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Psycho und Therapie: Der Roman der Nachwende-Sperrmüllgesellschaft
Psycho und Therapie: Der Roman der Nachwende-Sperrmüllgesellschaft
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eBook424 Seiten6 Stunden

Psycho und Therapie: Der Roman der Nachwende-Sperrmüllgesellschaft

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Über dieses E-Book

Was steuert eigentlich eine Gesellschaft von innen heraus, wenn ihr die sogenannten Werte abhanden gekommen sind, sie mit aufgepfropften Ideologien schon mehrfach Schiffbruch erlitt und sie auch mit Religion nichts mehr anzufangen weiß?
Bleiben ihr dann wirklich nur noch Geld, Konsum und Sex, wie uns das die Medien einzutrichtern versuchen?
Nehmen Sie einfach mit offenen Sinnen in sich auf, was sich Ihnen täglich darbietet und der Irrwitz unserer Gesellschaft wird Ihnen sehr schnell bewusst werden.
Diesen als „oversexed and underfucked“ ausgewiesenen Gesellschaftszirkus als Kaleidoskop des Irrwitzes begreiflich zu machen, den Verklemmungen nachzuspüren, die aus der neuen überzogenen Offenheit heraus entstehen und wie das verhökert wird, dazu in den Kontrast zu den Zwängen des geldgierig raffenden Alltags der Neidgesellschaft gestellt, das ist der eigentliche Zweck dieser ironischen Betrachtung.
Heutzutage reicht es schon, einen Spiegel an der Straße aufzustellen. Was der Ihnen dann zeigt, ist besser als alle Comedy. Dieser hier stand an einem Brennpunkt. Da liefert er Ihnen den Irrsinn natürlich gebündelt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum24. Juli 2014
ISBN9783735711380
Psycho und Therapie: Der Roman der Nachwende-Sperrmüllgesellschaft
Autor

Georg Naundorfer

Georg Naundorfer befasst sich in mehreren Schriften mit der Entstehung des christlichen Glaubens auf der Basis der historischen Überlieferungen des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Dabei geht er der Identität der im Neuen Testament der Bibel genannten Personen in diesen Überlieferungen nach, um zu klären, wer sie wirklich waren. Ausgehend von ihren historisch gesicherten Aktivitäten und deren Einbindung in die Tagespolitik des Römischen Reiches wird hier das dem gegenübergestellt, was die Bibel von ihnen berichtet, woraus sich dann ergibt, was damals ursprünglich beabsichtigt war, und was dann daraus tatsächlich resultierte. Angesichts der Auseinandersetzung, welche sich derzeit zwischen Christentum und Islam immer stärker abzuzeichnen beginnt, dürften die durchaus ähnlichen Probleme der damaligen Zeit, und wie man sie zu bewältigen versuchte, auch für uns eine aufschlussreiche Hilfestellung für politische Lösungen sein.

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    Buchvorschau

    Psycho und Therapie - Georg Naundorfer

    20

    1

    Ein sehr prinzipieller Vorspann über gesellschaftliche

    Entwicklungen,

    von der Gleichberechtigung und der Gleichstellung

    Es wird immer wieder so viel aus berufenem Munde getönt, was wir denn für eine Gesellschaft wären. Dass wir eine Gesellschaft sind, und was für eine, eine, vor der man sich in acht nehmen sollte, ist unbestreitbar. Die Definitionen gehen aber von der Spaßgesellschaft über die Freizeitgesellschaft bis zur Wegwerfgesellschaft. Jeder hat seine eigenen Argumente und er ordnet sie dem unter, was er anderen vermitteln will. Da geht es angeblich um den Kampf der Kulturen, den Kampf der Ideologien, der Religionen und den der Wirtschaftssysteme. Sich eine Übersicht zu verschaffen fällt schwer.

    Sicher ist nur eins, in dieser Gesellschaft konkurriert Jeder derzeit mit Jedem, und das Geld steht immer im Mittelpunkt. Eigentlich haben wir eine Raff- und Neidgesellschaft, aber das sagt man nicht. Um das also nicht zu deutlich werden zu lassen, wird diese Tatsache besser ignoriert und anders benannt. Man schließt sich zu größeren Gruppen zusammen, die sich davon angeblich abweichende, vor allem gesellschaftsfähigere Ziele setzen, schafft Abgrenzungen größeren Umfangs, und tritt diesen neuen Gebilden in der Annahme bei, in der Masse nicht zu sehr dem Beschuss ausgesetzt zu sein. Es gibt wohl immer noch den Gegensatz von Individuum zu Individuum, aber er wird nun überdeckt von Scheinproblemen: der Zugehörigkeit zu Religionen, Staatsangehörigkeiten, Wirtschaftsvereinigungen, politische Parteien, Sportvereinigungen und anderen Interessenverbänden bis hin zur Vereinsmeierei. Darüber hinaus zieht sich zusätzlich der angebliche Gegensatz zwischen Mann und Frau, und die dabei auftretenden Konkurrenzsituationen ungewollt als Hauptproblematik durch unser Leben und treibt dabei die tollsten Blüten, was ich hier nur kurz anreißen möchte.

