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Die Verfolgung: Ein See-Roman
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eBook760 Seiten10 Stunden

Die Verfolgung: Ein See-Roman

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Über dieses E-Book

In diesem Roman schildert Cooper den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten anhand einer Gruppe verschiedener Personen, die gerade aus Europa gekommen sind. Der Autor zeigt die Unterschiede in den Mentalitäten und Eigenschaften durch das Prisma des britischen Blicks auf das amerikanische Leben.
SpracheDeutsch
Herausgebere-artnow
Erscheinungsdatum15. Juli 2022
ISBN4066338126122
Die Verfolgung: Ein See-Roman
Autor

James Fenimore Cooper

James Fenimore Cooper was a nineteenth-century American author and political critic. Esteemed by many for his Romantic style, Cooper became popular for his depiction of Native Americans in fiction. Before Cooper considered himself a writer, he was expelled from Yale University, served as a midshipman for the United States Navy, and became a gentleman farmer. Cooper wrote many notable works including The Pioneers, The Last of the Mohicans, and The Red Rover, which was adapted and performed on stage in 1828. Cooper passed away in 1851 at the age of 61.

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    Buchvorschau

    Die Verfolgung - James Fenimore Cooper

    Vorwort.

    Inhaltsverzeichnis

    In gewisser Hinsicht bietet dieses Buch eine Parallele zu Franklins wohlbekanntem Gleichnisse von dem Hutmacher und seinem Schilde. Es wurde in der einzigen Absicht begonnen, den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten zu schildern, und zwar theilweise durch eine Gruppe von verschiedenen Characteren, die frisch von Europa herkamen und denen wohl die eigenthümlichen Züge des Landes weit mehr auffallen mußten, als solchen Personen, die stets unter dem Einflusse der dargestellten Verhältnisse gelebt haben. Dem ursprünglichen Plane zufolge sollte das Werk an der Schwelle unsres Vaterlands oder mit der Ankunft der Reisenden zu Sandy Hook beginnen – einem Punkt, von dem aus die Geschichte regelmäßig bis zum Schlusse fortzugehen bestimmt war. Die Berathung mit Andern hat jedoch diesem Entwurfe nicht viel mehr gelassen, als von dem Schilde des Hutmachers zurückblieb, nachdem dieser die Ansichten seiner Freunde eingeholt hatte. Da schon in dem ersten Kapitel ein Schiff vorkam, so lautete der ewige Ruf – »noch mehr Schiffsscenen,« bis zuletzt das Werk eine »einzige Schiffsscene« wurde und in Wirklichkeit ungefähr an derselben Stelle schloß, wo es der ersten Anlage zufolge hätte beginnen sollen. In Folge dieses Abweichens von dem ursprünglichen Plane des Autors, der übrigens bei allen Entwürfen zu Grunde gelegt blieb, wurde es nothwendig, die Erzählung entweder zwei gesonderte Werke durchlaufen zu lassen, oder einen hastigen ungenügenden Schluß anzuflicken – und wir haben es vorgezogen das Erstere zu thun, indem wir hofften, daß das Interesse des Ganzen durch diese Einrichtung nicht wesentlich verkümmert werde.

    Sehr wahrscheinlich werden manche Personen in Abrede zu ziehen geneigt seyn, daß alle die Umstände, welche auf diesen Blättern berührt sind, ein und dasselbe Schiff betreffen konnten, obschon sie vielleicht sich zu dem Zugeständniß verstehen, sie dürften sich gar wohl auf mehreren verschiedenen Schiffen zugetragen haben – ein Raisonnement, das bei unsern Krittlern gar beliebt ist. Auf diesen Einwurf haben wir blos eine einfache Erwiederung zu geben. Ich fordre nemlich Diejenigen, die zum Mäkeln ein Recht zu haben glauben, heraus, das Logbuch des Londoner Paketboots Montauk beizubringen und wenn sich darin auch nur ein einziger Satz finden läßt, der irgend einer von unseren Angaben oder Thatsachen widerspricht, so soll feierlich Widerruf geleistet werden. Kapitän Truck ist in New-York eben so gut bekannt, als in London oder Portsmouth; auf ihn berufen wir uns also mit Zuversicht und erwarten von ihm die Bestätigung alles dessen, was wir gesagt haben, vielleicht einige gelegentliche Characterzeichnungen ausgenommen, die auf ihn selbst Bezug haben. Was nun diese betrifft, so fordern wir Mr. Leach, namentlich aber Mr. Saunders zu einem unpartheiischen Zeugniß auf.

    Die meisten unserer Leser werden wahrscheinlich wissen, daß nicht Alles, was in einem New-Yorker Journal erscheint, nothwendigerweise ein Evangelium ist. Es kommen hin und wieder – allerdings zweifeln wir nicht, daß dies nur nach sehr langen Zwischenräumen der Fall ist, – einige kleine Abweichungen von den Thatsachen vor, und es darf gewiß nicht überraschen, wenn bisweilen Umstände ausgelassen bleiben, die ebenso wahr sind, als andere, welche vor der Welt ausposaunt werden. Es ist daher keine stichhaltige Einwendung gegen die Vorfallenheiten unserer Geschichte, wenn man vorbringt, daß eine oder die andere derselben nicht in die regelmäßigen Marine-Tagblätter aufgenommen wurde.

    Von Seite des amerikanischen Lesers läßt sich noch ein anderer ernstlicher Einwurf gegen dieses Werk voraussehen. Der Autor hat sich bemüht, für Ereignisse, die so veraltet sind, als es durch zwei Jahre geschehen kann, um Interesse zu werben, obschon er wohl weiß, daß es, um mit dem Zustande einer Gesellschaft gleichen Schritt zu halten, in der es kein Gestern gibt, besser gewesen wäre, dem Gang der Dinge vorzugreifen und den Schauplatz der Erzählung um zwei Jahre in die Zukunft hinein zu rücken. Es steht jedoch zu hoffen, daß die öffentliche Stimmung kein Aergerniß nehmen wird an diesem Anflug von Alterthum, um so weniger, da der Verlauf der Erzählung dem Heute bis auf ein Jahr nahe rückt.

    Um mit dem Wichtigsten zu beginnen: der Montauk selbst, der vordem also »splendid« und bequem galt, ist bereits durch ein neues Schiff aus der öffentlichen Gunst verdrängt; denn in Amerika ist die Herrschaft eines populären Paketschiffs, eines populären Predigers oder was immer für einer populären Sache durch einen nationalen Esprit de corps auf eine Frist beschränkt, die um ein wesentliches kürzer ist, als ein Lustrum. Dies finde ich übrigens nicht mehr wie billig, denn der Wechsel der Gunst ist augenscheinlich eine eben so unumgängliche konstitutionelle Nothwendigkeit, als der Wechsel in den Aemtern.

    Merkwürdigkeitshalber müssen wir bemerken, daß Kapitän Truck noch immer populär ist – ein Umstand, welchen er selbst der Thatsache zuschreibt, daß er sich noch des ledigen Standes erfreut.

    Toast ist befördert und figurirt als Hauptperson in einer Speisekammer, die der seines großen Meisters nichts nachgibt, und Letzterer betrachtet das Aufkommen seines Zöglings so ziemlich mit denselben Blicken, mit welchen Karl XII. von Schweden nach der Schlacht bei Pultawa den Schritten seines großen Nebenbuhlers Peter folgte.

    Mr. Leach raucht nun seine eigene Cigarre und erläßt seine eigenen Befehle von einer Affenregeling, da sein Platz in der Postschifflinie durch seinen vormaligen »Dikey« ersetzt ist. Er spricht zwar immer von seinem großen Model als von einer ziemlich veralteten Sache, trägt aber dabei stets den Mann zur Schau, der seiner Zeit Verdienste hatte, obschon nicht gerade so, wie es heut zu Tage Mode ist.

    Zwei Jahre sind eine lange Periode in einem so thatkräftigen Lande, wie Amerika, wo nichts stille zu stehen scheint, als das Alter der Leibrentenbesitzer und Ausdinger; aber ungeachtet dieser kleinen Veränderungen, welche von einem so großen Zeitsprunge vielleicht unzertrennlich sind, hatte sich doch unter den Hauptpersonen dieses Buchs eine herzliche Zuneigung gebildet, welche wahrscheinlich die gemeinsame Reise überleben und nicht ermangeln wird, die meisten derselben in der Folge wieder zusammenzuführen.

    April, 1838.

    Erstes Kapitel.

    Inhaltsverzeichnis

    Ein trauliches Gemach steht zu Gebot,

    Darin du ruhen sollst und Dich erfrischen;

    Dann sprechen wir ein Weit'res von der Sache.

    Orra.

