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Die Berlin-Connection: Nur die Mohnblumen und die Liebe sind unsterblich
Die Berlin-Connection: Nur die Mohnblumen und die Liebe sind unsterblich
Die Berlin-Connection: Nur die Mohnblumen und die Liebe sind unsterblich
eBook456 Seiten6 Stunden

Die Berlin-Connection: Nur die Mohnblumen und die Liebe sind unsterblich

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Über dieses E-Book

Im Kampf gegen die Rauschgifthändler kommt der Kommissar Carlos del Rio, Leiter der Rauschgiftbehörde jenes lateinamerikanischen Landes, erneut nach Berlin, um mit seinen deutschen, italienischen und amerikanischen Kollegen die richtige Strategie zu erarbeiten, in Anbetracht der geheimen Treffen der internationalen Rauschgifthändler.
In der deutschen Hauptstadt kennt er Martina, eine junge Polizistin, und er verliebt sich. Bevor er zurückkehrt, lädt er sie ein, sein Land kennen zu lernen und zusammen Urlaub zu machen. Der Kommissar konnte die Gefahren nicht ahnen, die auf ihn lauerten und plötzlich sein Leben radikal veränderten.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Feb. 2015
ISBN9783738667486
Die Berlin-Connection: Nur die Mohnblumen und die Liebe sind unsterblich
Autor

Carlos Retamal

Carlos Retamal wurde im Mai 1951 in der Stadt Valdivia in Chile geboren. Seine Kindheit hat unvergessliche Erinnerungen an Sommerurlaube auf dem Land bei seinen Großeltern mütterlicherseits hinterlassen. Aus dem Süden kam er 1970 nach Santiago und studierte dort Programmierung, Soziologie und Stadtplanung an der Katholischen Universität Chiles. Anfang der 80er Jahre kam er nach Europa, um den Alten Kontinent kennen zu lernen. Und eines Tages, alleine, als er mit der letzten U-Bahn nach Hause kam, plötzlich und ohne einen Grund, schrieb er auf einen kleinen Zettel: der Kommissar Carlos del Río, Leiter der Rauschgiftabteilung. Zuhause schaltete er seinen Rechner an und begann, die ersten Zeilen zu schreiben von diesem, seinem ersten Roman.

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    Buchvorschau

    Die Berlin-Connection - Carlos Retamal

    Inhaltsverzeichnis

    Die Berlin-Connection

    Vorgeschichte – Anfang der Achtziger

    Gegenwart

    Die Berlin-Connection

    Nur die Mohnblumen und die Liebe sind unsterblich

    Abhörzentrale des Rauschgiftdezernats. April, Anfang der neunziger Jahre. Überwachter Anruf:

    »Guten Morgen Herr Campusano, hier spricht Tano Cali aus Palermo, Italien.«

    »Wie geht es Ihnen, Herr Cali?«

    »Sehr gut, vielen Dank. Und Ihnen?«

    »Danke. Mir geht es auch bestens.«

    »Herr Campusano, wir wollen Sie zu einem Treffen einladen, um unsere zukünftigen geschäftlichen Beziehungen voranzutreiben und zu koordinieren.«

    »Mit Vergnügen, ich komme gern.«

    »Das Treffen findet in Berlin statt. Einer unserer engsten Mitarbeiter wird Sie am 24. des nächsten Monats vom Flughafen Tegel abholen. Flug GK 737. Wenn er Sie fragt, ob Sie einen langen und langweiligen Flug hatten, antworten Sie ihm, dass einem die Zeit nicht so lang wird, wenn man einen Martini in der Hand hält – geschüttelt, nicht gerührt. Haben Sie mich verstanden, Herr Campusano?«

    »Ja, voll und ganz, Herr Cali.«

    »Gut, dann erwarten wir Sie in Berlin. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«

    »Ganz meinerseits, Herr Cali.«

    »Also bis bald.«

    »Bis bald.«

    Als Kommissar Carlos del Rio frühmorgens sein Büro betrat, schaltete er wie immer als erstes seinen Rechner ein. Anschließend bereitete er sich einen Tee nach seinem Geschmack zu: mit ein wenig Honig und Zitrone. Er sah auf seine Uhr, zog seine Jacke aus, hängte sie auf und setzte sich mit seiner Tasse Tee an den Schreibtisch. Seiner täglichen Routine folgend ging er seine Post durch. Eine Nachricht seines Vorgesetzten überraschte ihn: ›Heute um 11 Uhr Termin beim Innenminister.‹ Es musste sich um eine delikate Angelegenheit handeln, die seine Abteilung betraf.

    Pünktlich erschienen Kommissar del Rio und sein Vorgesetzter, Generaldirektor Miguel Ramirez, im Vorzimmer des Ministerbüros, wo sie vom Unterstaatssekretär bereits erwartet wurden. Er führte sie in das Büro des Ministers, wo dieser sie herzlich begrüßte. »Wie geht es Ihnen, General Ramirez?«, fragte er, während er ihm die Hand reichte und fortfuhr: »Guten Tag, Kommissar del Rio.«

    »Guten Tag, Herr Minister.«

    Nachdem sie Platz genommen hatten, begann der Minister:

    »Meine Herren, jetzt, da wir vollzählig sind, können wir beginnen. Die Sache ist für uns von höchster Bedeutung.« Er machte eine Pause.