    Ich bin beispielsweise in einer Gesellschaft groß geworden in der man die sogenannte Gleichberechtigung der Frau proklamierte, wie sie seltsamerweise auch jetzt noch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben steht. Ein Unding. Es hieß zwar Gleichberechtigung der Frau, aber um die Gleichberechtigung gekämpft haben da die Männer. Natürlich angeblich um die der Frau. Meist als Funktionäre und da auf dem Papier. Es war die Gesellschaft der DDR. Man kann das aus früheren auf Parteitagen der SED gehaltenen Reden entnehmen. Im Endeffekt haben sie es dann fast geschafft, dass außer den Männern in der DDR in diesem Staat fast auch noch alle Frauen den Buckel für den Aufbau des von den Parteifunktionären proklamierten Sozialismus krumm machen mussten, in die Fabrik gingen, um da zu arbeiten. Es hätte im Parteiapparat sogar Frauen gegeben, die sich für die Durchsetzung solcher perverser gesellschaftlichen Auswüchse, wie diesen geschlechterübergreifenden gleichberechtigenden Arbeitszwang hergegeben haben sollen, mit dem da die Frauen versklavt wurden. Wie sehr man sich auf Abwegen herumtrieb, ist bei etwas gutem Willen und ein bisschen Nachdenken zwar ganz einfach feststellbar, aber der ideologisch Verblendete sieht meist den Wald vor lauter Bäumen nicht. Auch mir ist erst spät klar geworden, was da passiert ist.

    Selbst Mao-Tse-Tung, der bislang in der Praxis dauerhaftest überlebende kommunistische Kirchenvater, war der Ansicht, dass die Frau durchaus gleichberechtigt, sogar mehr als das ist. Was für ihn beispielgebend gewesen sein mag, sei dahin gestellt. Falls jedenfalls in Maos Umfeld irgendwelche Arbeit anfiel, so schwer sie auch sein mochte, war er der Meinung, dass sie am besten von Frauen erledigt werden sollte, damit sie auch richtig gemacht würde. Das vertrat er schon in sehr jungen Jahren und er hat in dieser Hinsicht bis zu seinem Tode nicht geschwankt, weder theoretisch, noch praktisch. Ich weiß nicht, ob das jetzige China noch diese Doktrin verficht, den anderen Staaten, die zwischenzeitlich dem Sozialismus abgeschworen haben, vor allem deren Frauen, hat das erwiesenermaßen alles nichts gebracht. Da war Mao bestimmt auf dem Holzweg, so bequem es für ihn selbst auch gewesen sein mag.

    Die Frauen hätten zwar gern die Gleichberechtigung gehabt, aber wohl nicht diese. Da sie allerdings keine echten Vergleichsmöglichkeiten in ihrem direkten Umfeld hatten, ist es ihnen meist gar nicht aufgefallen, was man ihnen seitens der Männer unterzujubeln versuchte. Die hatten ihnen beigebracht, dass es nur die eine Form der Gleichberechtigung gebe, und zwar die allumfassend alles nivellierende, die der Vermassung, welche im Parteiprogramm verkündet wurde. Kein Wunder, dass da der Feminismus der freien Welt überreagierte, weil er sah, dass die Betroffenen nicht wahr haben wollten, wie man sie in die Irre führte. Dass es auch eine andere Gleichberechtigung gäbe, und zwar die ganz individuelle, welche jede Frau für sich ganz speziell und exklusiv erträumt, und die sie sich ganz nach ihren Vorstellungen selbst einrichten kann, das war dabei völlig untergegangen. Solche Vorstellungen wurden sogar ideologisch als sektiererischer Auswuchs mangelnen Klassenbewusstseins negativ besetzt und bekämpft.

    Man hat zwar seitens der freien westlichen Welt damals alles Mögliche versucht, den Geknechteten die Augen zu öffnen und sie zu erlösen, aber erst die Wende hat auch die Frauen im verordneten Sozialismus wirklich befreit. Gedankt haben das diese Frauen aber ihren Befreiern bisher nicht. Die größten Feinde der Freiheit waren schon immer und von jeher die glücklichen Sklaven. Das Dumme an der Sache war nur, dass man sich in einer solchen Gesellschaft, wie dieser pseudokommunistischen, ohne das nachträglich würdigen zu wollen, als Mann ziemlich sicher geborgen fühlen konnte und auch tatsächlich sicher war.

    Nachdem uns der Wind der Wende die Wiedervereinigung des Beitritts gebracht hatte, fand ich mich zusammen mit meinen Geschlechtsgenossen aus dem Osten plötzlich in einer Gesellschaft wieder, in der infolge der 68er-Revolte und ihren gesellschaftlichen Weiterungen der Folgejahre der Mann zwar öffentlich als Macho und Allesbestimmer verschrien war, der Frauen nicht an die Fleischtöpfe heranlasse und sie vor allem ökonomisch ausbeutete. Im Grunde genommen, bei genauerer Betrachtung war er aber schon sehr gezähmt, und hatte vor allem im Privatbereich tatsächlich nichts Entscheidendes mehr zu sagen. Sie werden mir das bestimmt abstreiten. Angesichts der durchverarschten windelweichgespülten Hosenscheißergenerationen von Männern, die aus den Kräuterküchen der Alleinerziehenden der Nach-68er herausgewachsen waren, bleibt mir aber ganz einfach keine andere Schlussfolgerung mehr. Der Mann ist einfach nicht mehr der, welcher er früher behauptete, zu sein. Er wird zunehmend auch kaum noch geheiratet. Er bringt es einfach nicht mehr.

