: Publikations Atelier, Dreieich

    Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

    Printed in Germany

    Inhalt

    Buongiorno

    Parlare Minestrone

    Serviceautistin trifft Aushilfsgigolo

    »Siiiiignoooooriiiiina«

    Alles für alle

    Alle für einen

    Aberglaube

    Im Allerheiligsten

    Drei Tonnen Einsamkeit

    Fünf-Sterne-Deluxe-Liebhaber

    Chappchialass

    Bella Figura

    Frischlinge

    »Duo notschi Gongozola e duo Schanti parfavor!«

    Banker-Tip(p)

    Restaurant-Messies

    Gast-Arbeit

    Cucina Cosimo

    Das al-dente-Missverständnis

    Die ganze Wahrheit über die Carbonara

    Tiramisù – die süße Verführung

    Orecchiette à la Mamma

    Cosimo spontaneo – einfach, aber lecker

    Aus dem Meer

    Alles Pasta

    Arrivederci

    Buongiorno

    Ich weiß noch, wie dieser Dottore Professore um die Mittagszeit zum ersten Mal das Ristorante betrat. Ein freundlicher Mensch, der mir sofort sympathisch war. Er kam dann öfter zum Mittagessen, und wir freundeten uns an. Manchmal blieben wir, wenn das Ristorante nach dem Mittagstisch geschlossen hatte, noch zusammen am Tisch sitzen und verplauderten uns. Der Dottore Professore ist ein ziemlich kluger und neugieriger Mensch, der immer wieder eine neue Geschichte von mir hören wollte. Über mein Kellnerleben, das Ristorante und seine Gäste. »Schreib das doch mal auf«, forderte er mich eines Tages auf. »Aber Dottore, ich bin ein Kellner und kein Bücherschreiber«, wimmelte ich seine Überredungsversuche ab. »Du bist ein Kellner, das stimmt«, ließ sich der Dottore Professore von meinen Abwehrversuchen nicht beeindrucken, »aber du bist auch ein wunderbarer Geschichtenerzähler.« So ging das zwischen uns über einige Jahre. Der Dottore schaute immer mal vorbei, brachte mir manchmal eines seiner Bücher mit und verlangte als Gegenleistung neue Geschichten von mir.

    Lieber Dottore Professore, jetzt kann ich es Ihnen ja verraten. Ich habe mich wirklich hingesetzt und einige der Geschichten aufgeschrieben, die Sie in mir wachgerufen haben. Die eine oder andere dürfte Ihnen bekannt vorkommen, aber ich habe Ihnen in unseren kurzen Mittagspausen auch nicht alles erzählen können. Ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen. Dann werden wir uns an einen Tisch setzen, ich werde Ihnen mein Buch überreichen und meine Gegenleistung einfordern: »Dottore Professore, jetzt erzählen Sie mir doch mal ein paar Geschichten aus Ihrem Leben.«

    Danke, dass Sie nicht lockergelassen haben. Aber jetzt erst einmal viel Spaß beim Lesen.

    Parlare Minestrone

    Entscheidet sich das Schicksal eines Menschen tatsächlich schon am Tag seiner Geburt? Woher soll ich das wissen, ich bin schließlich kein Philosoph, sondern »nur« ein italienischer Gastronom. Doch für mich steht fest: Mein Leben wäre anders verlaufen, hätte sich meine Mamma nicht mit ihrer Idee entschieden durchgesetzt. Denn obwohl meine Eltern schon Anfang der 70er Jahre nach Deutschland ausgewandert und sich in Hövelhof mit ihrem Eiscafé Venezia erfolgreich etabliert hatten, bestand Mamma darauf: »Unser Sohn kommt in Italia zur Welt.«

    Und so geschah es. An einem 41 Grad heißen, drückend schwülen Augusttag erblickte ich nach einem 18-stündigen Wehenkampf in San Pietro Vernotico südlich von Brindisi das Licht der Welt und hatte damit schon vor dem ersten Schlückchen Muttermilch zwei für mein späteres Kellnerleben unverzichtbare Lektionen intus:

    Du musst die Hitze lieben – und der Unterschied zwischen einem italienischen Hochsommertag und dem heißen Tanz zwischen Cucina und Ristorante ist in Bezug auf die Temperatur tatsächlich minimal.

    Du darfst auch unter Druck deine gute Laune nie verlieren – und musst selbst nach einem endlos langen Kellner-Arbeitstag mit der geschätzten Laufleistung eines Halbmarathons in den Knochen in der Lage sein, deine letzten Gäste mit einem freundlich-charmanten »buona notte« zu verabschieden.

