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ungeheuer: Erzählungen
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eBook115 Seiten1 Stunde

ungeheuer: Erzählungen

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Über dieses E-Book

DAS IST NICHT NORMAL, DAS HIER – ODER DOCH?

Erzählungen, die süchtig machen, die nicht mehr loslassen, die sich einbrennen und für immer weiterwachsen
Hitler und Churchill liegen sich reumütig und weinend in den Armen. Ein Mann beteuert beim ersten Date, sie nicht vergewaltigen zu wollen – und tut es unter dem Schauer der Perseiden dann doch. Da ist ein Kind, das versucht, die gekappte Mutter-Beziehung zu reparieren, indem es den Knopf, der einst die Verbindung darstellte, malträtiert: den Nabel. Lena Johanna Hödl gießt das Ungeheure, das Bedrohliche, aber auch das Alltägliche, die Gefühle im Menschen in literarische Kurzgeschichten und erzeugt ein berauschendes Kondensat.

Über den Wahnsinn unserer Welt, den Wahnsinn in uns – über eine Konfrontation mit voller Härte
Im experimentellen Formenspiel und mit untergründigem, treffsicherem Humor spürt die Autorin einer Uremotion des Menschen nach: der Angst. Wir alle kennen sie, tragen sie in uns. Meist im Plural. Aber wie viel davon können wir aushalten? Was kann sie auslösen, wo ist sie notwendig, wo blockiert sie uns? Eine Annäherung an die vielen Facetten der Angst, die laut kreischend sein kann oder sich stumm einnistend. Dafür findet Hödl Worte, die glasklar sind und sich zugleich anfühlen wie Beton, der keinen Millimeter abrückt.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum4. Apr. 2023
ISBN9783709939987
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    Buchvorschau

    ungeheuer - Lena Johanna Hödl

    Teil 1: Das Innere

    „Ungeheuer ist viel. Doch nichts

    Ungeheuerer als der Mensch."

    Sophokles, Antigone

    Als ich in Flammen stand

    eines tages

    also es ist mir unangenehm darüber zu reden aber wie soll ich sagen nun ja

    also

    eines tages

    da stand ich in flammen

    also so richtig gell

    so richtig lichterloh

    mit ganz viel schwarzem rauch und so

    und ich musste daran denken

    wie schöner wird’s nicht von david sedaris

    auf englisch heißt when you are engulfed in flames

    und an den grinsenden totenkopf mit der zigarette im fleischlosen maul am cover

    und dass ich das schon sehr fühle lol

    tag urself

    und meine freunde sahen mich

    wie ich lächelnd am offenen fenster stand

    und einfach nur brannte

    und sie riefen zu mir auf den balkon

    lena komm wir löschen dich

    und sie holten so eine trampolindecke

    auf die ich springen sollte aus dem zweiten stock

    und ich rief zurück

    alles gut leute leute kein stress

    alles gut

    alles gut wirklich

    und sie schrieben mir auf whatsapp und signal und instagram und twitter

    und ich ignorierte die nachrichten

    legte mich ins bett das natürlich sofort

    feuer fing

    und sie riefen die feuerwehr

    die brachen die tür ein mit einem rammbock

    und ich krallte mich ans bett

    während ich einen deppaten witz über das wort rammbock machte

    alles gut leute

    die feuerwehr sagte

    sagte frau hödl sie müssen mitkommen

    jetzt sofort

    und ich sagte nein danke

    machen sie sich keine umstände

    möchte jemand einen kaffee oder einen tee

    und als sie meinen verkohlten

    mit löschschaum bedeckten körper

    und meine von rauch vergiftete lunge

    und meine widerwillig strampelnden beine aus dem haus trugen

    sagte ich

    das wäre doch nicht nötig gewesen

    ich stehe nicht in flammen

    du stehst in flammen

    deine mutter steht in flammen hahaha

    alles in ordnung wirklich

    und ich saß in eine decke gehüllt

    in der offenen tür eines vor meinem haus geparkten krankenwagens

    und sagte was ist euer lieblingskuchen ich backe euch einen

    oder möchte jemand geld

    oder einen blowjob

    kümmert euch um meinen hund falls ich mal verbrenne

    dann setzte ich meine herzförmige sonnenbrille auf

    weinte dahinter und sagte

    alles gut

    ich brenne nicht

    nein ich brenne nicht

    niemand soll mich löschen

    wenn dann lösche ich euch

    Landleben

    Mein Gott, wissen Sie, ich liebe das Landleben ja so. Ach, diese Stille! Diese herrliche Stille. Da wacht man doch tatsächlich morgens auf, von irgendeinem Hahn oder Traktor oder wasweißichwas geweckt, und danach ist es aber SOWAS VON STILL! Also, am Land, das ist ja eine Stille, wie der degenerierte Stadtmensch von heute sie sich kaum noch vorstellen kann. Pssst. Schweigen Sie? Hören Sie das? Ja, genau das. Aaaaah.

    Sie wissen es. Alle wissen es. Was, das weiß ich leider nicht. Es. Sie wissen ES. Ich habe etwas getan, etwas dermaßen Widerwärtiges und Verachtenswertes, da würden Josef Fritzl noch die Augen herausfallen, wenn er davon wüsste. Aber nicht einmal ich weiß davon. Nur alle anderen. Und die Berge. Und sie lassen mich wissen, dass sie es wissen. Sie sehen mich an mit einem Blick, der sagt: Ich sag gar nichts. Das ist nicht nötig.