    Was ich Ihnen jetzt darlegen werde wird Sie hoffentlich an Ihren bisherigen Überzeugungen zweifeln lassen. Dass das mit der Gleichberechtigung laut Verfassung, Grundgesetz oder sogar kommunistischem Parteiprogramm sowieso alles Unsinn ist, erhellt schon aus folgender Feststellung des gesunden Menschenverstandes, die ich hier einmal in allgemeinverständlicher und völlig ideologiefreier Form bekanntgeben möchte:

    Das mit der Gleichberechtigung der Frau lief darauf hinaus, dass die Frau auch das gleiche tun dürfe wie der Mann. Das war von männlicher Seite als Anreiz für sie gedacht, damit sie endlich Ruhe gibt und sich nicht mehr benachteiligt fühlt. Da ist doch jetzt schon ganz anders. Da haben Sie als erstes abweichend vom Grundgesetz die Novellierung der Gleichberechtigung als „Gleichstellung". Schon diese Festlegung beweist die Überlegenheit der humanistischen Anschauungen unserer Frauen in der parlamentarischen Demokratie gegenüber den Männern. Auch gemessen an den begreiflicherweise noch an den bürgerlichen Traditionen der Revolution von 1848 hängenden Vätern des Grundgesetzes ist das bedeutend progressiver. Und es beweist auch, dass Frauen sich nicht widerspruchslos verwalten lassen wollen, schon gar nicht von der Verfassung, mag sie auch noch so fortschrittlich erscheinen. Jeder weiß, was das ist, die Gleichstellung. Die GleichstellungsbeauftragtInnen, die aus gutem Grund nicht GleichberechtigungsbeauftragtInnen heißen, sind sich in dieser Hinsicht auch sicher. Der Ausgangspunkt ist hier ein anderer. Gleichstellung ist vom Standpunkt der Frau aus gedacht. Man ernennt bei der Gleichstellung vom Standpunkt der Frau ausgehend jetzt den Mann zur gleichgestellten Sache und integriert ihn so in deren Gesellschaft, um ihn nicht auszugrenzen.

    Als neulich eine bundesweite Tagung der Gleichstellungsbeauftragten stattfand, gab es beispielsweise viel Ärger, weil eine ostdeutsche Gemeinde ihren Bürgermeister, der diese Funktion in Unkenntnis des Eklats, den das darstellt, dort wahrnahm, dahin geschickt hatte. Nicht nur, dass lt. Satzung gar nicht vorgesehen ist, dass die Funktion des Gleichstellungsbeauftragten von einem Mann ausgeübt wird, es gab auch Unterbringungsschwierigkeiten, weil nur Doppelzimmer für jeweils zwei TagungsteilnehmerInnen gebucht waren und so höchstens lesbischen Pärchen ein gemeinsames Zimmer zugebilligt worden wäre. Man sieht, es gibt noch Schwierigkeiten, aber sie werden bestimmt noch gemeistert. Das ist bei unseren Frauen in den besten Händen.

    Sollten Sie Altbundesbürger und Mann sein, haben Sie ihn wohl noch gar nicht bemerkt, diesen kleinen Unterschied zwischen Gleichberechtigung und Gleichstellung. Das kann man Ihnen auch nicht übel nehmen, denn es hat sich für Sie doch nichts geändert, weil Sie entwicklungsmäßig über die Jahre langsam daran gewöhnt wurden, die neu Beigetretenen aber nicht. Es sind die feinen Unterschiede, welche meist entscheidend für die Funktion und Wirksamkeit einer Sache sind.

    Die beiden miteinander am stärksten verfeindeten Parteien unserer politischen Landschaft unterscheiden sich auch nur durch solche winzigen entscheidenden Nuancen. Die eine zielt auf den „Demokratischen Sozialismus und die andere auf die „Soziale Demokratie. Das unterscheidet sich dann so ähnlich wie ein Schaf im Wolfsfell zu einem Wolf im Schafspelz. So ist das auch mit der Gleichberechtigung und der Gleichstellung.

    Um hier nicht länger mit prinzipiellen Betrachtungen zu langweilen, sage ich es gerade heraus. Die Entwicklung der Wertigkeit des Einzelnen, vor allem in der Geschlechterbeziehung ist in den beiden von einander getrennten deutschen Staaten so unterschiedlich verlaufen, dass ich oft verständnislos davor stand, was sich mir da manchmal eröffnete, weil mir als Bewohner des Beitrittsgebietes vieles noch ungewohnt war. Aber auch die allgemeine Wertigkeit des Bundesbürgers als Mensch gab mir nach einer Weile sehr zu denken, nicht nur die als Mann oder Frau. Im Wirtschaftsleben als abhängig Beschäftigter ist es nämlich egal, was man ist, Hauptsache man funktioniert und ist zäh genug, sich alles gefallen zu lassen, ohne aus der Rolle zu fallen.

    Was steuert eigentlich eine Gesellschaft von innen heraus, wenn ihr die sogenannten Werte abhanden gekommen sind und sie auch nach mehreren Schiffbrüchen sich nicht mehr mit von außen her an sie herangetragenen Ideologien befassen will. Bleiben dieser Gesellschaft dann wirklich nur noch Geld, Konsum und Sex, wie uns die Medien einzutrichtern versuchen?

    Durch einen dummen Zufall bekam ich Gelegenheit das alles einmal in Ruhe betrachten zu können und in ungewohnter Umgebung für mich aufzuarbeiten, was ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Vielleicht werden Sie feststellen, dass sich das alles oft zu sehr an der Gestaltung der Geschlechterbeziehungen orientiert, aber es ergab sich nun einmal so. Welche Schlüssen Sie allerdings aus meinen Ausführungen ziehen, dafür sind Sie dann selbst verantwortlich.