    »Wie Sie wissen, haben wir unsere deutschen Kollegen kontaktiert, um sie über das mitgeschnittene Telefonat zu informieren, in dem der Beauftragte für internationale Operationen des größten Drogenkartells in unserem Land von der sizilianischen Mafia zu einem Treffen in Berlin eingeladen wurde. Bald darauf besuchte mich der deutsche Botschafter. Er ließ mich wissen, dass seine Regierung sehr daran interessiert ist, dem Drogenhandel einen empfindlichen Schlag zu versetzen, wobei unsere Mitwirkung unabdingbar sei. Konkret wünschen sie die Anwesenheit von Kommissar del Rio in Berlin als wichtige Unterstützung für diese Operation. Außerdem gab er zu verstehen, dass sein Land an einer verstärkten Zusammenarbeit und einer Aufstockung der Wirtschaftshilfe interessiert sei. Dazu ist zu sagen – und das ist die Haltung der Regierung –, dass wir das Anliegen der Deutschen nicht abweisen können. Daher sind wir mit dem Herrn Polizeichef übereingekommen, dass Kommissar del Rio nach Deutschland reisen soll, um der Einladung zu folgen.«

    »Freuen Sie sich, Kommissar«, wandte sich der General ihm zu, »nun können Sie nach all den Jahren wieder nach Berlin.«

    Carlos antwortete mit einem Lächeln. »Natürlich freue ich mich, General. Das ist eine angenehme Überraschung, die ich nicht erwartet habe.«

    »Ihre Ankunft in der deutschen Hauptstadt ist für diesen Freitag vorgesehen, wie ich soeben unterrichtet wurde. Für die nötigen Vorbereitungen bleiben Ihnen zwei Tage Zeit.«

    Carlos breitete die Arme aus und zuckte mit den Schultern: »Genug Zeit, um einen Koffer zu packen.«

    Nach dem Treffen ging Kommissar del Rio in sein Büro und rief seinen Stellvertreter und persönlichen Freund Sergio Alvarado. Er setzte sich zu ihm und begann das Gespräch erst nach einer Pause.

    »Bitte sprich mit niemandem über das, was ich dir jetzt sagen werde. Die Information ist vertraulich.«

    »Klar, Carlos, mach dir keine Sorgen, ich behalte es für mich, so wie immer. Aber sag mir: Worum geht es dieses Mal?«

    Carlos holte tief Luft, bevor er antwortete. »Man schickt mich mit einem geheimen Auftrag nach Deutschland, so dass du die Leitung des Drogendezernats an meiner Stelle übernehmen musst. Nur du kennst den tatsächlichen Grund meiner Abwesenheit; den anderen sagst du, dass ich meinen endlos verschobenen Urlaub genommen habe. In einigen Wochen werde ich wieder zurück sein. – Gut«, sagte er nach kurzem Schweigen, »jetzt gehe ich nach Hause und bereite alles für meine Abreise vor.«

    »Und wann reist du ab?«

    »In zwei Tagen, am Donnerstag.«

    »Gut, aber ich nehme an, dass die Nachricht, wenn sie dich auch überrascht hat, dir nicht unangenehm ist?«

    »Absolut nicht. Im Gegenteil, ich freue mich sehr, Max wiedersehen zu können, nach so vielen Jahren!« Freundschaftlich klopfte er Alvarado auf die Schulter. »Bis zu meiner Rückkehr liegt unsere Abteilung in deinen Händen.«

    Alvarado lächelte. »Ich werde mein Bestes geben.«

    »Das hoffe ich doch«, gab Carlos lächelnd zurück, während sie gemeinsam das Büro verließen.

    Er ging hinunter zum Parkplatz und bat seinen Fahrer Juan Cisternas, ihn nach Hause zu fahren.

    Der schwarze Wagen hielt langsam vor dem Haus des Kommissars an. Die Morgendämmerung war noch nicht vorüber; es war kaum sechs Uhr. Mit einem Lederkoffer in der Rechten trat Carlos aus der Tür. Der Fahrer stieg aus dem Auto und begrüßte ihn herzlich. »Wie geht es Ihnen, Kommissar?« Er nahm ihm den Koffer ab und verstaute ihn im Kofferraum.

    »Bestens, Ramón, bestens.«

    Er stieg ins Auto, in dem bereits sein Chef General Ramirez saß.

    »Guten Morgen, Kommissar. Ich hoffe, Sie haben genug geschlafen, um diese lange Reise gut zu überstehen.«

    »Guten Morgen, Herr General. Um ehrlich zu sein, meine Nacht war sehr kurz. Ich hatte Schwierigkeiten einzuschlafen.«

    »Lag es vielleicht an der Aufregung, dass Sie bald wieder in der Stadt sein werden, die, wie ich annehme, nur angenehme und unvergessliche Erinnerungen für Sie bereithält?«

    »Ja, ich glaube schon, dass es mich ein wenig nervös macht.«

    Der Fahrer gab Gas und lenkte den Wagen zum internationalen Flughafen der Hauptstadt des lateinamerikanischen Landes.

    »Diese Mappe enthält sämtliche Informationen, die Sie benötigen. Unsere Botschaft in Deutschland ist über Ihren Besuch im Bilde. Der Botschafter wird Sie empfangen und Ihnen bei jedem auftretenden Problem beistehen.«

    Das Auto erreichte den Flughafen und parkte auf dem für VIPs reservierten Platz.

    »Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Mission, Kommissar, und hoffe, Sie bald gesund und unversehrt wiederzusehen.«

    Während der General sich verabschiedete, lud Ramón den Koffer aus.

