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Findet Viivika: Das Kind, das zu viel wusste
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Findet Viivika: Das Kind, das zu viel wusste
eBook400 Seiten5 Stunden

Findet Viivika: Das Kind, das zu viel wusste

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Über dieses E-Book

Ein Brand verwüstet nachts einen Vorort bei Tallinn. In derselben Nacht trifft Kaari auf einer verlassenen Waldstraße auf ein kleines Mädchen namens Viivika. Nichtsahnend nimmt sie es mit und wird dadurch zum Spielball internationaler Organisationen, die sie ihrer gesamten Existensgrundlage berauben. Allmählich wird Kaari klar, dass Moskau in dem Mädchen eine wichtige Schlüsselfigur zur Durchsetzung seiner Interessen sieht, und ihre Verfolger kein Mittel scheuen, sie und das Kind zu finden.

Den Ursprung dieser Geschichte bilden die Tallinner Unruhen im April 2007 mit ihren weitreichenden Folgen für das kleine Estland. Die Handlung beginnt zwölf Jahre später im selben Land, von Russland bedroht und unterwandert, durch das Wiederaufleben russischer Ansprüche auf dieses Territorium in allen Bereichen das von Melancholie und Depression geprägt ist.

Ein politisch brisanter und hochspannender Spionagethriller.
SpracheDeutsch
Herausgeber110th
Erscheinungsdatum26. Nov. 2014
ISBN9783958653207
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    Buchvorschau

    Findet Viivika - Jaak Paekivi

    werden.

    Vorwort

    Sämtliche Geschehnisse in diesem Buch sind bis zu einem verhängnisvollen Datum, das ich in meinem Roman als ›V-Tag‹ bezeichne, wahre Gegebenheiten und werden hier einschließlich der richtigen Namen und Bezeichnungen von Organisationen, offiziellen Abkürzungen und Abkommen unverfälscht und nach bestem Wissen wiedergegeben.

    Der ›V-Tag‹ bedeutet in diesem Roman eine Gabelung, an der meine Geschichte einen anderen Weg einschlägt, als die wahre (insbesondere ›Moskaus Antwort‹ im Kapitel 12). Diese wurde somit im Rahmen der schriftstellerischen Freiheit in eigene Bahnen gelenkt und ist frei erfunden. Keinesfalls habe ich diesen Roman geschrieben, um irgendeine Person des privaten oder öffentlichen Lebens, eine Nation oder einen Staat zu diskreditieren und hoffe, niemand möge an meiner subjektiven Betrachtung der politischen und wirtschaftlichen Dinge sowie an der Darstellung einzelner Personen Anstoß nehmen. Alle Namen von Privatpersonen sind frei erfunden.

    Inhalt

    Vorwort

    Inhalt

    Prolog Historie: Moskau, 9. Mai 2005, 10 Uhr Ortszeit

    Kapitel 01 14 Jahre später

    Kapitel 02 mehrere Stunden später

    Kapitel 03 13.30 Uhr Ortszeit

    Kapitel 04 Landung

    Kapitel 05 Flucht

    Kapitel 06 Am nächsten Tag

    Kapitel 07 Donnerstag - Katz und Maus

    Kapitel 08 Historie: Tallinn - Donnerstag, 26. April 2007

    Kapitel 09 12 Jahre später

    Kapitel 10 Historie: Tallinn - Ende April 2007

    Kapitel 11 12 Jahre später - Freitag - Helsinki

    Kapitel 12 »Moskaus Antwort« - Der V-Tag

    Kapitel 13 Auftakt in Rovaniemi

    Kapitel 14 – Erkenntnisse

    Kapitel 15 12 Monate später – Hiiumaa

    Epilog Nachwort

    Prolog

    Moskau, 9. Mai 2005, 10 Uhr Ortszeit

    Die prunkvolle Parade konnte beginnen. Siebentausend Soldaten in Sowjetarmeeuniformen aus dem Zweiten Weltkrieg und über zweitausend Kriegsveteranen nahmen am Marsch auf dem Roten Platz teil und feierten den sechzigsten Jahrestag des Weltkriegsendes. Um Terroranschlägen wie im letzten Jahr im Nordkaukasus und drei Jahre zuvor – auch jeweils am 9. Mai – vorzubeugen, sicherten rund zwanzigtausend Polizisten die Stadt. Präsident Putin hatte weder Kosten noch Mühen gescheut. Auf seiner Gästeliste standen über fünfzig Staats- und Regierungschefs, darunter der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush. Zu Putins Ärger fehlten allerdings zwei Staaten: Lettland und Estland. Die Amtsinhaber beider baltischen Staaten blieben der Zeremonie aus Protest fern. Sie konnten und wollten die russische Interpretation der Nachkriegsgeschichte nicht dulden, der zufolge sich die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland im Jahr 1945 freiwillig der Sowjetunion angeschlossen hätten.