    2

    Von der Verwurstung, Mett und dem Durchdrehen. Von Erziehung und dem

    Amoklauf, Rockkonzerten und Denkfallen. Vom gestiefelten Kater, dem

    Schlaganfall, dem Zeitvertreib in der Psychiatrie, der Abmagerungskur, der

    Schwiegermutterstation, von psychologischer Betreuung, der Wertigkeit psychischer

    Krankheitsbilder, eine völlig abgedrehte Geschichte von einem Beil,

    und der Gedankenreise mit ihrem ungenehmigten Ziel

    Ursprünglich hatte mir als Titel dieser Abhandlung ein ganz anderer vorgeschwebt. Mehr so wissenschaftlich. Den verrate ich aber nicht. Ich wollte auch statt eines erzählenden Berichtes eine wissenschaftliche Untersuchung dokumentieren. Diejenigen, denen ich vorab Manuskripteinsicht gewährte, bemängelten vor allem die fehlende Systematik, sofern sie nicht den sofortigen Abbruch aller sozialen und dienstlichen Kontakte mit mir vorgezogen haben. Es sei ein typisches Beispiel für die Verwurstung von Text. Was mir passiere, wenn ich dieses Manuskript veröffentlichte, das sei schließlich meine Sache und ihnen ziemlich wurst, also auch der Titel. Daraufhin habe ich dann auf das mit der Wissenschaftlichkeit verzichtet.

    Um etwas zu verwursten, das weiß jeder Fleischer, muss man es durch den Wolf drehen. Da finden Sie am Ende nur noch einen nie wieder sortierbaren Matsch, den Sie höchstens noch als Füllung für eine Wurst verwenden können. Der Fleischer spricht da von Mett. Beschweren Sie sich deshalb nicht, wenn ich Ihnen Mett verabreiche. Wurst schmeckt gerade deshalb so gut, weil sie Mett enthält. Hier bekommen Sie eine spezielle Variante geboten, die sehr in Mode gekommen ist. Es geht ums Durchdrehen im Geist und den Versuchen, dem nachträglich wieder abzuhelfen. Es ist mir passiert und ohne diesen Vorfall gäbe es diese ganze folgende Abhandlung nicht.

    Das Durchdrehen, volkstümlich auch Überschnappen genannt, ist die unbewusste und auch meist ungewollte Erlangung eines geistigen Zustandes, der vernunftgemäß nicht mehr begreifbar ist und oft in körperliche Mechanismen mündet, deren Ablauf man selbst nur noch als Zuschauer beiwohnt. Wenn es schlimmer wird, kann oft nur noch der Arzt helfen; im allerschlimmsten Fall selbst der nicht mehr. Die Ursachen sind beim gesunden Menschen meist sozialer Natur, weil er eben nicht so kann, und zwar mit anderen.

    Beim Tier ist das verhältnismäßig einfach zu lösen. Da gibt es als Ausweg den Gnadenschuss oder die Notschlachtung, manchmal reicht auch die Fliegenklatsche. Intelligentere Tiere begehen bei aufkeimender Erkenntnis und sich bietender Gelegenheit sogar Selbstmord. Da denke ich nicht gerade an die berühmten Lemminge oder irgendwelche spektakulären Delfin- oder Walstrandungen in der Südsee, da reichen mir meine Beobachtungen im Bezug auf die Mausefalle und die Annahme von Rattengift bei Nagetieren. Beim Menschen versucht man zurzeit immer noch die Reparatur, weil es sich für die, welche es tun, manchmal noch „rechnet".

    Das mit dem Durchdrehen wird, gesellschaftstypisch bedingt, dank der Vorprägung völlig unabsichtlich durch unsere biologischen Befehlshaber bestimmt, als da sind Eltern und dergleichen, die versuchen, uns ihre sogenannte Lebensweisheit einzutrichtern, und das Erziehung nennen. Das geschieht zu Zeiten, in denen wir noch ganz klein, dumm, wissbegierig und somit hilflos durchs Leben tappen. Man weiß doch, dass der gesunde Menschenverstand aus den Vorurteilen besteht, die der Mensch bis spätestens zu seinem zwanzigsten Lebensjahr in sich verfestigt bekommen hat, jener Zeitpunkt also, zu dem die juristische Volljährigkeit eintritt. Jungen werden ganz anders erzogen als Mädchen, und Kinder verschiedener Gesellschaftsschichten werden von ihren Eltern jeweils sehr diffizil sozialschichtspezifisch verblödet. An irgendeiner Stelle oder einem Zeitpunkt korrespondieren dann manchmal bei diesem Personenkreis Erziehung und Umfeld nicht mehr miteinander. Wer infolge unvollständiger Abrichtung bis dahin noch nicht den Mut zur geistigen Kastration aus eigener Kraft gehabt hat, den erwischt es nun ganz böse, und er dreht durch. (Er kann aber auch, wie beispielsweise Herbert Grönemeyer, aus seinem Hilferuf einen zu Herzen gehendes Lied machen, wie er das mit seinem Kultsong „Männer" getan hat.)

    Der eine tobt blind los, zerschlägt alles, was in seine Reichweite gelangt, wird laut und gewalttätig, läuft Amok, so dass andere viel Mühe haben, ihn wieder zu sich zu bringen. Der nächste besorgt sich eine Waffe, ein Messer, Tabletten oder auch nur einen derben Strick und bringt sich um. Es gibt sogar welche, die verbinden beides miteinander. Je nach Ergebnis nennt man das Selbstmord, Totschlag, Mord oder Mordversuch, wobei nur der Selbstmord juristisch für den Täter straflos ist.

