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Bioverfahrensentwicklung
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eBook1.362 Seiten11 Stunden

Bioverfahrensentwicklung

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Über dieses E-Book

Bioverfahren haben sich in vielen Bereichen als überlegene Alternativen zu klassischen Produktionsverfahren etabliert, und ihre Bandbreite wird immer größer. Die Biotechnologie, insbesondere unter Einbezug der Gentechnik, hat zweifellos Zukunft. Die schnelle und effiziente Umsetzung von Forschungsergebnissen in wirtschaftliche Anwendungen birgt ein enormes wirtschaftliches Potential - und kaum eine andere Branche wächst derzeit so schnell wie die Biotechnologie. Wo sonst gibt es so viele Firmenneugründungen?

Doch wie schafft man es, sich schnell zu orientieren?

Das vorliegende Buch gibt einen Überblick über die systematische Entwicklung von Bioverfahren. Einer Zusammenstellung der unterschiedlichen Varianten der einzelnen Verfahrensschritte folgen die Beschreibung integrierter Gesamtprozesse, Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und Verfahrensbeispiele. Im Vordergrund stehen dabei Verfahren, die bereits eine wichtige Rolle in der Industrie spielen.

Biotechnologie bedeutet Zukunftstechnologie!
SpracheDeutsch
HerausgeberWiley
Erscheinungsdatum21. Mai 2012
ISBN9783527663668
Bioverfahrensentwicklung

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    Buchvorschau

    Bioverfahrensentwicklung - Winfried Storhas

    1

    Leistungsfähigkeit der Bioverfahrenstechnik

    1.1 Allgemeine Betrachtungen

    Die Biotechnologie wird seit Jahrzehnten, auch aus Sicht der Verfahrensentwicklung, als die Technologie der Zukunft gehandelt. Ursprünglich glaubte man, sie als Ergänzung oder sogar als Ersatz zur Chemie etablieren zu können, doch frühere Euphorien wichen schnell zugunsten realistischer, wirtschaftlicher Einschätzungen.

    Der Begriff „Biotechnologie„ hat inzwischen einen sehr breiten Definitionsrahmen erreicht und muß deshalb im Zuge der folgenden Betrachtungen eingeengt werden. Da „Biotechnologie" sowohl Aktivitäten im Bereich der Genomforschung, der medizinischen Forschung, des Wirkstoffscreenings, der Entwicklung künstlicher Organe, der Entwicklung von Tierersatzmodellen, der Entwicklung neuer Pflanzenarten als auch der Verfahrenstechnik umfaßt, soll im Folgenden nur die Verfügbarkeit für die Verfahrens- und damit die Produktentwicklung verstanden werden. Gemeint sind also nur die vielen Möglichkeiten, mit Hilfe der Biotechnologie vorhandene Produkte oder Produktgruppen effektiver, reiner und umweltschonender herzustellen oder ganz neue Produkte oder Produktgruppen zu entwickeln, auch, oder gerade mit Unterstützung der modernen Mittel der Gentechnologie.

    Die Biotechnologie ist und bleibt so gesehen kurz- und mittelfristig im Sinne der Bioverfahrenstechnik hinsichtlich moderner Produktsynthesen eine Schlüsseltechnologie, auch wenn sich ihr Wachstum bisher weniger an den zum Teil zu euphorischen Prognosen ausrichtete. Die zunehmende Bedeutung wird bestehen bleiben, zumal sich so manche etablierte Technologie auf Dauer nicht mehr halten kann. Das bedeutet, zukünftig wird es noch wichtiger werden, Produktionsprozesse mehr und mehr den Belangen gesellschaftlicher Entwicklungen, die Umwelt betreffend oder ethischen Vorgaben anzupassen, sie umweltverträglicher zu gestalten [1.1].

    Die moderne Bioverfahrenstechnik ist einem stetigen und raschen Wandel unterworfen. Waren es ursprünglich im Bereich der Lebensmittelherstellung einfache verfahrenstechnische Prozesse, die sich leicht zugänglicher Mikroorganismen (Hefen, Lactobazillen, Acetobacter) bedienten, so lassen sich unter Nutzung moderner biochemischer sowie molekularbiologischer Kenntnisse und „Werkzeuge" (vgl. Abschnitt 2.3 und 2.4) die Einsatzmöglichkeiten der Biotechnologie innerhalb der Verfahrensentwicklung zusehends ausweiten und diversifizieren. Darüber hinaus arbeitet die Biotechnologie mit den vielfältigen neuen Methoden auch vielen anderen Arbeitsgebieten, vor allem der Medizin und Chemie, zu.

    Der Einsatz der Biotechnologie in der Verfahrensentwicklung ist im Sinne der Wertschöpfung zu verstehen, indem klassische Mikroorganismen (Eukaryoten), Zellkulturen (Prokaryoten) und auch genetisch veränderte Mikroorganismen (GVO’s) oder isolierte Enzyme als sogenannte Biokatalysatoren verwendet werden. Mit diesen Biokatalysatoren können sowohl Produkte für die Chemie, die Lebensmitteltechnologie und die Pharmaindustrie hergestellt werden. Besondere Dimensionen gewinnt die Bedeutung der Bioverfahrensentwicklung, wenn die Möglichkeit der Synthese von komplexen Proteinen im Bereich der Pharmatechnologie in Betracht gezogen wird. Speziell die Synthese von körpereigenen (humanen) Proteinen läßt sich einzig und allein mit Methoden der Bioverfahrenstechnik durchführen. In diesem Zusammenhang gewann besonders die Zellkulturtechnologie an Bedeutung, weil nur damit der direkte Zugang zu speziellen Formen von Proteinen (Faltung, Disulfidbindung) möglich ist (vgl. auch Abschnitt 7.11 und 10.2).

    Die Möglichkeiten für die medizinische Forschung und die Diagnostik, für das Design künstlicher Organe und für Tierersatzmodelle sowie für das Wirkstoffscreening (Test von neuen Substanzen auf ihre biologische Wirkung) werden hier jedoch nicht dargestellt, sondern es soll lediglich der Nutzen für die Synthese von interessanten Molekülen im Verbund eines verfahrenstechnischen Prozesses beleuchtet werden.

    1.2 Einsatzfelder und Produktgruppen

    Die Möglichkeiten, die die Bioverfahrenstechnik mit den Arbeitsgebieten der Biotechnologie modernen Produktsynthesen hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, aber vor allem auch Umweltverträglichkeit, anzubieten hat, sind noch längst nicht ausgeschöpft, und es bedarf noch vieler gemeinsamer Anstrengungen, um alle Vorteile dieser Technologie in den entsprechenden Industriezweigen zu etablieren [1.4].

    1.2.1 Leistungsdarstellung der Bioverfahrensentwicklung

    Es stellt sich die Frage, wie die Attraktivität biotechnologischer Verfahren und damit die Bereitschaft der Unternehmen, in der Bioverfahrenstechnik aktiv zu werden, erhöht werden kann, da langfristig nur bei entsprechenden Investitionen in Forschung und Entwicklung der volle Nutzen aus dieser Technologie gezogen werden kann. In diesem Zusammenhang ist eine intensive PR-Arbeit notwendig, die potentiellen Anwendern die Nutzungsmöglichkeiten, Vor- und Nachteile der Bioverfahrensentwicklung aufzeigt und so bei vielen Unternehmen überhaupt erst einmal den Bedarf für biotechnologische Verfahren zur Lösung ihrer Probleme weckt. Die Leistungsfähigkeit der Bioverfahrensentwicklung muß also deutlicher dokumentiert werden. Das könnte in einer kompakten PR-Schrift geschehen, in der die Leistungsfähigkeit auch in neuen Aufgabenfeldern, die Einsatzmöglichkeiten, Alternativkonzepte zu bestehenden Prozessen, Anwendungsbeispiele, Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit (Rechnerunterstützung – Hilfe für die Optimierung der Laborversuchsreihen, Sensitivitätsbetrachtungen) und Zukunftsicherheit der Bioverfahrensentwicklung übersichtlich dargestellt sind [1.19]. Darin sind Vorteile, Einsatzschwerpunkte und Ausweitungspotentiale, aber auch kritische Seiten zu beleuchten. Wo es erforderlich ist, muß die Abgrenzung zur Chemie ohne Konkurrenzdenken dargestellt, aber auch sinnvolle Ergänzung aufgezeigt werden. In einem mit Beispielen versehenen Leistungsheft können mögliche neue Produkte, Produktgruppen und auch Verfahren vorgestellt und durch Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen ergänzt werden. Zu diesem Problemfeld ist auch die erforderliche Öffentlichkeitsarbeit zu zählen, die notwendig ist, um die Bioverfahrensentwicklung glaubhaft als sichere Technologie, auch im Zusammenhang mit der Gentechnologie, darzustellen [1.2].

    Die Bioverfahrensentwicklung kann ins Gespräch gebracht werden, wenn die Herstellung interessanter Produkte aufgezeigt wird, oder aber auch alternative Technologien zur Lösung bestimmter Probleme gesucht werden. Zu den aktuellen Themen in diesem Zusammenhang zählt die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen zur Energiegewinnung sowie von Umwelttechnologien. In Form von Energiegewinnung auf Basis nachwachsenden Rohstoffe kann die Biotechnologie z. B. helfen den „Treibhauseffekt„ zu entschärfen, da das Kohlendioxid bei dieser Form der Energiegewinnung quasi im Kreis gefahren, also klassisches Recycling im großen Stil betrieben wird.

    Tabelle 1-1 Mögliche Ansätze für neue Produkte, neue Verfahren und Technologien sowie neue Umweltechnologien.

    In der Umweltbiotechnologie sind vor allem bei der Aufarbeitung von Problemrückständen noch viele Aufgaben zu lösen. Dazu gehört der Abbau spezieller Verbindungen wie Chloraromaten, Chloralkanen, Nitrophenolen und polycyclische Aromaten. Des weiteren werden auch Fragestellungen, die sich mit der Wechselwirkung von neu in die Umwelt ausgesetzten Substanzen mit den etablierten Stoffen auseinandersetzen, immer mehr an Bedeutung gewinnen. Der in diesem Zusammenhang geprägte Begriff der „ökologischen Risikobewertung„ versucht dafür die Antworten mittels eines Konzentrationsverhältnisses zu geben. Es ist das Verhältnis

    (1.1) c01_image001.jpg

    was nichts anderes als die vorhersagbare wirksame Konzentration (predicted effective concentration) zur vorhersagbaren nicht mehr wirksamen Konzentration (predicted non effect concentration) repräsentiert [3.18]. Läßt sich also eine nicht mehr wirksame Konzentration eines Stoffes, der in die Umwelt gelangen kann, angeben und gleichzeitig die am Ende eines Abbauzyklus verbleibende Konzentration vorausberechnen, so würde ein Verhältnis von PEC/PNEC < 1 bedeuten, daß dieser Stoff störungsfrei integriert werden würde.

    Die Zukunftspotentiale für die biotechnologische Herstellung neuer Produkte liegen grundsätzlich in folgenden Stoffbereichen und Basismethoden (vgl. auch Tabelle 1-1)

    – Produkte des mikrobiellen Sekundärstoffwechsels (Pharmazeutika, Pflanzenschutzmittel, Chemikalien u. ä.)

