Das Buch Ruth: Eine Auslegung aus messianisch-jüdischer Perspektive
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Buchvorschau
Das Buch Ruth - Dr. Arnold G. Fruchtenbaum
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EINLEITUNG
1.1 Titel
Der Titel des Buches ist nach dessen Hauptperson, einer Frau namens Ruth, benannt. Für die Herkunft des Namens lassen sich zwei mögliche Wortstämme ausmachen. Eine Möglichkeit lautet raah, was soviel wie »mit jemandem verkehren« bzw. »mit jemandem Umgang pflegen« bedeutet. Die zweite Möglichkeit findet sich in dem Wort reut, das die Bedeutung von »befreundet sein« besitzt. Darüberhinaus findet sich in diesem Wort der Sinngehalt von »Erquickung«, »Sättigung« und »Annehmlichkeit«. Welche Herkunft man dem Namen Ruth auch geben mag, der zentrale Gedanke ist der der »Freundschaft«. Ruths Name wird zwölfmal im gleichnamigen Buch genannt, erscheint jedoch nur einmal an anderer Stelle in der Bibel, in Matthäus 1 Vers 5.
Fünfmal wird Ruth in diesem Buch als Moabiterin bezeichnet (Ruth 1,22; 2,2; 2,21; 4,5; 4,10), womit der Autor ihre nichtjüdischen Herkunft betont. Sie wird sowohl vor als auch nach ihrer Hinwendung zum mosaischen Judentum als Moabiterin bezeichnet. Das Alte Testament besitzt nur zwei Bücher, die ihren Namen von nicht-jüdischen Personen ableiten: Das Buch Ruth und das Buch Hiob.
Tabelle 1: Ruth und Esther – ein Vergleich
Ruth ist eines von zwei Büchern der Bibel, die nach einer Frau benannt werden; das andere ist das Buch Esther. Es lassen sich fünf Kategorien feststellen, in denen Ruth und Esther ähnlich oder kontrastierend erscheinen (Tabelle 1). Erstens: Ruth war eine heidnische Frau, während Esther Jüdin war. Zweitens: Ruth lebte als Nicht-Jüdin unter Juden, Esther hingegen als Jüdin unter Heiden. Drittens heiratete Ruth aus königlicher Linie, während Esther einen Heiden heiratete, der ein Weltreich beherrschte. Viertens ist das Buch Ruth ebenso wie das Buch Esther eine Geschichte des Glaubens und Segens. Fünftens: Während das Buch Ruth die Herrschaft, die Souveränität Gottes betont (und daher der Name Gottes erwähnt wird), betont das Buch Esther die Vorsehung Gottes (und verzichtet daher auf die Nennung des Namens Gottes).
Neben den masoretischen Texten finden sich unter den Schriftrollen des Toten Meeres Fragmente von vier hebräischen Manuskripten, die Abschnitte des Buches Ruth enthalten: Ruth 2,13-14 [1]; Ruth 3,13-18 [2] und 14 Zeilen aus Kapitel 1 [3].
1.2 Autor
Obgleich der Verfasser des Buches Ruth nicht bekannt ist, gilt nach dem Talmud Samuel als Schreiber dieses Buches [4]. Es ist nicht möglich, diese Aussage zu verifizieren, aber es entspricht der rabbinischen Tradition. Wer auch der Verfasser ist – er kann keinesfalls Augenzeuge der Ereignisse gewesen sein, denn sie ereigneten sich ca. 100 bis 150 Jahre vor seiner Zeit. Er musste jedoch, was offensichtlich ist, Zugang zu den schriftlichen Berichten der Familie Juda und der Linie des Perez besessen haben.
1.3 Die Abfassungszeit
Das Buch selbst gibt uns verschiedene Hinweise auf die Zeitperiode seiner Abfassung. Der erste Vers zeigt bereits, dass das Buch nach der Zeit der Richter entstand. Die Wendung als die Richter richteten weist darauf hin, dass es sich um ein vergangenes Geschehen handelt und die Niederschrift nach Ende der Richterzeit erfolgte, obgleich sich die Begebenheit selbst während der Zeit der Richter ereignete. Zum Zweiten sieht sich der Autor in Kapitel 4 Vers 7 genötigt, einen damals nicht mehr üblichen Brauch zu beschreiben, was zeigt, dass eine gewisse Zeit zwischen dem Geschehen und der Niederschrift verstrichen ist. Und zum Dritten deutet der Umstand, dass die Genealogie mit David endet, sein Sohn Salomo aber nicht erwähnt wird, auf die Abfassung des Buches Ruth zur Zeit Davids hin. Viertens ist die Sprache des hebräischen Textes ein klassisches Hebräisch und zeigt damit eine frühe Abfassungszeit an. Und Fünftens umfasst der Text viele archaische Formen, die sich in späterem Hebräisch nicht mehr finden.
Ein Argument für eine spätere Entstehungszeit ist das Vorhandensein von aramäischen Formen, wie sie sich beispielsweise in Ruth 1,20 finden. Zwei Bemerkungen hierzu: Es ist erstens fraglich, ob es sich tatsächlich um aramäische Wendungen handelt, da es keine klare Beweise dafür gibt. Selbst wenn hierbei aramäische Begriffe verwendet werden, spricht dies nicht zwangsläufig für eine späte Abfassungszeit. Ungewöhnlich ist das nicht; beispielsweise enthalten die El Armana-Briefe, geschrieben um 1400 v.Chr., ebenfalls aramäische Formen. Damit war Aramäisch bereits zur Zeit der El Armana bekannt, also lange vor der Zeit Ruths.
