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The Huntress: Der Kampf um die Siegel
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The Huntress: Der Kampf um die Siegel
eBook431 Seiten5 Stunden

The Huntress: Der Kampf um die Siegel

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Über dieses E-Book

Bei einem mysteriösen Autounfall verliert die junge Alexis Colt ihre Familie. Ihr Elternhaus wird abgebrannt und wichtige Utensilien, darunter der Dolch ihres Vaters, werden gestohlen. Auf der Suche nach dem Erbstück gerät Alexis in einen Kampf mit einem Dämon, der sie fast das Leben kostet. Ihr Retter, Raymund Tray, nimmt Alexis unter seine Fittiche und schult sie darin, dass übernatürliche Böse in Amerikas Straßen aufzuspüren und zu töten. Als dann auch noch der Engel Jophiel bei ihr auftaucht, gerät sie immer tiefer zwischen die Fronten von Himmel und Hölle.
SpracheDeutsch
HerausgeberEisermann Verlag
Erscheinungsdatum22. Apr. 2020
ISBN9783961731817
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    Buchvorschau

    The Huntress - Jacqueline Steinke

    ausgeschlossen.

    Prolog

    Meine Eltern hatten keine zwei Stunden gebraucht, um zu bemerken, dass ich verschwunden war – auf eine Party, die sie mir verboten hatten.

    Der Regen rieselte trübsinnig an den beschlagenen Fenstern des Camaros herab, mit dem sie mich abgeholt hatten.

    Die beiden waren stocksauer. Sie stritten sich darum, wer Schuld hatte, dass das unartige, sechzehnjährige Mädchen verschwunden war. Emmy, meine kleine Schwester, saß neben mir und lächelte mich mitfühlend an, während sie mit den Händen einen Schmetterling formte.

    Als der Stresspegel und die Lautstärke unerträglich wurden, unterbrach ich wütend und leicht lallend die hitzige Diskussion meiner Eltern.

    »Könnt ihr bitte aufhören zu streiten!« Ihre Stimmen waren wie Hammerschläge, die gegen meinen Schädel schlugen und heftige Schmerzen verursachten. In meinem Kopf drehte sich alles und das ständige Ruckeln des Autos verursachte mir Übelkeit.

    »Wärst du einfach zu Hause geblieben, hätten wir keinen Grund zum Streiten! Wirklich, Alexis, was hast du dir dabei gedacht?«

    Mir entschlüpfte ein Seufzen. »Ich dachte, ich könnte einmal in meinem Leben Spaß haben.«

    Mein Vater war einer dieser regelgetreuen Kirchgänger, der uns jeden Sonntag in das heilige Haus Gottes zerrte. Alkohol, Partys und Jungs gehörten zu den Dingen, die strikt untersagt waren. Zugegeben, im Nachhinein war die Menge an Alkohol keine gute Idee gewesen.

    Mein Blick traf den meines wütenden Vaters im Rückspiegel. Frustriert ließ ich mich zurück in meinen Sitz sinken.

    Der Regen wurde schlimmer und schlug unerbittlich gegen das Glas. Mein Vater sah sich hektisch um. Er drückte eine Hand auf sein Ohr, als wolle er ein Geräusch ausblenden.

    »Alles okay, Schatz?«, fragte meine Mutter besorgt.

    Er nickte und griff nach ihrer Hand.

    Emmy musste niesen und verteilte ihren Rotz überall in ihrem Gesicht. Mir wurde übel. Als sie dann auch noch mit der Zunge versuchte, den Schleim abzulecken, musste ich mich abwenden. Galle stieg meine Kehle empor und ich war mir sicher, dass ich nicht mehr lange fähig sein würde, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten.

    »Könntest du deiner Schwester die Nase putzen?«, bat meine Mutter mich und reichte mir ein Taschentuch.

    Ich sah Emmy noch einmal an, spürte den Würgereflex in meiner Kehle und wandte mich schnellstmöglich ab, um mich nicht vor Ort übergeben zu müssen. Ich schüttelte den Kopf.

    Sie schnallte sich ab und lehnte sich über ihren Sitz zu uns nach hinten, um an Emmy heranzukommen.

    In diesem Moment riss mein Vater das Lenkrad herum.

    Meine Mutter wurde zur Seite geschleudert und stieß sich den Kopf an der Decke. Der Wagen rutschte über den nassen Asphalt. Mein Vater ruderte wie wild an dem Lenkrad, was jedoch nichts half. Unser Wagen schoss über den Grünstreifen. Meine Schwester schrie auf. Panik überkam mich. Mir blieb die Luft weg.