    Die Küste von England ist zwar unendlich schöner, als die unsrige, zeichnet sich aber doch mehr durch ihr Grün und den Charakter der Civilisation, den sie trägt, als durch ihre natürliche Anmuth aus. Die Kalkklippen mögen einem Amerikaner wohl kühn und edel erscheinen; aber in Vergleichung mit den Granitmassen, welche das mittelländische Meer begrenzen, sind sie doch bloße Maulwurfhaufen, und wer viel gereist ist, sucht statt ihrer die Schönheiten in den zurückweichenden Thälern, in den belaubten Gehägen und in dem Gewühl der Städte, welche über die fruchtbare Insel hingesät sind. Auch ist Portsmouth, wenn man blos das Malerische in Betracht zieht, kein sehr lieblicher britischer Hafen. Eine Stadt, auf einem bescheidenen Vorsprung gelegen und nach Weise der Niederlande befestigt, erinnert, trotz ihres trefflichen Ankergrundes, doch mehr an das Nützliche als an das Angenehme, während ein Hintergrund von allmählig zurückweichenden Hügeln wenig mehr bietet, als die grünen Thäler des Landes. In dieser Hinsicht besitzt England eher die frische Schönheit der Jugend, als die milderen Farben einer gereifteren Lebensperiode; oder besser gesprochen, man findet hier im Gegensatze von den wärmeren Tinten Spaniens und Italiens dieselbe jugendliche Frische und züchtige Anmuth, durch welche sich Albions Frauen auszeichnen – ein Geschlecht, das man, wie die Landschaft selbst, näher betrachten muß, um es würdigen zu können.

    Gedanken, wie diese, erfüllten den Sinn eines Reisenden, der auf dem Decke des Packetbootes Montauk stand und die Ellenbogen auf die Halbdeckregelingen aufstützte, während er die Küste betrachtete, die sich stundenweit gen Osten und Westen vor ihm ausbreitete. Die Art, wie dieser Gentleman, dessen Haare bereits mit Grau gesprenkelt waren, die Landschaft musterte, deutete mehr auf die Gedankenfülle der Erfahrung und einen durch Beobachtung veredelten Geschmack, als man dies gewöhnlich unter den Alltagscharakteren findet, welche in fast jeder Lebensstellung die Mehrzahl bilden. Die Ruhe seiner Haltung und eine Miene, die nichts von der Verwunderung oder Anmaßung eines Neulings in sich trug, hatten ihn von dem Augenblicke an, als er sich in London nach dem Platze einschiffte, an welchem wir ihn in der vorerwähnten Stellung sehen, so sehr ausgezeichnet, daß mehrere Matrosen Stein und Bein schworen, er sey ein verkleideter Kriegsschiffmann. Auch schien das blondhaarige, liebliche, blauäugige Mädchen an seiner Seite nur ein sanfter Widerstrahl seines Geistes, seiner Bildung und seiner Empfindungen zu seyn, indem sich zugleich in ihrem ganzen Wesen die Arglosigkeit und Einfalt aussprach, welche ihrem Geschlecht und ihren Jahren ziemte.

    »Wir haben schon edlere Küsten gesehen, Eva,« sagte der Gentleman, ihren Arm, der in dem seinigen ruhte, an sich drückend; »aber dennoch wird England stets schön seyn für ein amerikanisches Auge.«

    »Besonders wenn sich dieses Auge noch im achtzehnten Jahrhundert zum erstenmale dem Lichte öffnete, Vater.«

    » Deine Erziehung wenigstens, mein Kind, ist frei geblieben von dem Einflusse der National-Schwächen, wie schlimm immer das Geschick mir mitgespielt haben mag. Und doch – ich glaube, auch Du mußt in diesem Lande sowohl, als an dieser Küste viel gesehen haben, was der Bewunderung würdig ist.«

    Eva Effingham blickte einen Moment in das Auge ihres Vaters und setzte, weil sie bemerkte, daß er im Scherze sprach, ohne daß eine Wolke ein Antlitz beschattete, das in seinen Empfindungen so viel zu wechseln pflegte – die Unterhaltung fort, welche in der That erst durch die oben erwähnte Bemerkung aufgenommen worden war.

    »Ich habe meine Erziehung, wie man es nennt, aus so vielen Orten und Ländern zusammengeholt,« entgegnete Eva lächelnd, »daß es mir bisweilen vorkömmt, ich sey zu einem Weibe geboren, wie meine große Stammmutter und Namensschwester, die Mutter Abels. Wenn ein Lehrer-Congreß, aus allen Nationen zusammengelesen, jemand über Vorurtheile erheben kann, so darf ich zuverlässig behaupten, daß ich mich dieses Vortheils erfreue; nur fürchte ich, daß ich in meinem Bemühen, meine Ansichten liberal zu bilden, außer diesem Zwecke nicht viel weiter erreicht habe.«

    Mr. Effingham blickte voll väterlicher Zärtlichkeit, in welche sich augenscheinlich auch väterlicher Stolz mischte, auf das Antlitz seiner Tochter und erwiederte in der Augensprache, ohne daß die Zunge dem Gefühle Laut gab: »dies ist eine Besorgniß, liebes Kind, die Niemand mit Dir theilen wird.«

    »Ja, wohl haben zu diesem Congreß alle Nationen beigetragen,« murmelte eine andere Stimme in der Nähe des Vaters und der Tochter. »In der Musik haben Euch sieben Lehrer aus eben so vielen verschiedenen Staaten unterrichtet; dazu kömmt noch besonders die letzte Feile auf der Guitarre von einem Spanier, Griechisch von einem Deutschen, die lebenden Sprachen von den besten europäischen Lehrern, Philosophie durch Anschauung der Welt – und nun Ihr den Kopf voll Gelehrsamkeit, die Finger voll Griffe, die Augen voll Tinten und auch eine recht anmuthige Figur habt, nimmt Euch Euer Vater wieder nach Amerika zurück, um ›Eure Lieblichkeit in der Luft der Einöde hinwelken zu lassen.‹«

    »Wenigstens poetisch ausgedrückt, wenn auch nicht richtig gedacht, Vetter Jack,« entgegnete Eva lachend; »aber Ihr habt ›das Herz voll Liebe für das Land meiner Geburt‹ beizufügen vergessen.«

    »Das wird sich am Ende zeigen.«

    »Am Ende, wie im Anfang – jetzt und immerdar.«

    »Im Anfang ist alle Liebe ewig.«

    »Traut Ihr denn der Beständigkeit eines Frauenzimmers gar nichts zu? Glaubt Ihr, ein Mädchen von Zwanzig könne ihr Geburtsland, das Land ihrer Väter oder – wie Ihr es selbst zu nennen pflegt, wenn Ihr in guter Stimmung seyd – das Land der Freiheit vergessen?«

    »An Euch wird sie ein sauberes Freiheitspröbchen haben!« entgegnete der Vetter spöttisch. »Nachdem Ihr Eure Mädchenjahre unter dem gesunden Zwange einer vernunftmäßigen europäischen Gesellschaft verbracht habt, wollt Ihr jetzt zurückkehren zu der Sklaverei des amerikanischen Frauenlebens, welches in demselben Augenblicke beginnt, in welchem Ihr in den Ehestand tretet.«

    »In den Ehestand, Mr. Effingham?«

    »Ich denke, diese Katastrophe könnte eintreten – früher oder später; und bei einem Mädchen von Zwanzig ist sie weit wahrscheinlicher, als bei einem von Zehn.«

    »Mr. John Effingham ist aus Ermangelung einer gelegen kommenden Thatsache noch nie in einem Streite zu kurz gekommen, meine Liebe,« bemerkte der Vater, um den kurzen Wortwechsel zu einem Schlusse zu bringen. »Doch da nähern sich die Boote; wir wollen uns ein wenig zurückziehen und das Gemisch von Personen betrachten, mit denen wir wohl im Laufe eines Monats auf einen vertraulichen Fuß zu stehen kommen werden.«

    »Da könntest Du eben so gut ein einstimmiges Verdikt über einen Mord erzielen,« murmelte der Vetter.

    Mr. Effingham führte seine Tochter in das Sturm- oder Kutschenhaus, wie man es seltsamerweise auf Packetbooten gewöhnlich zu nennen pflegt, und sie blieben die nächste halbe Stunde auf dem Halbdecke, um das rührige Treiben der Passagiere zu beobachten. Wir benützen diesen Zwischenraum, um unserem Bilde einige der stärkeren Lichter aufzutragen, indem wir die Ausführung der weicheren Tinten und Schatten der Manier überlassen, in welcher der Künstler »seine Geschichte vorträgt.«

    Edward und John Effingham waren Bruderskinder, miteinander an dem gleichen Tage geboren, und hatten leidenschaftlich dasselbe Mädchen geliebt, welches dem erst Genannten den Vorzug schenkte und starb, nachdem sie Eva das Leben gegeben. Ungeachtet ihrer Nebenbuhlerschaft waren die Vetter aufrichtige Freunde geblieben, und dies wahrscheinlich um so mehr, weil sie in natürlicher Sympathie wechselseitig den gemeinsamen Verlust betrauerten. Sie hatten in der Heimath lange beisammen gelebt, hatten miteinander viele Reisen gemacht und waren nun im Begriffe, nach einer Abwesenheit von – ja, wir können sagen zwölf Jahren, in das Land ihrer Geburt zurückzukehren. Allerdings hatten sie in dieser langen Zeit einige kurze – John nicht weniger als fünf – Besuche in Amerika gemacht.

