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Operation Terra 2.0: 5 - Das Omega im Alpha
Operation Terra 2.0: 5 - Das Omega im Alpha
Operation Terra 2.0: 5 - Das Omega im Alpha
eBook1.680 Seiten18 Stunden

Operation Terra 2.0: 5 - Das Omega im Alpha

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Über dieses E-Book

Tiberias herrschende Klasse muss nach einem weiteren Fehlversuch erkennen, dass Terra als Zufluchtsort endgültig ausscheidet. Dort weisen katastrophale Entwicklungen sogar auf eine baldige
Ausrottung der menschlichen Rasse hin. So erscheint beiden Populationen der Mars als allerletzte Rettung vor dem Untergang - doch wer wird den erbitterten Wettkampf um die Reaktivierung des roten Planeten am Ende gewinnen?

Eine gesellschafts- und religionskritische Science Fiction-Odyssee in 5 Bänden, welche ein neues Licht auf Geschichte und Denkweise der Menschheit wirft.
SpracheDeutsch
HerausgeberXOXO-Verlag
Erscheinungsdatum17. Aug. 2020
ISBN9783967525373
Operation Terra 2.0: 5 - Das Omega im Alpha

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    Buchvorschau

    Operation Terra 2.0 - Andrea Ross

    Impressum

    Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

    PrintISBN: 9783967520378

    EBookISBN: 9783967525373

    Copyright (2019) XOXO Verlag

    Umschlaggestaltung: Grit Richter

    © Alexander Etz, Lemon Art Design www.lemonartdesign.com

    © Lizenz Foto Umschlag: 123rf.com

    © „Valley of the Alien Kings" von Angela Harburn

    Buchsatz: Alfons Th. Seeboth

    Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

    XOXO Verlag

    ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

    Gröpelinger Heerstr. 149

    28237 Bremen

    Was in Band 1,2,3 und 4 geschah …

    Operation Terra 2.0 – Menschheit im Exil (1)

    Die Evolutionsgeschichte des Menschen nahm einst auf dem Mars ihren Anfang, als dort die ersten Keime des Lebens durch einen Asteroideneinschlag angelangten und gediehen.

    Über Jahrmillionen hinweg entwickelten sich aus diesen Einzellern hochintelligente, widerstandsfähige Humanoiden, die ihre Welt zunehmend technisierten und damit allmählich den Respekt vor den Kräften der Natur verloren. Es handelte sich um einen schleichenden Prozess, in welchem sich die Menschen ihre Lebensgrundlage durch leichtsinnige Zerstörung der Umwelt nach und nach selbst entzogen.

    Ein Häuflein Überlebender flüchtete sich in die weit verzweigten Lavaröhren jenes riesigen Schichtvulkans, welchen die irdischen Astronomen heutzutage Olympus Mons nennen. Buchstäblich in letzter Sekunde vor einem drohenden Vulkanausbruch gelingt es einer relativ kleinen Anzahl von Menschen, ihrer sterbenden Welt zu entkommen. Zwei Raumschiffe brechen hastig auf, um anderswo den Grundstein für neue Zivilisationen zu legen.

    Eines davon reist zum Nachbarplaneten Erde, welcher von den einstigen Marsianern »Terra« genannt wird. Das technisch modernere Generationenraumschiff fliegt mit zehnfacher Lichtgeschwindigkeit ins Sternbild Cygnus, das ca. 2.700 Lichtjahre vom Mars und seinem Sonnensystem entfernt liegt. Dort wartet ein erdähnlicher Planet auf Besiedlung, der nach seiner Entdeckerin Tiberia getauft wurde.

    Während auf Terra ein aggressives Revierund Verdrängungsverhalten zu ständigen Konflikten führt, entwickelt sich auf Tiberia dank des Fehlens konkurrierender Primaten und eines milden Klimas eine geradezu paradiesische Hochkultur.

    Voller Abscheu beobachten die Tiberianer, was auf Terra an ständigen Gewalttätigkeiten, bodenloser Ungerechtigkeit und sinnlosem Streben nach materiellen Gütern vor sich geht. Stellenweise sieht man sich genötigt, höchstpersönlich in den Verlauf der Geschichte einzugreifen, um das Schlimmste für die dort lebenden Menschen zu verhindern. Schließlich handelt es sich um marsianische Brüder und Schwester, die einst denselben Wurzeln entsprungen sind!

    Sämtliche Versuche scheitern. Im Grunde hätten die Tiberianer nach dieser bitteren Erkenntnis einfach ihre halbherzigen Versuche einstellen und die Terraner guten Gewissens sich selbst und ihrem unausweichlichen Schicksal überlassen können. Wenn … ja, wenn da nicht zwischenzeitlich diverse Probleme auf dem eigenen Planeten aufgekeimt wären …!

    So entsteht nach endlosen Beratungen zwischen den Vordersten sämtlicher Sektionen und der Regentenfamilie Tiberias ein wahnwitziger Plan:

    Noch ein allerletztes Mal soll auf Terra im richtigen Moment in die Geschichte eingegriffen werden, und das mittels einer sorgfältig durchdachten Zeitreise! Wenn der Hauptgrund für irdische Kriege schon in der latenten Aggressionsbereitschaft der dort lebenden Individuen sowie einer unterschiedlichen, meistens religionsoder kulturbedingten Weltanschauung zu sehen sind – bitte, dann muss man eben genau dort den Hebel zur Regulierung ansetzen!

    Noch bevor die Menschheit auf Terra ihre industrielle Revolution erlebt und vollends dem rücksichtslosen Kapitalismus erliegt, wird sie sich hoffentlich an eine sanftmütige, friedliche Form des Zusammenlebens gewöhnen. Wissenschaftler Solaras soll als Jesus von Nazareth zu diesem Zweck eigens eine neue Denkweise ins Leben rufen, die hehre Werte wie Respekt vor dem Leben, Duldsamkeit, Liebe und Mitgefühl favorisiert, um die terrestrische Weltgeschichte nachhaltig zu verändern.

    Operation Terra 2.0 – Verhängnisvoller Optimismus (2)

    Im Jordanland angekommen, sorgt die Crew des tiberianischen Raumgleiters für einigen Wirbel. Die Landung in einer spärlich besiedelten Wüste verläuft nicht wie geplant, Improvisationstalent ist gefragt. Die technikverwöhnten Außerirdischen haben mit ihrem stark veränderten Alltag und den terrestrischen Kulturgepflogenheiten zu kämpfen. Es gilt, das mitgebrachte Ungeborene namens Jesus in den Unterleib der Terranerin Maria einzusetzen, ohne dass jemand aus der Bevölkerung dabei etwas Ungewöhnliches bemerkt. Leider geht so einiges schief und Mediziner Gabriel gilt den Terranern fortan als heiliger Himmelsbote, der Maria eine Jungfrauenempfängnis des Königs der Juden angekündigt haben soll.

    Zwischen eitlem Machtgerangel unter den Crewmitgliedern und anderen unvorhergesehenen Schwierigkeiten laufen die Dinge zunehmend aus dem Ruder. Die Gegend ist von einem kriegstreiberischen Volk besetzt. Der Großteil der Bevölkerung fristet bettelarm ein karges Dasein, während sich die römischen Herrscher dekadent im Luxus baden.

    Ausgerechnet in diesem Spannungsfeld voller sozialer Ungerechtigkeit soll der künftige Messias aufwachsen und unbeirrbar seine Mission im Dienste der Menschheit durchziehen!

    Währenddessen stellen auf dem fernen Planeten Tiberia zwei Geschichtsschreiber fest, dass die machtgeile Vorderste Alanna wohl seit längerer Zeit ein falsches Spiel betreibt. Doch diese gewiefte Schlange hat sich mittlerweile den zukünftigen Regenten Tiberias geangelt und wird schon bald vollständige Immunität genießen, wodurch sich gewisse Ungereimtheiten nicht mehr so leicht aufklären lassen.

    Solaras alias Jesus wird geboren, bekommt Besuch von drei merkwürdigen Gestalten und muss sofort in Sicherheit gebracht werden, denn die Geburt eines so genannten Königs der Juden kann der herrschenden Dynastie natürlich nicht gelegen kommen.

    Eines Tages ist es so weit: Jesus zieht predigend durch die Lande, schließt sich mit Gleichgesinnten zusammen und vollbringt Wunder am laufenden Band – nicht ahnend, dass Kalmes alias Maria Magdalena ihn tatkräftig mit technischen Geräten von Tiberia unterstützt.

    Nach einigen Monaten Dauerstress zeigt Jesus erste Ermüdungserscheinungen, denn die Erwartungshaltung unter seinen Jüngern und in der Bevölkerung ist sehr hoch. Die Obrigkeit trachtet schließlich voller Arglist danach, den vom Volk geliebten Messias nach nicht einmal zwei Jahren des mildtätigen Wirkens aus dem Verkehr zu ziehen, bevor seine Philosophie größere Umwälzungen mit sich bringt.

    Im prunkvollen Palast des Sanhedrins zu Jerusalem kommt es kurz vor dem Passahfest zu einer folgenschweren Entscheidung, welche alsbald durch die weltliche Gerichtsbarkeit vollzogen werden soll. Die tiberianische Crew hat indessen längst die Kontrolle verloren, muss tatenlos zusehen und den Ereignissen ihren geschichtsträchtigen Lauf lassen.

    Operation Terra 2.0 – Schöne neue Welt? (3)

    Die Mission steuert auf ihr Ende zu. Kalmes und Solaras haben noch nicht ausgelitten – im Gegenteil! Ausgerechnet zum bevorstehenden Passahfest scheint sich das Schicksal des außerirdischen Messias zu besiegeln. Während »Maria Magdalena« verzweifelt versucht, die Missionskollegen endlich zum Eingreifen zu bewegen, kämpft »Jesus« vor allen Dingen mit beängstigenden Sinneseindrücken. Er ahnt ja noch immer nicht wer er ist, wird aber seit einiger Zeit von Visionen aus seiner früheren Existenz heimgesucht.

    Die Machthaber des Jordanlandes nutzen derweil die Causa Jesus dazu, ihre jeweiligen Machtansprüche auszuleben. Während Statthalter Pontius Pilatus‘ zum Christentum konvertierte Frau den unglückseligen Rabbi retten möchte, gibt es für den selbstgefälligen Hohepriester Kaiphas nur ein Ziel; er trachtet hinterhältig danach, den populären Unruhestifter baldmöglichst ans Kreuz zu nageln.