    Die Beifahrertür krachte so heftig an einen Baum, dass mich mein Sicherheitsgurt in den Sitz presste. Ich klammerte mich fest. Glassplitter prasselten durch den Wagen. Reflexartig presste ich die Augen zu, um mich vor ihnen zu schützen. Der Wagen schlitterte unkontrolliert weiter, drehte sich um die eigene Achse. Mein Herz raste, das Blut rauschte in meinen Ohren. Ich öffnete die Augen und sah noch, wie die Fahrerseite einen weiteren Baum rammte. Mein Kopf prallte gegen die Tür.

    Dann wurde es schwarz und still.

    Ich schlug orientierungslos meine Augen auf. Was ich sah, war verschwommen und leicht verzerrt. Ich fasste vorsichtig an meine pochende Schläfe, von der eine warme Flüssigkeit herunterrann. In meinem Kopf hämmerte es unerträglich. Meine Glieder schmerzten. Ich kniff kurz die Augen zusammen, um die Sicht scharf zu stellen. Das Atmen fiel mir unerträglich schwer. Der Gurt hatte sich straff um meinen Brustkorb gelegt.

    Ich sah mich um, konnte im ersten Moment aber nur Umrisse erkennen. Ich hatte Mühe, klar sehen zu können, auch weil es dunkel war. Vorsichtig drehte ich den Kopf.

    Meine Schwester war still … zu still. Sie hatte die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. In ihrer Brust steckte ein großes Stück Glas, das vermutlich von der zerbrochenen Frontscheibe stammte. Ich erkannte nur schemenhaft, dass ihre Kleidung von einer dunklen Flüssigkeit durchtränkt war. Meine Mutter lag zusammengekrümmt über das Armaturenbrett gebeugt. Ihr Gesicht konnte ich nicht erkennen.

    Ich begann zu schreien, doch meine Stimme drang nur gedämpft an meine Ohren.

    Mein Vater bewegte sich. Ich sah durch den Tränenschleier, wie er sich mir zuwandte und etwas sagte. Ich verstand ihn nicht, konnte ihn einfach nicht hören. Mein Kopf pulsierte heftig und der Schmerz nahm unerträgliche Ausmaße an, bevor sich mein Körper den Qualen ergab, und ich zurück in den Nebel sank.

    Das Erste, das ich registrierte, als ich zu Bewusstsein kam, war eine Hand, die sanft auf meiner Schulter lag. Ich hob den Blick und sah in ein hellblaues Augenpaar. Schemenhaft erkannte ich, dass die Augen zu einem Mann gehörten, den ein heller Schein umgab. Ich versuchte, die Hand wegzuschieben, schaffte es aber nicht. Meine Kraft war vollkommen erschöpft. Jede noch so kleine Bewegung fühlte sich an, wie tausend kleine Messerstiche.

    »Bring sie hier raus!«, befahl mein Vater, dessen Stimme ich nur undeutlich hörte, dem Fremden.

    Ich löste meinen Blick von dem Mann, dessen Hand weiter auf meiner Schulter lag. Mein Kopf fuhr ruckartig herum, was das Rauschen in meinen Ohren verschlimmerte. Ich kniff kurz die Augen zusammen, um den Schmerz zu verdrängen, und fixierte meinen Vater, der sich mir und dem Fremden zugewandt hatte. Er röchelte. Blut lief ihm aus dem Mundwinkel. Tränen brannten in meinen Augen, rannen über meine Wangen. Ein erstickter Laut entwich meiner Kehle, die sich merkwürdig eng anfühlte.

    Dad sah mich an. »Hab keine Angst. Er wird auf dich aufpassen.«

    Der Fremde löste meinen Sicherheitsgurt und zog an mir. Ich schlug gegen seine Arme, schrie um mein Leben. Sofort setzte ein brennender Schmerz ein, der mich heftig zusammenzucken ließ. Ich ignorierte ihn und strampelte nur stärker, als der Mann an mir zerrte. Auf keinen Fall wollte ich den Wagen ohne meinen Vater verlassen. Aber so wie Dad mich ansah, würde genau das passieren.

    Das Knirschen von Metall ließ mich aufhorchen. Abrupt brach ich meine Gegenwehr ab und beobachtete, wie sich das Blech auf der Motorhaube verbeulte. Es sah aus, als stehe etwas darauf, aber es war nichts zu erkennen. Ich vernahm ein Kratzen wie von Krallen und ein leises Knurren.