    Unter den beiden Vettern sprach sich eine so große Familienähnlichkeit aus, daß man ihr Aeußeres kaum zu unterscheiden vermochte, obschon es kaum möglich war, daß, wenn man sie getrennt sah, zwei menschliche Wesen auf einen blos zufälligen Beobachter einen entgegengesetzteren Eindruck übten. Beide waren groß, schön und von gebieterischer Haltung, dagegen das Wesen des Einen gewinnend, das des Andern aber, wenn auch nicht gerade abschreckend, so doch abgemessen und entfremdend. Die edlen Umrisse in Edward Effinghams Gesichte waren bei John zu einer kalten Strenge erstarrt; die gebogene Nase des Letzteren schien etwas Adlerartiges und Feindseliges in ihrer Krümmung auszudrücken – seine zusammengepreßten Lippen verriethen kalten Spott und das schön gebildete klassische Kinn – ein Zug, dessen sich die sächsische Race selten zu rühmen hat – trug das Gepräge einer stolzen Geringschätzung, die in der Regel Fremde bewog, ihn zu vermeiden. Eva zeichnete mit großer Gewandtheit und Treue; auch besaß sie, wie ihr Vetter richtig bemerkt hatte, ein Auge »voll von Tinten.« Oft und vielmal hatte sie die theuren Gesichter skizzirt, aber nie ohne sich zu wundern, worin denn eigentlich der große Unterschied bestand, den sie ihren Zeichnungen nie einzuverleiben vermochte. Freilich hätte auch die feine charakteristische Eigenthümlichkeit von John Effinghams Zügen die Geschicklichkeit eines Mannes, der sein ganzes Leben dem Studium der Kunst weihte, in Verlegenheit gesetzt, und es ist deshalb nicht zu verwundern, daß die zwar anmuthige, aber doch nicht tiefe Technik der schönen jungen Malerin ganz und gar daran zu Schanden wurde. Alle die Linien, welche ihren Vater so gewinnend und angenehm machten – ein Charakter der sich eher fühlen, als im Begriff verkörpern ließ – waren bei dem Vetter kühn markirt und, wenn uns der Ausdruck erlaubt ist, in Folge innerer Leiden und getäuschter Hoffnungen marmorartig erstarrt.

    Die beiden Verwandten waren reich; die Art ihres Reichthums war aber eben so verschieden wie ihre Charaktere. Edward Effingham besaß ein großes Erbeigenthum, das eine gute Rente abwarf und ihn mit warmer Zuneigung an die Fluren und Ströme Amerikas knüpfte, während der noch reichere John, an den ein großes Handelskapital gefallen war, nicht soviel Grund und Boden besaß, um darin begraben werden zu können. Wie er zuweilen spottend zu sagen pflegte, »stack sein Gold in Corporationen, die eben so seelenlos waren, als er selbst.«

    Gleichwohl war John Effingham ein Mann von gebildetem Geist, und wußte seine Manieren je nach den Verhältnissen, die sein ausgedehnter Verkehr in der Welt mit sich brachte, – oder vielmehr nach seinen Launen zu ändern. Gerade in letzterer Beziehung unterschied er sich vorzugsweise von Edward Effingham, dessen äußeres Benehmen eben so gleichförmig war, wie seine Gemüthsstimmung, obschon auch er sich durch umfassende Weltkenntniß auszeichnete.

    Die beiden Gentlemen hatten sich am 1. October, ihrem fünfzigsten Geburtstage, in dem nach New-York bestimmten Packetboote eingeschifft: denn ihre Ländereien und Familienbesitze lagen in dem Staate des gedachten Namens, in welchem sämmtliche bereits aufgeführte Personen das Licht erblickt hatten. Die Kajüten-Passagiere der Londoner Packetschiffe pflegen sonst nicht in den Docken an Bord zu gehen; aber Mr. Effingham – wie wir den Vater im Allgemeinen bezeichnen wollen, um ihn von dem Hagestolz John zu unterscheiden – hatte sich als alter, erfahrener Reisender vorgenommen, schon im glatten Wasser seine Tochter mit den eigenthümlichen Gerüchen eines Schiffes vertraut zu machen, um sie gegen die Seekrankheit zu schützen, obschon sich zuletzt heraus stellte, daß sie auffallenderweise keine Disposition für dieses Leiden hatte. Sie waren daher schon drei Tage an Bord, als das Schiff vor Portsmouth Anker warf – dem Punkte, wo die übrigen Reisenden an demselben Tage, an welchem wir unsere Erzählung beginnen, sich einzufinden hatten.

    Eben damals lag der Montauk mit drei gelösten Marssegeln, aufgegeiten großen Segeln und mit allen jenen Zeichen der Vorbereitung, welche den Landbewohner so sehr verwirren, obschon sie der Matrose so gut versteht, als nur Worte etwas auszudrücken vermögen, etwa eine Stunde vom Lande ab auf windstillem Grunde vor einem einzelnen Anker. Der Kapitän hatte nichts anderes mehr zu thun, als die Passagiere an Bord zu nehmen und seine Fleisch- und Gemüsevorräthe zu erneuern – Dinge, an die man auf dem Lande so gewöhnt ist, daß man selten anders daran denkt, als wenn man sie vermißt, obschon sie während einer Fahrt von mehreren Wochen eine große Bedeutsamkeit gewinnen. Eva hatte ihre drei Probetage sehr nützlich verwendet, da sie, mit Ausnahme ihrer beiden Verwandten, der Schiffsoffiziere und einer weiteren Person diese ganze Zeit über im ruhigen Besitz aller der großen, um nicht zu sagen prächtigen Kajüten gewesen war. Allerdings hatte sie eine weibliche Dienerin bei sich; aber sie war an dieselbe von Kindheit an gewöhnt, und Nanny Sidley – wie ihre frühere Wärterin und nunmehrige Kammerjungfer hieß – schien so ganz und gar ein Theil ihrer Gebieterin zu seyn, daß letztere ihre Abwesenheit fast ebensosehr wie den Mangel einer Hand oder eines Fußes gefühlt haben würde. Ein kurzes Wort über diesen trefflichen und treuen Dienstboten wird daher in den vorläufigen Erörterungen nicht am unrechten Orte seyn. Anna Sidley war eines jener ausgezeichneten Wesen, die man, wie europäische Reisende zu sagen pflegen, in ganz Amerika nicht findet und die, obschon sie allerdings weniger zahlreich vorkommen, als zu wünschen wäre, in ihrer Art nicht besser seyn könnten. Sie war in dienstlichen Verhältnissen geboren, hatte stets in denselben gelebt und war es völlig zufrieden, auch als dienende Person zu sterben – und dies noch obendrein in einer und derselben Familie. Wir wollen uns nicht auf eine tiefere Untersuchung der Gründe einlassen, welche die alte Anna zu der Ueberzeugung gebracht hatten, daß sie sich in einer Stellung befand, welche mehr geeignet war, sie glücklich zu machen, als irgend eine andere in ihrem Bereiche; aber sie fühlte dieselbe, wie John Effingham sich auszudrücken pflegte, »vom Wirbel bis zur Zehe.« Die Jahre der Kindheit und des Mädchenalters hatte sie bis zu denen der gereiften Entwickelung pari passu mit Evas Mutter verlebt; denn sie war die Tochter eines Gärtners, der im Dienste der Familie gestorben war, und hatte genug Herz, um zu fühlen, daß die gemischten Verhältnisse einer civilisirten Gesellschaft, wenn man sie gehörig verstand und zu würdigen wußte, weit mehr Glück bringen, als das gemeine Ringen, das in dem Zusammenflusse einer wanderlustigen und unstäten Bevölkerung der Lieblichkeit und den Grundsätzen des amerikanischen Lebens so großen Abtrag thut. Nach dem Tode von Evas Mutter hatte sie ihre Zuneigung auf das Kind übergetragen und in zwanzig Jahren eifriger Pflege ihren Schützling so lieb gewonnen, als wäre sie die natürliche Mutter desselben gewesen. Indeß war Nanny Sidley weit besser geeignet, für Eva's Körper zu sorgen, als für ihren Geist, weshalb letztere in einem Alter von zehn Jahren der Leitung einer trefflichen Gouvernante übergeben wurde – eine Maßregel, in deren Folge die Wärterin bescheiden und ruhig zu den Verrichtungen eines Dienstmädchens zurücktrat.

    Am schwersten wurde ihr das »Kreuz« – wie sich die arme Nanny auszudrücken pflegte – als Eva in einer Sprache zu reden begann, die sie selbst nicht verstehen konnte; denn ungeachtet der besten Absichten von der Welt und einer zwölfjährigen Gelegenheit hatte es die gute Person doch nie so weit bringen können, sich etwas von den fremden Zungen anzueignen, die ihr junger Pflegling so schnell erlernte. Als eines Tages Eva sich mit ihrer Lehrerin in einem lebhaften und heiteren italienischen Gespräche erging, konnte sich Anna unmöglich mehr halten, sondern riß im eigentlichen Sinne des Wortes das Mädchen an ihre Brust, brach in Thränen aus und bat sie flehentlich, sich doch nicht ganz ihrer armen alten Wärterin zu entfremden. Eva's Liebkosungen und Bitten brachten zwar das gute Geschöpf bald zum Bewußtseyn ihrer Schwäche; aber das natürliche Gefühl war so stark, daß es mehrjähriger aufmerksamer Beobachtung bedurfte, um sie mit den tausend trefflichen Eigenschaften von Mademoiselle Viefville zu versöhnen – denn so hieß das Frauenzimmer, welches in letzter Zeit mit der Leitung von Miß Effinghams Erziehung betraut war.