    – Pharmaproteine, körpereigene Proteine (herstellbar mit gentechnologisch veränderten Mikroorganismen (GVOs))

    – Biotransformationen (Unterstützung chemischer Synthesen von Pharmazeutika und Pflanzenschutzmitteln, Herstellung von Aminosäuren sowie anderen Nahrungs- und Futtermittelzusätzen, Ersatz von umweltbelastenden chemischen Prozessen zur Herstellung von Bulkchemikalien, Herstellung von biologisch leicht abbaubaren Kunststoffen und Tensiden (Spinnpräperationen) sowie neuen Polymeren, Gewinnung von Basisprodukten für gentechnologische und immunologische Forschung und Entwicklung, Nutzung nachwachsender Rohstoffe und ausgewählter Petrochemikalien durch Partialabbau zu Produkten mit signifikanter Wertsteigerung)

    Zu den zukünftigen Potentialen gehört auch die Entwicklung von mikrobiellen Pflanzenschutzmitteln auf Basis antagonistisch wirksamer Hefeisolate. Diese können im Obstbau gegen Apfelfäule und Feuerbrand eingesetzt werden [1.20, 1.22].

    Pflanzen haben im Verlauf der Evolution Zehntausende von Sekundärstoffwechselprodukte entwickelt, die es ihnen erlauben, zu überleben. Durch ein evolutionäres „Molecular Modelling wurden die Strukturen dieser Sekundärstoffe dermaßen optimiert, daß sie mit diversen Zielstrukturen, den „Molecular Targets, in Tieren und Mikroorganismen interagieren können. Es existiert vermutlich kaum eine Zielstruktur in unseren Zellen, für die es nicht auch einen Naturstoff gibt, der mit ihnen in Wechselwirkung treten kann. Um solche Naturstoffe für die Humanmedizin gewinnen zu können, benötigt man die HRC-Technologie (Hairy Root Cultures). Damit ist es möglich, in Reaktoren gezielt, reproduzierbar und wirtschaftlich neue Wirkstoffe in ausreichend großen Mengen herzustellen. Verwendung finden dabei transformierte Pflanzenwurzeln, die mit Hilfe des Bodenbakteriums Agrobacterium rhizogenes erzeugt werden [1.21].

    1.2.2 Bioverfahrensentwicklung in der Nahrungsmittelindustrie

    1.2.2.1 Vorrangige Vorteile der Bioverfahrensentwicklung

    Mit Blick auf die Vorteile, die die Bioverfahrensentwicklung für die Nahrungsmittelproduktion bieten kann, sind an erster Stelle Substanzen, die als natürlich gelten und aus natürlichen sowie nachwachsenden Rohstoffen stammen, zu nennen. Ein ebenso hervorstechend, außerordentlich wichtiger Vorteil ist die ausgeprägte Selektivität biotechnologischer Reaktionen, d. h. mit Hilfe dieser Prozesse lassen sich Produkte mit möglichst wenigen Nebenprodukten herstellen. Des weiteren kann die Bioverfahrensentwicklung im Bereich der Nahrungsmittelindustrie auf eine jahrtausendlange Tradition zurückschauen und garantiert dadurch Zuverlässigkeit im Hinblick auf Qualität und Sicherheit, sowohl den Arbeitsschutz betreffend, als auch bezüglich eventueller Nebenwirkungen.

    1.2.2.2 Zunehmende Bedeutung der Bioverfahrensentwicklung

    In der Nahrungsmittelindustrie wird der Konkurrenzdruck immer stärker, so daß auch in diesem Bereich die Wirtschaftlichkeit von Prozessen höchste Priorität erlangt. Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und Verfahrensoptimierungen, wie sie in der chemischen Industrie längst auf der Tagesordnung stehen, sind auch in der Nahrungsmittelindustrie erforderlich. Häufig muß die Raum-Zeit-Ausbeute gesteigert werden, um einen Prozeß wirtschaftlich betreiben zu können. Dieses Ziel kann in vielen Fällen durch verbesserte Produktionsstämme erreicht werden. Über die klassische Methode der Mutation und Selektion (Screening, vgl. Abschnitt 2.2) kommt man in vielen Fällen jedoch nicht mehr schnell genug zum Ziel. Hier bietet sich die Gentechnologie an, die ganz neue Felder der Verfahrensoptimierung eröffnet.

    In der Vergangenheit wurden bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und der Optimierung von Prozessen, insbesondere in der Nahrungsmittelindustrie, die Belange des Umweltschutzes nur in geringem Umfang berücksichtigt. Viele traditionelle Prozesse werden zukünftig die Umwelt in einem nicht mehr vertretbaren Maße belasten und die behördlichen Auflagen nicht mehr erfüllen können. Ältere biotechnologische Prozesse werden daher verfahrenstechnisch auf den neusten Stand der Technik gebracht oder durch völlig neue Verfahren, die auf den aktuellen biologischen Erkenntnissen beruhen, ersetzt werden müssen. In diesem Zusammenhang läßt sich die Gentechnologie nicht umgehen. Das riesige Potential, das die Gentechnologie gerade für die Nahrungsmittelindustrie hat, sollte nicht ungeprüft brach liegen bleiben. Es besteht die berechtigte Hoffnung, sowohl hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, Qualitätssicherung, neuer Produktklassen als auch Umweltverträglichkeit durch die Gentechnologie in der Nahrungsmittelindustrie Verbesserungen erreichen zu können.

    Durch gezielte genetische Modifikationen von Produktionsstämmen läßt sich eine höhere Raum-Zeit-Ausbeute, eine höhere Produkttoleranz, eine höhere Zelldichte, eine höhere Stabilität und Wiederverwendbarkeit sowie eine höhere Ausbeute, eine verbesserte Wirtschaftlichkeit aber auch eine bessere Umweltrelevanz erreichen. Nicht zuletzt versprechen genetisch veränderte Mikroorganismen (GVO) auch neue Produkte für die Nahrungsmittelindustrie.

    Diesen Vorteilen steht die Frage nach den Risiken, die diese Technologie in sich birgt, gegenüber, auch unter dem Aspekt des Arbeitsschutzes. Bei der Herstellung von Lebensmitteln unter Einsatz von GVOs ist im Grunde genommen keine Differenzierung im Vergleich zu anderen Branchen vorzunehmen. Es muß sowohl das biologische als auch das physikalische Containment unter der Vorgabe des Gentechnik-Gesetzes (GenTG) charakterisiert werden (vgl. Abschnitt 8.3.1).

    1.2.2.3 Einsatzgebiete

    Getränke: Die Herstellung von Bier, Wein und anderer alkoholischer Getränke ist schon seit Jahrtausenden ein Beispiel für die biotechnologische Herstellung von Nahrungsmitteln. In weiten Bereichen haben sich diese Verfahren über Jahrhunderte kaum verändert, auch wenn man in den Anlagen in neuerer Zeit zunehmend modernere Apparaturen und Materialien findet. Der Prozeß als solches hat sich aber aus verfahrenstechnischer Sicht nicht verändert, wenn man von der Herstellung neuer Produkte, z. B. von alkoholfreiem Bier o. ä., absieht.

    Säuren: Im Bereich der Säuren, meist als Konservierungsmittel, aber auch als Geschmacksverstärker eingesetzt, sind in erster Linie die L-Milchsäure, die Essigsäure und die Gluconsäure zu nennen, die eine gewisse Tradition in der Nahrungsmittelindustrie aufweisen und ebenfalls aus biotechnologischen Produktionen stammen.

    Vitamine: Die gezielte Herstellung von Vitaminen begann erst in neuerer Zeit. Biotechnologische Verfahren standen in diesem Bereich anfangs in starker Konkurrenz zu chemischen Prozessen und kamen in vielen Fällen zunächst nicht zum Einsatz. Doch die anfangs vorherrschenden Vorteile chemischer Synthesen schwächten sich im Laufe der letzten Jahrzehnte aufgrund des zunehmenden Umweltbewußtseins und verstärkten Kostendrucks ab und so konnten sich auch auf diesem Feld biotechnologische Prozesse zusehends durchsetzen, zumal die biotechnologischen Prozesse zu immer wirtschaftlicher arbeitenden Verfahren ausgearbeitet werden können. Die Vitamine Ascorbinsäure (Vitamin C), Riboflavin (Vitamin B2), Cobalamin (Vitamin B12) als physiologische Lebensmittelzusatzstoffe und z. T. als Konservierungsstoffe sind an erster Stelle dieser Gruppe zu nennen. In Verbindung mit Glutamat können diese Substanzen auch als Geschmacksverstärker eingesetzt werden.

    Aminosäuren: Die Bausteine des Lebens, die Aminosäuren, stehen in den Nahrungsmitteln nicht immer in ausreichender Menge zur Verfügung. Das gilt insbesondere für die essentiellen, also diejenigen Aminosäuren, die im menschlichen und tierischen Organismus nicht synthetisiert werden können. Enantiomerenreine Aminosäuren, wie sie in der Natur vorkommen, lassen sich nur durch aufwendige chemische Synthesen gewinnen. Deshalb beschränkt sich der Einsatz chemischer Verfahren zur Gewinnung von Aminosäuren auf die interessanten racemischen Aminosäuren wie D,L-Alanin, D,L-Methionin und Glycin. Bei allen anderen proteinogenen Aminosäuren ist nur die L-enantiomere Form von Interesse, so daß dort neben der Gewinnung durch Extraktion aus natürlichen Rohstoffen zur Herstellung von Aminosäuren ausschließlich biotechnologische Verfahren zum Einsatz kommen. Es existieren jedoch auch biotechnologische Verfahren der enzymatischen Racemattrennung (z. B. Enzym-Membran-Reaktor). Biotechnologisch hergestellte Aminosäuren sind L-Lysin, L-Glutaminsäure, L-Isoleucin, L-Methionin, L-Asparaginsäure, L-Alanin L-Valin, L-Phenylalanin und L-Tryptophan. Daneben können aus natürlichen Rohstoffen durch Extraktion die Aminosäuren L-Cystin, L-Tyrosin und L-Prolin gewonnen werden [1.5].

    Biopolymere: Biopolymere sind in der Nahrungsmittelindustrie als Verdickungsmittel von Interesse. An erster Stelle ist dabei das Xanthan zu nennen. Aber auch Glucane und Dextrane werden in der Nahrungsmittelindustrie verwendet.

    Eiweiße: Als Proteinlieferant und als Sojaersatz wurde Ende der 60-er und Anfang der 70-er Jahre das Einzeller-Protein (SCP) die für die Nahrungsmittelindustrie gehandelt. Neben der Grundversorgung der Menschheit mit Protein (immerhin bilden 500 kg Hefezellen in 24 Stunden mehr als 50 000 kg Protein, während ein Rind derselben Masse nur etwa 0,5 kg Protein produziert [1.6]!) wurde auch daran gedacht, damit gezielter Gesundheitslebensmittel herstellen zu können. Es wäre möglich, einen hohen Faseranteil bei hohem Protein- und niedrigem Fettgehalt oder auch quasi cholesterinfrei einzustellen. Steigende Erdölpreise brachten diese Technologie zum Stillstand. Dennoch sind noch einige, insbesondere englische Unternehmen weiterhin mit der Entwicklung von Nahrungsmitteln auf diesem Sektor beschäftigt. Als mögliches neues Lebensmittel wird aus diesem Bereich ein Produkt unter dem Namen „Quorn" aus SCP angeboten [1.13].