    »Danke, Herr General, ich hoffe ebenfalls, dass alles gut geht.«

    »Und halten Sie uns auf dem Laufenden.«

    »Selbstverständlich.«

    »Gut, dann viel Glück und bis bald, Kommissar.«

    »Vielen Dank, General.«

    Nach einem kräftigen Händedruck stieg Carlos aus.

    Der imposante Jumbo-Jet vom Typ Boeing 747-400 wartete bereits auf der Startbahn des Flughafens. Über den VIP-Zugang erreichte der Kommissar das Flugzeug. Kurz darauf begann sein Flug, der ihn über eine Zwischenlandung in Frankfurt nach Berlin, Deutschland, führen sollte

    Carlos erinnerte sich an seine erste Deutschlandreise vor zehn Jahren, als seine erfolgreiche Polizeilaufbahn begann. Damals war er von seinen deutschen Kollegen zu einem Treffen eingeladen worden, um über den Kampf gegen den Drogenhandel in seinem Land und in ganz Lateinamerika zu berichten. Es ging nicht nur um Drogenhandel, Korruption und organisierte Kriminalität; auch musste in zunehmenden Maße das undurchsichtige, finanzielle Geflecht ergründet werden, das die Geldwäsche ermöglichte.

    Sowie das Flugzeug seine übliche Reiseflughöhe von 10.000 Metern erreicht hatte und mit 890 km/h dahinglitt, servierte das Bordpersonal das Frühstück. Nachdem der Kommissar seine üblichen zwei Tassen Darjeeling-Tee getrunken hatte, lehnte er sich in den bequemen Sitz zurück. Nach wenigen Minuten war er eingeschlafen.

    Vorgeschichte – Anfang der Achtziger

    Im Berliner Flughafen Tegel erwartete ihn Max Schneider, ein Beamter im Rauschgiftdezernat des Landeskriminalamtes. Sie hatten sich einige Monate zuvor kennengelernt, als der Berliner Ermittler auf Dienstreise geschickt worden war, um Kommissar del Rio persönlich zu kontaktieren. Seine Mission bestand darin, engere Beziehungen zu dem Drogendezernat des lateinamerikanischen Landes aufzubauen, da der Schmuggel nach Europa ein bislang ungeahntes Ausmaß erreicht hatte.

    In den wenigen gemeinsam verbrachten Tagen entwickelte sich eine Freundschaft, die sie das ganze Leben hindurch verbinden sollte. Die Chemie zwischen beiden stimmte von Anfang an. Carlos behandelte ihn mit der typischen Wärme, die in seinem Land ausländischen Besuchern entgegen gebracht wird; und Max wusste diese Aufnahme wohl zu schätzen. Außerdem mochte Max die Art und Mentalität der Lateinamerikaner: stets mit einem subtilen, oftmals doppeldeutigen Witz und jene typische, unerbittliche, überwältigende Ironie als Markenzeichen.

    Als er ihn beim Hinausgehen erblickte, riss er beide Arme in die Höhe, um seiner tiefen Freude über das Wiedersehen Ausdruck zu verleihen. Nach einer langen Umarmung fragte ihn Max:

    »Carlos, wie geht es dir? Ich hoffe, du hattest eine gute Reise.«

    »Grüß’ dich, Max. Ich fühle mich gut, obwohl die Reise etwas anstrengend war. An langes Reisen bin ich nicht gewöhnt, aber nun ja, jetzt bin ich hier.«

    »Schön. Jetzt habe ich endlich die Chance, mich für deine Gastfreundschaft zu revanchieren.«

    »Max, ich freue mich sehr dich wiederzusehen und hoffe, dass unsere Abteilungen von meinem Besuch profitieren werden.«

    »Das werden sie. Warten wir noch auf deinen Koffer und fahren dann zum Hotel Steigenberger, wo wir ein Zimmer für dich reserviert haben. Wenn du willst, lässt du deine Sachen dort, und wenn du nicht zu müde bist, können wir noch etwas trinken gehen. Du entscheidest.«

    »Sehr gern. Ich glaube, ich brauche ein wenig frische Luft. Außerdem kenne ich niemanden in diesem Land.«

    »Noch kennst du niemanden, aber schon bald wirst du sehr interessante Leute kennenlernen. Um deine Ankunft zu feiern, habe ich für morgen ein kleines Fest bei mir organisiert. Ich habe einige Leute eingeladen, die ebenfalls an den Treffen nächste Woche teilnehmen – und dir bestimmt gefallen werden.«

    »Sieh an, sieh an. Du machst dich ja ausgezeichnet als Gastgeber!«

    Carlos‘ Antwort ging in ein gemeinsames Gelächter über.

    Nach sieben Uhr abends füllte sich Max‘ Wohnung rasch. Als sie eintrat, ging Max auf sie zu. »Hallo Ulrike, schön, dass du gekommen bist. Wie gut du aussiehst! Mein Ehrengast wird beeindruckt sein!«

    »Danke.« Sie errötete leicht.