    Diese Mademoiselle Viefville befand sich gleichfalls unter den Passagieren und war die weitere Person, welche gemeinschaftlich mit Eva und ihren Verwandten die Kajüte einnahm. Sie war die Tochter eines französischen Offiziers, der in einem der Napoleonischen Feldzüge den Tod gefunden, hatte, in einer der bewunderungswürdigen Anstalten, welche wahre Lichtpunkte in der grausamen Geschichte des Eroberers bilden, eine treffliche Erziehung genossen, und stand jetzt in einem Alter, das ihr möglich gemacht hatte, bereits zwei junge Personen, von denen die letztere Eva Effingham war, heranzubilden. Zwölf Jahre innigen Umgangs mit ihrem Zögling hatten sie denselben so lieb gewinnen lassen, daß sie den Bitten des Vaters nachgab, das Mädchen nach Amerika zu begleiten und das erste Probejahr bei ihr auszuhalten – denn ein solches mußte es wohl für eine junge Dame von der Erziehung seines Kindes seyn, welchem in der neuen Welt ein ganz neuer gesellschaftlicher Zustand entgegentrat.

    Es ist so viel über französische Erzieherinnen gesprochen und geschrieben worden, daß wir dem Gegenstande nicht vorgreifen, sondern im Laufe unserer Erzählung diese Dame für sich selbst reden und handeln lassen wollen. Ohnehin liegt es nicht in unserer Absicht, uns in diesen einleitenden Bemerkungen allzusehr über unsere Charaktere zu verbreiten, und da wir jetzt die Hauptumrisse entworfen haben, so kehren wir zu dem natürlichen Lauf der Ereignisse zurück, indem wir hoffen, der Leser werde im Fortgang unserer Geschichte schon besser mit den betreffenden Personen bekannt werden.

    Zweites Kapitel.

    Inhaltsverzeichnis

    Graf Freßbauch und Graf Geier,

    Baron von Eselsschreier,

    Der Marschall Kupferfratz,

    Die gnädige Frau von Katz.

    Bad-Wegweiser.

    Das Eintreffen der Passagiere auf einem Packetschiff hat jedesmal für alle Betheiligten großes Interesse, namentlich aber, wenn die Fahrt nach dem Westen geht, die füglicherweise nie kürzer, als zu einem Monat angeschlagen werden kann; denn man hat in einem solchen Falle die Aussicht, diese ganze Zeit über in dem engen Raume eines Schiffes mit Leuten zusammengesperrt zu seyn, wie sie der Zufall zusammenführte, und sich in alle Launen und Eigenheiten der verschiedenen Charaktere zu schmiegen, der Verschiedenheiten in Nationalität, Lebensstellung und Erziehung gar nicht zu gedenken. Allerdings gilt das Halbdeck als eine Art Local-Auszeichnung, und die armen Geschöpfe im Volkslogis scheinen für die Zeit der Fahrt von der Vorsehung ganz hintangesetzt zu seyn; aber Alle, welche das Leben kennen, werden leicht begreifen, daß das bunte Durcheinander der Kajüten Leuten von Bildung und Geschmack selten viel Lockendes bieten kann. Dagegen findet sich übrigens eine eigenthümliche Quelle der Beruhigung: die Meisten sind nämlich geneigt, sich mit dem löblichen und zeitgemäßen Wunsche, Andern den Aufenthalt angenehm zu machen, um selbst auch die Fahrt nicht allzu ungemächlich finden zu müssen – in die Verhältnisse, wie sie einmal sind, zu fügen.

    Als ein Mann von Weltkenntniß und Bildung hatte Mr. Effingham dieser Reise um seiner Tochter willen nicht ohne große Besorgniß entgegengesehen; denn sein Zartgefühl ließ ihn nur mit Bangen an die Nothwendigkeit denken, ein Wesen von ihrer edlen und bildsamen Einfachheit dem rauhen Verkehr mit einer Schiffsgesellschaft aussetzen zu müssen. Die drei ersten Probetage hatten ihm übrigens Manches von seiner Beklommenheit benommen, da er Eva unter seiner, Mademoiselle Viefvilles, Nanny's und Johns Bewachung in guter Obhut sah, und er nahm jetzt einigermaßen mit der Sicherheit eines Mannes, der in seinen vier Pfählen verschanzt ist, seine Stellung in Mitte der eigenen Familie, um die neuen Ankömmlinge zu beobachten.

    Der Platz, den sie an einem Fenster des Sturmhäuschens einnahmen, gestattete ihnen keine Aussicht nach dem Meere; indeß war aus den Vorbereitungen, die auf dem Gange der Landseite stattfanden, zureichend zu erkennen, daß die Boote nahe genug waren, um einen Blick auf das Wasser unnöthig zu machen.

    » Genus – Londoner; species – Musterkartenreiter,« murmelte John Effingham, als der erste Ankömmling das Deck betrat. »Dieser Ehrenmann hat blos den Korb einer Kutsche gegen das Deck eines Packetschiffes vertauscht. Wir werden nun bald erfahren, wie hoch die Knöpfe im Preise stehen.«

    Es bedurfte keines Naturforschers, um die species des Fremden richtig zu bestimmen, obgleich John Effingham in seiner Schilderung ein bischen schärfer zu Werke ging, als durch den Thatbestand gerechtfertigt wurde. Die fragliche Person gehörte in die Classe der Handelsagenten, welche England so reichlich über die ganze Welt ausstreut und von denen einige die meisten gediegenen Eigenschaften ihrer Nation besitzen, obgleich vielleicht die Mehrzahl ein wenig geneigt ist, den Werth anderer Leute eben so sehr zu verkennen, als den eigenen. Dies war das genus, wie John Effingham sich ausgedrückt hatte, die species übrigens wird sich am besten aus der Zergliederung ergeben. Der Schiffsherr begrüßte diesen Mann herzlich und wie einen alten Bekannten unter dem Namen Monday.

    »Ein wiedererstandener Mousquetair,« sagte Mademoiselle Viefville in ihrem gebrochenen Englisch, als ein anderer Mann, welcher mit dem vorerwähnten in dem gleichen Boote angelangt war, sein schnurr- und backenbärtiges Gesicht über das Geländer des Ganges erhob.

    »Wahrscheinlicher ein Barbier, der seinen eigenen Kopf in einen Perückenstock umgewandelt hat,« brummte John.

    »Wahrhaftig, er wird doch kein verkleideter Wellington seyn,« fügte Mr. Effingham mit einem Spotte bei, der bei ihm ganz ungewöhnlich war.

    »Oder ein Peer des Reichs in seiner Standestracht!« flüsterte Eva, belustigt über die ausgesuchte Toilette des Gegenstands ihrer Bemerkungen, der, von einem Matrosen unterstützt, die Leiter heranstieg und, nachdem er mit dem Schiffsmeister gesprochen, seinem Bootsgefährten förmlich als Sir George Templemore vorgestellt wurde. Die beiden trieben sich einige Minuten auf dem Halbdecke umher und verdankten bei dieser Gelegenheit dem fleißigen Gebrauch ihrer Augengläser unterschiedliche Unannehmlichkeiten, da sie mit ihren Beinen gegen verschiedene Gegenstände anstießen, welche sie sonst wohl hätten vermeiden können. Indeß waren beide zu fein gebildet, um ihren Schmerz kundzugeben – oder meinten es wenigstens zu seyn, was dem Zwecke eben so gut entsprach.

    Nach diesem Schwadroniren stiegen sie mit einander nach der Kajüte hinunter, ohne übrigens ihre Blicke von der Gesellschaft in dem Sturmhäuschen, namentlich aber von Eva zu verwenden, die sie, zum großen Aergerniß der alten Anna, vorzugsweise zum Gegenstand ihrer unverhohlenen Beobachtung und Bewunderung gemacht hatten.

    »Man kann sich einigermaßen freuen, wenn man hoffen darf, gegen die lange Weile einer Seefahrt eine derartige Abhülfe zu finden,« sagte Sir George, als sie die Treppen hinabstiegen. »Ohne Zweifel seyd Ihr an dergleichen Dinge gewöhnt, Mr. Monday; aber bei mir ist's die erste Reise – das heißt, wenn ich die Fahrten auf dem Kanal und auf den Meeren ausnehme, die man auf der gewöhnlichen europäischen Tour mitnehmen muß.«

    »O Himmel, ich gehe und komme so regelmäßig, wie die Tag- und Nachtgleichen, Sir George, die, wie Ihr wißt, des Jahrs einmal zutreffen. Auch nenne ich meine Fahrten so, denn ich mache mir's gewissenhaft zur Pflicht, stets just zwölf Stunden von den vierundzwanzig in meinem Berth zuzubringen.«

    Dies waren die letzten Worte, welche vorderhand denen auf dem Decke von der Weisheit der Beiden zu Ohren kamen; und wahrscheinlich würden sie nicht einmal so viel vernommen haben, wenn nicht Mr. Monday ein gewisses renomistisches Wesen an sich gehabt hätte, das ihn bewog, stets eine Oktave höher zu sprechen als andere Leute. Obgleich übrigens ihre Stimmen fast verstummt oder doch für die oben Befindlichen so ziemlich unvernehmlich waren, so hörte man sie doch in ihren Staatsgemächern herumpoltern; namentlich versäumte Sir George nicht, häufig unter dem Namen »Saunders« nach dem Steward zu rufen, während Mr. Monday sich unter der passenden Bezeichnung »Toast« an den Gehülfen dieses Würdenträgers wandte.