    Wir starrten auf die Motorhaube.

    »Schaff sie sofort hier raus!«, schrie mein Vater voller Panik. Er wandte sich mir ein letztes Mal zu, seine Augen vor Schreck und Entsetzen geweitet, bevor er wieder zur Motorhaube sah.

    Ohne zu zögern, beugte sich der Fremde vor, umschloss mich mit seinen starken Armen und hievte mich mühelos aus dem Auto. Ich schrie und kämpfte gegen den Griff des Fremden an. Auf keinen Fall wollte ich meinen Vater zurücklassen. Doch es half nichts. Ich war zu schwach. Der Fremde brachte ein wenig Abstand zwischen mich und das Wrack, das Feuer gefangen hatte. Ich zappelte in seinem festen Griff und schrie mir die Seele aus dem Leib. Es war unsinnig, das wusste ich, aber ich wollte einfach nur zurück zu meiner Familie.

    Der Mann mit den blauen Augen versuchte, mich so sanft wie möglich festzuhalten. Doch auch diese leichten Berührungen fühlten sich wie kleine Messerstiche an. Er sah sich besorgt nach meinen Eltern und meiner kleinen Schwester um, schüttelte jedoch den Kopf, als er bemerkte, dass ich ihn hoffnungsvoll ansah.

    Ich sah zurück und bereute es augenblicklich. Ein grauenhafter Schrei bohrte sich tief in mein Innerstes und ich sah, wie sich die Flammen unaufhaltsam über ihre Beute hermachten. Erneut schossen mir Tränen in die Augen. Das Auto stand lichterloh in Flammen. Auch wenn ich wusste, dass es nur Sekunden waren, die vergangen waren, fühlte es sich wie Stunden an. Mein Körper begann unkontrolliert zu zittern und mein Herz raste. Der Fremde bemerkte es und drückte mich sanft an seine Brust. Eine angenehme Wärme umfasste mich und brachte mich ein wenig zur Ruhe. Sein angenehmer Geruch nach Sandelholz umhüllte mich. Plötzlich war alles still. Friedlich. Ruhig. Für einen Moment schien das Chaos um mich herum an Bedeutung verloren zu haben und in den Hintergrund gerückt zu sein.

    Ich schaute zu dem Wrack, das zur Todesfalle meiner Familie geworden war. Mein Körper wurde taub und meine Emotionen zogen sich zurück. Versteckten sich im hintersten Teil meines Bewusstseins und ließen nichts als ein stumpfes Gefühl zurück.

    Nach einer Weile setzte er mich am Straßenrand ab. Ich hörte das Quietschen herannahender Reifen. Der Mann kniete sich vor mich, wie ein Ritter vor eine Prinzessin. Er musterte meinen Körper und ich fühlte mich plötzlich schrecklich entblößt. Als würde er nicht nur meine Wunden, sondern auch meine Seele durchleuchten. Ich begann zu wimmern. Seine Hand strich sacht über meinen Rücken. Er flüsterte irgendetwas in einer Sprache, die ich nicht verstand, aber allein der Klang seiner Stimme schaffte es, meinen Puls zu beruhigen.

    In der Ferne hörte ich Stimmen. Ein Rettungstrupp hatte sich um den Unfallort versammelt. Versuchte zu helfen, wo nichts mehr zu helfen war. Und dann …

    Da stand ein Mann neben dem Fahrzeug.

    Dunkle Kleidung. Helle Zähne, die in der Dunkelheit boshaft grinsten. Er hielt eine Leine in der Hand, die zu einem Hund führte, der neben ihm saß. Zumindest sah es auf den ersten Blick aus wie ein Hund. Als ich mich auf das Wesen konzentrierte, um herauszufinden was da tatsächlich saß, fiel mir auf, dass er viel größer als ein normaler Hund war. Sein Fell sah zerrissen aus und eine Flüssigkeit tropfte von seinen gefletschten Zähnen. Das Vieh sah in meine Richtung.

    Ich erstarrte. Ein plötzlicher Adrenalinschub jagte durch meinen Körper und hinterließ eine Gänsehaut auf meinen Armen.

    Obwohl er so weit weg war, sah ich deutlich die Aggressivität in seinen Augen. Ich kroch ein Stückchen weiter nach hinten. Der Mann, der eben noch vor mir gehockt hatte, war verschwunden, und als ich zurücksah, war auch der Kerl mit dem Hund fort.