    Kaum drei Monate alt, siedelte ich dann vom Süden Italiens in den ostwestfälischen Landkreis Paderborn über, doch die wenigen Wochen im Stiefelabsatz meiner apulianischen Heimat hatten ganz offensichtlich ausgereicht, um mich mit allen Vorlieben auszustatten, für die sich ein echter süditalienischer Mann nahezu ausschließlich interessiert: Autos, Frauen, Fußball.

    Wobei die Reihenfolge dieser unumstößlichen Top Drei je nach Alter und Persönlichkeit durchaus variabel sein kann. In meiner Kindheit und Jugend dominierte ganz klar der Fußball auf Platz eins. Kicken schien mir der einfachste Weg zu sein, um ohne Umweg auch die Ziele zwei und drei zu erreichen (schnelle Autos und schöne Frauen). Außerdem half mir der Sport, meine Einsatzzeiten im elterlichen Eiscafé auf das unabwendbare Minimum zu reduzieren. Und tatsächlich, mit 17 hatte ich es bereits geschafft, dachte ich zumindest: ein Profivertrag als Zweitligaspieler in der Tasche, die erste Nacht mit einer Frau, was mich für einen Süditaliener als echten Spätzünder charakterisiert, und der erste Alfa – kurz vor der nahen Führerscheinprüfung – in greifbarer Nähe. Heute besitze ich eine Rennlizenz – auch fürs Leben. Ein Knorpelschaden im Knie setzte dann allerdings meiner schon bis ins Detail durchfantasierten Fußballerkarriere – Bielefeld, Lecce, Squadra Azzurra – bereits mit 19 ein ebenso schmerzvolles wie jähes Ende, und auf die Frage meines Vaters: »Was nun?«, war meine ihn überraschende Antwort: »Ich werde Gastronom!«

    Immerhin, die Zeit als Fußballspieler hatte mein zuvor recht schwaches Ego mit genügend Selbstbewusstsein aufgeladen, um zu erkennen, dass mir das Aufspielen auf großer Bühne viel Vergnügen bereitet. Und nichts anderes ist in meinen Augen ein gut geführtes italienisches Spitzenrestaurant: ein kulinarisches Theater, in dem das Leben an jedem Tag neue Premieren feiert. Mit Dramen und Intrigen, mit Lust und Leidenschaft. Eine Commedia dell’arte mit Figuren und Geschichten aus allen Schichten der Gesellschaft. Und mittendrin, als Schwungrad und Zeremonienmeister, der Kellner, der durchaus gerne mal den Harlekin gibt, der einen Hang zum Dribbling für die Galerie hat, der aber immer der Spielmacher bleibt, der die Fäden in der Hand behält.

    Der Gast soll das Gefühl haben, dass ihm jeder Wunsch erfüllt wird, aber die Regie führe ich: Walter Cosimo Coriano.

    »Wie jetzt, Walter???« Esattamente – und weil ich die hochgezogenen Augenbrauen und fragend zerfurchten Stirnfalten nun schon seit vierzig Jahren vor mir sehe, wenn ich nach meinem Namen gefragt werde, ist es hier wohl an der Zeit, diesen selbst in Deutschland heute eher selten vergebenen Vornamen in Bezug auf meine Person etwas näher zu erläutern. Da meine Eltern in Nordrhein-Westfalen inzwischen eine zweite Heimat gefunden hatten, dachten sie, es könne mir sicher nicht schaden, wenn sich dieses bilokale Familienleben auch in meinem Namen manifestieren würde. Heute könnte man das wohl als vorbildliches Integrationsverhalten bezeichnen. Damals war es eine ehrfürchtige Verneigung vor unserem Vermieter, einem amerikanischen Militärattaché mit dem Nachnamen Walther. Der hatte bei meinen Eltern offensichtlich einen so nachhaltig-honorigen Eindruck hinterlassen, dass sie sich für ihren Sohn mehr Respekt und Anerkennung im Leben erhofften, wenn sie ihn Walter nennen würden. Ohne h.

