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Bunty: Erinnerungen an einen Gentleman aus bester schottisch-irischer Familie
Bunty: Erinnerungen an einen Gentleman aus bester schottisch-irischer Familie
Bunty: Erinnerungen an einen Gentleman aus bester schottisch-irischer Familie
eBook365 Seiten4 Stunden

Bunty: Erinnerungen an einen Gentleman aus bester schottisch-irischer Familie

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Über dieses E-Book

David Scott-Moncrieff war einer der ganz großen Auto-Exzentriker.
Diese von Halwart Schrader herausgegebene Biografie ist zugleich ein Abenteuerroman und ein Buch, das Liebhaber klassischer Automobile - so wie David Scott-Moncrieff (Jahrgang 1907) selbst einer war - begeistern wird.
Das Leben dieses Gentleman - zeitweilig tituliert als "weltgrößter Rolls-Royce-Gebrauchtwagenhändler" und von seinen Freunden "Bunty" genannt - verlief äußerst kurvenreich. Vom Kompressor-Mercedes SSK - in Venedig einem Waffenhändler abgekauft - bis zum fragilen Bugatti-Rennwagen oder einem Dampfmobil Baujahr 1905, hat der automobilsüchtige Bunty so ziemlich alles Ungewöhnliche auf der Straße bewegt.
In Großbritannien war er schon zu Lebzeiten eine Legende und im Rest der Welt liebte ­und fürchtete ­ihn nicht nur seine Rolls-Royce-Klientel.
Wäre der Geschichtenerzähler Bunty zur Bühne gegangen, hätte er wohl allabendlich eine Rekordzahl von Vorhängen bekommen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Aug. 2014
ISBN9783942153249
Bunty: Erinnerungen an einen Gentleman aus bester schottisch-irischer Familie

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    Buchvorschau

    Bunty - Halwart Schrader

    1.1)

    Vorwort

    Dieses Buch hätte Bunty am besten selbst geschrieben. Wenigstens ist er indirekt Mitverfasser, denn für das Manuskript zu diesem Buch habe ich viel von der Substanz seiner Tagebucheintragungen, seiner Briefe und anderer Aufzeichnungen verwendet, die ich von Bunty besitze oder die mir aus anderen Quellen vorlagen.

    Was Bunty bei vielen Gelegenheiten erzählt oder in Briefen geschrieben hat, versuche ich so nahe wie möglich am Originalton wiederzugeben.

    Einen großen Teil der Informationen über Bunty und etliche Geschichten aus Buntys aktivsten Lebensjahren verdanke ich Hazel Robinson. Ihr werden Sie auf den folgenden Seiten häufig begegnen. Hazel vertraute mir Aufzeichnungen an, die sie über ihren Chef wie Protokolle zu führen pflegte. Sie bot ihr Elaborat mit dem Titel »Would you be a Sweety« einigen Verlagen in England an, doch ohne Erfolg: Fast schien es, als sei die Figur der Hauptrolle, um die es ging, von ihr ausgerechnet mit jemandem besetzt worden, den die Lektoren nicht leiden konnten. Wir werden es nicht (mehr) erfahren.

    Meine zahlreichen Begegnungen mit Bunty, bei denen er stets kuriose, aufregende, haarsträubende Begebnisse zum Besten gab, manchmal leider nur bruchstückhaft, dafür aber sehr detailliert, Tagebuch- und andere Aufzeichnungen sowie das, was Hazel festgehalten hat, ergaben also den Stoff für dieses Buch. Buntys Neigung zur Mitteilsamkeit werden alle, die ihn kannten, sicher bestätigen; daher wissen wir eine ganze Menge über ihn. Es war jedoch nicht leicht, die vielen Übertreibungen und ins Burleske gehenden Ausschmückungen seiner Storys auszufiltern, um am Ende das übrig zu behalten, was sich wirklich zugetragen hatte. Hier und da mögen die Schilderungen bestimmter Begebenheiten sich immer noch als übertrieben darstellen, oder auch untertrieben, je nachdem. Nicht in allen Fällen schafften separat geführte Gespräche mit Geschäftspartnern, Freunden, Mittätern, Opfern oder anderen Zeugen seiner Handlungen (im Laufe der Jahre hatte ich das Vergnügen, viele von ihnen kennen zu lernen) eindeutige Klarheit. Leider waren gerade jene Zeitgenossen, in deren Gesellschaft Bunty die interessantesten Abenteuer erlebt und Katastrophen überlebt hatte, zum Zeitpunkt seiner Kolportage längst nicht mehr am Leben, so dass ich keine Gelegenheit hatte, mir ihre Version der einen oder anderen Geschichte vortragen zu lassen.