    Diese Luft. So klar und rein, das gibt es ja heutzutage gar nicht mehr, a so eine Luft. CRISP, wie der Amerikaner sagt. Crisp Air, an einem solchen Wintertag. So ein Tag, so wunderschön wie heute … welch ein Trost, was auch geschehen mag … Alles ruht in unsres Vaters Händen … ich, sein Kind, brauch keine Angst zu haben … Einatmen und ausatmen, einatmen und ausatmen. Nein, nicht so schnell. Herrgott, was tun Sie denn da? Natürlich, ich habe Sie gebeten, ein- und auszuatmen, aber doch nicht so schnell. Jessasna, Kinderl, Sie hyperventilieren mir ja noch! Was ENTSPANNEN Sie sich denn nicht einfach?

    Ich atme ein und ziehe an meiner Zigarette, und ob meine Hand vor Kälte oder Angst zittert, ist an diesem Punkt kaum noch eindeutig festzumachen. Als ich meinen Kopf kurz nach rechts drehe, um mich der Anwesenheit des Berges zu vergewissern – er ist immer noch da, er lässt mich nicht gehen, ich bin seine Gefangene –, fällt mein Blick auf eine ältere Frau. Ihr Gesicht ist aufgedunsen wie meines, wir langen beide immer ein bisschen zu heftig zu, es schmeckt halt einfach so gut, darunter bedeckt sie – gut sichtbar zwischen den einzelnen Sprossen des rustikal-bäuerlich designten Balkons, auf dessen Waschbetonfliesen sie nicht zu rutschen droht, denn es ist ihr Balkon und nur ihrer – ein nicht näher definierbares Kleidungsstück aus Fleece. Unter ihren kurzen, weißen Haaren spiegelt ihr altersloses Gesicht Misstrauen. Während sie ebenfalls an ihrer Zigarette zieht – Teilen wir die gleiche Marke? Sind wir Schwestern? Wie würden unsere Lungen nebeneinander aussehen? –, begreife ich, dass sie mich nicht aus den Augen lassen wird. Sie weiß nicht, woher ich komme, sie hat mich noch nie hier gesehen, und sollten meine herabhängenden Finger sich betont unauffällig voneinander lösen und den reifbedeckten Asphalt unter mir mit einem nass gesaugten Filter schänden, so wird sie nicht davor zurückscheuen, es ihnen mitzuteilen. Und die Rache der Berge wird eine entsetzliche sein.

    Atmen.

    Die Menschen am Land, die sind ja auch viel einfacher. Noch so ehrlich, so her-zens-an-stän-dig! Ma, da hat der Hader aber schon recht g’habt, gö? Na ja, ich mag den ja nicht so, lieber den Niavarani. Aber da is er scho richtigg’leg’n, der Josef, der Pepi, gö? Wir, heutzutage in der Stadt, mit unseren Buchweizencronuts und Falter-Abos und Demonstrationen und Gegendemonstrationen, wir haben ja schon richtig vergessen, worauf es wirklich ankommt im Leben! A bisserl im Dreck wühlen, a bisserl ins Bollwerk, a bisserl Komasaufen, a bisserl viel um unsere gefallenen Helden im Zweiten trauern, die Kameraden, a bisserl nie um alle andern.

    Eine ehrliche Arbeit,

    eine ehrliche Ehe,

    eine ehrliche Haut …

    … mit riesigen Poren und geplatzten Äderchen auf den Wangen, wie kleine Landkarten eines Ortes, der begrenzt ist in seinen Fluchtmöglichkeiten.

    Angenommen, ein Lynchmob stände morgen vor meiner Tür. Ach was morgen. Heute. In zehn Minuten. In achtundachtzig Sekunden wird ein Lynchmob vor meiner Tür stehen, und er wird mir sagen: „Entschuldigen Sie, aber Sie müssen jetzt leider gehen. Und wollen Sie nicht gehen, so müssen wir Sie leider zwingen." Wohin sollte ich? Die Berge verstellen mir die Fluchtmöglichkeit. Nicht so schnell, sagen sie. Wo willst du denn hin?

    Die Schlinge zieht sich enger, ich habe etwas Entsetzliches getan, und die allgemeine Stimmung der Güllener richtet sich zusehends gegen mich. Sie wollen, dass ich gehe, aber die Straßen sind abgesperrt. Die Schäferhunde der Nachbarn laufen offen herum, die Kühe stellen sich mir entgegen, sie haben sich noch rechtzeitig von ihren mit hängender Halshaut verwachsenen Ketten losgerissen, an ihren Beinen klebt noch die eigene Scheiße, in der sie tagtäglich bis zum Euter stehen, nur um den Auftrag der Berge zu erfüllen. Du kommst hier nicht mehr raus, sagen ihre großen Augen. Du kommst hier nicht mehr raus, schreit irgendwo ein langsam von seiner eigenen Mutter zerquetschtes Ferkel, die Sau hat sich aus dem Kastenstand befreit und quietscht es mir laut entgegen, ihre blutunterlaufenen, triefenden Augen quellen langsam aus dem Schädel heraus, ihr Geschrei tut weh, aber es ist besser als diese ekelerregende Nazikitschfilmstille.

    Eine Fliege bewegt sich träge flatternd vom Auge der Kuh in das meine, ich erbreche mich.

    Die Zeit, als die Berge noch fern waren, das war eine bessere, die ich im Nachhinein betrachtet viel zu wenig geschätzt habe. Als Kind saß ich auf dem Rücksitz im mütterlichen Toyota, frühmorgens, wenn sie mich in den Integrationskindergarten fuhr, und bis heute weiß ich nicht, ob ich

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