    Was sich an diesem Beispiel zeigt, ist ein ganz stark ausgeprägter Wesenszug der Süditaliener: ihr gesunder Pragmatismus. Diese flexible Anpassungsfähigkeit an die gegebenen Umstände, die Offenheit, mit der sie sich auf Neues einlassen, das sonnige Gemüt, mit dem sie sich auch einen grauen Scheißtag zu einem azurblauen Tag am Meer schönreden können, ist für den Süditaliener eine genetisch programmierte Überlebensstrategie. Denn der Süden Italiens war und ist noch immer arm. Weshalb wir für den italienischen Norden bis heute nur die terroni oder contadini sind. Also die Erdumpflüger und Bauern, die sich kein Fleisch zum Essen leisten können. Apulien ist die Kornkammer Italiens, hier wird das meiste Getreide geerntet. Italien lässt sich seine Pasta schmecken, aber wir im Süden halten dafür den Buckel hin. Glaubt vielleicht ein Mensch tatsächlich, dass das Olivenöl, das in aller Welt als »Toskana Originale« verkauft wird, auch dort angebaut und produziert wird? No, no – wir im Süden machen die Drecksarbeit für den Norden. So war das schon immer. Doch nur weil wir ackern wie die Doofen, sind wir noch lange nicht blöd. Im Gegenteil: Die Armut hat uns kreativ gemacht und dazu gezwungen, mobil zu werden. Domenico Dolce (Dolce & Gabbana) aus Sizilien, Gianni Versace aus Kalabrien, Domenico Modugno mit seiner weltbekannten Hymne Volare aus Apulien. Was wäre New York heute ohne die Süditaliener und ihr Little Italy? Oder Hollywood? Ob Frank Sinatra, Martin Scorsese oder Sylvester Stallone – sie alle haben süditalienische Vorfahren. Und so viel steht fest: Sicher neunzig Prozent aller italienischen Gastronomen in Deutschland kommen aus dem Süden Italiens.

    Ich bin meinen Eltern im Übrigen sehr dankbar, weil sie darauf geachtet haben, dass ihre Kinder nicht nur Hochitalienisch, sondern auch Hochdeutsch gelernt haben. Viele meiner Kollegen sprechen hier auch nach Jahren noch immer ausschließlich Minestrone, diesen dämlichen bis kuriosen Eintopf aus süditalienischem Dialekt, durchsetzt mit deutschen Wortbrocken: »Ische kanne Ihne heude emfehle eine pesce midde frische pasta.« Das mag ja vielleicht ganz witzig sein, und du darfst als Kellner damit spielen, weil es insbesondere deinen deutschen Gästen sehr gefällt, wenn du dich für sie zum grenzdebilen Pizzabrot machst. Aber wenn du im Leben nicht mehr drauf hast, bleibst du nicht nur als Kellner ein Clown, dem kein Respekt entgegengebracht wird.

    Was meine persönliche Vita betrifft, so habe ich mich – mit solidem Schulabschluss, einer Ausbildung zum Hotel- und Restaurantfachmann in Deutschland, Italien und der Schweiz, der Spezialisierung auf französische und deutsche Küche und ungezählten Semestern in der Küche meiner Mamma – dann doch lieber am eigentlichen Wortsinn meiner beiden Vornamen orientiert: Cosimo, der Schöne, und Walter, der Herrscher. Eine perfekte Beschreibung für das, was ein kulinarisch kompetenter und emotional intelligenter Kellner sein sollte: ein schöner Herrscher.

    Damit wir uns nicht falsch verstehen: So ziemlich jeder italienische Mann – und in dieser Beziehung gibt es selbst zwischen Nord- und Süditalienern ausnahmsweise keinerlei Dissens – hält sich mindestens für einen Adonis oder David. Und selbstredend ist der Süditaliener jederzeit fähig, in Sekundenschnelle vom schwitzenden terrone zu einem genital gesteuerten testosterone zu mutieren. Warum wohl sonst liegen die Jungs im Sommer aufgereiht und auf die Ellenbogen gestützt am Strand, lassen die Brustmuskeln spielen und funkeln die vorübergehenden Mädels an wie eine ausgefallene Ampel im Warnblinkmodus? Verglichen mit diesen Anstrengungen haben es wir italienischen Kellner sogar deutlich leichter. Klar sehen wir verdammt gut aus, aber das Bild, das wir abgeben, setzt sich im Ristorante eben auch in großen Teilen aus der Projektion unserer Gäste zusammen, die in uns all das sehen, was sie selbst an Italien lieben: die Sonne, das Meer, la dolce vita und nicht zuletzt das gute Essen.

