Fräulein Julie: Naturalistisches Trauerspiel
Von August Strindberg und André Hoffmann (Editor)
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Über dieses E-Book
August Strindberg
August Strindberg was a prolific writer who often drew directly from his personal experience. He wrote more than sixty plays and thirty works of fiction, autobiography, history, cultural analysis, and politics during his career, which spanned four decades. A bold experimenter and iconoclast throughout, he explored a wide range of dramatic methods and purposes, from naturalistic tragedy, monodrama, and history plays to his anticipations of expressionist and surrealist dramatic techniques. From his earliest work, Strindberg developed innovative forms of dramatic action, language, and visual composition. He is considered the father of modern Swedish literature and The Red Room has frequently been described as the first modern Swedish novel.
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Buchvorschau
Fräulein Julie - August Strindberg
Fräulein Julie: Naturalistisches Trauerspiel von August Strindberg
Aus dem Schwedischen von E. Brausewetter
Einleitung
Ein tödlicher Tanz zwischen Macht und Begehren
Eine Mittsommernacht, ein einsames Herrenhaus, eine verbotene Anziehung – Fräulein Julie ist kein gewöhnliches Drama, sondern ein psychologischer Abgrund, in den August Strindberg seine Figuren und sein Publikum gleichermaßen hinabzieht. Julie, die Tochter eines Grafen, und Jean, ihr Diener, liefern sich ein Spiel aus Verführung, Macht und Klassenkampf. Was als unschuldige Annäherung beginnt, eskaliert in eine Spirale aus Verzweiflung und Zerstörung. Strindberg seziert dabei die starren Hierarchien seiner Zeit und die dunklen Tiefen menschlicher Abgründe: Stolz, Lust, Manipulation und soziale Zwänge prallen aufeinander – mit tödlichem Ausgang. Als eines der bedeutendsten Dramen des Naturalismus zeichnet gegenwärtiges Drama ein schonungsloses Bild einer Gesellschaft, in der niemand wirklich frei ist – weder der Diener, der nach oben strebt, noch die Adelige, die nach unten fallen will. Ein Stück, das bis heute fesselt, provoziert und unter die Haut geht.
Rebell, Visionär, Getriebener
Wenige Schriftsteller haben ihre Zeit so herausgefordert und gequält wie August Strindberg (1849–1912). Dramatiker, Romancier, Maler, Alchemist – ein Getriebener, der zwischen Genie und Wahnsinn wandelte. Seine Werke sind Feuerstürme aus Wut, Sehnsucht und schonungsloser Selbstanalyse. Geboren in Stockholm als Sohn eines Kaufmanns und einer streng religiösen Mutter, erlebte er früh die Konflikte zwischen Pflicht und Leidenschaft. Er lehnte sich auf gegen Konventionen, gegen die bürgerliche Moral, gegen Gott und oft auch gegen sich selbst. Seine Werke – ob das skandalöse Fräulein Julie oder das düstere Inferno – sind Schlachtfelder zwischen Mann und Frau, Herr und Diener, Individuum und Gesellschaft. Strindberg war kein einfacher Mensch, aber genau das macht ihn unvergesslich. Er hasste Frauen und liebte sie. Er verfluchte Religion und suchte nach Gott. Er wollte sich befreien – von Zwängen, Klassen, Konventionen – und erkannte doch, dass Freiheit ein Trugbild ist. Sein Leben war ein Drama, seine Werke sind es bis heute.