    Kälte breitete sich in mir aus. Ich sackte in mich zusammen. Rollte mich auf den Boden zu einer Kugel. Verängstigt und allein lag ich auf dem nassen Asphalt. Der Regen bedeckte mich und versteckte meine Tränen.

    Eine mit Latex überzogene Hand griff nach mir. Die Hand einer Frau, die mit einer Taschenlampe in meine Augen leuchtete. Sie rief ihrem Kollegen etwas zu, der sofort mit einem Koffer angerannt kam.

    »Alles wird gut«, flüsterte sie. Eine glatte Lüge. Nichts würde gut werden.

    Dann ergaben sich mein Körper und mein Verstand, und die Welt um mich herum versank in Dunkelheit.

    * * *

    Vier Jahre später …

    Kapitel 1

    Alexis

    Der Mann war stark. Er warf mich quer durch den Raum, als wöge ich nichts. Ich schlug mit dem Kopf gegen die Wand, rappelte mich schnell wieder auf, leicht schwankend und mit pochendem Schädel. Was zum Teufel ist er?

    Seine Augen glühten in einem tiefen Schwarz. Er nahm den Dolch, der einst meinem Vater gehört hatte, aus seinem Gürtel und schwenkte ihn vor mir hin und her.

    »Hast du wirklich geglaubt, es wird so einfach?« Er zog den linken Mundwinkel nach oben, was ihm ein tölpelhaftes Aussehen verlieh.

    Ich erstarrte für einen Moment, als er direkt vor mir stehen blieb. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, und sofort durchzog mich ein eisiger Schauer. Als er versuchte, mir noch näher zu kommen, und sich vorbeugte, verpasste ich ihm eine schallende Ohrfeige, die ihn allerdings nur zu amüsieren schien. Mist!

    »Na, na. Nicht doch. Wir werden eine Menge Spaß miteinander haben.«

    Er hatte kaum den Satz beendet, da holte er aus. Obwohl ich versuchte, ihm auszuweichen, streifte sein Messer meine rechte Seite. Die Waffe zerschnitt mein Top und Blut lief an meinem Körper hinab. Der Mann hob das Messer in die Luft und musterte für einen Moment mein Blut an der Klinge, bevor er es genüsslich ableckte. Fassungslos starrte ich ihn mit offenem Mund an.

    »Ausgezeichnet im Geschmack. So jung und unverbraucht.«

    Was zur Hölle …? Schockiert sah ich ihm zu, wie er auch die andere Seite des Messers ableckte, bevor er auf mich losging.

    Ich wehrte ihn ab, verpasste ihm ein paar kräftige Hiebe mit geballten Fäusten, doch auch er traf mich mit Schlägen und der verdammten Klinge des Messers, und das nicht zu knapp. Immer wieder schlug er auf mich ein, prügelte mich zu Boden und ließ mir keine Chance auf eine Gegenwehr, sodass mir am Ende keine Möglichkeit blieb, mich zur Wehr zu setzen. Ich sackte zu Boden, rollte mich zu einer Kugel zusammen und versuchte, mit meinen angewinkelten Armen sowohl meinen Magen als auch meinen Kopf zu schützen, nicht wissend, wie lange ich den stetig heftiger werdenden Tritten standhalten würde. Meine Rippen gaben irgendwann knirschend nach und ein enormer Schmerz erfasste meinen Körper. Mein Schrei hallte durch den Raum und ich rollte mich auf die weniger verletzte Seite, um davonzurobben. Doch die Schmerzen ließen mich innehalten und aufkeuchen. Mein Angreifer erwischte meinen Kopf, ein- oder auch zweimal, bevor sich mein Sichtfeld zu einem kleinen Punkt zusammenzog. Sterne tanzten vor meinen Augen.

    Wie aus weiter Ferne bemerkte ich einen anderen Mann, der mit einem Messer die Brust meines Angreifers durchbohrte. Eine Art Blitz durchzog ihn und dann fiel er kraftlos zu Boden. Jemand rüttelte mich an der Schulter und zog meinen Arm von meinem Gesicht weg. Ich wimmerte, zitterte, dann versank ich in Dunkelheit und Stille.