    Glück scheinen jene zu haben, die ihr Tun überleben, deren Gehirn jedoch nicht wieder in die Wirklichkeit zurückfindet. Das ist aber relativ zu sehen und auch seltener. Manche fressen aber bis zu einer gewissen Grenze alles widerspruchslos in sich hinein. Was danach passiert ist aber kaum mehr vorhersagbar. Meist enden diese Aktivitäten aber auch mit einem Amoklauf, der Tötung der nächsten Angehörigen oder Vorgesetzten, als unbeteiligt angesehener Personen des Umfeldes und dem verwundert bedauerndem Nachruf der sich überrascht gebenden nachbarlichen Ahnungslosigkeit: „Wer hätte denn das vermutet, so ein ruhiger feiner Mensch… Das hätte dem doch niemand zugetraut." (Wer hätte denn auch ahnen können, dass er das an ihm meist heimlich und unauffällig praktizierte langsame psychologische Hautabziehen bei lebendigem Leibe nicht mag.)

    Das mit dem Amok ist in gewissem Rahmen, vor allem beim Mann, sogar gesellschaftsfähig geworden. Dabei beziehe ich mich nicht auf den Ernstfall, auch nicht auf fiktive Produktionen von Film und Fernsehen oder die täglichen Nachrichten dazu, auch nicht auf Videospiele, sondern auf die Realität der Unterhaltungsbranche. Wenn Sie das nicht glauben, dann sehen Sie sich bitte im Fernsehen die Live-Mitschnitte von Gesangs- und sonstiger gymnastischer Darbietungen diverser Musikgruppen an, oder gehen Sie zum Rock-Konzert. Was die Künstler auf der Bühne zu ihrer Musik an physischer Aktion vorführen, das nennt man normalerweise Amoklauf. Nur weil kaum jemand versteht, was sie da meist perfekt ausländisch zu ihrer Musik brüllen, wenn sie ihre Instrumente malträtierend auf der Bühne herumspringen, und auch nur mit Musikinstrumenten statt Waffen hantieren, bemerkt das niemand. Aus reinen Kostengründen unterbleibt ja heutzutage meist, was bei den „Who" noch am Ende unabdingbare Zugabe zu jedem Konzert war: Die Zerstörung der Musikinstrumente auf offener Bühne und das anschließende Bombardement des begeistert tobenden hin- und mitgerissenem Publikums mit den nun unbrauchbaren Trümmern der Bühnenausstattung.

    Rapper sind beispielsweise solche, die es rein verbal versuchen, Amok zu laufen. So ein Rapper macht das ganz richtig, wenn er auf alles Beiwerk, sogar oft auf Musik verzichtet, weil doch der echte Amokläufer auch ein Einzelgänger ist. Ob er das nun fäkal, vulgärsexuell oder nur brutal gestaltet ist dabei wirklich ohne Interesse.

    Sie sehen, das mit dem Pseudo-Amok als Kulturäußerung ist schwer definierbar, weil fließend. Klar ist nur, dass es sich dabei überwiegend noch um männliche Akteure handelt und dass man das schon öffentlich üben kann.

    Eine so Amok laufende Frau wirkt zurzeit noch irgendwie lächerlich. Schwester „S" hat es wohl deshalb auch wieder aufgegeben, und selbst beim Versuch von Girl-Groups, sich auf der Bühne wie ihre männlichen Pendants zu benehmen, kann dem Publikum höchstens Hysterie vermittelt werden.

    Selbst beim Auftritt der Frau als Publikum klappt das noch nicht. Statt sich wie die aus der Antike überlieferten Bacchantinnen, Erinnyen oder Furien einem Wahnsinns- und Blutrausch hinzugeben, haben Sie da höchstens Darstellerinnen für medientauglich vorher geübte Schnappatmung und Hyperventilation, die nur noch darauf erpicht ist, dass wenigstens der Arzt, aber besser vorher noch schnell mal das Fernsehen kommt, damit nicht nur das, was die Umstehenden sowieso mittels Handyfilmmittschnitt später posten der Erinnerung aufhilft, wie schön es war.

    Es ist in unserer Zeit alles irgendwie durch jahrzehntelang medial anerzogene Seh- und Erlebnisgewohnheiten noch falsch geprägt. Niemand würde sagen, dass eine Frau wie ein Berserker gewütet hätte, und auch Vandalismus ist immer noch etwas, was nur Männern zugetraut wird. Da brauchte es schon ordentlicher Mann-Weiber, um das bedrohlich zu gestalten, aber die wollte wieder keiner auf der Bühne sehen.

    Diese Urwüchsigkeit der Leidenschaft haben Sie in diesem blasierten Abendland nicht mehr. Und wenn, dann wird das als unzivilisiert und ordinär verpönt, weil es sich angeblich (immer noch) nicht gehört.

    Das ist alles, wie leicht zu erkennen, alles auf einem männlichen Prinzip aufgebaut, welches uns aus der Steinzeit vererbt ist. Gewalt soll immer mit sichtlicher Massenüberlegenheit und körperlichem Einsatz verbunden sein, um glaubhaft zu sein. Wenn uns einer eine Pistole an den Kopf hält, sind wir schon im Zweifel, weil es die doch heutzutage auch schon als funktionsunfähige Attrappe gibt. Ganz zu schweigen von Gewaltausübung in der Form, dass Sie jemand in den Ruin treibt, nur weil er sie mit einem Knebelvertrag übertölpelt hat, was auch tödlich sein kann. Diese Form der Gewaltanwendung in wirklich abschreckender Form nachvollziehbar im Betrachter zu verinnerlichen, dazu bedarf es noch großer erzieherischer Anstrengungen, weil dann auch die Frau bei körperlicher Unterlegenheit endlich ihre wahre Chance bekommt.