    Für die lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga und für den estnischen Ministerpräsidenten Andrus Ansip war diese Version schlichtweg ein Hohn. Allein in Estland wurden zwischen 1949 und 1959 schätzungsweise neunzehntausend Esten von den Russen hingerichtet und weitere Zehntausende verschleppt. Wer konnte da noch von Freiwilligkeit sprechen und dies auch noch selbst glauben? Präsident Putin verbat sich jedoch jegliche Versuche ›baltischer Geschichtsumschreibung‹, nach der Russland die baltischen Staaten nach dem Sieg über Hitlerdeutschland zwangsweise annektiert hätte.

    »Drei lange Jahre hat die Sowjetarmee fast im Alleingang gegen den Faschismus gekämpft, hier [im Baltikum] fanden die entscheidenden Schlachten statt. Hier wurde der Mythos von der Unbesiegbarkeit der Faschisten-Armee zerstört, bis 1945 der große Sieg kam.« Das war die russisch-heroische Version, die Putin an diesem Tag zum Ausdruck brachte.

    Es standen sich zwei unterschiedliche Kulturen gegenüber und jede entschied das Recht für sich selbst. Die Balten sollten allerdings sehr bald spüren, wie gefährlich es war, den benachbarten russischen Bären zu reizen – mochten sie nun im Recht gewesen sein oder nicht. Der russische Bär hatte die Angewohnheit, auf eigenen, sehr traditionellen Wegen zu selbstdefinierter Gerechtigkeit zu kommen. Als Werkzeug diente ihm dafür eine große russische Minderheit im Baltikum, die er jederzeit über die Medien oder Mittelsmänner instrumentalisieren konnte – für die heutige russische Politik ein sehr nützliches Erbe Stalins.

    Kapitel 1

    14 Jahre später

    Die schmale Mondsichel verschwand allmählich hinter den Wäldern, deren unebener Horizont sich nur noch schwer von der nunmehr schwarzen Himmelskuppel abhob.

    Während Kaari ihren Wagen mit unangemessen hoher Geschwindigkeit über die einsame Waldstraße jagte, war sie wieder einmal in Gedanken versunken. Sie bemerkte kaum, dass ihr leichter Sommerschuh viel zu schwer auf dem Gaspedal lag.

    Eine innere Stimme befahl ihr, auf die Uhr zu schauen. Sie gehorchte und stellte fest, dass es schon nach Mitternacht war. Angestrengt schaute sie nach vorn auf die dunkle Straße und blinzelte, als sie etwas Weißes in der Ferne auf der Straße zu erkennen glaubte, das dort normalerweise nicht hingehörte.

    Endlich entschloss sich Kaari, das Tempo zu drosseln, bis sie ausmachen konnte, worum es sich bei diesem hellen Fleck handelte. Dieser näherte sich noch immer so schnell, dass sie sich schließlich für eine Vollbremsung entschied, um nach einem Ausweichmanöver neben dem weißen Ding endlich zum Stehen zu kommen. Kaari drehte ihren Kopf zur Seite, um zu sehen, was sie da gerade mit ihrem Wagen um ein Haar umgefahren hatte.

    Ein kleines Kind.

    Beide starrten sich durch das offene Beifahrerfenster fassungslos an. Das Mädchen trug lediglich ein weißes, aber schon arg verschmutztes Nachthemd. Plötzlich begann das Kind laut zu kreischen.

    Kaari fuhr vor Schreck zusammen.

    Nach einigen Augenblicken verebbte das Schreien zu einem wimmernden, mitleiderregenden Schluchzen. Der Schreck saß Kaari anfangs viel zu tief im Mark, als dass sie zu einer rationalen Handlung fähig gewesen wäre. Schließlich aber öffnete sie endlich die Fahrertür, um auszusteigen und nach dem Kind zu sehen. Die Innenbeleuchtung wurde durch das Öffnen der Tür automatisch eingeschaltet und beleuchtete die Szenerie, die sich neben ihrem Wagen abspielte, ein wenig.

    Sie ging um ihren Geländewagen herum und begutachtete das Mädchen, das sie auf vielleicht sechs Jahre schätzte. Es war barfüßig, seine Füße waren kohlrabenschwarz und wirkten sehr beansprucht. Das weiße Kleid war – aus der Nähe betrachtet – aufgrund starker Verschmutzung nun doch nicht mehr so weiß, wie es aus der Ferne noch den Anschein gehabt hatte. Dessen Erscheinung war zwar erschütternd, erregte aber nicht den Eindruck, Opfer einer Gewalttat gewesen zu sein. Zumindest waren keine Blutspuren auf dem weißen Kleid und keine Wunden oder Prellungen auf der Haut sichtbar.

    »Wer bist Du? Was machst Du hier mitten in der Nacht im Wald? Bist Du allein?« Kaari vermutete, dass dieses Mädchen schon seit Stunden durch den Wald herumirrte, und konnte sich dafür überhaupt keinen Grund erklären. Das Mädchen schien stark geschwitzt zu haben, während dessen ausgetrocknete und rissige Lippen bereits von Dehydration zeugten.