    Ein stetiges Piepen holte mich langsam aus meinem Schlaf. Im ersten Moment dachte ich, es würde sich um meinen Wecker handeln, doch den hatte ich seit knapp vier Jahren nicht mehr zu hören bekommen. Und der wäre garantiert wesentlich nervtötender gewesen.

    Ich versuchte, meine Lider zu öffnen, und blinzelte gegen ein viel zu grelles Licht an, das den gesamten Raum flutete. Schnell kniff ich die Augen wieder zusammen. Ich brauchte einen Moment, bevor ich einen erneuten Versuch startete. Dieses Mal war es nicht mehr ganz so unangenehm. Ich spürte ein leichtes Wummern in meinem Kopf. Meine Kehle war trocken und als ich versuchte, mich aufzusetzen, um meine Umgebung genauer zu betrachten, durchzog mich ein stechender Schmerz, der von meiner linken Seite in meinen gesamten Körper strahlte. Ich keuchte auf, versuchte, den Schmerz zu umgehen, indem ich mich ein kleines Stück auf die rechte Körperhälfte rollte. Es half. Ich atmete ein paarmal tief durch und konzentrierte mich auf meine Umgebung, sorgsam darauf bedacht, mich nicht weiter zu bewegen. Das Erste, das ich wahrnahm, war der Schlauch, der in meiner linken Hand steckte und zu einem Infusionstropf neben meinem Bett führte. Das Zweite war, dass ich nur einen Kittel trug und drittens klebten auf meiner Brust kleine Elektroden, die zu einem zweiten Gerät rechts von mir führten. Wie es aussah, überwachte das Ding meine Vitalwerte. Ich wollte mit der rechten Hand an die Elektroden kommen, schaffte es aber nicht. Mein Arm war zu taub und jede kleine Bewegung erinnerte mich daran, dass meine Rippen immer noch da waren. In dem Raum gab es nicht viele Möbel. Ein abschließbarer Schrank zu meiner Linken mit angrenzender Tür zum Badezimmer, zu meiner Rechten stand ein kleiner Beistelltisch und ein Fenster gewährte den Blick auf die Natur. Draußen war es dämmrig, was darauf schließen ließ, dass es entweder Morgen oder bereits Abend war. Ich versuchte, mich erneut auf meine Ellbogen zu stützen. Eine verdammt schlechte Idee. Sofort hatte ich das Gefühl, tausend kleine Messer würden sich in meine Seite bohren. Ich keuchte auf, kniff die Augen fest zusammen und drängte meine Tränen zurück.

    »Ich würde liegen bleiben«, empfahl mir eine raue Stimme, die mich zusammenzucken ließ. Ich blickte in die Richtung, aus der diese kam und sah einen dunkel gekleideten Mann, der in der Ecke des Zimmers in einem Sessel saß und eine Zeitung in den Händen hielt. Er war mir zuvor gar nicht aufgefallen. Auf den ersten Blick war mir klar, dass er kein Angestellter des Krankenhauses sein konnte. Da er auch kein Bekannter von mir war – ich hatte genau genommen keine Bekannten –, fing mein Herz sofort an, wild zu hämmern. Er blickte über den Rand seiner Zeitung, legte sie auf den kleinen Tisch neben dem Sessel und bückte sich nach seiner Tasche, die vor ihm auf dem Boden lag.

    Misstrauisch beobachtete ich ihn.

    »Weißt du, wo du bist?«, fragte er, während er seine Tasche durchsuchte.

    Ich nickte, was er natürlich nicht sah, da sein Blick nach unten gerichtet war. Als er keine Antwort bekam, blickte er kurz auf. Zögerlich bewegte ich meinen Kopf erneut, sorgsam darauf bedacht, nur den Kopf zu bewegen. Er nahm es zur Kenntnis und wandte sich wieder seiner Tasche zu, schob sie zur Seite, erhob sich und kam mit einer länglichen Schatulle in der Hand auf mich zu.

    Der Kerl war schätzungsweise etwas unter zwei Meter groß, hatte kurz geschorene Haare und eine dunkle Haut. Meine Musterung endete abrupt, als er sich auf der Bettkante niederließ. Reflexartig wich ich zur Seite, was meine Rippen sofort abstraften. Trotz des Schmerzes schaffte ich es, die Bettdecke schützend bis unter mein Kinn zu ziehen. Meine zitternden Hände krallten sich in den rauen Stoff. Die Maschine piepte immer schneller.

