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eBook198 Seiten2 Stunden

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Über dieses E-Book

Der amerikanische Regisseur und Autor Gil Kofman versetzt Kafka ins 21. Jahrhundert, indem er ihn als Plagegeist des bei seinen Eltern lebenden Regisseurs Francis Krow auferstehen lässt (der sie gern ruhigstellt, indem er ihnen unziemliche Filme wie Pasolinis Salò vorsetzt.

Beide begeben sich auf die Suche nach dem verschollenen Manuskript Kafkas, ein skurriles Stirn-an-Stirn-Rennen, bevölkert mit allen Arten von Gestalten, die jedem bekannt sind, der sich schon einmal mit Kafka befasst hat: Kafka-Gelehrte, -Besessene, -Forscher, -Biographen und -Leser.
SpracheDeutsch
HerausgeberParrhesia Verlag
Erscheinungsdatum2. März 2023
ISBN9783987319990
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    Buchvorschau

    aKa - Gil Kofman

    – 1 –

    Als er das Tintenfass stiehlt, ist er nicht er selbst.

    Kafkas Tintenfass.

    Es thront in irgendeinem obskuren Museum und lädt seine Hand ein, zuzugreifen. Er zögert. Er ist dazu erzogen worden, artig zu sein, immer.

    Das Tintenfass pulsiert überdeutlich im letzten gebrochenen Tageslicht.

    Kann Begierde sich einen Weg durch diese enge Öffnung bahnen?

    Er starrt auf das Tintenfass und denkt über sein Vergehen nach. Die Dunkelheit hat diesen Diebstahl bereits antizipiert. Er steht einfach da, starr – unbeweglich – in diesem stickigen, schwach beleuchteten Zimmer. Das Tintenfass hat bereits verändert, wer er ist.

    Wer ich bin.

    Bin ich überrascht, das Tintenfass in meiner Hand zu halten?

    Kafkas Tintenfass. Meine Trophäe und mein angestammtes Recht. Jetzt ist er zu mir geworden. Reinkarnation als eine andere Form der Verwandlung –

    Francis!

    Ich komme gleich runter, Ma.

    Ich dachte, du hättest Hunger.

    Ich sagte doch, ich komme gleich!

    Wir wollen nicht zu spät kommen, wir haben schließlich reserviert.

    Das kannst du dir auf deinen Grabstein schreiben lassen, denke ich.

    Das Tintenfass steckt tief in meiner Tasche, wir sind jetzt auf der Straße.

    Tut mir leid. Wie bitte?

    Ich habe gesagt, es ist das erste Mal, dass dein Vater und ich die Wohnung den ganzen Tag verlassen.

    Die einzige Aufgabe meiner Eltern auf dieser Erde ist, die Schuldlosen sich schuldig fühlen zu lassen. Offensichtlich bin ich ein undankbarer Sohn.

    Ich hatte gehofft, dass du ein Mädchen bist. Du solltest mein kleines Mädchen werden. Aber dann wurdest du ein Junge und hattest einen so großen Kopf, dass selbst ein Dammschnitt unzureichend erschien. Erinnerst du dich an Devorah?

    Hab sie nie getroffen.

    Sie war wie die Tochter, die ich nie gehabt habe.

    Das sagst du immer wieder.

    Du hättest mal sehen sollen, wie sie sich um ihre Mutter gekümmert hat, wenn die krank war. Unglaublich, wie sie sich reingekniet und gekümmert hat. Sie gebadet und ihr die Haare gewaschen hat. Du hättest das wirklich mal sehen sollen.

    Ich stürze mich in den Verkehr, achte nicht auf die Ampel, nur weg von Mutter. Sie sieht entsetzt zu.

    Du hättest warten sollen, bis die Ampel umspringt.

    Ist ja nichts passiert.

    Werd nicht eingebildet, nur weil du dieses Mal Glück gehabt hast.

    Vater geht dazwischen und versucht, Frieden zu stiften. Er muss sich grundsätzlich einmischen, wo immer er auch gerade ist, und das unbeholfen.

    Deine Mutter und ich haben gestern Abend einen großartigen Film gesehen.

    Die Leute reden über Filme, damit sie nicht über das Leben reden müssen. Ich habe mit der Idee gespielt, einen Film über Kafka zu machen. Aber mein Drehbuch ist noch weniger vollendet, als es Kafkas Werke selbst sind. Auch Da Vinci hielt, wie Kafka, seine Arbeiten für nicht abgeschlossen. Alle nicht abgeschlossenen Werke sind aus verschiedenen Gründen nicht abgeschlossen. Ich bin wahrscheinlich zu dicht an meinem Material dran.