    Der plötzliche Schock über seine Verurteilung zum Tode bewirkt bei Jesus/Solaras, dass er sich seiner wahren Identität schlagartig wieder bewusst wird. Die Lage ist aussichtslos, denn nun muss der schwer geschundene Tiberianer sein Marterinstrument höchstpersönlich zur Hinrichtungsstätte tragen. Man nagelt den König der Juden ans Kreuz und wartet spottend darauf, dass er das Zeitliche segnen möge.

    In buchstäblich letzter Sekunde gelingt seiner treuen Gefährtin die Rettung, wobei ihr eine zufällige Sonnenfinsternis zu Hilfe kommt. Man bringt den vorgeblich Verstorbenen zu einem kühlen Felsengrab in der Nähe, welches mit einem massiven Stein verschlossen wird.

    Die machtgeile Vorderste Alanna bekommt es auf Tiberia allmählich mit der Angst zu tun, weil sie die Folgen der Mission noch nicht genau abschätzen kann; ihr Sabotageakt ist jedenfalls misslungen. Es kriselt zunehmend zwischen ihr und dem designierten Regenten Kiloon, dessen Frau sie in Kürze werden soll.

    Auf Terra gelingt es der Missionscrew schließlich, ihren Kollegen Solaras zu reanimieren. Kurz vor dem Start zur Heimreise beschließt Leiter Balthasar, den Menschen Terras noch ein Vermächtnis von Jesus zu hinterlassen, um die nachhaltige Wirksamkeit der Mission um ein Vielfaches zu steigern.

    Dank geschickt platzierter Holographen werden kurze Zeit nach Jesus‘ unerklärlichem Verschwinden aus dem Grab einige auserwählte Schlüsselpersonen in den Genuss einer meisterhaft inszenierten Geisterscheinung kommen und den Mythos von einem auferstandenen Messias perfekt machen.

    Die Operation Terra 2.0 ist damit beendet; der Raumgleiter steuert in den Zeittunnel, der ihn nach Tiberia und zurück in die Gegenwart bringen soll. Dort wartet bereits die Elite Tiberias voller Vorfreude, um die erfolgreiche Crew in einem rauschenden Festakt zu ehren.

    Solaras‘ alter Freund Arden, der frischgebackene Vorderste

    der Sektion Geschichte, Archiv und Schrift, wird unfreiwillig zum Drehund Angelpunkt bei der Aufdeckung eines folgenschweren Skandals, welcher von Alanna initiiert und von der nichtsahnenden Regentenfamilie protegiert wurde.

    Beim rituellen Festakt zur Amtseinführung Kiloons und dessen Eheschließung mit der schönen Alanna stellt sich heraus, dass die nagelneue Regentengattin mit den uralten Traditionen bricht und sehr eigensüchtige Pläne für die Zukunft Tiberias schmiedet. Schon bald sind geheime Bauvorhaben, konspirative Treffen und gezielte Desinformation an der Tagesordnung.

    Alanna will den Stammplaneten Mars wieder als habitable Welt reaktivieren, um »ihrem« Volk dort in nicht allzu ferner Zukunft eine neue Heimat zu bieten und sich selbst damit ein Denkmal zu setzen. Für die Erreichung dieses Zieles geht sie skrupellos über Leichen.

    Solaras plagen derweil ganz andere Probleme. Er muss sein Dasein seit der Rückkehr getrennt von seiner geliebten Kalmes fristen, denn nach Beendigung der gemeinsamen Mission darf das Paar nicht mehr sektionsübergreifend kommunizieren.

    So steuert das Schicksal der Liebenden, genau wie dasjenige der beiden Planeten, einer ungewissen Zukunft entgegen …

    Operation Terra 2. 0 – Von kollabierten Träumen (4)

    Dozentin Kalmes ist wegen der dauerhaften Trennung von Solaras gesundheitlich angeschlagen. Ihr alter Missionskollege Gabriel eilt besorgt zu Hilfe und versucht, im Wege einer engen Arzt- Patientenbeziehung ihr Herz zu gewinnen.

    Auf Terra entsteht anstelle der geplanten Reformation des Glaubenssystems, hauptsächlich mangels ideologischer Konkurrenz, schon kurz nach Beendigung der Operation Terra 2.0 eine christliche Diktatur, die alles und jeden bevormundet. Kleriker haben die Macht an sich gerissen. Kritiker und Ungehorsame werden als mysteriöse Todesfälle aufgefunden, die angeblich der Teufel selbst gemeuchelt hat.

    Schnell wird klar: Die Mission verlief alles andere als erfolgreich oder nachhaltig, es muss nach Ansicht von Regent Kiloon zum Wohle der terrestrischen Menschen dringend nachgebessert werden. Schließlich sind die Tiberianer wegen ihres Eingreifens an der Misere maßgeblich schuld.

    Der Regent plant den Start zu einer weiteren Mission, aber Gattin Alanna ist strikt dagegen. Schließlich strebt sie nach wie vor das Ziel an, den Mars erneut zu besiedeln und hierbei die alten Gesellschaftsstrukturen wieder einzuführen. Ein erbitterter Wettstreit entsteht zwischen den Ehegatten, an dessen Ende allerdings beide ihren Willen durchsetzen.

    Auf Terra wird zunächst einen neue Weltreligion etabliert. Ein gewisser Mohammed soll es richten und mit seinen Anhängern ein Gegengewicht zur allmächtigen christlichen Kirche bilden, damit sich die widerstreitenden Lager künftig gegenseitig in Schach halten und auf diese Weise neutralisieren.

    Doch auch dieser Wunschtraum kollabiert, weil die terrestrischen Menschen sich nun erst recht rücksichtslos bekriegen. Kreuzritter, Islamisten und Neonazis treiben in den folgenden Jahrhunderten ihr Unwesen; alternativloser Kapitalismus und zügelloser Konsumwahn regieren auf Terra mit eiserner Hand. Neue Grenzen entstehen, und das sogar mitten durch Europa.

    In der Zwischenzeit läuft die Gesellschaft auf Tiberia ebenfalls zunehmend aus dem Ruder. Alanna, die inzwischen eine Tochter gleichen Namens geboren hat, informiert die Bevölkerung eines Tages von ihren ehrgeizigen Plänen. Dabei ist sie allerdings nicht ganz ehrlich, damit die Menschen ihr kritiklos nachfolgen. So erfindet sie beispielsweise einen zerstörerischen Asteroiden, der angeblich ungesehen auf die Erde zurast. Das Volk feiert sie begeistert, als sie voller Berechnung verspricht, die Terraner vom Mars aus vor dem sicheren Untergang retten zu wollen.

    Nun ist es also beschlossene Sache: Der Mars muss schleunigst wieder bewohnbar gemacht werden. Sämtliche Wissenschaftler des Planeten arbeiten mit Hochdruck an diesem beispiellosen Langzeitprojekt.

    In all dem Chaos finden Kalmes und Solaras wieder zusammen; die Liebenden planen alsbald die gemeinsame Flucht. Sie wollen als blinde Passagiere in einem Raumfrachter zum Mars fliegen und von dort aus mit einem gestohlenen Raumgleiter ins Terra des 21. Jahrhunderts entkommen.

    Während man den Mars nach und nach mithilfe von Atmosphärenkraftwerken, Habitaten und allerlei sonstiger Technik hundert Jahre in der Vergangenheit posthum zu reaktivieren versucht, damit er in der tiberianischen Ist Zeit bereits besiedelt werden kann, brechen die Terraner fast zeitgleich zu ihren ersten bemannten Marsflügen auf.

    Dieses Mal gewinnt die ESA den Wettlauf der Raumfahrtnationen ins All. Die Astronauten und Astrophysiker entdecken dort merkwürdige Anomalien – aber noch ahnen sie nicht, dass sie auf dem roten Planeten Gesellschaft haben werden …

    ***

    Liebe Leserinnen und Leser,

    im Anhang finden Sie ein Glossar, das auch eine Kurzanleitung für das verwendete KINZeitsystem enthält. Wissenswertes über den Planeten Tiberia ist in Band 1 – Menschheit im Exil beschrieben. Jetzt wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung beim Weiterlesen!

    Ihre Autorin Andrea Ross

    Terra, 30. Juli 2023 nach Christus, Sonntag

    Tagelang hatten die terrestrischen Wissenschaftler das Für und Wider erwogen. Konnte, durfte man es wagen, einen nicht identifizierten außerirdischen Gegenstand in ein

    Raumfahrzeug zu bringen – oder diesen gar zur Erde zu transportieren?

    Seit Astronaut Pierre LaSalle den länglichen, metallisch glänzenden Gegenstand in einem Alkoven unterhalb des inaktiven Vulkans Olympus Mons gefunden hatte, war es dem bärtigen ESAAstronom Thomas Maier nicht mehr gelungen, ein Auge zuzutun. Auf seinem Schreibtisch türmten sich leere Kaffeebecher und Dosen, die Energydrinks enthielten.

    Nie hätte er sich im Vorfeld träumen lassen, dass die erste bemannte Marsmission derart spektakulär verlaufen könnte. Zuerst die Gesteinsund Strahlungsanomalie in der CydoniaRegion, die ein Marsrover vor drei Jahren entdeckt hatte, dann vorgestern die zufällige Sichtung einer massiven Metalltür am Ende einer mutmaßlichen Lavaröhre … und nun das.

    Wer jetzt noch allen Ernstes behaupten wollte, es habe auf dem Mars nie höher entwickelte Lebensformen gegeben, konnte wohl nicht ganz bei Trost sein. Und doch würden garantiert wieder abgedrehte Verschwörungstheoretiker wie Pilze aus dem Boden schießen, die frech mutmaßten, die ganze Mission sei getürkt und in Wirklichkeit wie ein lausiges Trashmovie im irdischen Death Valley, Nevada, gefilmt worden.

    Maier und seine Kollegen waren hinund hergerissen. Liebend gern hätten sie die sechs Astronauten der AuroraMission kreuz und quer über den Roten Planeten gejagt, um die vielen Geheimnisse und Hinterlassenschaften aufzuspüren, die hier geduldig auf Entdeckung warteten. Niemand wusste schließlich zu sagen, wann der nächste Marsflug stattfinden könnte. 248 Tage für die einfache Strecke waren kein Pappenstiel, eine gewaltige Belastung für Mensch und Material, von den Kosten ganz zu schweigen. Da konnte man nicht eben mal hinreisen, versunkene Zivilisation hin oder her.

    Andererseits war Marscontrol für die Sicherheit der Missionscrew verantwortlich. Ein klitzekleiner Fehler reichte aus, um deren unbeschadete Rückkehr zu gefährden, wenn sie an Ort und Stelle Untersuchungen vornahm. Unwägbare Risiken galt es tunlichst zu vermeiden.