    »Wir müssen hier weg«, schrie das Kind plötzlich völlig unvermittelt und riss die erschrockene Kaari aus ihren Gedanken.

    »Wie bitte?«

    »Wir müssen sofort hier weg«, schrie es wieder, dieses Mal noch etwas lauter. Obwohl das Mädchen immer hysterischer wurde, wirkte es doch irgendwie beängstigend abwesend und desorientiert.

    Kaari sah sich hilfesuchend um, als könnte sie in dieser Einsamkeit irgendjemanden um Rat fragen. Trotz der warmen Spätsommernacht fröstelte sie leicht.

    »Wir müssen hier weg«, wiederholte das Mädchen, diesmal im ruhigen, aber bestimmtem Tonfall.

    »Ich bin einverstanden«, nickte Kaari. »Steig ein!«

    Bevor sie die Beifahrertür vollständig öffnen konnte, war das Mädchen schon in den Innenraum gehuscht. Kaari bestieg ebenfalls das Fahrzeug und gab Gas.

    Kein anderes Fahrzeug hatte sie in der Zwischenzeit überholt. Die Straße erschien wie ausgestorben und bis auf die Scheinwerferkegel des eigenen Wagens war es stockdunkel.

    »Wie heißt du?«, fragte sie und drehte sich kurz zu diesem armen Geschöpf hin, sah aber aufgrund der Dunkelheit nur ihre Silhouette.

    »Wie alt bist du?«

    Wieder bekam sie keine Antwort.

    Fieberhaft dachte sie nach, was sie nun für das Mädchen tun könnte, vor allem, was sie mit ihr tun sollte.

    Gut zwanzig Kilometer westlich gab es eine etwas größere Ortschaft mit einem eigenen Polizeirevier. Allerdings war es in Zeiten wie diesen fraglich, wie weit und ob sie dort überhaupt Hilfe zu erwarten hätte. Ostwärts wiederum gab es nichts als Wald, der sich bis zum Binnensee erstreckte.

    Aufgrund der späten Stunde beschloss sie, das Mädchen zu sich nach Hause zu nehmen, damit es erst einmal ruhen konnte. Immerhin war es nicht offensichtlich verletzt und schien keine dringende ärztliche Hilfe zu benötigen. So hoffte sie jedenfalls.

    Sie blickte zum Beifahrersitz und fand das Mädchen bereits schlafend vor. Sich auf die monotone Fahrt konzentrierend, schaute sie wieder nach vorn und hielt diesmal strikt das Tempolimit von neunzig Stundenkilometern ein.

    Das Dröhnen des Dieselmotors ließ sie jedoch schläfrig werden, und als sie spürte, wie der Schlaf sie zu übermannen drohte, schüttelte sie sich, als ließe sich damit die Müdigkeit einfach abschütteln.

    Endlich erreichte sie den kleinen Sandweg, in den sie links abbog. Als sie zum Beifahrersitz blickte, fand sie das Mädchen noch immer schlafend vor. Geschickt lenkte sie ihren Geländewagen durch den dicken, trockenen Sand. Auf dem Weg vor ihr zeichneten sich noch grob die breiten Spuren ihres Autos ab, die dessen Reifen heute früh in den Sand gedrückt hatten.

    Einige Minuten später erreichten sie und das Mädchen eine Lichtung, in deren Mitte ein landestypisches Holzhaus stand. Kaari parkte ihren Wagen direkt vor der Haustür. Ein Platz, auf dem sie irgendwann einmal groben Kies ausgestreut hatte, um ihn als Parkplatz zu markieren und Pflanzenwuchs darunter zu ersticken.

    Beim Aussteigen und sanften Zuschlagen der Fahrertür hoffte sie, dass das Mädchen langsam erwachen würde. Doch nichts regte sich im Innenraum. Kaari öffnete die Beifahrertür und betrachtete nachdenklich das sich immer noch im Tiefschlaf befindliche junge Mädchen. Sie wollte es eigentlich nicht wecken, aber dann streckte sich das Mädchen, gähnte laut und öffnete seine Augen. Mit verwirrten Blicken schaute es um sich, dann sah es Kaari neben sich stehen. Diese lächelte die Kleine beruhigend an.

    »Gehen wir in mein Haus und trinken eine Limonade?«

    Das Mädchen schaute sie nur aus erschöpften Augen an, nickte dann aber schließlich und stieg aus dem Wagen. Ein Bewegungsmelder ließ den Bereich vor der Haustür großzügig ausleuchten, so dass Kaari diese ungehindert aufschließen konnte. Das Mädchen folgte ihr ins Haus.

    »Setz Dich auf die Couch! Ich hol dir eine Limo.«

    Kaari deutete auf eine Eckcouch mit geschmackvoll ausgesuchten Polsterfarben. Das Mädchen tat artig wie ihm geheißen und setzte sich schüchtern, dicht an eine Seitenlehne des Sofas gedrängt.