    Der Mann schaute auf den Monitor und runzelte die Stirn, bevor er mich ansah. Er hatte dunkelbraune Augen, unter denen sich ein lila Schatten auf die Haut gelegt hatte. Vorsichtig versuchte ich, noch weiter von ihm wegzurobben. Er blickte auf die Schatulle in seiner Hand und streckte sie mir entgegen, was mich erneut zusammenschrecken ließ.

    »Ich dachte, das möchtest du wiederhaben«, sagte er in einem Ton, der klang, als würde er mit einem verängstigten Tier sprechen.

    Zugegeben, wirklich zutraulich war ich in dem Moment nicht. Aber wer war das schon, wenn er in einem Krankenhaus aufwachte und plötzlich ein fremder Mann im Zimmer war, der sich dann auch noch auf das Bett setzte?

    Er betrachtete mich eindringlich. Vermutlich begutachtete er die Wunden, die mit absoluter Sicherheit mein Gesicht entstellten. Sie brannten und juckten, ein Zeichen dafür, dass der Heilungsprozess bereits eingesetzt hatte. Vielleicht sah er sich aber auch einfach nur mein schmutziges Gesicht an. Ich lebte seit drei Jahren auf der Straße und war mit Sicherheit kein schöner Anblick. Nach dem Unfall meiner Eltern hatte ich in verschiedenen Pflegefamilien gelebt, bei denen ich es allerdings nie lange ausgehalten hatte. Ich hatte die erzwungene Nähe und das greifbare Mitleid, das ständig in der Luft hing, einfach nicht ertragen und war weggelaufen. Ich nächtigte auf Parkbänken und bettelte um ein paar Dollar, um mir wenigstens einmal am Tag eine Mahlzeit zu finanzieren. Ich war auf die schiefe Bahn geraten, prügelte mich oft, um den angestauten Frust loszuwerden, und beging mehrere Ladendiebstähle. Ich nahm nie etwas, was ich nicht dringend brauchte, hatte mir nur Nahrung, Kleidung und einen Schlafsack für die kalten Winternächte besorgt. Mir war bewusst, dass ich vermutlich unangenehm roch, auch wenn mir das selbst nicht mehr auffiel. Aber wer sich nicht jeden Tag wusch, stank nun einmal. Ich selbst nahm den Geruch überhaupt nicht mehr wahr.

    Als ich keine Anstalten machte, die Schachtel entgegenzunehmen, öffnete er sie und zeigte mir den Inhalt. Sprachlos starrte ich in das längliche Kästchen. In ihr lag der Dolch meines Vaters, das einzige Erbstück, das mir geblieben war. Er war von dem Blut befreit worden und glänzte in dem künstlichen Licht der Deckenleuchten. Überrascht, aber vor allem erleichtert ließ ich die Decke sinken und griff nach dem Dolch. Tränen traten mir in die Augen, als ich mit den Fingern vorsichtig über die feinen Maserungen des Holzgriffs strich.

    »Danke«, flüsterte ich heiser.

    Er lächelte kurz, zog den Beistelltisch näher an das Bett und hob die gelbliche Abdeckung einer Schüssel an, unter der eine widerlich stinkende Suppe zum Vorschein kam. Ich musste mich sehr zusammenreißen, nicht in laute Würgegeräusche auszubrechen. Normalerweise lehnte ich Essen nicht ab, vor allem nicht, wenn es umsonst war, aber diese Suppe stank derart nach faulen Eiern, dass sich mir der Magen umdrehte. Vielleicht lag meine empfindliche Reaktion auch daran, dass ich ziemlich angeschlagen war. Ich schob das Tablett zur Seite, wodurch ich mir einen strengen Blick des Fremden einfing.

    »Du solltest etwas essen.«

    »Nur wenn du willst, dass ich dir vor die Füße kotze«, gab ich zurück.

    Er schnaufte kurz und ging zurück zum Sessel. Ich betrachtete den Fremden eine Weile und war froh, dass er wieder Abstand zu mir aufgebaut hatte. Trotzdem wunderte mich, dass er das Zimmer nicht verließ. Jetzt mal ehrlich, welcher Kerl setzte sich in ein Zimmer zu einer Patientin, die er nicht kannte? Und da der letzte mir unbekannte Mann mich in dieses Krankenhaus befördert hatte, hatte ich jeden Grund, misstrauisch zu sein. So wie der Typ aussah, hätte er auch als Gangmitglied irgendeiner Straßenbande durchgehen können. Vielleicht trug er sogar eine Waffe bei sich. Zugegeben, jetzt wurde ich ein wenig paranoid, aber wer wäre das in dieser Situation nicht geworden?