    Die Tatsache, dass Bunty teils schottischer, teils irischer Herkunft war, erklärt manche Facette seiner Wesensart. Buntys bürgerlicher Name lautete David William Hardy Scott-Moncrieff. Wer ihn jedoch mit »schön, Sie wiederzusehen, Mr. Scott-Moncrieff« ansprach, etwa auf einer Party oder einer Beerdigung, oder wer am Telefon nach »meinem guten alten Freund David« fragte, enttarnte sich dadurch als jemand, der ihm nie zuvor begegnet war. Mancher, der von Bunty – in welchem Zusammenhang auch immer – gehört hatte, suchte bei passender oder unpassender Gelegenheit die Bekanntschaft mit ihm und tat sich dabei wichtig, wollte mit ihm gesehen werden und biederte sich an. Meistens durften solche Leute dann Buntys Rechnung im Restaurant, in der Werkstatt oder an der Tankstelle begleichen, wollten sie ihr Gesicht nicht verlieren.

    Einige Male, in den frühen Perioden seines achtzigjährigen Lebens, fiel Bunty in ein tiefes Loch. Dann war er wirklich beinahe am Ende, hatte keinen Penny mehr und musste sich dringend etwas einfallen lassen. Was dem passionierten Optimisten aber keine Schwierigkeiten bereitete, denn an Einfällen, ein solches Tief zu überwinden, mangelte es ihm nie. So gesehen, sorgte also ein gütiges Schicksal dafür, dass er – ganz im Gegensatz zu der berühmten Scheibe Frühstücksbrot – stets mit der Marmeladenseite nach oben auf dem Boden landete. Bunty fand immer jemanden, der im richtigen Augenblick Mitleid mit ihm hatte, ihm eine dramatische Geschichte abkaufte und glücklich war, dem armen Kerl aus der Patsche helfen zu dürfen.

    Freiwillige oder auch unfreiwillige Opfer seines Schnorrertums wurden also nicht nur Anbiederer, sondern auch arglose Sympathisanten und viele andere mildtätig veranlagte Zeitgenossen, zu denen wohl auch ich gehöre. Wir dürfen uns zugutehalten, einen gewissen Teil zur Bekämpfung der Armut auf dieser Welt beigetragen zu haben, indem wir den ärmsten aller armen Rolls-Royce-Händler Großbritanniens vor Hunger oder Durst oder zeitweiliger Obdachlosigkeit, kurz: vor irgendeiner schlimmen englischen Krankheit bewahrten (von einigen anderen körperlichen Gebrechen blieb er leider nicht verschont). Bunty gefällig zu sein und auch mal für ihn bezahlen zu dürfen, war letztlich ein Äquivalent für all das, was der fröhliche Entertainer seiner Gesellschaft zu bieten hatte. Er wusste sich stets zu revanchieren. Bunty gefiel sich in dieser Rolle natürlich selbst gut.

    Einige seiner Geschäftspartner fanden ihn allerdings weder lustig noch liebenswert. Das waren solche, etwa im fernen Amerika, die von ihm einen Rolls-Royce erwarben, ohne das Auto vorher besichtigt zu haben. Die aber auch ungeübt im Dechiffrieren von Kleinanzeigentexten sowie der irrigen Ansicht waren, »the best car of the world« sei in jedem Erhaltungszustand, selbst als exhumierte Moorleiche, stets und immer eben das allerbeste Auto der Welt.

    Er hat zwar nie davon gesprochen, aber Bunty war vermutlich davon überzeugt, dass die Fülle seiner merkwürdigen Erlebnisse und gewagten Unternehmungen, seiner überlebten Katastrophen, seiner kuriosen Begegnungen und galanten Abenteuer, seiner geschäftlichen Vabanquerien und einfallsreichen Improvisationen zu Wasser und zu Lande ausreichend Stoff für ein amüsantes, sogar lehrreiches Buch abgeben würde. Und ein Untertitel, der ihn als einen Gentleman aus bester schottischer Familie bezeichnet, der hätte ihm bestimmt gefallen.