Tabelle 2: Megilloth und Feiertage
Es lässt sich also der Schluss ziehen, dass das Buch zur Zeit König Davids, also um das Jahr 1000 v.Chr., geschrieben wurde, möglicherweise in der Periode, als er nur über den Stamm Juda regierte (d.h. bevor er König über ganz Israel wurde).
1.4 Die Stellung im Kanon
1.4.1 Die hebräische Bibel
Die Hebräische Bibel gliedert sich in drei Abschnitte: Das Gesetz, die Propheten und die Schriften. Im Hebräischen Kanon findet sich Ruth als fünftes Buch im dritten Abschnitt, den Ketuvim oder den Schriften. Es ist eines von fünf Büchern, deren Gesamtheit als Megilloth (die Schriftrollen) bekannt sind und in der Synagoge an fünf besonderen Feiertagen rezitiert werden: das Hohelied, Ruth, Klagelieder, Prediger und Esther. Das Lied der Lieder (das Hohelied) wird anlässlich des Passah-Festes gelesen, das Buch Ruth während des Wochenfestes. Die Klagelieder werden während des neunten Av vorgetragen; dieser Tag ist ein mit Fasten verbundener Tag der Trauer über den Fall Jerusalems. Am Laubhütten-Fest wird das Buch Prediger und am Purim-Fest das Buch Esther rezitiert.
In rabbinischer Tradition behauptet der Talmud, das Buch Ruth sei ursprünglich das erste Buch des dritten Abschnittes, der Ketuvim (Schriften) gewesen:
Ezra und die Chronik. – Sollte er doch nach demjenigen, welcher sagt, Ijob lebte zur Zeit Mŏses, Ijob an die Spitze setzen!? – Wir beginnen nicht mit einem Strafgerichte. – Ruth handelt ja ebenfalls von einem Strafgerichte!? – Es war ein Strafgericht, das aber [gut] endete. R.Joḥanan sagte nämlich, sie heiße deshalb Ruth, weil von ihr David entstammte, der den Heiligen, gepriesen sei er, mit Lob- und Dankliedern sättigte. [5]
In den Tosaphot, den rabbinischen »Zusätzen«, lesen wir:
Der Bericht von Hiob nimmt ebenfalls ein gutes Ende. Die Antwort? Ruths Ende war bedeutsam für die Geschichte Israels. Wie antworten wir? Der Heilige, gepriesen sei Er, vermehrte Hiobs Belohnung allein dadurch, dass er ihn aus dieser Welt nahm. [6]
1.4.2 Die Septuaginta
Im dritten vorchristlichen Jahrhundert entstand die Septuaginta– telos ton kriton eingefügt; sie bedeutet »das Ende der Richter« und zeigt damit eine Trennung zwischen den beiden Büchern Richter und Ruth an. Josephus, ein jüdischer Historiker des ersten Jahrhunderts, führt an, Ruth sei an das Ende des Buches Richter angefügt worden, obgleich es in früheren Zeiten bereits eine Einheit bildete. Jedenfalls zeigt es die unterschiedlichen Sichten der hebräisch-sprechenden Juden und der hellenistischen (griechisch-sprechenden) Juden über die Stellung Ruths im Kanon; die hellenistischen Juden folgen der Einteilung der ursprünglichen Septuaginta.
1.4.3 Die deutsche Bibel
Unsere Bibeln folgen der Ordnung, wie sie die Septuaginta vorgibt; Ruth folgt daher dem Buch der Richter, dient gleichfalls als dritter Anhang dieses Buches. Die ersten beiden dieser Anhänge zeichnen ein negatives Bild der geistlichen Situation des Volkes Israel. Das Buch Ruth schildert eine positive Seite und verdeutlicht damit: Es gibt immer noch Menschen, die das Gesetz Moses achten.
1.5 Historischer Hintergrund
1.5.1 Die Richterzeit
Nach Ruth 1,1 finden die Ereignisse während der Richterzeit statt. An späterer Stelle legt der Autor dar, dass sich die Begebenheiten während und nach einer Hungersnot ereignen. Handelt es sich hierbei um dieselbe ernsthafte Nahrungsknappheit, von der Richter 6,3f berichtet, fanden das Geschehen am wahrscheinlichsten zu Gideons Lebzeiten statt.
1.5.2 Richter und Ruth
In acht Bereichen können die Bücher Richter und Ruth verglichen werden (Tabelle 3). Erstens stellt das Buch der Richter die Unmoral des Volkes heraus; das Buch Ruth hingegen betont Treue, Gerechtigkeit und Reinheit. Zweitens sind die Berichte des Buches Richter von Götzendienst gekennzeichnet; Ruth stellt die Anbetung Gottes heraus. Drittens: Richter berichtet von Niedergang und Abtrünnigkeit; Ruth von Hingabe. Weiter berichtet Richter von Begierde und Lust, während Ruth die Liebe hervorhebt. Fünftens ist das Buch der Richter von Kampf und Krieg durchzogen; Ruth ist geprägt von Frieden. Des weiteren zeigt sich hier Grausamkeit, dort Freundlichkeit. Siebtens schildert Richter, wie Ungehorsam Gericht nach sich zieht; bei Ruth hingegen mündet Gehorsam in Segen. Richter offenbart geistliche Dunkelheit, Ruth geistliche Klarheit. Damit bildet Ruth einen adäquaten Abschluss des Buches der Richter, indem es einerseits den Kontrast zwischen den Stämmen Juda (die Vorfahren des Königs David) und Benjamin (die Vorfahren Sauls) darstellt, andererseits zwischen Bethlehem, dem Geburtsort Davids, und Gibea, Sauls Geburtsort, schildert und gleichsam als Hinführung zum Buch Samuel dient, indem es den familiären Hintergrund des Königs David darlegt.