    Ohne Vorwarnung wurde die Zimmertür aufgestoßen und zwei Frauen kamen herein. Eine von ihnen war schätzungsweise Mitte vierzig und steuerte auf mein Bett zu. Sie musterte mich kurz, schüttelte missbilligend den Kopf, umrundete das Bett, um die Maschine neben mir zu betrachten und die Werte in eine kleine Tabelle einzutragen, die auf dem Tisch daneben lag. Ohne ein einziges Wort riss sie mir die Elektroden unsanft von der Brust, dass ich zusammenzuckte. Allerdings wusste ich nicht, ob vor Überraschung oder Schmerz.

    »Verdammte Scheiße, geht das auch vorsichtiger?«, keifte ich die Frau an.

    Sie würdigte mich keines Blickes und kümmerte sich ungerührt um den Infusionsschlauch. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie einfach daran gerissen hätte, um mich vom Tropf zu nehmen.

    »Miss Colt, wissen Sie, wo Sie sind?«, fragte mich die zweite Frau. Sie trug einen langen Kittel und um ihren Hals hing ein Stethoskop.

    Ich musste das Namensschild nicht lesen, um zu wissen, dass dies die behandelnde Ärztin war. Das verriet bereits ihre Körpersprache. Gestraffte Schultern, die Augen nur auf das Klemmbrett in ihrer Hand gerichtet, aus dem sie vermutlich meine Diagnosen entnahm.

    »Entweder in einem echt miesen Hotel, oder, was die schlimmere Alternative wäre, in einem beschissenen Krankenhaus«, antwortete ich und sah mich noch einmal in dem Raum um. Ja, ich war definitiv in einem verdammten Krankenhaus und das war überhaupt nicht gut.

    Sie stand so weit abseits, dass ich mir sicher war, noch nach Straße und Mülltonnen zu riechen. Ich meine, müsste die Frau nicht irgendetwas an mir überprüfen? Vermutlich reichte ihr die Tatsache, dass ich atmete vollkommen aus.

    Sie blickte kurz auf, um den fremden Mann zu mustern. Missbilligend schüttelte sie den Kopf und warf ihm einen wütenden Blick zu. Anscheinend kannten sich die beiden. Wie sie ihn ansah, war das nicht mit positiven Erinnerungen verbunden.

    Das letzte Mal, dass ich an so einem Ort festgesessen hatte, war nach dem Tod meiner Familie gewesen. Die schlimmste Zeit, die ich je hatte mitmachen müssen. Mutterseelenallein lag ich in meinem Zimmer, und durch die Stille, die dieser Ort mit sich brachte, hatte ich genug Zeit, meinen Gedanken hinterherzuhängen. Und das war das Letzte, was ich wollte. Auch die Krankenschwestern waren damals keine große Hilfe gewesen. Entweder sie hatten Mitleid mit mir oder waren so charmant wie die Dame, die gerade mit dem Beistelltisch mein Bett gerammt hatte. Ich stöhnte kurz auf und warf ihr einen vernichtenden Blick zu, den sie jedoch nicht realisierte.

    Die Ärztin kam nun doch näher. »Sie haben sich zwei Rippen geprellt und einige Blutergüsse zugezogen. Sie werden ein paar Tage hierbleiben müssen, vorausgesetzt, Sie sind versichert.«

    Oh, na klar, das liebe Geld. Tja, Pech für sie. Wenn man auf der Straße lebte, besaß man diesen Luxus nicht.

    Der Mann in dem Sessel räusperte sich geräuschvoll.

    Die Ärztin wandte sich ihm zu, und beide tauschten böse Blicke aus.

    »Tja, nein, habe ich nicht. Also werde ich wohl heute noch gehen können«, stellte ich zufrieden fest. Das hier war der letzte Ort, an dem ich bleiben würde.

    »Sie können jemanden anrufen, der Sie abholen kann«, war ihre knappe Antwort.

    Wieder funkelten sich die Frau und der Fremde wütend an. »Bevor ich es vergesse: Zwei Polizisten möchten noch mit Ihnen über den Vorfall sprechen. Ich werde Sie gleich kontaktieren. In der Zeit können Sie Ihren Anruf tätigen.«

    »Kann ich kurz mit Ihnen sprechen«, warf der Fremde ein. Ohne auf eine Antwort zu warten, stapfte er zur Tür hinaus.