    Hast du Smell of a Lady gesehen? Mit Al Pacino?

    Du meinst Scent of a Woman.

    Hast du ihn gesehen? Er ist sehr interessant. Ich bin den ganzen Film hindurch wach geblieben.

    Dein Vater und ich lieben ausländische Filme. Stimmt doch, Arthur?

    Vater nickt. Ich frage mich, wann ich gelernt habe, so wie er zu nicken. Wann und wie habe ich das erste Mal gelogen?

    Am Tag machen wir unser »Ding«, und Abends wartet etwas sehr Spezielles auf uns Zuhause.

    Genauso wie es mir mit meinen Pornos ergeht; eine bescheidene Belohnung für einen gut gelebten Tag. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Mutter da zustimmen oder mich verstehen würde.

    Manchmal sind die Filme nicht so gut. Aber wir haben keine Angst, das zu riskieren.

    Wir schauen uns auch gar keine amerikanischen Filme mehr an. Sie sagen uns einfach nichts.

    Ich bevorzuge die ausländischen. Sie sind feinfühliger.

    Auf diese Art lernen wir so viel über die Welt.

    Die Art, wie sie eine Geschichte erzählen. Diese Bilder!

    Jeden Abend entfaltet sich im Multiplex des Schlafzimmers meiner Eltern ein Festival ausländischer Filme. Später zerstören sie mutwillig jeden Film, indem sie eine dürftige Nacherzählung dessen liefern, was sie gesehen haben. Elogen als Destillat einer Synopsis von Leben.

    Um voll und ganz zu leben, muss man ironischerweise außerhalb seiner Selbst leben. Schreiben ist einer der misslichen Wege dahin. Sich selbst Wort für Wort ausgraben. Jeder Satz ein Todesurteil. Als würde man Worte auf einen Grabstein meißeln, anstatt sie auf Papier zu kritzeln.

    Filme drehen ist viel einfacher als Schreiben. Auch weniger

    einsam. Ich empfehle meinen Eltern ein paar weitere Filme. Sachen, die unglaublich unpassend sind: Pasolinis Salò, Oshimas Im Reich der Sinne, Noes Irreversible.

    Arthur, schreib das auf.

    Kurz bevor er starb, konnte Kafka nicht mehr schlucken. Musste alles auf kleine Zettel schreiben.

    Wenn wir heutzutage etwas nicht aufschreiben, ist es – Simsalabim! - weg. Neulich ging dein Vater zur Toilette und vergaß, seinen du-weißt-schon-was zurück in die Hose zu stopfen. Wir sind fast verhaftet worden!

    Ich erbebe beim Gedanken daran, wann wohl mein Vater zum letzten Mal mit meiner Mutter geschlafen hat.

    Es gibt ein Gebet, das orthodoxe Juden jeden Morgen vor sich hinmurmeln, sowas wie: »Danke Gott dafür, dass er mich nicht zur Frau gemacht hat …«

    Im Restaurant tut der Manager so, als würden wir eine Reservierung brauchen. Der Laden ist leer und sie sollten sich verdammt glücklich schätzen, dass wir da sind, also beschließe ich, mich bei der Wahl des Tisches anzustellen. Aircondition, Lärm aus der Küche, Entfernung zu den Toiletten …

    Ich glaube, ich nehme den Fisch. Ist der Salat mit Paprika? Ich bin allergisch gegen Paprika, rote und grüne. Was ist mit dem Fisch, ist er ziemlich fischig? Ist er gebraten? Ist die Panade mit Weizen? Ich mache gerade eine Diät ohne Gluten, wissen Sie.

    Ich entschuldige mich und gehe zur Toilette. Über dem Urinal steht an der Wand: »Ruf Betty an: ein unvergessliches Erlebnis. Du wirst es nicht bereuen.« Als die Kellnerin reinkommt, bin ich immer noch am Pinkeln.

    Hey.

    Hey.

    Die Tür fällt hinter ihr zu.

    Schon ein harter Brocken, deine Mutter.

    Ich bin adoptiert worden.

    Sag bloß.

    Meinem Herz nach bin ich adoptiert.