    Auch Averil – sie verstarb im März 2006 – sowie Humphrey Scott- Moncrieff schulde ich Dank für so manches Gespräch mit der Darlegung skurriler Sachverhalte und für die mir mit großer Liebenswürdigkeit gewährten Einblicke in diverse Aufzeichnungen. Einen Teil der Fotos lieh man mir aus Buntys Nachlass; einige hatte er mir indessen schon zu Lebzeiten überlassen.

    Halwart Schrader

    Eine Klarstellung: Träger des traditionsreichen Doppelnamens Scott-Moncrieff sind besonders in Schottland zahlreich anzutreffen, aber auch anderswo in Großbritannien, ebenso in Australien, Kanada und in den USA. Unter ihnen waren und sind angesehene Ärzte, Juristen, Literaten, Wissenschaftler. Wer sich die Zeit nimmt und im Internet nachschaut, findet bestätigt, dass es viele Scott-Moncrieffs zu Bekanntheit gebracht haben.

    Mit keinem anderen Namensträger David Scott-Moncrieff als mit »Bunty«, seiner Frau Averil, geborene Sneyd, und deren beiden Söhnen Humphrey und Ambrose habe ich je etwas zu tun gehabt, und niemand als die Genannten sind im Kontext mit meinen Aufzeichnungen gemeint. Ich versichere außerdem, dass es mir fern liegt, mit diesem Versuch der Biografie eines ungewöhnlichen Menschen jemanden auch nur im Geringsten zu diffamieren. Auch die Nennung der Namen jener Personen, die in Buntys Lebensgeschichte eine Rolle spielen und im Nachfolgenden unverschlüsselt genannt werden, geschah in dokumentarischer, keineswegs etwa wertender Absicht. Wo immer zufällige Namensgleichheiten mit anderen Personen auftreten, was ja niemals auszuschließen ist, bitte ich all jene um Vergebung, die sich in einem solchen Falle möglicherweise betroffen fühlen. Das Gleiche gilt für Missinterpretationen, sofern sie sich aus dem einen oder anderen zitierten Gespräch ergeben haben sollten, für die eine oder andere Verwechselung, Auslassung, Ungenauigkeit oder Fehlzuordnung. Um Bunty zu zitieren: »Es ist nicht schwer zu entschieden, was in ein Buch hinein kommen soll. Schwer ist es, zu entscheiden, was nicht hinein kommen soll …«

    Halwart Schrader

    Besuch aus England. Oh Tannenbaum!

    Ende Oktober 1970. An einem jener sonnig-goldenen, föhnig-warmen Herbsttage, die den Münchner Biergärten noch einmal eine unerwartete Belebung bescheren, gleichwohl unwiderruflich den Saisonabschluss markieren, holt mich, der ich nicht in einem Biergarten, sondern am Schreibtisch sitze, das Klingeln des Telefons aus meinen Gedanken. Noch ehe ein Wort aus dem Hörer an mein Ohr dringt, weiß ich, wer der Anrufende ist: Bunty. Am ersten Schnaufer kann man das wahrnehmen. Ausnahmsweise lässt er sich nicht von seiner Sekretärin Hazel verbinden oder sie um einen Rückruf bitten; er hat es aus wichtigem Anlass offenbar vorgezogen, meine Nummer selbst zu wählen.

    »Mein lieber guter Freund, this is old Bunty speaking. Kannst du mich verstehen?«

    Ja, natürlich, Bunty! Was kann ich für dich tun? Wolltest du nicht im Herbst nach München kommen …?

    »Yes, indeed. Wie schön, dass du das nicht vergessen hast. Ja, ich werde in München Station machen auf meiner Reise nach Italien. Bei dieser Gelegenheit würde ich mit Averil gern das Oktoberfest besuchen und benötige also ein Zimmer für zwei Nächte. Aber denk’ daran, dass wir fürchterlich sparen müssen, also finde bitte das billigste Hotelzimmer, das es in München gibt. Am Sonnabend werden wir im Laufe des Tages eintreffen.«

    Bunty, die Wies’n endet immer am ersten Wochenende des Oktober, und das ist jetzt fast drei Wochen her. Sorry, no Oktoberfest!