    »Komm, ich stelle dir meinen Freund Carlos del Rio vor, den Kommissar aus Lateinamerika. Er wird als Gast an unseren Arbeitstreffen teilnehmen. Wie du weißt, wird er die Drogenproblematik in seinem Land aus dortiger Sicht darlegen. Ich dachte, dass du, wenn du Zeit hast, ihm ein wenig die Stadt zeigen könntest. Ich werde vollauf mit den Vorbereitungen der Veranstaltung beschäftigt sein und daher nicht allzu viel freie Zeit haben.«

    »Vielleicht bin ich nicht gerade die Geeignetste dafür, aber wenn er es wünscht, übernehme ich‘s gern.«

    Carlos stand allein in einer Ecke, als er sie mit Max kommen sah. Sofort fühlte er sich in den Bann dieser faszinierenden Frau gezogen. Einen kurzen Moment sah er ihr intensiv in die Augen. Schön und schlicht, wie ihm die Frauen gefielen, natürlich und irgendwie scheu. Weder gezupfte Augenbrauen noch Schminke, nicht einmal lackierte Nägel. Er dachte: »Mein Gott, was für eine schöne Frau! Oh ja, Mamita, für deine Schokolade will ich das heiße Wasser sein!« Max holte ihn aus seiner gedanklichen Versenkung.

    »Carlos, das ist Ulrike Maier aus Hamburg, die schönste Teilnehmerin auf unseren Besprechungen.«

    »Hallo, es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen.«

    »Hallo, ich freue mich auch.«

    Max sah seinen Freund an. »Ich habe Ulrike gefragt, ob sie dir die Stadt zeigen kann. Ich werde sehr mit der Vorbereitung des Treffens beschäftigt sein.«

    »Wenn sie Zeit und Lust hat – mit Vergnügen.«

    »Ulrike, Carlos tanzt gern und sehr gut. Jetzt hast du die Gelegenheit, es zu lernen.«

    Sie zog ihre Schultern zusammen, als sie Carlos ansprach.

    »Ich kann nicht besonders gut tanzen, aber ich würde es gern lernen.«

    »Liebend gern, obwohl ich kein großer Tänzer bin.«

    »Wir werden sehen«, meinte sie lachend.

    »Ja klar, wir werden schon sehen.«

    »Also, Carlos. Ich übergebe dich in die besten Hände. Jetzt muss ich mich um die anderen Gäste kümmern. Würdest du bitte Ulrike etwas zu trinken anbieten?«

    »Selbstverständlich.« Er streckte den Arm aus, um in Richtung Küche zu weisen. »Ladies first.«

    Auf dem Weg zur Küche fragte sich Carlos: »Wer ist diese wunderbare Frau? Was wird ihr wohl gefallen, was könnte sie abstoßen? Ist sie eine schlichte und ehrliche Frau, oder verbirgt sich etwas ganz Anderes hinter ihrer Erscheinung?«

    Er riss sich aus seiner Grübelei. »Was trinkst du?«

    »Ich weiß nicht. Was gibt es denn?«

    »Also… Es gibt Bier, Wein, Säfte, Limonade… und hier haben wir Rum.«

    Sie war noch unentschlossen. »Und was trinkst du?«

    »Meinen Lieblingsdrink.«

    »Und das wäre?«

    »Einen Cuba Libre.« Er sah ihr dabei in die Augen. Sie hielt dem Blick stand und sagte dann fröhlich:

    »Der ist ziemlich stark, aber ich denke, ich nehme auch einen. Aber weißt du auch, wie man ihn zubereitet?«

    »Klar doch!«

    »Aha, sehr gut. Mal sehen, was du zustande bringst.«

    »Ich denke, ich mache ihn gar nicht so schlecht.«

    »Und was nimmt man dafür?« Sie schien interessiert.

    »Zuerst kommt das Eis ins Glas, dann der Rum, danach die Cola und zuletzt ein wenig Limette. Erst drückst du die Limette über dem Glas aus, dann wirfst du sie hinein, damit das Ganze mehr Aroma und Geschmack bekommt.«

    Als er mit der Zubereitung fertig war, überreichte er ihr ein Glas. »Gut. Nun lass uns anstoßen.«

    »Danke. Und worauf wollen wir anstoßen?« Sie blickte ihn an und lachte. Sie hoben die Gläser und brachten sie zum Klingen.

    »Lass uns auf diese wunderbare und unerwartete Begegnung anstoßen. Und wie man so schön sagt: Ich hoffe, dass das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist.«

    Mit einem zufriedenen Lächeln erwiderte sie: »Gut, auf den Beginn einer wunderbaren Freundschaft.«

    Nach dem Essen ging Max mit einem Glas Bier in der Hand zu seinen Gästen. »Auf meiner letzten Reise nach Lateinamerika habe ich mehrere Länder besucht und auch Carlos kennengelernt. Mich hat auch die Kultur und insbesondere die äußerst vielseitige Musik interessiert. Sie reicht von der Folklore bis hin zu heißen Rhythmen.« Dabei versuchte er, seine Hüften rhythmisch zu bewegen. »Deshalb beginnen wir mit einigen lateinamerikanischen Klängen.« Er sah zu seinem Freund hinüber. »Carlos, das ist eine gute Gelegenheit um zu zeigen, was du drauf hast, und nicht nur als Polizist!«

    Er nahm eine CD aus dem Regal, und als die ersten Akkorde von »La Bilirrubina« erklangen, sagte er zu ihm: »Das ist doch einer deiner Lieblings-Merengues. Los, aufs Parkett!«

    Carlos nahm Ulrikes Hand. »Ich möchte mit dir tanzen.«

    »Ich kann‘s nicht so gut, aber wenn du führen kannst...«

    Auf der Tanzfläche spürte er das leichte Erschauern ihres Körpers, als er sie umfasste und an sich zog, während sie sich harmonisch zum Takt der Melodie bewegten. Er tanzte sehr gut und führte sie völlig mühelos. Am Ende gab es großen Beifall für beide. Als Max »Otra, otra!« rief, schaute Carlos ihn an und gab zurück: »Jetzt ist der Gastgeber dran, wie es sich gehört.« Max blieb nichts anderes übrig, als sich selbst auf die Tanzfläche zu begeben. Er forderte seine Gäste auf: »Jetzt tanzen wir so, wie Carlos es vorgemacht hat.«

