Den Tod durchdringt das Leben: Umgang mit Grenzerfahrungen
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Rezensionen für Den Tod durchdringt das Leben
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Buchvorschau
Den Tod durchdringt das Leben - Siegfried Schwemmer
I
Einleitung
Der Tod als Grenze des Lebens
Der Tod ist die Grenze des Lebens. Er gibt dem Leben ein Ziel und setzt ihm ein Ende. Er steht über dem Leben, und der Mensch steht unter seiner Macht. Als Menschen sind wir der Macht des Todes hilflos und ohnmächtig ausgeliefert. Die ganze menschliche Ohnmacht, Hilflosigkeit, Unvollkommenheit und Begrenztheit findet im Tod seine Gestalt.
Gleichzeitig weckt die Auseinandersetzung mit dem Tod Fragen, die nach einer Antwort suchen: Wann ist Tod tot? Gibt es einen Zwischenbereich zwischen Tod und Tod? Gibt es ein Leben im Angesicht und im Schatten des Todes? Gibt es Erfahrungen, die diese Grenzen überschreiten? Gibt es ein Leben nach dem Tod? – Wir können diese Fragen biologisch und medizinisch beantworten und im Tod eine letzte endgültige Grenze sehen, mit der das Leben zu Ende ist. Wir können uns damit aber auch nicht zufrieden geben und in diesen Fragen den Wunsch verbergen, daß es nach, hinter oder neben dem Tod noch etwas Unfaßbares und Unbegreifliches gibt.
Grenzerfahrungen als öffentliches Thema
Grenzerfahrungen sind heute ein verbreitetes und beliebtes Thema. Dahinter verbirgt sich die Sehnsucht vieler Menschen, zu erfahren, was sie jenseits der Todesschwelle erwartet. Immer mehr Menschen wollen nicht mehr nur das glauben, was sie vor Augen haben: »Das kann doch nicht alles gewesen sein. Da muß doch noch irgendwas kommen!« (W. Biermann, Lied vom donnernden Leben). Dabei wächst das Bewußtsein, daß es zwischen Himmel und Erde noch mehr gibt als das, was der Mensch mit seiner bloßen Vernunft erfassen und begreifen kann. Die Medienlandschaft beschäftigt sich mit dem Grenzbereich. Von Jenseitserfahrungen Sterbender wird berichtet. »Klinisch Tote« beschreiben nach ihrer Reanimation »himmlische« Erlebnisse und Visionen. Erfahrungen von Sterbenden, die bereits ihren Körper verlassen haben (Out-of-body-experiences), und übersinnliche Erlebnisse finden ein breites Interesse.
Erfahrungen mit Grenzen
Der Tod ist die Grenze des Lebens. Doch es gibt viele Grenzen im Leben. Grenzerfahrungen gehören zum Leben. Grenzen sind eine Realität des Lebens. Wir stoßen immer wieder an Grenzen. Immer wieder müssen wir erfahren, daß etwas zu Ende geht und an sein Ziel kommt.
Jeder Abschied im Leben und jeder Aufbruch zu etwas Neuem bedeutet immer auch Sterben. Jeder Verlust ist auch ein Tod. Jede Trennung ist ein Ende. All die vielen kleinen Tode, die wir im Leben sterben, werden dabei zu einer Übung für die letzte große Schwelle, die das Leben vom Tod trennt. All die Grenzerfahrungen werden zum Gleichnis für die letzte Grenze am Ende des Lebens.
Nur durch Grenzerfahrungen lernt der Mensch, mit Grenzen umzugehen. Von Anfang an, seit seiner Geburt, muß sich der Mensch mit Grenzen auseinandersetzen: Kinder müssen, um erwachsen zu werden, immer wieder ihre Grenzen erfahren. Gleichzeitig werden sie erwachsen, indem sie Grenzen überschreiten und neue Grenzen suchen. So lernen sie, mit Grenzen umzugehen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und diese, wenn möglich, zu überwinden. Sie lernen aber auch, Grenzen auszuhalten und anzunehmen. Nur wer das als Kind, als Heranwachsender und als Erwachsener gelernt hat, kann mit Grenzen leben. Im fortgeschrittenen Alter werden dem Menschen dann seine natürlichen Grenzen bewußt. Es sind die Grenzen des Körpers, der Leistung und der Belastbarkeit. Wenn sie überschritten werden, wird der Mensch an Leib und Seele krank.