    Fertigprodukte: Mit Ausnahme der Getränke sind alle vorgestellten Produkte Zusatzstoffe für Lebensmittel und noch keine Endprodukte. Bei der Herstellung von Wurst Käse und Joghurt bedient man sich ebenfalls biotechnologischer Verfahren. In diesem Bereich kommen spezielle Hochleistungsstämme bzw. Enzyme aus solchen Kulturen zur Anwendung, die klassisch durch die Mutations-Selektions-Methode gewonnen wurden.

    1.2.2.4 Einsatz von genetisch veränderten Mikroorganisme in der Nahrungsmittelindustrie

    Um vor allen Dingen eine Erhöhung der Produktqualität, der Produktvielfalt, der Produktsicherheit und eine Verbesserung der Prozeßsicherheit zu erreichen, müssen GVOs auch in der Nahrungsmittelindustrie zum Einsatz kommen.

    Am weitesten sind die Untersuchungen und Anwendungen in der Milchwirtschaft vorangeschritten. Hier treten immer wieder hohe wirtschaftliche Verluste durch Phageninfektionen auf. Diese Infektionen können zu qualitativ minderwertigen Produkten, zu Fehlfermentationen oder gar zum gänzlichen Produktverlust führen [1.7]. Daher sind Starterorganismen entwickelt worden, die phagenresistent sind.

    Phagenresistenz ist häufig plasmidcodiert und die entsprechende Erbinformation kann leicht identifiziert und isoliert werden. Da die Mikroorganismen mitunter ihre Plasmide verlieren, hat man das entsprechende Gen stabil in die chromosomale DNA eingebaut. Hierdurch wird eine dauerhafte Resistenz erreicht. Die Erbinformationen für weitere günstige Eigenschaften, z. B. Lactose-, Citratverwertung, Diacetyl-, Schleim- und Bacteriocinbildung, befinden sich häufig ebenfalls auf Plasmiden, so daß weitere entsprechende Gene in das Chromosom transferiert und ihre Expressionsraten verändert werden können. Mit dem Einsatz solcher Kulturen verspricht man sich Lebensmittelprodukte mit verbesserten Eigenschaften hinsichtlich ernährungsphysiologischer Bewertung, Aroma, Konsistenz und Textur sowie eine hygienische Absicherung.

    In der Fleischwirtschaft werden Starterkulturen vorwiegend für die Rohwurstreifung eingesetzt. Erste GVOs wurden entwickelt und im Labor erprobt [1.7].

    Bacteriocine hemmen das Wachstum von Bakterien und mit Ausschüttung des Antagonisten verschaffen sich Milchsäurebakterien einen Vorteil in der Konkurrenz mit anderen Mikroorganismen um Nährstoffe. Milchsäurebakterien, die vermehrt und stabil Bacteriocine bilden, können somit Frischfleisch- und Frischsalatprodukte vor vorzeitigem Verderb schützen (vgl. Abschnitt 1.2.2.2). Der Einsatz gentechnisch veränderter Hefen ist im Back- und Braugewerbe in Großbritannien bereits zugelassen oder ihre Zulassung steht unmittelbar bevor.

    Für die Backindustrie wurde eine Hefe entwickelt, die bei der Teigführung kontinuierlich CO2 entwickelt und dadurch die Gehzeit verkürzt. Bei dieser Hefe kommt es nicht mehr zu der sonst üblichen Verzögerung der CO2-Produktion nach Verbrauch der Glucose im Teig.

    Für die Brauindustrie wurden Hefen entwickelt, die

    – eine erhöhte Brauleistung durch Verwerten von Polysacchariden zeigen. Diesen Hefen wurde das Gen für die Bildung von Amylase oder einer Glykoamylase integriert. Normalerweise vermögen Brauhefen Stärke nicht zu verwehrten, daher muß der Mälzprozeß zur Aktivierung der Getreide-Amylasen vorgeschaltet werden

    – kalorienreduzierte Biere (Light-Biere) direkt produzieren. Durch die Integration eines Glucoamylasegens werden Dextrine abgebaut

    – eine Verkürzung der Reifezeiten durch Unterdrückung der Diacetylbildung ermöglichen

    – das Verstopfen der Filteranlagen durch den Abbau der unlöslichen, hochmolekularen Glucane verhindern. Diese Hefen besitzen ein bakterielles β-Glucanasegen

    – die Schaumfestigkeit durch Proteinmodifizierung mit einem einklonierten Proteasegen gewährleisten

    Mit all diesen gentechnischen Veränderungen entfällt die exogene Zugabe von Enzymen zum Brauprozeß. In Deutschland verbietet das Reinheitsgebot für Biere die Verwendung exogener Enzyme. Die Anwendung von GVOs aber wäre mit dem Reinheitsgebot vereinbar.

    Die Entwicklungen von Hefen für die Produktion von alkoholfreiem Bier sind fast abgeschlossen. An der Weiterentwicklung von Weinhefen zur Erhöhung der Gärleistung und Aromabildung wird intensiv gearbeitet [1.1].

    Bioverfahrensentwicklung in der Chemie und Pharmazie

    Die Nutzung biotechnischer Prozesses zur Gewinnung von Grundchemikalien für die chemische Industrie scheitert meist an der Wirtschaftlichkeit. Ethanol ist ein Beispiel für einen solchen Rohstoff, der zu 100-tausenden Tonnen in der Chemischen Industrie für entsprechende Folgeprodukte benötigt wird. Doch die biotechnologische Herstellung ist bislang noch mit so hohen Kosten verbunden, daß sie nicht mit anderen Verfahren konkurrieren kann. Dient Ethanol als Alternativtreibstoff, wie in Brasilien aus Mangel an Devisen seit Jahrzehnten der Fall, ist die Kostenfrage etwas anders zu betrachten, weil die Kosten auch wesentlich durch die Kapazität, die erzeugte Jahresmenge, bestimmt werden. Da in diesem Fall eine sehr große Tonnage (Tonnen pro Jahr) erforderlich ist, wird der Preis nahezu ausschließlich durch die Edukte, die Substrate, diktiert, also durch die Glukosequellen (vgl. Abschnitt 9.1.2 und Kapitel 10).

    Besser sieht die Situation bei Spezialchemikalien aus, vor allem bei optisch aktiven Substanzen, z. B. bei Steroiden oder Synthesebausteinen wie der l- oder der D-Milchsäure. Mit D-Milchsäure als Basisbaustein für die chemische Synthese von optisch aktiven Substanzen, lassen sich Pflanzenschutzmittel auf die halbe Aufwandmenge mit gleichem Effekt reduzieren. In dieser Richtung verspricht die Bioverfahrenstechnik der Chemie den meisten Nutzen zu bringen. Grundsätzlich sind aber inzwischen die meisten komplexen Moleküle günstiger oder überhaupt nur mittels biotechnologischer Prozesse herzustellen. Dazu gehören Vitamine, insbesondere Riboflavin (Vitamin B2) oder Ascorbinsäure (Vitamin C), und Antibiotika, wie Penizillin.

    Viele Krankheiten, so wurde in den letzten Jahren erkannt, werden durch Gendefekte hervorgerufen. Dazu gehören so weit verbreitete „Geißeln" wie die Diabetes, Bluterkrankungen (Sichelzellen-Anaemie), erhöhter Blutdruck und auch Gicht (begleitet durch einen defekten Purinstoffwechsel). Ihnen stünde man ohne die Biotechnologie machtlos gegenüber.

    Krankheiten, die zwar durch Gendefekte verursacht werden, deren Auswirkung aber erkennbar durch einen Mangel an bestimmten Substanzen hervorgerufen werden, lassen sich durch die Bereitstellung dieser Substanzen zumindest kontrollieren und beherrschen. Solche Arzneien, die den körpereigenen Substanzen entsprechen, können nur aus dem menschlichen Körper selbst isoliert oder aber mit Hilfe der Gentechnologie gewonnen werden. Die erstgenannte Möglichkeit scheidet in der Regel immer aus, weil die erforderlichen Mengen keinesfalls aus Blutkonserven isoliert werden können. Das gilt vor allem für Substanzen, die zwar vom Körper gebildet werden, aber bei „aktuellen Störungen in zu geringen Mengen anfallen, so daß sie nicht ausreichen, die „Störung zu beheben. In diesen Fällen ist es wünschenswert, ja notwendig, zusätzliche körpereigene Substanzen von außen zuzuführen. Die Gentechnologie eröffnet den Weg zu diesen Substanzen und über die Bioverfahrenstechnik können sie in ausreichenden Mengen und erschwinglich zur Verfügung gestellt werden (vgl. Tabelle 1-2 und 1-3).

    Im Bereich des Wirkstoffscreenings (Massenscreening), d. h. der Untersuchung von neuen Substanzen auf ihre biologische/physiologischen Wirkung, erreichen insbesondere Zellkulturen immer mehr Bedeutung. Damit lassen sich viele Tierversuche ersetzen und wesentlich schneller und sicherer Aussagen treffen. Die dafür notwendigen Zellmodelle und vor allem die Zellkulturen müssen von der Bioverfahrenstechnik bereit gestellt werden.

    Ein weiteres Einsatzgebiet stellt die moderne Diagnostik dar. Bestimmte Proteine fungieren im Falle einer Erkrankung als „Frühwarnsystem". Ist es möglich, solche Indikatoren schon in geringsten Mengen nachweisen zu können, dann besteht die Chance, eine Erkrankung auch in einem sehr frühen Stadium zu erkennen und mögliche Therapien anzuwenden. Diagnosen dieser Art lassen sich zur Zeit nur mit Hilfe von Diagnosekitts auf der Basis von Antikörpern durchführen. Diese kann wiederum nur die Bioverfahrenstechnik mit Hilfe von GVO’s (genetisch veränderten Mikroorganismen, Zellkulturen) produzieren. Beispiele dafür sind der ELISA für den p53-Antikörper [1.16] für die onkologische Diagnose, der enzymgebundene Immunosorbent-Assays zur quantitativen Bestimmung von 17-α-Hydroxyprogesteron in Serum und Plasma [1.17] zum Nachweis von Nierenerkrankungen und der HIT-Serotonin-ELISA als funktioneller Test zur Diagnose von Heparininduzierten Trombozytopenie Typ 2 (HIT-Typ 2) [1.18] zur Diagnose der Arzneimittelnebenwirkungen Heparin-indizierteThrombozytopenie.

    Tabelle 1-2 Auf dem Markt befindliche gentechnisch hergestellte Arzneimittel (überwiegend körpereigene Proteine, Auszug: bis 1995 waren bereits mehr als 25 Produkte auf dem Markt; siehe auch Tabelle 1-3) [1.14].