    Er scheint überhaupt nicht zuzuhören. »Ich freue mich schon sehr darauf, you know, ich erinnere mich nämlich gut an das erste Oktoberfest in München, das ich erlebt habe, das muss 1938 gewesen sein, aber das Bier wird immer noch so gut sein, denke ich! Du wirst es doch nicht schwer haben, das Zimmer zu besorgen? Damals wohnte ich in einem Hotel, das hieß Tannenbaum, das war sehr günstig, wirklich. Finde doch bitte heraus, ob es das Haus noch gibt. Sag’ den Leuten, der komische Engländer von 1938 käme wieder einmal nach München, sie werden sich gewiss an ihn erinnern, und er würde sich glücklich schätzen, wenn er wieder das billige kleine Zimmer zur Straße hinaus …«

    Ich versuche, Bunty zu unterbrechen, aber es gelingt mir nicht. Ich möchte ihm nämlich gerne mitteilen, dass er und seine Gattin Averil bei uns im Wohnzimmer nächtigen könnten, theoretisch jedenfalls, denn praktisch geht es derzeit nicht, weil wir bereits Logierbesuch in Aussicht haben, leider.

    »Also bis Sonnabend, und ich werde dann gleich zum Tannenbaum fahren, und dann geht’s ab zur Walpurgisnacht auf dem Oktoberfest, hi-hi-hi …«

    Walpurgisnacht: Eines der Lieblingswörter Buntys, die er in fast akzentfreiem Deutsch hersagen kann, und er bezeichnet damit im Allgemeinen eine abendliche Zechtour in deutsch-fröhlicher Runde.

    Bunty ruft selten an, lieber schreibt er Briefe. Wenn wir schon fernmündlich kommunizieren, dann bin entweder ich es, der über den »Operator« Churnetside 300 anwählen lässt (Selbstwählen ins Ausland ist noch Zukunftsmusik), oder ich erhalte von Hazel einen freundlichen, aber knapp gehaltenen Anruf des Inhalts, ich möge »um die tea time« bitte zurückrufen, Bunty habe etwas auf dem Herzen, nur sei er momentan nicht da. Dann weiß ich, dass er neben ihr hockt und ihr dies zu sagen auftrug.

    Buntys Vorfahren stammen aus Schottland. Und Schotten sind für ihre Sparsamkeit bekannt. Schon vor Erfindung des Telefons waren sie sparsam. Bunty verleugnet seine Herkunft keineswegs, siehe Hotel Tannenbaum.

    Ja, das Hotel Zum Tannenbaum existiert noch. Ich reserviere also das kleine Zimmer nach vorne ’raus für seine Frau und ihn und erfahre, dass es in der Großstadt München doch tatsächlich möglich ist, im Jahre 1970 noch für 24 Mark (ohne Frühstück, versteht sich) in einem so genannten Hotel zu übernachten.

    Buntys und Averils Anreise vollzieht sich in einem Auto Baujahr 1926. Es ist für die beiden das Selbstverständlichste auf der Welt, in Fahrzeugen dieser Art durch Europa zu kutschieren. Ihr italienischer O.M. bietet so wenig Gelegenheit zur Mitnahme von Gepäck, dass zwei mittelgroße Koffer, durch Lederriemen gehalten, auf dem Heck des Zweisitzers befestigt werden müssen und ein Reserve-Benzinkanister an der linken Wagenseite verzurrt ist.

    Bunty ist enttäuscht, als er erfährt, dass einer seiner Gründe, auf seiner Reise von Rock Cottage in Staffordshire nach Santa Margherita in München Station zu machen, entfallen ist: »Du hättest mir sagen müssen, mein Junge, dass euer Oktoberfest vorzeitig abgebrochen wurde. Oh, es war doch nicht wegen der Suez-Krise? Die Amerikaner reagieren neuerdings auf alles auch wirklich sehr empfindlich. Euch hätten sie da raushalten sollen. Well, meine persönlichen Erfahrungen mit den Amerikanern sind da sehr unterschiedlich, also wir hatten erst kürzlich Besuch von einem Mafiaboss aus Chicago, weißt du, das muss ich dir gleich mal erzählen …«