Die Erfahrungen der Grenzen sind immer ambivalent, denn Grenzen haben ihre zwei Seiten. Es ist nur eine Frage des eigenen Standorts und der persönlichen Betroffenheit. Das Urteil über Grenzen und unsere Reaktion darauf ist allein davon abhängig, wo wir selbst stehen und wie unsere persönliche Situation im Angesicht der Grenze ist. Dabei können wir Grenzen negativ erleben, aber auch positiv, hinderlich oder hilfreich. Wir können ihnen aktiv begegnen und sie gestalten, oder sie passiv erleiden. Grenzen zeigen uns, daß wir Hilfe brauchen, auf andere angewiesen und abhängig sind, doch sie helfen uns auch, daß wir uns nicht selbst verlieren. Sie geben uns Halt und Hilfe, helfen uns, uns abzugrenzen, verhindern, daß wir grenzenlos werden, schützen uns und geben uns Sicherheit.
Umgang mit Grenzen
Wie reagieren wir auf Grenzen? Wie gehen wir damit um? – Wir können mit Grenzen sehr verschieden umgehen. Wir können Grenzen aushalten, akzeptieren und als gegeben hinnehmen, oder versuchen, sie zu verstehen und darüber nachzudenken. Wir können nach Wegen suchen, ihnen auszuweichen, und uns trösten, wenn wir Auswege sehen. Doch es gibt Situationen, die wir nicht verstehen und nicht annehmen können. Wir können dann gegen die Grenzen kämpfen, rebellieren, aufbegehren, Widerstand leisten und auf diese Weise versuchen, die Grenzen zu überwinden. Es ist möglich, daß wir dabei scheitern, uns selbst verlieren und zerbrechen, oder abstumpfen und resignieren. Doch wir können uns auch Hilfe suchen, um den vorgegebenen Grenzen besser zu begegnen, und lernen, mit ihnen umzugehen.
Grenzen wecken vor allen Dingen Gefühle: Wir spüren unsere Wut und möchten gegen sie angehen. Zur Wut gehören Phantasien von Macht und Machbarkeit. Die Erfahrung der Ohnmacht und der Hilflosigkeit macht aber auch unsicher und angst. Sie bedrängt und bedrückt. Emotional belastende Situationen führen deshalb leicht zu psychotischen Reaktionen: Wir können depressiv, aber auch »verrückt« werden. Wir können die Grenzen abspalten und ihnen mit grenzenlosen Phantasien begegnen. Mit Drogen können wir uns betäuben und vor der Realität fliehen, oder aber Grenzen verleugnen und verdrängen. Wir können uns Grenzen mit dem Verstand nähern, sie ideologisieren und in einen größeren geistigen Zusammenhang stellen, oder aber beschönigen und wie die Mauer in Berlin mit bunten Bildern bemalen.
Grenzen und Möglichkeiten dieses Bandes
Von Grenzerfahrungen und vom Umgang mit Grenzen handelt diese Schrift. Grenzen sind auch mir gegeben, und ich möchte Grenzen setzen, damit keine falschen Erwartungen entstehen.
Mir ist bewußt: So lange es Menschen gibt, beschäftigt sie die Frage nach dem Tod. Sie suchen nach Halt und nach Gewißheit. Sie fragen nach dem, was bleibt und was über den Tod hinaus Bestand hat. Sie suchen eine Antwort, die die menschlichen Grenzen überschreitet und den Menschen in einen größeren Zusammenhang stellt. Diese Antwort finden sie im Glauben, denn alle Religionen der Welt suchen eine Antwort auf den Tod. Sie glauben an ein Leben, das über den Tod hinausweist. Das verbindet sie miteinander. Dabei ist und war es ein Grundgedanke für nahezu alle Religionsgemeinschaften, daß der einzelne zu Lebzeiten Vorsorge und Sorge für das Leben nach dem Tod treffen kann.