    Sie zieht schnell ihre weiße Bluse und die schwarze Hose aus. Ihr BH und das Höschen lassen keine Fragen offen. Sie zieht sie auch aus. Einen Augenblick vergesse ich das Tintenfass in meiner Tasche, bis sie hineingreift, um es herauszuholen.

    Vorsicht damit.

    Eine Beule reicht schon.

    Bist du Betty …?

    Nein. Warum?

    Sie stellt das Tintenfass auf das Waschbecken hinter sich.

    … Du zitterst ja.

    Nur die Aufregung.

    Sie tritt näher. Die verlockende Aussicht auf Sex ist ebenso erregend wie der Sex selbst. Aber als ich mich erregt im Toilettenspiegel sehe werde ich eifersüchtig, dann beschämt, weil ich mir selbst peinlich bin.

    Ich höre auf, zu stoßen.

    Alles in Ordnung?

    Vielleicht später, okay?

    Das sagen die Typen immer, wenn sie nicht wollen. Ich muss zurück in die Küche. Deine Mutter wartet auf ihren Fisch.

    Dann gehst du besser.

    Ich sehe sie nur kurz beim Dessert wieder. Der Blick meines Vaters klebt an meinem Teller.

    Isst du nichts?

    Ich ziehe den Teller näher heran. Was ich für ein farbenfrohes Design um die Pastete herum gehalten habe, ist eigentlich eine Art geschriebener Text. In Himbeersoße rund um den Tellerrand steht eine Botschaft, die Hoffnung macht.

    Mehr später. Wenn du es am wenigsten erwartest.

    Ich mustere den Raum, suche nach einer Spur der Kellnerin.

    Dein Ärmel, mein Sohn! Pass auf deinen Ärmel auf.

    Ich verwische die dahin gekritzelte Botschaft, bevor ich mir hastig eine Gabel Nachtisch in den Mund schiebe.

    Nicht so schnell, mein Sohn. Iss so viel, wie du kannst. Aber vergiss deinen alten Herrn nicht.

    *

    Nach dem Essen gehen wir zur örtlichen Wahrsagerin.

    Die Leute erwarten zu viel von Wahrsagern. Niemand kann die Zukunft voraussagen. Sprechen sie darum in Rätseln, diese

    Wahrsager? Wir haben kaum die Tür geöffnet, da sagt die Wahrsagerin schon:

    Ich habe an Sie gedacht.

    Sie ist krankhaft fett, so wie manche Wahrsagerinnen. Ich will ihre Kristallkugel zerschmettern, in tausend Stücke.

    Wenn ich Sie wäre, würde ich das nicht tun.

    Darf ich rauchen?

    Ist das eine Fangfrage?

    Die Wahrsagerin bittet uns herein. Wir setzen uns auf das Sofa und sehen zu, wie sie die Kristallkugel poliert. Als sie fertig ist, ist die Kugel so sauber, dass sie fast unsichtbar ist.

    Ich hatte mal einen Kunden, der hat mir jede Woche ein Xerox seiner Handfläche gemailt, damit ich ihm die Zukunft voraussagen konnte.

    Warum ein Xerox?

    Er saß im Gefängnis.

    Sie greift vorsichtig nach meiner offenen Handfläche.

    Er soll nächsten Monat entlassen werden. Wir planen eine große Hochzeit. Etwas richtig Feierliches. Ich wusste seit dem ersten Blick auf das schmutzige Thermobild seiner rauen Handfläche, dass wir in den Hafen der Ehe einlaufen würden.

    Ich bekomme kaum mit, was sie sagt oder wie lange sie schon redet.

    Beim Glauben geht es nur um Erneuerung und Wiederholung. Eine Möglichkeit ergibt sich aus der nächsten. So filtert sich die Gegenwart aus der Zukunft heraus.

    Das Sofa riecht streng nach Katzenpisse, aber eine Katze ist nicht zu sehen.

    Die ist letzte Woche fortgelaufen.

    Sie richtet einen anklagenden Finger auf mich.

    Du hast das Abenteuer deines Lebens vor dir. Du wirst so viel Spaß haben, dass du sogar vergisst, zu masturbieren.

    Mein Vater beugt sich vor.

    Ha! Das wär’ doch mal was!

    Die Wahrsagerin rutscht herum und zupft an ihrem Kleid.

    Du hast etwas Unrechtes getan. Eine Art Verbrechen begangen, oder etwa nicht?