    Carlos wandte sich zu Ulrike. »Vom Tanzen ist mir heiß geworden, ich muss etwas trinken. Etwas Starkes, um die Aufregung zu verarbeiten. Und du?«

    »Ich auch.«

    »Also dann, gehen wir in die Küche.«

    Dort angekommen, versenkte er seinen Blick in ihre zauberhaft grünen Augen. »Das Gleiche nochmal?« Sie zögerte einen Moment, als sie den Blick seiner tiefschwarzen Augen fühlte.

    »Ja, warum nicht? Ich glaube, wir haben uns noch einen Cuba Libre verdient, für diesen Anlass ist er genau der richtige Drink.«

    Carlos begann mit den Vorbereitungen, doch unvermittelt hielt er inne. »Oder möchtest du ihn machen?«

    Sie lachte. »Nein, nein. Mach du ihn bitte.« Er zuckte mit den Schultern. »Gut, wie du willst.«

    Während er die Drinks zubereitete, sprach er weiter: »Ich bin von dir wirklich beeindruckt.«

    »Warum?«

    »Weil ich es mir sehr gefallen hat, mit dir zu tanzen. Um ehrlich zu sein, und das bin ich immer, so hätte ich mir gewünscht, dass das Lied noch viel länger gewesen wäre.«

    Sie lächelte. Sie konnte nicht verheimlichen, dass diese direkten Worte ihr sehr gefielen. Für einen Moment blieb sie nachdenklich. Das Gleiche, was er ihr gerade gesagt hatte, hätte auch sie sagen können. Sie blickte langsam zum Boden, dann trafen sich ihre Blicke wieder. Beide lachten. Dann sagte sie in einem sanften, aber festen Ton:

    »Ihr Latinos könnt ja charmant sein wie sonst niemand.«

    »Das sagst du, weil du mich nicht kennst. Ich bin so, ehrlich und spontan. So haben mich Gott und meine Eltern gemacht.«

    Sie lächelte wieder. Carlos hob sein Glas und blickte in ihre Augen. »Auf dass unsere nächsten Tänze noch besser werden als dieser.«

    Diesmal musste sie vor Lachen den Kopf schütteln. »Ja, darauf trinken wir.«

    Carlos versuchte das Schweigen und jenen zauberhaften Bann ihrer unwiderstehlich erscheinenden grünen Augen zu brechen. »Erzähl mir was von dir. Ich habe dich in den Armen gehalten, ohne dich überhaupt zu kennen.« Sie lachte. »Was möchtest du wissen?«

    »Fast alles. Denn alles interessiert mich.«

    Sie fuhr mit der Hand durch ihre strahlend goldenen Haare, als ob sie ihre Gedanken ordnen wollte, bevor sie schließlich antwortete. »Gut, wie du schon weißt, komme ich aus Hamburg. Dort bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen, dort leben auch meine Eltern und mein Bruder. Ich bin schon seit fünf Jahren bei der Polizei, von Anfang an im Drogendezernat.«

    »Und die Liebe?«

    »Ach ja« – sie versuchte ein Lächeln –, »die Liebe. Da gibt‘s nicht viel zu erzählen. Meine letzten Beziehungen waren lauter Reinfälle. Gute Erfahrungen habe ich nicht gemacht. Jetzt konzentriere ich mich ganz auf meine Arbeit. Was ist mit dir? Mit Frau und Kindern?«

    Er schüttelte den Kopf, doch sie ließ nicht locker. Schließlich brach Carlos sein Schweigen. »Willst du eine ehrliche Antwort?«

    »Ja. Immer.«

    »Kinder habe ich nicht, und eine Partnerin auch nicht. In Wirklichkeit habe ich mich all die Jahre auf meine Arbeit konzentriert. Möglicherweise wegen der anhaltenden Erfolgsserie, die wir hatten, was jedes Mal mehr Einsatz erforderte; oder aber weil ich der Frau noch nicht begegnet bin, die mir beim Tanzen so unter die Haut gegangen wäre wie du.«

    Die Worte ließen sie erröten. Sie hatte nicht erwartet, dass jemand, den sie eben erst kennengelernt hatte, einen derart direkten Ton anschlagen würde. Sie musste sich eingestehen, dass die Verwirrung, die sie mit einem Lächeln zu überspielen versuchte, ihr keineswegs unangenehm war. Bedächtig führte sie das Glas zum Mund.

    Als die ersten Gäste sich anschickten, sich zu verabschieden, sah Carlos auf seine Uhr.

