Das Rotkäppchen-Syndrom: Vertrauen und Misstrauen
Von Walter R. Kaiser
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Über dieses E-Book
Wer kennt nicht das Märchen vom Rotkäppchen und dem Wolf. Es soll der Großmutter Essen bringen, ist jedoch gegenüber dem Wolf zu vertrauensselig und wird von ihm gefressen. Im Märchen stecken viele Elemente des Vertrauens und seines Missbrauchs. Wölfe im übertragenen Sinne gibt es im alltäglichen Leben: Partner, Chefs, Politiker, Verkäufer, Firmen, Banken, Staat, Kirchen. Vertrauen entsteht langsam und geht schnell verloren. Es ist unsichtbares Kapital und zugleich flüchtiges Gut. Vertrauen wird missverstanden, missbraucht und mit ihm wird auch betrogen. Doch ohne Vertrauen läuft nichts.
Der Leser erfährt, was Vertrauen eigentlich ist: keine Eigenschaft einer Person sondern eine von Beziehungen. Man erkennt, wie Vertrauen zwischen Personen entsteht (interpersonales Vertrauen), wann man Organisationen vertrauen darf (Systemvertrauen) und wann nicht. Es wird erläutert, welche Bedeutung Vertrauen für das tägliche Leben hat. Und es wird dargelegt, dass ohne ein gesundes Misstrauen kein Vertrauen möglich ist. Wer immer nur vertraut - so eine der Folgerungen des Autors - ist entweder naiv oder dumm. Vertrauen ist stets eine riskante Vorleistung.
Walter R. Kaiser
Walter R. Kaiser ist Dipl.-Wirtschafts-Ing. mehrfacher Autor von Sachbüchern. In Büchern und Vorträgen erklärte er auf verständliche Weise Ideen, Konzepte und Zusammenhänge. Er war in der Wirtschaft in leitenden Funktionen tägig. Über zwei Jahrzehnte hat er neben seinem Beruf an den Hochschulen Lehraufträge wahrgenommen. Weitere Details über ihn findet man auf seiner Autoren-Homepage: www.kaiser-forum.de
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Buchvorschau
Das Rotkäppchen-Syndrom - Walter R. Kaiser
Autors
Eine kurze Vorschau
Inflation des Vertrauensbegriffes. Ein paar einfache und eine komplizierte Definition. Überblick über die einzelnen Themen des Buches.
Der erste Satz des Soziologen Martin Endress (*1960) in seinem Buch mit dem kurzen Titel „Vertrauen" lautet: „Wer wüsste es nicht aus alltäglicher Erfahrung: Vertrauen braucht man. In gewisser Hinsicht scheint damit alles gesagt. Vertrauen bildet offenkundig eine grundlegende Voraussetzung alltäglichen Handelns."¹ Und als ersten Satz schreibt der Psychologe Franz Petermann in seinem Buch „Psychologie des Vertrauens": „In den letzten Jahren ist wohl selten ein Wort so überstrapaziert worden wie der Begriff ´Vertrauen´."²
Mit dem Wort „Vertrauen" verhält es sich wie mit vielen anderen Begriffen, die wir tagtäglich verwenden und über die sich jedoch selbst Fachleute immer wieder streiten wie: Liebe, Religion, Geld, Glück oder Kapitalismus. Wir verwenden sie und sind meist der Meinung, dass andere Personen genau das Gleiche darunter verstehen wie wir selbst. Weil das jedoch nicht immer der Fall ist, entstehen daraus Missverständnisse.
Hier ein paar Kostproben verschiedener Vertrauensdefinitionen³:
Vertrauen resultiert aus bisherigen Erfahrungen und der Hoffnung an das Gute im Menschen.
Vertrauen hängt von frühkindlichen Erfahrungen, vor allem von der Qualität der Mutter-Kind-Beziehung ab.
Vertrauen basiert auf der Erwartung einer Person oder Gruppe, sich auf ein mündlich oder schriftlich gegebenes Versprechen einer anderen Person bzw. Gruppe verlassen zu können.
Vertrauen ist der Glaube, dass der andere für einen irgendwann das tut, was man für ihn getan hat.
Vertrauen ist die Erwartung einer Person, dass eine Situation auch ohne die vollständige Kontrolle möglicher […] Verhaltensweisen zu einem gewünschten positiven Ausgang kommt.