    »Ich denke, wir können ohne Gefährde wenigstens diese Person als einen Landsmann in Anspruch nehmen,« sagte John Effingham, als ein Dritter an Bord stieg; »er gehört zu dem Schlage, den ich als ›Amerikanisch in europäischer Maske‹ bezeichnen hörte.«

    »Der Charakter ist weit mehr ehrgeizig gedacht, als geschickt festgehalten,« versetzte Eva, welche sich alle Mühe geben mußte, um nicht laut hinauszulachen. »Wenn ich eine Vermuthung wagen dürfte, so würde ich den Gentleman für einen Sammler von Trachten nehmen, der sich's in den Kopf gesetzt hat, eine Auswahl seiner Schätze an der eigenen Person zur Schau zu tragen. Mademoiselle Viefville, Ihr versteht Euch so gut auf Kostüme und könnt uns daher sagen, aus welchen Ländern er die verschiedenen Theile seines Anzugs zusammengerafft haben dürfte.«

    »Für den Berliner Laden, wo er die Reisemütze gekauft hat, will ich einstehen,« entgegnete die belustigte Erzieherin; »denn etwas Aehnliches ist in keinem anderen Theile der Welt zu finden.«

    »Ich sollte denken, Ma'am,« nahm Nanny mit der ruhigen Einfachheit ihrer Natur und ihrer Angewöhnungen das Wort: »daß der Gentleman seine Stiefeln in Paris gekauft haben muß, denn sie scheinen ihm die Füße zu drücken, und dies ist bei allen Pariser Stiefeln und Schuhen der Fall – wenigstens war's bei den meinigen so.«

    »Die Taschenuhr trägt zuverlässig den Stempel von Genf,« fuhr Eva fort.

    »Der Rock kommt von Frankfurt: c'est une équivoque.«

    »Und die Pfeife von Dresden, Mademoiselle Viefville.«

    »Die Conchiglia schmeckt nach Rom und das daran angebrachte Kettchen deutet auf den Rialto. Auch die Moustaches sind nichts weniger als indigènes, und das tout ensemble spricht von der Welt. Jedenfalls ist der Mann gereist.«

    Eva's Augen funkelten von Laune, als sie dies sagte; da aber inzwischen der neue Passagier, welcher von dem Kapitän als ein Mr. Dodge angeredet wurde und gleichfalls ein alter Bekannter desselben zu seyn schien, in die Nähe der Gesellschaft gekommen war, so mußten fernere Bemerkungen unterbleiben. Ein kurzes Gespräch zwischen ihm und dem Schiffsherrn weihte die Zuhörer bald in den Umstand ein, daß der Reisende im Frühling von Amerika herübergekommen war, die europäische Tour gemacht hatte, und jetzt im Herbste wieder über den atlantischen Ocean zurückzukehren gedachte.

    »Also genug gesehen, ha!« fügte der Kapitän mit einem freundlichen Kopfnicken bei, nachdem der Andere mit einer kurzen Schilderung seiner Erlebnisse auf der östlichen Hemisphäre zu Ende gekommen war. »Seyd ganz Auge gewesen – aber keine Muße oder Neigung nach mehr?«

    »Ich habe so viel gesehen, als ich zu sehen wünschte,« entgegnete der Reisende, indem er einen Nachdruck auf das letztere Wort legte, der sich auf dem Papiere nicht wieder geben läßt, aber beredt die Selbstzufriedenheit und Selbstkenntniß des Sprechers ausdrückte.

    »Na, das ist die Hauptsache. Hat man von irgend etwas, was man wünscht, so ist jede weitere Zugabe reiner Ballast. So oft ich auf meine fünfzehn Knoten aus dem Schiffe kommen kann, muß es bei mir nach Herzensgelüsten gehen, zumal, wenn das Fahrzeug unter dicht gerefften Topsegeln und an einem strammen Bolien liegt.«

    Der Reisende und der Kapitän nickten sich mit den Köpfen zu, wie Leute, die einander besser verstehen, als gerade in dem dürren Sinn der Worte ausgedrückt ist, und ersterer ging sodann hinunter, nachdem er zuvor mit besonderem Interesse sich erkundigt hatte, ob sein Zimmergenosse Sir George Templemore bereits angelangt sei. Ein Verkehr von drei Tagen hatte eine Art Bekanntschaft zwischen dem Kapitän und den Passagieren eingeleitet, die er den Fluß herunter gebracht hatte, und als er jetzt sein rothes, verfängliches Gesicht den Damen zuwandte, bemerkte er mit unnachahmlicher Gravität:

    »Nichts ist so schön, als wenn man weiß, wann man genug hat – selbst wenn sichs dabei um Kenntnisse handelt. Ich habe noch nie einen Schiffmann gesehen, der am nämlichen Tage zwei ›Mittagshöhen‹ gefunden hätte, ohne daß er in Gefahr gewesen wäre, Schiffbruch zu leiden. Ich will deshalb gern glauben, daß Mr. Dodge, der eben hinunterging, seiner Aussage gemäß Alles gesehen hat, was er zu sehen wünschte, denn es ist überhaupt recht wohl möglich, daß er jetzt schon mehr weiß, als er füglicherweise tragen kann. – Die Leute sollen die Spieren an die Raaen bringen, Mr. Leach; es wird nöthig seyn, daß wir unsere Schwingen ausbreiten, ehe wir mit unsrer Fahrt zu Ende kommen.«

    Da Kapitän Truck zwar oft schwor, aber nie lachte, so ertheilte sein Mate die nöthigen Befehle mit einer Würde, welche der in nichts nachstand, mit welcher er ursprünglich gegeben worden war, und sogar die Matrosen stiegen zur Vollziehung desselben mit desto größerer Behendigkeit in das Tackelwerk hinauf, um einer Laune nachhängen zu können, die ihrem Beruf eigentümlich ist und deren sie sich um so mehr erfreuten, je weniger sie von Anderen verstanden wurde. Da auf dem Rückwege die Mannschaft aus denselben Leuten bestand, wie bei der Ausfahrt, und Mr. Dodge seine Reise ebenso gelbschnäblig angetreten hatte, als er gereift wieder heimkehrte, so konnte dieser Reisende von sechs Monaten unterschiedlichen Bemerkungen nicht entgehen, die ihn buchstäblich ›vom Leik bis zum Ringe‹ zerarbeiteten und in dem Tackelwerk umherflogen, wie lustige Vöglein in der Krone eines Baumes von Zweig zu Zweig flattern. Der Gegenstand aller dieser Witzeleien blieb jedoch in tiefer, um nicht zu sagen – glücklicher Unwissenheit über das Aufsehen, das er erregt hatte, denn er war zur Zeit damit beschäftigt, die Dresdner Pfeife, die venetianische Kette und die römische Conchiglia in seinem Staatsgemach unterzubringen, zugleich aber, wie er sich ausdrückte, mit seinem Zimmergenossen, Sir George Templemore »eine Bekanntschaft zu instituiren«!

    »Zuverläßig muß noch bessere Reisegesellschaft kommen, als diese,« nahm Mr. Effingham das Wort, »denn ich bemerkte, daß zwei von den Staatsgemächern in der großen Kajüte einzeln genommen wurden.«

    Damit der Leser dieß verstehe, wird es hier am Ort sein, auseinanderzusetzen, daß die Packetschiffe in jedem Staatszimmer zwei Schlafstellen haben; wer aber extra zahlt, kann ein Gemach einzeln erhalten. Es ist kaum nöthig, beizufügen, daß Leute von Bildung, wenn anders die Umstände es erlauben, lieber in andern Dingen sparen, um den Monat, der gewöhnlich auf die Fahrt verwendet werden muß, für sich selbst leben zu können; denn in nichts spricht sich die Bildung mehr aus, als in der Zurückhaltung, mit welcher man die persönlichen Gewohnheiten den Blicken Anderer entzieht.

    »Es fehlt nicht an gemeinen Dummköpfen, die sich mit vollen Taschen auf den Weg machen,« entgegnete John Effingham. »Die beiden Gemächer, von denen Ihr sprecht, können eben so gut von ›Jährlingskälbern‹ gemiethet seyn, die wenig besser sind, als der weise Fant von einem halben Jahre, der eben an uns vorbei kam.«

    »Wenigstens spricht sich darin etwas von dem aus, Vetter Jack, was ein Gentleman wünschen kann.«

    » Etwas ist es allerdings, Eva; aber zuletzt ists ein leerer Wunsch oder gar eine Carrikatur.«

    »Wie heißen sie wohl?« fragte Mademoiselle Viefville scherzhaft. »Die Namen geben vielleicht einen Schlüssel zu ihren Charakteren.«

    »Die Zettel, welche mit Stecknadeln an die Bettvorhänge geheftet sind, geben die widersprechenden Namen Mr. Sharp¹ und Mr. Blunt;² indeß ist es leicht möglich, daß bei ersterem zufälligerweise ein Buchstabe wegblieb und Letzterer blos ein Synonym des alten nom de guerre ›cash‹ ist.«

    »Reist man denn in unseren Tagen wirklich noch mit erborgten Namen?« fragte Eva mit einem kleinen Anflug von der Neugier unserer gemeinsamen Mutter, deren Namen sie trug.