    »Ich glaube, es ist Zeit zu gehen. Ich muss sehen, wie ich zum Hotel komme.«

    »Mach dir keine Sorgen, ich fahre dich hin. Ich trinke nur noch einen Kaffee, damit keine Spur vom Cuba Libre in meinem Blut zurückbleibt.«

    »Mach das. Gute Idee.«

    Lachend fügte er hinzu: »Ich möchte nicht, dass du diese Nacht in einem Berliner Knast verbringst, weil du im Vollrausch gefahren bist.«

    »Sei unbesorgt, dazu wird es nicht kommen.«

    Sie gingen wieder in die Küche, wo sie sich suchend umschaute »Wenn ich nur wüsste, wo alles ist.«

    Selbstsicher stellte er sich vor sie hin und streifte fast ihr Gesicht mit seinem, bis er ihren Atem spürte. »Zugegeben, in Berlin kenne ich mich nicht aus, aber in Max‘ Küche schon. Was benötigen Eure königliche Hoheit?« Er vollführte dabei eine höfische Verbeugung, was sie sichtbar erheiterte. »Eine Tasse, Kaffee und einen Löffel. Die Kaffeemaschine und der Wasserhahn sind ja nicht zu übersehen.«

    Er drehte sich um, öffnete zielsicher eine Schranktür und nahm heraus, was sie verlangt hatte. »Einen weiteren Wunsch, Eure Majestät?«

    Von seinem Auftritt überrascht und angetan, schüttelte sie lachend den Kopf. »Nein danke, für den Augenblick wär‘s das.«

    Während Ulrike ihren Kaffee trank, fragte sie, ob er für den morgigen Tag schon etwas vorhabe. Er sah sie an. »Nein, du hast mir ja noch nicht gesagt, was wir morgen tun wollen.«

    »Wenn du Lust hast, könnten wir das Stadtzentrum erkunden und im Tiergarten spazieren gehen.«

    »Das ist eine sehr gute Idee. Könnte von mir sein.«

    »Hätte von dir sein können, war aber von mir.«

    Nach dem Kaffee verabschiedeten sie sich von ihrem Gastgeber. »Ich hoffe, es hat euch gefallen?«, erkundigte sich Max. »Oh ja, sehr!«, antworteten sie fast gleichzeitig.

    »Carlos, hab‘ ich dir zu viel versprochen, als ich sagte, dass du in den besten Händen sein würdest?«

    »Nein, Max, du hast mich niemals enttäuscht; auch diesmal nicht. Nichts weniger als das. Ich glaube sogar, du hättest keine bessere Wahl treffen können.«

    Ulrike begnügte sich mit einem zufriedenen Lächeln, während sie das Haus verließen. Als sie zum Auto gingen, legte Carlos seine Hand auf ihre Schulter. »Ich hoffe, dass wir den kommenden Tag mehr genießen werden als diesen, was ziemlich schwierig, aber nicht unmöglich sein dürfte.«

    »Es gibt keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen, oder?«

    »Diesmal bist du voll und ganz im Recht, Ulrike.«

    Sie näherte sich seinem Gesicht und flüsterte: »Ich bin immer voll und ganz im Recht.«

    Er lächelte wortlos. Diese Frau faszinierte ihn immer mehr.

    Nach einigen Minuten hielt sie am Los-Angeles-Platz, genau vor dem Eingang des Hotels Steigenberger.

    »Wie du siehst, sind wir angekommen, heil und gesund. Es war ein wunderschöner Abend.« Sie reichte ihm die Hand zum Abschied. »Morgen um zehn, einverstanden?«

    Er nahm ihre Hand, küsste sie auf die Wange und flüsterte ihr ins Ohr: »Ja, es war ein wunderschöner Abend, weil ich dich kennengelernt habe.« Er sah ihr wieder in die Augen, bevor er die Tür schloss. »Wie ich schon sagte, so bin ich eben. Spontan und ehrlich.«

    »Sag es bitte nicht so oft, sonst glaube ich es noch.«

    »Schlaf gut. Bis morgen um zehn.«

    Carlos hob die Hand zum Abschied. Sie winkte zurück. Er wartete einige Sekunden, bis der Wagen sich in Bewegung gesetzt hatte, dann ging er langsam zum Empfang. »Mein Gott, was für eine schöne Frau. Carlos, du wirst dich doch wohl nicht verlieben?«, sagte er leise zu sich.

    Ulrike beschleunigte den Wagen, und in den Rückspiegel blickend dachte sie: »Was für ein attraktiver, interessanter Mann. Ulrike, du wirst dich doch wohl nicht verlieben?«

    Am nächsten Morgen betrat Ulrike das Hotel, um ihn abzuholen, und wandte sich an die Rezeption. »Guten Tag, ich bin Ulrike Maier. Kann ich Herrn Carlos del Rio anrufen?«

    »Einen Moment, bitte.« Der Rezeptionist blickte auf den Bildschirm. »Herr del Rio hat die Nummer 214. «

    Sie hörte, wie Carlos sich meldete. »Ich hoffe du hast gut geschlafen und bist gut gelaunt. Ich warte unten auf dich, also los!«

    »Guten Morgen, Ulrike. Ich geb‘s zu: Ich habe sehr gut geschlafen und bin bester Laune. Ich komme sofort runter, gib mir noch ein paar Minuten und ich werde bei dir sein. Geh aber ja nicht mit einem anderen fort.«

    »Wenn du zu lange brauchst, überleg‘ ich’s mir«, erwiderte sie scherzhaft.

    Schnell lief er die Treppen hinunter und kam mit offenen Armen auf sie zu. Er umarmte sie überschwänglich.

    »Was für eine Freude, dich zu sehen!«

    »Hast du schon gefrühstückt?«

    »Na klar, zu Hause, warum?«

    »Weil ich etwas zu mir nehmen muss, sonst funktioniere ich nicht.«

    »Gut, ich begleite dich. Außerdem täte mir ein zweiter Kaffee nicht schlecht.«

    »Dann lass uns doch das Frühstück im Hotel probieren.«

    Als sie gegessen hatten, war Carlos mehr als zufrieden.