    Als Kaari ihr schließlich ein gefülltes Glas hinstellte, beobachtete sie, wie das Kind gierig trank.

    »Wir müssen deine Eltern suchen.«

    Doch plötzlich begann das Mädchen wie vor Kälte, zu schlottern. Um es zu beruhigen, streckte Kaari ihm eine Hand entgegen.

    »Komm, Schatz. Wir machen Dir jetzt erst mal eine warme Badewanne.«

    Im Bad zog sich das Kind aus und hüpfte in die Wanne, während Kaari den nackten Körper möglichst unauffällig nach äußerlicher Gewalteinwirkung untersuchte. Sie konnte jedoch keine Symptome entdecken.

    »Das ist eine schöne Kette. Woher hast du sie?« fragte Kaari und deutete dabei auf eine dünne Halskette mit einem etwas überdimensionierten Anhänger. Vorsichtig griff sie danach und las eine eingravierte Inschrift ab. Nur ein Wort. Ein Name: ›Viivika‹.

    »Ist das dein Name?«

    Das Mädchen schaute kurz auf, entgegnete aber nichts.

    Kaari entschied, sie vorerst nicht mit weiteren Fragen zu martern und verließ das Badezimmer. Vorsichtshalber blieb sie jedoch in der Nähe.

    Nach dem Bad stellte sie dem Mädchen einige Kleidungsstücke aus ihrer eigenen Garderobe zur Verfügung, während sie das verschmutzte Nachthemd in die Waschmaschine steckte. Die Sachen waren dem Kind natürlich um einiges zu groß, aber sie waren wenigstens sauber.

    Kaari saß mit dem Mädchen im Wohnzimmer, als sie sich bemühte, behutsam etwas auf ihm herauszubekommen.

    »Ist ›Viivika‹ dein Name?«

    Es dauerte einige Augenblicke, bis sie eine Antwort bekam.

    »Ich weiß es nicht.« Es errötete etwas. »Ich erinnere mich nicht an meinen Namen.«

    »Dann weißt du auch nicht mehr, was vorhin passiert ist?«

    »Ich weiß nur noch, dass ich allein auf der Straße gestanden habe und du mich mitgenommen hast. Ah, und irgendwie habe ich vorher Feuer gesehen.«

    »Du hast Feuer gesehen?«

    »Ja, im Traum. Oder vielleicht doch in Echt, ich weiß nicht. Irgendwie hat alles um mich herum gebrannt.«

    »Gebrannt?«

    Kaari schaute sie skeptisch an und war sich ziemlich sicher, nicht die geringste Spur von Brandgeruch im Nachthemd des Mädchens wahrgenommen zu haben.

    »Wie heißen deine Eltern?«

    »Ich kann mich nicht erinnern.«

    »Aber weißt du denn, wo du wohnst?«

    »Nein.«

    »Nein ...«, wiederholte Kaari nachdenklich.

    »Ich glaube, wir sollten jetzt schlafen gehen«, entschied sie schließlich. »Es ist schon nach drei Uhr morgens. Wir können morgen überlegen, was wir tun werden. Heute sind wir viel zu müde dazu. Was meinst du?«

    Viivika nickte nur.

    Kaari führte sie in ihr Arbeitszimmer und bereitete das Gästebett für das Kind vor. Sie zog das Rollo herunter, um dem frühen Tageslicht den Eintritt zu verwehren, schloss die Tür beim Hinausgehen bis auf einen kleinen Spalt und ging ins Wohnzimmer. Dort vertrieb die Morgendämmerung bereits die Dunkelheit.

    Nun stand sie unschlüssig in der Mitte des Raumes, allein gelassen mit viel zu vielen, nach einer Lösung schreienden Gedanken. Sie ging ins Schlafzimmer, legte sich ins Bett, konnte jedoch erst nach einer geraumen Zeit in einen flachen, alptraumhaften und sehr unruhigen Schlaf fallen.

    Sonnenlicht versuchte, die dunklen Vorhänge zu durchdringen, hatte jedoch nur den bescheidenen Erfolg, das Schlafzimmer in ein trübes, gruftiges Licht zu tauchen. Benommen stand Kaari auf, ging zum Fenster, schob die Vorhänge beiseite und kniff gequält die Augen zu, als sie von der Sonne geblendet wurde.

    Bisher war sie überzeugt gewesen, dass das Mädchen noch schlafen würde – erschöpft, wie es in der vergangenen Nacht gewesen war. Dann verriet ihr ein Blick auf die Wanduhr, dass es schon fast Nachmittag war: 13.15 Uhr. Nun war sie nicht mehr so sicher, ob das Kind es wirklich so lange im Bett ausgehalten hatte.