    Das Publikum beurteilt eben alles so, wie es das gewohnheitsmäßig anerzogen bekam oder sich infolge seiner Verbildung vorstellt, und bestimmte Dinge können nur von solchen Akteuren vorgeführt werden, denen man es auch zutraut. Konvention findet immer statt, selbst im Chaos wirkt sie, auch wenn sie da deplatziert erscheint. Die Frau lässt sich immer noch von den Machern als Objekt mit Sexappeal auf die Konzertbühne stellen, welches nicht brutal durchdrehen darf, sondern nur hysterisch schreien. Würde eine Truppe Frauen die Bühnendekoration zerlegen, stieße das auf Unverständnis.

    Andererseits, wenn eine Truppe sogenannter Giftzwerge die Who nachahmen wollten, das Publikum würde sich darüber totlachen, weil Gewalttätigkeit auch bei Männern vom Äußeren her überzeugend vermittelt werden muss. Der Kaspar im Puppenspiel als kaltblütiger Mörder? Die Kinder würden ihm das nicht durchgehen lassen. Aber wie ist das mit der alten gebrechlichen und hilfsbedürftigen sich mühsam auf ihren Stock stützenden einsamen alten Frau mit ihrer schmerzhaften Rückgratverkrümmung, die ganz allein in ihrer Hütte im Wald lebt und meist mit ihm zusammen auftritt, der angeblich so bösartigen giftigen Hexe? Sehen Sie, da laufen auch Sie in die Falle, wenn die erzieherisch eingefahrene Prägung zuschlägt. Auch die war mal in ihrer Jugend ein hübsches munteres und plapperndes kleines Girlie.

    Die von mir zuletzt beschriebenen brutalen Verhaltensweisen werden hauptsächlich von Männern an den Tag gelegt und können auch nur im maskulinen Milieu verständlich gemacht werden. Frauen versuchen es zwar, aber es kommt ihnen meist selbst irgendwie unpassend vor. Frauen sind da noch unterrepräsentiert. Sie haben da immer noch keine echte Chance in unserer Gesellschaft. In das mit dem Amok, sage ich mal, wenn er als Kulturform ins nächste Gesellschaftsstadium mit eintreten soll, da müsste eventuell ein ganz anderer grundlegender neuer weiblicher Denkansatz hineingebracht werden, der mir im Moment aber nicht einfällt.

    Da war sogar die Gleichberechtigung noch sehr im Hintertreffen, geschweige denn, dass die Gleichstellung bisher ein Rezept dafür geliefert hätte. Es muss ein größeres geschlechtsspezifisches Problem dahinterstecken, wenn es bisher noch nicht einmal mittels des Gleichstellungsgebotes zu bewältigen war. Man sollte vielleicht, um beim kulturell-darstellenden Amok zu bleiben, davon ausgehen, was die Fans zu diesen Konzerten und Darbietungen lockt.

    Ob es nun der Frust der Arbeitslosigkeit ist oder die Stressüberlastung derer, die Arbeit haben; wenn Sie schon nicht wagen, selbst Amok zu laufen, dann wollen sie das vielleicht wenigstens sehen, wie das professionell vorgeführt wird, sofern sie sich kein anderes Ventil suchen, um die Sau raus zu lassen. Dass Frauen sich inzwischen auch in Gangs zu organisieren versuchen, um dann genau so wie ihre männlichen Vorbilder mittels Schuss- und Stichwaffen Raubüberfälle auf offener Straße zu begehen, ist jedenfalls keine Lösung.

    Nachdem Sie nun von mir ausreichend über das Thema Amok aufgeklärt sind, wissen Sie nun, dass ich das nicht an meinem Beispiel noch einmal bringen kann. Ich bin deshalb infolge der zur Zeit gesellschaftlich noch nicht ganz geklärten Form dieser Art Befreiungsaktionismus, mangels persönlicher Erfahrung, auch infolge zu geringer Übung, nach reiflicher Überlegung nicht Amok gelaufen, als ich durchdrehte. Ich bin auch immer für klare Verhältnisse und die liegen hier ganz objektiv betrachtet, nicht vor. Bei mir lief das komplizierter ab und da zieht es sich natürlich in die Länge und eignet sich auch nicht für ein rasantes Actionstück.

    Meine Entwicklung verlief folgendermaßen: Mittels strengster vorgelebter evangelisch-lutherischer Arbeitsethik erzogen, die es trotzdem zu weiter nichts gebracht hatte, als zu ständig reflexartigem Einknicken vor jeder Art von Autoritätsanmaßung, hat man nur wenige selbstbestimmbare Handlungsspielräume und geistige schon überhaupt nicht, sofern man es ernst nimmt. Das tat ich aber nicht. Als erstes warf ich die anbefohlene Autoritätsgläubigkeit über Bord, weil meist eine überhebliche Anmaßung dessen dahinter steht, der sie bei mir voraussetzt. Dummheit und Stolz, die wachsen bekanntlich auf einem Holz (als Beispiel für eines meiner Vorurteile). Schon als Kind wusste ich ziemlich schnell: Ignorieren ist keine Lösung, aber sie hilft überbrücken. Diese Einstellung half mir irgendwie weiter.