    »Was für ein Frühstück, unglaublich! Mit so vielen Sorten Brot und Käse!«

    »Das ist hier ganz normal. Aber ich glaube, dass ich mir jetzt die Beine vertreten muss. Also gehen wir in aller Ruhe los.«

    Sie verließen das Hotel. Als sie auf dem Platz standen, zeigte sie nach rechts. »Lass uns in diese Richtung gehen. Ich möchte, dass du den Ku‘damm kennenlernst.«

    »Was ist der Ku‘damm?«

    Neugierig geworden näherte er sich ihr, bis ihre Gesichter sich leicht berührten. Sie wich nicht zurück. »Der Ku‘damm ist Berlins wichtigste Einkaufsstraße«, sagte sie im Weitergehen.

    »Gut, schlendern wir also den Ku‘damm entlang, um die Stadt etwas kennenzulernen. Außerdem« – er sah sie fragend an –, »wir haben doch keine Eile, oder?«

    »Nein, nein, keineswegs!«

    Sie schlenderten durch die Rankestraße zum berühmten Boulevard. Sie hatte ihre Hände in die Jackentaschen gesteckt, während er mit seiner Hand auf ihrer Schulter ihr volles blondes Haar streifte, das unter den zarten Strahlen der Frühlingssonne geheimnisvoll glänzte. Unbekümmert gingen sie weiter. Bald deutete sie nach vorne. »Siehst du die Kirche dort? Sie wurde von 1891 bis 1895 als Erinnerung an den Kaiser Wilhelm I. gebaut und im Zweiten Weltkrieg durch englische Bomben zerstört. Man hat die Ruine des Kirchturms stehen lassen, damit die Grauen des Krieges nicht in Vergessenheit geraten. Daneben siehst du die neue Kirche.«

    »Wie gut du informiert bist, Ulrike. Ich habe ja gewusst, dass du die ideale Gastgeberin bist.«

    Sie errötete leicht. »Ich weiß ein wenig über die Geschichte Berlins Bescheid, weil ich mich belesen habe. Soviel wie ich könnte dir jeder Berliner erzählen.«

    Fast ohne es zu merken waren sie am Wittenbergplatz angelangt. Mit ihrer Hand deutete sie auf das KaDeWe. »Das ist das größte und bekannteste Kaufhaus von Berlin. Hier findest du Produkte aus aller Welt, die es in den meisten anderen Läden nicht gibt. Es ist eine Touristenattraktion und zu einem Symbol von West-Berlin geworden.« Schelmisch lächelnd fügte sie hinzu: »Hier kannst du Geschenke für deine Frau und deine Familie kaufen. Sie werden es dir bestimmt danken.«

    Er zog sie zurück, und leicht ihre Taille umfassend flüsterte er ihr ins Ohr: »Ich sagte es dir schon gestern: Ich habe keine Frau. Aber wenn du willst, kann ich es gerne wiederholen.«

    Sie behielt ihr Lächeln bei und mit einer leichten Kopfbewegung gab sie zu verstehen, dass es nicht nötig sei. »An einem anderen Tag könnten wir das KaDeWe besuchen. Vielleicht morgen.«

    »Ja, das ist eine gute Idee. Abgemacht.«

    Sie gingen die Ansbacher Straße entlang, überquerten die Kurfürstenstraße, bogen in die Burggrafenstraße ein und folgten dann der Budapester Straße, bis sie den Landwehrkanal erreichten, der durch den Tiergarten führt. Nach einer Weile blieb sie stehen und erläuterte:

    »Diese Tafel soll an Rosa Luxemburg erinnern, eine unermüdliche Kämpferin und politische Aktivistin. Sie wurde im Januar 1919 während der so genannten Novemberrevolution von Freikorps-Angehörigen ermordet.«

    Langsam gingen sie weiter. Dem lebhaften Gespräch folgten immer wieder lange Pausen, bis sie plötzlich meinte:

    »Komm, ich zeige dir etwas ganz Besonderes.«

    Seine Neugierde war geweckt. »Etwas Besonderes?«

    »Ja, etwas ganz Besonderes. Die Löwenbrücke. So nenne ich sie jedenfalls. Es ist eine Hängebrücke über einen kleinen Kanal. Wir sind ihr schon ganz nah. Jetzt schließ deine Augen, ich führe dich.« Sie nahm seine Hand. »Öffne nicht die Augen, bis ich dir es sage. Vertrau mir einfach.«

    »Ich weiß ja nicht, ob ich dir blind vertrauen kann, aber wie ich sehe habe ich keine Wahl.«

    Er war gut gelaunt und ließ sich führen. Wenige Schritte vor der Brücke sagte Ulrike, dass er die Augen wieder öffnen könne. Überrascht musste er zugeben, dass die Löwenbrücke tatsächlich etwas Besonderes in dem ausgedehnten Park war. An jedem Ende standen zwei gusseiserne Löwen, an denen die Zugstangen befestigt waren, welche die Brücke hielten. Langsam gingen sie zur Brückenmitte.