    Schnell verließ sie ihr Zimmer und hastete in Richtung Arbeitsraum, in dem Viivika übernachtet hatte. Leise öffnete sie die Tür, schlich herein und sah das Mädchen friedlich schlafen. Kein Grund, sich Sorgen zu machen! Sorgen und Gedanken würde es heute im Laufe des Tages noch genug geben. Schließlich wandte sie sich wieder ab und erinnerte sich an die schon lange fertige Wäsche in der Waschmaschine.

    Kaari öffnete die Terrassentür und brachte sie zum Trocknen hinaus. Ein strahlend blauer Himmel lächelte sie an und begrüßte sie mit üppigem und heißem Sonnenschein. Der an ihr großes Grundstück angrenzende Wald ließ seine Laubbäume im leichten Wind rascheln. Schon seit mehreren Jahren lebte sie hier einsam und genoss den Frieden.

    Sie sog die würzig-frische Luft tief in ihre Lungenflügel und fühlte sich frei. Wie lange würde sie dieses Gefühl noch genießen können? Der feine Grad zwischen Einsamkeitsgenuss und Eremitendaseins mit fortschreitender Menschenscheu ist schnell überschritten, das wusste sie als intelligente Frau. Aber gegenwärtig war das nun mal ihr Leben.

    Ohne eine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, wurde sie durch ein Geräusch aus dem Hausinneren aus ihren Gedanken vertrieben. Zurück durch die Terrassentür ins Wohnzimmer, sah sie das Mädchen seelenruhig auf der Couch sitzen, den Blick auf den Fernseher gerichtet, von finnischen Nachrichten berieselt.

    »Guten Morgen«, grüßte sie freundlich. »Verstehst du denn Finnisch?«

    Viivika schüttelte den Kopf.

    »Hier hast du die Fernbedienung. Du kannst ja ein bisschen herumzappen, wenn du magst.«

    »Danke.«

    »Wie hast du geschlafen?«

    »Ganz gut.«

    »Und wie geht es dir jetzt?«

    »Mir geht es gut, danke.«

    »Erinnerst du dich an die letzte Nacht?«

    Viivika hielt die Fernbedienung in der Hand und drückte sie von unten an ihr Kinn, um den Kopf darauf abzustützen.

    »Ich weiß noch, dass ich in dein Auto gestiegen bin und du mich hierher gebracht hast. Dann habe ich bis jetzt geschlafen.«

    »Aber warum du in der letzten Nacht allein im Wald warst, das weißt du nicht mehr?«

    Das Mädchen schien ernsthaft angestrengt nachzudenken. Sein Gesicht nahm dabei einen verzweifelten Ausdruck an. »Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern«, rief es und war plötzlich den Tränen nahe.

    Kaari umarmte das arme Geschöpf in dem Versuch, ihm dadurch etwas Trost zu spenden.

    »Ich denke, es ist nur vorübergehend. Deine Erinnerungen werden wiederkommen, da bin ich mir sicher. Soll ich uns erst mal ein schönes Frühstück machen? Was isst du denn gerne?«

    »Hm, ich mag Toast mit Speck und Ei, dazu Spagetti.«

    Kaari lachte. »Was? Mit Spagetti? Klingt ja furchtbar. Aber es ist schön, dass du dich wenigstens daran erinnern kannst«, bemerkte sie aufmunternd.

    Viivika lächelte. Es war das erste Mal, dass Kaari sie überhaupt lächeln sah.

    »Dann werde ich mal mein Bestes geben und dir ein leckeres Frühstück zaubern. Gib mir ein paar Minuten! Und Du kannst ruhig umschalten. Diese Nachrichten müssen dich ja schrecklich langweilen.«

    Sie zog sich in den Küchenbereich zurück und suchte etwas Passendes für das gemeinsame Frühstück zusammen.

    Ein flaues Gefühl im Magen entwickelte sich bei ihr bei der Zubereitung des Frühstücks, da sie noch nicht so recht wusste, wie es nach dem Frühstück weitergehen sollte. Das Mädchen war labil, durch irgendetwas immer noch im halben Schockzustand, und es hatte sein Gedächtnis verloren – ganz offensichtlich eine Schutzfunktion seiner Psyche zum Ausschalten schrecklicher Erlebnisse in den Erinnerungen.

    Kaari war sich im Klaren, dass sie die Polizei rufen sollte, fürchtete sich aber vor Viivikas Reaktion daraufhin ... fürchtete sich aber auch instinktiv vor ausführenden Staatsgewalten, von der sie bisher noch niemals Hilfe zu erwarten hatte. Wahrscheinlich war eher Letzteres für ihren unruhigen Magen verantwortlich. Mittlerweile fühlte sie sich für das Mädchen ein wenig verantwortlich und würde es nicht fertigbringen, sein Schicksal in fremde, schmierige, korrupte Hände zu legen. Andererseits mussten Viivikas Eltern ausfindig gemacht werden, und dazu hatte sie hier nun mal nicht die Möglichkeiten.