    Dem gesellschaftlichen Konsens der Erwerbsgesellschaft konnte ich in der Praxis nicht entrinnen, so gern ich das auch getan hätte. Die eingewöhnte Umwelt des spießbürgerlichen Lebens mit seinen manchmal gemütlichen Aspekten wollte ich andererseits auch nicht missen, weswegen ich meinen dadurch eigentlich unhaltbaren Zustand ignorierte und mir auch geistig jede zweifelhafte Selbstbespiegelung verbot. Als Kind vermag man der Erziehung nicht zu entrinnen, kann sich ihr aber auf verschiedene Weisen entziehen. Wer prinzipiell angeblich sowieso alles falsch macht, bei dem wirken mit der Zeit Außenreize gleich welcher Art nicht mehr.

    Es war schon sehr früh feststellbar, mit mir war kein Blumentopf zu gewinnen. Auf verbale Attacken reagierte ich im beginnenden Erwachsenenalter kaum noch. Ich funktionierte, war aber nicht mehr manipulierbar. Das Märchen der Gebrüder Grimm vom gestiefelten Kater vermittelte mir die entscheidende Erkenntnis. Da manipuliert der Kater auch den Zauberer. Der kann es nicht ertragen, dieses: „Das kannst du nicht…" und das „Du traust dich nicht…". Das ist natürlich eine ideale Möglichkeit, jemanden auf das Glatteis zu locken. Und was brachte es dem Zauberer ein, sich in eine Maus zu verwandeln? Der Kater hat ihn gefressen.

    Bei mir zog das nicht. Der Unwissende nennt das Selbstbeherrschung. Das ist sehr karrierefördernd in bestimmten Hierarchien, war bei mir aber nur begrenzt wirksam, denn es fußte bei mir nicht, wie es sich gehört, auf der Basis der Selbstdisziplin oder Respekt, sondern auf Ignoranz. Zwar nicht in jedem Fall, aber doch meistens.

    Man tut seine Arbeit, weil man sie bezahlt bekommt und ist da auch gut zu dirigieren. Der sie einem gibt muss schließlich am besten wissen, wozu er einen anstellt. Es geht um die Existenz, und wenn er klug ist, dann merkt er auch, dass es auch um seine geht, sofern er mich für sich gegen Geld etwas tun lässt, was ein bisschen Fingerspitzengefühl voraussetzt und bei eventuellem Danebengelingen auch für ihn kaum übersehbare Folgen haben kann.

    Diesen feinen aber entscheidenden Unterschied zwischen selbstbeherrschter unterwürfiger Arbeitswilligkeit und verachtender Ignoranz merkt im Normalfall aber keiner. Selbst derjenige nicht immer, der das in sich selbst verinnerlicht hat. Der setzt bei anderen die gleiche Anschauung der Welt automatisch voraus. Nur in Situationen, wo es Spitz auf Knopf steht, kommt das zum Vorschein. Idioten in Chefsesseln bekommen das meist auch erst zu spüren, wenn sie mit ihren Irrwitzigkeiten abzuheben versuchen und keiner ihnen folgen will. Die suchen die Ursachen dann auch ganz richtig bei den anderen. Man zieht sich selbst nicht in Zweifel. Man weiß schließlich, wer man ist. Da ist dann aber nicht immer sicher, was passiert, wenn das Pferd vor dem Abgrund scheut und der Reiter ihm trotzdem die Sporen gibt. Nicht jeder hat dann so viel Glück wie Harras, der kühne Springer, dass er mit dem Leben davonkommt.

    Mein Bewusstsein ignorierte jedenfalls die Realität, in der sich mein Körper zunehmend nicht mehr wohl fühlte. So kam ich mit mir selbst in Zwiespalt und es schließlich nach Jahren dazu, dass mein Körper begann, mir den Gehorsam aufzukündigen. Erst waren es Kreuz-, Gelenk- und Kopfschmerzen, dann Muskelkrämpfe, Gliedertaubheiten und schließlich Lähmungen. Das ist alles nicht so schlimm, wenn man nicht, wie Millionen andere und so auch ich, gezwungen wäre, sein täglich Brot und das für seine zwischenzeitlich gegründete Familie mittels abhängiger Arbeit zu verdienen.

    Kommen Sie nie im Leben in diese Verlegenheit. Falls Sie aber sogar in diese Lage hineingeboren worden sein sollten, dann versuchen Sie Ihren gesellschaftlichen Status um jeden Preis zu heben. Wenn Sie nicht wissen, wie man das macht, dann kann ich Ihnen leider auch nicht helfen. Da müssen Sie alleine durch.

    Ich hatte die allgemeinen sozialen Spielregeln theoretisch zwar verworfen, aber praktisch nach ihnen gelebt, so dass ich ihnen dadurch trotzdem unterworfen war. Die innere Emigration hatte mir auf Dauer nichts genützt. Das liest sich zwar etwas verquer, ist aber eine ganz normale Lebenssituation. Die meisten merken es nur nicht.

    Eines Morgens erwachte ich wieder einmal mit eingeschlafenem rechtem Arm. Es dauerte eine halbe Stunde, bis ich die Herrschaft über den Arm so einigermaßen wiedererlangt hatte, aber die rechte Hand blieb taub. Von im Schlaf abgedrückten Blutgefäßen konnte der Zustand nicht herrühren. Mit Verspätung kam ich mit dem Auto zur Arbeit; es schaltet sich schlecht mit gefühllosem Arm. Die Situation war grotesk, gemäß alter DDR-Tradition begrüßten wir uns morgens noch mittels Handschlag. Also reichte ich als letzter meine empfindungslose Pfote wie eine tote Sache herum. Die Computertastatur zu bedienen, wollte nicht so recht klappen, aber einen Stift anzufassen und womöglich noch zu schreiben, sei es nur zur Unterschrift, war unmöglich. Auch die Sparkasse würde mir für meinen unleserlichen Krähenfuß auf dem Auszahlungsbeleg kein Geld geben.