    Schnaubend folgte die Ärztin dem Mann. Auch die andere Dame verließ das Zimmer.

    Ich nutzte die Gelegenheit und testete meine Belastbarkeit. Jede Bewegung verursachte so schreckliche Schmerzen, dass ich hätte schreien können. Doch wenn ich hier herauskommen wollte, musste ich mich zusammenreißen. Ich warf die Decke zur Seite, stemmte mich auf meine Unterarme und blieb einen Moment in der Position. Ich atmete stoßweise aus, wartete, bis der Schmerz sich legte, und wagte einen weiteren Schritt in Richtung Freiheit. Als ich dann tatsächlich auf den Beinen stand, wurde mir kurz schwarz vor Augen. Ich krallte mich am Bettgestell fest, drängte die aufkommende Ohnmacht zurück, atmete erneut tief durch und befreite meinen Arm von dem Infusionsschlauch samt der daran befestigten Nadel. Eine wirklich miese Idee, denn es tat ziemlich weh und fing sofort an zu bluten. Schnell griff ich nach dem Zipfel meines Hemdes und drückte ihn auf die kleine Einstichstelle. Ich seufzte auf, wagte ein paar Schritte in Richtung Tür und lehnte mich erschöpft gegen den Kleiderschrank. Ich war nicht einmal zwei Meter weit gekommen und hatte das Gefühl, einen verdammten Marathon gelaufen zu sein. Meine Glieder schrien nach Erlösung, ich keuchte angestrengt. Die beste Voraussetzung, um aus dem Krankenhaus zu fliehen.

    Da ich befürchtete umzukippen, wenn ich noch einen weiteren Schritt wagen würde, lehnte ich mich mit dem Rücken gegen das Holz des Schrankes und ließ den Kopf nach hinten sinken. Von der Tür drangen gedämpfte Stimmen. Ich mobilisierte meine verbliebenen Kräfte und erreichte schlussendlich die Tür. Blöderweise unterhielten sich die Ärztin und der Fremde angestrengt auf dem Flur, sodass jede Flucht unmöglich war. Ich stützte mich an der Wand ab und verfolgte das Gespräch.

    »Raymund, ich werde jetzt die Polizei informieren. Die werden sich um das Mädchen kümmern«, erklangt die helle Stimme der Ärztin.

    Raymund? Das musste der Name des Fremden sein.

    »Du kannst diese Idioten nicht anrufen, solange ich nicht mit ihr gesprochen habe. Ich muss wissen, woran sie sich erinnern kann. Wenn sie etwas Falsches aussagt, könnte das für sie schwerwiegende Konsequenzen haben.«

    »Blödsinn. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie die Kleine in eine Irrenanstalt einweisen, weil ihr niemand glaubt. Oder sie wird aufgrund ihrer Vorstrafen verhaftet und in ein Gefängnis gesteckt.«

    Irrenanstalt? Was hätte ich denn bitte sagen sollen, um in einer Irrenanstalt zu landen? Da war ein Mann, der mich angegriffen hat. Dass er mein Blut von der Klinge geleckt hatte, machte ihn zum Irren und nicht mich.

    »Das würde die Situation natürlich besser machen«, spottete der Mann aufgebracht. »Was meinst du mit: Vorstrafen?«

    »Als wenn du das nicht wüsstest. Wie ich dich kenne, hast du die Kleine bereits komplett abgecheckt.«

    Was meinte die Ärztin damit?

    »Abgesehen davon hat der Polizist, der heute Morgen zufällig auf der Intensivstation war, sie erkannt. Es liegt ein Haftbefehl vor und eine Vermisstenanzeige. Vermutlich von den letzten Pflegeeltern. Sie hat es nie lange mit anderen Menschen ausgehalten. Das Mädchen hat die letzten Jahre auf der Straße verbracht, und genauso sieht sie auch aus.«

    »Jetzt mach mal halblang!«, erwiderte der Fremde aufgebracht.

    »Wenn du mich fragst, ist das Mädchen nicht dein Problem.«

    »Marissa. Aus irgendeinem Grund wollte das Mädchen an den Dolch der Engel kommen. Vielleicht ist sie selbst ein Jäger. Bitte, lass mich nur kurz mit ihr sprechen. Nur damit ich im Klaren bin, ob das Mädchen vielleicht mehr weiß, als gut für sie ist«, flehte er fast.

    Dolch der Engel? Meinte er etwa das Ding, das

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