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    Tabelle 1-3 Gentechnisch hergestellte Arzneimittel. 55 Arzneimittel aus 42 Wirkstoffen (Stand: März 2001, Auszug) [1.15].

    c01_image003.jpg

    1.2.3 Gentechnologie

    Eine ganz besonders wertvolle Unterstützung innerhalb der Bioverfahrensentwicklung stellt die Gentechnologie dar (vgl. Abschnitt 1.2.2.4 und in Abschnitt 2.3). Damit ist man in der Lage, in Verbindung mit der Prozeßführung, eine Optimierung der Produktqualität auf besonders hohem Niveau zu erreichen.

    So wurden z. B. Kriterien zur Entwicklung und Optimierung von Produktionsverfahren für rekombinante Glycoproteine vergleichend in verschiedenen Reaktorkonfigurationen erarbeitet. Als Modellprotein wurden humanes Interleukin 2 (IL-2) und Antithrombin III (AT III) verwendet. Neben der Entwicklung serumfreier Kulturmedien wurde das Zellwachstum auf Microcarriern und in Suspension betrachtet. Die Kultivierung im serumfreien Medium eröffnete die Möglichkeit, das Produkt direkt gelelektrophoretisch im Rohüberstand nachzuweisen. Darüber hinaus wurde eine vereinfachte Aufarbeitungsmethode gefunden, wobei allerdings Unterschiede in der Produktqualität auftraten (Glycosilierungsanteil, proteolytischer Abbau). Für diese Produktionsbedingungen wird dennoch aufgrund der Ergebnisse eine hohe Qualitätskonstanz vorausgesagt [1.1].

    1.3 Voraussetzungen für den Einsatz der Bioverfahrenstechnik

    1.3.1 Aufgaben der Forschung und Entwicklung

    Zu den wichtigen Aufgaben der F&E zur Attraktivitätssteigerung der Bioverfahrensentwicklung gehört die Optimierung der Prozeß- und Verfahrensentwicklung. Hier können spezielle, d. h. strukturierte Modelle unter Berücksichtigung von Prozeßrückkopplungen moderne Steuerkonzepte, wie prädikative Modelle und neuronale Netzwerke, gute Dienste leisten kann (vgl. Abschnitt 6.1.3 und 6.5).

    Unter dem Aspekt der Pharmaproteinherstellung gewinnen zusehends GMP-Aspekte an Bedeutung. In diesem Zusammenhang sollten in der F&E nicht nur Einzelmodule behandelt, sondern integrierte Prozesse dargestellt werden, um daraus auch Fragestellungen zum Problem der Stoffrückführung und vor allem der Validierung bearbeiten zu können. Die Bedeutung der Validierung wird nicht nur aufgrund von Forderungen aus dem Bereich der GMP zunehmen, sondern zu einem Standard der Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle heranreifen. Darüber hinaus fordert auch die Sicherheit dieses Mittel zur Sicherstellung eines physikalischen Containments, eine Randbedingung für den Einsatz der Gentechnologie. Voraussetzung dafür ist eine funktionierende Steriltechnik, die nicht alleine durch eine ausreichend lange Sterilisation bei 121 °C zu erreichen ist, sondern vielmehr höchste Anforderungen an sicheres Handling und wirklich durchdachte Sterilkonstruktionen richtet. Beste Sterilkonstruktionen bieten auch beste Sicherheit. Zur Thematik der Sterilkonstruktion bzw. der Sicherheitskonstruktion ist auch die „Dichtigkeit eines Bioreaktors (einer Anlage, eines Systems) zu zählen. In diesem Zusammenhang ist es allerdings wesentlich sinnvoller nach dem Maß der noch zulässigen Undichtigkeit zu fragen, da eine „Dichtigkeit im absoluten Sinne ohnehin nicht erreicht werden kann [1.3].

    1.3.1 Optimierung der Verfahrensoperationen

    Die Leistungsfähigkeit von Bioverfahren wird nicht zuletzt auch durch die Leistungsfähigkeit der einzelnen Operationen, der einzelnen Prozeßstufen, und deren Harmonisierung bestimmt. Eine optimierte Reaktionsstufe ist zwar eine wesentliche Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Prozeß, aber daneben müssen sowohl die vorbereitenden Schritte (UpStream-Processing, Kapitel 5) als auch die nachfolgenden Stufen (Down-Stream-Processing, Kapitel 7) in Einklang gebracht werden.

    Die einzelne Reaktionsstufe wird wesentlich durch die Biomasse, den „Katalysator", bestimmt. Deshalb ist es notwendig, die Bedingungen für die Zellen so optimal wie möglich einzustellen, d. h. die idealen Kulturbedingungen zu finden.

    Um eine sichere Reaktionsführung zu erreichen, ist es zwingend notwendig, eine zuverlässige Möglichkeit zur Charakterisierung von Bioreaktoren zu schaffen. Dazu sind geeignete Stoffsysteme, Maßstabsübertragungsregeln, Aussagen über Scherbeanspruchungen und Auslegungsunterlagen erforderlich. Darüber hinaus ist für ein entsprechendes Monitoring zu sorgen (vgl. Abschnitt 2.6.1).

    Muß für die Synthese von pharmazeutischen Produkten auf die Zellkulturtechnik zurückgegriffen werden, dann lassen zu geringe Zelldichten, Probleme bei Stofftransportvorgängen und lange Anzuchtzeiten in wirtschaftlicher Hinsicht häufig viele Wünsche offen. Viele Arbeiten beschäftigen sich mit diesem Thema und suchen Lösungen durch Zellrückhaltung mittels Wirbelschichttechnik mit porösen Trägern, kontinuierlicher Prozeßführung und blasenfreier Membranbegasung. Es zeigte sich, daß mittels Membranbegasung die sonst schon bei geringen Höhen auftretende Partialdruckdifferenz vermieden werden kann.

    Die Modellierung besitzt wirtschaftlich eine große Bedeutung, weil mit einer ausgewogenen Kombination von Modellbetrachtungen und Laboruntersuchungen die Entwicklungsprozesse wesentlich effektiver gestaltet werden können, vor allem dann, wenn auch noch Verfahrensmodelle mit Kostenmodellen verknüpft werden. Der Nutzen solcher Modelle hängt von ihrer Qualität ab. Häufig liefern einfache Ansätze viel zu ungenaue Beschreibungen der Vorgänge, so daß ihre Anwendung wenig erfolgversprechend ist.

    Am Beispiel des Mikroorganismus Pseudomonas putida mit Phenol als einziger Kohlenstoff- und Energiequelle konnte gezeigt werden [1.8], welche Diskrepanz sich zwischen einfachem Modell und den Experimenten auftut. Die Modellaussage ist praktisch nicht verifizierbar. Es tauchen Hystereseeffekte in Abhängigkeit von der spezifischen Wachstumsgeschwindigkeit und der Substrataufnahme auf. Es wurde festgestellt, daß eine Projektion aus einem Zustandsraum höherer Dimension vorliegt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit neue Modelle unter Verwendung zusätzlicher Zustandsvariablen zu entwickeln, die sowohl die stationären als auch die dynamischen Zustände von mikrobiellen Populationen beschreiben können [1.8]. Weil für die Abweichung weder die Änderung der Enzymaktivität noch die Induktion neuer Abbauwege oder die Selektion innerhalb der Population verantwortlich gemacht werden konnten, wurde die Hypothese aufgestellt, daß die Ribosomen dank ihrer Schlüsselrolle in der Protein-Biosynthese die dynamischen Effekte hervorrufen.

    Die Stoffumwandlung erfolgt im Bioreaktor. Die richtige Wahl des Bioreaktors ist somit ein entscheidender Faktor für die Wirtschaftlichkeit eines biotechnologischen Prozesses [1.3]. Allgemein fällt allerdings auf, daß die Zahl der Vorschläge und Erfindungsanmeldungen für Bioreaktoren doch weit über der Zahl der wirklich industriell, d. h. wirtschaftlich genutzten Typen liegt. Das gilt sowohl für Reaktortypen als auch für die verschiedenen Einbauten, vor allem für die unterschiedlichen Rührertypen. Sicherlich ist eine wesentliche Ursache dafür, daß die wenigsten Neuentwicklungen in den Maßstäben, in denen ihre Ergebnisse produziert wurden, deutlich besser waren als die im technischen Großmaßstab bewährten Bioreaktoren. Auch die Scale-up-Vorhersagen können noch nicht so zuverlässig getroffen werden, daß das Risiko für den Betreiber in vollem Umfang abgeschätzt werden kann. Aus diesen Gründen greift man in der Praxis im wesentlichen auf wenige Reaktorgrundtypen und einige Einbauten zurück und verzichtet auf eine eventuelle höhere Wirtschaftlichkeit. Leistungsfähige Modelle können helfen dieses Manko zu beseitigen. Beschreibt ein Modell einen Prozeß sehr gut, dann besteht damit auch die Möglichkeit einer gezielten Scale-up-Vorhersage zumal das Scale-up von Bioreaktoren ein zentrales Problem in der Bioverfahrensentwicklung darstellt [1.3].

    Es kann davon ausgegangen werden, daß eine realistische Charakterisierung nur dann Erfolg haben kann, wenn die Untersuchungen mit lebenden Zellen als Testsystem durchgeführt wurde. Mit den daraus resultierenden Daten kann die Zuverlässigkeit bei der

    – Optimierung von Betriebsparametern

    – Auswahl des geeigneten Reaktortyps

    – Maßstabsübertragung des Prozesses

    erhöht werden.

    Als Modellsystem kommt z. B. die strikt aerobe, glucoseinsensitive Hefe Trichosporon cutaneum in Frage. Dieses System ist ein typisch sauerstofflimitierter Prozeß in einem niederviskosen Medium. Für die Untersuchungen von schnellen Fermentationsprozessen, insbesondere unter dem Aspekt der Sauerstofflimitierung eignet sich z. B. Vibrio natriegens (DSMZ-Nr. 759) [1.9].

    Die Untersuchungen müssen zeigen, ob das Zellwachstum nur von der Sauerstofftransferrate (OTR) abhängt. Für die Zielgröße Biomassebildung wäre damit die Maßstabsübertragungsregel, nämlich OTR = idem bekannt. Damit steht ein dankbares System für solche Betrachtungen zur Verfügung, denn die Übertragungsregeln sind im allgemeinen nicht so einfach ausmachbar (vgl. Abschnitt 2.7.3).

    Je besser ein Prozeß meßtechnisch erfaßt wird, desto detaillierter kann er beschrieben und letztendlich auch modelliert werden (vgl. Abschnitt 6.5).

    Neben der Betrachtung der biotechnologischen Reaktion wird traditionell auch das Down-Stream-Processing (Aufarbeitung) in den Forschungslabors intensiv bearbeitet. Dabei rücken zusehends Prozesse in den Mittelpunkt, die auch gleichzeitig Produktinhibierung beseitigen helfen, d. h. direkt mit der Reaktion gekoppelt sind.

    Etwas stiefmütterlich hingegen ist bisher das Up-Stream-Processing (Lagerung, Anmaischprozesse, Konditionierungs-Prozesse, Reinigungsprozesse (CIP; Cleaning In Place), optimale Sterilisationsprozesse (SIP; Sterilization in Place)) in der Forschung behandelt worden, auch wenn es doch sehr logisch erscheinen mag, daß nur repräsentative Vorbedingungen zu repräsentativen Reaktionen, Aufarbeitungsbedingungen und letztendlich Produkten führen können.

