Die dreizehnblättrige Rose - Von den Geheimnissen der Kabbala und ihrer Bedeutung für unser Leben
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Über dieses E-Book
Die Vorstellungen, was Kabbala wirklich meint, gehen weit auseinander. Außerhalb der jüdischen Tradition wird ihr Schwerpunkt häufig auf magisch-numerologischer Ebene angesetzt, doch das trifft nicht den Kern der Dinge. In Wahrheit geht es bei der Kabbala um Lebenskunst und um ein Leben im Einklang mit der GÖTTLICHEN GEGENWART. Die Kabbala will nicht den Anderen oder die Umstände verändern, sondern es geht ihr um die Veränderung des Einzelnen. Rabbi Adin Steinsaltz gilt weltweit als eine der größten Autoritäten zur Kabbala. Er wird in Israel und in der ganzen Welt verehrt wegen seiner tiefen Menschenkenntnis und seiner Weisheit des Herzens. Die "Dreizehnblättrige Rose" ist eine Perle jüdischer Mystik, ohne jemals weltabgehoben zu sein. Immer steht im Text der Mensch und sein Leben im Alltag im Mittelpunkt, doch stets geht der Blick über die alltägliche Wirklichkeit hinaus auf eine höhere Dimension, die alles Erdengeschehen durchwirkt. Wahre Kabbala zeigt sich überall dort, wo sie ein Menschenleben verändert und die verborgene Gegenwart Gottes in allem Geschaffenen aufleuchten lässt. Jüdische Spiritualität und Lebensweisheit in praktischer und poetischer Vollendung. Eine wundervoll glitzernde Perle der Mystik!
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Buchvorschau
Die dreizehnblättrige Rose - Von den Geheimnissen der Kabbala und ihrer Bedeutung für unser Leben - Rabbi Adin Steinsaltz
ISBN 978-3-86191-171-5
1. Auflage 2020
© der deutschen Ausgabe Crotona Verlag GmbH
Kammer 11 • D-83123 Amerang
www.crotona.de
Titel der Originalausgabe: The Thirteen Petalled Rose
© 2006 Adin Steinsaltz
Übersetzung aus dem Hebräischen:
Marcel Marcus und Dr. Klaus Schäfer
Umschlaggestaltung: Annette Wagner
unter Verwendung von 55309 © Howard Sandler Fotolia.com
INHALT
VORWORT
EINFÜHRUNG
Kapitel I
WELTEN
Kapitel II
ERSCHEINUNG DES GÖTTLICHEN
Kapitel III
DIE SEELE DES MENSCHEN
Kapitel IV
HEILIGKEIT
Kapitel V
TORA
Kapitel VI
DIE ENTSCHEIDUNG – EIN WORT ZUR ETHIK
Kapitel VII
DER MENSCH ALS BILDNIS
Kapitel VIII
UMKEHR
Kapitel IX
DIE SUCHE NACH SICH SELBST
Kapitel X
MIZWOT
Kapitel XI
GEBET
Kapitel XII
EINE ZUSÄTZLICHE BEMERKUNG ZUM KIDDUSCH
Kapitel XIII
PATACH ELIJAHU
ELIJAHU BEGANN UND SPRACH
GLOSSAR
„GLEICH WIE DIE ROSE ZWISCHEN DEN DORNEN…"
(HOHELIED 2:2).
„Was ist die Rose ? Knesset Israel, die Gemeinschaft Israels. Denn es gibt eine Rose (oben) und eine Rose (unten). So wie die Rose unter den Dornen rot und weiß besitzt, so besitzt Knesset Israel Gerechtigkeit und Erbarmen. So wie die Rose dreizehn Blütenblätter hat, so hat Knesset Israel dreizehn Gnadeneigenschaften, die sie von allen Seiten umgeben."
BEGINN DES SOHAR
VORWORT
Dieses Buch entstand vor bald drei Jahrzehnten als Antwort auf die Fragen einiger Bekannten und Freunde, die mehr über die innere Bedeutung des jüdischen Lebens wissen wollten. Auch wenn die Dinge den Eingeweihten bekannt sind, so gibt es viele, die mit ihnen nicht vertraut sind. In diesem Buch sind die wesentlichen Inhalte zusammengetragen und in einfacher Sprache angeordnet worden, um jedem zugänglich zu sein.
Dieses Buch zu schreiben, war eine außergewöhnliche Erfahrung für mich. Ich schrieb oder diktierte es in einem abgelegenen Raum, ohne zu wissen oder mir vorstellen zu können, wer seine Leser sein würden. Anfangs wusste ich nicht, ob dieses Buch überhaupt Leser finden würde. Manches schien zu kompliziert, manches schien meilenweit entfernt von irgendjemandes Denkweise.