    Drittens, und diesen Umstand hatte Thomas Maier in der gestrigen Besprechung mehrfach betont, hatte auch die Erdbevölkerung ein Recht darauf, nicht kontaminiert zu werden. Sobald fremde Substanzen, Genmaterial, Bakterien oder Ähnliches wie blinde Passagiere im Raumschiff mit zur Erde reisen würden, wären die Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna unabsehbar – wenn nicht katastrophal.

    Maier plädierte deswegen darauf, LaSalle die Öffnung der im luftdicht versiegelten Alkoven aufgefundenen Kapsel gleich an Ort und Stelle zu genehmigen – selbstverständlich erst nach Durchführung üblicher Sicherheitschecks mithilfe der hochempfindlichen technischen Gerätschaften, über die Aurora verfügte. Für gefährliche Herausforderungen dieser Art waren die Astronauten jahrelang ausgebildet worden und Pierre brannte bereits ungeduldig darauf, dem außerirdischen Gegenstand zu Leibe rücken zu dürfen.

    »Besser wir setzen ein paar Astronauten der Gefahr aus, als gleich die ganze Menschheit in Mitleidenschaft zu ziehen. Da es sich um unsere geschätzten Kollegen handelt, deren Schicksal auch mir selbstverständlich nicht gleichgültig sein kann, will die exakte Vorgehensweise wohlüberlegt sein. Insbesondere müsste man zunächst sichergehen, dass dieses Ding keine schädliche Strahlung absondert und keinen Sprengsatz enthält«, hatte Maier zum Amüsement einiger Kollegen vorgeschlagen.

    Seit dieser Bemerkung kursierten dämliche Witze über fiese

    ›Marsterroristen‹, die seinen weiteren Vortrag gestern Abend empfindlich gestört hatten. Hochintelligente Wissenschaftler konnten ja so unangemessen kindisch sein! Und nun starrte Thomas Maier wieder unbeweglich auf die verzerrte Übertragung vom Mars, wie LaSalle und seine Mitstreiter am Fuße des Vulkans Bodenproben von der Marsoberfläche kratzten. Allmählich schloss sich das Zeitfenster für eine gründliche Erforschung der Lavaröhre, und das machte ihn nervös.

    »Bärchen, es ist endlich soweit! Die Entscheidung ist gefallen. Du sollst dich sofort in Campbells Büro melden!«, brüllte Maiers langjährige Kollegin Sheila, die seit einem halben Jahr neben dem gemeinsamen Projekt auch Wohnung und Bett mit ihm teilte, quer durch den Raum. In ihrer Aufregung hatte sie ganz vergessen, dass sie während der Arbeitszeit keine albernen Kosenamen für ihren Herzallerliebsten verwenden sollte. Zum Glück hatte er den Fauxpas in seiner Erregung überhört.

    Maier nahm seinen Blick vom Monitor, sprang mit leuchtenden Augen auf, flitzte wie ein Derwisch den langen Korridor zu Campbells Büro entlang, wo er ins Schlittern kam und unsanft gegen den Türrahmen prallte. Die verdammte Raumpflegerin hatte den Linoleumbelag gewischt und hinterher wieder mal vergessen, das gelbschwarze Warnschild Caution – wet floor! aufzustellen.

    »Eines Tages breche ich mir in diesem Irrenhaus noch den Hals«, brummte der Wissenschaftler beim Betreten des Raumes kopfschüttelnd. Er rieb sich die schmerzende Schulter.

    Campbell sah missbilligend drein, weil der unkonventionellste seiner ihm unterstellten Mitarbeiter wieder einmal das Anklopfen vergessen hatte.

    »Maier, ich muss Ihnen wohl nicht erst erklären, dass die ESA hier und jetzt Geschichte schreibt, Ihnen somit keinesfalls Fehler unterlaufen dürfen. Sie haben grünes Licht für eine Öffnung des Metallbehälters, war eine einstimmige Entscheidung. Suchen Sie sich umgehend ein Team zusammen und erteilen Sie LaSalle die entsprechenden Anweisungen. Die anderen Astronauten sollen sich derweil in sicherem Abstand zum Fundort aufhalten. Schließlich muss im Falle des Falles jemand die Prozedur zum Rückflug durchführen können.

    Ich hasse es, für diesen Wahnsinn die Verantwortung übernehmen zu müssen, das will ich gar nicht verhehlen. Aber die Weltöffentlichkeit würde jahrelang mit abertausenden Fingern auf uns zeigen, würden wir diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen«, stöhnte Campbell und blickte resigniert gen Zimmerdecke. Seine Gesichtsfarbe wirkte fahl, wahrscheinlich hatte auch er seit vielen Stunden nicht geschlafen.

    »Klar, ich bin mir der Tragweite vollständig bewusst. Danke für das Vertrauen! Bin schon unterwegs«, stieß Maier hervor und trat den Rückweg in seinen Kontrollraum an.

    Er musste sehr aufpassen, dass er vor lauter Euphorie nicht zu hyperventilieren anfing. Freudentränen standen in seinen braunen Augen. Heute ging einer seiner sehnlichsten Träume in Erfüllung. Eine der vagen, aber ständig präsenten Hoffnungen, derentwegen er einst Astrophysik studiert hatte.

    *

    Zwei Stunden später waren die Sicherheitstests beendet. LaSalle hatte keinerlei bedenkliche Stoffe am Metallgehäuse der Kapsel feststellen können. Sie bestand aus Edelstahl, wie man es von der Erde kannte; ein weiterer Hinweis darauf, dass sich, zumindest vorübergehend, eine zivilisierte Gesellschaft dort aufgehalten haben musste.

    Die Durchleuchtung hatte ergeben, dass sich im Inneren ein länglicher, runder Gegenstand befand. Wäre ein und dieselbe Kapsel irgendwo auf dem blauen Planeten gefunden worden, hätte man am ehesten mit einem zusammengerollten Schriftstück gerechnet. Aber auf dem Mars, war das möglich?

    Maier blieb skeptisch. Voreilige Schlüsse konnten leicht das Leben Pierres kosten, sogar die gesamte Mission vorzeitig beenden. Man musste die Neugier bezwingen und weiterhin in alle Richtungen denken. Soeben hob der erfahrene Astronaut seinen riesigen Handschuh mit dem Daumen nach oben, was bedeuten sollte: Alles in schönster Ordnung!

    »Hier Marscontrol! Pierre, eine letzte Frage noch, bevor wir loslegen: kannst du an der Kapsel einen Öffnungsmechanismus erkennen oder müssen wir das Behältnis gewaltsam öffnen? Marscontrol Ende!«

    Nach etwa vierzehn Minuten Funkverzögerung, die aufgrund der erheblichen Entfernung zwischen den beiden Planeten die Kommunikation lähmte, antwortete LaSalle:

    »Verstehe euch laut und deutlich, Kameraden. Ja, hier läuft tatsächlich eine feine Linie über die Mitte der Kapsel, mit dem bloßen Auge ist sie kaum zu erkennen. Könnte sich um eine Nahtstelle handeln. Soll ich jetzt vorsichtig versuchen, die Alien-Blechbüchse aufzukriegen? LaSalle Ende

    Maier beriet sich kurz mit seinem Team, das aus Sheila und dem erfahrenen Astronom Dr. Hendrik-Jan Wendler bestand, die ihn links und rechts flankierten.

    Sporadisch stieß auch Eric Campbell hinzu, der erstens ebenfalls vor Neugier fast platzte und zweitens sichergehen wollte, dass die Funkdisziplin einigermaßen eingehalten wurde. Eine allzu saloppe Ausdrucksweise der Missionsakteure würde sich in späteren Fernsehübertragungen gar nicht gut machen, wenn Bild und Ton live zur Verfügung gestellt werden mussten. Ein bisschen durfte es ruhig menscheln, aber auch hierfür gab es Grenzen. An der Art, wie Maier LaSalle grünes Licht zum Öffnen des glänzenden Behälters erteilte, fand er glücklicherweise nichts auszusetzen.

    Vierzehn Minuten später streckte Pierre wieder den Daumen nach oben und begann, die transportable Isozone aufzubauen. Hierbei handelte es sich um ein kubisches, zeltähnliches Gebilde, das an der Außenseite eine Strahlenschutz-Beschichtung aufwies. Dessen Innenraum war hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt, so dass darin Gegenstände untersucht werden konnten, ohne diese der rauen, dünnen Marsatmosphäre aussetzen zu müssen. Dank eines innovativen Klappmechanismus ließen sich Ultraleichtgestänge und reißfeste Folie relativ schnell entfalten und stabilisieren. Bei Bedarf konnte man die Luft heraussaugen, um ein Vakuum zu erzielen.

    Nachdem die verzerrten, stellenweise wild zuckenden Bilder im irdischen Kontrollzentrum angelangt waren, hielt Thomas Maier vor Spannung die Luft an. Seine Fingernägel krallten sich in die Handflächen, er begann zu schwitzen. Sheila musste ihn wiederholt sanft mit dem Ellbogen in die Seite boxen, um ihn ans Luftholen zu erinnern.

    Der mutige Missionsleiter von Aurora 2023 schickte sich in fünfundfünfzig Millionen Kilometern Entfernung gerade an, einen behutsamen Öffnungsversuch allein mit Muskelkraft zu versuchen. Oder vielmehr hatte er das vor rund vierzehn Minuten getan … wer wusste schon, ob er aktuell überhaupt noch am Leben war! Die Nervosität seiner Zuschauer steigerte sich ins Unermessliche.

    »Schon ziemlich krass, einen Menschen quasi in seiner Vergangenheit zu betrachten, wie er sich in einer überdimensionierten Frischhalteverpackung bemüht, irgendein unheimliches AlienDingsbums aufzuschrauben«, meinte Sheila nachdenklich.

    »Jetzt, wo du es sagst … der schraubt tatsächlich, das ist ein stinknormaler mechanischer Gewindeverschluss«, keuchte Dr. Wendler und kratzte sich ungläubig die Glatze.

    »Schon, aber sieh mal genauer hin! Aus dem breiter werdenden Spalt quillt eine zähflüssige Masse heraus – oder könnte das bloß wieder eine Bildstörung sein? Oh Gott, hoffentlich nichts Giftiges oder Ätzendes …!«

    Noch immer schraubte LaSalle konzentriert, sagte dabei keinen Ton. Die klobigen Handschuhe seines Raumanzugs erlaubten nun mal keine hastigen oder allzu präzisen Bewegungen. Lediglich seine gleichmäßigen Atemgeräusche waren zu hören. Wenigstens etwas! Wer ruhig atmete, konnte zumindest keine ernsten Gesundheitsprobleme haben.