    Der Kostenvergleich kann mittels eines Modells erfolgen, das in seiner Struktur ein Biomodell und ein Kostenmodell koppelt [1.10]. Das Biomodell basiert auf der eine Stoffbilanz und den einzelnen Reaktionsgeschwindigkeiten, das Kostenmodell greift auf die spezifischen Herstellkosten zurück, die sich aus der Summe aller Betriebs- und periodisierten Investitionskosten zusammensetzen. Die Betriebskosten ihrerseits ergeben sich aus den Stoff-, Energie- und Entsorgungskosten (vgl. Kapitel 9).

    Zur Optimierung von biotechnologischen Prozessen ist es notwendig noch öfters unterschiedliche Betriebsvarianten zu nutzen. Dabei ist neben dem klassischen Batch-Prozeß vor allem auch die kontinuierliche Prozeßführung zu beachten (z. B. L-Glutaminsäure-herstellung) und in diesem Zusammenhang der Einsatz des Rohrreaktors auch als Bioreaktor, wie er beispielhaft zur Milchsäure-Produktion eingesetzt werden kann [1.11].

    1.3.3 Harmonisierung der Arbeitsgruppen

    Die vielfältigen interdisziplinären Aufgaben, die bei der Entwicklung eines biotechnologischen Prozesses anfallen, können nur dann optimal gelöst werden, wenn Wissenschaftler der verschiedenen Fachrichtungen zu einem vernünftig harmonisierenden und funktionierenden Team vereint werden können. Voraussetzung dafür sind Kenntnisse des jeweiligen anderen Fachgebietes an der Übergabestelle und der jeweiligen besonderen Stärken, aber auch der kritisch einzustufenden Gegebenheiten. Nur dann können Kommunikationsschwierigkeiten vermieden werden.

    Ein häufig vorzufindendes Hindernis, die Verfahrenstechnik mehr zu unterstützen, ist die weitverbreitete Meinung, daß intensives Screening oder gezielte Gentechnologie wesentlich leistungsfähiger sein können als Verfeinerungen in der Verfahrensführung. Maximale Verbesserungen über Verfahrensentwicklungen liegen im Bereich von einigen zigProzent, während die Mikrobiologie und Gentechnologie durchaus mehrere 100 Prozent erreichen können. Der wesentliche Unterschied besteht allerdings darin, daß im Fall der Verfahrenstechnik leichter eine gezielte Vorhersage möglich ist, während im anderen Fall der Zufall ein größeres Gewicht hat.

    1.3.4 Integrierter Umweltschutz – agierender Umweltschutz

    Biotechnologische Prozesse sind in der Regel umweltverträglich. Allerdings sind Abgase, und vor allem auch Abwässer, häufig stark kohlenstoffbelastet, was im Falle von Abwässern in Kläranlagen zu hohen Schlammassen führt. Deshalb sind Ansätze Mediumrecycling zu betreiben, nicht nur von wirtschaftlichem Interesse, sondern bedeuten gleichzeitig integrierten Umweltschutz. Andererseits trägt sich integrierter Umweltschutz nur, wenn er wirtschaftlich ist.

    Auf die Idee, Medium zu recyclisieren, kommt man sehr oft, wenn die Einsatzstoffe oder die Entsorgung einen hohen Teil der Herstellkosten ausmachen, sie erfolgreich umzusetzen gelingt dagegen aus verschiedenen Gründen seltener. Zum einen lassen sich in komplexen Nährmedien die nachzudosierenden essentiellen Spurenelemente teilweise nur schwer bestimmen. Auch besteht die Gefahr des Aufschaukelns von Metaboliten (Toxinen), die es ebenfalls zu erkennen gilt, um sie über entsprechende „Nieren" auszuschleusen. Ein Ansatz, dennoch das Ziel der Mediumsrückführung zu erreichen, könnte in der temperaturaktivierten Flüssigphasenhydrolyse (TFH) liegen [1.12]. Es konnte gezeigt werden, daß bei Temperaturen bis 200 °C aus mikrobieller Abfallbiomasse Hydrolysate entstehen, die als Nährlösung für mikrobielles Wachstum wieder genutzt werden können. Bei höheren Temperaturen bekommt man zwar höhere Aufschlußgrade, doch durch die Bildung von zusätzlichen Nebenprodukten, die hemmend wirken, sinkt die Wiederverwendbarkeit für mikrobielles Wachstum [1.12].

    1.4 Märkte und Marktanteile biotechnologischer Produkte

    Auch wenn das Wachstum der Marktanteile und der Märkte für biotechnologische Produkte stets den immer zu euphorischen Prognosen hinterherhinkt, so läßt sich aber dennoch ein stetiges Wachstum feststellen. Insbesondere in der Pharmaindustrie durch Nutzung der Gentechnologie kommen die Möglichkeiten immer mehr zum tragen.

    Im Jahre 2000 betrug das Marktvolumen biotechnologischer Produkte etwa 60 Milliarden Dollar (vgl. Abb. 1-1) [1.23]. Die Antibiotika hatten dabei mit 42% den größten Anteil vom Kuchen. An zweiter Stelle rangierte schon die Produktgruppe der Proteine, zu denen im wesentlich die Pharmazeutika zu zählen sind. Dieser Gruppe wird für die weitere Zukunft das höchste Wachstumspotential zugesprochen.

    Abb. 1-1 Der Markt für biotechnologische Produkte betrug im Jahre 2000 etwa 60 Milliarden US Dollar. Dabei erreichten mit 42% traditionell die Antibiotika den größten Anteil schon gefolgt von der Gruppe der Proteinprodukte, zu denen im wesentlichen Pharmazeutika zählen [1.23].

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    Die Vitamine haben trotz ihrer Bedeutung dagegen nur einen Anteil von 1%, was aber dennoch ein Marktvolumen von 325 Millionen US Dollar ausmachte (vgl. Abb. 1-2) [1.23].

    Abb. 1-2 Der Weltmarkt von fermentativ hergestellten Vitaminen wird für das Jahr 2003 etwa 325 Millionen US Dollar betragen. Das stellt dennoch nur 1% des gesamten Marktanteils biotechnologischer Produkte dar [1.23].

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    2

    Arbeitsgebiete der Bioverfahrenstechnik

    2.1 Einführende Betrachtungen

    Die Bioverfahrensentwicklung muß als interdisziplinäres Arbeitsgebiet auf mehrere in ihrem Wesen unterschiedliche Disziplinen zurückgreifen. Der Produktidee folgend muß die Mikrobiologie die Suche nach dem Mikroorganismus (Stamm → Produktionsstamm) anschließen, der das erforderliche Synthesepotential bzw. überhaupt die gewünschte (gesuchte) Fähigkeit zur Synthese besitzt. Das natürliche Synthesepotential ist in der Regel aus wirtschaftlicher Sicht völlig ungenügend, weil es für eine Zelle in ihrer Biozönose (Biotop, vgl. Abschnitt 2.2) keinen Vorteil bringt, eine bestimmte Substanz im Überschuß zu produzieren. Der Mikrobiologe ist aufgefordert, das vorhandene Potential bis zu einer wirtschaftlichen Syntheseleistung zu steigern. Das geschieht klassisch durch Mutagenese und Selektion, in dem das Erbgut der Zellen verändert wird und danach solche Stämme mit einem verbesserten Syntheseverhalten ausgewählt werden (Selektion, vgl. Abschnitt 2.2.2).

    In der modernen Biotechnologie kann hierbei die Molekularbiologie häufig enorme Hilfestellungen bieten, indem durch gezielte genetische Veränderungen (Eingriffe in einen Stoffwechselweg) eines Mikroorganismus ein Hochleistungsstamm direkt gewonnen werden kann (vgl. Abschnitt 2.3.1 und 2.3.2).

    Schon in diesem Stadium der Prozeßentwicklung ist es erforderlich, von der Verfahrenstechnik die Randbedingungen für das zu erreichende Synthesepotential zu erfragen, um Fehlentwicklungen im Verfahren der Stammverbesserung zu vermeiden (vgl. Kapitel 8 und 9).

    Die Syntheseleistung verschiedener Stämme muß in Reihenuntersuchungen geprüft werden. Da in diesem Stadium häufig eine Vielzahl bis mehrere hundert Mutanten zu untersuchen sind, müssen Systeme verwendet werden, die möglichst einfach und damit preiswert sind. Die einfachsten und damit auch billigsten Bioreaktoren, sind die Schüttelkolben (vgl. Kapitel 4) [1.3]. Eine wichtige aber auch sehr schwierige Forderung an die Verfahrenstechniker besteht allerdings in der richtigen Interpretation der Ergebnisse im Schüttelkolben und der Übertragung auf den nächstgrößeren Labormaßstab (5–50 l). Eine aus der Modelltheorie stammende sinnvolle Mindest-Reaktorgröße beginnt aus verfahrenstechnischer Sicht erst bei 50–100 l, denn erst ab dieser Größe lassen sich die Ähnlichkeitsgesetze zuverlässig genug anwenden (vgl. Abschnitt 2.7.3).

    Neben der Optimierung der Reaktion, des Fermentationsprozesses bzw. -ergebnisses, ist auch die rechtzeitige Optimierung des Up-Stream-Processing (Aufbereitung) von Nöten, damit die Reaktion immer die gleichen Startbedingungen besitzt. Auch die nachfolgenden Verfahrensschritte des Down-Stream-Processings (Aufarbeitung) müssen rechtzeitig bearbeitet werden, weil sie wiederum vom Reaktionsergebnis beeinflußt werden und häufig den größten Prozeßaufwand darstellen (vgl. Kapitel 8).

    2.2 Stellung und Aufgaben der Mikrobiologie

    Die wesentliche Aufgabe der Mikrobiologie für die Bioverfahrenstechnik besteht in der Bereitstellung von Mikroorganismen für technische Prozesse.

    Verschiedene Typen von Organismen, ihre lebenden Zellen oder auch nur aktive Bestandteile davon, können in der Bioverfahrenstechnik stark vereinfacht und in der Theorie völlig ausreichend als Biokatalysatoren betrachtet werden (vgl. Kapitel 6). In der Praxis ist jedoch die biologische Seite der Bioverfahrensentwicklung äußerst komplex, weil die Synthesen nur sehr selten über einen Reaktionsschritt, d. h. durch ein Enzym katalysiert erfolgen. Die Verwendung von tierischen Zellen verlangt ganz andere Verfahren und Behandlungsweisen als die von pflanzlichen Zellkulturen oder gar Mikroorganismen. Am leichtesten lassen sich isolierte und präparierte Enzyme in ihren Reaktionen mit dem Verhalten von klassischen Katalysatoren der chemischen Verfahrenstechnik vergleichen. Wenngleich die Anwendung höherer Organismen bzw. Zellen von diesen, in entsprechenden Kultursystemen zunehmende Bedeutung erlangt hat, so sind es doch die Mikroorganismen und mikrobielle Enzympräparate, die nach wie vor die Biotechnologie dominieren. Auch für die Zukunft werden sie noch ein großes Potential aufweisen, das nicht zuletzt durch die Methoden der Gentechnik neue Dimensionen erreicht hat und erreichen wird. Zu den Mikroorganismen gehören neben den physiologisch so überaus vielfältigen Bakterien auch Eukaryoten, wie die Hefen und Schimmelpilze, sowie die Mikroalgen. Damit sind alle bekannten Ernährungsweisen und Stoffwechseltypen in Organismen vertreten, die durch ihre individuelle Kleinheit und relativen Einfachheit am besten in technischen Anlagen verwendet werden können. Es ist immens wichtig, sich näher mit den Mikroorganismen als Biokatalysatoren für technische Produktionsprozesse auseinanderzusetzen, denn die Bereitstellung des geeigneten Biokatalysators ist eine zentrale Aufgabe der Mikrobiologie für die Bioverfahrenstechnik.