Das Buch hat dann irgendwie im Laufe der Zeit eine große Zahl von Leuten stark beeinflusst. Dies wurde mir allmählich bewusst in den vielen kleinen Begegnungen, die ich als Autor mit meinen Lesern hatte. In einigen Fällen war die Wirkung weit intensiver, als ich je erwartet hätte. Zumindest für einige begann mit der Begegnung mit diesem Buch eine Veränderung in ihrem Leben, manchmal eine drastische Veränderung.
Ich kann das eigentlich nicht erklären, aber zwei Dinge sind wohl von Bedeutung. Zum einen ist die „Rose sicher nicht eines der vielen Bücher, die über die Kabbala geschrieben wurden. Auf seine schlichte Art – und ohne Fachjargon – ist es ein kleines, vielleicht nicht immer ganz eingängiges Buch der Kabbala. Der große Vorteil des Buches ist es, dass es nicht von „außen
geschrieben wurde, sondern ein Einblick aus dem Inneren heraus ist. Und scheinbar ist der Blick auf das Innere des jüdischen Lebens, des jüdischen Denkens, für Viele von großer Bedeutung.
Zum anderen schrieb ich das Buch, so glaube ich, aufrichtig. Meiner Meinung nach ist die Kabbala die Theologie des jüdischen Volkes. In der „Rose" geht es eigentlich nicht darum, was andere über die Kabbala sagen, sondern sie beschreibt, was für mich das wahre Bild der Kabbala ist, in den meisten ihrer oft verborgenen Ausbildungen. Die Kabbala ist versteckt, nicht nur durch die Sprache, sondern auch durch ihren Stil, durch Tausende von unverständlichen Redewendungen. Ich versuche nicht, sie zu popularisieren, sondern einige der Prinzipien der Kabbala, die ich als wahr empfinde, einseitig darzustellen.
In unserer heutigen Zeit, da einige entstellte, vermarktete und billige Popularisierungen der Kabbala Mode geworden sind, ist es wichtig zu erklären, dass dieses Buch nicht beabsichtig, die Kabbala simpel zu präsentieren. Diesem Buch muss man begegnen, es kommt nicht jedem entgegen. Der Leser muss sich selbst anstrengen, und diese Anstrengung ist für viele eine leise Berührung der Wahrheit, die von großer Kraft ist.
Obwohl „Die dreizehnblätterige Rose" ursprünglich auf Hebräisch geschrieben wurde, erschien sie erst in mehreren anderen Sprachen, bevor es zu einer hebräischen Auflage kam. Damals wollten einige den urprünglichen Text korrigieren und verbessern, aber dann ließen sie es sein. Zwei neue Kapitel wurden hinzugefügt. Die vorliegende deutsche Übersetzung entstand ursprünglich aufgrund der ersten beiden englischen Ausgaben. Sie wurde dann aufgrund der hebräische Ausgabe überarbeitet und die beiden neuen Kapitel hinzugefügt.
Diese beiden Kapitel unterscheiden sich vom Rest des Buches. Das eine behandelt ausführlich das Gebet, oder besser das Beten. Nicht die Formen des Gebetes, sondern wie wir beten. Das andere ist ein Kommentar zu einem Kapitel aus dem Sohar, dem wichtigsten Buch der Kabbala, das seine Grundbegriffe enthält. Die Deutung ist so gegeben, dass der Leser etwas Authentischem begegnet, einem Teil der Sache selbst – ich schreibe nicht darüber, beschreibe nicht, sondern ich schreibe es nieder, schreibe es so, wie es ist.
Was wir Wahrheit nennen, birgt in sich ein Geheimnis. Die „Rose enthüllt etwas von diesem Geheimnis – sie ist dabei manchmal nicht sehr ausführlich. Und nicht immer sehr vergeistigt. Auch ist vieles in ihr nicht unbedingt neu. Aber sie hat ihre eigene Schönheit. Ich übergebe Ihnen „Die dreizehnblättrige Rose
, damit Sie versuchen können, dem zu begegnen, das in sich wahr ist. Möge dies der Nutzen einer Begegnung zwischen Buch und Leser sein.