    Das Oktoberfest wurde durchaus nicht abgebrochen, Bunty, es endet immer am ersten Oktober-Wochenende, und was die Suez-Krise betrifft, die ist doch längst vorüber …

    Keiner lässt den anderen ausreden. »Eh’ ich es vergesse, mein Lieber, ich muss noch heute zum Tanken fahren. Von einem Ende der Suez-Krise habe ich noch nichts gehört, und falls es nahe sein sollte, wird das Benzin auch nicht billiger. Ich habe mich bereits nach der preisgünstigsten Tankstelle in München erkundigt. Sie liegt in einem Stadtteil, der heißt Germering. Du weißt doch sicher, wo das ist, mein Lieber? Hättest du die Güte, mich dorthin zu begleiten?«

    Germering spricht er etwa wie »Germany« aus. Ich bekomme zuerst gar nicht mit, wo in Germany er zum Tanken hinfahren will. Aha, Germering! Nein, die Güte ihn zu begleiten möchte ich ausnahmsweise nicht haben, denn für mich steht heute noch Dringendes zu erledigen an, zumal daheim Logierbesuch meine Anwesenheit erfordert, und außerdem liegt Germering sehr weit weg vom Hotel Zum Tannenbaum, so dass es sich der Ersparnis wegen kaum lohnen würde, eigens zum Tanken die vielen Kilometer dorthin zu fahren. Ich rate Bunty ab – was ihn in seinem Vorhaben nur bestärkt. Und er bringt es tatsächlich fertig, mich doch zu überreden, mitzufahren, trotz meines anfänglichen Sträubens, aber er weiß, wie er mich an meiner schwächsten Stelle packen kann: »Selbstverständlich fährst du den Wagen, mit so etwas verstehst du doch umzugehen, nicht wahr?« Bunty ist schließlich im Bilde, dass ich einen 1931er Lagonda und einen 1929er Riley besitze und Autos dieser Kategorie mindestens ebenso gern fahre wie er selbst.

    Buntys Bedauern, dass er im Hotelzimmer seine Geldbörse habe liegen lassen, ist meisterhaft gespielt. Dem Tankwart ist das, was Bunty diesbezüglich vorzutragen hat, völlig wurscht, er versteht dessen Deutschenglisch ohnehin nicht und wendet sich an mich: »Zweiundvierzig fünfunddreißg. Eine Quittung?«

    »Du musst so gut sein und dem freundlichen Herrn erklären, warum du mir den Betrag auslegst und das Benzin bezahlst, mein Guter, es ist mir nämlich schrecklich unangenehm, zumal ich noch das Zigarrengeschäft in der Perusastraße aufsuchen möchte, dort gab es schon 1933 so wunderbare Havannas, ich hatte damals meinen Mercedes mit kochendem Kühler vor jenem Geschäft abstellen müssen …« Buntys Augen blitzen erwartungsvoll, sein zottiger Schnauzbart hüpft auf und nieder.

    Mir ist vollkommen klar: Die Füllung des Tanks und des voluminösen Reservekanisters versteht Bunty als eine (wenn auch nicht eingestandene) Verpflichtung seitens des Gastgebers. Ich bin ja keineswegs das erste Mal mit Bunty zusammen. Wir kennen einander seit gut fünf Jahren. Aber seine Tankstellenrechnungen habe ich bisher noch nie bezahlen dürfen – zum Glück, denn wenn er mit einem seiner Rolls-Royce-Veteranen auf Reisen ist, mit seinem großen Vauxhall 30/98 oder mit seinem schokoladenbraunen Bentley 3.5 Litre namens Charlotte, dann gute Nacht: Das Fassungsvermögen der Behältnisse in jenen Autos ist mindestens doppelt so groß wie das eines zweisitzigen O.M. Roadsters.

    Perusastraße: Sechs Havannas zu je vier fünfzig und sechs weitere zu zwei zwanzig. Es ist Buntys Walpurgistag!