Diese Definitionen waren sicherlich noch einigermaßen verständlich formuliert und nachvollziehbar. Die nun folgende von Martin Hartmann (*1968), Professor für Philosophie an der Universität Luzern, ist es möglicherweise nicht sofort. Er schreibt:
„Vertrauen ist eine relationale, praktisch-rationale Einstellung, die uns in kooperativer Orientierung und bei gleichzeitiger Akzeptanz der durch Vertrauen entstehenden Verletzbarkeiten davon ausgehen lässt, dass ein für uns wichtiges Ereignis oder eine für uns wichtige Handlung in Übereinstimmung mit unseren Wünschen und Absichten eintritt, ohne dass wir das Eintreten oder Ausführen dieses Ereignisses oder dieser Handlung mit Gewissheit vorhersagen oder intentional herbeiführen können und auf eine Weise, dass sich das durch Vertrauen ermöglichte Handeln unter eine Beschreibung bringen lässt, die wesentlich einen Bezug auf das Vorliegen verschiedener Handlungsoptionen enthält."⁴
Seien Sie nun nicht frustriert, wenn Sie diese letzte Definition des Begriffs „Vertrauen" etwas verwirrt hat. Man müsste sie mehrfach lesen oder hören.
Was habe ich also mit Ihnen vor? Wir werden uns zuerst einer Bedeutung des Vertrauens zuwenden, die wir alle kennen: das Vertrauen in Personen. Als Einstieg dazu lernen Sie das Märchen von Rotkäppchen kennen als ein Beispiel von Vertrauen und Vertrauensmissbrauch. Dann erfahren Sie etwas über Wühlmause und das Hormon Oxytocin.
Wir arbeiten anschließend die wesentlichen Merkmale des sogenannten interpersonalen Vertrauens heraus. Dann wenden wir uns einer anderen Art von Vertrauen zu, dem Vertrauen in Organisationen und Institutionen, dem sogenannten Systemvertrauen. Auch hier fragen wir uns, ob und wie Vertrauen da eigentlich zustande kommt und wie es wieder verloren gehen kann. Zum Schluss fassen wir die Erkenntnisse zusammen in ein paar Vertrauensregeln.
Was wir nicht betrachten werden, sind die Begriffe Selbstvertrauen und Gottvertrauen. Dies deshalb, weil wir a) Vertrauen als Eigenschaft einer zwischenmenschlichen Kommunikation betrachten und nicht als Kommunikation mit sich selbst und b) Gott per Definition kein Mensch ist.
¹ Endress, Martin (2002): Vertrauen, S. 5
² Petermann, Franz (2013): Psychologie des Vertrauens, 4. Auflage, S. 5
³ Zitiert nach Petermann, F. (2013), Psychologie des Vertrauens, S. 15 – 17
⁴ Hartmann, Martin (2011): Die Praxis des Vertrauens, 1. Auflage, S. 16
I Märchen, Mäuse und Hormone
Rotkäppchen und das Vertrauen
Was man von einem Märchen lernen kann. Erste Erkenntnisse über das Vertrauen. Wer täuscht, lebt gefährlich.
Die meisten von Ihnen kennen sicherlich das Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf⁵. Zur Erinnerung hier nochmals die Handlung in Kurzform: Rotkäppchen bekommt von seiner Mutter den Auftrag, der Großmutter Lebensmittel zu bringen. Auf dem Weg durch den Wald begegnet Rotkäppchen einem Wolf. Der frägt Rotkäppchen aus, was es bei sich habe und wohin es gehe. Der Wolf rennt zum Haus der Großmutter, frisst sie und legt sich in deren Bett. Rotkäppchen kommt und wird ebenfalls gefressen. Der Wolf schläft ein. Ein Jäger kommt zufällig vorbei, schneidet dem Wolf dem Bauch auf und rettet Rotkäppchen und die Großmutter. Dem Wolf werden stattdessen Steine in den Bauch gelegt. Als der Wolf aufsteht, bricht er zusammen und stirbt.
Nach gängiger Interpretation von Psychologen und Psychoanalytikern soll damit Rotkäppchen vor sexuellen Gefahren warnen. Das rote Käppchen wird als Symbol angesehen für die einsetzende Menstruation bei beginnender Pubertät. Der Wolf ist der animalische Verführer, vor dem man sich hüten muss.
Das Märchen enthält jedoch auch viele Elemente des Vertrauens, des Vertrauensmissbrauchs und der Täuschung. Steigen wir daher etwas tiefer in den Text ein.
Die Mutter ermahnt Rotkäppchen: „Mach dich auf, bevor es heiß wird"; „so geh