    Kaari kam mit zwei Tellern in den Händen in den Wohnzimmerbereich zurück und wollte mit Viivika auf dem Couchtisch essen, um es ein wenig gemütlich zu haben. Kaari hörte sie schon von weitem laut lachen und musste dabei selbst lächeln.

    »Du hast wohl was Lustiges im Fernsehen gefunden, was?«

    Viivika antwortete nicht, starrte stattdessen wie gebannt auf den Fernseher – sichtlich amüsiert. Kaari wandte den Blick zum Bildschirm und erwartete eine alte Comic-Konserve als Grund für Viivikas Heiterkeit. Stattdessen schaute sie auf ein melancholisches, unzufriedenes Gesicht mit ausdruckslosen Augen – die ganze Gestalt in Form eines lächerlichen Schaumstoffweißbrotes. Dieses sprechende Brot sah weder lustig aus noch passierte irgendetwas Komisches. Es stand einfach vor der Kamera und schlug mit jammernder Stimme einen kläglichen Weltuntergangston an. Kaari hörte genauer zu, verstand jedoch nichts, da es eine fremde Sprache war. In der oberen rechten Ecke des Bildschirmes war der Titel der Sendung geschrieben: ›Bernd, das Brot‹. Was immer es bedeuten mochte, aber es war Deutsch!

    Kaari hatte nie Deutsch gelernt, aber das Erscheinungsbild dieser Sprache war ihr schon vertraut. Nun hörte sie auch, dass dieses Brot Deutsch sprach, obgleich sie den Sinn nicht verstand. Sie beobachtete das Mädchen, wie es auf der Couch saß und immer noch gebannt auf das Brot schaute – und wie es lachte.

    Viivika verstand, was es sagte. So musste es sein, weil diese trostlose Brotfigur mit dunkler, männlicher Stimme nichts anderes tat als monoton scheinbar sein Leid zu klagen.

    Sie dachte nach. Auch wenn Viivika bereits die Schule besuchen sollte, konnte sie noch kein Deutschunterricht als Schulfach belegen; und selbst wenn: So viel Deutsch hätte sie in dieser kurzen Zeit seit der Einschulung unmöglich lernen können, weil Viivika schlichtweg noch nicht alt genug war, um diese Sprache jahrelang gelernt und praktiziert zu haben.

    Vielleicht amüsierte sie sich aber einfach nur über das Erscheinungsbild der Brotpuppe?

    Kaari beobachtete Viivika, wie sie wieder lachte, als das Brot einen Satz beendete. Nein. Eindeutig verstand Viivika Deutsch.

    »Das Frühstück ist fertig, Kleines.«

    Nun wandte sie ihren Blick erstmals vom Fernseher. »Oh, es duftet wirklich lecker.«

    Kaari lächelte. »Lass es dir schmecken.«

    Beim Essen fragte sie: »Du verstehst Deutsch?«

    Viivika schaute sie an, und schien nachzudenken. Ein Mädchen, wohl gerade in diesem Augenblick erst im Klaren darüber, mit zwei verschiedenen Sprachen konfrontiert worden zu sein. »Äh, ja, ich weiß nicht. Ist das Deutsch?« Viivika runzelte etwas hilflos ihre Stirn.

    »Ja, ist es. Vielleicht kommt dein Papa oder deine Mama aus Deutschland. Vielleicht wirst du dich ja bald wieder daran erinnern.«

    »Vielleicht.«

    »Ich zeige dir dann mal meinen Garten, wenn du magst, Viivika.«

    Diese war gerade dabei, sich die kurze Hose hochzuziehen, hielt dabei aber plötzlich inne.

    »Ja.« Plötzlich weiteten sich ihre Augen. »Ja, ich heiße wirklich Viivika. Ich erinnere mich wieder.« Nun lächelte sie.

    Kaari erwiderte ihr Lächeln, erfreut über Viivikas wiedergekehrte Erinnerung

    »Vielleicht fällt dir sogar bald wieder ein, wo du wohnst und wer deine Eltern sind. Aber alles zu seiner Zeit. Gehen wir erst mal an die Luft.«

    Die Spätsommersonne flammte auf ihre Köpfe. Obwohl das Grundstück mit viertausend Quadratmetern für eine alleinstehende Frau viel zu groß war, legte sie großen Wert auf einen gepflegten Garten. Sogar für einige Gemüsebeete war Zeit und erst recht genügend Platz vorhanden. Drei Seiten des Grundstückes waren durch einen dichten Laubwald eingegrenzt, die vierte Seite verlief parallel zum staubigen Weg, auf dem sie in der letzten Nacht angekommen waren. Dieser endete hier und war eigens für dieses Haus angelegt worden.

    Viivika genoss die heißen Sonnenstrahlen sichtlich und begeisterte sich für eine vom Weg sich vorsichtig nähernde Katze.