    »Das Geschäft ist genau so, wie ich es in Erinnerung habe,« lautet Buntys Kommentar beim Hinausgehen. »Nur hatten sie damals nicht so schwule Verkäufer, hi-hi-hi.« Den O.M. haben wir im Halteverbot abgestellt, wo auch sonst, und es wartet schon eine Politesse neben ihm, als Bunty und ich uns nähern. Bunty scheint sie gar nicht zu bemerken, oder er will sie einfach nicht wahrnehmen, und ich schaue ebenfalls angestrengt woanders hin, damit es so aussehen möge, als hielt ich sie für eine Postbotin oder irgend eine andere Uniformträgerin, zumal die Dame uns auch nicht anspricht, und befleißige mich eines sehr englischen Englischs, als ich dem älteren, hinkenden und seufzenden Herrn im abgewetzten braunen Cordanzug auf den Beifahrersitz dieser antiken, reichlich schmutzigen und Staffordshire-Kennzeichen versehenen Fahrmaschine hieve – are you allright, Sir? Ooouh, we will manage it, won’t we, Sir? Of course we will, here we gooouh! –, mich hinter das Lenkrad klemme und durch das Betätigen des Anlasserknopfs am Armaturenbrett dem Motor zu einer Lärmentfaltung verhelfe, die das arme Mädchen mit dem schicken Dienstkäppi nicht nur zwei Schritte zurückschnellen lässt, sondern auch von seinem Vorhaben abbringt, einen Strafzettel auszuschreiben.

    »Hast du sie gesehen, die süße kleine Zuckermaus mit dem Kugelschreiber, hi-hi?« krächzt Bunty herüber, als wir vor dem Tannenbaum – diesmal legal – parken und lässt vor Vergnügen seinen Schnauzbart wackeln.

    »Du musst die meter maids glattweg ignorieren, selbst die besonders hübschen. Ich habe noch nie ein Ticket bezahlen müssen. Aber eine mal in den Po gekniffen, hi-hi-hi. Und sogar das hat nichts gekostet. But don’t tell Averil, please …«

    In der Münchner Innenstadt einen einigermaßen wertvollen Autoveteranen über Nacht einfach am Straßenrand zu parken, hätte eine böse Überraschung zur Folge haben können. Bunty hatte jedoch Vertrauen in bayerische Spitzbuben, falls es solche überhaupt gäbe: »Die würden doch eher einem teuren Porsche die Antenne verbiegen als so unfreundlich zu sein, einem klapprigen O.M. das Reserverad zu stehlen«, meinte er, »alles andere nehmen wir sowieso mit aufs Zimmer!« Es hätte ihn gereut, zehn Mark oder mehr für einen Stellplatz im Parkhaus auszugeben. Wozu ich ihm geraten hatte. Lieber schleppten er und Averil ihr gesamtes Reisegepäck mit aufs Zimmer. Frau Tannenbaum konnte gerade noch verhindern, dass sie auch noch den gefüllten Reservekanister mit hinauf nahmen.

    Anderntags treffen wir uns kurz nach zwölf beim Augustiner am Hauptbahnhof. Über das ausgelegte Geld für Benzin und Zigarren reden wir nicht. Dafür spendiere ich Bunty, während Averil ein Warenhaus in Stachus-Nähe nach dem anderen von innen besichtigt, eine Maß und ein knödelhaltiges Mittagessen und ein Stück Torte mit Kakao zum Dessert und am Ende noch eine Halbe und einen Obstler, und dann begeben wir uns zu zwei Autozubehörgeschäften in der Schwanthaler Straße, in denen sich Bunty nach billigen Ventilatorriemen, Scheinwerferbirnen und Zündkerzen erkundigt, einige Dinge sogar gegen Barzahlung in D-Mark – ich bin einigermaßen überrascht – gleich mitnimmt. Nein, für den O.M. brauche er dergleichen im Augenblick nicht, aber vielleicht für den einen oder anderen Wagen daheim.

    Zu Buntys Verwunderung führt keines der beiden Geschäfte, weder die Südmotor GmbH noch Altmeister Fahnebrock, Original-Rolls-Royce-Ersatzteile aus der Vorkriegszeit. »Die hätte ich sicher besonders günstig bekommen können, denn wer braucht hier solche Ladenhüter schon …« Die höflich vorgebrachte Frage nach einer Toilette beantwortet man dem schrulligen Kunden sogar auf Englisch: »The klo is after the office, and the waschbecken can you there also benutzen.« Anderthalb Liter Augustinerbier sind aber auch wirklich eine Menge Flüssigkeit.