Adin Steinsaltz
EINFÜHRUNG
Wir leben heute in einer Welt, die immer mehr vom Körperlichen bestimmt wird. Dank unserer modernen Technologie werden alle unsere materiellen Wünsche befriedigt: Wir haben nicht nur Brot zum Essen, Kleidung zum Tragen und ein Dach zum Schutz vor den Naturgewalten, sondern auch ein großes Maß an Freizeit. Es ist für uns eine Genugtuung, dass unsere Bedürfnisse mehr als nur befriedigt werden. Natürlich haben wir noch nicht alle diesen Zustand erreicht. Es gibt in unserer Welt immer noch Armut und Hunger (und zu keinem geringen Ausmaß innerhalb der Wohlstandsgesellschaft). Doch jeder weiß, dass einige Dinge knapp sind, und überall auf der Welt unternehmen viele Menschen große Anstrengungen, um Armut, Krankheit und die anderen Geißeln der Menschheit zu bekämpfen. So wie immer mehr Institutionen uns das „Brot in all seinen Formen liefern, so gibt es auch immer mehr und immer größere Unternehmen, die sich um den „Vergnügungsanteil
unserer Bedürfnisse kümmern. Ziel dieser Unterhaltungsindustrie ist es, uns die Zeit zu vertreiben, und zwar mit Produkten der Phantasie, mittels derer wir das Leben und die Erlebnisse anderer genießen können und so unseren Geist befriedigen.
Im Grunde gilt dies auch für die, die sich eigentlich mit unseren geistigen Bedürfnissen beschäftigen sollten. In der Psychologie wird die Psyche kaum betont, und das nicht nur, wenn chemische Mittel benutzt werden, sondern auch, wenn Heilung der inneren Probleme des Menschen mittels Worten versucht wird. Hier geht es darum, praktikable Systeme zu errichten, durch die die Primärtriebe des Menschen innerhalb der jeweiligen sozialen Ordnung weiter funktionieren können. Das religiöse Establishment ist dieser Tendenz nicht sehr fern, ob es nun religiöse Themen psychologisiert oder aus religiösen Institutionen und religiösen Gemeinschaften ein soziales Umfeld für die gegenseitige Hilfe und Unterstützung anderer macht.
Natürlich ist das nicht verwerflich, denn die physischen und sozialen Bedürfnisse eines Menschen müssen ja irgendwie befriedigt werden. Doch der Mensch ist im Grunde ein Geschöpf mit zwei Gesichtern. Wie es in Genesis heißt, der Mensch ist einerseits Staub vom Acker andererseits wurde ihm ein heiliger Geist eingehaucht. Der Körper begreift die Wirklichkeit durch seine körperlichen Sinne. Wir wissen, was wir sehen oder hören, riechen, schmecken und fühlen können. Was wir nicht so direkt erfahren können, erkennen oder fühlen wir über gewisse Drüsen, durch Sexualhormone, Nebennieren oder die Schilddrüse. Aber außerdem hat der Mensch eine Seele. Ob es uns gefällt oder nicht, diese Seele existiert in Symbiose mit dem Körper und bedarf des Körpers, um sich auszudrücken. Aber von sich aus sucht sie nach anderen Welten, tappt in der und durch die körperliche Hülle und ihre Sinne, durch all die Scheidewände des Körperlichen, um sich zu verwirklichen und den Weg in andere Dimensionen zu finden.
Der ständige Druck unserer körperlichen Bedürfnisse, die Unruhe unseres immer hastigeren Lebens, der Lärm und die Aufregung aller möglichen Arten von Vergnügen dämpfen zwar die Begehren der Seele, aber beseitigen sie nicht. Nichts kann sie ersetzen. Oft bleibt nur ein dunkler Schmerz, ein fast unbewusstes Gefühl des Mangels, der Lücke oder der Unzulänglichkeit. Manchmal bricht es mit ungeheurer Kraft als eine große Sehnsucht der inneren Not hervor, auch wenn es nicht so klar ist, was uns da eigentlich fehlt.
Dieses kleine Buch ist ein Buch für die Seele. Es beginnt mit voller Absicht (und vielleicht zum Schrecken einiger Leser) mit der Sicht einer anderen Realität. Es geht nicht von dieser Welt aus oder von dem vertrauten Weg des Menschen in unserer Gesellschaft. Stattdessen versucht es, vom wahren Zentrum allen Seins aus zur Welt und zum menschlichen Leben zu gelangen. Hier wird nicht versucht, vom Judentum zu sprechen, seinen Wert zu beweisen oder es zu rechtfertigen, sondern die Botschaft soll sich vielmehr selbst vermitteln. Wenn jemand seine Seele zuhören lässt, wird die Seele bald herausfinden, dass sie sich nur zu erinnern braucht; denn irgendwie weiß sie das schon alles.