    »Sag doch endlich was!«, murmelte Sheila mit weit aufgerissenen Augen. Eine Nachfrage über Funk hätte wegen der vermaledeiten Zeitverzögerung nichts gebracht. Sie mussten sich also gedulden, bis Pierre von selbst etwas äußerte.

    Da, nun hielt er zwei Teile in der Hand, die Kapsel war vollends geöffnet. In langen, silbrig glänzenden Fäden tropfte tatsächlich eine sirupähnliche Masse aus den beiden Hälften zu Boden. LaSalle griff mit einem pinzettenartigen Werkzeug in die größere und zog langsam und vorsichtig ein dunkles Röllchen daraus hervor. Er leuchtete mit der Helmlampe seines Anzugs in die Kapselteile, schüttelte den Kopf. Scheinbar enthielten sie keine weiteren Gegenstände. Er legte sie zur Seite.

    »Marscontrol, ich hoffe, ihr habt das hier mitbekommen. Ich halte eine Art Folie in Händen, die fein säuberlich aufgerollt ist. Sie schwamm in einer dicklichen Flüssigkeit, die offenbar der Konservierung diente. Außerdem hat sie wohl den Verschluss versiegelt, denn im Gewinde ist sie zu einer Art elastischem Gummi kristallisiert.

    Schade, dass ich diese Folie – oder was auch immer das sein mag – nicht mit bloßen Fingern befühlen kann. Das Material sieht aus wie … hm … wie dünner Kunststoff. Ja genau, wie handelsübliche Plastiktüten von der Erde. Soll ich vorsichtig versuchen, das Ding zu entrollen? LaSalle Ende

    Die drei Verantwortlichen sahen sich gegenseitig an. »Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer weiß, ob das Material den Rückflug zur Erde heil übersteht! Pierre soll das gute Stück auseinanderfieseln und es zur Sicherheit gleich abfotografieren, oder was meint ihr?«, fragte Maier.

    Zwei Minuten später erteilte Thomas Maier dem wartenden Astronauten die entsprechende Anweisung. Die übrigen Mitarbeiter im Kontrollraum sprangen vor ihren jeweiligen Bildschirmen auf und jubelten. Nun mussten sie wieder fast eine Viertelstunde warten, bis der Funkspruch in die Tat umgesetzt wurde. Eine schier endlos lange Zeit!

    In diesem Moment gesellte sich auch Eric Campbell wieder dazu, den die pure Neugier aus seinem Büro getrieben hatte. Im Grunde war er zwar als Ressortleiter für Finanzielles und PRArbeit zuständig – doch dieser Tag im Juli 2023 war dermaßen geschichtsträchtig, dass er die Vorgänge auf dem Mars unbedingt live miterleben musste. Man brachte ihn kurz auf den neuesten Stand, dann klebte auch er mit den Augen abwechselnd an der Uhr und auf dem riesigen Monitor. Sein Smartphone, das in der Hosentasche unablässig klingelte, stellte er kurzerhand auf stumm.

    Ein Raunen ging durch den Kontrollraum, obwohl Gespräche unter den Mitarbeitern während der heißen Phase der Mission unerwünscht waren. Man konnte wegen der Ablenkung allzu leicht eine blinkende Anzeige übersehen, was fatale Konsequenzen für die Kollegen auf dem Mars nach sich zöge. Doch wer wollte den ESAMitarbeitern übel nehmen, dass sie vor lauter Aufregung Mutmaßungen anstellten, ob es sich bei dem folienähnlichen Gegenstand wohl um ein Schriftstück handelte? Denn genau danach sah es aus.

    Zwischen Tiberia und Mars, KINZeit: 13.5.15.15.0, Samstag

    In den frühen Morgenstunden brach der Raumfrachter Deep Red Planet planmäßig gen Mars auf, um ein ehrgeizi ges MarsformingProjekt zu starten. Unmengen von Material, Verpflegung und Ausrüstung sollten dorthin transportiert werden, damit schon in Kürze das erste Habitat bezogen und mit der langwierigen Arbeit begonnen werden konnte. Der Zeittunnel war stabilisiert; er reichte bis zu einer hüge ligen Stromtalregion auf der staubtrockenen Marsoberfläche, die die nichts ahnenden Wissenschaftler auf Terra als ChryseBecken bezeichneten. Der Frachter würde den Roten Planeten selbstverständlich von der erdabgewandten Seite her ansteuern, damit er für die Hochleistungsteleskope der neuen Generation unsichtbar blieb.

    Leider musste später auch bei Arbeiten auf der Oberfläche jederzeit mit neugierigen Blicken gerechnet werden, denn die ehrgeizigen Wissenschaftler Terras entwickelten ihre, im Augenblick reichlich dilettantische, Technik stetig weiter. Noch durften sie aus taktischen Gründen nichts darüber erfahren, was auf ihrem Nachbarplaneten vor sich ging. Tarnung war somit unabdingbar.

    Nach der terrestrischen Zeitmessung schrieb man am Tag des Aufbruchs von Tiberia den 22. Februar des Jahres 2127. Die Reise mit Warp-Geschwindigkeit ging jedoch in die Vergangenheit des Mars zurück. Am Ende der künstlich generierten Raumzeitkrümmungszone galt deswegen, jedenfalls nach dem gregorianischen Kalender, das Datum 10. Oktober 2016.

    Wieder einmal hatten Tiberias Regenten beschlossen, posthum bahnbrechende Ereignisse in der Vergangenheit zu lancieren, um den leblosen Planeten Mars in der tiberianischen Ist-Zeit bereits neu besiedeln zu können. Ein überaus ehrgeiziges, aber durchaus machbares Projekt, an dessen Gelingen insbesondere der amtierenden Regentin Alanna extrem viel lag. Sie lebte – wie üblich – unverhohlen ihre Egozentrik aus, wollte sich ein unvergängliches Denkmal setzen, indem sie ›ihr‹ Volk wieder in die alte Heimat zurückführte.

    Der Frachtraum vibrierte, als die Deep Red Planet kontrolliert durch den, mithilfe dunkler Materie erschaffenen, Zeittunnel schlingerte. Zwei verliebte Tiberianer saßen eng aneinandergeklammert in einem blauen UniblockKlappbehälter, der um ihre Körper herum üppig mit Decken, Wasserbehältern und haltbaren Lebensmitteln ausgepolstert war. Nur wenige Habseligkeiten hatten sie von ihrem Heimatplaneten Tiberia mitnehmen können, obwohl es sich hier definitiv um eine Reise ohne Option zur Wiederkehr handelte.

    Zum allerersten Mal flogen Kalmes und Solaras ohne wissenschaftlichen oder kulturellen Auftrag in das ferne Sonnensystem; niemand ahnte indes, dass sie sich in der verregneten Nacht vor der Abreise heimlich an Bord geschlichen hatten. Die Liebenden befanden sich auf der Flucht, und zwar vor Intoleranz, Revolten und einer jählings aufkeimenden Diktatur, die ihnen während der letzten TUNs schier jede Lebensgrundlage unter den Füßen weggezogen hatte.

    Ihr Endziel war allerdings nicht der Mars, sondern vielmehr das benachbarte Terra, wo sie im Rahmen der Operation Terra 2.0 lange Zeit als Maria Magdalena und Jesus von Nazareth gelebt und gelitten hatten. Auf diesem vertrauten blauen Planeten hofften sie nun, inkognito, Ruhe und Frieden zu finden – und zwar zusammen, als Paar. Genau das hatte man ihnen auf Tiberia verwehrt.

    Schon nach wenigen Minuten stöhnte Kalmes laut auf, weil ihr die Vibrationen im Zeittunnel körperlich stark zusetzten. Der mit Plantolaan verkleidete Laderaum des Frachters war hinsichtlich solcher Einflüsse natürlich viel weniger gut abgedämmt als die Fluggastzelle und das Cockpit, denn diese für Menschen vorgesehenen Bereiche verfügten über äußerst leistungsfähige Schwingungsdämpfer und Spezialsitze zum Schutz der Wirbelsäule.

    Man ging auf Tiberia nicht ernsthaft davon aus, dass jemand derart unvernünftig sein könnte, im Laderaum mitzufliegen – was allerdings den Vorteil barg, dass dieser vor dem Abflug nicht allzu intensiv auf blinde Passagiere kontrolliert worden war. Ein Scanner überprüfte lediglich jeden Behälter automatisch darauf, ob explosive Substanzen oder elektronische Störgeräte an Bord gelangten. Vor möglicher Sabotage war man auch auf Tiberia nicht gefeit.

    Gleichwohl glaubten Kalmes und Solaras mit hinreichender Sicherheit zu wissen, dass man die beschwerliche Reise trotz aller Unannehmlichkeiten zumindest überleben konnte, weil ihr ehemaliger Missionskollege Balthasar vor einiger Zeit auf dieselbe Art und Weise nach Terra gelangt war. Die eindeutigen Spuren, die man damals hinter der Innenverkleidung im Frachtraum des Gleiters gefunden hatte, ließen darauf schließen, dass er nach der Landung noch gelebt und sich auf seinen eigenen Füßen von dannen gemacht haben musste.

    Während Kalmes sich würgend in ein dafür vorgesehenes Behältnis erbrach, klammerten sich Solaras‘ schlanke Finger schützend um einen grünen Stoffbeutel; er enthielt einen Holographen, der den außerirdischen Flüchtlingen quasi als VIPEintrittskarte in die terrestrische Gesellschaft dienen sollte.

    Jemand, der die Bevölkerung vor einem bislang unentdeckten, herannahenden Asteroiden warnte, musste von den Menschen doch eigentlich mit offenen Armen empfangen werden

    … hoffentlich!

    Terra/Mars, 30. Juli 2023 nach Christus, Sonntag

    Quälend langsam verstrichen die Minuten, als Pierre LaSalle behutsam, Zentimeter für Zentimeter, den Inhalt der Metallkapsel entrollte. Es stand zu befürchten, dass

    das womöglich uralte Material brüchig wurde, ihm unter den Fingern zu Staub zerfiel. Doch nichts dergleichen geschah. Am Ende der langwierigen Prozedur hielt er ein zirka dreißig Zentimeter breites und achtzig Zentimeter langes, vollkommen intaktes Stück Plastik in der Hand.