    »Ja wohl, und ebensogut, wie früher, auch mit erborgtem Gelde. Ich wette übrigens, diese unsere beiden Reisegefährten werden in Wahrheit ihren Namen Ehre machen – scharf genug und stumpf genug.«

    »Meint Ihr, sie könnten Amerikaner seyn?«

    »Warum nicht? Beide Eigenschaften sind ja ganz indigènes, wie Mademoiselle Viefville sagen würde.«

    »Nicht doch, Vetter John; – wir wollen uns nicht länger mit Worten herumbalgen; denn seit der letzten zwölf Monate habt Ihr wenig Anderes gethan, als Euch Mühe gegeben, das freudige Vorgefühl, mit welchem ich nach dem Schauplatze meiner Kindheit zurückkehre, zu schwächen.«

    »Liebes Kind, ich möchte nicht gerne irgend eine Deiner jugendlichen, edlen Freuden durch eine Beimischung meiner eigenen Bitterkeit verkümmern – aber was willst Du? Eine kleine Vorbereitung auf das, was so nothwendig kommen muß, als die Sonne der Morgenröthe folgt, wird ja eher dazu dienen, die [Enttäuschung] zu mildern, die unausbleiblich bevorsteht.«

    Eva hatte nur noch Zeit, ihm einen Blick liebevollen Dankes zuzuwerfen – denn wenn er auch im Hohne sprach, geschah es stets mit einem Gefühl, das sie von Kindheit an würdigen gelernt hatte – als die Ankunft eines andern Bootes die gemeinschaftliche Aufmerksamkeit nach dem Gange hinlenkte. Ein Ausruf des dienstthuenden Offiziers hatte den Kapitän nach dem Geländer geführt, und sein Befehl, »das Gepäcke von Mr. Sharp und Mr. Blunt heraufzuschaffen«, wurde von Allen in der Nähe deutlich vernommen.

    »Jetzt kommen les indigènes«, flüsterte Mademoiselle Viefville mit der gespannten Aufregung, welche bei dem zarteren Geschlecht eine lebhafte Erwartung zu bekunden pflegt.

    Eva lächelte, denn es gibt Lagen, in welchen Kleinigkeiten das Interesse wecken helfen, und das Wenige, was bis jetzt vorgegangen war, hatte dazu gedient, die Neugierde der ganzen Gesellschaft zu erregen. Mr. Effingham hielt es für ein günstiges Anzeichen, daß der Meister, der alle seine Passagiere schon in London kennen gelernt hatte, den neuen Ankömmlingen bis an die Laufplanke entgegenging; denn eine Bootslast ordinären Halbdecksvolks war einen Augenblick zuvor an Bord gekommen, ohne von ihm größerer Berücksichtigung als einer allgemeinen Verbeugung und des gewöhnlichen Befehls zu Empfangnahme ihrer Effekten gewürdigt zu werden.

    »Die Zögerung deutet auf Engländer,« konnte der spöttische John eben noch einwerfen, ehe die stumme Vorbereitung an der Planke durch das Erscheinen der neuen Ankömmlinge unterbrochen wurde.

    Mademoiselle Viefville's ruhiges Lächeln deutete, als die beiden Reisenden auf dem Deck erschienen, auf Beifall, denn ihr geübtes Auge erkannte auf den ersten Blick, daß die Ankömmlinge ohne Frage Männer von Bildung waren. Die Frauen haben in ihrer Art für den geselligen Verkehr einen viel reineren Sinn und lernen schon vermöge ihrer Erziehung weit feiner zu unterscheiden, als die Männer; Eva wandte daher, sobald sie einen Blick der Neugierde auf die beiden Männer geworfen hatte, gleich einer wohlerzogenen jungen Person in einem Besuchszimmer, unwillkührlich ihre Augen ab, obschon sie vielleicht Sir George Templemore und Mr. Dodge so ruhig wie Thiere in einer Menagerie oder wie Geschöpfe, die sie durchaus nichts angingen, gemustert haben würde.

    »Sie sind in der That Engländer,« bemerkte Mr. Effingham ruhig, »und ohne Zweifel auch gebildete Engländer.«

    »Der Nächste scheint mir ein Festländer zu seyn,« antwortete Madam Viefville, die sich nicht, gleich Eva, bewogen gefühlt hatte, den Blick abzuwenden; »er ist jamais Anglais.«

    Eva ließ wider Willen einen verstohlenen Blick hinübergleiten und deutete mit dem angeborenen Scharfblicke eines Weibes an, daß sie zu demselben Schlusse gekommen sey. Die beiden Fremden waren schlanke, entschieden gentlemanisch aussehende junge Männer, so daß sie wohl unter allen Umständen Beachtung finden mußten. Der Eine, welchen der Kapitän als Mr. Sharp anredete, war noch sehr jung, wie sein blühendes Gesicht bekundete, und hatte lichte Haare; dagegen zeigte das Antlitz des Anderen einen edleren und ausdrucksvolleren Schnitt, und Mademoiselle Viefville meinte in der That, sie habe nie ein süßeres Lächeln gesehen, als das, womit er den Gruß auf dem Decke erwiederte. Allerdings lag auch mehr als der gewöhnliche Stempel eines feinen Umgangtons und die entsprechende Mimik darin, denn die Beobachterin glaubte in dem Lächeln des Fremden Sinnigkeit und wohl gar einen Anflug von Schwermuth lesen zu können. Sein Gefährte benahm sich anmuthig und ganz nach den Regeln des guten Tons; indeß lag doch in seiner Haltung weniger von der Seele des Mannes, da sie eher auf die gesellschaftliche Kaste hindeutete, zu welcher er gehörte. Diese Unterscheidungen mögen dem Leser für die Umstände doch als gar zu fein gehalten erscheinen; aber Mademoiselle Viefville hatte ihr ganzes Leben in guter Gesellschaft und in einer Stellung verbracht, in welcher Beobachtung und Urtheil – namentlich die Beobachtung des andern Geschlechtes – für sie sehr nöthig wurden.

    Jeder der Fremden hatte einen Diener bei sich, und während ihr Gepäck aus dem Boote herausgeschafft wurde, verfügten sie sich in Begleitung des Kapitäns mehr nach dem Hinterschiffe in die Nähe des Sturmhäuschens. Jeder Amerikaner, der mit der Welt nicht sehr bekannt ist, scheint von einer wahren Manie des Vorstellens besessen zu seyn, und Kapitän Truck machte keine Ausnahme von dieser Regel; denn obschon ein tüchtiger Schiffsbefehlshaber, der die Etikette des Halbdecks auf ein Haar hin verstand, gerieth er doch augenblicklich in's blaue Wasser, sobald sich's um Feinheit des Benehmens handelte. Er gehörte zu jener Schule von Elegants, welche meinen, es zeuge von guter Bildung, wenn sie miteinander ein Glas Wein trinken oder eine Vorstellung an den Mann bringen können; denn es überstieg ganz seine Fassungsgabe, daß diese beiden Akte ihren besonderen Nutzen haben könnten und daher nur bei besonderen Gelegenheiten benützt werden sollten. Dennoch war der würdige Schiffsmeister, der sein Leben ohne vorläufige Kenntniß der Gebräuche in der Back begonnen und den Satz, daß »das Benehmen den Mann mache,« im engsten Sinne des Wortes genommen hatte, gar eifrig in dem, was er für feine Bildung hielt, und darunter gehörte zuvörderst das Vorstellen, weil seiner Ansicht nach die Passagiere sich nicht wohl fühlen konnten, wenn sie sich nicht gegenseitig kannten; übrigens brauchen wir kaum zu sagen, daß dieses Benehmen unter der besseren Classe von Reisenden gerade das Gegentheil von der beabsichtigten Wirkung zur Folge hatte.

    »Ihr seyd bereits miteinander bekannt, Gentlemen?« fragte er, als er mit den Beiden in die Nähe des Sturmhäuschens kam.

    Die beiden Reisenden versuchten, sich die Miene des Interesses zu geben, während Mr. Sharp obenhin bemerkte, sie hätten sich erst im Boot zusammengefunden. Dies war eine gar liebliche Kunde für Kapitän Truck, der keinen Augenblick zögerte, die Gelegenheit bestens zu benützen. Er blieb vor seinen Begleitern stehen und machte mit einer feierlichen Schwenkung der Hand die Ceremonie durch, die ihm so viel Vergnügen machte und in deren Ausführung er sich ein Eingeweihter zu seyn schmeichelte.

    »Mr. Sharp, erlaubt mir, Euch Mr. Blunt vorzustellen. – Mr. Blunt, ich gebe mir die Ehre, Euch mit Mr. Sharp bekannt zu machen.«

    Die Gentlemen, obgleich ein wenig überrascht über die Gravität und Förmlichkeit des Kapitäns, griffen gegenseitig höflich an ihre Hüte und lächelten. Eva, die sich durch die Scene nicht wenig belustigt fühlte, beobachtete den Vorgang genau und entdeckte nun gleichfalls die milde Schwermuth in dem Antlitze des Einen nebst der marmorartigen Ironie auf den Zügen des Andern. Möglicherweise lag in diesem Umstande der Grund, daß sie fast unmerklich zusammenfuhr und erröthete.