Kapitel I
WELTEN
Die körperliche Welt, in der wir leben, das uns umgebende objektiv wahrgenommene Weltall, ist nur ein Teil eines unfassbar ausgedehnten Gefüges von Welten. Die meisten dieser Welten sind in ihrem Wesen geistig. Sie gehören einer anderen Ordnung an als die uns bekannte Welt. Was nicht notwendig bedeutet, dass sie irgendwo anders sind, sondern eher, dass sie in anderen Dimensionen des Seins existieren. Die verschiedenen Welten durchdringen einander derart und wirken in einer Weise aufeinander ein, dass sie als Gegenstücke zu einander betrachtet werden können, weil jede sich in der Welt unter oder über ihr widerspiegelt oder auf sie projiziert – mit allen Abwandlungen, Änderungen und auch Verzerrungen, die sich aus einer solchen Wechselwirkung ergeben. Das Ergebnis dieser unendlich verwickelten Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Bereichen beinhaltet auch die spezifische Welt der Wirklichkeit, die wir in unserem Alltagsleben erfahren.
Spreche ich von oberen oder unteren Welten, dann will ich damit keine wirkliche körperliche Beziehung beschreiben, denn im Reich des Geistigen gibt es keine solche Unterteilung, und Worte wie „hoch und „niedrig
beziehen sich nur auf den Ort einer jeden einzelnen Welt auf der Leiter der Ursachen und Wirkungen. Eine ursprünglichere, grundlegendere, weil der Urquelle allen Einflusses näher stehende Welt heißt „höher; ist eine Welt nachgeordnet, gewissermaßen eine Kopie, dann ist sie „weiter unten
. Die Kopie ist jedoch nicht eine Nachahmung, sondern eher ein ganzes System, ein Gefüge, das mehr oder weniger eigenständig mit seiner eigenen Vielfalt an Erfahrungen, an Eigenarten und an Fähigkeiten lebt.
Die Welt, in der wir gewöhnlich leben, mit allem, was zu ihr gehört, nennen wir die „Welt der Tätigkeit. Sie schließt die Welt sowohl unserer sinnlichen als auch unserer nichtsinnlichen Wahrnehmung ein. Diese Welt der Tätigkeit ist jedoch nicht durchgängig ein und desselben Wesens und nur von ein und derselben Beschaffenheit. Was wir als die „Welt der physischen Natur
und der mehr oder weniger mechanischen Vorgänge kennen, d. h. die vom Naturgesetz beherrschte Welt, ist der untere Teil der Welt der Tätigkeit. Über dieser Welt der körperlichen Natur gibt es jedoch einen anderen Teil derselben Welt, den wir die „Welt der geistigen Tätigkeit" nennen können. Diese beiden Bereiche der Welt der Tätigkeit überschneiden sich in einem Geschöpf – im Menschen, der so zwischen ihnen steht, dass er an beiden teilhat. Als Teil des körperlichen Gefüges des Weltalls ist der Mensch den physikalischen, chemischen und biologischen Gesetzen der Natur unterworfen; aufgrund seines Bewusstseins aber gehört er selbst dann noch zur geistigen Welt, zur Welt der Ideen, wenn dieses Bewusstsein restlos mit Dingen niedrigerer Ordnung beschäftigt ist. Zweifellos sind diese der Welt der Tätigkeit zugehörigen Ideen fast ganz an die materielle, stoffliche Welt gebunden, denn sie erwachsen aus ihr und gehen über sie hinaus, ohne aber je wirklich von ihr loszukommen. Dies gilt ebenso für die Höhen des ausgreifendsten und umfassendsten Philosophierens wie für die Denkprozesse des Unwissenden, des urtümlichen Wilden oder des Kindes.
Jeder Aspekt der menschlichen Existenz besteht somit aus beidem, aus Stofflichem und aus Geistigem. Dabei ist in der Welt der Tätigkeit das Geistige dem Stofflichen jederzeit untergeordnet, weil es eben die Naturgesetze sind, die das Gesicht und die Gestalt aller Dinge festlegen und als Brennpunkte aller Prozesse fungieren. In dieser Welt kann der Geist nur im festen Rahmen des Wirkens der sogenannten Naturkräfte auftreten und seine Rolle spielen. So weit sich auch das Denken von der sogenannten Realität gelöst und getrennt haben mag, so gehört es doch noch immer zur Welt der Tätigkeit.