    Chips ohne fish

    Februar 1971. Ich hatte mich in London mit dem Fotografen Charles Wilp verabredet; wir kundschafteten Plätze für Gauloises-Werbemotive aus und besprachen tausendundein Detail. Ein Perfektionist wie Wilp (»alles ist in Afri-Kola«) überließ nichts dem Zufall des Augenblicks. Während meines dreitägigen Aufenthalts war ich auch auf einer Oldtimer-Auktion. Mich hat es nicht überrascht, Bunty dort zu begegnen. Für Britanniens prominentesten Rolls-Royce-Gebrauchtwagenhändler ist der Besuch einschlägiger Versteigerungen eine Pflicht.

    »Oh, how nice to see you again! Bernard hat in meinem Auftrag den grünen Silver Wraith dort drüben und den schwarzen Bentley R-Type ersteigert. Bernard kennst du doch?«

    Ja, ich kenne Bernard.

    »Ich habe zwar viel zu viel Geld für die Schlitten ausgegeben, weil der Auktionator wieder mal alles rausgeholt hat … aber es ist verdammt gut angelegt, weißt du, diese wunderschönen Autos werde ich nach Amerika verkaufen …« und es folgt ein langer Exkurs über die interessanten, höchst aufnahmefähigen Rolls-Royce-Märkte in Kalifornien, in Texas, in New Jersey, Oklahoma, Illinois, Louisiana und vor allem in Arizona: »Mein Lieber, da wartet man nur so auf meine Ware!«

    Die Auktion ist zu Ende, Bernard ist dabei, ein Auto nach dem anderen irgendwohin zu fahren. Ladies and Gentlemen – das Haus Christie’s übernimmt keine Verantwortung für nicht abgeholte Ware! hat der Auktionator The Right Hon. Patrick Lindsay nach dem letzten Zuschlag verkündet. Patrick ist ein Ass in seinem Job, besitzt selbst einige antike Bentleys und hebt hin und wieder mit einem seiner kleinen Flugzeuge ab – Aufklärungsmaschinen der Royal Air Force aus dem Zweiten Weltkrieg. Patrick ist auf der britischen Oldtimerbühne fast ebenso berüchtigt wie Bunty, und deshalb gehen sie einander auch nach Möglichkeit aus dem Wege.

    Meine Zeit drängt, ich muss zur Victoria Station und möchte meinen Zug nach Dover nicht verpassen. »Frank Dale wird dich hinbringen, ich mache dich mit ihm bekannt, und Victoria liegt genau in seiner Richtung! Franks Geschäft ist am Sloane Square, weißt du! Wenn wir aber noch ein Stündchen Zeit haben sollten …«

    Aber wirklich nur ein Stündchen, mehr nicht, sage ich zu Bunty, die 20-Uhr-Fähre ist meine letzte Chance! In Oostende möchte ich den Mitternachtszug nach Brüssel erwischen.

    »Oh wie wundervoll, dann gehen wir jetzt erst einmal etwas essen … Frank kennt sicher ein gutes Lokal in der Nähe. Ich kann ihn nur gerade nirgendwo entdecken, wo steckt der gute Junge nur …«

    Frank Dale wird wohl ebenfalls ein von ihm ersteigertes Auto in Sicherheit bringen, nehme ich an. Also ein Taxi! Es dauert und dauert, ehe eins hält. Natürlich reicht die Zeit nicht mehr für einen Lunch, denn der Verkehr ist dicht, und für die letzten Meter zur Victoria Station benötigen wir eine Ewigkeit. Bunty ist wie immer nicht gut zu Fuß, besteht aber darauf, mich bis an den Zug zu begleiten. Und dann geschieht das Unerwartete: »Mein guter Junge, ich schulde dir ja so viel, du warst neulich in München so spendabel. Ich hätte dich wahnsinnig gern zu einem Lunch eingeladen. Ich bin traurig, es betrübt mich aufs Tiefste, dass dazu nun keine Zeit mehr ist, das musst du mir glauben.«

    Die Tränen, die ihm dabei in den Augen stehen, sind sicher nicht solche der Rührung, eher der Zugluft auf dem Bahnsteig. So wie der Dauertropfen an seiner Nase nicht unbedingt ein Zeichen von Erkältung ist.

    Ich besteige den Zug; es sind noch etwa fünf oder sieben Minuten bis zur

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