    »Die Reihe wird nächstens an uns kommen,« murmelte John Effingham. »Haltet nur die nöthigen Grimassen bereit.«

    Seine Vermuthung erwies sich als richtig; denn da der Kapitän Johns Stimme gehört hatte, ohne übrigens ein Wort des Gesagten zu verstehen, so verfolgte er zur eigenen großen Selbstbefriedigung seinen Vortheil.

    »Gentlemen – Mr. Effingham, Mr. John Effingham« – Jedermann lernte nämlich bald beim Anreden der beiden Vetter diese Unterscheidung machen – »Miß Effingham, Mademoiselle Viefville: – Mr. Sharp, Mr. Blunt; Gentlemen, Mr. Blunt, Mr. Sharp.«

    Die würdevolle Verbeugung Mr. Effinghams, wie auch das leichte abgemessene Lächeln Eva's würde selbst bei Leuten von weniger gutem Tone, als an den beiden Fremden zu bemerken war, jede ungebührliche Vertraulichkeit verbannt haben; sie nahmen daher die unerwartete Ehre in einer Weise auf, als fühlten sie, daß sie im Augenblick belästigten. Mr. Sharp lüpfte jedoch gegen Eva seinen Hut, hielt ihn für einen Moment über seinem Kopfe, ließ dann seinen Arm der vollen Länge nach fallen und verbeugte sich mit tiefer, aber doch zurückhaltender Höflichkeit. Mr. Blunt benahm sich nachlässiger in seiner Begrüßung, aber doch immerhin mit so viel Anstand, als es die Umstände überhaupt forderten. Beide Gentlemen waren ein wenig betroffen von dem entfremdenden Stolze John Effinghams und dessen »gebieterischer« Verbeugung, wie sie Eva lachend zu nennen pflegte, obschon es die äußere Form derselben an nichts fehlen ließ. Das Gewühl der Vorbereitungen zur Abfahrt und die Gewißheit, daß es nicht an Gelegenheit fehlen werde, den Verkehr zu erneuern, hatten zur Folge, daß es bei der allgemeinen Begrüßung blieb, und die neuen Ankömmlinge stiegen nach ihren Staatsgemächern hinunter.

    »Ist Euch nicht die Art aufgefallen, wie diese Leute meine Vorstellung entgegennahmen?« fragte Kapitän Truck seinen Hauptmaten, den er zur Packetschiffshöflichkeit heranzubilden bemüht war, als sei diese das einzige Mittel, sich in Zukunft Auszeichnung zu sichern. »Meiner Ansicht nach hätten sie sich doch wenigstens die Hände drücken sollen. So was nenne ich nach Vattel handeln.«

    »Man trifft wohl hin und wieder auf dergleichen abgeschmackte Kunden,« entgegnete der Andere; »aber wenn Einer seine Hände in den Taschen behalten will, so soll er's thun, sage ich, obschon ich es für eine Geringschätzung gegen die Gesellschaft ansehe, wenn Jemand in solchen Dingen von dem gewöhnlichen Gange abschiert.«

    »Ich bin auch dieser Ansicht; aber was können im Grunde die Packetschiffer in solchen Fällen thun? Wir setzen den Passagieren ihr Lunch und ihr Diner auf, sind aber nicht im Stande, sie zum Essen zu zwingen. Was mich betrifft, so mach' ich mir's zur Regel, wenn mich ein Gentleman vorstellt, die Sache säuberlich ablaufen zu lassen und Druck für Druck zu erwiedern, so gut als dreimal drei neun ist; aber dieses Hinaufstechen an den Castor kommt mir ebenso vor, wie wenn wir ein Oberbramsegel einziehen wollten, wenn man zur See an einem Schiff vorbeikommt: es bedeutet just gar nichts. Wer kann auch ein Schiff kennen lernen, wenn man dessen Ziehtaue laufen und die Raa wieder aufschwingen läßt? Manierlichkeit halber könnte man dies eben so gut vor einem Türken thun. Nein, nein, es liegt etwas darin, und – hole mich der Henker, nur um mich zu überzeugen, will ich bei erster Gelegenheit, die sich bietet – ja, ich will sie Alle sich gegenseitig noch einmal vorstellen! – Die Leute sollen ihre Handspacken aufnehmen, Mr. Leach, und die schlaffe Kette aufziehen. – Ja, ja – ich will, wenn alle Matrosen auf dem Deck sind, die Gelegenheit ersehen und sie schiffsgerecht einen nach dem andern vorstellen, wie unsere Grünschnäbel durch ein Tölpelloch schlüpfen; denn wahrhaftig, sonst ist während der ganzen Fahrt an kein freundschaftliches Verhältniß zu denken.«

    Der Mate nickte beifällig, als habe sein Oberer das beste Auskunftsmittel getroffen, und schickte sich sodann an, die Aufträge zu vollziehen, während der Commandeur durch die Sorge für sein Schiff genöthigt wurde, sich für den Augenblick den Gegenstand aus dem Sinn zu schlagen.


    1. Scharf.

    2. Stumpf, oder auch Derb. Siehe später.

    Drittes Kapitel.

    Inhaltsverzeichnis

    Hier muß nach aller Schilderung der Platz seyn.

    Wer da? – Sprich! – keine Antwort? – was ist dies?

    Timon von Athen.

    Ein Schiff mit losen Segeln und flatternden Wimpeln ist stets ein schöner Anblick, und der Montauk, ein edles, zu New-York gebautes Schiff von siebenhundert Tonnen Last war ein Pröbchen erster Classe aus der »Kesselbodenschule« der Marine-Architektur, da es ihm an nichts mangelte, was den Geschmack und die Erfahrung des Tages als zweckmäßig erscheinen ließ. Das Schauspiel, welches jetzt vor unseren Reisenden vorging, lenkte daher bald Mademoiselle Viefvilles und Evas Augen von den Vorstellungen des Kapitäns ab, denn beide schenkten nun den verschiedenen Bewegungen der Schiffsmannschaft und der Passagiere, wie sie sich nach und nach den Blicken vergegenwärtigten, ungetheilte Aufmerksamkeit.

    Eine Gruppe gut gekleideter Personen, welche übrigens augenscheinlich einer niedereren Classe angehörten, als die weiter hinten, drängten sich auf den Gängen, ohne sich viel von den physischen Leiden träumen zu lassen, welche ihnen bevorstanden, ehe sie das Land der Verheißung, jenes ferne Amerika erreichten, nach welchem die Armen und Unterdrückten fast aller Nationen sehnsüchtig und schutzsuchend die Blicke kehren. Mit Verwunderung sah Eva betagte Männer und Frauen darunter – Geschöpfe, die schon auf dem Punkte standen, die meisten weltlichen Bande zu lösen, um Ruhe zu finden nach den körperlichen Leiden und Entbehrungen, die schon mehr als ein Schock Jahre schwer auf ihnen gelegen hatten. Einige hatten sich selbst jenem geheimnißvollen Triebe, den der Mensch für seine Nachkommenschaft fühlt, zum Opfer gebracht, während dagegen Andere freudig und hoffnungsfrisch im Vertrauen auf ihre jugendliche Kraft die Reise antraten. Mehrere, deren Stellung im Vaterland durch ihre Laster unmöglich geworden war, hatten sich in der eitlen Hoffnung eingeschifft, eine Veränderung des Schauplatzes und eine Erweiterung der Mittel, ihren Leidenschaften nachzuhängen, dürfte einen wohlthätigen Einfluß auf die Wiederherstellung ihrer Ehre üben; alle aber trugen sich mit glücklichen Bildern der Zukunft, welche durch die Wahrheit wohl getrübt worden wären, denn unter den Auswanderern, welche sich in dem Schiffe zusammengefunden hatten, befand sich vielleicht nicht ein Einziger, der gesunde oder vernünftige Ansichten über die Art, wie sich sein Schritt lohnen dürfte, unterhalten hätte, obschon wahrscheinlich Mancher darunter einen Erfolg fand, der seine glänzendsten Erwartungen überbot. Freilich mochte wohl der Mehrzahl das Loos der Täuschung vorbehalten seyn.

    Betrachtungen, wie die eben genannten, gingen Eva Effingham durch die Seele, als sie das gemischte Gedränge musterte, in welchem Einige mit Empfangnahme ihrer Habseligkeiten aus den Booten beschäftigt waren, Andere sich von ihren zum Theil weinenden Freunden verabschiedeten. Da und dort suchte ein Häuflein den Schmerz des Scheidens durch den Becher zu ersticken, während verwunderte Kinder ängstlich zu den wohlbekannten Gesichtern aufblickten, als fürchteten sie in dem Gewühle diejenigen zu verlieren, die ihnen theuer waren und auf deren Liebe sie stets hatten bauen dürfen.