    Serviceautistin trifft

    Aushilfsgigolo

    Insbesondere in deutschen Großstädten herrscht bei vielen Gastronomen (und ganz offensichtlich auch bei vielen Gästen) der Irrglaube vor, man könne eine uninspirierte Schnellküche in einen Ort gehobener Gastronomie verwandeln, indem man das (vorzugsweise weibliche) Servicepersonal in möglichst knöchellange Schürzen hüllt. Erscheint dann eine dergestalt kostümierte Figur an deinem Tisch – was gut und gern zehn Minuten dauern kann, bis dir diese Ehre zuteil wird, weil du zuvor trotz bohrender Blicke mit totaler Ignoranz belegt wurdest –, erweist sich leider häufig sehr schnell, dass die Länge der Schürze diametral zur Kompetenz der arrogant bis dämlich grinsenden Servicekraft steht. Der als Beilage gedachte Salat wird zur Vorspeise, weil das dazugehörige Nudelgericht, ein als Carbonara angepriesener, in fettiger Sahnesoße schwimmender Pastaberg mit verklebten Formfleischstückchen erst zwanzig Minuten später deinen Tisch erreicht. Statt »Guten Appetit« wird dir dann auch noch »Viel Spaß« beim Essen gewünscht, wo doch schon der Anblick dieser mirkowellengewärmten Nudeln unmissverständlich klarmacht, dass sich die einzig absolut spaßfreie Zone gerade auf dem Teller vor dir auftut. Wenn es hart kommt, blitzt dich beim Abgang dann auch noch ein vom Schürzenknoten stranguliertes Arschgeweih vom Hüftspeck an, und spätestens jetzt drängt es mich zu rufen: »Eh Kollegin, pack doch mal dein Hirn aus der Tasche. Der Platz zwischen deinen Ohren taugt zu mehr als nur dazu, deine schräge Föhnfrisur spazieren zu tragen.« Derart tiefergelegte Blondinen in Langschürzen begegnen einem natürlich nicht weniger selten auch in der Gestalt eines frisch gegeelten Aushilfsgigolos.

    Warum mich das so richtig traurig macht? Ehrlich, mich verletzt diese Interpretation des Servicegedankens zutiefst, weil sie einen in meinen Augen sehr ehrenwerten Berufsstand komplett diskreditiert. »Kellner« ist heute fast ein Schimpfwort geworden, nur weil diese wachsende Horde von Serviceautisten nicht den Hauch einer Ahnung hat, was einen wahren Kellner vor allem auszeichnet: sein wacher Geist und sein extrem multiples Persönlichkeitsprofil.

    Als Kellner musst du mindestens hundert Prozent geben. Und du segelst dabei hart an der Schizophrenie, weil du den fliegenden Rollentausch vom sensiblen Psychologen über den weltoffenen Diplomaten oder eloquenten Smalltalker bis zum begehrenswerten Liebhaber aus dem Effeff beherrschen und dabei höllisch aufpassen musst, dass du nach Feierabend noch weißt, wer du bist. Die Grundvoraussetzung dafür ist ein sensibles Kellnerradar. Wie ein Dompteur musst du auf deiner Station den Kreis deiner hungrigen Gäste zu jeder Zeit im Griff haben, selbst wenn du ihnen den Rücken zudrehst. Kein Gang zur Cucina, bei dem du deine Gäste nicht aus den Augenwinkeln scannst und mit jeder Pore auch feinste atmosphärische Störungen wahrnimmst.

    An Tisch elf das Pärchen, das sich nun schon seit fünf Minuten hinter den Speisekarten versteckt und anschweigt. Entweder weil sich die beiden sowieso nichts zu sagen haben oder weil sie zum ersten Mal in einem Restaurant der gehobenen Kategorie sind und sie schon der Anblick der Stoffservietten auf dem Tisch einschüchtert und sprachlos macht. Ein schnelles Nicken Richtung Ecktisch: »Klar, zahlen, Rechnung kommt«, plus meiner pantomimisch artikulierten Frage, ob es noch zwei Grappa sein dürfen. »Okay, gerne!« Und da an Tisch sieben sind gerade zwei Stammgäste angekommen. Seit 15 Jahren immer Tisch sieben, immer das gleiche Essen, immer ausgesprochen freundlich. Der Dottore, Ende fünfzig, im Vorstand eines großen Konzerns, maßgeschneiderter Anzug, eine liebenswerte Mischung aus konservativem Wertebewusstsein und liberaler Lockerheit. Die Signora, immer perfekt gestylt, sehr sportlich und mit herausforderndem Lächeln. Wir plaudern kurz über die erwachsenen Kinder und das allgemeine Wohlbefinden. Ich frage: »Wie immer?« Ein kurzer Augenaufschlag als Antwort. Selbstverständlich, was für eine Frage.

    Ein paar Tage später erscheint dann der Dottore um die Mittagszeit in wesentlich jüngerer Begleitung, wahrscheinlich seine Sekretärin, und auf den ersten Blick ist klar, dass die beiden mehr als eine geschäftliche Beziehung verbindet. Ich führe den Dottore zu einem Tisch – natürlich nicht Tisch sieben – und begrüße ihn mit den Worten: »Hallo Dottore, lange nicht gesehen, wie geht es Ihnen?« Und er: »Hallo Walter, ja danke, schön, mal wieder hier zu sein, alles bestens.« Damit ist die Sache

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