    Nein.

    Glaubst du etwa, dass es dir bei deinem ins Stocken geratenen Projekt helfen wird?

    Es ist so gut wie nichts, wirklich. Eine Kleinigkeit. Eine Art Weihnachtskugel. Die ich mir – mir geborgt – habe, um sie genauer zu untersuchen.

    Ich hole das Tintenfass aus meiner Tasche. Vater grinst.

    Müll.

    Sieht mir wie eine blöde Schneekugel aus, Arthur.

    Die Wahrsagerin bedeckt die Kristallkugel mit einem zerknitterten Purpurtuch.

    Er weiß, was das ist. Er weiß nur zu gut, was es ist. Gute Nacht.

    *

    Einen Augenblick später kotzt Mutter am Bordstein, während Vater ihr auf den Rücken klopft.

    Da waren wohl doch rote Paprika in der Sauce.

    Ich muss wohl mal ein Wörtchen mit denen reden. Das können die mit normalen Menschen nicht machen.

    Mutter würgt wieder.

    Da habe ich ja eine Menge zu tun.

    Wir rufen das Restaurant morgen früh an.

    Sie wendet sich mir zu.

    Und DU. Du hast mich wirklich im Stich gelassen. Du mit deinem Wasserkopf!

    Ich zucke mit den Schultern und gehe. Es fängt an zu regnen. Ich entschließe mich, kein Taxi zu rufen, sondern nach Hause zu laufen. Meine nassen Klamotten schmiegen sich nass an meinen Körper. Ein paar unerwartete Blitze lassen den Himmel aufleuchten und alles scheint lauter und verwirrender zu sein. Ich genieße meine Nachlässigkeit einen langen stimmungsvollen Augenblick, dann steuere ich heimwärts. Wenn dies ein Film wäre, dann würde die Musik jetzt angemessen anschwellen, dann ein paar vereinzelte elegische Töne, die meine Einsamkeit anklingen lassen.

    Ich brauche einen Drink, aber zuerst muss ich mir noch Bargeld besorgen. Als ich den Bankomat verlasse, wird das von bestimmt zehn Überwachungskameras aus verschiedenen Blickwinkeln aufgezeichnet.

    Jetzt laufe ich, renne durch den Regen zur letzten Telefonzelle auf diesem Planeten.

    UMSCHNITT: Schräg von oben. Nacht. Eine einsame Telefon-zelle, wie ein aufrecht stehender Sarg. Eine einzelne Straßenlaterne und gelegentlich der nasse Klang eines vorbeifahrenden Autos, der alles zerreißt.

    Im Inneren der rauchgefüllten Telefonzelle nehme ich den Hörer auf und wähle. Ja, stimmt, schließlich rufe ich Betty an! Die unvergessliche Betty, die Königin der Latrinen. Betty, das unvergessliche Erlebnis, das ich nicht bereuen werde. Ich sehe sie jetzt vor mir, wie sie schon halbnackt am Telefon sitzt und nur auf meinen Anruf wartet.

    Ich blättere durch das Rolodex in meinem Kopf und merke, dass Bettys Nummer nicht nur die gleiche ist wie die Pin meiner Bankkarte, sondern auch – in anderer Reihenfolge – die meines Telefons Zuhause. Das führt nur dazu, dass ich Betty um so mehr will.

    Das Telefon klingelt, klingelt immer weiter, hört schließlich auf. Das passiert, wenn du dein Zimmer verlässt und rausgehst, einen Spaziergang machen. Du rufst eine Frau an, die du nicht kennst, und ein fremder Mann antwortet.

    Ja, bitte?

    Ist Betty da?

    Nein, hier spricht ihr Verlobter. Darf ich fragen, wer anruft?

    Ich knalle den Hörer auf und renne in den Regen hinaus und zu meiner Lieblingsbar. Unter der Markise bleibe ich da stehen, wo beim Öffnen der Türen Gelächter und Musik auf mich einstürmen. Innen erkenne ich Lance, den blinden Pianisten. Er schlägt ohne nachzudenken auf die Tasten, Hand und Finger gleiten hin und her. Er spielt so Klavier, wie ich gern mein Leben führen würde: voller Freude und improvisierter Sicherheit. Ich schmeiße eine Runde für den ganzen Laden und sage, es sei mein Geburtstag. Ist doch egal, wenn nicht. Solange sie singen. Born on the 4th of

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