    Obgleich die strenge Disciplin, welche die Passagiere der Cajüte und des Zwischendecks in eben so bestimmt geschiedene Kasten trennt, wie man sie unter den Hindus findet – noch nicht bestand, so war sich Kapitän Truck doch seiner Obliegenheiten zu sehr bewußt, um einen unceremoniösen Einfall nach dem Halbdecke zu gestatten. Dieser Theil des Schiffes entging daher für den Moment meist der Verwirrung des Augenblicks, obgleich Koffer, Kisten, Körbe und anderes ähnliches Reisegeräth in erträglichem Ueberflusse umhergestreut waren. Den Raum benützend, der noch für diesen Zweck zugänglich war, verließ der größere Theil unserer Gesellschaft das Sturmhäuschen, um ein wenig auf dem Decke hin und her zu wandeln. In diesem Augenblicke kam von dem Land aus ein weiteres Boot neben dem Schiffe an und eine ernst aussehende Person, welche nicht geneigt zu seyn schien, ihrer Würde durch Vernachlässigung oder Hintansetzung von Formen Abtrag zu thun, zeigte sich auf dem Decke, wo sie sich nach dem Schiffsherrn erkundigte. In diesem Falle war eine Vorstellung unnöthig, denn Kapitän Truck war seines Gastes kaum ansichtig geworden, als er mit einemmale die Züge und das feierlich pomphafte Wesen eines Portsmouther Polizeibeamten erkannte, welcher oft dazu benützt wurde in den amerikanischen Packetschiffen nach Delinquenten von allen Graden der Thorheit oder des Verbrechens zu fahnden.

    »Ich habe schon geglaubt, ich werde bei dieser Fahrt nicht das Vergnügen haben, Euch zu sehen, Mr. Grab,« sagte der Kapitän, dem Myrmidonen des Gesetzes vertraulich die Hand reichend; »aber der Gang der Zeit ist nicht regelmäßiger, als das Erscheinen der Gentlemen, die im Namen des Königs kommen. – Mr. Grab, Mr. Dodge; Mr. Dodge, Mr. Grab. Und nun, welcher Fälschung, welcher Doppelehe, welcher Entführung, oder welchem Scandalum magnatum verdanke ich heute die Ehre Eures Besuchs? – Sir George Templemore, Mr. Grab; Mr. Grab, Sir George Templemore.«

    Sir George verbeugte sich mit dem Ausdrucke würdevoller Abneigung, wie sie etwa ein ehrlicher Mann gegen das Gewerbe eines Diebshäschers unterhalten mag, während Mr. Grab seinerseits Sir George mit ernster Amtswürde ansah. Der Polizeibeamte hatte jedoch nichts in der Kajüte zu schaffen, sondern war nur gekommen, um eine junge Frauensperson aufzusuchen, welche einen von ihrem Onkel verworfenen Bewerber geheirathet hatte. Dieser Schritt stellte dem Vormund wahrscheinlich einen Rechnungsabschluß in Aussicht, den er unbequem fand, weßhalb er es vielleicht für klug gehalten hatte, den Folgen desselben dadurch vorzugreifen, daß er gegen den jungen Ehemann für wirkliche oder angebliche Vorschüsse, die er seiner Nichte während ihrer Minderjährigkeit geleistet hatte, eine Schuldklage einbrachte. Ein Dutzend gieriger Ohren fingen die Hauptzüge dieser Erzählung, wie sie dem Kapitän mitgetheilt wurde, auf, und in unglaublich kurzer Zeit hatte sie mit nicht wenig verschönernden Zusätzen ihre Runde durch das ganze Schiff gemacht.

    »Die Person des Gatten ist mir nicht bekannt,« fuhr der Polizeibeamte fort, »und auch der Attorney, der mich begleitet, kennt ihn nicht. Sein Name aber ist Robert Davis, und Ihr werdet ihn leicht auffinden können. Wir wissen, daß er in diesem Schiffe ist.«

    »Mein theurer Sir, die Zwischendeckpassagiere stelle ich nie vor, und in der Kajüte ist keine Person dieses Namens – darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort, und dies ist doch eine Versicherung, die zwischen Gentlemen, wie wir, Geltung haben muß. Es bleibt Euch unbenommen, eine Durchsuchung vorzunehmen, aber der Schiffsdienst kann dadurch nicht unterbrochen werden. Faßt Euern Mann, aber haltet das Schiff nicht auf. Mr. Sharp, Mr. Grab; Mr. Grab, Mr. Sharp. – Hand angelegt da, Mr. Leach, und laßt sobald als möglich die schlaffe Kette aufholen.«

    Zwischen den zuletzt gegenseitig vorgestellten Personen schien, wie es die Physiker nennen, eine abstoßende Anziehungskraft stattzufinden, denn der schlanke gentlemanisch aussehende Mr. Sharp musterte den Beamten mit stolzer Kälte, ohne daß beiderseits viele Umstände für nöthig erachtet worden waren. Mr. Grab rief nun seinen Begleiter, den Attorney, aus dem Boote und benahm sich mit ihm über die weiteren Schritte. Fünfzig Köpfe hatten sich um sie geschaart, und neugierige Blicke bewachten ihre kleinsten Bewegungen; auch machte sich hin und wieder Einer aus dem Gedränge unsichtbar, um über den Verlauf Bericht zu erstatten.

    Der Mensch ist zuverlässig ein Geschöpf, das zum Zusammenhalten bestimmt ist; denn ohne die Bedeutung des Falls zu begreifen und ohne sich überhaupt mit der Frage zu bemühen, wer in der Sache Recht oder Unrecht habe, traten im bloßen Geiste der Partheigängerschaft von den Bewohnern des Zwischendecks, das ungefähr hundert Seelen fassen mochte, Mann, Weib und Kind gegen das Gesetz auf, um sich auf die Seite des Beklagten zu stellen. Alles dies geschah jedoch in aller Ruhe, ohne daß Jemand mit Gewalt drohte oder nur davon träumte; denn die Mannschaft und die Passagiere nehmen in solchen Fällen gewöhnlich ihre Schlagworte von den Schiffsoffizieren, und die des Montauk kannten die Rechte der öffentlichen Diener zu gut, um sich in der Sache eine Blöße zu geben.

    »Rufe Einer den Robert Davis,« sagte der Beamte listig, indem er sich ein Ansehen beizählte, das er nicht anzunehmen berechtigt war.

    »Robert Davis!« wiederholten zwanzig Stimmen, darunter auch die des Gerufenen selbst, welcher nahe daran war, durch das Uebermaß seines Eifers die Entdeckung des Geheimnisses herbeizuführen. Rufen war übrigens leicht – wenn nur Jemand darauf geantwortet hätte.

    »Kannst Du mir sagen, wer hier Robert Davis heißt, kleiner Mensch?« fragte der Polizeimann schmeichelnd einen hübschen blondlockigen Knaben von nicht über zehn Jahren, der sich neugierig unter die Zuschauer gemischt hatte. »Wenn Du mir den Robert Davis zeigst, will ich Dir ein Sechspencestück schenken.«

    Der Knabe hätte wohl Auskunft ertheilen können, that aber, als ob ihm die fragliche Person unbekannt sey.

    » C'est un esprit de corps admirable!« rief Mademoiselle Viefville; denn das Interesse für die Scene hatte fast Alle zusammengeführt, diejenigen ausgenommen, welche in der Nähe des Ganges Schiffsdienst hatten. » Ceci est délicieux; der Knabe ist ein Bürschlein zum Auffressen.«

    Was übrigens die Sache noch sonderbarer oder in der That absolut possierlich machte, war der Umstand, daß wie durch eine Art von Zauberschlag verstohlen ein Geflüster sich unter den Zuschauern verbreitete, welches so schnell die Runde machte, daß der Attorney und der Polizeidiener die einzigen zwei Personen auf dem Decke waren, denen der aufgesuchte Mann unbekannt blieb. Sogar die Kinder griffen den Schlüssel auf, obschon sie schlau genug waren, ihre natürliche Neugierde nur durch verstohlene Blicke, die zu keiner Entdeckung führen konnten, zu befriedigen.

    Unglücklicherweise kannte der Attorney die Familie der jungen Frau gut genug, um sie in Folge einer allgemeinen Aehnlichkeit ausfindig machen zu können, um so mehr, da sie durch das blasse Gesicht und eine fast unbewältigbare nervöse Aufregung auffallend genug wurde. Er machte den Beamten auf sie aufmerksam, und dieser befahl ihr vorzutreten – ein Geheiß, über das sie in Thränen ausbrach. Die Aufregung und die Angst der Gattin waren fast zu viel für die Klugheit des jungen Mannes, der eine hastige Bewegung nach ihr hin machte, obschon ihn die kräftige Faust eines Reisegefährten noch zeitig genug zurückhielt, um eine Entdeckung zu verhindern. Es ist auffallend, wie viel sich aus kleinen Umständen entnehmen läßt, wenn der Geist schon ein Schlagwort für den Gegenstand hat, und wie oft Zeichen, die so klar sind, als der helle Tag, übersehen werden, wenn kein Argwohn vorhanden ist oder die Gedanken eine falsche Spur verfolgen. Der Attorney und der Polizeidiener waren die einzigen Anwesenden, welche die Unbesonnenheit des jungen Mannes nicht bemerkt und deshalb ihn auch nicht erkannt hatten. Die

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