    »Jetzt verstehe ich, warum du sie so nennst. Wer hätte vermutet, dass es in diesem Park so etwas gibt? Ich merke, Berlin scheint so manches Geheimnis zu haben, das den Besucher fesseln kann.« Dann sah er ihr in die Augen. »Und was sind deine Geheimnisse?«

    Sie lachte und zuckte mit den Schultern. »Geheimnisse? Ich habe keine.«

    Carlos nahm sie in seine Arme. Ihre Gesichter berührten sich leicht. Im Flüsterton sprach er: »Ulrike, du gefällst mir sehr. So, wie du bist.«

    Für einige Sekunden blieben sie in dieser Haltung, umschlungen an diesem fast menschenleeren Ort inmitten der Stadt. Nur das Gezwitscher der Vögel und das Schnattern der Enten durchbrach die Stille. Seine Wange berührte ihre einige Augenblicke lang. Dann löste Ulrike sich sanft von ihm.

    »Warum entfernst du dich von mir?«

    »Meinst du nicht, dass alles ein wenig zu schnell geht? Wir haben uns erst gestern kennengelernt.«

    »Ich weiß nicht, ob es zu schnell geht. Aber verlange nicht von mir, dass ich meine Gefühle verberge.«

    Nachdem sie die Brücke hinter sich gelassen hatten, spazierten sie wortlos und Hand in Hand, eng beieinander, weiter. Am Parkausgang fragte sie ihn: »Nun, was willst du heute Abend unternehmen?«

    »Ich weiß nicht.« Er hob die Schultern.

    »Was hältst du von einem lateinamerikanischen Lokal mit Live-Musik, wo man auch tanzen kann?«

    Angenehm überrascht von der zwanglosen Art, mit der diese Frau ihn behandelte, antwortete er: »Sehr gern, aber zuvor müssen wir etwas essen.«

    »Ja, klar. Ich kenne ein chilenisches Restaurant, La Batea. Es befindet sich in der Krummestraße, nicht sehr weit von hier. Aber mit einem Taxi wären wir schneller da als zu Fuß. Was meinst du?«

    »Ulrike, du überraschst mich jedes Mal von Neuem. In meinem Land sagt man: Du bist die Frau, die der Arzt mir verschrieben hat.«

    Lachend schüttelte sie den Kopf. Sie stiegen in ein Taxi, das nach wenigen Minuten vor dem Restaurant anhielt. Als sie eintraten, sahen sie sich einem großen Bildnis von Victor Jara gegenüber. Carlos betrachtete es eingehend.

    »Kennst du ihn?«

    »Natürlich. Er war ein bekannter chilenischer Sänger, der nach seiner Gefangennahme im Nationalstadion umgebracht wurde, kurz nach dem Militärputsch.« Er machte eine kurze Pause. »Ulrike, alle Diktaturen sind schlecht, gleich welcher Couleur.«

    Sie fanden im hinteren Teil des Lokals einen freien Tisch. Sie hatten noch nicht lange gewartet, als die Kellnerin kam, ebenfalls eine Lateinamerikanerin. »Guten Tag. Haben Sie schon gewählt?«

    »Nein, wir haben uns noch nicht entschieden. Was können Sie uns denn empfehlen?«

    »Wenn Sie etwas typisch Chilenisches essen wollen, dann empfehle ich Ihnen als Vorspeise frittierte Empanadas mit Käse und als Hauptgericht Bistec a lo pobre oder einen Pastel de choclo

    »Bringen Sie uns bitte zuerst Empanadas und danach nehme ich einen Pastel de choclo

    »Ich nehme dasselbe. Ich kenne die Gerichte zwar nicht, aber ich möchte sie gern probieren.«

    »Und zum Trinken?«

    »Einen chilenischen Wein, versteht sich! Wenn Sie einen Cousiño Macul hätten – ›Don Luis‹ wäre ideal.«

    »Natürlich haben wir den. Soll ich Ihnen eine Flasche bringen?«

    »Ja, fangen wir mal mit einer Flasche an.«

    Die Kellnerin lächelte kurz und ging. Bald darauf kam sie mit der Flasche und zwei Gläsern zurück. Sie öffnete die Flasche und ließ Carlos kosten. »Was meinen Sie?«

    »Er ist von Mal zu Mal besser.«

    »Das freut mich.«

    Sie füllte die Gläser und zog sich dann zurück. Carlos erhob sein Glas. »Auf diesen unvergesslichen Augenblick mit dir und auf die Zukunft!«

    »Ja, darauf trinken wir!«

    Dem Klingen der Gläser ließ sie einen kleinen Schluck folgen. »Mmh… Er ist sehr gut.«

    »Ja, das ist einer meiner Lieblingsweine. Außerdem ist dies unser erstes gemeinsames Abendessen und ich möchte nicht, dass du es so leicht vergisst. So wirst du wenigstens den Wein in guter Erinnerung behalten.«

    »Ich glaube nicht, dass ich dieses Essen so schnell vergessen werde. Wie könnte ich auch?

    Er nahm ihre Hand. »Bleib wie du bist, so gefällst du mir.«

    Sie lächelte nur, anstatt zu antworten.

    Die Kellnerin erschien mit den Pasteles am Tisch und Ulrike probierte ihren sogleich.

    »Das ist ja wirklich lecker. Wenn ich daran denke, dass man bei uns mit Mais oftmals nur Schweine füttert...«

    Einige Musiker tauchten auf, spielten bekannte lateinamerikanische Rhythmen und gingen anschließend von Tisch zu Tisch, um Geld zu sammeln. Als sie zu Carlos kamen, griff er nach Markstücken in seiner Hosentasche.

    »Als ihr den Bolero ›El reloj‹ gespielt habt, musste ich mich wirklich beherrschen nicht aufzustehen. Ich hatte große Lust zu tanzen und ihr die Liebe zu erklären. Aber dieses Mal war die Vernunft stärker als das

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