    »Sie spaziert hier öfter mal vorbei. Ich habe sie ›Muska‹ getauft. Ich weiß gar nicht, wem sie oder ob sie überhaupt jemandem gehört. Aber ich habe extra Futter gekauft, das ich ihr immer gebe, wenn sie mich besucht.«

    Viivika horchte erfreut auf. »Darf ich sie füttern?«

    »Natürlich. Ich hole es aus der Küche. Du musst ihr etwas Zeit geben, dann kommt sie von selbst zu dir.«

    Auf dem Weg durch das Wohnzimmer schaltete sie den noch immer laufenden Fernseher auf einen regionalen Nachrichtenkanal, über den sie sich mit lokalen Neuigkeiten aus ihrem Land informierte. Zurzeit liefen Sportnachrichten, aber im unteren Bereich war ein rotes Band mit den aktuellen Neuigkeiten in Laufschrift eingeblendet. Diese ignorierte sie jedoch zunächst, um das Trockenfutter aus dem Küchenschrank zu holen, das sie schließlich draußen dem Mädchen überreichte.

    Die Katze hatte sich inzwischen vorsichtig genähert. Als sie den Pappkarton des Trockenfutters erkannte, miaute sie laut und kam mit kleinen schnellen Schritten angetrippelt. Viivika nahm ein paar Stücke des Futters heraus und ließ die Katze aus ihrer Hand fressen.

    »Wie schön sie ist. Ihr muss doch ganz warm sein in der Hitze. Sie hat so ein dickes Fell.«

    »Jetzt ist sie zufrieden und hat in dir eine neue Freundin gefunden. Sicherlich kannst du sie jetzt eine ganze Weile streicheln.«

    Tatsächlich ließ sich Muska auf ihr dickes Fell plumpsen und legte sich erwartungsvoll der kommenden Streicheleinheiten entgegen auf die Seite. Während Viivika sie in langen Zügen streichelte, schnurrte das Tier und schloss die Augen dabei.

    Kaari ließ die beiden eine Weile ungestört und ging zurück in die Küche. Im Nachrichtenkanal hörte sie die ihr vertraute Stimme des Nachrichtensprechers, die sie nun aufhorchen und schließlich erstarren ließ.

    »... erschwerten die sommerlichen Temperaturen die großflächigen Löscharbeiten. Nach Angaben der Feuerwehr sei das Feuer aber weitgehend unter Kontrolle.«

    Dann folgte ein Interview mit dem Feuerwehrsprecher – mit wichtiger Miene vor der Kamera aufgebaut. »Die Ermittlungen können bald aufgenommen werden. Das Feuer ist unter Kontrolle. Es müssen aber noch zahlreiche Glutherde heruntergekühlt werden. Dafür sind Spezialisten mit Wärmedetektoren im Einsatz, um diese ausfindig zu machen. Die Zahl der Opfer ist noch nicht abzusehen. Wir müssen aber leider davon ausgehen, dass deren Zahl beträchtlich ist, da das Feuer zur Nachtzeit ausgebrochen war, also mitten in der Schlafenszeit. Unsere Leute sind bereits auf der Suche nach Überlebenden und werden weiterhin ihr Bestes tun.«

    Als die darauf folgenden Filmaufnahmen einen Eindruck vom Geschehen vermittelten, schauderte es Kaari. Eine weite Fläche verwüsteten menschlichen Lebensraumes bot sich ihr dar, einem Kriegsschauplatz gleichend. Vermutlich eine der vielen neuen Vorstadtsiedlungen. Vielleicht sogar mehrere auf einmal, wenn man die Luftaufnahmen betrachtete. Eine fürchterliche Katastrophe.

    ›Ich habe Feuer gesehen. Irgendwie hat alles um mich herum gebrannt‹, schallte es ihr plötzlich durch den Kopf. Das waren Viivikas Worte kurz vor dem Schlafengehen gewesen! ›Im Traum oder vielleicht doch in Echt. Ich weiß es nicht genau.‹

    Als der Reporter im Hubschrauber den Brandort bekanntgab, überraschte es Kaari kaum noch, dass dieser keine zwanzig Kilometer von ihrem Haus entfernt war. Viivika war also vor dem Feuer geflüchtet. Das ergab Sinn. Oder doch nicht? Wer diese Verwüstung sah, konnte sich nur schwer vorstellen, dass sich ausgerechnet ein kleines Mädchen aus eigenen Stücken aus dieser Katastrophe retten konnte. Aber irgendwie hatte sie es ja geschafft. Vielleicht nur ganz knapp. Glück gehabt!

    Aber eine vertraute eigene Stimme im Kopf wisperte ihr zu, dass Viivika nicht im Geringsten nach Rauch gerochen hatte.