Die Welt der Tätigkeit ist jedoch nur eine Welt innerhalb eines allgemeinen Gefüges, das vier grundlegende Seinsdimensionen, vier verschiedene Welten umfasst, jede von ihnen mit ihrem eigenen Kosmos unterschiedlicher Wesenheiten. Die überlieferten Namen dieser vier Welten, von oben nach unten geordnet, lauten „Ausstrahlung, „Schöpfung
, „Gestaltung und „Tätigkeit
. Die Welt unmittelbar über uns ist also die Welt der Gestaltung. Um den Unterschied zwischen den Welten zu verstehen, müssen wir zuerst bestimmte Faktoren begreifen, die allen vier gemeinsam sind und die die Überlieferung als „Welt, „Jahr
und „Seele bezeichnete. Heute würden wir von „Raum
, „Zeit und „Selbst
(der Erfahrung des eigenen Seins) sprechen. Jede Welt ist von den anderen durch die Art und Weise unterschieden, in der diese drei Faktoren in ihr in Erscheinung treten. So kann es zum Beispiel in unserer Welt Dinge nur in der Weise geben, dass sie einen bestimmten Platz einnehmen. Körperlicher Raum ist der Hintergrund, vor dem alle Objekte sich bewegen und alle Geschöpfe tätig sind. Das, was in den höheren Welten und auch in der Welt der geistigen Tätigkeit dem Raum der körperlichen Tätigkeit entspricht, nennen wir einen „Palast. Er ist der Rahmen, in dem sich unterschiedliche Formen und Wesen einander nähern und verbinden. Vielleicht können wir ihn mit den in sich geschlossenen Systemen vergleichen, die man in der Mathematik unter der Bezeichnung „Gruppen
oder „Felder kennt. In jedem von ihnen sind alle Teile der Einheit in einer eindeutig feststehenden Weise auf alle anderen Teile und auf das Ganze bezogen. Derartige Systeme und Gefüge können bewohnt oder randvoll, verhältnismäßig dünn besiedelt oder leer sein. Wie dem auch sei – ein derartiges Gefüge aufeinander bezogener Wesen bildet einen „Ort
, einen „Palast" in den höheren Welten.
Auch die Zeit bedeutet in den verschiedenen Welten jeweils etwas anderes. In unserem Erfahrungsbereich wird Zeit mittels der Bewegung körperlicher Gegenstände im Raum gemessen. Der Begriff „Jahr" an sich bezeichnet das, was den Vorgang der Veränderung als solchen ausmacht. Es ist der Übergang von einer Sache zur anderen, von Form zu Form, und beinhaltet auch den Begriff der Ursächlichkeit, die alle Umformungen in den Schranken des Gesetzes hält. Je höher man in der Ordnung der Welten kommt, desto weniger lässt sich dieses Zeitgefüge noch gegenständlich fassen, noch ähnelt es irgendeiner Art von Zeit, wie sie uns in der körperlichen Welt bekannt ist. Schließlich wird es nur noch zum reinen Wesen von Veränderung selbst, ja sogar zur bloßen Möglichkeit der Veränderung überhaupt.
Schließlich geht es um das, was wir „Seele" nennen. Auf der Ebene der Körper ist sie die Gesamtheit der lebendigen Geschöpfe, die in den Dimensionen von Zeit und Raum dieser Welt tätig sind. Obwohl diese Lebewesen ein wesentlicher Teil dieser Welt sind, treten sie innerhalb des allgemeinen Zusammenhangs dadurch hervor, dass sie um sich selbst und um die Welt wissen. Ähnlich sind die Seelen in den höheren Welten ihrer selbst bewusste Wesenheiten, die im Rahmen des Palastes und des Jahres ihrer jeweiligen Welt wirken.
Die Welt der Gestaltung ist, so könnte man sagen, ihrem Wesen nach eine Welt des Fühlens. Ihr hauptsächlicher Gehalt, ihre Art von Erfahrung, ist die Gefühlsregung, welcher Art auch immer. Gefühle sind die Grundstoffe, die die Lebensmuster dieser Welt prägen. Die Lebewesen dieser Welt sind bewusste Erscheinungen einzelner Triebkräfte – Antriebe, etwas ganz Bestimmtes zu tun oder in ganz bestimmter Weise zu reagieren – oder Erscheinungen der Kraft, einen Anstoß in die Tat umzusetzen, der Richtung einer Neigung oder einer Eingebung zu folgen und sie zu verwirklichen. Die lebendigen Geschöpfe der Welt der Gestaltung, die Wesen, die in ihr so am Werk sind wie wir in der Welt der Tätigkeit, nennen wir im Allgemeinen „Engel".
Ein Engel ist eine geistige