    Das dunkle, fast schwarze Material schien in unregelmäßigen Abständen Flecken aufzuweisen, mehr konnte man von der Erde aus nicht erkennen. Maier stand gefühlt kurz vor dem Wahnsinnigwerden.

    LaSalle legte den kostbaren Jahrhundertfund über den Deckel einer weißen Transportbox, wodurch die vermeintlichen Flecken auf einmal deutlicher zu sehen waren.

    »Das sind Buchstaben«, keuchte er, als hätte ihm jemand einen kräftigen Schwinger in die Magengrube verpasst. »Aber nicht etwa kryptische Hieroglyphen, der Text ist mit unserem lateinischen Alphabet verfasst … ich kann das lesen! Die … wer auch immer … haben das in der Universalsprache Latein gestochen scharf aus diesem Werkstoff gestanzt! Es scheint sich um eine Botschaft zu handeln, die uns absichtlich hinterlassen wurde … nur, von wem? Leute, ich will jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen – aber liegt da nicht der Schluss nahe, dass Menschen hier gewesen sein müssen? LaSalle Ende

    Er kramte gemächlich in einer anderen Box, holte die sperrige FotoSpezialausrüstung hervor. Auftragsgemäß fotografierte er das Schriftstück von allen Seiten, jedes Detail einzeln. Danach verstaute er die Kamera wieder mit größter Sorgfalt im staubdichten Container und begann endlich in feierlichem Tonfall vorzulesen: »Et est nomen meum Karon. Quamque nuper sum de eo chronicler recentiorum Mars coloniam adhuc habitabilis … «

    »Oh Gott …!«, quetschte Maier noch mühsam hervor, dann fiel der stark übergewichtige Astrophysiker zu Sheilas Entsetzen einfach um. Tagelange Schlaflosigkeit, stark erhöhter Koffeinkonsum und helle Aufregung hatten ihren Tribut gefordert.

    *

    Sheila Taylor tupfte die Stirn ihres Liebsten fürsorglich mit einem feuchten Handtuch ab. Niemand hatte sich getraut, den Ohnmächtigen in der heißen Phase der Marsmission ins Krankenhaus zu bringen, und so lag er auf der cremefarbenen Ledercouch in Campbells Büro. Seine Lider flatterten, die Glieder zuckten – allmählich schien er wieder zu sich zu kommen. Die Wissenschaftlerin eilte fliegenden Fußes davon, um ein Glas kühles Wasser zu holen.

    »Was … wo … habe ich das bloß geträumt?«, stammelte er drei Minuten später, rieb sich den schmerzenden Hinterkopf.

    »Falls du wissen möchtest, ob auf dem Mars tatsächlich eine in Latein beschriftete Rolle aufgetaucht ist – ja, mein Lieber, es ist wahr«, grinste Sheila und drückte ihn mit der flachen Hand auf die Couch zurück. »Du bleibst noch ein Viertelstündchen schön brav liegen, Mike und Juan vertreten uns derweil. Sonst fahre ich dich nämlich doch noch in die Klinik!«, drohte sie mit erhobenem Zeigefinger.

    Maier stöhnte, dieses Mal aber nicht wegen der Kopfschmerzen. »Hast du wenigstens mitbekommen, was sonst noch auf der Folie geschrieben stand?«

    »Nicht detailliert«, gestand die dreißigjährige Britin. »Aber du weißt ja, wie die Leute sind – man spekuliert bereits munter, ob der Verfasser der Botschaft, dieser Chronist Karon, klein und grün oder eher grau sein könnte. Ob er womöglich derselben Rasse angehörte wie jene Aliens, welche 1947 angeblich mit ihrem Raumschiff in Roswell abgestürzt sind und deren Leichen seither in Area 51 verwahrt werden, sofern man den UFOJüngern Glauben schenken möchte.«

    »Einfache Gemüter. Keinerlei Beweise, aber das Maul sperrangelweit aufreißen und im Brustton der Überzeugung spekulieren – bis der Arzt kommt! Und die sensationsgeilen Scheißmedien hofieren diese Spinner, machen gar einen Hype draus«, knurrte Thomas Maier abfällig in seinen Vollbart.

    Eric Campbell betrat sein Büro. »Na, wieder wohlauf? Dann sollten Sie beide schleunigst an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren, damit Sie nichts verpassen. Das aufgefundene Dokument scheint am Ende einen fremdartigen Zeichencode zu enthalten, mit dem man angeblich die schwere Metalltür am Ende der Lavaröhre geöffnet bekommt.«

    Nun gab es kein Halten mehr. Das feuchte Handtuch flog zu Boden, und das Physikerpaar rannte Hand in Hand Richtung Kontrollraum davon.

    »Wissenschaftler … alles totale Chaoten!«, schimpfte Campbell, während er sein Büro aufräumte. Den graumelierten Endfünfziger hätte man durchaus als perfektionistischen Pedanten bezeichnen können; eine leicht verrutschte Couch, ein leeres Glas nebst Wasserrand auf seinem Schreibtisch und ein Handtuch auf dem Fußboden konnten ihn mühelos aus dem Konzept bringen, wohingegen er knifflige Berechnungen und anstrengende Debatten kühlen Kopfes meisterte. Es bereitete ihm kaum Probleme, mit einem Etat von ein paar Millionen Euro um sich zu werfen – sobald aber ein Fleck auf seiner Hose landete, geriet das für ihn zu einer mittelschweren Katastrophe. Bei Kleinigkeiten wie diesen gebärdete er sich geradezu panisch, als habe es soeben einen lebensbedrohlichen BiohazardVorfall gegeben.

    Während der Ressortleiter genervt über menschliche Unzulänglichkeiten philosophierte, beobachteten seine Kollegen im Kontrollzentrum mucksmäuschenstill, wie Pierre LaSalle das geschichtsträchtige Aliendokument behutsam in die Zeitkapsel zurücksteckte und damit begann, die Isozone abzubauen.

    Thomas Maier war derweil anderweitig beschäftigt; er sah sich nachträglich die Aufzeichnung der Vorlesung an, die er verpasst hatte. Er hatte Sheila zuvor versprechen müssen, cool zu bleiben und sich danach eine Stunde hinzulegen, denn solange würde Pierre sowieso brauchen, bis er den Eingangsbereich des Portals nach einer Eingabemöglichkeit für den Zeichencode abzusuchen vermochte.

    Seine Kollegen diskutierten sich bereits die Köpfe heiß, ob man es wagen könnte, für die Bewältigung dieser Aktion einen zweiten Astronauten abzustellen. Fatalerweise mussten Entscheidungen auf dem Mars zeitnah getroffen werden. Es blieb keine Zeit, reihenweise Experten für Dies und Jenes zu konsultieren.

    Die Verantwortung lastete tonnenschwer auf dem Bodenpersonal der AuroraMission – viel schwerer, als die Wissenschaftler es sich jemals hätten träumen lassen. Mit ein paar Sensatiönchen hatte man durchaus gerechnet, aber bestimmt nicht mit einem solchen Wahnsinnsfund.

    Mars, KINZeit: 13.0.3.15.10, terrestrische Zeit: 11. Oktober 2016 nach Christus, Dienstag

    m Schutze der Dunkelheit setzte die Deep Red Planet zur Landung auf dem Mars an. Solaras und Kalmes bekamen von der Ankunft allerdings nichts mit, denn beide waren im letzten Drittel der Reise von Bewusstlosigkeit übermannt worden. Verzerrte Doppelbilder, die das Sehvermögen jedes Zeitreisenden beim Abbremsen narrten, hatten ihnen neben Erbrechen und Schwindelanfällen den Rest gegeben. Andernfalls hätten sie wohl voller Erstaunen registriert, dass am Zielort bereits eine notdürftig angelegte Infrastruktur existierte, die der MarsformingCrew für zukünftige Arbeitseinsätze als Ausgangsbasis dienen sollte.

    Der Raumfrachter legte nach dem Austritt aus dem Zeittunnel eine sanfte Bilderbuchlandung hin. Die Warptriebwerke wurden abgeschaltet, das unangenehme Vibrieren und Dröhnen erstarb. Tiberianische Arbeiter aus der Sektion Landwirtschaft und Versorgung hatten bei einem ersten Einsatz ein ausreichend großes Territorium von Geröll befreit und eine unterirdische Lagerhalle reaktiviert, die sogar noch aus den mehr als drei CALABTUN zurückliegenden Zeiten der Erstbesiedelung stammte.

    Hier, genau an diesem Ort, an dem jetzt der Frachter auf seinen Teleskopbeinen ruhte, sollte in Kürze das erste Habitat entstehen, und gleich daneben lag die Baustelle für die vier pyramidenförmigen Atmosphärenkraftwerke.

    Das tiberianische Schiff der Baureihe LHT 341120 war lediglich sieben Meter vom Eingang der Halle entfernt zum Stehen gekommen – eine Meisterleistung des Navigators, besonders wenn man bedachte, dass man am Ende des künstlich geschaffenen Wurmlochs förmlich aus dem Nichts fiel und innerhalb weniger Sekunden die manuelle Kontrolle übernehmen, sich orientieren und zudem das Aufsetzen manuell steuern musste. Die Luke der Kommandobrücke öffnete sich mit einem Zischen, woraufhin sich ein begehbarer Steg gemächlich zu Boden schob. Dezente Punktbeleuchtung wies den Weg hinunter zur staubtrockenen Oberfläche des Planeten.

    Eine fünfzehnköpfige Arbeitscrew verließ die Deep Red Planet mit wackligen Knien. Alle steckten in braunen Raumanzügen, die gleichwohl mit den sperrigen Dingern von Terra so gut wie nichts gemein hatten. Sie bestanden aus einem federleichten und doch reißfesten und strahlenabweisenden Gewebe, das an seiner Innenseite für ein angenehmes Körperklima sorgte.

    Hitze, Kälte und Staub konnten dem Träger nichts anhaben. Keine dicken Schläuche und keine klobigen Stiefel behinderten die extraterrestrischen Raumfahrer beim Gehen. Man wickelte sich einfach eine zirka 40 Zentimeter breite Binde eng um den Körper, einschließlich Händen und Füßen, ähnlich wie man das auf Terra nach Knochenbrüchen mit Gips handhabte – und schon verband sich das Material zu einer einzigen elastischen Hülle, die keinerlei Brüche oder Löcher aufwies. Dazu konnte man ganz normale Stiefel und Arbeitshandschuhe tragen.