    Nachdenklich beobachtete sie das Mädchen durch die Terrassentür. Noch immer streichelte es die dankbare Katze. Gegen Mitternacht hatte sie das Kind von der Straße aufgegabelt. Es musste schon mindestens eine Stunde vorher umhergeirrt sein – womöglich noch viel länger. Der Sprecher hatte die vermutlich hohe Zahl der Opfer betont, da das Feuer in der Nachtzeit ausgebrochen war. Hätte Viivika irgendetwas mit dem Feuer zu tun gehabt, so musste dieses noch vor 23 Uhr ausgebrochen sein, wenn man den weiten Weg durch den Wald und die Antreffzeit von Viivika berücksichtigte. Schliefen so viele Menschen schon vor 23 Uhr, wie es der Nachrichtensprecher den Zuschauern suggeriert hatte? Kaari kam der Gedanke, dass diese ganze Feuergeschichte vielleicht doch nur Zufall war und es keinen Zusammenhang mit Viivika gab.

    ›Irgendwie hat alles um mich herum gebrannt.‹ Wieder diese verdammte Stimme in ihrem Kopf! Sie ließ den Fernseher eingeschaltet und ging hinaus in den Garten.

    »Viivika?«

    Die Katze lag inzwischen auf dem Rücken, die Vorderpfoten weit nach vorn ausgestreckt, und ließ sich von dem Mädchen ihren pelzigen Bauch kraulen.

    »Ja?«

    »Gestern Nacht hast du mir erzählt, dass du von Feuer geträumt hättest. Erinnerst du dich noch?«

    »Ach, ja, ich weiß es noch. Manchmal träume ich wirklich ganz schreckliche Dinge.«

    »Wäre es möglich, dass es wirklich gebrannt hat und du es vielleicht gar nicht geträumt hast?«

    Viivika schaute sie aus ihren großen blauen Augen an und runzelte sowohl nachdenklich als auch ein wenig ängstlich die Stirn. »Ich weiß nicht. Manchmal fühlen sich meine Träume so echt an, dass ich danach gar nicht mehr weiß, ob es wirklich echt war oder nur im Traum.«

    »Ist dir jetzt wieder etwas mehr eingefallen? Wer deine Eltern sind oder warum du durch den Wald gelaufen bist?«

    »Nein, ich weiß es immer noch nicht.« Sehnsüchtig schaute sie wieder zur schnurrenden Katze.

    »Also gut. Wir müssen uns überlegen, was wir jetzt tun, Viivika. Vor allem, wie wir deine Eltern wiederfinden. Sie werden sich gerade große Sorgen um dich machen.«

    »Rufst du jetzt die Polizei und ich muss dann mit ihnen gehen?«

    Kaari war erstaunt, dass sich dieses kleine Kind eher um die Einmischung der Polizei sorgt als um den Verbleib ihrer Eltern. »Hast du denn Angst vor der Polizei?«

    »Ich weiß nicht. Ich weiß ja nicht, wohin sie mich dann bringen.«

    »Sie können dir helfen, deine Eltern zu finden.«

    »Und wenn sie meine Eltern nicht finden? Komme ich dann in ein Heim?«

    »Natürlich finden sie deine Eltern.« Sie hatte plötzlich großes Mitleid mit dem armen Geschöpf und hockte sich neben das Mädchen und streichelte ihm durch sein langes Haar.

    Viivika schwieg.

    »Hey, ich lass dich schon nicht einfach allein, okay? Ich werde bei dir bleiben, bis wir deine Eltern gefunden haben. Das verspreche ich dir.«

    »Okay. Aber ...« Sie dachte nach.

    Kaari ließ ihr Zeit.

    »Ich ... ich ... erinnere mich wieder an etwas. Wir wohnen in einem großen Haus. Ein blaues Haus. Und es gibt dort viele Häuser. Ich weiß es wieder.«

    »Das ist schön, wenn deine Erinnerungen so schnell wiederkommen. Sicherlich wird es noch eine ganze Weile dauern, bis dir alles wieder einfällt. Lass dir ruhig Zeit, Viivika. Niemand macht dir Druck«, versicherte sie ihr mit sanfter Stimme.

    Plötzlich war ihr klar, dass sie es nicht mehr über das Herz bringen würde, Viivika der Polizei zu übergeben und sie einem ungewissen Schicksal zu überlassen. Zumindest nicht, solange es noch andere Optionen gab.

    »Du wirst bis morgen bei mir bleiben«, entschied sie und gestand sich ein, dass sie sich in diesem Moment mindestens genauso freute wie das Mädchen, einfach weil sie seine Gesellschaft mochte. Trotzdem war sie sich im Klaren, dass sie Entscheidungen, die Viivika betrafen, objektiv zu treffen hatte – zum Wohle des Kindes und nicht zu ihrem eigenen Wohle.

    Sie umarmte das Mädchen und ging ins Wohnzimmer, um Näheres über die Feuerkatastrophe zu erfahren. Dabei gab es weitere Spekulationen über die Brandursache und Opferzahlen, neue Theorien wurden hervorgebracht – eine wilder und verschwörerischer als die andere.

    Ein jämmerlich aussehender Mann mit halb zerrissener Kleidung und rußigem Gesicht erschien ungebeten im Blickfeld der Fernsehkamera und konnte gerade noch

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