    Die Klassifizierung aller Organismen beginnt auf der Ebene der Art oder Spezies. Eine Spezies umfaßt Organismen, die durch eine hohe Übereinstimmung in einer Vielzahl von wichtigen Merkmalen gekennzeichnet sind. Von einem Stamm spricht man dagegen im Zusammenhang mit einer genetisch einheitlichen Population von Organismen. Das heißt, die Individuen eines Stammes haben identische Eigenschaften. Sie stellen einen Klon (Nachkommenschaft einer Zelle) dar und werden nur durch Zellteilung vermehrt, sofern der Stamm erhalten werden soll. Die Herkunft eines Stammes kann sehr unterschiedlich sein, und dementsprechend hat man für verschiedene Typen von Stämmen unterschiedliche Begriffe geprägt.

    Eine Bakterienspezies umfaßt z. B. folgende Typen von Stämmen [2.29]

    Wildtyp: Ein Stamm, der an die Bedingungen des für die betreffende Spezies üblichen Biotops angepaßt ist

    Isolat: Ein Stamm, der nach Ausplattierung einer Probe durch Abimpfen einer einzelnen Kolonie als „Reinkultur" weiterkultiviert wird

    Typus-Kultur: „Offizieller" Vertreter einer Spezies, meist der zuerst beschriebene Stamm; international verfügbar, besonders für Vergleichszwecke in Taxonomie und Identifizierung wichtig

    Variante: Ein Stamm (Isolat), der sich in einem auffallenden Merkmal von der Mehrzahl der anderen Stämme einer Spezies unterscheidet – im Grunde eine Mutante

    Mutante: Ein Stamm, der sich in einer oder mehreren definierten Eigenschaften von seinem Ausgangsstamm (Elternstamm) unterscheidet; meist mit Hilfe mutagener Agenzien künstlich erzeugt

    Transformante, Konjugante, Rekombinante: Stämme, die durch Genübertragung (Transformation, Konjugation, Gentechnik bzw. in-vitro-Rekombination) entstanden sind

    Produktionsstamm: Ein in der Biotechnologie (Fermentationstechnik) eingesetzter Stamm mit einer besonders hohen Produktausbeute bzw. Substratumsetzung (siehe „Stammverbesserung", Abschnitt 2.2.2)

    2.2.1 Beschaffung und Auswahl eines potentiellen Produktionsstammes

    Die Entwicklung von Produktionsstämmen für Fermentationsprozesse gliedert sich im allgemeinen in mehrere Stadien.

    Am Anfang steht die Isolierung bzw. Auswahl eines oder mehrerer Stämme mit den gewünschten Eigenschaften, z. B. der Fähigkeit zur Synthese eines gesuchten Stoffes (potentieller Produktionsstamm). Anschließend erfolgt die Überprüfung der Randbedingungen für Wachstum und Produktbildung zur Gewinnung von Kenntnissen über Stoffwechselweg, Regulation und Transport. In der Regel werden die potentiellen Produktionsstämme schon während dieses Untersuchungsstadiums einem Stammentwicklungsprogramm mit dem Ziel der genotypischen Optimierung zugeführt. Ausnahmen von diesem klassischen Entwicklungsschema gibt es bei der Expression von heterologen Proteinen in rekombinanten Mikroorganismen. Hier ist meist ein E. coli-Sicherheitsstamm als Wirtsorganismus die Basis für eine rein gentechnische Stammentwicklung. Das Bakterium, das ursprünglich keine Fähigkeiten zur Produktbildung besitzt, bekommt dabei die notwendige genetische Ausstattung in der Regel in Form von Plasmiden, übertragen und wird dadurch zum Produktionsstamm (vgl. Abschnitt 2.3).

    Parallel zur Stammentwicklung läuft übrigens zumeist auch die Prozeßentwicklung (phänotypische Optimierung). Das Produktionsverfahren kann dann etabliert werden, wenn die erreichte Produktausbeute und die Umsatzrate einen ökonomischen Gesamtprozeß erwarten lassen.

    Mikroorganismen für technische Prozesse können entweder selbst aus der Natur isoliert werden, oder sie können kommerziell erworben werden. Der Markt für leistungsfähige Produktionsstämme ist allerdings sehr klein, d. h. es ist schwierig einen einsatzfähigen Produktionsstamm zu erwerben. Als Alternative zur Eigenisolierung existiert noch die Möglichkeit auf Organismen-Sammlungen von Hochschulinstituten und Firmen zurückzugreifen. In verschiedenen europäischen Länder sowie in USA und Japan gibt es große öffentliche Stammsammlungen, die eine breite Vielfalt von Mikroorganismen aufbewahren und verfügbar halten.

    Derartige Stammsammlungen offerieren zu relativ günstigen Konditionen definierte Organismen mit bekannten Charakteristika und Fähigkeiten (Tabelle 2.2-1). Die ATCC bietet einen speziellen umfangreichen Katalog „Microbes and Cells at Work" an, in dem Mikroorganismen nach Produkten geordnet sind. Und auch im Katalog der DSMZ gibt es einen entsprechen Teil. Die hier aufgelisteten Organismen sind selbstverständlich keine Hochleistungsstämme, aber sie haben möglicherweise schon eine gesuchte Fähigkeit und können als potentielle Produktionsstämme der Stammentwicklung zugeführt werden. Für viele Zwecke genügt es auch erst einmal, eine Kultur mit einer gewünschten Charakteristik zur Verfügung zu haben. Hiermit kann man schon viele Entwicklungsarbeiten, wie z. B. Produktanalytik und Produktaufreinigung, vorantreiben. Die Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Produktionsorganismus bzw. die Suche nach einem besseren Stamm kann dann parallel dazu durchgeführt werden.

    Forschungsinstitute mit Stammsammlungen sind in der Regel auch auf dem Gebiet der Taxonomie tätig und bieten Dienstleistungen im Bereich der Identifizierung und Klassifizierung von Mikroorganismen an. Neben Schwerpunkten, wie Bakterien, Pilze oder Hefen, oder Spezialgebieten, wie Algen, haben einzelne Stammsammlungen zusätzlich die Sammlung von Bakteriophagen, Plasmiden oder Zellkulturen übernommen. Weiterhin sind die meisten größeren Sammlungen als Hinterlegungsstellen für Patentstämme gemäß dem Budapester Abkommen von 1977 zugelassen. Hinterlegt werden können auch genetisch veränderte Organismen im Zusammenhang mit patentfähigen Erfindungen.

    Tabelle 2.2-1 Bekannte Stammsammlungen mit Adressen.

    Es lohnt sich, auch in Zukunft nach neuen Organismen mit neuen Metaboliten oder anderen industriell nutzbaren Leistungen zu suchen. Das zeigen die Ergebnisse entsprechender Arbeitsgruppen. Jährlich werden ca. 250–350 neue Substanzen als Metabolite von Mikroorganismen beschrieben [2.1]. Ein großes Potential für neue pharmazeutisch nutzbare Substanzen sieht man auch in den marinen Biotopen. Dort gibt es eine Vielzahl einzigartiger, bisher nicht bekannter Organismen. Schätzungen gehen davon aus, daß in der Natur ca. 3 Mio. Bakterienarten und ca. 1,5 Mio. Pilzarten vorhanden sind. Nur ein geringer Bruchteil ist davon bis heute bekannt. Allerdings muß man auch berücksichtigen, daß offenbar sehr viele dieser Arten nicht oder nur schwer im Labor kultivierbar sind. Vergleicht man die Kolonienzahlen, die mit Standardverfahren aus Boden- oder Wasserproben erhalten werden, mit den Ergebnissen, die auf der Analyse von 16S-r-RNA-Homologien beruhen, erhält man Werte von 0,1–0,5% kultivierbare Mikroorganismen. Diese Feststellung allein sollte schon Anlaß sein, die Gründe dafür noch gründlicher zu beleuchten. Eine Perspektive bei der Suche nach neuen Enzymen oder Wirkstoffen aus Mikroorganismen sieht man deshalb in der direkten Isolierung von genomischer DNA aus natürlichen Habitaten. Unter Umgehung der Isolierung von Mikroorganismen-Stämmen aus der Natur werden entsprechende Gene in Genbanken gesammelt und anschließend einem Sequenz- oder Expressionsscreening nach neuen Enzymen oder Metaboliten unterzogen. Für diese Arbeitsweise wurde kürzlich der Ausdruck „Metagenom-Ansatz geprägt und verschiedene Arbeitsgruppen sind mit dem Aufbau von „Standort-Genbanken oder „Umwelt-Genbanken" beschäftigt [2.30].

    2.2.1.1 Anreicherung und Isolierung

    Der erste Schritt zur Isolierung von Mikroorganismen aus der natürlichen Umgebung ist in der Regel die Anreicherungskultur. Eine Anreicherungskultur ist ein Verfahren, bei dem die Konzentration eines bestimmten Organismus oder einer Organismengruppe im Verhältnis zur Gesamtpopulation zunimmt. Dies erreicht man durch die Einstellung von Bedingungen, die entweder das Wachstum des einen Organismus besonders begünstigen oder das Wachstum der anderen Organismen hemmen. Derartige selektive Wachstumsbedingungen können durch bestimmte Nährstoffauswahl oder geeignete Umgebungsbedingungen vorgegeben werden. Auch die Zugabe von individuellen Hemmstoffen, wie Antibiotika, ist üblich. Je höher der Selektionsdruck ist, desto schneller wird man ein Anreicherungsergebnis erhalten (vgl. Tabelle 2.2-2).

    Darüber hinaus muß eine Anreicherungskultur mit einem geeigneten Inokulum (Animpfkultur) beimpft werden. Nur wenn die gesuchten Organismen in dem Inokulum enthalten sind, können sie schließlich isoliert werden. Als Inokulum dient meist ein natürliches Material wie Erde, Kompost, Oberflächenwasser oder ähnliches, das reich an vielen verschiedenen Mikroorganismen ist. Andererseits werden spezielle Mikroorganismen möglicherweise auch in besonderen Biotopen (Biozönose; abgegrenzter, biologisch intakter Raum) zu finden sein. Bei der Suche nach speziellen Stoffwechseltypen oder sonstigen besonderen Eigenschaften muß beim Ansetzen der Anreicherungskultur berücksichtigt werden, daß die natürliche Umgebung selektive Wachstumsbedingungen vorgibt. So können marine Organismen, z. B. nur bei Einstellung entsprechender Salzkonzentrationen, Temperatur und pH-Wert, wie sie in den ursprünglichen Biotopen vorliegen, angereichert werden. Vielfach handelt es sich auch um oligotrophe Organismen, die sich nur bei geringsten Konzentrationen organischer Komponenten anreichern lassen (vgl. Tabelle 2.2-2).