    Selbst luftdicht schließende Helme waren überflüssig, tiberianische Astronauten trugen lediglich leichte Schalen aus Verbundstoff zum Schutz vor herabfallender Materie. Sie schnallten sich bis zur Taille reichende, flache Rucksäcke auf den Rücken, die sich bis um die Schultern und den Hals schmiegten. Einer Unzahl an Düsen, die rund um die Schulterpartie angelegt waren, entströmte eine auf Terra noch unbekannte Gasmischung. Diese stetig wie eine Wolke um den Kopf wabernden Gase bildeten einen unsichtbaren Schutzschild vor schädlicher Strahlung, wirkten zugleich keimtötend und konnten eingeatmet werden. Zudem erzeugte eine hauchdünne, kaum sichtbare Folie die passenden Druckverhältnisse. So entfiel das Herumtragen einer zusätzlichen Sauerstoffflasche, der Kopf war von der Außenwelt hermetisch abgeschirmt.

    Es galt nun, den strahlend weißen Frachter schleunigst unter rotbraunen Tarnnetzen zu verbergen, die farblich haargenau der Umgebung angepasst waren. Sobald der Mars diese Region in einigen Stunden wieder dem Planeten Terra zuwandte, durfte schließlich von dort aus kein noch so winziger Hinweis auf die Anwesenheit intelligenter Lebensformen sichtbar sein. Leider funktionierte der Tarnschild des Frachters nur bei eingeschalteten Triebwerken, sodass man hierauf nicht mehr zurückgreifen konnte.

    Keinen einzigen Lichtpunkt, keine verräterische Form sollten die Teleskope ins Visier nehmen können. Fieberhaft arbeiteten die Männer und Frauen der Crew an dieser Mammutaufgabe; sie hatten während der wochenlangen Übungen auf Tiberia Perfektion erreicht.

    In Rekordzeit verschwand das hauptsächlich aus Plantolaan und leichten Metalllegierungen bestehende Ungetüm vor Aller Augen. Gleich darauf entriegelte der Kapitän von der Brücke aus per Sprachbefehl die monströse Ladeluke. Der Frachtraum ließ sich dennoch ausschließlich durch eine luftdichte Schleuse betreten, weil die scharfkantigen Sandpartikel dieses Planeten keinesfalls bis in den Innenraum des Frachters gelangen durften. Das feinkörnige Zeug war leider allgegenwärtig.

    Ein mühseliges Stück Arbeit lag vor der Crew. Zuerst sollten die drei kleinen, wendigen Raumgleiter entladen werden, mit denen man sich später hier fortzubewegen gedachte. Sie boten lediglich Platz für maximal drei Personen und ein wenig Gepäck, waren für Kurzstrecken vorgesehen. Gleichwohl gestattete der leistungsfähige ImpulsAntrieb beträchtliche Reisegeschwindigkeiten, sodass beispielsweise die Strecke Mars – Terra innerhalb von drei Tagen zu bewältigen war.

    Anschließend kamen nach Plan die Uniblocks an die Reihe. Ein jedes dieser genormten Packstücke musste erst durch die Luftschleuse bugsiert werden, und das alles mithilfe sogenannter Aeropads, die ungefähr wie schwebende Schubkarren aussahen.

    So bemerkten die beiden blinden Passagiere eine halbe Stunde nach dem Aufsetzen noch immer nicht, dass sie ihr Etappenziel erreicht hatten. Verrenkt und blass lagen sie in ihrem UniblockBehälter, der zusammen mit vielen gleichartigen Bausteinen ganz hinten an der Rückwand verzurrt stand. Solaras hatte den Platz mit Bedacht gewählt, denn diese Seite würde garantiert zuletzt entladen werden.

    *

    Kalmes erwachte als Erste, sie war noch immer benommen und zittrig. Starke Kopfschmerzen drohten ihr den Schädel zu sprengen, jeder Herzschlag pumpte eine neue Welle der Pein in ihr Gehirn. Übellaunig brachte sie ihren Oberkörper in die Senkrechte, ganz langsam und vorsichtig.

    Die ehemalige Dozentin für Bildung und Ideologie benötigte fast zwei Minuten um vollständig zu realisieren, wo sie und Solaras sich aktuell befanden. Die Erkenntnis über ihre gefährliche Lage jagte ihr einen Schreck ein; hatte sie nicht Stimmen vernommen, die sich allmählich zu nähern schienen? Sie mussten so schnell wie möglich von hier verschwinden!

    »Gefällt mir gar nicht, dass wir heute gleich mit dem Ausladen anfangen sollen. Erstens fühle ich mich nach Flügen durch den Scheißtunnel immer für den Rest des KIN wie gerädert, zweitens müssen wir für heute sowieso bald Schluss machen, damit die unterbelichtete Bagage auf Terra uns keinesfalls beobachten kann. Aber nein – man lässt uns bis zum Umfallen schuften, bloß weil unsere Frau Regentin ständig Druck macht. Soll sie ihren Knackarsch halt selbst hierher schaffen und mithelfen, wenn sie meint. Wir von Landwirtschaft und Versorgung sind doch jedes Mal die Deppen fürs Grobe«, schimpfte eines der Crewmitglieder.

    »Ja, stimmt genau! Ich werde mir jedenfalls kein Bein ausreißen. Wir lassen uns Zeit damit. Mir ist sowieso schlecht, muss aufpassen, dass ich nicht alles vollkotze«, entgegnete der zweite Arbeiter und gähnte.

    »Na ja, hoffen wir einfach, dass die Revolte unserer Sektion auf Tiberia in der Zwischenzeit voll in Gang kommt und sich die Verhältnisse grundlegend geändert haben, wenn wir nach dem Einsatz zurückkommen.«

    »Sei lieber still! Man weiß nie, ob hier nicht ein paar Augoren installiert wurden. Tiberia ist immer und überall«, warnte der andere Mann mit gedämpfter Stimme. »Komm, zwei von den Gleitern schaffen wir noch. Wir überführen sie in die Halle, aber dann ist endgültig Feierabend!«

    Die Arbeiter entfernten sich schlurfend. Sie waren noch nicht ganz an der Schleuse angekommen, da erwachte Solaras mit einem laut vernehmlichen Stöhnen aus seiner Ohnmacht. Kalmes presste ihm sofort eine Hand fest auf den Mund, doch die Männer waren bereits stutzig geworden. Sie blieben stehen.

    »Hast du da hinten auch etwas gehört? Hoffentlich hat uns niemand belauscht!«

    Sein Kollege winkte ab. »Ach Quatsch, wir waren die Einzigen und Ersten, die den Frachtraum seit dem Aufsetzen betreten haben. Bestimmt ist wegen dem ständigen Rütteln bloß ein Uniblock verrutscht, das hört sich manchmal so an. Los, hauen wir ab, bevor der Obermotz uns suchen kommt!«

    Die Schleuse schloss sich zischend hinter den beiden, und Kalmes nahm endlich ihre Hand aus Solaras‘ Gesicht.

    »He, was machst du denn? Ich konnte kaum atmen«, maulte Solaras keuchend, der noch nicht ganz bei Sinnen war. Beide Flüchtlinge holten tief Luft, dann setzte ihn seine Gefährtin kurz und knapp über die erfolgte Landung in Kenntnis.

    »Wir sollten abwarten, bis sie zwei der Gleiter entladen haben. Anschließend müssen wir noch für eine Weile hier heimlich, still und leise ausharren. Wir entriegeln nach einer angemessenen Wartezeit Schleuse und Ladeluke manuell von in nen, schnappen uns den dritten Raumgleiter und machen uns unverzüglich auf den Weg nach Terra. Ein echter Glücksfall für uns, dass die Arbeiter heute nicht mehr alles auszuladen gedenken. Sonst hätten wir ganz schön improvisieren müssen«, freute sich Kalmes.

    Solaras‘ Gehirn verweigerte jedoch immer noch weitgehend den Dienst, er sinnierte angestrengt.

    »Und woher wissen wir, wann die Luft rein ist? Was wäre, wenn sie eine Wache aufgestellt hätten? Es gibt hier kein Fenster, durch das wir uns vergewissern könnten«, stellte er fest und rieb sich seufzend die Schläfen.

    »Wir müssen volles Risiko gehen und einfach darauf vertrauen, dass die Crew nur noch am Ausruhen interessiert ist. Die werden sich bestimmt alle gleich nach dem Dienst hinlegen wollen, mir persönlich wäre schließlich jetzt auch danach. Und wieso sollten sie eine Wache am Frachter aufstellen – auf einem bis dato definitiv menschenleeren Planeten?«, grinste Kalmes augenzwinkernd.

    »Stimmt … das hatte ich glatt vergessen. Weißt du was? Mir wäre lieber, wenn du heute das Denken für mich mit übernehmen könntest. Lass uns jetzt besser die Sachen zusammensuchen, die wir nachher in den Gleiter umpacken wollen.

    Igitt, riecht das hier streng … wenn wir nicht bald aus diesem besudelten Uniblock herauskommen, wird mir bestimmt gleich noch einmal übel.«

    *

    Das Entladen des ersten Raumgleiters bereitete den tiberianischen Arbeitern keine Freude. Stürmischer Wind kam auf, trieb rotbraune Staubteufel vor sich her. Man sah kaum die Hand vor Augen. Es dauerte deswegen ungewöhnlich lange, das Fluggerät hinaus zu bugsieren und zum nahen Hangar zu überführen.

    »Wir machen Schluss für heute!«, brüllte einer der Männer gegen das Tosen und Heulen des Windes an. »Die scharfkantigen Partikel ruinieren uns noch die Raumanzüge und schmirgeln womöglich die Oberflächen der Gleiter ab. Ich verspüre außerdem keine Lust, zum Schluss tonnenweise Sand aus der Schleuse zu saugen und Schäden zu reparieren. Wir machen Feierabend. Morgen ist schließlich auch noch ein KIN!«

    Drinnen warteten Solaras und Kalmes darauf, dass die Männer zurückkehrten. Doch dies geschah seltsamerweise nicht. Nach einer schier endlosen Wartezeit erhob sich letztere mit schmerzenden Gliedern, streckte sich und gähnte.

    »Wir müssen los. Die werten Kollegen aus der Sektion Landwirtschaft und Versorgung kommen heute Abend wohl kaum mehr zurück, haben scheinbar ihre Pläne geändert. Ich öffne die Schleuse, dann werfen wir einen vorsichtigen Blick nach draußen«, kündigte die Dozentin pragmatisch an.