Dinslaken im Januar 2025
Vorwort
Das Theater ist mir schon lange, gleichwie die Kunst überhaupt, wie eine Biblia pauperum erschienen, eine Bibel in Bildern für diejenigen, welche nicht Gedrucktes oder Geschriebenes lesen können, und der Theaterschriftsteller wie ein Laienpriester, welcher die Gedanken der Zeit in populärer Form kolportiert, so populär, daß die Mittelklasse, welche hauptsächlich das Theater füllt, ohne viel Kopfzerbrechen fassen kann, worum es sich handelt. Das Theater ist daher immer eine Volksschule für die Jugend, die Halbgebildeten und die Frauen gewesen, welche noch das Vermögen zurückbehalten haben, sich selbst zu täuschen und sich täuschen lassen, das heißt die Illusion zu bekommen, vom Verfasser die Suggestion zu empfangen. Es ist mir daher in unserer Zeit, da das rudimentäre, unvollständige Denken, welches sich durch die Phantasie vollzieht, sich zur Reflexion, zur Untersuchung und Prüfung zu entwickeln scheint, so vorgekommen, als wenn das Theater, gleichwie die Religion, auf dem Wege wäre, sich gleich einer aussterbenden Form hinzubetten, zu deren Genuß uns die erforderlichen Voraussetzungen fehlen. Für diese Annahme spricht die durchgehende Theaterkrisis, welche jetzt in ganz Europa herrscht, und nicht zum wenigsten der Umstand, daß in den Kulturländern, welche die größten Denker der Gegenwart hervorbringen, nämlich England und Deutschland, die Dramatik tot ist, gleichwie größtenteils die andern schönen Künste.
In andern Ländern wieder hat man geglaubt sich ein neues Drama schaffen zu können, indem man die alten Formen mit dem Gehalt der neueren Zeit erfüllte; aber teils haben die neuen Gedanken noch nicht Zeit gehabt, populär zu werden, sodaß das Publikum den Verstand besäße zu erfassen, worum es sich handelt, teils haben Parteistreitigkeiten die Gemüter erregt, sodaß ein rein objektiver Genuß nicht hat eintreten können, da man sich hier in seinem Innersten widersprochen sah und dort eine applaudierende oder zischende Majorität ihren Druck so öffentlich ausübte, als es in einem Theatersaal möglich ist, teils hat man nicht die neue Form für den neuen Gehalt gefunden, sodaß der neue Wein die alten Flaschen gesprengt hat.
In dem vorliegenden Drama habe ich nicht versucht etwas Neues zu bringen — denn das kann man nicht — sondern nur die Form gemäß den Forderungen zu modernisieren, welche, nach meiner Meinung, die neuen Menschen unserer Zeit an diese Kunst stellen sollten. Und zu diesem Zwecke habe ich gewählt oder mich ergreifen lassen von einem Motiv, von welchem man sagen kann, es liegt außerhalb der Parteikämpfe des Tages, da ja das Problem vom socialen Steigen oder Fallen, von Höherem und Niedrigerem, Besserem oder Schlechterem, Mann oder Weib, von bleibendem Interesse ist, gewesen ist und sein wird. Als ich dieses Motiv aus dem Leben nahm, so, wie ich es vor einer Reihe von Jahren erzählen hörte, als das Ereignis einen starken Eindruck auf mich machte, fand ich, daß es sich für ein Trauerspiel eigne, denn noch macht es einen traurigen Eindruck: ein unter glücklichen Verhältnissen lebendes Individuum untergehen zu sehen, um wieviel mehr also ein Geschlecht aussterben zu sehen. Aber es wird vielleicht eine Zeit kommen, da wir uns so entwickeln, so aufgeklärt werden, daß wir gleichgültig diesem jetzt rohen, cynischen und herzlosen Schauspiel, welches das Leben darbietet, zusehen werden, da wir diese niedrigeren und unzuverlässigen Gedankenmaschinen, welche Gefühle genannt werden, abgelegt haben, weil sie überflüssig und schädlich werden, sobald unsere Urteilskraft ausgewachsen ist. Dieses, daß die Heldin Mitleid erweckt, beruht nur auf unserer Schwäche, da wir dem Gefühle der Furcht nicht widerstehen können, dasselbe Schicksal könnte auch uns treffen. Ein sehr gefühlvoller Zuschauer wird vielleicht jedoch nicht durch dieses Mitleid befriedigt sein, und der Zukunftsmensch wird vielleicht einige positive Vorschläge, dem Übel abzuhelfen, eine Art Programm mit andern Worten, fordern. Aber erstens giebt es kein