    Ideal ist es, wenn eine industriell wichtige Charakteristik als Selektionsvorteil bei der Anreicherung genutzt werden kann. In diesem Fall spricht man von direkter Selektion. Beispiele dafür sind einerseits Mikroorganismen für den Abbau bestimmter chemischer Substanzen, die als Nährstoffquellen (C-, N-, oder S-Quelle) eingesetzt werden können, oder andererseits Mikroorganismen, die Resistenzfaktoren in Anwesenheit der Hemmstoffe bilden. Leider können Mikroorganismen mit der Fähigkeit technisch interessante Produkte zu bilden nur selten durch direkte Selektion angereichert werden. Falls keine direkte Selektion möglich ist, kann man eine Anreicherungskultur auch mit dem Ziel durchführen, eine bestimmte Organismenart oder -gattung zu isolieren (indirekte Selektion). Je nach

    Tabelle 2.2-2 Beispiele für die Anreicherung industriell wichtiger Mikroorganismen [2.31].

    Standort und Anreicherungsfaktoren werden bei der Isolierung bestimmte Mikroorganismen gefunden, z. B. in See- und Flußwasser primär Mikromonospora und Strepto- sporangium, in Komposterde Thermoactinomyces und Thermomonospora sowie in Salzwasser Actinoplanes. Diese Bakteriengattungen versprechen neben Streptomyces ein besonders großes Spektrum an Sekundärmetaboliten. Lancini [2.9] screente 13 000 Actinoplanes-Stämme auf die Bildung von Antibiotika und konnte dabei 41 neue Stoffe isolieren und charakterisieren. In Tabelle 2.2-2 sind weitere Beispiele für Bedingungen zur Anreicherung industriell wichtiger Mikroorganismen aufgeführt.

    Falls ein Anreicherungsverfahren mit direkter Selektion zur Verfügung steht, kann dieses auch im Rahmen der Stammentwicklung nach Mutagenese oder Rekombination zur Selektion von entsprechenden Mutanten oder Rekombinanten mit verbesserten Eigenschaften genutzt werden. Bei der Gentechnik werden gezielt z. B. Resistenzfaktoren für Antibiotika als künstliche Selektionsmarker eingesetzt. Die Selektion erfolgt dann in Antibiotikumhaltigem Nährmedium.

    Anreicherung in Batch-Kultur

    Eine Anreicherungsnährlösung wird meist in einem Erlenmeyerkolben mit einer geringen Menge des Inokulums als Batch-Kultur angesetzt. In einer solchen Anreicherungskultur setzt sich der am besten angepaßte Typ durch und überwächst alle Begleitorganismen. Die höhere Wachstumsrate der dominierenden Organismen beruht entweder auf der schnelleren Verwertung der gegebenen Substrate oder auf einer größeren Resistenz gegenüber den eingestellten ungünstigen Wachstumsbedingungen. Durch mehrfaches sukzessives Übertragen auf die gleiche Nährlösung bei gleichen Umgebungsbedingungen kann die Anreicherung verstärkt werden. Zur Isolierung von Reinkulturen wird schließlich auf einem festen Nährboden ausplattiert (siehe Abb. 2.2-1).

    Anreicherung in kontinuierlicher Kultur

    Die Anreicherung in kontinuierlicher Kultur kann prinzipiell nach dem Chemostat- oder dem Turbidostat-Prinzip durchgeführt werden. Beim Turbidostat wird die Zelldichte durch Anpassung der Verdünnungsrate automatisch konstant gehalten. Dabei werden, ähnlich wie bei der Batch-Kultur, die Mikroorganismen mit der höchsten Wachstumsrate unter den gegebenen Bedingungen selektiert. Beispiele für den Einsatz des Turbidostats sind die Anreicherung von Stämmen, die bei extremen Umgebungsbedingungen wie pH, Temperatur oder Inhibitorkonzentration (möglicherweise ein inhibierendes Produkt wie Ethanol oder Butanol) wachsen.

    Abb. 2.2-1 Anreicherungsverfahren in Batch-Kultur.

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    Nicht immer ist aber der am schnellsten wachsende Organismus der nützlichste. So muß es z. B. auch wünschenswert sein, einen Organismus mit der größten Affinität zum gegebenen Substrat zu isolieren. Diese Möglichkeit ist durch die Nutzung des Chemostats gegeben. Während beim Turbidostat das Substrat im Überschuß vorliegt, ist es im Chemostat wachstumslimitierend. Der Chemostat ist gekennzeichnet durch die Zuführung von frischer Nährlösung zum Kulturgefäß mit einer konstanten Rate. Gleichzeitig wird Kulturflüssigkeit mit enthaltenen Zellen abgeführt, so daß das Volumen im Fermenter konstant bleibt. Unter diesen Bedingungen wird die Wachstumsrate der Mikroorganismen durch die Verdünnungsrate bestimmt, und die Substrataffinität wird zum Selektionsfaktor. Mit dieser Technik können z. B. Stämme angereichert werden, die bestimmte katabolische Enzyme im Überschuß produzieren.

    Die Isolierung von Reinkulturen erfolgt auch hier in der Regel durch Ausstreichen auf einem festen Nährboden. Mikroorganismen für kontinuierliche Produktionsprozesse sollten grundsätzlich auch durch kontinuierliche Anreicherung gewonnen werden.

    2.2.1.2 Screening

    Wenn die Anreicherungsverfahren nicht sehr selektiv sind, oder wenn man nur über eine indirekte Selektion verfügt, erhält man häufig eine große Anzahl von Isolaten. Dies gilt übrigens sowohl für die Isolierung von Mikroorganismen aus der Natur, als auch nach Mutagenese oder Rekombinationsexperimenten. Um bei einer Vielzahl von Isolaten (meist mehrere Hundert oder Tausende) Stämme mit den gewünschten Eigenschaften zu finden, muß man eine entsprechende Auslese durchführen. Als Screening (to screen = auslesen) bezeichnet man die Anwendung von mikrobiellen Testverfahren zur schnellen, gezielten Auslese von bestimmten Organismen aus einer großen Zahl von Stämmen. Derartige Tests müssen ein visuell bzw. mittels optischer Verfahren schnell erkennbares Ergebnis aufweisen. Je spezifischer solche Tests sind und je leichter sie anzuwenden sind, desto größer ist ihr praktischer Wert. Die meisten Screening-Verfahren beruhen auf dem Prinzip des Agardiffusionstests, d. h. die Mikroorganismen wachsen als Kolonien auf der Oberfläche von Agarnährböden, wobei ihre Leistungen durch unterschiedliche Indikatoren festgestellt werden. Auch Tests in Flüssigmedien sind verbreitet. Sie werden heute in Mikrotiterplatten mit 96 Vertiefungen von jeweils 0,5–1,0 ml durchgeführt. Die Auswertung erfolgt mit entsprechenden photometrischen Systemen über die optische Dichte bei Wachstum oder auch über Farbveränderungen durch Indikatoren. Auch für Agardiffusionstests verwendet man bei großer Anzahl von Stämmen keine Petrischalen sondern größere, rechteckige Schalen, die mit Multipoint-Beimpfungssystemen ebenfalls mit 96 oder mehr Auftragsstellen versehen werden können. Man kann im wesentlichen zwei Indikationssysteme für Agardiffusionstests unterscheiden.

    Screening mit Indikatororganismen: Als Indikator für eine bestimmte industriell verwertbare Leistung dient ein anderer Mikroorganismus, der im Agar als Indikatorstamm suspendiert ist.

    Abb. 2.2-2 Hemmhofbildung beim Agardiffusionstest mit einem Antibiotika-empfindlichen Indikatorstamm.

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    Dieser zeigt durch Wachstumshemmung (Hemmtest) bzw. Wachstum (Fütterungstest) das Vorliegen von beeinflussenden Substanzen an. So wird z. B. die Ausscheidung eines Antibiotikums von einer Bakterienkolonie durch die Hemmung des Indikatorstammes in dessen Umkreis angezeigt (Abb. 2.2-2).

    Die Bildung und Ausscheidung von Primärmetaboliten, wie Aminosäuren, Nukleotiden oder Vitaminen, dagegen kann man in einem Fütterungstest mit entsprechenden auxotrophen Indikatorstämmen erkennen. Dann erhält man anstelle von Hemmzonen eine Wachstumszone im Umkreis des Metabolit-produzierenden Testorganismus.

    Screening mit Indikatormedien: Als Indikator für eine bestimmte Stoffwechselleistung dient eine im Agarmedium enthaltene chemische Substanz bzw. eine damit verbundene chemische Reaktion. Diese zeigt durch einen sichtbaren Effekt die Produktion eines Stoffwechselprodukts bzw. das Vorliegen einer Stoffwechselleistung der Testorganismen an. Ein einfaches Beispiel ist die Erkennung von Säurebildung durch den Umschlag eines pH-Indikators. Weiterhin werden Mikroorganismen, die extrazelluläre Enzyme zur Hydrolyse von polymeren Naturstoffen wie Cellulose, Chitin oder Lipiden produzieren, leicht auf entsprechenden Agarmedien erkannt. Diese Substrate führen wegen ihrer Unlöslichkeit im Agar zu einer Trübung, so daß bei enzymatischer Auflösung um die Testorganismen herum klare Höfe sichtbar werden. Die besten Enzymproduzenten unter den Stämmen zeichnen sich durch die größten Lysehöfe aus. Nicht alle Enzymsubstrate lassen jedoch so deutlich ihre Hydrolyse erkennen. Wenn dies nicht der Fall ist, kann man synthetische Enzymsubstrate mit Chromophoren einsetzen. Bei Hydrolyse wird der Farbstoff frei und bewirkt eine Färbung des Agars oder der Mikroorganismen-Kolonie. Ein gefärbter Hof deutet auf extrazelluläre Enzyme hin, eine gefärbte Kolonie kommt bei intrazellulären Enzymen zustande. Dieses Prinzip hat in der Gentechnik zu einem Routineverfahren beim Screening nach positiven Klonen geführt, welches auch als Blauweiß-Selektion bekannt ist. Durch Komplementierung einer Sequenz des Lac-Operons wird von diesen Stämmen β-Galactosidase exprimiert, was durch den Indikator X-Gal (5-Brom-4-chlor-3-indolyl-β-D-galactosid) nach Hydrolyse zu Galactose und Indigo blau gefärbte Kolonien ergibt.

    Das gleiche Prinzip läßt sich auch umgekehrt für die Suche nach Enzyminhibitoren anwenden. Dabei ist das Substrat im Agarmedium gelöst und erst nach Zugabe eines entsprechenden Enzyms ist eine Umsetzung zu erwarten. Bei Bildung des spezifischen Enzyminhibitors durch einen Testorganismus und Ausscheidung in das Medium wird die Enzymreaktion und damit die Indikatorfreisetzung verhindert. Auf diese Weise sind schon viele medizinisch interessante Substanzen mit den entsprechenden Produktionsstämmen gefunden worden. Es sind Hemmstoffe für krankmachende Enzyme im menschlichen Körper, die heute als Chemotherapeutika, z. B. gegen Krebs oder bei Virusinfektionen, eingesetzt werden [2.3]. Von den Mikroorganismen werden sie meist als Sekundärmetabolite gebildet.