    »Wenn du meinst? Ich hätte lieber noch gewartet«, brummte Solaras und schüttete sich ein wenig kühles Wasser übers lange Haar. Der Gedanke, in dieser desolaten Verfassung schon in Kürze einen Raumgleiter steuern zu müssen, schmeckte ihm überhaupt nicht. Er sah immer noch verzerrte Doppelbilder.

    Missmutig griff der geflohene Wissenschaftler nach den superelastischen PlantolaanBinden, mit denen er und Kalmes sich gegenseitig bis hinauf zum Hals umwickeln mussten, um jeden Millimeter ihrer Körper vor der lebensfeindlichen Außenwelt zu schützen. Binnen weniger Augenblicke konnte man zusehen, wie sich die einzelnen Wickellagen zu einem Ganzkörperanzug verbanden. Sie schulterten die Gasrucksäcke und ränderten die Schutzatmosphäre aus transparentem Kunststoff um den Hals, dann ließen sie das Gasgemisch einströmen. Die Nähte hielten dicht, die Folie blies sich auf.

    Kalmes nestelte gleich darauf konzentriert am mechanischen Öffnungsmechanismus. Dieser war mehrfach gesichert, damit die hermetische Versiegelung des Laderaums auch während unsanfter Flüge sicher geschlossen blieb. Abschließend musste sie eine vierstellige Zeichenfolge einstellen, die in den Verbundstoff der Innenverkleidung, direkt neben der Vorrichtung, eingeprägt war. Der massive Riegel klackte zurück. Ein Zischen verriet dem Paar, dass die Luftschleuse sich öffnete. Solaras fuhr bei dem lauten Geräusch erschrocken zusammen.

    Die Luke selbst ließ sich wiederum nur entriegeln, wenn man die Schleusentür hinter sich wieder schloss. Kalmes tat es mit flinken Fingern. Danach zog sie am Hebel, und die Lukentür glitt mit einem schabenden Geräusch zurück. Der feine Sand hatte hier offenbar schon Schaden angerichtet.

    Solaras‘ Befürchtung, dass man das Schaben außerhalb des Frachters gehört haben könnte, erwies sich schnell als gegenstandslos. Der Sturm hatte noch zugenommen, zwirbelte Unmengen an Marsstaub vom Boden, peitschte ihn kreuz und quer durch die Landschaft und trug ihn weit in die Höhe.

    Solaras und Kalmes lugten gemeinsam aus der Öffnung, unsicher, was sie da erwarten könnte. Sandkörner prasselten hart auf die reißfeste Folie ein, die bei tiberianischen Raumanzügen die Helme ersetzte.

    »Keine Chance, in diesen entfesselten Naturgewalten etwas zu erkennen. Am besten, wir sehen uns kurz draußen um und entladen einen der Gleiter. Egal wie schlecht die Sichtverhältnisse sind – wir müssen unverzüglich los! Sollte sich das Wetter in der nächsten Zeit bessern, will die Crew bestimmt weiter ausladen«, mutmaßte Kalmes achselzuckend.

    »Bei diesen extremen Windböen starten? Das wäre nicht ungefährlich!«, gab Solaras zu bedenken.

    »Das weiß ich. Es hat auch niemand behauptet, dass unsere Flucht ein Zuckerschlecken wird. Falls der Start gelingt, verschafft uns der Sturm einen Vorsprung. Bis sie morgen das Fehlen des Gleiters bemerken, befinden wir uns schon auf dem halben Weg nach Terra.«

    Ihr Begleiter nickte nur und stieg ins Cockpit des Raumgleiters, der der geöffneten Luke am nächsten stand. Ein Pfeifton, der immer höher wurde, signalisierte, dass er die Impulstrieb werke gestartet hatte. Kalmes raffte im Uniblock schnell ihre wenigen Besitztümer zusammen, dann stieg auch sie behände in den Gleiter. Ein Knopfdruck auf dem Panel zwischen den Sitzen, und ihr Körper wurde in den ergonomischen Schalensitz gesaugt, der sich augenblicklich ihren Konturen anpasste.

    Langsam schwebte das silberglänzende Gefährt durch die Schleuse. Die Sinne der beiden Insassen waren zum Bersten angespannt. Gleich wären sie im Freien … Kalmes‘ rot geränderte Augen tasteten die Umgebung ab. Sie hätte beim besten Willen nicht sagen können, ob sich Hindernisse in der Nähe befanden. Vor der rundum laufenden Scheibe erkannte man nichts anderes als rotierende Staubschlieren, die stetig die Richtung änderten.

    Gleich nach dem Verlassen der Schleuse erfasste eine Windbö das kleine Raumfahrzeug, schleuderte es scheppernd gegen die Außenwand des Frachters. Unwillkürlich schrie Kalmes auf. Solaras versuchte verzweifelt, die Steuerkontrolle zu bekommen. Vergeblich. Der Gleiter schlingerte wild hin und her, auf und ab, als besäße er gar keinen Antrieb. Es war vollkommen unmöglich, auszusteigen und die Luke des Frachters von außen wieder zu verriegeln. Sie mussten steil senkrecht aufsteigen, und das zügig.

    Es war lediglich einem gnädigen Zufall zu verdanken, dass in diesem Augenblick der Wind zwar stark, aber für einige Minuten nur noch aus einer Richtung wehte. So konnte Solaras den Gleiter mit voller Kraft gegen den starken Windstrom drücken und halbwegs kontrolliert neben einer Windsäule nach oben gleiten. Dennoch wurden sie ordentlich durchgeschüttelt. Oft drehte sich das scheibenförmige Vehikel um die eigene Achse und erschwerte dem Navigator so die Orientierung.

    Als sie die dünne Marsatmosphäre erreichten und das Tosen verschwunden war, atmeten beide auf. Solaras‘ Hände zitterten stark, er war einem Nervenzusammenbruch nahe. Seine CoPilotin überprüfte rasch die Bordinstrumente und stellte beruhigt fest, dass ihnen niemand zu folgen schien. Endlich konnten sie es wagen, die Innenbeleuchtung des Cockpits anzustellen.

    »Ich gäbe etwas drum, jetzt eine Pause einlegen zu können«, keuchte Solaras erschöpft. »Aber es hilft alles nichts – also auf nach Terra, in unser neues Leben.«

    »Tja, was soll ich dazu sagen? Ich habe ein paar TUNs mehr auf dem Buckel. Frage daher besser nicht, wie es mir gerade geht. Halte noch ein wenig durch, dann übernehme ich und du kannst dich ausruhen. Du musst mir vorher nur noch erklären, wie dieses Ding genau funktioniert. Du weißt ja, meine Sektion befasst sich normalerweise nicht mit dem Steuern von Raumgleitern«, grinste Kalmes.

    Zweieinhalb KIN später kam eine mit zahllosen Lichtpunkten übersäte Kugel in Sicht. Solaras aktivierte sofort die Tarnschilde. Auch wenn sie sich Terra von der Nachtseite her näherten, war es besser, nicht leichtsinnig auf sich aufmerksam zu machen. Fluchend steuerte er den Raumgleiter zwischen ein paar scharfkantigen Stücken Weltraumschrott und Fernsehsatelliten hindurch, dann überflogen sie den Nahen Osten.

    »Am besten landen wir in der altbewährten Gegend«, schlug Solaras aufgeregt vor. »Dort ist die Besiedelung nicht so dicht, und wir kennen uns fürs Erste aus.«

    Er ahnte noch nicht, wie sehr er sich mit dieser Annahme irren sollte.

    Terra, 31. Juli 2023 nach Christus, Montag

    Mit rasenden Kopfschmerzen erwachte Thomas Maier aus einem kurzen, unruhigen Halbschlaf. Ungefähr zweieinhalb Stunden hatte es gedauert, bis Pierre LaSalle seine Ausrüstungsgegenstände wieder verstaut hatte, in den Rover gestiegen und gemeinsam mit seinem Missionskollegen Javier Molina Hernández zum Metallportal unterhalb des Olympus Mons gefahren war.

    Die restlichen Astronauten hatten zuerst auslosen müssen, wer von ihnen LaSalle begleiten durfte; die damit für Leib und Leben verbundene Gefahr spielte bei zukunftsweisenden Einsätzen wie diesem natürlich kaum eine Rolle. Jeder wollte dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wurde.

    »Pierre, kannst du mich hören? Javier soll den Rover ungefähr zweihundert Meter entfernt parken und dort auf dich warten. Du forderst ihn bitte nur an, wenn du alleine nicht zurechtkommen solltest. Marscontrol Ende«, kommandierte Maier auf Englisch.

    Der Astronaut signalisierte nach dem üblichen Zeitversatz, dass er verstanden habe und mühte sich ungelenk aus dem Marsrover. In einer Hand hielt er einen kleinen Werkzeugkoffer, in der anderen den mit Kevlar beschichteten Container mit der Fotoausrüstung. Die sieben Zeichenfolgen des mutmaßlichen Öffnungscodes hatte er in der Isozone sorgfältig von der Folie abgezeichnet, um das Original nicht zu beschädigen.

    Es sieht gemeinhin ziemlich urig aus, wenn Astronauten trotz der schweren Raumanzüge und mitgeführter Lasten leichtfüßig über ferne Himmelskörper zu hopsen scheinen, obwohl sie sich um einen normalen Gang bemühen. In diesem Fall aber lagen die Dinge anders.

    Die Schwerkraft auf dem Mars glich mittlerweile schon fast derjenigen der Erde. Etwa im Jahr 2018 hatte ein unerklärliches Phänomen seinen Anfang genommen. Der Eisenkern des Planeten rotierte offenbar, Konvektionsströmungen schienen wieder in Bewegung geraten zu sein. Ein respektables, schützendes Magnetfeld war so entstanden, was das Risiko einer Verstrahlung für die Crew der Aurora minimierte.

    Sogar die Achse des Roten Planeten verhielt sich stabil, weil anstelle der plötzlich verschwundenen Gesteinsbrocken Phobos und Deimos quasi über Nacht ein kleiner Planet in Marsnähe aufgetaucht war, der seitdem als neuer Mond fungierte.

    Zum weltweiten Erstaunen handelte es sich hierbei um den Zwergplaneten Ceres. Nur, wie war dieser Himmelskörper, der zuvor im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter seine Bahnen gezogen hatte, dorthin gelangt? Und auf welche Weise konnte sich überhaupt das Magnetfeld eines Gesteinsplaneten von selbst wieder aufbauen? Zudem verdichtete sich die Atmosphäre zusehends, der Sauerstoffanteil stieg stetig an. In einigen Jahrzehnten würde man sich auf dem Mars vielleicht sogar ohne Raumanzug ganz normal bewegen können.