    In den ersten zwei Stunden soff ich total ab. Alles schien in Nebel gehüllt, als ginge mich nichts etwas an. Die Arbeit nahm zu statt ab, was ich anfing und klein anschob, begann mich im Rücklauf sofort als Lawine zu überrollen. Man erinnerte mich an Sachen, an die ich mich beim besten Willen nicht entsinnen konnte, und als schließlich noch einer kam, der ein Verhandlungsgespräch mit mir weiterführen wollte, welches wir aufgrund fehlender Unterlagen am Vortag abgebrochen hatten, erkannte ich ihn nicht, wusste auch nicht, wer er war, noch was er von mir wollte. In meinem Terminkalender stand aber alles fein säuberlich, mit Name und auch für diese Uhrzeit. Ich hatte es mir gestern noch selbst notiert.

    Ein Angestellter oder Beamter in einer Verwaltung nimmt in solchen Fällen eine Auszeit, schließt den Schalter, bricht die Sprechzeit ab, geht eine Vertretung um Hilfe an oder lässt die zu bearbeitenden Vorgänge unbearbeitet liegen. Bei einer Dispatcherstelle in der Industrie, dazu noch mittelständischer Unternehmenslage, so kurz nach der Wende, gerade frisch reprivatisiert, geht das nicht. Da läuft alles auf Gedeih und Verderb ineinander, und wenn ein Rädchen nicht zahnt, wirkt das wie Sand im Getriebe des Produktionsablaufes. Plötzlich haben andere Leute, die ihr Leistungsvermögen dort verkaufen, keine Arbeit mehr, weil der Nachschub fehlt, und weil ohne Arbeitsleistung auch kein Lohnanspruch besteht, kommt schnell eine Menge durcheinander.

    Ersatzmann oder Vertreter, das kann sich ein Privatunternehmer nicht leisten. Er betreibt die Firma ausschließlich, um seine umfangreiche Familie zu ernähren und dabei möglichst reich zu werden, und wenn es geht, sehr schnell. Da muss er die Kosten, vor allem die berühmten Lohnnebenkosten niedrig halten. Da kommt sein Gewinn her. Mich beschäftigt er nur, damit ich mit meiner Familie nicht verhungere. Das trifft für alle anderen bei ihm Beschäftigten auch zu, sie mögen sich nennen, wie sie wollen.

    Das Letzte, das mit dem Verhungern, habe ich nicht aus der Luft gegriffen, das hat er mir selbst einmal gesagt, als ich zwecks einer Gehaltserhöhung bei ihm vorsprach. Er machte da nach meiner Erfahrungen auch keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Er gab auf der Strecke Lohn und Gehalt niemandem gegenüber nach. Da war er gerecht. Klare Fronten sind wichtig, vor allem im Wirtschaftsleben, und Ehrlichkeit auch. Wie brutal das beim Gegenüber ankommt, merkt man als Chef sowieso nicht. Zu zart besaitete Mitarbeiter sollen übrigens nicht allzu zuverlässig sein. Es wird nicht umsonst diese neudeutsche Tugend der Belastbarkeit neuerdings von Arbeitgeberseite her so hoch gelobt. Ob alle seine Blütenträume reifen, steht auch für den Unternehmer meist in den Sternen. Der sagt jedenfalls, dass er auch nicht besser dran ist, als unsereiner. Seine Probleme sind wohl andere.

    Mein Chef war jedenfalls ein sehr aufrechter und geradliniger Charakter mit christlichen Wurzeln, ein alter Calvinist, wie er mir einmal verschmitzt und augenzwinkernd mitgeteilt hatte und im Glauben sattelfest. Der kannte auch Luthers Kleinen Katechismus und da stehen bekanntlich solche Sachen drin wie beispielsweise: „… dass wir unsere… Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben…" Und das forderte er auch ganz selbstverständlich ein. Bedingungslos. Es war schließlich Luthers Ausformung von Gottes Gebot. Und beim Kalvinisten gehört es mit zur Grundüberzeugung, dass Gott die Versager hasst.

    Erfolgreich sein, das ist Gottesdienst und wer das meiste Geld für sich auf seine Seite kriegt, den liebt Gott auch. Das kommt, wenn auch nicht überraschend, so doch unerwartet bestätigend auch wieder ganz neu aus Amerika. Wer da im Dreck herum kriecht, dem ist das angeblich vorherbestimmt. Der muss sich damit abfinden. Das ergibt sich schließlich ganz klar aus der Prädestinationslehre. Wenn Sie dazu Fragen haben, dann lesen Sie das bitte selbst nach. Alles muss ich Ihnen nicht erklären. In den USA sind sie davon derzeit ganz begeistert und die Armen dort deshalb auf die Reichen auch nicht so neidisch wie bei uns. Das haben mir alles erst das öffentlichrechtliche Fernsehen und auch die Bildzeitung beigebracht.

    Mein Chef ist ja kein schlechter Mensch. Wenn aber, wie bei ihm, die Frau die Bücher führt, darf ihm im Geschäftsbetrieb nichts daneben gehen, sonst hängt sofort der Haussegen schief. Da kann er kaum etwas vertuschen und wenn die Firma nicht genug abwirft, dann muss er straff ran, sonst nimmt sie ihn sich zur Brust. Heutzutage ist es schließlich wichtig, das Niveau des Lebensstiles zu halten, und wenn es geht, noch anzuheben. Da nimmt sie ihn dann an die Kandare und nicht zu

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