Ich möchte Wege und Möglichkeiten zeigen, die mir im Umgang mit diesem Thema hilfreich und verständlich sind. Dabei will ich der Realität des Todes nicht aus dem Weg gehen, auf die psychische Realität der Menschen schauen, nach den Bildern der Seele suchen, die das Thema aufnehmen und gestalten, Menschen beschreiben, die sich mit dem Tod auseinandergesetzt haben, und nach Möglichkeiten suchen, mit den Grenzen des Lebens umzugehen. Gleichzeitig bin ich überzeugt, daß wir: erstens dem Tod erst dann begegnen können, wenn wir die Fragen, die dieser an uns stellt, für uns beantwortet haben; zweitens vom Tod nur reden können, wenn wir uns vorstellen können, selbst zu sterben; drittens nur dann wirklich sterben können, wenn wir uns mit dem Tod auseinandergesetzthaben. – Doch diese seelische Arbeit und diese innere Auseinandersetzung kann und will ich niemandem abnehmen. Jeder stirbt seinen eigenen Tod und muß seine eigene Antwort auf den Tod, und seinen Weg mit den Grenzen des Lebens umzugehen, finden. Das möchte ich fördern und unterstützen, respektieren und achten.
Die einzelnen Schritte
Grenzerfahrungen führen zu psychischen Reaktionen und lösen Bilder und Vorstellungen aus. Solche versuche ich zu beschreiben und bewußt zu machen.
Eine bemerkenswerte Antwort auf den Tod ist die Vorstellung der Reinkarnation. Sie findet immer mehr Anhänger. Dabei wird die Lehre des Buddha leicht mißverstanden. Sie hat in seiner Weiterentwicklung Gestalt gefunden im Zen-Do. Der Weg des Zen ist eine konsequente Antwort auf den Tod. Das zeigt sich auch in der Bereitschaft des Kriegers zum Tod.
Einfluß auf das Abendland hat die Auseinandersetzung des Sokrates mit dem Tod gewonnen. In der Lehre Platons von der Unsterblichkeit der Seele hat sie auf das Christentum eingewirkt.
Der Tod ist eine existentielle Bedrohung. Der Mensch sucht deshalb seine religiösen Bindungen. Die prägende Religion des Abendlandes ist das Christentum. Es hat seine Wurzeln im jüdischen Glauben. Jesus nimmt die Vorstellungen des Alten Testaments über den Tod auf und gibt mit seiner Person darauf eine Antwort. Für Christen ist seine Auferstehung von den Toten das zentrale Bekenntnis und der Anfang des christlichen Glaubens.
Jeder Mensch muß sich mit dem Tod auseinandersetzen. Helfen kann: ein bewußtes Leben mit dem Tod, das Üben der Stille, und die Selbsterfahrung im Lebens-Rhythmus von Werden und Vergehen.
II
Psychische Reaktionen auf Grenzerfahrungen
Angst und Erschrecken
Der Jugoslawe B. Zizic hat 1972 einen Kurzspielfilm gemacht. Auch wenn ich diesen Film schon mehrfach gesehen habe, beeindruckt er mich immer wieder. Sein Name: »Die Reise«. Thema ist: Leben und Sterben. »Die Reise« ist ein Gleichnis auf das Leben des Menschen und beschreibt seinen Umgang mit dem Tod.
Ort der Handlung ist ein Zug. Sieben Reisende sitzen in einem Eisenbahnwagen. Es sind die verschiedensten Menschen, die miteinander und nebeneinander unterwegs sind: ein »Weltkind«, ein »Hippie« – Liebespaar, ein junger, gleichgültiger, vor sich hindösender Mann, ein alter Zyniker, ein lebensfroher Genießer, eine Nonne … Die