    Ein weiteres einfaches Selektionsmuster kann bei der Suche nach Säurebildnern verwendet werden. Hierbei wir der Agar mit Calciumcarbonat versetzt, der Agar wird dabei trüb. Werden dann Mikroorganismen auf der Platte aufgebracht, so entsteht beim Wachsen der Säurebildner um die Kolonie herum ein heller Hof, weil durch die entstehende Säure das Calciumcarbonat aufgelöst wird.

    2.2.2 Stammentwicklung bzw. Stammverbesserung

    Im allgemeinen liegt der Schwerpunkt industrieller Stammentwicklung auf der Ausbeutesteigerung, da die von Wildstämmen produzierten Metabolitkonzentrationen für ein ökonomisches Herstellungsverfahren meist zu gering sind. Dies gilt sowohl für Produkte des Primärstoffwechsels als auch für Sekundärmetabolite. Veränderungen im Genotyp von Mikroorganismen können aber auch zur Synthese neuer Metabolite führen. Insbesondere gesucht sind vielfach modifizierte Typen von Sekundärmetaboliten mit verbesserten oder sogar neuen Wirkungen im therapeutischen Bereich. Ein weiterer Zweig der Stammentwicklung, der erst durch die Methoden der Gentechnik möglich geworden ist, ist die Übertragung von Fremdgenen in Mikroorganismen, wodurch diese erst die Fähigkeit zur Synthese von Substanzen wie Insulin, Interferon und anderen Pharmaproteinen erlangen (vgl. Abschnitt 2.3).

    Neben diesen zentralen Aufgaben der Stammentwicklung, die das Produkt betreffen, kann es manchmal auch erforderlich sein, andere Eigenschaften des Produktionsorganismus zu verbessern. Tabelle 2.2-3 gibt eine Übersicht über die allgemeinen Kriterien, die bei der Auswahl eines Produktionsstammes eine Rolle spielen. Selbstverständlich versucht man Ausgangsstämme zu benutzten, die schon einen möglichst großen Teil der Kriterien erfüllen.

    Mit Ausnahme von Endprodukten der Gärungen, wie Milchsäure oder Ethanol, ist es für Mikroorganismen unnatürlich, Metabolite anzuhäufen oder in größeren Mengen ins Medium auszuscheiden. Der Zellstoffwechsel erfolgt in der Regel mit vollkommen anderen Zielen. Er dient dem Organismus zur Bereitstellung von Energie und Bausteinen für Wachstum und Vermehrung. Hierzu wurden im Laufe der Evolution höchst ökonomische Systeme entwickelt. Die Anhäufung von Metaboliten dagegen ist wider die Natur der Zelle und wird normalerweise durch vielfältige Regulationsmechanismen verhindert. Dies ist der Grund, weshalb in den meisten Fällen nur eine gezielte Stammentwicklung mit genotypischer Optimierung zu Produktionsorganismen führt. Im Zusammenhang mit Organismen, die ihre natürlichen Regulationsfunktionen im Zuge des Entwicklungsprozesses gezwungenermaßen verloren haben und Metabolite anhäufen, spricht man auch von Überproduktion und Überproduzenten.

    Tabelle 2.2-3 Allgemeine Kriterien für die Auswahl eines Produktionsstammes.

    Voraussetzungen für eine gezielte Stammentwicklung auf verstärkte Produktbildung (Überproduktion) ist die genaue Kenntnis des Stoffwechselweges und der Regulationsmechanismen. Abb. 2.2-3 zeigt ein allgemeines Schema für die Produktion von Metaboliten durch den mikrobiellen Stoffwechsel.

    Die Produktivität einer Zelle ist danach von verschiedenen Teilschritten im Rahmen der Stoffumwandlung abhängig. Merkmale eines potentiellen Produktionsstammes sind danach immer der Besitz effizienter Systeme für die Substrataufnahme in die Zelle und für die am Ende der Umsetzung stehende Produktsekretion. Die Umwandlung des Substrats in das gewünschte Produkt erfolgt im zellulären Metabolismus, der je nach Produkt möglicherweise noch in Katabolismus und Anabolismus untergliedert werden muß. Die Stoffwechselregulation kann prinzipiell auf zwei unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Neben der Regelung auf der Ebene der Enzymaktivität durch allosterische Enzyme in Schlüsselpositionen gibt es auch schon eine Steuerung bei der Biosynthese der Enzyme auf der Ebene der Genexpression. Günstig für die Stammentwicklung ist ein Ausgangsorganismus mit einem kurzen gradlinigen Stoffwechselweg zum Produkt und einer möglichst einfachen Regulation (vgl. Abschnitt 2.2.4 und 2.5.2.3).

    Abb. 2.2-3 Allgemeines Schema für die Produktion von Metaboliten durch eine Zelle.

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    Hochleistungsstämme von Antibiotika-produzierenden Mikroorganismen sind deshalb in der Regel das Ergebnis sehr vieler Mutations- und Selektionsrunden. Eine arbeitsintensive und langwierige Methode, bei der nach jeder Mutagen-Behandlung alle resultierenden Kolonien auf ihre Produktivität getestet werden müssen. Hat man dann unter den Tausenden von Kolonien eine Mutante mit höherem Ertrag gefunden, dient diese als Ausgangspunkt für eine neue Mutations- und Selektionsrunde. Zu Anfang lassen sich dabei vorteilhafte Mutanten im Agardiffusionstest durch Ausmessung der Hemmhofradien noch relativ leicht finden (vgl. Abb. 2.2-2). Aber schließlich muß man die Stämme auch unter Fermentationsbedingungen testen, was einen sehr großen Aufwand bedeutet. Trotz dieser Schwierigkeiten werden heute zahlreiche Antibiotika von Stämmen produziert, die in zwanzig oder dreißig Selektionsschritten entwickelt wurden, eine Arbeit, die sich über zwei oder mehr Jahrzehnte erstreckt hat. Als inzwischen schon historisches Beispiel soll hier der Penicillin-Produzent Penicillium chrysogenum genannt werden. Abb. 2.2-4 zeigt die 21 Schritte umfassende Entwicklung zum ersten industriell brauchbaren Stamm, der damals 7 Gramm pro Liter Medium produzierte.

    Abb. 2.2-4 Stammverbesserung zur Produktion von Penicillin durch zahlreiche Mutagenese- und Selektionsschritte insgesamt 21 dokumentierte Schritte (USDA = US Landwirtschaftsministerium) [2.6].

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    Derartige Mutations- und Selektionsrunden führen häufig aber auch in eine Sackgasse. Entweder lassen sich die Ausbeuten nicht weit genug steigern oder andere wichtige Eigenschaften, wie Anzuchtverhalten, Wachstumsfähigkeit u. a. sind verkümmert. Dies kann durch eine Kombination von Mutation und Selektion mit der Kreuzung von Stämmen überwunden werden. Nach etlichen Mutations- und Selektionsrunden kann man entweder die beiden besten Mutanten miteinander kreuzen oder man kreuzt Mutanten mit Wildtyp-Stämmen. Abb. 2.2-6 zeigt ein Beispiel für ein derartiges Schema, das zu einer weiteren Ausbeutesteigerung des Antibiotikums führte. Die Neukombination der Genome durch Kreuzung kann auch bei den Bakterien und imperfekten Pilzen trotz eines fehlenden Sexualzyklus erreicht werden. Bei Actinomyceten und Schimmelpilzen hat sich dazu die Protoplasten- fusion bewährt. Wenn wie in dem Beispiel von Abb. 2.2-6 zwei Mutanten gekreuzt werden, die jeweils sechs verschiedene Mutationen besitzen, sich also in zwölf Genen oder Genteilen unterscheiden, können aus der Neukombination der Gene 2¹² (über 4000) genetisch verschiedene Nachkommen hervorgehen. Zumindest einige davon dürften das Fermentationsverfahren verbessern.

    2.2.3 Überproduktion von Metaboliten – Stammentwicklung durch Metabolic Engineering

    Sind Stoffwechselweg und Regulationsmechanismen bekannt, kann die Stammentwicklung verschiedenen Strategien folgen, die auch als Metabolic Engineering oder Metabolic Design bezeichnet werden und sich besonders bei Produktionsverfahren für primäre anabolische Metabolite, wie z. B. Aminosäuren und Nukleotiden, bewährt haben. Man kann das Metabolic Engineering in drei Strategien oder Prinzipien untergliedern

    – Unterbrechung von Stoffwechselwegen bzw. Abschneiden von Nebenwegen

    – Ausschalten von Endprodukt-Regulationen

    – Konzentrationserhöhung (Aktivitätssteigerung) von Schlüsselenzymen

    Als genetische Verfahren beim Metabolic Engineering stehen grundsätzlich die Mutagenese sowie Verfahren der Rekombination zur Verfügung. Als Mutagenese bezeichnet man die künstlich induzierte Mutation, wobei klassische physikalische Methoden wie Bestrahlung ähnliche Bedeutung haben wie die Verwendung von chemischen Agenzien als Mutagene. Im Zeitalter der Molekularbiologie hat sich darüber hinaus die durch Oligonukleotide vermittelte ortsspezifische Mutagenese als brauchbares Werkzeug zur gezielten Veränderung von Stammeigenschaften erwiesen. Als Verfahren zur Stammverbesserung durch Rekombination ist zuerst die klassische Kreuzung von zwei Stämmen zu nennen. Darüber hinaus können auch parasexuelle Prozesse von Mikroorganismen ausgenutzt werden. Die größte Bedeutung hat hier aber sicherlich die in-vitro-Rekombination (Gentechnik) mit ihren vielseitigen Methoden erlangt (vgl. Abschnitt 2.3).

    Die meisten der heute im technischen Einsatz befindlichen Hochleistungsstämme zur Produktion von Metaboliten sind allerdings immer noch Mutanten. Die Mutagenese als klassisches genetisches Verfahren zur Optimierung von Mikroorganismen ist nach wie vor bestens geeignet, um die ersten beiden Strategien des Metabolic Engineerings zu verfolgen. Dazu haben insbesondere die effektiven Methoden der gezielten Mutantenselektion beigetragen (Tabelle 2.2-4).

    Die Unterbrechung eines Biosyntheseweges durch mutationsbedingte Ausschaltung eines einzelnen Enzyms führt oft schon alleine zur Metabolitanhäufung, da gleichzeitig die

    Tabelle 2.2-4 Verfahren zur Selektion und Erkennung verschiedener Mutantentypen [1.6].

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    Endprodukt-Hemmung wegfällt (Abb. 2.2-5). Man spricht in diesem Fall von einer Blockmutation bzw. von einer auxotrophen Mutante, da der Stamm zum Wachstum nun einen Hilfsstoff (Auxin, Supplin) benötigt, der dem Medium in geringer Konzentration zugesetzt werden muß. Auf diese Weise können unverzweigte und verzweigte Biosynthesewege manipuliert werden. Bei verzweigten Synthesen führt die Eliminierung (Modifikation) von Enzymen an der Abzweigung von Nebenwegen vielfach zu einer erheblichen Ausbeutesteigerung. Auch hier

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