    Die Wissenschaftler der Erde standen vor mehreren Rätseln. Fast schien es, als würde jemand Marsforming betreiben.

    Pierre LaSalle bekam die Auswirkungen dieser faszinierenden Veränderungen unmittelbar vor Ort zu spüren. Er schleppte schwer an seiner sperrigen Ausrüstung, umging keuchend ein paar dunkle Felsbrocken, die wahrscheinlich beim letzten Vulkanausbruch als glühende Lavabomben niedergegangen waren, und kam schließlich erschöpft an seinem Ziel an.

    Thomas Maier bemerkte, wie sich sein Tinnitus verstärkte, der ihn seit einiger Zeit fast um den Verstand brachte. Während sein Kollege auf dem Mars jenen Alkoven näher untersuchte, in welchem er vor einigen Tagen die Zeitkapsel gefunden hatte, rieb er sich die pochenden Schläfen und bat Sheila, ihm eine starke Kopfschmerztablette zu besorgen. Dazu orderte einen großen Pott Kaffee zum Hinunterspülen.

    Nirgends existierte ein Eingabefeld, auf dem man die kleinen Rechtecke in der aufgezeichneten Anordnung hätte antippen können … aber wer wusste schon, wie so ein Öffnungsmechanismus bei Aliens funktioniert haben mochte? Vielleicht musste man nach etwas vollkommen anderem suchen. Mehrmals zuckte LaSalle zum Entsetzen seiner irdischen Beobachter ratlos mit den Schultern.

    »Marscontrol, das könnte jetzt ein Weilchen dauern. Ich taste jeden Zentimeter des Portals und seiner Umgebung noch einmal ab, falls irgendwo druckempfindliche Sensoren eingebaut sein sollten. Die unbekannten Erbauer sind sicher davon ausgegangen, dass intelligente, fortschrittliche Wesen die Hinterlassenschaften ihrer Kultur dereinst entdecken werden … womöglich sind wir technisch einfach noch nicht in der Lage, da hineinzugelangen. Oder der Mechanismus ist wegen der veränderten Umwelteinflüsse kaputt gegangen. Schließlich hat es gerade in dieser Region jetzt schon mehrfach Regen gegeben, was in Millionen von Jahren vorher nie der Fall gewesen sein dürfte. LaSalle Ende.« Er klang ein wenig enttäuscht.

    Zum dritten Mal öffnete der französische Raumfahrer nun bereits das kleine Türchen, hinter dem die Metallkapsel sämtliche Zeitalter überdauert hatte. Sein Instinkt behauptete nämlich hartnäckig, dass der wie auch immer geartete Schlüssel zu den Mysterien dieses fremden Volkes intelligenter Wesen genau dort verborgen liege.

    Allen Überlegungen zum Trotz fühlte sich die mutmaßliche Metalllegierung des Alkovens glatt an, Tasten oder ein Touchscreen-Display gab es hier definitiv nicht. Nur die Reste einer bernsteinähnlichen Masse, die das Türchen vor der ersten Öffnung versiegelt hatte, krümelten glitzernd von den Rändern. Wahrscheinlich handelte es sich um dasselbe Material, das bis dato auch die Kapsel hermetisch verschlossen gehalten und deren Inhalt perfekt konserviert hatte.

    Da! Just in jenem Moment, da er seine behandschuhten Finger von der matt glänzenden Beschichtung des Alkovens genommen hatte, war etwa für eine Sekunde ein fahles, bläuliches Leuchten wahrnehmbar gewesen. LaSalle wiederholte die Bewegung, sah dieses Mal genauer hin.

    Tatsächlich! Auch wenn er das mysteriöse Phänomen vorläufig nicht einzuordnen wusste – es war zumindest irgendeine Form von Reaktion auf seine Bemühungen erfolgt! Er wiederholte denselben Bewegungsablauf sicherheitshalber noch weitere fünf Mal, um das Gesehene zu verifizieren, dann informierte er das Kontrollzentrum.

    Thomas Maier fühlte sich von frischer Energie durchströmt, als säße er auf einem elektrischen Stuhl.

    »Hier Marscontrol. Pierre, versuch‘ doch bitte als nächstes, ein bisschen mit dem Leuchten zu spielen, beobachte dabei genauestens das Portal. Tippe die Fläche mal mit einem Finger an, dann mit zwei … du könntest es mit Wischen oder mit stärkerem Druck versuchen … ich bin überzeugt, dass wir die AlienTechnologie knacken werden, so wahr ich mir hier den Hintern platt sitze! Marscontrol Ende

    Sheila war mulmig zumute. »Was ist, wenn es sich bei der Ursache für das Leuchten um eine Art Stromfluss handelt und Pierre durch seine Manipulationen versehentlich die Spannung erhöht? Er könnte sterben!«

    »Ich weiß … aber die Öffentlichkeit würde uns hinterher nie verzeihen können, wenn wir keinen Versuch unternommen hätten, das Portal zu öffnen. Du glaubst doch selbst nicht, dass ich unseren ehrgeizigen Raumfahrer davon abhalten könnte, da ein weiteres Mal hinzulangen, oder? Wir teilen uns die Verantwortung für diese Entscheidung als Team, Pierre und wir – und danach hoffentlich ebenso den Erfolg. Er ist sich vollumfänglich bewusst, worauf er sich da eingelassen hat.«

    Vierzehn endlose Minuten später meldete sich LaSalle erneut. Seine Stimme klang erregt, er atmete schwer.

    »Marscontrol, ich kann jetzt mit Gewissheit sagen, dass das diffuse Leuchten nur erscheint, wenn ich die gesamte Hand mit allen fünf Fingern auflege. Auf Druck reagiert die Fläche überhaupt nicht. Im Gegenteil – je sachter ich dorthin fasse, desto greller wird dieses Leuchten. Und jetzt kommt’s … die Oberfläche scheint in unsichtbare Sektoren aufgeteilt zu sein. Wenn ich beispielsweise vorsichtig in die rechte obere Ecke taste, leuchten feine Ritzen am Portal leicht bläulich auf, die derselben Region entsprechen.

    Wahrscheinlich könnt ihr das wegen der mangelhaften Bildqualität der Übertragung von der Erde aus nicht genau erkennen, aber es handelt sich offenbar um kein massives Material aus einem Guss, sondern um einzelne, dicht zusammengefügte Türsegmente! Sie sind allesamt rechteckig, in komplizierten Mustern angeordnet. Ich führe die Tests auf Grundlage meiner Erkenntnisse nun fort und halte bis auf weiteres Funkstille, um nicht ständig unterbrechen zu müssen. LaSalle Ende

    Nach ungefähr einer Stunde forderte Pierre LaSalle Verstärkung an, Maier stimmte zu. So machte sich sein Missionskollege Javier Molina augenblicklich auf den Weg zum Portal, ließ den Rover am bisherigen Standplatz zurück.

    »Wenn das tatsächlich einzelne, rechteckig angeordnete Elemente sind, woran erinnert euch der Anblick dann?«, sinnierte Maier mit leicht zusammengekniffenen Augen. Er starrte angestrengt auf den riesigen Bildschirm vor seiner Nase, konnte jedoch beim besten Willen keine Linien in dem grobkörnigen Bildmaterial erkennen. Für ihn sah das Portal wie eine graue, uniforme Masse aus.

    »Tetris?«, sprudelte es spontan aus Sheila heraus.

    »Genau! Das habe ich damals als Kind bis zum Gehtnichtmehr gezockt, meine Mutter ist vor lauter Ärger über die Zeitverschwendung fast durchgedreht. Aber … wenn das eine Art außerirdisches MegaTetris sein sollte, dann müssten sich die einzelnen Elemente doch gegeneinander verschieben lassen?«, fragte der gebürtige Schotte Mike McGregor, der im Kollegenkreis zu seinem Ärger scherzhaft als der Schönling bezeichnet wurde.

    Diese zutreffende Bezeichnung war seinem athletischen Körperbau, dem wallenden, dichten Blondhaar und seinen leuchtend blauen Augen geschuldet, die jede Frau ganz von selbst in ihren Bann zogen. Mike selbst war dieser Effekt indes oft unangenehm, denn mit blendend aussehenden Männern verband die Allgemeinheit nur selten ein funktionierendes Hirn – und er war nun mal ein hochintelligenter Wissenschaftler, wollte nicht als tumbes männliches Model abgestempelt, auf seinen attraktiven Körper reduziert werden. Außerdem gingen ihm die ständigen Avancen diverser Kolleginnen – und sogar eines schwulen männlichen Kollegen – mächtig auf den Geist. Er war seit drei Jahren glücklich verheiratet, verdammt noch mal!

    Dr. HendrikJan Wendler, der zu seiner Linken stand, äußerte gar nichts; er war im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Der hagere Glatzkopf zuckte nur mechanisch mit den Schultern, stierte abwechselnd auf den Bildschirm und suchte in Thomas Maiers Gesicht nach Antworten. Die Option, ein von Außerirdischen hergestelltes Tor ohne rohe Gewaltanwendung öffnen zu können, überstieg wohl sein Vorstellungsvermögen. Er galt in der ESA als Mann der grauen Theorie, konnte mit gelebter Praxis wenig anfangen.

    Ganz anders Thomas Maier. Nach kurzem Grübeln meinte er: »Korrekt! Seht her, ich glaube, Pierre ist ebenfalls bereits auf diesen Einfall gekommen. Er braucht Molina wahrscheinlich, um die Segmente zu verschieben, weil das nur zu zweit funktioniert. Einer bedient die Fläche und entriegelt die jeweiligen Teile, der andere schiebt sie in Position. Und wenn mich nicht alles täuscht, kennen wir sogar die richtige Anordnung …!«

    Thomas Maier rollte mit dem Drehstuhl einen Meter zur Seite, wäre dabei fast über Mikes Füße gefahren. Er öffnete auf einem anderen Bildschirm jene Aufzeichnung, in welcher LaSalle beim Verlesen der KunststoffSchriftrolle zu sehen war. Zum Schluss hatte dieser das Dokument dicht vor die Kamera gehalten, so dass man die siebenfache Zeichenfolge am Ende des lateinischen Textes halbwegs erkennen konnte.

    »Da brat mir doch einer ‘nen Storch!«, japste Sheila. »Du hast

    Recht! Das sieht haargenau wie eine Gebrauchsanleitung aus!«

    Auf dem Mars waren Molina und LaSalle offenkundig zum selben Ergebnis gekommen, denn Letzterer packte die Kamera aus, studierte etwas auf deren Display. Dann stellte sich

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